19
Cindy hatte erwartet, daß ihr gemeinsamer Beruf sie einander näherbringen würde, aber er schien einen Keil zwischen sie zu treiben. Sie starrte aus dem Fenster von Rinas weißem Volvo Kombi. Marge fuhr, Dad saß auf dem Beifahrersitz. Der Wagen war neu und sicher nicht billig gewesen. Bei all den Kosten für das neue Haus und den Umbau mußte auf Dads Bankkonto Ebbe herrschen. Zu den Geldsorgen jetzt auch noch die Carjackings — Dad mußte völlig fertig sein. Etwas schien ihn zwanghaft vorwärtszutreiben; daß er mit ihnen fuhr, am Sabbat arbeitete, obwohl es auch ohne ihn gegangen wäre, war ein Beispiel dafür. Cindy drückte die Nase gegen die Scheibe. Wenn Rina dagegen war, daß Dad am Feiertag arbeitete, hatte sie es nicht gezeigt. Vermutlich gab es ein ungeschriebenes Gesetz zwischen ihnen: Dads Arbeit war ausschließlich seine Domäne, und seine Entscheidungen, was seinen Job anbetraf, waren unverrückbar. Als Rina ihm zum Abschied einen Kuß gegeben hatte, wirkte sie nicht wütend. Andererseits hielt sich Dad möglichst streng an die jüdischen Gesetze. Nach ihrem Glauben entweihte elektrisches Licht den Sabbat. Also hatte Marge statt seiner die Autotür geöffnet, wodurch sich das Innenlicht automatisch anschaltete. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie fuhr.
Sie hatten jetzt die Berge erreicht, waren auf dem Weg zum Angeles Crest National Park. Decker drehte sich um, wirkte wach und aufmerksam. »Bist du dem Camry auf dieser Straße gefolgt?«
»Ja.« Aber Cindy war sich nicht sicher. Es gab so viele Wege in die Berge, und nachts sahen die Straßen anders aus, einsamer und unheimlicher. Dunkelheit in bewaldeten Gebieten war mehr als das Fehlen von Licht; eher etwas Greifbares. Sie hüllte ein und erdrückte. »Ich hab ihn weiter oben verloren.«
»Wie weit oben?«
»Zwei Kilometer, vielleicht drei. Als die Straße steiler wurde.«
Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Das war verrückt, Dad. Ich hatte den Sichtkontakt mit dem Auto verloren. Aber ich war die ganze Zeit hinter ihm. Ich fuhr nicht viel langsamer als er. Dann endete die Straße, und das Auto war nirgends zu sehen. Ein Camry ist kein Geländewagen. Wohin kann er verschwunden sein?«
»Uber die Felskante«, sagte Marge trocken.
»Nicht, solange ich dort war. Ich hätte es gehört, wenn zweitausend Tonnen Stahl auf die Felsen geprallt wären.«
»Nachdem du den Camry verloren hast, ist er wahrscheinlich irgendwo abgebogen und dir entwischt«, meinte Decker.
»Ich hab nach Abzweigungen von der Straße gesucht. Ich konnte keine finden.«
»Der Wald ist dicht«, sagte Marge. »Er kann den Wagen nur ein kleines Stück von der Straße weggefahren und im Gebüsch versteckt haben, bis du wieder runterkamst.«
»Ein qualmendes Auto wäre mir aufgefallen.«
»Das Auto hat gequalmt?« fragte Decker.
Cindy seufzte. »Vielleicht nicht. Das hab ich wohl gesagt, weil mein Auto qualmte. Ich weiß nur, daß ich keine Abzweigung gesehen und keinen Aufprall gehört habe.« Sie schüttelte den Kopf, froh, daß es im Wagen so dunkel war. »Ich hätte es sofort melden sollen. Vielleicht hätte jemand mit mehr Erfahrung den Camry anhalten können, bevor er hundertfünfzig Meter in die Tiefe stürzte. Indirekt fühle ich mich für den Tod des Fahrers verantwortlich.«
»Wer sagt, daß der Fahrer tot ist?« fragte Decker. »Du hast gerade gesagt, daß du keinen Aufprall gehört hast. Vielleicht ist das Auto über die Felskante gestoßen worden, als du weg warst.« Cindy setzte sich auf. »Glaubst du?«
»Hat jemand was von einer Leiche gesagt, Marge?«
»Ich hab mit niemand vom Tatort gesprochen«, antwortete Marge. »Der Deputy, den ich am Apparat hatte, sagte, sie wären noch dabei, das Wrack zu untersuchen.«
Marge drehte das Fenster halb runter. Ein modriger Geruch wehte in den Wagen, dicht und feucht. Das Brummen des Motors klang künstlich und laut im Vergleich zu den nächtlichen Geräuschen der Natur. Marge schaltete, kroch den Berg hinauf. Selbst das Fernlicht konnte die Dunkelheit kaum durchdringen. Marge knipste das Innenlicht an und reichte Decker einen Zettel. »Kannst du mir die Wegbeschreibung vorlesen?«
»Mit angeschaltetem Innenlicht zu fahren, ist strafbar.« Cindy nannte den Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch. »Ich hätte lieber Jura studieren sollen.«
Decker drehte sich um und lächelte mitfühlend. »Als dein Vater würde ich mir wünschen, daß du vergißt, was passiert ist, und einfach weitermachst. Als Polizist muß ich dir sagen, daß du darüber nachdenken solltest, was schiefgegangen ist. Gott weiß, daß Selbstbefragung das persönliche Glück beeinträchtigt. Und Gott weiß, daß ich dich vor allem glücklich sehen möchte. Aber was ich will, ist nicht so wichtig wie das, was du willst. Du möchtest eine gute Polizistin sein. Was manchmal heißt, mit sich unzufrieden zu sein.«
Tja, die Sache mit der Unzufriedenheit bekam sie bisher gut hin. »Danke für deine Ehrlichkeit.«
»Danke, daß du es so gut aufnimmst.« Decker entfaltete die Wegbeschreibung und las laut vor. »Etwa einen Kilometer bergauf. Du mußt sehr langsam fahren und genau hinsehen. Zwischen zwei Platanen findest du eine Wagenspur. Das ist die Abzweigung ... « Wieder drehte er sich zu Cindy um. »Da hast du deine verpaßte Abzweigung.«
»Jep.« Sie versuchte, ganz professionell zu bleiben, kam sich aber noch blöder vor. Sie hatte nicht nur den Wagen verloren, sondern auch noch die Abzweigung übersehen.
»Bleib anderthalb Kilometer auf dem Weg«, fuhr Decker fort. »Fahr ganz langsam, weil er schmal ist und zum Teil steil abfällt ... «
»Wie steil?« unterbrach Marge.
»Steht hier nicht«, murmelte Decker. »Ich hätte zu Hause bleiben sollen. In dieser Dunkelheit kann man ja kaum was erkennen.«
»Ich hab dir doch gesagt, ich schaff das alleine.« '»Niemand sollte hier allein unterwegs sein.«
»Ich hätte Scott über seine Pager benachrichtigt. Klang nicht so, als hätte er ein heißes Date. Er wäre bestimmt eingesprungen, damit du deinen Sabbat in Ruhe verbringen kannst.«
Klang nicht so, als hätte er ein heißes Date. Cindy unterdrückte ein Lächeln, tadelte sich aber gleich. Warum denkst du immer noch an ihn? Natürlich wußte sie, warum. An Scott zu denken, war angenehmer, als sich wie ein Versager zu fühlen.
Marge war noch langsamer geworden. »Der knappe Kilometer ist um.«
»Da sind die Platanen.« Decker deutete nach links.
»Und dazwischen soll ein Weg sein?« Marge kroch nur noch, , schlug das Steuer vorsichtig nach links ein. »Tja, wenn du das sagst.«
»Kriegt der Wagen Kratzer ab?« fragte Decker.
»Kann schon sein.«
»Sei vorsichtig.«
»Willst du lieber fahren?«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, unterbrach Cindy. »Was ergibt keinen Sinn?« fragte Decker. »Wie kann ein mit Höchstgeschwindigkeit fahrendes Auto so scharf abbiegen, und das an einer unmarkierten Abzweigung?«
»Offensichtlich kannte er sich in der Gegend besser aus als du.«
»Trotzdem, Daddy, er mußte ja fast rechtwinklig abbiegen, und das bei dem Tempo. Nach meiner unmaßgeblichen und oft falschen Meinung müßte ein Auto dabei gegen die Bäume prallen.«
»Möglich«, meinte Decker.
Er gab tatsächlich in einem Punkt nach. Halleluja!
Der Wagen holperte und rumpelte über den unebenen Weg. Der helle Strahl des Fernlichts wanderte über dichtes Laubwerk, Ranken und Schatten.
»Das ist ja der reinste Urwald«, bemerkte Cindy. »Wer hat den Unfall gemeldet? Trapper John?«
»Vielleicht hat ihn ein Verkehrshubschrauber bemerkt.«
»Ja doch, hier herrscht ja auch dichter Verkehr. Ich wette, es gibt überall Stauwarnungen.«
»Dein Sarkasmus hilft dir hier auch nicht weiter, Cindy.«
»Was nicht gegen meine Frage spricht. Wer hat ihn gemeldet?«
Plötzlich machte der Wagen einen Satz, und Decker prallte mit dem Kopf gegen das Autodach.
Aus Achtung vor dem Feiertag fluchte er nur leise.
»Alles in Ordnung?« fragte Cindy.
Decker rieb sich den Kopf. »Bestens, danke.«
»Das muß richtig weh getan haben«, sagte Cindy. »Ich hab es krachen gehört.«
»Gott straft mich, weil ich den Sabbat mißachte.« Marge lachte leise. »Wenn das Leben so einfach wäre.«
»Weißt du, wer den Unfall gemeldet hat?« fragte Decker.
»Nein, aber es muß jemand mit Adleraugen gewesen sein. Ich sehe nichts. Das ist, als könnte ich jeden Moment in einen Abgrund stürzen ... «
»Ich fahre, wenn du willst«, bot Cindy an. »Meine Augen sind ausgezeichnet.«
»Nein, ich schaff das schon.« Marge schnupperte plötzlich. »Hier riecht's nach Benzin.«
»Stimmt.«
»Atzend«, sagte Cindy.
Eine passende Bezeichnung, fand Decker. Dieser widerliche Gestank nach brennendem Petroleum, das alles und jeden vernichtete. Während seines Einsatzes in Vietnam hatte er das täglich gerochen. Marge kniff die Augen zusammen. »Da vorne ist ein Licht.« Der Wagen wurde hochgeschleudert und landete mit einem dumpfen Aufschlag auf den Rädern. »O je. Ich hoffe, Rina ist gut gepolstert, weil von den Stoßdämpfern nicht mehr viel übrig sein wird.«
Das schwache Licht wurde schnell größer und heller. In der Luft hing der Gestank von verbranntem Laub und Benzin. Cindy hielt sich die Nase zu. Gleich darauf sah sie die Umrisse geparkter Autos.
»Mann, stinkt das«, bemerkte Decker. »Park, wo du willst. Du hast freie Wahl, Marge.« Cindy kicherte, aber es klang nicht fröhlich. »Was ist los?« fragte Decker. »Ach, die ganze Situation. Wir steuern das Licht an wie Motten eine Flamme. Hoffentlich verbrennen wir nicht.«
Marge verzog das Gesicht. »Du bist zu jung, um so abgebrüht und zynisch zu sein.«
»Biologisches Alter zählt nicht«, gab Cindy zurück. »Nur die Zeit, die ich auf der Straße verbringe. Ich bin erst fünfundzwanzig, aber in Polizeijahren bin ich reif für die Rente.« Sie parkten hinter einem Abschleppwagen. Autos vom Sheriffbüro standen da, von der Highway Patrol, ein Krankenwagen und mehrere kleine Feuerwehrautos für unwegsames Gelände, wo die großen Löschzüge nicht rankamen. Im Gänsemarsch rutschten die drei langsam den Abhang hinunter, benutzten einen schmalen Trampelpfad mit provisorischen Handläufen, angelegt von den Feuerwehrleuten, den Sherpas der Expedition, wie Cindy witzelte. Aber selbst mit den Handläufen war der Abstieg steil und schwierig wegen der freigelegten Baumwurzeln. Außerdem konnte Cindy nicht ihr gewohntes Tempo anschlagen. Sie war eingeklemmt zwischen ihrem Vater vor sich und Marge, die hinter ihr her schlitterte und über ihre rutschigen Schuhe maulte. Sie brauchten einige Zeit, bis sie heil unten ankamen.
Am Rande der zerklüfteten Schlucht wischte sich Cindy den Schweiß von der Stirn. Grelles weißes Licht beleuchtete verbranntes Laub und die verkohlte Karosserie. Verstreute Metallteile blitzten im Licht auf, lagen bis zu sechzig Meter von der Unfallstelle entfernt. Gelbes Absperrband war um den eigentlichen Unfallort gespannt. Hinter der Absperrung standen an die zwei Dutzend Männer der verschiedenen Dienststellen, dazu vier Feuerwehrmänner, sowie zwei Gerichtsmediziner vom Büro des County-Coroners. Bei ihrem Anblick krampfte sich Cindys Magen zusammen. Und dazu noch der widerliche Benzingestank. Normalerweise hatte ihr Vater Masken dabei. Aber da sie mit Rinas Auto gekommen waren, mußten sie ohne diesen Schutz auskommen.
Ein Mann in der Khakiuniform eines Sheriffs kam auf sie zu. Decker zeigte seine Dienstmarke. »Detective Lieutenant Peter Decker. Das hier sind Detective Dunn und Officer Decker. Wir sind vom LAPD.«
»Detective Deputy Bryant Bowler.«
Dem Mann lief der Schweiß von der Stirn. Sein ganzer Körper — Uniform, Hände und Gesicht — war schwarz vor Ruß. Auch nachdem er die Schutzmaske abgenommen hatte, waren seine Gesichtszüge wegen der Asche schwer zu erkennen. Er schien zwischen fünfundzwanzig und vierzig zu sein, hatte blaue Augen und, nach dem Orange zu schließen, das zwischen den geschwärzten Locken hervorblitze, eigentlich brandrotes Haar.
»Sie sind ganz schön weit von Ihren heimatlichen Gefilden entfernt«, meinte Bowler. »Was bringt das LAPD hierher?«
»Daran bin ich schuld«, sagte Cindy. »Ich war am frühen Abend hier.« Bowlers Kopf schoß hoch. »Sie waren hier?«
»Na ja, nicht genau an dieser Stelle, aber in der Gegend«, erklärte Cindy. »Ich habe den Camry verfolgt ...«
»Was? Welchen Camry? Sie meinen, das Auto, an dem wir arbeiten?«
Decker mischte sich ein. »Vielleicht sollte Officer Decker den ganzen Vorfall schildern, damit die Sache klarer wird.«
Womit er ihr die Gelegenheit gab, ihre Geschichte zu erzählen, denn inzwischen war es eine Geschichte. Cindy beschloß, die Einzelheiten wegzulassen, weil sie nicht mehr genau wußte, was sie ihrem Vater erzählt hatte. Sie sprach langsam, fand, daß ihre Worte logisch und folgerichtig klangen. Innerlich bereitete sie sich auf die vielen Fragen vor. »Bergauf behielt der Camry seine überhöhte Geschwindigkeit bei. Ich beschloß, langsamer zu fahren, selbst auf die Gefahr hin, die Verfolgung abbrechen zu müssen und das Fahrzeug aus den Augen zu verlieren.«
»Ist das passiert?« fragte Bowler.
»Wie bitte?«
»Haben Sie den Sichtkontakt verloren?«
»Ja. Ich bin trotzdem weitergefahren, bis die Straße endete.«
»Bei Prenners Park.«
»Den Namen habe ich nicht mitbekommen. Sah aus wie ein Picknickplatz.« Bowler nickte. »Das ist Prenners Park.«
»Der Camry muß diese Abzweigung genommen haben. Mir ist er weder auf dem Hinweg noch auf dem Rückweg aufgefallen.«
»Das kann ich mir denken«, sagte Bowler. »Selbst bei Tageslicht ist es fast unmöglich, die Abzweigung zu finden. Man muß einfach wissen, daß sie da ist.«
»Ich blieb etwa zehn Minuten auf dem Picknickplatz. Einen Absturz habe ich in der Zeit nicht gehört, Deputy.«
»Um welche Uhrzeit war das?«
»Gegen fünf.«
Wieder mischte Decker sich ein. »Als sie das Kennzeichen durchgab, fand sie heraus, daß die Nummernschilder des Camry von einem unserer Carjacking-Fälle stammten.«
»Daher sind Sie also hier«, sagte Bowler. Marge nickte.
»Der Camry war gestohlen«, stellte Bowler fest.
»Die Nummernschilder gehören zu einem Fahrzeug, das vor sechs Monaten geraubt wurde«, erwiderte Decker. »Über den Camry weiß ich nichts. Mit den Kollegen vom Dezernat für Autodiebstähle hab ich noch nicht gesprochen. Im Moment geht es uns vor allem um die Aufklärung der Überfälle, weniger um Autodiebstahl. Deswegen interessiert uns auch die Identität des Fahrers.«
»Bisher haben wir keinen gefunden«, sagte Bowler. »Wir glauben, daß das Auto hinabgestoßen wurde.«
Cindy empfand enorme Erleichterung. »Es gibt also keine Leiche?«
»Wir suchen noch, aber es würde uns nicht überraschen, wenn wir keine finden.«
»Wer hat festgestellt, daß das Auto runtergestoßen wurde?« fragte Decker.
»Alle gemeinsam. Wegen der Reifenspuren.«
»Keine Bremsspuren?«
»Nein.«
Reifen hinterließen bei unterschiedlichem Tempo unterschiedliche Spuren. Ein schnell fahrendes Auto wirbelt eine Menge Dreck auf und hinterläßt kurze, platte Abdrücke. Außerdem gibt es meist Bremsspuren, weil der Fahrer verzweifelt versucht, das Auto anzuhalten. Ein Fahrzeug, das geschoben wird, wirbelt weniger Dreck auf und hinterläßt längere, deutlichere Abdrücke. Und keine Bremsspuren.
»Wir haben Glück«, meinte Bowler. »Die Bodenbeschaffenheit war vorteilhaft - gerade feucht genug für ein paar gute Abdrücke, aber nicht so naß, daß sie mit Wasser vollgelaufen sind.«
»Was ist mit Fußabdrücken?«
»Schon schwerer. Wir haben ein paar verschmierte. Könnten Teilabdrücke sein.«
»Hier stinkt es nach Benzin«, warf Marge ein. »Wurde Brandbeschleuniger verwendet?«
»Die Brandstiftungsspezialisten sind hier. Wollen Sie mit ihnen reden?«
»Später«, sagte Decker. »Wie ist der Täter oder sind die Täter von hier weggekommen?«
»Tja, daran arbeiten wir noch. Schwer zu sagen, ob nur ein Fahrzeug hier war, weil leider inzwischen zu viel Verkehr war. Falls es andere Reifenabdrücke gegeben hat, sind die jetzt womöglich zerstört. Außerdem können wir sie im Dunkeln nicht erkennen. Vielleicht sind sie mit dem Camry hier raufgefahren, haben ihn runtergestoßen und sind per Motorrad, Fahrrad oder sogar zu Fuß verschwunden. Bergab zu laufen, ist nicht schwer, besonders bei Tageslicht. Wir haben noch nicht alle Abdrücke überprüft und können das auch erst, wenn es wieder hell ist.« Er reckte den Hals und schaute nach oben. »Haben Sie irgendwelche Theorien, die uns helfen könnten? Wir sind ganz Ohr.«
»Wer hat das brennende Fahrzeug gemeldet?« fragte Cindy.
»Ein örtlicher Verkehrshubschrauber sah Rauchwolken. Der Pilot ist hingeflogen und hat die Unfallstelle ausfindig gemacht. Auch das Wetter war auf unserer Seite. Kein Wind, nicht besonders trocken und sehr klar. Und es hat vor ein paar Tagen geregnet, daher war der Boden ziemlich feucht. Wir hatten die Löschfahrzeuge hier, bevor die Flammen zum Himmel schössen. Trotzdem sehen Sie ja, was sie angerichtet haben.« Bowler wurde gerufen. »Entschuldigen Sie mich.« Nachdem er gegangen war, sagte Cindy: »Mea culpa, Dad. Ich hab deine Vermutung, ein Verkehrshubschrauber hätte den Unfallort entdeckt, nicht ernstgenommen. Obwohl er, technisch gesehen, nicht den Unfallort, sondern nur das Feuer entdeckt hat.«
»Trotzdem mache ich Punkte«, stellte Decker fest. »Das geb ich zu. Tja, und was jetzt?«
»Du wirst eine Aussage machen müssen. Dann sollten wir nach Hause fahren. Erstens ist das nicht mein Zuständigkeitsbereich. Außerdem haben sie jede Menge Techniker hier. Und ich kann nicht so arbeiten, wie ich will, weil Sabbat ist.«
»Was für eine Aussage?« fragte Cindy.
»Erzähl ihnen einfach, was du uns erzählt hast.«
»Muß ich sie unterschreiben?«
»Natürlich«. Decker sah sie scharf an. »Warum? Ist das ein Problem?«
»Nein«, erwiderte sie rasch. »Ich will nur keinen Fehler machen und irgendwas falsch beantworten.«
»Laß dir Zeit.« Decker schaute sie immer noch durchdringend an. »Wir haben es nicht eilig. Wir warten, bis du fertig bist.«
Cindy nickte. Ihr war schlecht, aber sie überspielte es. Sie mußte sich irgendwie durchmogeln, sagen, daß sie dem Auto gefolgt war statt umgekehrt. Locker mit den Fakten umgehen, hoffen, daß es nicht rauskam. Dads Blick hielt sie immer noch fest. Sie senkte den Kopf. »Ich frag mich, wem der Camry wohl ursprünglich gehört hat.«
»Ohne die korrekten Kennzeichen ist das schwierig, aber nicht unmöglich«, meinte Marge. »Wenn das Baujahr festgestellt werden kann, arbeiten wir uns rückwärts vor. Finden heraus, wie viele rote Camrys in dem Jahr in Kalifornien verkauft wurden.«
»Millionen.«
»Ganz so viele wahrscheinlich nicht.«
»Wenn jemand den Wagen verschwinden lassen wollte, warum dann auf diese Weise? Warum hat er ihn nicht einfach versteckt? Oder ausgeschlachtet und die Teile verkauft?«
»Das habe ich auch gerade gedacht«, sagte Decker. »Vielleicht war das Auto in ein Verbrechen verwickelt und der Besitzer wollte es zerstören. Könnte sein, daß es Beweise enthielt.«
»Was für Beweise?« fragte Cindy. »Blut? Oh, jetzt wird die Sache gespenstisch.«
Decker betrachtete seine Tochter. »Hast du mir wirklich alles gesagt?«
»Ja. Warum fragst du dauernd?«
»Jemand beschützen zu wollen, ist keine einseitige Sache«, sagte Decker. »Ich will dich beschützen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, daß du auch mich beschützen willst.«
»Ich hab dir alles gesagt, Dad. Können wir es damit gut sein lassen?« Decker nickte langsam. »Okay. Ich werd dich nicht mehr fragen.« Cindy atmete aus. »Was für Beweise?«
»Wie du eben gesagt hast, Officer Decker. Blut, Haare, Fasern, Körperteile ... «
»Jetzt wirst du eklig.«
Decker lächelte. »Etwas Eindeutiges, das auf ein bestimmtes Verbrechen hindeutet. Etwas, das den Besitzer glauben läßt, ihm bliebe keine andere Wahl, als das Auto zu zerstören.«
»Ein Auto zu verbrennen, ist doch viel auffälliger als Ausschlachten«, hielt Marge dagegen. »Das finde ich auch«, sagte Cindy. »Und wenn man Beweise vernichten will, warum dann die gestohlenen Kennzeichen dran lassen?«
Decker lachte leise. »Weil jemand Mist gebaut hat. Oder nicht an die Kennzeichen gedacht hat. Wir Amerikaner sind von der Brillanz des kriminellen Verstandes wie besessen. In Wirklichkeit sind die meisten Verbrecher einfach nur dumm.«