ELF
~ In welchem unser Held sich schwierigen Fragen stellen muss ~
Zwei Wochen später starrte Dimitri die Tür seines Arbeitszimmers an, er fühlte sich durch und durch schal und bitter. Er ballte die Hände zu zwei Fäusten, die er in die Schreibtischplatte schlug – entweder das, oder er musste sie durch eine Wand hauen. Oder das Fenster.
Oder etwas ähnlich Schmerzhaftes.
Unmöglich.
Unmöglich!
Voss war gerade aus dem Zimmer spaziert und würde sogleich Blackmont Hall verlassen. Dort hinaus in den strahlenden Sonnenschein, ohne jeglichen Schutz.
Es war unmöglich.
Voss hatte den Pakt mit Luzifer aufgekündigt.
Voss.
Der selbstsüchtigsten, eigennützigsten, intrigantesten Person, die Dimitri abgesehen von Cezar je untergekommen war, war es irgendwie gelungen, sich von dem Pakt mit dem Teufel loszusagen. Ein Mann, der ein Leben der Ausschweifungen und Sinnesfreuden ohne die Spur von Gewissensbissen gelebt hatte, ohne einen einzigen Gedanken an jemand anderen zu verschwenden – und das auch schon, bevor er Drakule wurde.
Wohingegen Dimitri immer noch das Luziferzeichen trug. Und es brannte und wand sich und schnitt ihm täglich ins Fleisch, während er sich alles versagte, sich den Studien widmete und der Erkenntnis ... und nichts.
Nichts.
Wutentbrannt betrachtete er die Bücherstapel, die Rollen an vergilbten Manuskripten und zusammengefalteten Papieren. Seine Notizen. Seine Hoffnung.
Von irgendwo aus einem der Zimmer des Hauses drang weibliches Gekreische an sein Ohr. Gekicher und ein leises Kreischen. Er wusste, worum es da ging, und das Geräusch erzürnte ihn noch mehr. Wütend griff er nach seinem dicksten Mantel, verließ raschen Schritts sein Arbeitszimmer und rief nach seiner Kutsche und dem Kutscher.
Zur Hölle mit dem Sonnenschein, er musste ihnen entkommen.
Angelica war vor zwei Wochen wohlbehalten zurückgekehrt. Voss hatte sie genau nach Plan aus Moldavis Krallen befreit. Aber Chas weigerte sich, einen so teuflischen Vampir wie Voss – ganz besonders einer mit einem solchen sexuellen Appetit – in die Nähe seiner Schwester zu lassen, und hatte die beiden in Paris abgefangen und Angelica nach London zurückgebracht, wo die Hochzeitsvorbereitungen für ihre ältere Schwester schon munter im Gange waren.
Und jetzt, nach seiner Unterredung mit Voss, wusste Dimitri, dass er noch einmal so viel Aufregung über sich ergehen lassen musste, denn Voss hatte seine Absichten hinsichtlich Angelicas klar geäußert. Und da er nun nicht mehr an Luzifer gekettet war, gab es keinen Grund, warum Chas ihre Vermählung noch verbieten könnte. Der Viscount war vermögend und Spross einer alten aristokratischen Familie. Und er war ein Sterblicher.
Voss hatte doch tatsächlich sein Hemd vor Dimitris Augen in dessen Arbeitszimmer abgelegt, um ihm zu zeigen, dass das Luziferzeichen an seiner Schulter spurlos verschwunden war.
Als er ihn gefragt hatte, wie er das fertiggebracht hatte, wie er sich des Teufelsmals entledigt hatte, antwortete Voss lediglich, er habe sich geändert.
Geändert.
Rasch kletterte Dimitri in die Kutsche und achtete nicht sonderlich darauf, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, trotz des Mantels, den er bei sich trug. Ein plötzliches Brennen huschte ihm über das Gesicht und über eine unbehandschuhte Hand und das Handgelenk, und der Schmerz war ihm eine willkommene Abwechslung.
Das kleine Geschäft für antiquarische Bücher schien noch unauffälliger als sonst, dort, wo der riesige Alkoven, der Lennings Gerberei als Eingang diente, sich vorschob, und hinter dem die kleine Tür im Halbschatten regelrecht verschwand.
Einmal drinnen angelangt blieb Dimitri stehen und wartete darauf, dass die altvertraute Gelassenheit wieder zu ihm zurückkehren möge. Als er den Geruch alter Bücher und abgegriffenen Leders tief eingeatmet hatte, trat er in die Schatten zwischen den langen Buchregalreihen und wartete.
Es verstrich nicht viel Zeit, bis Wayren erschein. Diesmal hielt sie kein Buch in Händen, obwohl sie ihre Brillengläser trug.
„Dimitri von Corvindale, ich habe fast mit deiner Rückkehr gerechnet.“ Sie schaute ihn direkt an, und urplötzlich fragte er sich, welcher Irrsinn ihn hierher geführt hatte. Sie wusste von nichts, was ihm helfen könnte.
Für einen Moment war er sprachlos, und Zorn und Verwirrung zerfraßen ihm fast die Eingeweide.
Wayren reckte den Kopf zur Seite, in etwa wie ein neugieriger Spatz, und beobachtete ihn. „Ich habe etwas erworben, was du vielleicht interessant finden wirst, und ich habe es für dich aufbewahrt.“ Sie ging zu einem der Buchregale neben ihr und zog dort zielsicher ein gebundenes Büchlein zwischen zwei wesentlich dickeren Bänden hervor und reichte es ihm.
Dimitri nahm das schmale Büchlein entgegen, das nicht dicker als hundert Seiten sein konnte, und machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Widerwillen zu verbergen. „La Belle et la Bête? Was ist das – ein Märchen?“
Sie lächelte nachsichtig. „In der Tat. Gabrielle-Suzanne de Villeneuve erzählt recht kurzweilige Geschichten.“
Er runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, wie ein Märchen mir in irgendeiner Weise dienlich sein kann.“
„Und doch befasst du dich mit der Faustlegende?“, wand sie taktvoll ein. „Du musst gewisse Züge von dir selbst in der Figur von Dr. Faustus wiedererkennen. Vielleicht wirst du in der Geschichte über die Schöne und das Biest von Madame de Villeneuve einige andere Bezüge herstellen können.“
Dimitri nahm das Heftchen und steckte es in die Innentasche seines Mantels, er wollte die Frau schließlich nicht kränken. „Nun gut. Setz es dann auf meine Rechnung, was auch immer es kosten mag.“
Hinter ihren Brillengläsern beobachtete sie ihn weiterhin nachdenklich. „Kann ich noch irgendwie anders zu Diensten sein?“
Geduldig wartete sie.
„Es gibt einen Weg“, sagte er schließlich, und ein Unterton von Verzweiflung kroch in seine Stimme hinein, „den Pakt aufzulösen.“
Warum nur erzählte er das dieser unscheinbaren, ruhigen Frau? Dachte er, dass sie etwas für ihn tun könne? Glaubte er wirklich, sie sei im Besitz von einem Schriftstück, das ihm kurz und bündig alles darlegen würde; das sie ihm bei all seinen vorherigen Besuchen vorenthalten hatte?
„Du musst selber einen Weg finden, Dimitri“, sagte sie – wie ein Echo auf seine unausgesprochene Frage. „Genau wie Voss es getan hat.“
In seiner Niedergeschlagenheit registrierte er noch, dass es ihn nicht überraschte, wie sie bereits von Voss wusste und was diesem widerfahren war. Deswegen hatte es ihn hierher gezogen. Tief in ihm, hatte etwas ihm geflüstert, diese recht ungewöhnliche Bibliothekarin aufzusuchen.
„Ich begreife nicht, wie es ihm gelungen ist“, fuhr er mit belegter Stimme fort. „Weder ist er fromm, noch hat er sich je irgendein Vergnügen versagt. Wie konnte...“
„Wie konnte es ihm gelingen, wo du so viel Zeit deines Lebens damit verbracht hast, dir alles zu versagen, bei dem verzweifelten Versuch, eben dies zu erreichen?“
„Ja“, brach es zornig aus ihm heraus. Aber seine Stimme brachte das Gebälk nicht zum zittern. Es legte sich nur dort ab, ein schmerzliches Eingeständnis, das nicht einmal den Staub dort aufwirbelte. „Ich tue immer das Richtige. Das habe ich immer getan.“ Er dachte zurück an all die Jahre der Studien, der puritanischen Strenge, dass er seine Ehre gewahrt hatte, trotz aller Schwierigkeiten, als Königstreue in der Ära von Cromwell zur Zielscheibe des Hasses wurden. Daran, wie er in ein brennendes Haus gestürzt war, um dem Mann das Leben zu retten.
Zorn erfasste ihn. Das habe ich getan. Vielleicht jetzt nicht mehr mit solchem Eifer, aber damals tat ich es. Vorher.
„Aber das ist der Grund, warum er dich auserwählt hat, Dimitri. Begreifst du das denn nicht? Einen solchen Mann auf seine Seite gebracht zu haben – ein Mann, der alles in Schwarz und Weiß sieht, der im Licht und im rechten Tun gelebt hat – war einer der größten Triumphe für Satan. Es ist wesentlich leichter, jemanden zu verführen, der bereits in den Grauzonen lebt. Jemanden wie zum Beispiel Voss. Wie Giordan. Aber du ... du warst anders. Du hast versucht, im Licht zu leben.“
„Und das einzige Mal, wo mir jemand etwas bedeutete...“, die Stimme versagte ihm hier, denn er konnte den beunruhigenden Gedanken kaum in Worte fassen. Meg.
„Jawohl. Das einzige Mal, als du dich jemand anderem geöffnet hast, geliebt hast, als du verzweifelt warst, da hat er genau diese Kraft der Liebe gegen dich gewandt. Du warst verwundbar, und auf diese Weise, hat er dich für sich gewinnen können.“ Sie nickte jetzt und ihre Augen waren zu heiteren blauen Seen mit kleinen Nebeleinsprengseln geworden. „Er hat deine verwundbare Stelle gefunden. Das ist seine Vorgehensweise.“
„Ich habe es akzeptiert. Und er hat mich in alle Ewigkeit gebrandmarkt“, sagte Dimitri bitter. So unendlich bitter. Er zwickte sich jetzt an der Nasenwurzel, dort genau zwischen den Augenhöhlen, so fest er nur konnte. Er wollte, dass alles verschwand.
Wayren nickte weiterhin. „Und genau deswegen, wird er nur schwer von dir ablassen.“
„Aber es ist möglich?“ Zum allerersten Mal meinte er, einen kleinen Hoffnungsschimmer sehen zu können.
„Alles ist möglich. Alles. Aber es geht nicht ohne schwere Prüfungen und Mühsal. Auch du musst dich ändern.“
Dimitri schaute sie an, der angestaute Ärger köchelte in ihm. „Mich ändern? Ich begreife nicht, was du meinst. Wie soll ich mich ändern? Ich gebe den Bedürftigen. Ich nehme nichts, ich trinke nicht. Ich habe Mirabella zu mir genommen, als sie niemanden hatte. Ich habe–“
„Gewiss. All das hast du getan ... Aber hast du irgendetwas von dir selbst hingegeben, Dimitri? Fürsorge, Zuneigung oder Liebe? Jemals? Oder war deine Großzügigkeit nicht doch nur von einer materiellen Art? Die Art, die wir nach dem Tode im Diesseits zurücklassen?“
Schreckliche Furcht packte ihn. „Ich kann nicht.“ Aus seinem Innersten entrang sich ein Stöhnen. „Ich kann nicht.“
Wayren betrachtete ihn lange, sehr lange, und in ihren Augen lag Traurigkeit. „Dann bist du immer noch nicht bereit, Dimitri.“
~*~
Was konnte man da nur tun?
“Bitte drehen Sie sich einmal um, Miss”
Gehorsam drehte Maia sich um und fühlte wie der Rock an ihr zog, als die Gehilfin der Näherin ihn dort erneut in Falten legte und mit ein paar Nadeln feststeckte. Hinter ihr kümmerte sich eine weitere Assistentin um ihr Mieder, gerade steckte sie vorsichtig eine weitere Nadel in den Saum hinten an ihrem Rücken.
Was tat man, wenn die Küsse vom eigenen Verlobten ihren Reiz verloren hatten?
Wenn man lieber einen Spreißel entfernen würde, als seine Lippen zu spüren?
Maia öffnete die Augen und sah im Spiegel das Bild einer wunderschönen Braut. Goldkupfernes Haar leuchtete im Licht, das durch ein Fenster fiel, und der gleiche Lichtstrahl wanderte abwärts über das Blassrosa ihres Gewands. Darüber spannte sich eine Lage feinster Spitze in einem kühlen Gelb, was dem Kleid einen irisierenden perlmuttartigen Schimmer verlieh.
„Sie sehen ganz zauberhaft aus, Miss. Er wird die Augen nicht von Ihnen lassen können“, sagte die Näherin. Zufriedenheit lag in ihrer Stimme, und sie trat an Maia heran, um den kleinen Bausch am Ärmel links zurechtzuzupfen. Er war aus gerafften Stücken von blassrosa, hellgelber und blauer Seide gefertigt, die zu einem losen Zopf geflochten dann noch durch Füllmaterial ihre Form erhielten.
Maia betrachtete sich von oben bis unten. Sie sah in der Tat wunderschön aus – das meiste davon machte das Kleid, gestand sie sich ein. Obwohl das Oberteil tief ausgeschnitten war, mit einem neuartigen Dekolleté mit dem schönen Namen Herzausschnitt, konnte man den kleinen Kratzer oben an ihrem Busen nicht mehr sehen. Er war bereits vor Wochen verheilt.
Seit Angelica Cezar Moldavi entkommen und aus Paris zurückgekommen war, waren sowohl Chas als auch Corvindale sich einig, dass die Bedrohung durch Moldavi nicht mehr so groß war. Der Schurke wusste nun um den weitreichenden Schutz, mit dem der Earl über die Woodmore Schwestern wachte, und in Anbetracht des jüngsten Fehlschlags, Chas mit dem Druckmittel Angelica zum Einlenken zu bringen, hielt man es für unwahrscheinlich, dass Moldavi in der nächsten Zeit einen weiteren Anschlag verüben würde.
Daher hatte der Earl seine strikten Auflagen für die Schwestern etwas gelockert, obwohl Chas Maia versichert hatte, dass sie weiterhin beschützt wurden, auch wenn es ihnen nicht auffiel. Maia waren natürlich die zusätzlichen Lakaien aufgefallen, die ihre Kutsche stets begleiteten, und die ungewöhnlich hohe Anzahl von Schatten, die Tag und Nacht auf der Straße herumlungerten. Sie nahm an, dass die Mehrzahl von ihnen, mit den Worten von Corvindale, „gute Vampire“ waren, da er sie offensichtlich angeheuert hatte.
In der Zwischenzeit – und zur großen Enttäuschung und Sorge von Maia – war Chas kurz nach Angelicas Rückkehr wieder verschwunden und hinterließ sie abermals in der Obhut Corvindales.
Aber ... seit sie an jenem Morgen nach dem Zwischenfall in der Kutsche aus Corvindales Arbeitszimmer geflohen war, und ihr seine höhnischen Worte – Sie waren niemals unter meinem Bann – noch in den Ohren hallten, seither hatte sie nicht mehr als einen flatternden Mantel von ihm zu Gesicht bekommen. Es lag nun über einen Monat zurück, und es war ihnen gelungen, sich aus dem Weg zu gehen.
Oder zumindest war sie ihm aus dem Weg gegangen. Ob er das Gleiche tat, da war Maia sich nicht sicher. Und seit Angelica fast ohne einen Kratzer zurückgekehrt war und ihre Absicht kundgetan hatte, sie werde Dewhurst heiraten, hatte man Corvindale gar nicht mehr gesehen.
Sie hatte das tiefe Grollen seiner Stimme gehört und auch die geschlossene Tür seines Arbeitszimmers bemerkt. Und glücklicherweise hatte es für sie keinen Anlass mehr gegeben, den Earl zu stören.
Aber Alexander war oft auf Blackmont Hall gewesen.
Und stets schien er einen Spaziergang im Garten machen und dort in der schattigen Pergola verweilen zu wollen.
Aber ihn zu küssen, war für sie mittlerweile in etwa so aufregend, wie ihre eigene Hand zu küssen. Maia wusste das – denn sie hatte es ausprobiert.
Und was einmal eine prickelnde Vorfreude auf seine Ankunft gewesen war, hatte sich nunmehr in einen bleischweren Klumpen in ihrem Magen gewandelt.
Sie liebte ihn nicht.
Man heiratet nicht aus Liebe. Man heiratet wegen Geld oder Ansehen oder Macht. Oder auch in eine gute Familie hinein, solange es sich um eine vorteilhafte und gute Verbindung handelt.
Wie oft hatte sie Angelica diese Lektion eingebleut, als die sich für eine kurze Zeit eingebildet hatte, in den äußerst unpassenden Mr. Ferring-Dulles verliebt zu sein. Liebe bleibt da ganz außen vor. Vielleicht ergibt sie sich später, wenn man gut zu seinem Gatten passt. Oder, wenn man sehr viel Glück hat, gibt es sie schon von Anfang an zwischen den Eheleuten.
Aber man erwartet nicht oder sucht gar die Liebe in einer Ehe.
Maia hatte die Lektion gelernt, denn es hatte eine Zeit gegeben, da sie gedacht hatte, Mr. Virgil zu lieben. Sie hatte gedacht, sie wollten in jener Nacht gemeinsam durchbrennen, als sie sich Männerkleider anzogen und sich aus dem Haus schlich.
Aber stattdessen hatte sich die Nacht als Alptraum entpuppt, dessen Einzelheiten sie schon längst vergessen hatte. Oder irgendwie verdrängt hatte. Sie zitterte jetzt, als ein Erinnerungsfetzen wieder in ihr auftauchte. Corvindale. In der Kutsche. Sie in ihren Hosen, mit dem Haar unter einer Schiebermütze.
Warum konnte sie sich nicht erinnern?
Sie seufzte. Nein, Liebe konnte definitiv und sollte auch keine Rolle bei der Wahl eines Gatten spielen.
Und aus diesem Grunde würde Maia Alexander Bradington heiraten. In drei Tagen. In dem ganz bezaubernden Kleid, das sie gerade am Leib trug.
~*~
Dimitri blickte auf die Nachricht, froh über die Ablenkung,
Das Haus war randvoll mit Geschäftigkeit und Tätigkeiten aller Art. Miss Woodmore sollte in drei Tagen mit Bradington den Bund der Ehe eingehen, und aus einem ihm unerklärlichen Grunde schien heute jeder, der irgendetwas mit der Hochzeit zu tun hatte, hier in Blackmont Hall, in seinem Haus zu sein. Gleich würden die Wände noch platzen, weil es so voll war.
Angelica Woodmores Hochzeitspläne gingen auch voran, wenn man von der Anzahl der Termine mit Blumenhändlern und Näherinnen und anderer Dinge ausging. Ganz zu schweigen von den Stoffproben, den Notizzetteln und Zeichnungen, die gestern den gesamten Salon bedeckt hatten. Konnten die vermaledeiten Weibsbilder nicht warten, bis ihr Bruder wieder da war und sich um all das kümmern konnte?
Das konnte natürlich Wochen dauern. Oder Monate. Oder noch länger. Er wusste, dass Woodmore nach einem Weg suchte, Cezar Moldavi zu töten, denn solange er lebte, würde Narcise niemals sicher sein können. Aber seine lange Abwesenheit machte die Dinge für Dimitri schier unerträglich. Und die Schwestern schienen felsenfest überzeugt, dass ihr Bruder zu ihren Vermählungen zurück sein würde, egal was er sonst so tun mochte.
Dimitri hatte seit Wochen keinen einzigen Tag gut geschlafen, also machte es wenig Sinn, es heute zu probieren. Vielleicht würde er einfach auf die Nachricht antworten.
Lord Corvindale, stand da, gerne würde ich Sie hiermit einladen, eine neue Sammlung von Arbeiten anzuschauen, die ich unlängst erstanden habe, und worin Sie vielleicht die von Ihnen gesuchten Antworten finden. Bitte geben Sie mir alsbald Bescheid, denn auch andere Kunden sind daran interessiert. G. Reginald.
Gellis Reginald war ein Antiquar, den Dimitri des öfteren beehrt hatte, obwohl das jetzt schon Monate zurücklag. Seither hatte er immer Wayrens Laden aufgesucht. Vielleicht hatte der Mann gehört, dass sein einflussreichster Kunde anderswo hinging und wollte ihn nun wieder zurücklocken, aber vielleicht hatte er auch tatsächlich etwas Interessantes.
Wie dem auch immer sei, es war eine willkommene Gelegenheit, das Haus zu verlassen.
Dimitri legte seine anderen Papiere beiseite – Verträge und Ausgabenlisten, Schreiben von der Bank und Rechnungen, die er kurz überflogen hatte, nur um sich nicht mehr das Nörgeln von Beckett anhören zu müssen, dem die Verwaltung seiner Geschäfte oblag. Er bestellte die Kutsche.
Der Tag war ein ganz gewöhnlicher, trüber Tag, grau und mit dicken Nebelschwaden überall. Nichtsdestotrotz nahm Dimitri seinen Mantel mit. Ein ungewohnt heftiger Anflug von Bitterkeit überkam ihn, als er sich den Mantel griff und rasch aus dem Haus schritt, das angefüllt war mit kleinen Verzückungsschreien und Gekicher.
Als sie vor Reginalds etwas schäbigem Schaufenster angekommen waren, stieg Dimitri aus der Kutsche und bat Tren, dort in der Schenke an der Ecke unten zu warten und ihn wieder abzuholen.
„Ich denke nicht, dass es lange dauern wird“, sagte er. „Höchstens zwei Stunden.“
„Miss Woodmore hat mich gebeten–“
Dimitri winkte ungeduldig mit der Hand und ging in den Laden hinein, wobei er die Tür hinter sich laut ins Schloss fallen ließ. Er war augenblicklich von Gerüchen nach Alter und Schimmel umgeben, sowie von Staub und selbst Mäusekot.
Er wollte rein gar nichts von Miss Woodmore hören. Wahrscheinlich hatte sie Mrs. Hunburgh gebeten, einen der Diener loszuschicken, ein Päckchen oder derlei für sie abzuholen, und man hatte Tren die Aufgabe übertragen. Sie würde bald aus seinem Haus und damit auch aus seinen Gedanken entschwunden sein.
Und, bitte Lieber Gott, auch aus seinen Träumen.
„Reginald“, rief er in seiner herrischen Stimme, als er den verwaisten Laden betrachtete. „Ich bin es, Corvindale.“
Verdammt noch mal. Warum war der Mann nicht hier, um ihn zu empfangen? Schließlich hatte er doch die Nachricht geschickt.
Dimitri verspürte kein Interesse, die alten Uhren und angenagten Bibeln und Poesiebändchen in Augenschein zu nehmen, welche der Ladenbesitzer als wertvolle antiquarische Schriften zu verkaufen suchte. Das war auch einer der Gründe gewesen, warum er hier nicht mehr Kunde war – seine Angebote waren fast wertlos, wenn man die Schriften und Worte der antiken Schreiber suchte, und in deren eigener Sprache. In der Übersetzung durch andere ging zu viel verloren, und so hatte Dimitri gelernt, alles selber zu übersetzen.
„Reginald!“, rief er nochmals, und seine Stimme brachte jetzt die Glaskästen zum Klirren. Er hielt die Nase hoch, roch und bemerkte, dass der schwache Geruch von Blut, der ihm bereits vorher aufgefallen war, viel zu stark war, um von einem Nasenbluten oder ähnlichen Lappalien zu stammen.
Schon war Dimitri hinter der Theke und stieß die altersschwache Tür zum hinteren Teil des Ladens auf. Als er durch die Tür hindurch trat, wurde der Geruch von Blut stärker und voller, und für einen kurzen Moment ließ ihn das zögern, als er versuchte zu bestimmen, woher der Geruch nun kam. Das Zimmer war unordentlich, was aber der Normalzustand sein konnte, oder aber der Schauplatz einer Auseinandersetzung. An der hinteren Wand führte eine Tür dort vermutlich in die kleine Gasse hinter dem Haus, und das eine Fenster war glücklicherweise so verschmutzt, dass die Kammer dämmrig im Halbschatten lag. Auf dem Boden war eine Lache getrockneten Blutes.
Als er sich umdrehte, stieg ihm ein weiterer Geruch in die Nase. Ein vertrauter Geruch, der ihn verwirrte und schockierte.
Und dann flog die hintere Tür auf und drei Gestalten sprangen ins Zimmer.
Dimitri reagierte automatisch, als sie ihn angriffen, er packte einen von ihnen am Arm und schleuderte ihn gegen die Wand und wandte sich sogleich den anderen beiden zu. Er duckte sich, und mühelos ließ er einen weiteren durch die Luft fliegen und wirbelte dann herum, um dem dritten seine Faust in die Magengrube zu rammen. Das schwache Glühen in ihren Augen verriet, dass sie Gemachte waren – und in seiner Einschätzung noch recht schwache dazu.
Er griff sich einen Holzschemel, brach eines der Beine zu einem spitzen Pflock ab, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Begleitet von diesem Geruch, dem vertrauten, und er konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, um sie durch die Vordertür des Ladens eintreten zu sehen.
Unmöglich. Sie war tot.
Etwas Rotes glitzerte an ihrer Hand, und Dimitri strauchelte, es wurde ihm eng um die Brust und alles wurde langsamer, er sah, dass sie von ihnen bedeckt war. Rubine. Sie baumelten an ihren Ohren und hingen ihr um den Hals, und dann noch zwei taubeneiergroße an ihren Fingern. Winzige davon funkelten ihr im Haar. So viele ... sein Körper schwankte, die Glieder schwer und unbeholfen.
Seine Angreifer standen wieder hinter ihm, schoben ihn vorwärts, als er versuchte, sich abzuwenden, schoben ihn auf sie zu, und gerade bevor etwas Schwarzes und Schweres sich ihm über Gesicht und Schultern legte, keuchte er noch, „Lerina, wie?“
Ihr Gelächter schallte ihm in den Ohren, und sein Bewusstsein flimmerte, als er um Atem rang. Er sah das rote Aufblitzen ihrer Augen und das Schimmern der langen Zähne. Schwäche machte seine Glieder taub, und das schwere Tuch um ihn wurde eng. Die Rubine kamen näher; er konnte sie durch den Stoff noch fühlen. Ketteten ihn fest, verbrannten ihn.
Und dann wurde alles schwarz.