VIERZEHN

~ In dem man sich nicht mehr vorgestellt werden muss ~

Maia hörte den grauenvollen Unterton in seiner Stimme, als er ihren Namen aussprach. Es war eine schreckliche Mischung aus Hass und Verzweiflung. Entsetzen packte sie. Seine Augen waren halbgeschlossen und lagen im Schatten, sie konnte außer den dunklen Höhlen und den Wunden in seinem Gesicht wenig erkennen.

„Sind Sie von Sinnen?“, fragte sie und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. „Ich werde Sie hier nicht zurücklassen.“ 

Und sie konnte nur schwer fassen, dass ein Mann wie der Earl, der so groß und finster und mächtig war, jetzt wenig mehr als ein zerbrochenes Spielzeug war, dort, in seinem Stuhl. Zugleich wollte sie ihn auch wieder berühren, aber ohne den Schutz des feuchten Stofflappens. Sie wusste, er war verwundet, fast tot, auf die Art, wie nur ein Vampir tot sein konnte, aber sie konnte die Augen nicht von ihm lassen. An einem Fenster waren die Vorhänge so weit zurückgezogen, dass Licht von draußen – Mond, Sterne, Straßenlaternen – das Zimmer in ein diffuses, graues Licht tauchten, gerade genug, damit sie die Einzelheiten an ihm erkennen konnte. 

Wenn auch die kleinen, dunklen Punkte seine Schultern verunstalteten, wo ihn offensichtlich ein Vampir gebissen hatte, hatte sein Oberkörper sich doch so stark und warm unter ihren Händen angefühlt. Sie hatte seine dicht behaarte Brust von der Tür seines Schlafzimmers aus sehen können, aber jetzt hatte sie diese starken, beeindruckenden Muskeln und die kraftvolle Wölbung seiner Oberarme, die glatte, schöne Haut berührt. 

„Retten Sie sich ... vor mir“, sagte er wieder, diesmal noch wütender. Seine mächtige Hand bewegte sich, als wolle er sie wegschieben, aber sie fiel ihm nur kraftlos in den Schoß, streifte kaum ihren Arm. „Holen Sie Cale.“

„Seien Sie kein Idiot. Ich werde Sie hier nicht alleine lassen“, sagte sie. „Es war schwierig genug, Sie aufzuspüren, und ich gehe ohne Sie nicht von hier fort. Abgesehen davon, würde ich Stunden brauchen, um Herrn Cale zu finden. Und ich weiß nicht, wann sie zurück sein wird.“ 

Er schloss wieder die Augen. „Gehen ... Sie. Bitte. Maia.“ 

Das war das zweite Mal, dass er sie mit ihrem Namen angeredet hatte, und als sie es hörte, so tief und rau, wurden ihr die Knie schwach. Sie konnte ihn nicht zurücklassen. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, und wie lange sie brauchen würde, um eine Droschke zu finden – und jetzt war es auch noch Nacht. Sie wusste nicht, wann Mrs. Throckmullins zurückkehren würde – oder die Personen, mit denen sie unter einer Decke steckte, wer auch immer das war, und es würde ihr sicherlich nicht gelingen, den Earl aus dem Zimmer zu schleppen. Er würde sie erdrücken, selbst wenn er sich nur mit dem halben Gewicht auf sie lehnte. 

Maias Herz fing an, wild zu hämmern, als sie begriff, was sie tun musste. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und bemühte sich, ihre flatternden Nerven zu beruhigen und die Aufregung zu unterdrücken. Es lag nicht nur an den Rubinen. Er hatte Blut verloren. Eine ganze Menge.

„Sie müssen ... trinken. Sie brauchen Blut“, sagte sie.

Er zuckte in dem Stuhl zusammen und knurrte. „Nein.“

Aber sie sah, wie sein Puls plötzlich schneller ging, seine Brust sich hob und senkte. Die Pulsader an seinem Hals war überdeutlich zu sehen, und seine Augen hatten sich an ihr festgesaugt, voller widerstreitender, heftiger Gefühle, rot glühend. 

„Corvindale, Sie müssen.“ Sie setzt sich auf der Armlehne seines Stuhls zurecht. 

Er hatte das Gesicht abgewendet, seine angespannten Kiefer bewegten sich im Schatten. „Gehen Sie.

Sie holte tief Atem und streckte dann rasch ihren Arm aus, ihm direkt vors Gesicht. „Bitte.“

„Ich kann nicht.“ Er war ihr so nah, ihr Arm rieb sich jetzt an seinem nackten Arm, sein unverwechselbarer Geruch und die Wärme, die er verströmte, füllten ihr Nase und Sinne. 

„Mylord, ich bitte Sie“, flehte sie ihn an, was bei ihm einen Schauder von Furcht hervorrief. „Ich kann Sie nicht von hier wegbekommen, so lange Sie so schwach sind. Und ich werde unter keinen Umständen ohne Sie fortgehen. Wenn Sie zurückkommt...“ Sie sprach ihren Satz nicht zu Ende, denn, wenn sie etwas über den Earl gelernt hatte, dann war es, dass er seine Pflichten sehr ernst nahm. 

Sicherlich wollte er sein Mündel nicht mehr hier haben, wenn Mrs. Throckmullins zurückkam. 

Er schwieg weiterhin stoisch, und Maia dämmerte, dass sie den dummen Starrkopf dazu zwingen musste. Sie erinnerte sich an die Nacht in der Kutsche, als er ihr mit einem seiner langen Zähne einen Kratzer beigebracht hatte; der hypnotisierte Ausdruck auf seinem Gesicht, als er das Blut bemerkt hatte. 

Sie war drauf und dran aufzustehen, um etwas zu finden, womit sie sich schneiden könnte, denn sie brachte es nicht über sich, einfach ihre Fingernägel zu benutzen, als er einen tiefen Laut von sich gab. Sehr tief, wie etwas, dass sich grollend aus seiner Kehle hochkämpfen musste. 

Maia schaute ihn wieder an, genau in dem Moment, als seine Finger sich um ihren Arm schlossen.

„Holen Sie ... Rubine“, sagte er. „Schnell.“

„Was? Sind Sie verrückt geworden? Ist das nicht, wie Sie–“

„Holen Sie ... Rubine“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Streiten. Immerzu.“ 

„Corvindale ...“ Aber sie sah die Wut in seinen Augen und entschied, dass er wahrscheinlich Recht hatte – das hier war nicht der Augenblick, um sich herumzustreiten. Sie wusste ja seit jener Nacht schon, dass der Mann verrückt war, als er sie in Vorhänge eingewickelt auf einen Balkon hinausgeworfen hatte. 

Aber da hatte er sie schließlich gerettet, nicht wahr?

Sie rannte aus dem Zimmer, um eine der Halsketten zu holen, von dort, weit hinten im Flur, wo sie alles auf einem Haufen hinterlassen hatte. Als sie ins Zimmer zurückkam, sah sie, dass er sich im Stuhl zurechtgesetzt hatte und jetzt weniger schief dort saß als zuvor.

Seine Augen fielen auf die lange Kette und dann wieder hoch zu ihren Augen, als sie sich langsam näherte. Was auch immer für einen Gesichtsausdruck er haben mochte, in dem trüben Licht konnte man nichts davon erkennen. 

„Was soll ich damit tun?“, fragte sie, wobei sie schon jetzt seinen veränderten Atem bemerkte, und dass sein Körper sich verkrampfte. Alles nur wegen dieser Juwelen. Sie fand es angsterregend und faszinierend zugleich. 

Er blickte zur Seite und machte eine kleine, schwache Geste zu dem Tisch neben seinem Stuhl hin. „Dahin.“

Maia glaubte, allmählich zu verstehen, was er wollte. Er wollte die Steine in der Nähe haben, damit er ... schwach bliebe? Ihr Herz machte einen Satz und plötzlich wurde das erwartungsvolle Prickeln ein heftiges Zucken in ihrer Magengegend. Vor was hatte er Angst, was dachte er, würde er tun? 

Sie legte die Kette auf der weiter entfernteren Seite des zierlichen Tisches ab und wandte sich dann ihm zu, sah auf sein dunkles Haar und das versteinerte Gesicht hinab. Seine Augen hatten sich wieder geschlossen, die Augenbrauen zusammengezogen, die Hände an seinen Seiten waren zu Fäusten geballt. Seine Brust hob und senkte sich so heftig wie die ihre. Das grelle Weiß seines zerfetzten Hemds leuchtete auf seiner dunklen Haut und auf den Hosen. 

„Corvindale“, sagte sie, und dann setzte sie sich wieder auf die Armlehne seines Stuhls. Und vergaß zu atmen. 

„Benutzen Sie sie“, sagte er, und sie wusste, er meinte die Rubine. „Wenn es ... sein muss.“

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, sie schluckte und bot ihm ihr Handgelenk an. 

Zuerst dachte sie, er würde sich wieder weigern, aber dann packte er sie mit erstaunlich kräftigen Händen. Furcht schoss kurz durch sie hindurch, und dann, als er ihr Handgelenk zum Mund führte, sah sie zum ersten Mal seine Zähne wirklich. 

Sie schloss die Augen, als sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte, aber zu ihrem Schock und ihrer Überraschung, kam dann ... nicht der Schmerz wie bei einem Biss, sondern ein zartes Streicheln von Lippen. Weich, feucht, gefolgt von der sanften Berührung seiner Zunge.

Maia zitterte, als Wärme sich langsam in ihr entfaltete, ihre Haut erschauerte angenehm bei der Berührung. Ihr Herzschlag schien anders zu gehen und rauschte ihr in den Ohren, die Vibrationen wanderten ihren ganzen Körper entlang. Sie war sich kaum bewusst, was sie tat, als sie ihren anderen Arm nach hinten auf die Rückenlehne des Stuhls legte, und sich dort direkt neben seinem Haar festhielt. Er glitt mit den Lippen sanft über die Innenseite ihres Handgelenks und hielt dann kurz an und sah plötzlich zu ihr auf. 

Seine Augen waren deutlich zu sehen, und der Ausdruck in ihnen war so dunkel und hungrig, aber auch voller Selbstverachtung, dass sie zusammenzuckte. 

„Ich will ... das hier ... nicht tun“, hauchte er ihr auf die feuchte Haut, und dann erstarrte er auf einmal, und die Spitzen seiner Zähen waren dort. 

Wie seine Zähne in das zarte Fleisch an ihrem Handgelenk glitten, bäumte sie sich vor Lust und Schmerz auf. Er machte ein leises, wimmerndes Geräusch, wie ein wildes Tier, das befreit wird – oder gefoltert. Und Maia spürte, wie das Blut ihr aus Wunde und Venen schoss. An sie gelehnt zitterte er, als ob sich ein schreckliches Band in ihm gelöst hätte. 

Sein Mund war warm, bedeckte sie, und seine Finger hielten ihr Handgelenk fest umschlossen, als wollten sie es ruhig halten. Die Hitze strömte aus ihr heraus, machte, dass ihr etwas schwindelte, und sie spürte jede einzelne Bewegung seines Mundes und seiner Zunge, als er saugte, leckte, saugte ... und von ihr nahm, in einem primitiven, wogenden Rhythmus. 

Sie sah herab und betrachtete fasziniert, wie sein dunkler Kopf sich über ihren weißen Arm beugte. Sie roch das Blut, hörte das gurgelnde Pfeifen, als er trank, die leisen Schlucke, die er tat. Und als das Leben aus ihr floss, trat an seine Stelle eine rollende Hitze, baute sich auf, wogte, als ob ihre Venen singen könnten.

Maias Finger schoben sich in sein schwarzes Haar, das weich und warm war, nicht feucht von dem Wasser, und sie sackte gegen ihn. Ihre Brüste fühlten sich hart und empfindlich an, und sie merkte, wie sie jetzt in kleinen Seufzern atmete, den Mund halb geöffnet. Da gab es noch etwas ... sie brauchte noch etwas anderes.

Er rückte sich in dem Stuhl zurecht, löste auf einmal seine Zähne von ihrem Arm und ließ seine warme Zunge dann in kleinen, erregenden Kreisen über die Wunden gleiten. Sie seufzte und streckte sich rückwärts, ein kleines, schmerzhaftes Kribbeln von Lust kam aus ihrem Bauch und wanderte tiefer. 

Seine Hand glitt nach oben, hinten an ihren Hals, und hielt ihren Kopf fest, als er sie zu sich auf seinen Schoß zog. Sie schloss die Augen, ihre Hände lagen jetzt auf seinen breiten, nackten Schultern, und dann zuckte sie erneut zusammen, als er sie in die weiche Stelle an ihrer Schulter biss. 

Maia schrei auf, überrumpelt und auch voller Schmerz, aber drückte sich dann gegen ihn, als heißes Blut aus ihrer zarten Haut in seinen Mund schoss. Seine Zunge, breit und nass, glitt über ihre Schulter, und verschwand dann, als er begann, in rhythmischen Zügen von ihr zu trinken. Starke Hände hielten sie fest, nahe, und sie fühlte seinen Körper hart und fest an ihrem, wie der ein wenig schwankte, vor Anstrengung. 

Seine großen Hände hielten sie fest umschlossen, sein Mund nahm, die Hitze seines Körpers brannte sich in ihre Hände und durch ihre Kleider hindurch. 

Maias Welt wurde zu einem Strudel roter Hitze, der überhaupt nicht so wie ihre Träume war, aber genauso erotisch und unwiderstehlich. Blut rauschte ihr durch die Adern, und sie fühlte, wie es anschwoll und pumpte, aus ihr strömte. Sie konnte nicht mehr atmen. Alles wurde zu ihm.

Sie wollte ihn.

Auf einmal erstarrte er. Ein kehliger Fluch kam ihm aus dem Mund, und er riss sein Gesicht von ihrer Schulter weg, seine Finger bohrten sich in sie, als er sie von sich stieß, seine Bewegungen brutal und abrupt, sein Atem laut und beschwerlich in dem kleinen Zimmer. 

„Sie verfluchte Närrin“, fuhr er sie an, als er sie wie eine unerwünschte Katze von seinem Schoß stieß. Seine Augen brannten wie glühende Kohlen, und seine Lippen waren geschwollen und feucht, die lange Spitze einer seiner Zähne hatte sich an seiner Unterlippe verfangen.

Hochgeschreckt aus dem eingelullten Dämmerzustand stolperte Maia und musste um ihr Gleichgewicht kämpfen. Eine Hand schoss hervor und packte sie gerade noch rechtzeitig, aber durch den Schwung krachte sie gegen den Tisch und dieser fiel um. Die Knie versagten ihr, und sie sackte in seine Arme, geschwächt und verwirrt, ihre Augen hatten sich nach oben verdreht. 

„Maia“, sprach er wütend, mit Sorge in der Stimme, „schauen Sie mich an, verdammt.“

Sie öffnete die Augen, ihre Lider bleischwer, und versuchte, sich auf den dunklen Umriss hoch über ihr zu konzentrieren. 

„Verfluchte Steine des Satan, ich hatte Ihnen befohlen, die Rubine zu benutzen.“ Er schrie sie jetzt schon fast an, aber seine Hände setzten sie sachte in den Stuhl, aus dem er gerade aufgesprungen war. „Warum haben Sie denn nicht die Rubine benutzt?“

Sie stellte verschwommen fest, dass er anscheinend restlos wiederhergestellt war, aber als er dann recht unbeholfen gegen ihren Stuhl stieß, korrigierte sie ihre Meinung.

Abgesehen davon war sie nicht in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, in dem wilden Strudel, der sie auch emotional aufwühlte. Hitze brandete immer noch in ihrem ganzen Körper, und sie spürte, wie das Blut langsam aus ihr an ihrer Schulter entlang tropfte. Warm. Die Wunde an ihrem Handgelenk schien nicht mehr zu bluten. Alles, was da noch zu sehen war, waren vier zarte, rote Punkte. 

Sie zwang sich jetzt zur Konzentration und ließ den Kopf nach hinten gegen die Rückenlehne sinken, wodurch sie dann zu ihm aufblicken konnte. Er war über sie gebeugt, seine beiden Arme rechts und links von ihr auf den Armlehnen bildeten einen engen, starken und recht kleinen Halbkreis um sie. 

„Maia“, sagte er, ein bisschen sanfter jetzt – was nur hieß, ein bisschen leiser und nicht etwa weniger angespannt. Und es lag ein merkwürdiger Unterton in seiner Stimme. „Sie...“ Seine Stimme wurde leise,r und ihre Blicke trafen sich. 

Alles stand still. Maia konnte kaum Luft holen. In ihr explodierte alles, ein heißes Flattern. „Werden Sie mich jetzt küssen?“, flüsterte sie. 

Seine Lippen formten ein stummes, „Kann nicht. Nein.“

Aber dann ging es doch.

Sie kam seinem Mund entgegen, als er sich auf sie stürzte, hungrig und noch warm von den Resten ihres eigenen, dunkelroten Bluts. Seine Lippen waren hart und fordernd, öffneten ihre, als sich seine Zunge rücksichtslos in ihren Mund schob. Ein Schenkel drängte sich kraftvoll zwischen sie und den Stuhl, und Maia stellte fest, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte, sie war eingekeilt, dort, auf dem Stuhl, zwischen seinen Händen und seinem Mund, sein Körper groß und stark über ihr.

Sie griff nach den Enden von seinem Hemd, zog ihn, zerrte ihn zu sich, ihre Hände glitten über den breiten Brustkorb. Das Muskelspiel seiner zitternden Brust unter ihren Handflächen spürbar, das Haar weich und kitzelnd, Haut glatt und erhitzt. 

Endlich, endlich ... war alles, was sie denken konnte.

Er hielt ihr Gesicht in seinen großen Händen, seine Finger schmiegten sich um sie, die Daumen drückten sich leicht gegen ihren Kiefer, als er jetzt von ihrem Mund trank, und sich dann mit einem leisen, tiefen Stöhnen von ihr löste, um den Mund wieder auf die Wunde an ihrer Schulter zu legen.

Aber diesmal glitt er nicht in sie hinein, sondern fuhr mit seiner feuchten Zunge über die sanfte Rundung ihrer Schulter, dort hinein, in die kleine Kuhle. Maia erschauerte und versuchte, sich mit einem Schulterzucken von ihm zu lösen, denn das Gefühl ging ihr durch Mark und Bein, aber er grub noch tiefer, seine Zunge tauchte und glitt, leckte an dem letzten bisschen Blut dort, seine Wimpern kitzelten sie an der Wange. Sie spürte, wie ihr Puls gegen seinen Mund schlug, an seinen Lippen raste, wie auch ihr Herzschlag im Gleichklang mit seinem raste, was ihre Hände an seiner Brust ihr verrieten. 

„Bitte“, flüsterte sie, nicht ganz sicher, was sie brauchte. Sie rollte mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Stuhls, als sie versuchte, es herauszufinden, und ihre Hüften nach vorne schob. Ihr war überall heiß und feucht, angespannt und prickelnd, und sie wollte seine Hände und seinen Mund an Stellen spüren, wo sie nichts zu suchen hatten.

Auf einmal wurde er ganz still und löste sich von ihr. Bevor sie noch vor Überraschung – oder Enttäuschung – aufkeuchen konnte, hatte er ihr schon die Hand über den Mund gelegt. Seine Brust hob und senkte sich rasch, während er den Kopf anhob, lauschte und schnupperte.

„Gebeine Satans“, murmelte er und sprang vom Stuhl weg, sein kleines Stolpern nicht zu hören. Er packte und zog sie hoch zu sich, seine Hand immer noch auf ihrem Mund, seine Augen versenkten sich jetzt brennend in ihre. „Seien Sie jetzt ganz leise. Sagen Sie kein Wort. Widersprechen Sie mir nicht“, zischte er ihr zu.

Maia schaffte es, kurz zustimmend zu nicken, ihr Kopf immer noch etwas benebelt von dem abrupten Übergang von erotischem Überfall zu dieser furchteinflößenden Heftigkeit.

Und dann hörte auch sie: Stimmen. Geräusche von Leuten unten im Haus. 

Corvindale stieß kaum hörbar einen ziemlich üblen Fluch aus, während er sich im Zimmer umsah. Die Rubine waren auf den Boden gefallen, als sie den Tisch umgeworfen hatte, und dadurch waren seine Bewegungen immer noch langsam, schleppend. Es lag wahrscheinlich einzig und allein an der Nähe der Steine, dass sie sich aus seinen Händen befreien konnte, aber als sie dann frei war, rannte sie auf den Haufen aus blutroten Steinen und glitzerndem Gold zu. 

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder ein Wort an ihn zu richten, nahm sie alles in beide Hände und rannte zum Fenster und warf dann mehrere Tausend Pfund an Schmuck in die Dunkelheit hinaus. Als sie sich umdrehte, sah sie die Zustimmung noch über sein Gesicht huschen, bevor er kurz zur Tür gestikulierte.

Aber Maia wusste, dass genau vor der Tür noch weitere Edelsteine lagen, ein größerer Haufen, und sollte er sich noch in der Nähe davon befinden, wenn sie mit den Personen zusammentrafen, die gerade das Haus unten betreten hatten, würden sie beide ernsthaft in Schwierigkeiten stecken.

„Bleiben Sie hier“, zischte sie ihm jetzt zu, wie er ihr zuvor. „Widersprechen Sie mir nicht. Sagen Sie kein Wort. Vertrauen Sie mir.“ Trotz ihrer wackligen Knie schaffte sie es, noch vor ihm zur Tür zu gelangen und witschte durch diese hinaus, bevor er sie zu greifen bekam. 

In dem dunklen Korridor hörte sie die Stimmen unten und erkannte die von Mrs. Throckmullins wieder, sowie zwei männliche Stimmen. Wie Maia hörte, liefen sie gerade durch ein verlassenes Haus, und man konnte sicherlich davon ausgehen, dass sie bald hochkommen würden, um nach ihren Gefangenen zu sehen. 

Die Rubine, die sie vorher weggeworfen hatte, lagen immer noch auf einem Haufen dort, und Maia sammelte sie auf, lief zurück zu dem Zimmer, und sah, dass Corvindale die Verfolgung nach ihr aufgenommen hatte, mit wütendem Gesicht. So viel dazu, dass er auf sie hörte. 

Sie zögerte und machte dann auf dem Absatz kehrt, um mit leisen Schritten über den Flur zu dem Zimmer zu laufen, in dem man sie gefangen gehalten hatte, die Rubine baumelten ihr von den Händen. Sie brachte es nicht über sich, auch diese hier zum Fenster hinauszuwerfen, aber wenigstens konnte sie den Schmuck weit weg vom Earl verstecken. 

Bis sie ein Versteck ganz hinten in einer Schublade gefunden hatte, weit weg von der Tür, nachdem sie sich in dem schummrigen Licht schon die Zehen angestoßen hatte, waren die Stimmen schon lauter geworden. Corvindale stand groß und finster, schweigend aber offensichtlich rasend vor Zorn, in der weit aufgerissenen Tür. Aber Maia beachtete das nicht, sondern rannte zu ihm. „Wir müssen hier raus“, gestikulierte sie stumm mit den Lippen und zeigte auf die Kommode, in der sie die Juwelen versteckt hatte. 

Als sie den Flur betraten, erschienen auch schon die ersten Köpfe im Halbdunkel auf der Treppe. Corvindale schob sie hinter sich und manövrierte sie grob in ein anderes Zimmer als das, in dem er gefangen gehalten worden war. Aber zu dem Zeitpunkt war auch schon Mrs. Throckmullins auf der Treppe in Erscheinung getreten, die gleich wütend zu keifen anfing.

In diesem neuen Zimmer packte Corvindale Maia und schob sich zwischen sie und die Angreifer. Dann griff er sich einen Stuhl. Der Stuhl zerbarst, gerade als die Tür aufgestoßen wurde, und im Türrahmen Mrs. Throckmullins mit rot glühenden Augen und sehr langen Reißzähnen erschien. 

Oh. Maia dachte sich da, sie hätte es sich wahrlich schon früher denken können, dass die Frau eine Vampirin war, aber dann wiederum: da hatte sie auch wahrlich andere Sorgen gehabt. Aber sie vergaß das alles, als sie sah, wie Corvindale jetzt mit einem abgebrochenen Stuhlbein ihren Entführern entgegen trat. 

„Schon zurück, Lerina?“, sagte Corvindale. Seine Stimme war beherrscht und kühl, aber Maia, die von ihm an seinem Rücken festgehalten wurde, merkte, wie angespannt seine Muskeln tatsächlich waren.

Der kaputte Stuhl zu ihren Füßen erinnerte sie an den Pflock, den sie hatte fallen lassen, als sie Corvindale fand, zusammen mit dem Schürhaken, der ihr jetzt natürlich herzlich wenig nützen würde. Sie brauchte eine eigene Waffe, aber war geistesgegenwärtig genug, nicht davonzulaufen und den Mann vor ihr damit abzulenken. 

Mrs. Throckmullins – oder Lerina, denn die beiden schienen sich zu kennen – war sprachlos vor Wut. Aber Maia sah, dass sie mehrere Rubinringe trug und dass noch ein paar der Rubinhaarnadeln blutrot in ihren dunklen Haaren funkelten. Sie fühlte das leichte Muskelflimmern in Corvindales Rücken, als die Rubine zu wirken begannen. Und sie war sich nicht sicher, wie weit das Trinken von ihr ihn jetzt wiederhergestellt hatte. 

Und dann tauchte hinter Lerina eine weitere Gestalt mit rot glühenden Augen und Reißzähnen auf und schob sich an ihr vorbei ins Zimmer. 

„Ich glaube nicht, dass ich mich jetzt schon von dir lossagen kann, Dimitri, Liebling“, sagte Lerina. „Insbesondere, weil du mich deiner Begleitung noch gar nicht richtig vorgestellt hast.“

Der Ton in ihrer Stimme und die Art, wie sich ihre Augen an Corvindale festsaugten, eine Mischung aus Hitze und Wut, verrieten Maia alles, über die Beziehung zwischen den beiden. Und wer für die Bisswunden an Schultern und Armen des Earl verantwortlich war. 

Mit einem wachsamen Auge auf die beiden an der Tür, löste Maia sich vorsichtig von Corvindale, trotz seiner blind ins Leere greifenden Hände, die sie an Ort und Stelle zu halten suchten. Sie drückte weiterhin mit einer Hand gegen seinen Rücken, damit er wüsste, wo sie war, und indem sie ihn als Sichtschutz benutzte, konnte sie sich unbemerkt auf den Boden knien.

„Ich dachte, ihr beide wärt euch schon begegnet“, sprach er zu Lerina. 

Als Maia ein Stück Holz zu packen bekam, drängte sich der zweite Vampir weiter ins Zimmer hinein und begann, sich an der Wand voranzubewegen. Corvindale erstarrte und stellte sich so auf, dass er sowohl Lerina als auch den Mann im Blickfeld behielt, die gerade auseinanderdrifteten. Maia richtete sich wieder auf, und seine Hand umfasste sie augenblicklich wieder, um sie hinter sich festzuhalten, wobei er sie kurz wütend drückte, womit er deutlich sagen wollte, bewegen Sie sich nicht.

Als sie ein Geräusch hinter ihnen hörte, wirbelte Maia herum und erblickte einen dritten Vampir, der gerade durch das Fenster hereinkletterte. 

In seinen Händen hielt er eine glitzernde, rote Halskette. 

Maia spürte, wie Corvindale unwillkürlich erschauerte, und sie dachte bei sich, wenn es je eine Gelegenheit gegeben hatte, um undamenhaft zu fluchen, wäre es wohl jetzt. 

Statt dies zu tun, dachte sie dann doch lieber fieberhaft nach, wie man hier umsichtig und klug vorgehen sollte. Der Earl hielt sie offensichtlich nicht für fähig, sich selber etwas auszudenken, aber sie hatte sich nicht ihrer Fesseln entledigt und ihn gerettet, weil sie schwachköpfig war. 

Jeder weitere Gedanke wurde von Lerina jäh unterbrochen, die einen wütenden Laut von sich gegeben hatte, der fast ein Schrei war. Sie starrte Maia an, und ihre Augen wurden zu bösen Schlitzen. 

„Sie“, fauchte sie, und zuerst dachte Maia, Lerina hätte sie aus irgendwelchen Gründen jetzt erst gesehen oder erkannt. Aber das war abwegig – natürlich hatte die Vampirin sie sofort erkannt – und Maia verwarf den Gedanken wieder, als Lerina nun wieder zu Dimitri sprach, mit einer Stimme die zugleich höhnisch und glücklich klang. „Ich sehe, dass du dir die Zeit gut vertrieben hast, Dimitri.“

Ihre Augen wandten sich nun wieder Maia zu, und darin lag das pure Böse. Schon sie auf sich ruhen zu haben, machte, dass Maias Blut ihr schneller durch die Adern schoss, und ihre Bisswunden begannen, wie zur Antwort zu pochen, es war wie dem Gesang der Sirenen zu lauschen. Maia packte den hölzernen Stab fester, um ihn zwischen den Falten ihres Kleids verborgen zu halten, und versuchte, dieses Böse aus ihrem Kopf zu verjagen, als sie begriff, dass die Vampirin dabei war, ihren Bann über sie zu werfen. Und wenn das Flimmern in ihren Augen ein erstes Anzeichen dafür war, so hatte sie gerade Erfolg damit. 

Als hätte er das gerade auch bemerkt, machte Corvindale auf einmal eine abrupte Bewegung und schob sich zwischen sie und Lerina und unterbrach den Bann so. Maia drückte ihn dankbar und begriff, dass sie den Blickkontakt mit den Drakule besser meiden sollte. Zumindest bei denen, die ihr übel wollten. 

Der dritte Vampir mit den Rubinen war vom Fenster her nun weiter ins Zimmer gekommen, während der zweite sich langsam weiter von Lerina entfernte. Es war klar, dass Lerina beabsichtigte, ihren Gegner abzulenken, während sie ihren Angriff vorbereiteten. Die drei Vampire hatten Maia und Corvindale in der Mitte des Zimmers jetzt von allen Seiten umzingelt. 

Während der Earl weiterhin unablässig die drei Vampire abwechselnd beobachtete, spürte Maia, wie er versuchte, sie rückwärts zu drängen so dass sie zumindest mit dem Rücken gegen eine Wand zu stehen kämen. Er machte kein Hehl daraus, dass er einen Pflock hatte, und obwohl sich Rubine im Zimmer befanden, schienen ihm seine Muskeln zu gehorchen, und sein Atem klang auch recht regelmäßig. 

„Du hast mir keine Wahl gelassen, Lerina“, erwiderte er kühl.

„Was meinst du nur damit?“, fragte sie, aber ihre Hände zitterten und straften ihre Worte Lügen. „Sofern ich mich hier nicht irre, war ich die letzte Sterbliche, bei der du dich zum letzten Mal herabgelassen hast, von einem Sterblichen zu trinken. Es hat mich wirklich der Gedanke geplagt, ich hätte dir für über ein Jahrhundert den Geschmack an derlei verdorben. Liebling.“

Corvindale schnaubte angewidert. „Dein Wort in wessen Ohr auch immer. Aber, ich gebe zu, mir ist in hundert Jahren niemand wie du untergekommen.“

Der Frau schien der ätzende Sarkasmus in seinen Worten nicht aufzufallen, oder vielleicht war sie bereits daran gewöhnt. „Wir könnten doch teilen, Dimitri, und dann müssten wir jetzt diesen Schlamassel nicht mit Blut ausbaden. Sie sieht eigentlich recht bezaubernd aus. Sie blond und ich dunkelhaarig ... wäre das nicht hübsch anzuschauen? Zusammen? Wir müssen sie auch nicht an Cezar weitergeben. Ich werde ihm einfach erzählen ... sie hat es nicht überlebt, und er wird andere Mittel und Wege finden, es Chas Woodmore heimzuzahlen.“ Lerina lächelte und schaute hinüber zu dem Vampir mit der Halskette. Er war noch weiter vom Fenster entfernt. 

„Was schlägst du vor?“, antwortete Corvindale, der Arm, in dem er den Pflock hielt, entspannte sich. Er klang fast einladend. 

Plötzlich hob der Vampir, der am Fenster gewesen war, den Arm und warf die Halskette in Richtung von Lerina. Corvindale reagierte sofort, er keuchte vor Anstrengung, als er gegen den Schmerz ankämpfte, der ihn dabei überfiel, aber er hob seinen Pflock, um die Juwelen mitten in der Luft aufzufangen. Sie verfingen sich an der Holzspitze, und mit einer raschen Bewegung warf er sie zu Boden.

Maia zögerte nicht. Sie ließ sich zu Boden fallen und griff sich die Kette, bei der raschen Bewegung kämpfte sie kurz um ihr Gleichgewicht. Aber es war besser, dass sie die Juwelen hatte, als ihre Gegner. Aber dann – bevor auch nur einer von den anderen etwas tun konnte – rannte sie die paar Schritte zum Fenster und warf die Halskette durch die Öffnung hinaus. 

Der Vampir neben ihr setzte zum Sprung an, verfehlte die Kette aber, und im Mondlicht verschwanden die glitzernden, tödlichen Juwelen nach draußen.

Von Lerina kam ein unterdrückter Schrei der Wut, genau in dem Moment, als der gleiche Vampir dann auf Maia zusprang. Ihren Pflock hielt sie noch fest gepackt, als sie versuchte zur Seite zur wirbeln, aber er war blitzschnell und packte sie am Arm. Er zerrte mit solcher Wucht an ihr, dass sie durch die Luft flog und gegen ihn rammte. 

Sie versuchte noch, mit dem Pflock zuzustoßen, wie Iliana es ihr beigebracht hatte, aber vergeblich. Der Vampir war zu stark für sie, und sie traf ihn nicht an der richtigen Stelle.

Er lachte und verlagerte sein Gewicht, drehte sie mit groben Händen vor sich herum und packte ein Handvoll ihrer Haare, riss sie zurück und legte ihren Hals frei. Er sprach jetzt zum ersten Mal. „Sagtest du nicht gerade etwas von teilen, Herrin?“

Maia schluckte und riskierte einen Blick zu Corvindale, erwartete in seinen Augen jetzt einen Anflug von Furcht zu sehen – oder zumindest Wut. Aber er schaute sie nicht einmal an. Er beobachtete Lerina, deren Augen jetzt restlos Rot geworden waren, und die jetzt wieder ihre Zähne zeigte. 

„Ein schöner Gedanke“, sagte Lerina.

Maia hämmerte das Herz, und sie konnte ihren Pflock nicht im richtigen Winkel positionieren, weil der Vampir sie fest umklammert hielt. Dann geschah alles auf einmal. Aber gleichzeitig schien die Welt langsamer zu drehen, wie unter Wasser, und die Ereignisse spielten sich langsam ab – wie schweres Tuch sich behäbig von einer Rolle beim Schneider wickelt. 

Als Corvindale sich umdrehte, machte er eine rasche Bewegung. Etwas flog blitzschnell durch die Luft und mitten in die Brust von Maias Geiselnehmer. Ein Pflock. Der Vampir schrie auf und ließ sie los, fiel zu Boden, aber da stand Corvindale schon neben ihr, und packte Maia fest an der Taille. Die Luft wurde ihr abgeschnürt, und bevor sie wieder Luft holen konnte, war er zum Fenster gesprungen. Er packte den Fenstersims mit der freien Hand und schwang sie beide durch die Öffnung. 

Sie hörte jemanden schreien, als sie hinausflogen, im freien Fall, in die Nacht, nichts als Luft um sie herum.