20

Erhitzt, verschwitzt, müde, dreckig, angewidert, unzufrieden mit sich, unfähig und mehr als verängstigt. Und das war nur ein Teil der Adjektive, die sie zur Beschreibung ihrer Gefühle verwenden würde. Am allermeisten brauchte Cindy eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnte, aber da sie die nicht hatte, mußten ein heißes Bad und ihr Bett reichen.

Erst lange nach der Geisterstunde waren sie von ihrem Waldausflug zurückgekommen, aber außer Hannah hatte niemand geschlafen. Die erschöpfte Marge hatte Vega, die immer noch voller Fragen war, bei der Hand genommen und sich bei Rina entschuldigt, weil sie deren Mann am Sabbat entführt hatte. Als sich Cindy verabschieden wollte, hatten sowohl Rina wie auch Decker sie inständig gebeten, bis zum nächsten Morgen zu bleiben. Besonders ihr Vater wollte sie nur ungern so spät fahren lassen. Es stimmte, Cindy war total ausgelaugt, und es stimmte auch, daß ihr Auto am frühen Abend gequalmt hatte. Aber sie hatte sich dickköpfig geweigert, über Nacht zu bleiben. Sie brauchte ihre eigene Dusche, ihr eigenes Bett und ihre eigene Umgebung. Ruf an, wenn du zu Hause bist, hatte Decker gebeten. Bitte.

Du machst dir zu viel Sorgen. Außerdem kannst du sowieso nicht ans Telefon, weil Sabbat ist.

Ich bleibe wach, bis ich deine Stimme höre. Dad, bitte nicht.

Okay, ich bleib nicht wach. Aber ruf trotzdem an.

Widerwillig hatte sie zugestimmt. Er war besorgt, weil er spürte, das etwas nicht stimmte. Wenn er doch nur nicht so scharfsichtig wäre.

Auf dem Heimweg war ihre Paranoia kaum noch zu bändigen. Äußerst wachsam schaute sie dauernd über die Schulter, ließ den Blick ständig wandern, zum Rückspiegel, zu den Außenspiegeln. Immer wieder wechselte sie die Spur, wurde schneller, dann wieder langsamer. Hätte sie jemanden so fahren sehen, hätte sie ihn sofort zum Alkoholtest rausgewunken. Aber sie hatte gute Gründe, wollte wissen, ob sie beschattet wurde. Doch es gab keinen Beschatter. Zumindest konnte sie niemanden entdecken. An der National bog sie vom Freeway ab. Noch — oder schon, denn es war bereits früher Samstag morgen — waren Autos unterwegs, aus einem Autoradio dröhnte ohrenbetäubender Rap. Cindy fiel sofort der Paragraph für Ruhestörung ein.

Sie bog in den Parkplatz vor ihrem Haus, stellte den Motor ab, ließ den Blick schweifen. Alles wirkte ruhig ... verlassen. Ganz vorsichtig öffnete sie die Autotür und stieg aus — Schlüssel in der linken Hand, die Rechte um den Griff ihrer Waffe geklammert. Niemand sprang sie aus dem Schatten heraus an, niemand tauchte aus dem Nichts auf. Alles total friedlich, und so hatte sie es gern. Trotzdem wurde ihr Atem schneller. Die Nacht war so lang gewesen ... Zur Haustür, dann die Treppe hinauf. Ständiger Blick über die Schulter. Klappernde Schlüssel, die andere Hand um die Waffe geklammert. Inzwischen keuchte sie, schwitzte ... Reiß dich zusammen, Decker.

Ein Blick nach links ... nach rechts ... über die Schulter. Den Schlüssel ins Schloß.

Da stimmte was ganz und gar nicht. Als sie den Schlüssel ins Schloß steckte, schwang die Tür ein Stück auf, kein Sicherheitsriegel versperrte sie von innen. Cindy spürte, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich und ihr Herz zu trommeln begann. Dann nahm sie sich zusammen. Stand ganz still, versuchte die Situation einzuschätzen, ohne in Panik zu geraten.

Cindy ließ den Schlüssel halb im Schloß stecken, zog die Waffe heraus.

Tür nicht abgeschlossen. War jemand drinnen? Ist noch drinnen? Alles dunkel. Hörst du was?

Aber sie hörte nur ihren keuchenden Atem.

Denk nach. Reingehen oder nicht? Jemanden anrufen? Aber wen? Die Polizei? WS

Sie war die Polizei.

Treib 's nicht zu weit! Verschwinde, verschwinde! Verschwinde! Oder vielleicht... vielleicht nur ein kurzer Blick. Faß nichts an ... hau lieber ab. Wen anrufen? Wen anrufen? Nur ein kurzer Blick.

Mit dem Lauf der Waffe schob sie die Tür weiter auf. Gestank schlug ihr entgegen. Nach diesem Abend hatte sie gedacht, nichts mehr riechen zu können, aber das stimmte nicht. Noch ein Schubs mit der Waffe. Jetzt war der Spalt fast zwanzig Zentimeter breit. Sie hielt inne, lauschte, schaute, konnte nichts sehen. Ihre Wohnung war dunkel.

Kein Geräusch, nur ihr Atem. Schweiß lief ihr von der Stirn, an der Nase entlang in den Mund. Cindy leckte das dreckige, salzige Wasser ab. Ihre Achseln waren schweißnaß, zwischen ihren Beinen war es feucht.

Hatte sie in die Hose gepinkelt? Nein, nur Schweiß ... viel Schweiß.

Sie drückte mit der Waffe die Tür noch etwas weiter auf. Jetzt konnte sie trotz der Dunkelheit etwas erkennen. Ein heilloses Durcheinander ...

Verschwinde!

Aber das wäre Schwäche. Cindy weigerte sich, Schwäche zu zeigen, sogar sich selbst gegenüber. Ein winziger Schritt vorwärts, aber immer noch einen Fuß draußen, für alle Fälle. Mit dem Lauf der Waffe knipste sie das Wohnzimmerlicht an. Ein Sekundenbruchteil, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Dann wünschte sie, sie hätten es nicht getan. Das war mehr als ein Durcheinander. Ihre Wohnung, ihre Zuflucht ... Jemand hatte sie in einen Abfallhaufen verwandelt, eine Müllkippe aus Trümmern und Scherben, aus Dreck und Müll. Ein ekelhafter Altar für einen dämonischen Gott, errichtet von einem Wahnsinnigen, einem entsetzlichen, grausamen, sadistischen ...

Tränen schössen ihr in die Augen. Ihr Verstand setzte aus. Sie konnte nicht mal denken, so erstarrt war sie. Ihr Selbst war geschändet worden, verwüstet von einem zweibeinigen wilden Tier. Sie sackte zusammen, lehnte sich haltsuchend an den Türrahmen, die Waffe noch in der zitternden Hand.

Laß mich jetzt nicht in Stich, brüllte sie sich stumm an. Vielleicht ist noch jemand hier.

Cindy schluckte, zwang sich zum Handeln, packte die Dienstwaffe mit beiden Händen, stand breitbeinig da. Ihr Blick schweifte durch das Zimmer, über den Boden, um zu sehen, wie sie den Bücherhaufen, zerrissenen Fotos, Müll und zerbrochenem Glas ausweichen konnte — einem gewaltigen, stinkenden Haufen!

Denk nach!

Wie sich bewegen, ohne zu stolpern? Wo Deckungen finden, wenn nötig? Die Couch stand noch ... oder vielmehr der Rahmen. Die Rückenlehne war heil geblieben, aber mehrere Kissen waren aufgeschlitzt.

Mach voran! Überprüf die Wohnung!

Zuerst das Wohnzimmer, dann die Küche, dann Schlafzimmer und Bad. Der Vorteil einer kleinen Wohnung: weniger Räume zu überprüfen, wenn jemand sie verwüstet. Methodisch schob sie sich vorwärts, schaute in die offenen Zimmertüren, wich vorsichtig den Haufen aus Abfall und Dreck aus. In der Küche erstarrte sie erneut. Töpfe, Pfannen, Lebensmittel, Müll, zerbrochenes Geschirr, verstreutes Besteck, Pfützen von Milch, Saft und vielleicht Urin, soweit sie das sehen konnte. Auf jeden Fall roch es so, als ob jemand gepißt hätte.

Aber ihre Küchenuhr war noch heil. Laut der Katze mit dem pendelnden Schwanz war es zwanzig nach eins.

Mit dem Handrücken öffnete sie die Kühlschranktür, sah das Durcheinander aus klebrigen Nahrungsmitteln, zerbrochenen Eiern und verschütteten Getränken. Sie schloß sie sofort und öffnete die Schränke: Der Wahnsinnige hatte die Höflichkeit besessen, ihr wenigstens etwas Geschirr zu lassen — etwa die Hälfte war ganz, der Rest lag zertrümmert auf dem Boden. Zurück ins Wohnzimmer, Scherben knirschten unter ihren Füßen, die Tränen liefen ihr über die Wangen. Langsam bahnte sie sich den Weg ins Schlafzimmer, jeder Schritt schmerzte, weil sie wußte, was sie vorfinden würde. Sie knipste das Licht an, sah, daß es noch schrecklicher war, als sie gedacht hatte. Ihre Kleider, ihre Bilder, die Parfümflaschen, die Kämme und Bürsten, der Schmuck, das Make-up, Schuhe, Unterwäsche, Socken und Strumpfhosen — alles wahllos durcheinander geworfen. Die Bettwäsche von der Matratze gezerrt, die Decke aufgeschlitzt, die Füllung überall verstreut. Auf der Matratze ein dampfender Haufen, der wie Hundescheiße aussah.

Cindy schluckte die Tränen hinunter, biß sich auf die Lippe, um das Zittern zu unterdrücken.

Die Schubladen halb offen, die Schranktür ... halb zu.

War jemand im Schrank ?

Voller Beklommenheit näherte sie sich dem Schrank. Sie schwankte nicht, aber ihre Schritte waren alles andere als leise. Jeder Schritt verriet sie.

Denk einfach, es war eine Razzia. Atme tief durch, befahl sie sich. Noch mal. Eins ... zwei ... drei. Los! Sie stieß mit dem Fuß die Tür auf, richtete die Waffe auf ihren rosa Bademantel. »Keine Bewegung!« schrie sie.

Nichts geschah, nur ihr keuchender Atem war zu hören. Mit dem Fuß schob sie die noch hängenden Sachen beiseite, vergewisserte sich, daß niemand im Schrank war. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Tränen, bewegte sich, inzwischen schon resigniert, Zentimeter für Zentimeter Richtung Bad, Sie wußte, was sie erwartete, weil der Inhalt ihres Medizinschranks zwischen den beiden Räumen verstreut lag. Als sie das Badezimmer fast erreicht hatte, lief es ihr kalt über den Rücken. Sie wirbelte herum, aber da war niemand.

Jetzt flippst du ganz aus, was?

Halt die Klappe! Das hatte sie laut gesagt.

Sie redete schon mit sich selbst.

Drehte sich zum Bad um. Wieder lief es ihr kalt über den Rücken. Sie wollte über die Schulter schauen. Bevor sie den Kopf drehen konnte, schrie eine Stimme hinter ihr: »Stehen bleiben! Keine Bewegung, keine Bewegung, keine Bewegung!«

Sie erstarrte, war gelähmt vor Angst. Angst, die eigentlich nicht angebracht schien. Ihr Verstand sagte ihr, daß Wahnsinnige nicht »Stehen bleiben« brüllen. Cops brüllen »Stehen bleiben«.

»Ich bin es, Cindy«, sagte die Stimme. »Scott Oliver. Beweg dich nicht!« Sie blieb reglos stehen.

»Ich hocke neben deinem Bett, blicke auf einen Scheißhaufen, meine Waffe ist über der Matratze. Ich kann dich sehen. Du hältst deinen Revolver in der rechten Hand. Ich sag dir das, weil ich nicht aufstehen und von dir erschossen werden will. Ich möchte wirklich nicht, daß es zu einer dummen Tragödie kommt, okay?«

Sie antwortete nicht. Er sprach leise, aber eindringlich. Wie schaffte er das?

»Okay, wie wär's, wenn du dich zuerst umdrehst, damit du mich sehen kannst ... oder die Waffe?

Dann stehe ich auf.« Cindy schwieg immer noch.

»Oder ich stehe auf, aber dann siehst du nicht, was passiert.«

»Ich dreh mich um«, sagte Cindy. Ihre Stimme zitterte, klang wie unter Wasser.

»In Ordnung«, erwiderte Oliver. »Solange du nicht auf mich schießt ... «

»Ich schieße nicht.« Cindy drehte sich um. »Ich sehe deine Waffe.«

»Gut. Ich steh jetzt auf.« Seine Knie knackten. Für so was war er einfach zu alt. Bei ihrem Anblick hätte er fast laut aufgejapst. Ihr Gesicht war schweißnaß und dreckig. Sie starrte ihn mit wildem Blick an. Eine ganze Minute ließen sie einander nicht aus den Augen. Keiner sprach, und keiner bewegte sich. Schließlich fragte er: »Bist du allein?« Keine Antwort.

»Ich meine ... « Er schluckte. »Ist jemand hier? Kann ich meine Waffe senken? Oder ist vielleicht noch jemand hier ... hast du alles überprüft?« Noch immer keine Antwort.

Er hob den Revolver, legte ihn langsam aufs Bett. »Ich komme jetzt zu dir ... «

»Nein!«

»Gut. Okay! In Ordnung. Ich bleibe, wo ich bin. Beweg mich nicht. Sag du mir ... « Wieder schluckte er. »Geht es dir gut?«

Sie antwortete nicht, konnte nicht antworten. »Ich meine ... ich weiß, daß es dir nicht gutgeht.« Er seufzte, schaute zur Zimmerdecke. »Mußt du ins Krankenhaus?« Cindy schüttelte den Kopf. »Bist du überfallen worden?«

Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich ... es war schon so, als ich nach Hause kam.« Pause. »Warum bist du hier?«

»Ich hab eine Nachricht auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen.« Oliver lächelte, aber sein Mundwinkel zuckte. Er schwitzte wie blöd. »Du hast ihn wahrscheinlich nicht abgehört. Himmel Herrgott noch mal, was ist hier passiert?« Sie starrte ihn an.

»Marge hat mich vor fünfzehn, zwanzig Minuten angerufen«, fuhr Oliver fort. »Sie hat mir von dem Camry erzählt und ... daß du ihn verfolgt hast und er in die Schlucht gestürzt ist. Und ... « Er atmete aus, verschränkte die Arme, um das Zittern seiner Hände zu verbergen. »Und sie wollte, daß ich ... oder sie und ich ... morgen zum Unfallort fahren ... alles überprüfen und ... und ich war in der Gegend und wußte, daß du zurückkommst, also dachte ich, du wärst noch auf. Ich wollte dir ein paar Fragen stellen ... über den Unfall. Und über das Auto ... du weißt schon, Hintergrundinformation. Vielleicht wollte ich dich auch einfach nur sehen.« Sie rührte sich nicht.

Oliver fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich sah das Licht in der Wohnung, aber die Tür war auf ... Ich entdeckte die ganze Sauerei .. wollte wissen, ob ... « Er hielt inne. »Na ja, du kannst dir vorstellen, wie mir zumute war.«

»Wo warst du?« fragte Cindy leise.

»Wie bitte?«

Ihre Wangen waren feucht und feuerrot. »Du sagst, du warst hier in der Gegend.« Sie räusperte sich. »Wo warst du?«

»Ich war in der Nähe ... einfach so. Was soll das? Ich war ... « Wieder lächelte er. Und wieder zuckte sein Mund. »Du glaubst doch nicht, daß ich ... « Er verstummte.

Langsam ging sie auf ihn zu, Schritt für Schritt. Bis sie vor ihm stand. Bis sie jede Pore, jeden Schweißtropfen auf seinem Gesicht sehen konnte. Bis sie den salzigen Schweiß fast schmecken konnte. Bis sie sein Unbehagen in seinem säuerlichen Atem riechen konnte. »Ich weiß, wo du warst«, flüsterte sie. »Du warst bei Hayley Marx. Du hast sie gefickt, stimmt's? Warum hast du nicht gleich gesagt >Ich war in Hayley Marx' Wohnung und hab sie gefickt !< Häh? Warum nicht?« Oliver wurde rot. Er lachte leise, zuckte die Schultern, wich ihrem Blick aus. »Okay. Ich hab Hayley Marx gefickt.«

Sie holte aus und schlug ihn ins Gesicht. »Du Dreckskerl! Du verdammter Schweinehund!« Wieder schlug sie zu, traf seine Nase, die sofort zu bluten begann. Statt zurückzuschrecken, wurde sie noch wütender. Sie versetzte ihm einen Boxhieb in die Schulter. Dann trommelte sie mit den Fäusten auf ihn ein, bis ihr die Hände weh taten. Er wehrte sich nicht. »Du widerlicher, abscheulicher Hurensohn!«

Das Telefon klingelte. Erschrocken ließ sie von ihm ab, machte einen Satz rückwärts, schlang die Arme um sich. »O Gott, entschuldige, Scott. Entschuldige. Es tut mir so ... «

»Ist schon gut«, krächzte er, hielt sich die Nase. »Dein Telefon klingelt.«

»Es tut mir so leid ... «

»Cindy, dein Telefon.«

»O Gott, o Gott, o Gott.«

»Pst ...«

»So leid.«

»Ruhe!« blaffte Oliver. »Ich versuch mitzukriegen, wer dran ist ... « Er wischte sich das Blut mit dem Hemd ab. »Dein Vater. Ich geh ...«

»Nein!« Sie packte ihn am Arm. »Nein, nein, nein!«

»Er will wissen, wo du bist.«

»Nein!« Cindy grub ihm die Fingernägel in den Arm. »Wenn du was von dem hier sagst, weiß er, daß ich wegen des Autos gelogen habe.«

Oliver riß sich los, rieb sich den Arm. »Was für ein Auto? Wovon redest du?«

»Dann muß ich ihm sagen, daß der Camry mich verfolgt hat, statt ich ihn. Und dann weiß er, daß ich gelogen habe. Und er wird mir nie, nie wieder vertrauen ... und ich hab eine Aussage unterschrieben.«

»Der Camry hat sich an dich drangehängt?« fragte Oliver. »Du hast deinem Dad nicht gesagt, daß dich ein Auto verfolgt hat?«

»Du verstehst das nicht!« jammerte sie. »Ich konnte nichts sagen, Scott. Wenn ich was gesagt hätte, hätte er übernommen und »Cindy, du mußt.«

»Nein!«

»Dann laß mich ... «

»Nein, nein, nein! Du darfst ihm das nicht sagen. Du mußt es mir versprechen!«

»Uns bleibt keine andere Wahl, Cindy.«

»Dann weiß er, daß du hier bist.«

»Es ist mir scheißegal, ob er das weiß, Cindy. Du brauchst ihn, Baby. Und ich brauche ihn. Ich brauch seine professionelle Hilfe.«

»Du darfst ihm nichts sagen!«

»Ich muß!« Wieder holte sie aus und wollte auf ihn eindreschen. Aber diesmal packte er ihre Handgelenke. »Hör auf, mich zu schlagen!«

»Laß mich los!« schrie sie. »Laß mich los, laß mich ... « Plötzlich sank sie an seine Brust, begann zu weinen — tiefe, unkontrollierbare Schluchzer. Oliver ließ ihre Handgelenke los, nahm sie fest in die Arme.

»Ist schon gut!«

»Nichts ist gut!«

Sie hatte recht. Nichts war gut. Wut packte ihn. Wer zum Teufel war das gewesen? »Es tut mir so leid ... « Wieder klingelte das Telefon. Oliver zuckte zusammen, machte einen Schritt zurück, ließ Cindy los. Schwitzte, hatte ein Zucken im Augenlid. Ganz zu schweigen von seiner Nase, aus der immer noch Blut rann. Doch es gelang ihm, ruhig zu sprechen. »Das wird noch mal dein Vater sein. Er macht sich Sorgen, ob du es bis nach Hause geschafft hast. Wenn du nicht rangehst, ruft er die Nationalgarde. Oder kommt selbst her.«

»Ich rede mit ihm.«

»Du bist nicht in der Verfassung ... «

»Mir geht's gut! Ich muß nur ein bißchen ruhiger werden.« Das dritte Klingeln. »Ich schaff das!« Das vierte. Jetzt oder nie. Sie griff nach den Hörer. »Mir geht's gut. Hör auf, dir Sorgen zu machen, Daddy.«

Langes Schweigen am anderen Ende. Dann sagte Decker: »Du hörst dich aber gar nicht so an.«

»Ich bin nur müde.«

»Du hast sehr lange für den Heimweg gebraucht.«

Ihre Stimme brach. »Ich bin langsam gefahren. Vorsichtig. So, wie du es magst.«

»Ich weiß, daß was nicht stimmt, Cindy. Wenn du mir nicht sagst ... «

»Alles in Ordnung!« schrie sie. »Alles in Ordnung, aber du gehst mir auf die Nerven.«

»Cindy ... «

»Laß mich in Ruhe!« Sie knallte den Hörer auf, zitterte am ganzen Körper, als hätte sie einen Anfall. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, und ihre Knie wurden weich. Atemlos gab sie ihrer Panik und dem Streß nach, kippte um. Oliver fing sie auf, überlegte, wo er sie hinlegen sollte. Bestimmt nicht aufs Bett neben den Scheißhaufen; das ganze Zimmer stank danach. Er hob sie hoch, trug sie ins Wohnzimmer, legte sie auf das aufgeschlitzte Sofa.

Natürlich klingelte das Telefon gleich wieder. Scott stieg über den Müll, nahm ab. »Ich bin's, Oliver. Ihr ist nichts passiert, aber ihre Wohnung ist vollkommen verwüstet. Ziemlich schlimm. Besser, du kommst her.«

Decker war normalerweise nicht leicht zu erschrecken. Doch es dauerte ein paar Sekunden, bis er seine Stimme wiederfand. »Aber ihr ist nichts passiert?«

»Nein. Sie ist nicht verletzt. Sie kam nach Hause und fand ihre Wohnung in Trümmern vor.«

»Hat sie die Polizei gerufen?«

»Ich glaub nicht. Ich hab's auch nicht getan.«

»Dann laß es. Warte, bis ich komme. Brauchst du Beweisbeutel?«

»Jede Menge.«

»Bin schon unterwegs.«

Oliver hörte, wie aufgelegt wurde. Typisch Decker. Was auch immer er dachte, er war viel zu sehr Profi, um lange zu fragen.