ZWÖLF
~ Die Hölle selbst kann nicht wüten wie... ~
“Bitte verzeihen Sie, Milady, es tut mir Leid”, sagte der Kutscher, als er Maia die Tür aufhielt.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie, als sie den kummervollen Blick in seinem Gesicht sah. Er war über dreißig Minuten zu spät gekommen, um sie bei der Damenschneiderin abzuholen, und Tren war sonst stets pünktlich gewesen.
„Ich wär nich so spät dran, aber seine Lordschaft... Nun, ich habe da gewartet auf ihn und wer nie kam, war er.“
„Nun, ich bin sicher er findet selbst den Weg nach Blackmont Hall zurück“, erwiderte Maia, als sie auf ihrem Sitz Platz nahm. Schließlich war er ja, wie er sie nur zu gern erinnerte, der Earl von Corvindale. „Oder vielleicht sollten wir noch ein letztes Mal kurz dort anhalten, wo Sie ihn treffen sollten, für den Fall, dass er aufgehalten wurde?“
„Oh, Milady, wenn die Verzögerung keine Umstände macht, mach ich das.“
„Aber natürlich“, sprach sie zu ihm und dachte vor allem an die bittere Schelte, die der arme Tren über sich ergehen lassen müsste, wenn er nicht dort war, wo der Earl ihn wünschte. Selbst wenn der Earl zu spät kam, schuld wäre immer der Diener.
Maia runzelte die Stirn, als Tren die Tür schloss und schob den unangenehmen Gedanken dann aber von sich. Ungeachtet seiner mangelnden Geduld mit ihr, hatte Maia den Earl noch nie grundlos unhöflich gegenüber seinen Untergebenen erlebt. Unnachgiebig und befehlshaberisch, gewiss, aber niemals unverzeihlich grob.
Und dann machte sie in Gedanken den nächsten logischen Schritt: Wenn sie tatsächlich den Earl dann wiederfinden sollten, wäre sie gezwungen, erneut mit ihm in der Kutsche alleine zu sein. Tante Iliana und Angelica waren schon früher nach Hause gegangen, denn Letztere hatte einen Termin mit einem Blumenhändler, und Maias Anprobe hatte viel zu lange gedauert, denn eine der Säume musste nochmals genäht werden.
Maia kam das Herz ins Flattern, als sie sich den Earl ihr gegenüber auf dem Sitz vorstellte, wie er den Raum um sie beide ausfüllte und schrumpfen ließ.
Vielleicht hätte sie sich doch zuerst von Tren nach Blackmont Hall fahren lassen sollen.
Nein, Maia war kein Feigling. Sie würde ihm entgegentreten, wenn es sein musste. Nichtsdestotrotz war ihr Hals völlig ausgetrocknet, und in ihrem Bauch ging es recht unruhig zu, als Tren sie an Piccadilly vorbei und die Bond Street entlangfuhr. Die Schreie der Blumenhändler und der Blechschlosser kämpften gegen das ständige Klappern und Rollen der Kutschen auf den Pflastersteinen an. Hunde bellten, Kinder riefen laut, Boten rannten flink die Straßen hinunter, fädelten sich an Einkäufern und Geschäftsinhabern vorbei. Nichts an London schien je leise oder langsam, dachte sie bei sich, als sie versuchte, ihre Gedanken in andere Bahnen zu lenken, weg von einer Heimfahrt in der Kutsche mit dem Earl. Selbst die Schaufenster und Häuserfronten schienen laut und aufdringlich, dicht gedrängt wie sie da standen, gegeneinander, aufeinander gebaut, wie schiefe Zähne aus Ziegelsteinen.
Endlich hielt die Kutsche an. Maia wartete, als Tren vom Kutschbock stieg und in das kleine Gasthaus mit dem Namen Zur Guten Einkehr ging. Als sie da saß, bemerkte sie ein Schild. G. Reginald, Antiquarische Bücher und Kuriositäten.
Es war nur einen Häuserblock von dem Gasthaus entfernt, und sie fragte sich ... war Corvindale etwa dort hineingegangen? Es schien ihr, die Art von Laden zu sein, der ihn interessierte.
Die kleinen Nadelstiche ihres Instinkts wanderten ihr über die Unterarme, und als Tren wenig später zurückkehrte, öffnete sie die Kutschentür und erzählte ihm von ihrer Idee.
„Ja, Milady, das is auch, wo ich ihn erst hingefahren habe“, antwortete er ihr. „Aber er hat mir befohlen dort, in der Guten Einkehr, auf ihn zu warten, und dort is er nich. Niemand hat ihn gesehen.“
Maia raffte ihr Kleid zusammen. „Vielleicht ist er in dem Laden und hat die Zeit vergessen. Wenn Sie wollen, werfe ich kurz einen Blick hinein.“
Das Gesicht des armen Kutschers war jetzt so erleichtert, dass Maia lächeln musste. Sie konnte verstehen, wie schwer es ihm fallen musste, schlicht gekleidet wie er war, in einen solchen Laden einzutreten, und an einem ungewohnten Ort. Abgesehen davon, gab es in Mr. Reginalds Laden ja vielleicht etwas Interessantes zu sehen.
Drinnen fand sie den Laden seltsam still und verlassen. Es war ganz und gar nicht ungewöhnlich, einen Laden zu betreten und warten zu müssen, bis der Inhaber von hinten zu einem kam, aber dieser Laden war so still, Maia sofort spürte sofort, dass hier etwas nicht in Ordnung war.
„Hallo? Mr. Reginald“, rief sie laut und beugte sich über den Tresen, um zu sehen, ob sie so in das Hinterzimmer blicken konnte. Die Tür stand leicht offen, und neben dem üblichen Duft von Staub und Alter, den man immer in Antiquariaten roch, strömte noch etwas anderes zu ihr.
Etwas stimmte nicht. Der Geruch hier in der Luft ... der verhieß nichts Gutes.
Maia ging auf das hintere Zimmer des Ladens zu und zögerte dann. Sollte sie Tren bitten, mit ihr mitzukommen? Es wäre doch gewisslich töricht, irgendwo alleine hineinzugehen?
Andererseits müsste er dann einen Platz finden, um die Pferde anzubinden...
„Hallo?“, rief sie noch einmal laut und trat vorsichtig hinter den Tresen, wobei sie nach etwas suchte, was als Waffe taugen könnte. Sie griff sich schließlich einen langen, schweren Stab aus einem der Schaustellerkästen, packte ihn mit beiden Händen und ging auf Zehenspitzen zu der angelehnten Tür. Das Herz klopfte ihr im Hals, als sie den Stock vor sich hochhob und in das Hinterzimmer trat.
Als erstes sprang ihr die dunkle Lache getrockneter Flüssigkeit auf dem Boden ins Auge, und sie ordnete den merkwürdigen Geruch von vorhin sofort der Lache zu. Blut. Eine Menge Blut.
Aber die Kammer war in Schweigen getaucht, und sie tat noch einen Schritt hinein, wobei sie ihren Rock hochhob. Es war ein wildes Durcheinander dort, wahrscheinlich hatte unter anderem eine Art Kampf zu der Blutlache dort geführt. Auf dem Boden leuchtete etwas auf, und Maia schaute sich zuerst nervös um, bevor sie sich bückte, um es aufzuheben.
Ihr Herz setzte kurz aus, als sie den Gegenstand in ihrer Hand wiedererkannte. Einen Knopf von Corvindale; unverwechselbar, weil das Wappen des Earl darauf geprägt war.
Also war er hier gewesen. Das komische Gefühl wurde jetzt zu etwas deutlich Unangenehmeren, und Maia warf einen kurzen Blick zum Fenster, das schwarz vor Schmutz war. Wenn es hier etwas heller wäre, könnte sie...
„Miss?“, ertönte ein Stimme von der Eingangstür.
Tren. Maia drehte sich um und eilte zur halboffenen Tür zurück. „Rufen Sie den Wachtmeister“, sagte sie. „Ich denke, dem Earl ist hier etwas zugestoßen.“ Sie kam zurück, griff eilig nach einer Lampe und hockte sich auf den Boden nieder, auf der Suche nach weiteren Hinweisen dafür, dass der Earl hier gewesen war.
Als sie die Haarnadel sah, blieb ihr erneut das Herz kurz stehen, während sie die Hand danach ausstreckte. Das war keine gewöhnliche Haarnadel, sondern eine mit winzigen ... Rubinen.
Rubine.
Corvindale hasste Rubine. Sie brachten ihn in Rage.
Maia schüttelte den Kopf. Nein. Hier stimmte etwas nicht. Sie erinnerte sich, wie seltsam er in der Kutsche gewesen war, als Angelica entführt wurde, als sie beide die Rubinohrringe getragen hatten. Es war nicht nur, dass er sie hasste ... sie schienen eine unheilvolle Wirkung auf ihn auszuüben.
Die prickelnde Gewissheit, ihr Instinkt, richtete ihr die Härchen an den Unterarmen auf.
Und dann erinnerte sie sich plötzlich auch an die Beschreibung Mirabellas von dem Kampf am Abend des Maskenballs. Da hatte eine Rubinkette auf ihm gelegen.
Eine Haarnadel mit Rubinen. Corvindales Knopf. Blut, und Anzeichen eines Kampfes.
Maia wurde es eiskalt. Das war kein Zufall. Dem Earl war etwas zugestoßen.
Sie schaute auf die Haarnadel herab, und in ihrem Hinterkopf klopfte leise eine Erinnerung an. Sie hatte so ein Schmückstück schon einmal irgendwo gesehen. Jemand hatte sie getragen, oder etwas ganz ähnliches. Sie runzelte die Stirn und versuchte, das Bild wieder heraufzubeschwören.
Jemand, den sie erst kürzlich gesehen hatte.
Jemand, den sie nicht kannte.
Aber jemand, den sie jetzt finden würde.
~*~
Dimitri roch, lauschte, fühlte … und öffnete dann die Augen.
Er saß auf einem Stuhl, ein großer gepolsterter Stuhl, Beine und Arme ausgestreckt, als ob er dort hineingeworfen worden war.
Sein Körper war immer noch schwer – seine Arme, Beine, nichts bewegte sich, wie es sollte. Aber man hatte ihn nicht gefesselt. In gewisser Weise.
Sie stand hochaufgerichtet vor ihm, mit all diesen Rubinen, und schaute mit tiefer Befriedigung auf ihn herab. Sie sah genauso aus wie seinerzeit in Wien. Groß und schlank, dichtes, dunkles Haar, volle rote Lippen, und hohe Wangenknochen, wie gemeißelt. Immer noch bezaubernd, aber in ihren Augen war jetzt immer ein wütendes Flackern zu sehen.
„Lerina“, gelang es ihm zu sagen, während er sich im Zimmer umsah. Es schien sich um eine Art Salon zu handeln. Nicht besonders gepflegt; es war staubig und über einige der Möbelstücke hatte man Laken gebreitet. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen und das Licht somit dämmrig. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, zusammen mit anderen: Blut, alter Stoff, Staub, abgegriffenes Leder, Wasser. Salzwasser. Fische. Sie befanden sich in der Nähe der Themse. Vielleicht an der Werft.
„Hast du mich vermisst, Liebling?“, fragte sie und kam plötzlich näher, um ihm die Wange zu tätscheln. Die Rubine klickerten leise und schwangen zusammen mit ihr nach vorne. „Wir haben uns ja so viel zu erzählen.“
Er schloss die Augen, als eine Schmerzwelle über ihn hinwegschwappte, und dann langsam abebbte, als sie wieder von ihm wegtrat. „Moldavi, nehme ich an?“
Lerina lächelte und zeigte ihre langen Zähne. „Du bist ein ganz Schlauer, Dimitri.“
„Wessen Körper war das dann in den Trümmern? In ... deinem Kleid?“, fragte er und versuchte, seinen Atem regelmäßig kommen zu lassen. Jetzt wusste er, wie das Geheimnis seiner Asthenie entdeckt worden war. Als seine Geliebte hatte Lerina es irgendwie herausgefunden. Denn er hatte ihr es ganz sicher nie verraten. Oder sie und Moldavi hatten es gemeinsam entdeckt.
Sie zuckte mit den Schultern, und die Rubine tanzten. „Ich habe keine Ahnung. Darum hat Cezar sich gekümmert. Wahrscheinlich irgendeine Sterbliche. Alles diente nur dem Zweck, dich glauben zu machen, ich wäre bei dem Brand umgekommen.“
Dimitri zog sich auf dem Stuhl in eine aufrechte Position. Jede Bewegung fühlte sich an, als würde er gegen Bleigewichte kämpfen, während er sich stromaufwärts in einem reißenden Fluss fortbewegte. Der Schmerz von seinem Teufelsmal hatte sich zu dem der Rubine gesellt, raubte ihm den Atem und brannte sich in seine Haut ein. Er konnte den körperlichen Schmerz jedoch bezwingen, sein Verstand arbeitete nach wie vor einwandfrei. Und jetzt geradezu fieberhaft.
„Willst du mich nicht fragen, was ich will?“, sagte Lerina und beugte sich wieder näher.
Ihr Duft stieg ihm wieder in die Nase, zusammen mit einem weiteren, stechenden Schmerz von den Rubinen. Dimitri zuckte nicht zusammen, noch blinzelte er, sondern erwiderte ihren Blick ganz ruhig. „Du wirst es mir erzählen. Obwohl ich auch ... ziemlich sicher bin, ich weiß es schon.“
„Ach wirklich?“ Lerina grinste und fuhr sich mit der Zunge über die Spitzen ihrer langen Zähne. „Ich habe über ein Jahrhundert auf diesen Augenblick gewartet, Dimitri, Liebster.“
„Über ein Jahrhundert“, presste er sich heraus. „Hattest du nichts Besseres zu tun?“
Wie eine Peitsche schoss ihre Hand hervor und klatschte ihm ans Gesicht, einer ihrer Rubine schlitzte ihm die Wange auf. Der Schlag dröhnte ihm im Schädel, aber er blieb regungslos sitzen. Blut tropfte ihm warm die Wange herab.
Ihre Nasenflügel wurden weit, als sie den Duft einsog, ihre ganze Aufmerksamkeit jetzt an seiner Wunde. Dann sammelte sie sich, schüttelte leicht den Kopf und trat mit einem seltsamen Lächeln zurück.
Er war sich sicher, dass von Lerina keine Gefahr drohte außer weiterem unablässigem Geschnatter und ihren Temperamentsausbrüchen. Hinter all dem hier musste Moldavi stecken, und Dimitri nahm an, der Mann würde noch eine kurze Schau von Machtdemonstration haben wollen, bevor er sich Dimitris entledigte – oder was auch immer sein Plan war.
„Da du mich nicht fragst, werde ich es dir erzählen“, verkündete Lerina ihm.
„Bitte nur das Nötigste. Es gibt keine Veranlassung ... hier unnötig auszuschmücken.“ Er fand es zunehmend schwieriger, gelassen zu bleiben und seine Stimme ruhig zu halten.
Verärgerung flackerte kurz in ihren Augen auf, ein glühender Ring um ihre blassblauen Augen. „Nun denn“, sagte sie und trat, Gott sei Dank, einen Schritt zurück. Ihre Hand flatterte leicht, als sie sich auf etwas vorbereitete, was sicherlich ein dramatischer Monolog werden würde.
„Cezar hat mich zur Drakule gemacht“, sagte sie, als handele es sich um eine große Ankündigung. Als er darauf – hätte er die Kraft gehabt, hätte er mit den Augen gerollt – nicht zu reagieren schien, wurde ihr Mund schmal, und sie fuhr fort. „Ich wollte, dass du mein Erzeuger wirst. Wir hätten bis in alle Ewigkeit recht glücklich zusammengelebt.“
„Den Schicksalsgöttinnen sei Dank dafür“, murmelte er.
Ihr Gesicht verfinsterte sich wieder. „Du hattest schon immer einen widerwärtigen, schneidenden Ton am Leib“, sagte sie. „An deinem zugegebenermaßen ... recht ansehnlichen Leib. Es ist kein Wunder, dass Meg dich verlassen hat, nachdem sie das bekommen hatte, was sie wollte. Aber ich wäre bei dir geblieben. Alles, was du hättest tun müssen, wäre mich unsterblich zu machen, und ich hätte dich auf immer geliebt.“
Dimitri unterdrückte seine Überraschung und den Schmerz, als er sie so von Meg plaudern hörte. Es lag über hundertdreißig Jahre zurück, und schon die Erinnerung an seine kindische Liebe von damals versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube. Weil er so dumm gewesen war, nicht so sehr, weil er so verliebt gewesen war.
„Cezar hat es von Meg, und dann hat er mir die ganze Geschichte erzählt. Wie du sie aus dem Feuer gezogen hast, und als ihr da beide im Sterben lagt, wie du um Hilfe gebetet hast. Du wollest alles tun, damit ihr beide am Leben bleibt. So eine romantische Geschichte, Dimitri, Liebster.“
Er widerstand dem Drang, die Augen vor dem Bild zu verschließen.
Aber die Erinnerung war immer noch bei ihm, wenn auch vage und verschwommen. Das, wovon er glaubte, es wäre das Einzige, was er sich auf Erden wünschte, war in jener Nacht in Erfüllung gegangen, in jenen schmerzerfüllten, wilden Träumen, halb wach, halb schlafend, durch das Erscheinen von Luzifer. Erst später war ihm aufgegangen, dass das Wunder nie ein Wunder gewesen war.
„Hast du in Wien versucht, mich aus dem Feuer zu ziehen, Dimitri?“, fragte sie zuckersüß. „Oder hast du mich dafür nicht genug geliebt?“
Er weigerte sich, ihr darauf zu antworten, und ließ sie lediglich ein Flackern in seinen Augen sehen. Als ob er je beiseite stehen und zusehen würde, wie jemand elendiglich starb. Insbesondere weil für Drakule Feuer lediglich etwas ungemütlich war, aber ihnen nichts anhaben konnte.
„Du hättest es sogar getan ... und hättest mich danach wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, nicht wahr?“ Sie ging jetzt vor ihm auf und ab. „Denkst du, ich hätte es nicht bemerkt? Warum glaubst du, bin ich in jener Nacht mit Cezar mitgegangen? Ich wusste, entweder du würdest merken, wie sehr du mich liebst – pah! Oder ich würde einen neuen Beschützer finden. Und wir wissen beide, wie das geendet ist.“
Und wieder schwieg er nur.
„Also. Du hast Meg das Leben gerettet, ihr geholfen, eine Drakule zu werden ... und dann hat sie dich sitzen gelassen. Sobald sie sich im Klaren über die Kräfte war, die sie durch die Unsterblichkeit und das Bündnis mit Luzifer hatte, hat sie dich verlassen.“
Dimitri verwandte all seine Kraft darauf, gleichgültig mit den Schultern zu zucken. „Und da fragst du dich noch warum ... ich den gleichen Fehler nicht ... ein zweites Mal gemacht habe.“
„Dein armes, gebrochenes Herz. Hat sie dich jetzt für jede andere Frau verdorben? Es scheint mir so.“ Sie strich sich mit den Händen über das üppige Mieder, als wolle sie ihn daran erinnern, was sie ihm bieten konnte. Er verzog das Gesicht.
„Meg ist tot, Dimitri. Wusstest du das schon?“ Lerina beugte sich wieder zu ihm und brachte damit die funkelnden, todbringenden Rubine näher, zusammen mit dem Geruch von Bitterkeit. „Cezar selbst hat sie getötet.“
Erleichterung schwappte über ihn, unter der ein überraschender Mangel an Mitgefühl fast verschwand, und wurde gefolgt von einem Anflug von Trauer. Er hatte sie geliebt, so dachte er, auf eine jugendliche, unbeholfene Art, selbst wenn sie ihn nie geliebt hatte. Oder zumindest nicht genug. Und jetzt schmorte sie bei Luzifer in der Hölle. Auf immer.
Und auch das verdankte sie teilweise ihm. Er schloss die Augen.
„Armer kleiner Liebling“, sagte Lerina, und ihre Stimme rief ihn wieder in die Gegenwart zurück.
Ihre Augen flackerten, blickten jetzt auf die Wunde an seiner Wange. Aber bevor er sich dagegen wappnen konnte, beugte sie sich vor, mit all diesen Rubinen, und packte ihn an der Schulter, drückte ihre Lippen an die offene Wunde. Die Halsketten schlugen gegen ihn, und Dimitri zuckte zusammen, als sie gegen seine Brust und seinen Hals schlugen, sich durch sein Hemd brannten, wie ein Dutzend glühendheißer Schürhaken. Er musste wider Willen und trotz der heißen, feuchten Lippen an seiner Wange laut aufstöhnen.
Sie saugte und leckte ihm das Blut von der Haut, ihre Zunge kreiste verführerisch über sein Fleisch dahin, als er wieder darum rang, seinen Atem ruhig zu halten. Dann ließ Lerina ihre Lippen auf seine gleiten, bedeckte seinen Mund mit ihrem, atmete seinen eigenen Blutgeruch in ihn hinein.
Jede Faser in ihm strengte sich an, durch diesen Schmerz hindurchzukommen und sich von ihr loszureißen, aber Lerinas Hände hielten ihn eisern fest, und die Rubine waren übermächtig. Ihre Finger gruben sich hinten in seinen Schädel, zogen an seinen Haaren, ihre Zähne waren scharf und glatt, wo sie seine Lippen missbrauchte.
Als sie abließ, glänzten ihre Lippen, feucht von Blut und Speichel, und ihre Augen waren glühende Kohlen. Er trotzte ihrem Blick, kalt und voller Ekel, und als sie seine Abscheu sah, fuhr sie zurück. Und dann schlug sie ihn noch einmal. Hart. Auf die andere Wange.
„Und du fragst dich, warum ich dich nicht erzeugen wollte“, schaffte er noch zu knurren.
„Das war deine Chance“, sagte sie und trat einen Schritt zurück, und nahm da auch die bösen, glitzernden Rubine mit sich. „Ich war bereit, dir noch einmal die Gelegenheit zu geben, deinen Fehler einzusehen. Dummer Dimitri. Du hast in den letzten hundert Jahren nichts über die Frauen hinzugelernt.“
Sie entfernte sich, und er konnte für einen Augenblick kurz und relativ tief einatmen. Dann drehte sie sich wieder zu ihm, betrachtete ihn nachdenklich. Ihre Augen brannten vor Hass ... und noch etwas. Ihm graute.
„Moldavi ist in Paris?“, fragte er, um sie abzulenken und seinen Verdacht zu bestätigen.
„Ja. Er wartet auf Nachricht von mir, dass du bereit bist, mit ihm zusammenzuarbeiten.“ Sie streichelte eine der vielen Rubinketten. Da waren vielleicht ein Dutzend, jeder von ihnen so groß wie sein Daumennagel, in Gold gefasst. Sie trug drei Halsketten in der Art, jede war unterschiedlich lang, und jede endete in einem großen Rubinanhänger. „Ich habe so viel von ihm gelernt. So viel darin, das zu bekommen, was ich will.“
„Du wirst mich nach Paris mitnehmen“, sagte Dimitri und schnupperte wieder die Luft vom Fluss her. „Zu Moldavi.“
„Oh nein.“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Du interessierst ihn gar nicht. Nicht mehr. Nicht seitdem wir uns geeinigt haben, dass du mir gehörst, und dass ich mich um dich kümmern werde.“
Sie war wieder nahe bei ihm, beugte sich vor, die Rubine wanden sich um sie. In ihren Augen war wieder dieser hungrige Ausdruck und, als sie seinen Blick einfing, nahm Lerina eine der Halsketten ab.
Dimitris Atem stockte, und er versuchte sich freizukämpfen ... aber sie waren zu nahe, und es waren zu viele. Er war hilflos, als sie die Kette um einen seiner Arme band, ihn an den Stuhl band. Unerträgliche Schmerzen flossen ihm durch den Arm hinauf zur Schulter, kämpften dort mit den Schmerzen von Luzifers Zeichen.
Das Zimmer färbte sich gerade ein, und mit den Anstrengungen wurde auch ihm zunehmend rot vor Augen. Sie kam näher, und er war sich vage ihrer geschäftigen Finger oben an seinem Hemd bewusst, warm und flink. Er nahm all seine Kraft zusammen und tat einen plötzlichen Ruck. Er schaffte es, sie ein wenig zu schubsen, aber Lerina war schnell und riss sich eine weitere Halskette vom Hals, mit der sie seine andere Hand festband. Während er mit diesen neuen Schmerzen kämpfte, klemmte sich ihr Knie fest zwischen seinen Schenkel und den Stuhl. Schweiß, warm und reichlich, lief ihm von der Schläfe herab und vermischte sich mit dem Blut auf seinen Wangen.
„Weißt du ... Moldavi ist eher daran interessiert, seine Schwester wiederzubekommen. Und Chas zu zerstören, weil er sie ihm genommen hat“, fuhr Lerina fort. Ihre Stimme war jetzt fast ein Singsang, aber ihre Augen brannten heiß und zornig. Sie war jetzt sehr nahe, saß ihm fast auf dem Schoß. „Wenn du erst einmal aus dem Weg und anderweitig beschäftigt bist, kann er sich die Trophäe holen, die er eigentlich haben will.“
Dimitri nahm verschwommen war, dass sein Hemd nun offen war, die kühle Luft fuhr ihm über die heiße Haut. Ihre Hände, die er mal gut gekannt hatte, erkundeten jetzt seine Schultern wie eine Spinne, und öffneten das Hemd weiter. Sie packte es und riss es auseinander. Das Geräusch von zerrissenem Leinen war wie Donner in seinen Ohren.
„Trophäe?“, schaffte er zu keuchen, obwohl eine schreckliche Vorahnung ihn überkam, das er die Antwort schon kannte. Nein, wer.
Nein.
Lerina lächelte. Ihre Reißzähne waren jetzt ganz lang. Ihr Atem roch nach seinem Blut. Ihre Finger spielten mit seinen Locken, die ihm feucht im Nacken klebten, und wo sie die Locken anhob, um ihm leicht auf die heiße Haut zu pusten.
„Ich habe von diesem Moment geträumt“, sagte sie. Ihre Stimme drang noch durch die schwarzen und roten Schwaden zu ihm durch, die ihm gerade das Bewusstsein und die Sinne füllten. „Seit dem ersten Mal, als du von mir getrunken hast.“
„Trophäe?“, forderte er mit seinem letzten Atemzug ein.
„Die Mädchen natürlich“, flüsterte sie an seinem Ohr. „Die Schwestern. Das einzige Mittel, es Chas heimzuzahlen.“
Maia.
Er sammelte all seine Kraft zusammen und zog, sein Innerstes stöhnte tief vor Anstrengung. Aber er war vollständig gelähmt.
Sie rammte ihm ihre Zähne in die Schulter. Er keuchte auf, sein Körper erschauerte, als er dort schrecklich unbeweglich bleiben musste. Der Druck in seinen Venen, der plötzlich ein Ventil fand, das Blut, das jetzt warm in ihren Mund strömte, ließen ihn erzittern. Er konnte die Armlehne nicht mehr greifen, und er konnte seine Augen nicht mehr offen halten.
Die kleinen Nadelstiche der Lust, als sie an ihm saugte, gingen unter in dem Strudel von Schmerz. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, an seinen Fesseln zu zerren oder zu treten oder sich wegzudrehen. Maia.
Und so schloss er die Augen und schrie innerlich: Hilf mir. Wayren, verdammt noch mal, ich bin bereit.