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Dickköpfigkeit hatte auch ihre guten Seiten. Vor allem, wenn einem jeder Zentimeter des Körpers weh tat und es am vernünftigsten gewesen wäre, ohnmächtig zu werden. Aber Cindy weigerte sich, dem nachzugeben, genauso, wie sie ihren Mund nicht halten konnte — aus schierer, störrischer Willenskraft. Tropper brüllte sie an, doch das war nur ein einziges Gedröhne, weil in ihrem Kopf Glocken hallten. Endlich hörte er auf zu reden. Kurz darauf hörte das Geläute auf, und sie spürte ihren zerschlagenen Körper wieder. Ihr Darm krampfte sich zusammen und ihre Blase tropfte, aber sie riß sich zusammen. Laß sie nie sehen, daß du schwitzt!

Nachdem seine Wut verraucht war, blieb er still. Cindy schwieg, weil sie nicht reden konnte. Erstaunlicherweise konnte sie immer noch hören, und sogar gut. Sie kurvten nun schon seit Ewigkeiten über die Bergstraßen, und sie hörte Eulenschreie, Geflatter, Pfeifen und manchmal ein durchdringendes Heulen, bei dem ihr Schauder über den Rücken liefen. Dazu das Brummen des Motors als Hintergrundgeräusch. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, daß sie aufschreckte, als sie meinte, auch in der Ferne Motorengeräusch zu hören. Konnte es sein, daß hier oben noch ein Auto fuhr?

Die Phantasie ging mit ihr durch. Vielleicht war Hayley Marx ihr wieder gefolgt! Der Gedanke versetzte sie in Hochstimmung, obwohl die Vernunft sie warnte, sich allzu große Hoffnungen zu machen.

Was hätte sie nicht dafür gegeben, den Mustang wiederzusehen!

Vielleicht war es nur Einbildung, und sie verlor den Bezug zur Realität. Aber plötzlich wurde Tropper unruhig. Cindy erkannte es an der Lehne des Fahrersitzes, auf den sie die ganze Zeit starrte und der sich jetzt stärker bewegte.

Und dann wurde das Geräusch allmählich lauter.

»Scheiße!« knurrte Tropper.

Also harre er auch was gehört! Okay, dachte Cindy. Jemand war da draußen. Na und? Warum sollte sich Tropper Sorgen machen? Welche Gefahr drohte ihm von einem anderen Auto, und welche Hilfe konnte sie erwarten? Sie konnte nicht schreien, konnte sich nicht bewegen. Ein anderes Auto würde ihr nichts nützen. Der Gedanke war total deprimierend! Aber dann überlegte sie.

Daß Tropper »Scheiße« gesagt hatte, bedeutete, daß er beunruhigt war. Vielleicht hatte er etwas gesehen, was ihm nicht gefiel. Zum Beispiel einen weiteren ... Streifenwagen? Wieder flammte ihre Hoffnung auf.

Hatte sie Rina nicht um neun angerufen und gesagt, sie sei in etwa einer Stunde bei ihr? Und als Cindy nicht kam, hätte Rina da nicht was unternommen? Natürlich hatte sie das!

Rina blieb doch nicht untätig! Sie hatte Cindys Vater angerufen! Sie hatte die Polizei angerufen! Sie war vielleicht sogar mit dem eigenen Auto unterwegs und suchte nach ihr!

O Gott! Endlich hatte Cindy kapiert. Vielleicht suchte tatsächlich jemand nach ihr!

Durch die geschwollenen Lippen nuschelte sie: »Sir, können Sie mir sagen, wie spät es ist?«

»Halt die Klappe!« blaffte Tropper.

Leck mich doch! Sie würde es selbst rausfinden. Gegen halb zehn hatte sie die Panne auf dem Freeway gehabt. Dann war Tropper aufgetaucht, hatte ihr befohlen, in sein Auto zu steigen ... sie war über die Leitplanke gesprungen und weggerannt. Das hatte mindestens fünfzehn, zwanzig Minuten gedauert. Dann hatten sie miteinander gekämpft. Vielleicht weitere zwanzig Minuten.

Schließlich hatte er sie zu Boden geworfen, sie gefesselt und in sein Auto geschleppt. Noch mal eine halbe Stunde. Das hieß, Tropper wäre gegen elf, halb zwölf weitergefahren. Jetzt waren sie seit mindestens einer Stunde unterwegs, wenn nicht länger. Also mußte es vermutlich gegen ein Uhr sein.

Ja, Rina hätte inzwischen etwas unternommen. Und man suchte bestimmt nach ihr.

Aber wieso in dieser Gegend? Wenn man ihr Auto unten auf der gefunden hatte, warum suchten sie dann hier in den Bergen nach ihr?

Cindy dachte weiter nach, verband Gründe mit umständlicher Logik, um den Mut nicht zu verlieren. War nicht hier in der Nähe der Camry abgestürzt? War es nicht sinnvoll, das Gebiet noch mal abzusuchen?

Sie hoffte, daß es so war.

Sie betete darum!

Die Geräusche wurden deutlicher. Autos, und mehr als eins. Ein schiefes Lächeln breitete sich über Cindys Gesicht. Wie sie ihren Dad kannte, hatte er die Nationalgarde geschickt.

»Scheiße!« rief Tropper wieder. »Wir müssen uns beeilen.«

O Gott, dachte sie. Hoffentlich erschießt mich der Scheißkerl nicht auf der Stelle.

»Das ändert die Sache.« Tropper hielt inne. »Aber nicht allzusehr.«

Er bog mehrmals ab, und bald spürte Cindy, wie das Auto ruckelte und holperte. Er war in den Wald hineingefahren oder zumindest auf einen ungepflasterten Weg. »Warst du je zelten?« fragte Tropper.

Sie wußte, daß er auf eine Antwort wartete. Mühsam brachte sie hervor: »Ja.«

»Ich war oft zelten«, fuhr Tropper fort. »Als ich noch eine Familie hatte. Das war vor Crayton und seiner Schlampe von Frau und all diesen Idioten, die mit das Leben vermasselt haben.« Mehrere Sekunden verstrichen schweigend.

»Ja, ich war oft zelten«, wiederholte Tropper. »Ich kenne diese Gegend wie meine Hosentasche.« Wie schön für dich, dachte sie. Nicht der gesunde Menschenverstand hielt sie davon ab, das laut zu sagen, sondern ihr geschwächter Zustand.

»Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte Tropper. »Du weißt, wovon ich rede, oder?« Cindy antwortete nicht.

»Die Stelle! Wo die Corniche ihren Todessturz gemacht hat ... du wärst doch sicher gern bei deinem Freund. «

»Er war nicht mein Freund«, murmelte Cindy.

Tropper drehte sich um, sah auf sie hinunter. Selbst im Dunkeln konnte sie sein großes, häßliches Gesicht erkennen.

»Was hast du gesagt? Du nuschelst so. Hab ich dir die Zähne eingeschlagen?« Cindy fuhr sich mit der blutigen Zunge über die Schneidezähne. Sie hatten nicht nur Zacken, sondern fühlten sich auch kürzer an. Aber sie befanden sich noch in ihrem Mund, und das war doch schon was.

»Hätte mir Arbeit erspart«, sagte Tropper. »Ich werde dir das Gesicht zu Brei schlagen. Sonst hat die Pathologie was, womit sie arbeiten kann. Keine Bange. Ich versprech dir, daß du nach dem ersten Schlag hin bist.«

Die Motorengeräusche waren lauter geworden. Das machte ihr Mut.

»Nicht einfach, mich zusammenzuschlagen, wenn sie nach mir suchen«, murmelte sie. »Glaubst du?«

»Ja ... « Cindy versuchte, gleichmäßig zu atmen. »Ja, das glaube ich.«

»Vielleicht hast du recht«, meinte Tropper ruhig. »Siehst du, deswegen bin ich von der Straße abgebogen. Die können suchen, so viel sie wollen. Uns finden sie nie.« Ach ja? dachte sie. Die finden uns. Bitte mach, daß sie uns finden.

Aber wie? Ein einzelnes Auto in einem riesigen Waldgebiet — wie sollte jemand sie finden? Troppers Motor war nichts sehr laut, und sie befanden sich tief im Wald. Das konnte sie durch das Fenster erkennen. Das Laub war dicht wie Nebel. Moment mal!

Sie konnte die Blätter tatsächlich sehen Was bedeutete, daß Tropper immer noch mit eingeschalteten Scheinwerfern fuhr! Ein schwacher Hoffnungsschimmer, aber sie klammerte sich daran fest. Das Auto holperte über unebene Wege, Büsche zerkratzten die Karosserie mit einem Geräusch, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Wandtafel fahren. Cindy bekam Gänsehaut, und das erstaunte sie ... daß sie immer noch Nervenenden hatte, die keinen Schmerz verursachten. »Wir sind gleich da«, verkündete Tropper.

Cindy schlug das Herz bis zum Hals, ihr Atem ging schneller, bis sie fast erstickte. Die ganze Zeit hatte sie trotz aller Schmerzen, trotz der aussichtslosen Lage, keinen wirklichen Gedanken an das Sterben verschwendet.

Als das Auto jetzt langsamer fuhr, war sie plötzlich mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert. Das war's dann! Sie würde sterben!

Nun gab ihre Blase doch nach. Der Strom warmer Flüssigkeit tröstete sie ... zumindest war ihr Körper noch lebendig.

Das Auto fuhr noch langsamer und hielt an. Tropper schaltete den Motor aus und blieb einen Moment sitzen. Ohne das Motorengeräusch nahm Cindy nur noch die Laute des Waldes und fernes Rumpeln wahr. So viel zerstörte Hoffnung.

Sie hörte, wie die Autotür quietschend geöffnete wurde. Tropper stieg aus. Gleich darauf öffnete sich die hintere Tür. Cindy hatte so lange dagegen gelehnt, daß sie fast hinausfiel.

Er beugte sich vor, bis sein Gesicht über ihrem war, brannte mit seinen dunklen Augen höllische Löcher in die ihren, erstickte sie fast mit seinem übelriechenden Atem. »Mann, siehst du fertig aus!«

Ihre Blase hatte zwar nachgegeben, aber Cindy war noch rebellisch genug, um die Tränen zu unterdrücken.

»Ich würde mich ja entschuldigen, Officer Decker«, meinte Tropper, »aber du bist so ein verdammter Klugscheißer, und es ist besser, daß es so endet. Warte mal eben. Bin gleich wieder da.«

Sie hörte das Rascheln trockener Blätter. Gleich darauf wurde der Kofferraum geöffnet. Dann kam Tropper zurück und hielt etwas hoch. Ein Vorschlaghammer!

Wenn es einen passenden Moment gegeben hätte, in Panik zu geraten ... zu weinen, zu betteln, zu flehen und falsche Versprechungen zu machen, dann wäre es dieser gewesen. Aber Dickköpfigkeit und ein merkwürdiges, unangemessenes Gefühl von Würde hielt sie zurück. Sie bot keinen Widerstand, spürte, wie eine seltsame Ruhe über sie kam.

Tropper wartete, rechnete damit, daß sie etwas tat, etwas sagte. Als nichts kam, sagte er: »Weil du eine Kollegin bist ... werde ich dich nicht leiden lassen.«

Cindy bedankte sich ruhig, schloß die Augen und wartete ... und wartete ... und wartete. Sie öffnete die Augen. Er starrte sie an. Was wollte er von ihr? Was wollte er?

Langsam hob Tropper den Hammer, senkte ihn nach unendlich langen Sekunden wieder.

»Ich hab nicht genug Platz«, knurrte er. »Wenn ich das hier mache, kriegt das Auto was ab. Ganz zu schweigen davon, daß du leiden mußt. Ich wollte, daß du nach dem ersten Schlag hin bist.« Er verlagerte das Gewicht. »Ich sag dir was. Wenn du versprichst, nicht wegzulaufen, hol ich dich aus dem Auto raus. Ich bring dich zu einer hübschen Stelle. Da kannst du diese Welt mit Blick auf den herrlichen sternenübersäten Himmel verlassen.«

Cindy biß sich auf die zitternden Lippen. »Das klingt gut.«

»Ich schwör dir, Decker«, fuhr Tropper fort, »wenn du wegläufst, krieg ich dich. Und dann wirst du leiden.«

»Verstanden, Sergeant.«

Wieder wartete er. »Du bist wirklich sehr ruhig für jemanden, der gleich sterben wird.«

»Innerlich bin ich ziemlich nervös, Sir.«

»Tja, das verbirgsr du gut.« Tropper beugte sich vor und band ihre Beine los. Mit einer raschen Bewegung zog er sie aus dem Auto und richtete sie auf, hielt sie an dem Strick fest, mit dem ihre Arme auf dem Rücken gefesselt waren. Cindys Knie gaben nach, aber er packte den Strick nur noch fester. »Ich hab dir gerade ein Kompliment gemacht, Decker. Du wirst doch jetzt nicht schlappmachen, oder?«

»Zumindest nicht absichtlich, Sir.«

»Stell dich hin!«

Sie richtete sich so gerade auf, wie sie konnte. »Ich bin bereit, Sir.«

»Mir gefällt dein Stil, Decker.«

»Danke. Sind Sie sicher, daß es keine andere Lösung gibt?«

»Ich bin sicher.« Tropper griff nach ihren gebundenen Händen und schob sie vorwärts. »Los, suchen wir uns einen hübschen Platz.«

Sein Griff war nicht allzu fest. Sie dachte kurz daran wegzulaufen. Aber wie schnell konnte sie mit ihrem schmerzenden Körper laufen? Wie weit würde sie kommen? Er würde sie einholen und sehr wütend auf sie sein. Cindy wollte wirklich nicht verstümmelt und gefoltert werden. Sie ging ihm wohl zu langsam, denn er schubste sie an. Diesmal war er grob. Trockene Blätter und Zweige knackten unter ihren Schuhen. Das Geräusch hatte sie so abgelenkt, daß sie das andere erst nach einigen Sekunden wahrnahm — das deutliche wack, wack, wack ferner Rotorenblätter. Beide sahen gleichzeitig hoch. Drei oder vier Hubschrauber, die auf sie zukamen. Woher wußten die, daß sie hier waren?

Die Scheinwerfer! fiel Cindy ein. Tropper war nicht nur mit eingeschalteten Scheinwerfern gefahren, er hatte sie auch nach dem Halten angelassen. Cindy sah sie in der Ferne wie einen Heiligenschein. »Scheiße!« brüllte Tropper.

Cindy ergriff die Gelegenheit. Instinktiv rannte sie los. Tropper schoß hinter ihr her, hatte sie mit seinen langen Schritten in Sekundenschnelle eingeholt. Er setzte zum Sprung an, packte sie an den Händen, verlor das Gleichgewicht. Beide krachten zu Boden. Rasch rappelte er sich auf, hob den Vorschlaghammer und schlug zu. Cindy rollte sich zur Seite, entging dem Schlag nur um Haaresbreite. Der Schwung des schweren Hammers hatte ihn erneut aus dem Gleichgewicht gebracht, was ihr gerade genug Zeit ließ, aufzuspringen und loszurennen. Wieder holte er sie ein, riß sie so scharf am Kragen zurück, daß sie fast erstickte. Aber jetzt hatten die Hubschrauber sie eingekreist, richteten ihre Suchscheinwerfer auf den Boden, erhellten das Gelände wie bei Nachtaufnahmen zu einem Film.

Cindy erlaubte sich ein mattes Lächeln, während Tropper hochsah und Flüche ausstieß. Wäre der Sergeant klug gewesen, hätte er sie losgelassen, seine eigene Haut gerettet und wäre zum Auto zurückgerannt. Statt dessen packte er sie fester und wollte mit ihr zum Auto zurück. Da sie kaum die Kraft besaß, Widerstand zu leisen, machte sie sich schlaff, weil ihr Gewicht ihn noch mehr behindern würde und er sie dann vielleicht fallen ließ. Aber er dachte nicht daran. Er beschimpfte sie und trat gegen ihre schlaffen Beine. »Steh auf! Steh auf! Steh auf!« Als er merkte, daß sein Gebrüll nichts nützte, schlang ihr Tropper den Arm um die Taille und zerrte sie mit zurück, ließ ihre Beine über den harten, rauhen Boden schleifen. Cindy spürte, wie ihre Kleidung zerriß und ihre Haut aufgeschürft wurde. Doch er kam nur langsam und unbeholfen voran, was den Hubschraubern Zeit ließ, sie erneut einzukreisen. Cindy hoffte, daß sich Tropper und sie so deutlich vom Boden abhoben wie Pickel auf glatter Haut.

Die Helikopter kamen näher, schwebten über ihnen, bis Cindy den Wind der Rotoren und die Hitze der Suchscheinwerfer spürte. Sie kniff die Augen gegen das blendende Licht zusammen und konnte sogar die Gesichter der Scharfschützen erkennen. Der Krach war ohrenbetäubend, übertönte fast das Kreischen der näherkommenden Sirenen. Fast ... aber nicht ganz. Sekunden später hörte sie Worte aus einem Megaphon. Sie seien umstellt, er solle sie loslassen und sich ergeben, oder sie würden schießen — so was in der Art. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, aus all den Filmen, die sie gesehen hatte. Sie konnte eigentlich nichts verstehen, weil sie vor Angst zu starr war, aber die Befehle kamen auch sehr rasch und wütend.

Tropper achtete nicht darauf. Er hatte das Auto erreicht, riß die Fahrertür auf, schob Cindy als erste hinein, glitt hinter das Steuer. Augenblicke später hatte er den Motor auf Touren gebracht und raste tiefer in den Wald.

Die Suchscheinwerfer der Hubschrauber folgten ihnen durch das dichte Laubdach, huschten wie Kometen über den Himmel. Ironischerweise machten sie es Tropper leichter, in der Dunkelheit zu sehen. Er trat das Gaspedal durch, und das Auto schoß mit einem Satz vorwärts. Cindy schrie auf, als sie ins Schleudern gerieten, kaum noch Kontakt mit dem weichen Waldboden hielten. Im Rückspiegel sah sie die rotierenden roten und blauen Lichter der Streifenwagen, die mehrere Autolängen zurücklagen. Tropper erhöhte die Geschwindigkeit, Bäume flogen vorbei. Eine falsche Drehung am Steuer, und sie würden vollkommen zerquetscht werden.

»O Gott!« Cindy war voller Panik, ihr Herz raste. »O Gott, o Gott ...«

»Halt die Klappe!« brüllte Tropper.

Ihr Blick schoß zum Tacho. Die Nadel kletterte immer höher -sechzig, achtzig, über neunzig. Tropper hatte sich angeschnallt (komisch, wie sich manche Gewohnheiten festsetzen), aber Cindy wurde im Wagen hin und her geschleudert, konnte sich mit den gefesselten Händen nicht festhalten. Wenn es zu einem Zusammenstoß kam, hatte er den Airbag und den Sitzgurt; sie würde durch die Windschutzscheibe katapultiert werden, sich das Gesicht zerschneiden und konnte sich nicht mal mit den Hände schützen. Das Auto schoß wie eine Rakete durch den Wald, schrammte an Büschen entlang, kam ins Schleudern, wenn die Reifen auf Felsbrocken, Steine und große Baumwurzeln prallten. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, aber sie konnte nicht. »Wir werden beide draufgehen!« schrie sie. »Geben Sie auf!«

Eine Sekunde später schrie sie wieder, als der Vorderreifen gegen einen gefällten Stamm krachte und hochschnellte. Das Auto landete mit einem dumpfen Krachen auf dem Boden und raste weiter.

»O Gott«, kreischte sie. »O Gott, o Gott ... «

»Halt die Klappe!«

»Halten Sie die Klappe!«

»Sei endlich still!« Tropper riß das Steuer nach rechts, dann nach links und hatte gleich darauf wieder die Bergstraße erreicht — schmal und zweispurig, aber zumindest asphaltiert. Inzwischen wurden sie von einer ganzen Streifenwagenkarawane verfolgt. Auch die Hubschrauber waren noch da.

Wieder glitt Cindys Blick zum Tacho. Tropper fuhr fast hundert, nahm die Kurven wie ein Rennwagen. Die Streifenwagen waren noch weiter zurückgefallen, mußten langsamer fahren, auch wenn Tropper das Tempo noch erhöhte. Aber die Hubschrauber behielten sie im Suchscheinwerfer. Bei jeder Kurve hob sich Cindys Magen. Galle stieg ihr in die Kehle. Schweiß lief ihr von der Stirn. Wenn sie vorher Angst gehabt hatte - vor Tropper und dem Vorschlaghammer - hatte jetzt schieres Entsetzen sie gepackt. Falls er so weiterfuhr, würde sie auf jeden Fall sterben, und es würde ein schmerzhafter Tod sein.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie übergab sich.

Tropper verzog angewidert die Nase. Wütend trat er das Gaspedal durch, bis es flach auf dem Boden war.

Eine Haarnadelkurve.

Er riß das Steuer ein Sekunde zu spät herum.

Cindy schrie, als das Auto durch die Leitplanke brach.

Wurde an einer Million schmerzhaft stechender Nadeln vorbei nach vorne geschleudert. Flog durch den Sternenübersäten Himmel.

Wenn sie nicht solche Schmerzen gehabt hätte, wäre es wunderschön gewesen.

Das letzte, was sie hörte, war eine ohrenbetäubende Explosion. Das letzte, was sie sah, war das Aufblitzen von hellem, blendenden Licht.

Das letzte, was sie spürte, war die Wärme einer plötzlichen Hitzewelle. Und dann war alles fort! Dunkelheit ... Kälte ... Stille.