24
Die Aerobictrainerin wohnte im ersten Stock. Sie öffnete auf ihr Klopfen, wirkre sauer und mißtrauisch, trug etwas aus schwarzem Latex, das ihre Muskeln zur Geltung brachte. Stacy schien sehr nervös zu sein, ihr Blick schoß zwischen den beiden Polizisten hin und her. Ihre auberginefarben geschminkten Lippen waren zusammengepreßt. »Da Sie ja doch nicht weggehen, können Sie genausogut reinkommen.«
Sie führte sie in ein kleines Wohnzimmer mit zwei Fenstertüren, die zu einer Terrasse führten. An den Wänden hingen Drucke mit kitschigen Sonnenuntergängen, der Boden war mit einem flauschigen, cremefarbenen Teppich bedeckt. Die Möbel waren klobig und eckig, die Sofas und Sessel modisch bezogen. Auf den Sofas lagen keine Kissen, nur zwei weiße, langhaarige, gelangweilte Katzen, die sich farblich kaum von der Polsterung abhoben.
Oliver wählte einen Sessel; Marge setzte sich neben eine der gelangweilten Katzen. Das Tier hob den Kopf, beschloß, sich auf den Rücken zu rollen. Marge streichelte ihm den Bauch, und es schnurrte zufrieden. Stacys Augen wurden schmal, betrachteten die Katze wie einen treulosen Liebhaber.
»Wie lange wird das dauern?« blaffte Stacy. »Ich habe zu tun.«
Marge lehnte sich zurück, zog den Notizblock aus ihrer weichen Strohtasche. »Was sind Sie von Beruf?«
»Ich bin Privattrainerin. Ich arbeite für viele wichtige Leute — Leute aus der Industrie.« Industrie bedeutete Hollywood. »Wie lange arbeiten Sie schon als Privattrainerin?« fragte Oliver. »Was soll das sein? Ein Bewerbungsgespräch?« Stacy atmete aus, verschränkte die Arme. »Wieso rede ich überhaupt mit Ihnen? Sie haben das Auto nicht gefunden, oder?«
»Nein«, erwiderte Marge.
»Was wollen Sie dann hier? Ich bin in ein paar Stunden zum Essen eingeladen. Würden Sie jetzt gehen?«
»Wie lange arbeiten Sie schon als Privattrainerin?« wiederholte Oliver.
Stacy betrachtet ihn kalt. »Haben Sie mich das nicht gerade gefragt?«
»Ja, aber Sie haben die Frage nicht beantwortet.« Oliver holte seinen Notizblock aus der Innentasche seines leichten, grauen Jacketts — von Valentino, Secondhand für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises gekauft. »Eine ganz einfache Frage, Ms. Mills.«
»Seit etwa zehn Jahren.«
»Wirklich?« Oliver lächelte. »Sie haben damit schon als Teenager begonnen?«
»Ha, ha, ha ... « Aber das Kompliment ließ sie nicht kalt. »Ich tu was für mein Aussehen. Das muß ich, bei meinen Beruf.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Marge. »Niemand will Rat von jemandem annehmen, der nicht entsprechend aussieht. Wie der übergewichtige Arzt, der einem zum Abnehmen rät.«
»Können wir mit dem Small Talk aufhören? Warum sind Sie hier?«
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen über Armand Crayton stellen«, meinte Marge. »Wußte ich's doch!« Stacy ging auf und ab, ruderte mit den Armen. »Ich hab den Mann nicht gekannt! Aber wenn ich Sie dadurch schneller los werde, behaupte ich auch das Gegenteil.«
»Sie kannten ihn nicht?« wiederholte Marge. »Genau!«
»Sind Sie ihm nie begegnet?« fragte Oliver. Stacy funkelte ihn an. »Doch.«
»Und Sie behaupten immer noch, ihn nicht gekannt zu haben.«
»Wir haben uns nur gegrüßt. >Hallo, wie geht's? Hi, geht's gut? Hey, wie läuft's?< Das heißt nicht, einen Menschen zu kennen.«
»Für mich klingt das, als hätten Sie sich regelmäßig gesehen«, sagte Marge. »Könnten Sie das näher erklären?«
»Ungern.«
Oliver richtete sich plötzlich auf. »Ich habe mit Lark Crayton gesprochen. Sie wirkt sehr fit. Sie ist eine Ihrer Kundinnen, nicht wahr?«
»War«, verbesserte Sracy. »Seit seinem Tod trainiere ich nicht mehr mit ihr. Erstens war sie nicht in der Verfassung. Zweitens wurde das Geld knapp.«
»Mochten Sie sie?« fragte Oliver.
»Sie hat ihre Rechnungen bezahlt. Für mich heißt das, jemanden zu mögen.«
»Waren Sie mit ihr befreundet?«
»Nein.« Stacy blieb stehen. »Sonst noch was?«
»Die Leute erzählen ihren Trainern alles mögliche, oder?« meinte Marge.
»Ja.«
»Sie müssen sich manchmal wie ein Psychiater vorkommen.«
»Manchmal schon«, bestätigte Stacy. »Aber ein guter Trainer bewahrt Stillschweigen, wie ein Psychiater.«
»Doch im Gegensatz zu einem Psychiater«, sagte Marge, »unterliegen Sie nicht der Schweigepflicht.«
»Wenn bekannt wird, daß ich rede, verliere ich meine Kunden, Detective.«
»Das muß ja nicht bekannt werden«, warf Oliver ein. »Warum glaube ich Ihnen nicht?«
»Weil Sie scharfsinnig sind«, erwiderte Oliver. »Als Freund bin ich miserabel, aber ich bin ein ehrlicher Cop.« Er wandte sich bestätigungheischend Marge zu.
»Das zweite stimmt«, bestätigte Marge. »Hören Sie, wir wissen, wie sehr Sie der Überfall erschreckt hat ...«
»Natürlich hat er mich erschreckt! Er hat mich in Panik versetzt! Wenn ich Ihnen trauen soll, dann klären Sie das verdammte Verbrechen auf. Auch ohne meine Hilfe. Dafür bezahle ich schließlich meine Steuern!«
Oliver sagte: »Ms. Mills, Ihre Kunden bezahlen Sie, um in Form zu bleiben oder fit zu werden. Aber wenn sie nicht trainieren oder auf ihr Gewicht achten, können Sie nichts ausrichten. Genauso geht es uns auch. Wenn Sie uns ein paar Hintergrundinformationen geben, könnte uns das sehr viel weiter bringen.«
»Wir wissen, daß Lark unzufrieden mit Crayton war. Erzählen Sie uns die Einzelheiten«, fügte Marge hinzu.
Stacy sah auf die Uhr. Dann ging sie zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser heraus. Sie trank gierig, als hätte ihr Crayton Energie geraubt. »Was wollen Sie wissen? Sie war unglücklich in ihrer Ehe. Weiß Gott kein Einzelfall in dieser Stadt.«
»Worüber hat sie sich besonders beschwert?« fragte Marge.
»Er arbeitete zu schwer, er arbeitete zu lange. Er war nie da, er hatte Freundinnen. Er verdiente nicht genug, obwohl sie in meinen Augen viel Geld hatte. Aber ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, daß viele sogenannte Reiche am Rande des Bankrotts stehen, besonders die aus der Industrie. Selbst wer genug verdient, scheint das Geld nicht halten zu können. Erstaunlich, wie schnell sie die Millionen verpulvern. Wenn nicht für Autos, dann für Klmotten. Und wenn nicht für Klamotten, dann für Schmuck. Wenn sie bei Autos, Klamotten und Schmuck blieben, war das ja okay. Aber dazu kommen die üppigen Partys, die gecharterten Jets, die Dreißig-Meter-Yachten, die drei Ferienvillen zusammen mit der Residenz in Holmby Hills und der Wohnung in New York. Glauben Sie, die wohnen in einem dieser zig Häuser? Ich hab einen Kunden ... der hat eine riesige Wohnung an der Upper East Side, eingerichtet von einem Toparchitekten von Architectural Digest. Glauben Sie, der wohnt dort, wenn er in New York ist? Nein, natürlich nicht. Das würde zu viel Sinn ergeben. Er mietet eine Suite im Carlyle, weil ihm der Zimmerservice gefällt.«
Marge lächelte. »Vielleicht könnten Sie die Wohnung billig von ihm leihen?«
»Er hat mir mehr als einmal angeboten, mich mitzunehmen. Angeblich, um ihn in Form zu halten, wenn er in New York ist. Ja, um seinen Pimmel in Form zu halten.« Sie bückte sich und nahm eine Katze hoch. Das Tier hing über ihren Armen wie ein Muff. »Ich will Ihnen was sagen. Ich verdiene mein Geld auf anständige Weise. Ich bin keine Hure.«
»Da haben Sie viel mit uns gemein«, sagte Oliver. »Wir werden dauernd rumgeschubst ... «
»Wer sagt, daß ich rumgeschubst werde!« Stacy klang gereizt.
»Sie vielleicht nicht, aber wir«, antwortete Marge. »Wir müssen dauernd befürchten, daß die ACLU oder das IAD oder irgendeine Bürgervereinigung uns beschuldigt. Und es ist schwer, methodisch vorzugehen, wenn man jemanden verhaftet, der betrunken oder mit Drogen vollgepumpt oder irrational wütend ist.«
»Tut mir leid, aber mein Herz blutet nicht für die Polizei.« Stacy streichelte die Katze.
»Das sollte es auch nicht«, erwiderte Marge. »Ich nörgele nicht. Ich wußte, was auf mich zukommt, als ich diesen Job gewählt habe. Sie doch bestimmt auch. Sie erzählen den Leuten, daß Sie für all diese reichen Filmstars arbeiten, die Ihnen alles mögliche anbieten. Und die Leute glauben dann, Sie hätten es geschafft. Aber alles hat seinen Preis, nicht wahr?«
»Entschuldigen Sie, aber was hat das mit Crayton zu tun?«
»Sagen Sie es uns«, meinte Oliver. »Sie sind diejenige, die so heftig reagiert hat, als wir seinen Namen erwähnten.«
Stacy drehte sich um, setzte die Katze aufs Sofa. »Na gut. Armand war ein typisches Beispiel. Mit ein bißchen Charme und viel Ehrgeiz hat er sich hochgearbeitet. Er hatte das Haus, die schöne Frau, den Rolls, die Partys und die Kunden, die in seine Projekte investiert haben. Aber unter der Oberfläche war alles auf Treibsand gebaut und konnte jederzeit wegrutschen.« Sie atmete ein, stieß die Luft wieder aus. »Lark hat mir gesagt, daß sie sich Sorgen macht. Er steckte bis über beide Ohren in zwielichtigen Geschäften.«
»Was für Geschäften?« fragte Oliver.
»Lark hat keine Einzelheiten erwähnt, nur daß Armand mit den Zahlungen im Verzug war und dringend Bargeld brauchte. Sein Lebensstil fraß ihn auf. Aber er konnte seinen teuren Kram nicht verkaufen, weil die Leute dann spitzgekriegt hätten, daß er in Schwierigkeiten war. Gleichzeitig gab sie hundert Mäuse pro Stunde dafür aus, daß ich ihr beim Schwitzen zusah. Lark fing immer wieder von dem Auto an. Die Corniche war natürlich geleast, und die Zahlungen rissen ein großes Loch in seine Finanzen.«
»Warum hat er den Wagen nicht einfach aufgegeben?«
»Weil er nicht aus dem Vertrag kam, ohne noch viel mehr zu zahlen, ganz zu schweigen von dem Gesichtsverlust. Sehen Sie, mir geht es so ähnlich. Ich muß eine Fassade aufrechterhalten. Ich fahre einen BMW ... na ja, ich fuhr einen BMW Das gehört zur Show, aber ich hab meinen sehr günstig gekriegt — alles bar bezahlt. Jetzt ist er weg, aber die Versicherung springt ein. Ich könnte genauso am Haken zappeln wie alle anderen. Doch das tu ich nicht, weil ich eine Super-Schnäppchenjägerin bin.« Sie wandte sich an Oliver. »Zum Beispiel Ihr Jackett. Sieht nach Valentino aus. Ich könnte das heute mit fünfundsiebzig Prozent Nachlaß kriegen, weil es aus der Kollektion vom letzten Jahr ist.«
»Da hab ich ja gar nicht so schlecht abgeschnitten«, meinte Oliver. »Ich hab es letztes Jahr für sechzig Prozent gekriegt.«
»Nein, das ist wirklich nicht schlecht. Wo haben Sie's her?«
»Von >Gutes für wenig Geld<.«
»Kenne ich. Saisonware und zweite Wahl.«
»Um noch mal auf den Rolls zurückzukommen«, sagte Marge. »Armand wollte aus dem Leasingvertrag raus?«
»Laut Lark ja. Meine gesamten Informationen habe ich von Lark. Wenn es sich also als Schwachsinn herausstellt, kann ich nichts dafür.«
»Hatte sich Armand Gedanken gemacht, wie er aus dem Vertrag rauskommen könnte?« fragte Oliver.
Stacy seufzte. »Sie hat erwähnt, daß er einen Unfall vortäuschen wollte ... den Wagen gegen eine Mauer fahren und einen Totalschaden hinlegen. Sie fragte mich, ob das verdächtig aussehen würde.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Daß ich es für eine total bescheuerte Idee hielt. Es würde nicht nur verdächtig aussehen, sondern er könnte dabei auch verletzt werden. Gegen Mauern fahren, um einen Totalschaden zu verursachen, das ist nichts für Amateure.«
»Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat das Thema fallenlassen.«
»Und das war's dann?«
»Nein«, gab Stacy zu. »Zwei Wochen später hat sie mich gefragt, ob ich jemanden kenne, der nicht nur bereit wäre, ein Auto zu klauen, sondern es auch noch verschwinden lassen könnte. Als würde ich Verbrecher kennen, nur weil ich viele Leute trainiere.« Stacy schwieg, verschränkte wieder die Arme. »Ich war echt beleidigt.«
»Was haben Sie ihr geantwortet?«
»Daß ich niemanden weiß. Ich hab versucht, ganz ruhig zu bleiben, aber ich war schrecklich sauer. Dann passierte der Autoraub ... nur war es mehr als das. Mann, war ich nervös. Wenn sie das geplant hatte und ich eine Art Mitwisserin war ... was bedeutete das für mich? Mindestens sechs Monate lang hab ich ständig damit gerechnet, daß was passiert.«
»Wie viele Tage lagen zwischen Larks Frage und dem tatsächlichen Überfall?«
»Etwa ein Monat.«
»Und in dem Monat hat sie die Corniche nicht mehr erwähnt?«
»Nein ... zumindest hat sie nichts mehr von Plänen gesagt. Allerdings hat sie sich weiter über Armand beklagt. Daß er nicht mit Geld umgehen kann. Nach dem Uberfall hab ich sie angerufen, um ihr mein Beileid auszusprechen. Sie war nicht zu Hause, rief aber eine Woche später zurück, sagte, sie sei nicht in der Verfassung, jemanden zu sehen. Und selbst wenn sie in der Verfassung wäre, könnte sie sich das Training nicht mehr leisten. Ich hab später noch mal angerufen, aber sie war wieder nicht zu Hause. Dann war nichts mehr. Bis letzte Woche.« Sie wippte mit dem Fuß, nahm noch einen großen Schluck aus der Wasserflasche. »Ich bin unvorsichtig geworden, weil man auf die Dauer mit Paranoia nicht gut leben kann. Ein großer Fehler.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum Ihr Auto geraubt wurde?« fragte Oliver.
»Wer weiß? Das Auto ist auffällig, ich sah verletzlich aus, reiner Zufall oder ... eine Mahnung, den Mund zu halten.« Stacys Augen wurden feucht. »Ich weiß es nicht. Wenn mich jemand warnen wollte, warum dann erst nach einem Jahr?« Sie sah die Detectives an. »Hab ich recht?« Marge und Oliver nickten. Aber das schien sie nicht zu trösten.
»Das ist wie ein Alptraum«, fuhr Stacy fort. »Ich kann nicht essen, ich kann nicht schlafen. Ich nehme mehr Kunden an, als ich sollte, weil die Arbeit die Angst vertreibt. Das ist das einzig Positive. Ich verdiene mehr als gewöhnlich.« Sie hob die andere Katze hoch. Das Tier spürte ihre Anspannung und wand sich in ihren Armen. Aber Stacy hielt es fest. Vielleicht ein bißchen zu fest. »So kann das nicht mehr lange weitergehen. Ich bin vollkommen fertig!«
»Nur noch ein paar Fragen, Stacy, dann lassen wir Sie in Ruhe«, sagte Marge. »Hat Lark je über ihr gesellschaftliches Leben gesprochen?«
»Was meinen Sie damit?«
»Hat sie über ihre Freunde gesprochen?«
»Ja, klar. Sie hat über alles geredet.«
»Können Sie sich an Namen erinnern?«
»O je.« Stacy dachte nach. »Meist war ihr Geplapper reines Hintergrundgeräusch. Ich murmelte zustimmende Laute und sagte, sie sollte das Atmen nicht vergessen.«
»Hat sie je Dexter Bartholomew erwähnt?« fragte Oliver.
»Dexter Bartholomew?« Stacy schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich mich erinnern könnte.«
»Klingelt es da nicht bei Ihnen?«
»Nein. Sollte es?«
»Nicht unbedingt«, antwortete Marge. »Wie ist es mit Elizabeth Tarkum?« Stacy dachte einen Moment nach, schüttelte wieder den Kopf. »Nein.«
»Sie können sich an keine Namen erinnern?«
Stacy schaute gequält. »Das ist alles schon ein Jahr her; ich kann mich total täuschen. Ein paarmal hat Lark von einem Kerl geredet, der ihr As im Ärmel ist. Sie brauchte sich um nichts Sorgen zu machen, weil er Machopower hätte.« Machopower! »Ein Cop?« riet Marge.
Stacy überlegte. »Könnte sein. So wie sie redete, dachte ich eher an die Mafia. Aber ein Cop würde mehr Sinn ergeben, stimmt's?«
»Stimmt«, bestätigte Marge. »Können Sie sich an den Namen erinnern?«
»Irgendwas Deutschklingendes, aber mehr fällt mir nicht ein.« Sie schüttelte den Kopf, stand auf und öffnete die Tür. »Ich bin wirklich zum Essen verabredet.«
»Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben«, sagte Marge.
Stacy knallte die Tür hinter ihnen regelrecht zu. Oliver und Marge gingen schweigend nebeneinander her, merkten, wie kühl es geworden war. Marge knöpfte ihr Jackett zu. »Es ist ein Cop, und deswegen verschweigt sie den Namen. Sie hat eine Scheißangst. Schlechte Cops sind gefährlich.«
»Hey, sogar gute Cops sind gefährlich.«
»Um so verständlicher, daß sie zittert. Was ist, ziehen wir Lark den Namen von ihrem As im Ärmel aus der Nase oder setzen wir Stacy noch mal unter Druck?«
»Wenn wir Stacy unter Druck setzen, haut sie ab.«
»Das glaube ich auch. Ebenso Lark, nachdem sie jetzt die Versicherungssumme kassiert hat. Vielleicht sollten wir abwarten, bis wir am Montag mit der Versicherung geredet haben?« Oliver hob die Augenbrauen. »Wenn es jemals Montag wird. Mann, dieses Wochenende war die Hölle. Und es ist noch nicht mal vorbei.« Marge blieb stehen. »Du rechnest mit mehr?«
Er sah sie an. »Ich mach mir Sorgen um Cindy. Decker hat nichts von ihr gehört, und sie reagiert nicht auf ihren Pager. Das ist nicht gut. Ich fahre zu ihr.«
Marge senkte die Stimme. »Du hast was mit ihr, stimmt's?« Oliver sah weg. »Ich verweigere die Aussage.«.
Um halb zehn trat Cindy aufs Gas, wußte, daß sie zu spät zu Bellini's kam und Hayleys unvermeidlichen Spott ertragen mußte. Drei Stunden lang hatte sie sich ihrer Mutter gewidmet, doch Mom schien beleidigt, als Cindy gehen mußte; als ließe sich Liebe in Minuten lockerer Plauderei messen. Trotzdem fühlte sie sich im Haus ihrer Mutter wohler als bei Bellini's, wo es laut war und voll mit angetrunkenen Polizisten, deren Machoallüren und Dreistigkeiten oft sehr häßlich werden konnten.
Die Hand über den Augen gegen das helle Licht ließ Cindy den Blick durch den Raum wandern und entdeckte Hayley, fast eine Wiederholung von letzter Woche, an einem Tisch mit Andy Lopez und seinem Partner Tim Waters. Da saßen auch noch andere, einschließlich Slick Rick Bederman, der Hayley durchdringend anstarrte. Während er sprach, drehte er an seinem Ehering, als sei der ihm unangenehm. Links von Bederman saß Sean Armory, ebenfalls verheiratet, was ihn nicht daran hinderte, mit seinen babyblauen Augen alle Frauen zu taxieren. Und Carolyn Everet, seit sechs Jahren bei der Polizei, eine einsachtundsiebzig große, langbeinige Blondine. Sie tranken Schnäpse und lachten sich schief. Fehlten nur Tropper, Ron Brown und Beaudry.
Cindy hätte am liebsten kehrtgemacht. Die Vorfälle der letzten Tage machten sie äußerst nervös — schneller Puls, schweißnasse Hände, unruhiger Blick. Aber sie war entschlossen, ihren Ängsten nicht nachzugeben. Sie schlenderte zum Tisch hinüber, zog sich einen Stuhl heran, und setzte sich rittlings zwischen Bederman und Everet. Hayley reichte ihr einen Schnaps. »Wie lief s bei Mama?« Cindy goß den Schnaps mit einem Schluck runter. »Neurotisch.« Sie wandte sich an Carolyn Everet. »Cindy Decker. Ich hasse deine Beine. Nicht, daß sie häßlich wären. Ich wünschte nur, sie wären meine.«
»Liegt an den Genen, Mädchen«, erwiderte Carolyn. »Genau wie dein rotes Haar.«
»Wir können tauschen«, sagte Cindy.
»Sei vorsichtig mit deinen Wünschen.« Carolyn nahm eine von Cindys Locken zwischen die Finger. »Eines Tages könnte ich darauf zurückkommen.«
»Trink noch einen«, meinte Hayley. »Ertränk deine Sorgen mit Mr. Cuervo.« Cindy nahm das Glas, hob es an die Lippen, nippte aber nur. Mit dem ersten hatte sie ihre gesellschaftliche Pflicht erfüllt. Jetzt konzentrierte sie sich darauf, einen klaren Kopf zu behalten. »Und, was ist während meiner Abwesenheit in der wunderbaren Hollywoodwelt passiert?« Lopez antwortete: »Das Übliche.« Seine Hände lagen um ein großes Glas mit etwas Kaltem und Klarem. »Drecksäcke und Arschlöcher.«
»Wir haben uns gerade gefragt, wo Doogle ist«, meinte Carolyn. »Ich hab nicht viel Geld dabei und hatte gehofft, meine schlanken Beine würden meinen Kredit erhöhen.«
»Würden sie auch, wenn du sie spreizt«, sagte Waters.
»Red du nur«, erwiderte Carolyn. »Leihst du mir einen Zwanziger, Dreamboy?«
»Was krieg ich dafür?«
»Mein Wohlwollen. Vielleicht darfst du mir nächstes Mal die Füße küssen. Und denk dran, Waters. Meine Füße sind der unterste Teil meiner Beine.« Waters nickte nachdenklich, reichte ihr zwei Zehner.
Lopez grinste. »War das nicht das Kinogeld für dich und dein Frauchen?«
»Ich geh mit ihr ins Rialto. Auf allen Plätzen nur zweifünfundsiebzig.« Carolyn hielt die Scheine hoch. »Danke, Waters.«
»Wenigstens könntest du dich zu mir setzen und dir meine Probleme anhören.« Er sah betont zu Cindy rüber. »Hier wird's ein bißchen voll. Ich glaube, da drüben ist ein freier Tisch.« Carolyn seufzte. »Mach dir keine Hoffnungen. Damit das klar ist. Aber wenn du reden willst, sollte ich dir wohl für zwanzig Mäuse ein wenig mein Ohr leihen.«
Waters stand auf. »Ich brauch nur eine Schulter zum Ausheulen. Und weil deine so hübsch ist ... «
»Bla, bla, bla.« Carolyn erhob sich. »Bis später. Timmy muß seine feminine Seite ausleben.«
Hayley sah ihnen nach, schaute sich im Raum um, als sei es unbekanntes Territorium. Zuerst schien sie nach jemandem zu suchen, wandte sich dann plötzlich Cindy zu. »Nimm's nicht persönlich ... daß sie gegangen sind. Das geht schon den ganzen Abend so.«
»Solange es nicht an meinem Mundgeruch liegt.«
»Dein Mundgeruch ist in Ordnung«, sagte Bederman.
Cindy schenkte ihm ein Lächeln, schwieg aber.
»Wie läuft's mit deinem Partner?« fragte Bederman.
»Beaudry?« Cindy zuckte die Schultern. »Gut ... oh, stimmt ja. Ihr seid früher zusammen Streife gefahren.«
»Jep.«
Cindy nickte, ließ die ungestellte Frage Warum hast du den Wechselbeantragt? im Raum stehen. »Beaudry sagt, du wärst smart«, meinte Bederman. »Ihr redet noch miteinander?«
»Dauernd. Er ist ein prima Kerl. Wir sind nur keine Partner mehr.«
Cindy wartete auf weitere Erklärungen. Aber es kam nichts. »Klingt gut. Ich weiß, daß Beaudry mich für einen Klugscheißer hält.«
»Jeder hält dich für einen Klugscheißer, Decker«, mischte sich Lopez ein. »Du bist wirklich klug, und du baust viel Scheiß mit deinem Knackarsch.«
»Mann, Lopez, da hast du aber einen tollen Witz gemacht«, bemerkte Hayley trocken. »Bei den Zwölfjährigen bist du bestimmt der totale Renner.«
Lopez' Gesicht verdüsterte sich. Cindy sank das Herz. Lopez stand immer noch auf ihrer Liste der Verdächtigen, und ihn zu verärgern, war das letzte, was sie brauchte. Sie versuchte, seine Verlegenheit mit einem Lächeln abzulenken. Aber das ermutigte ihn nur, weiter ins Fettnäpfchen zu treten. »Marx wiederum gilt als sehr zugeknöpft ... das heißt, wenn sie nicht gerade sehr aufgeknöpft ist.«
Die anderen buhten, aber Hayley lachte nur. »O je, o je, Andy, du kannst Witze reißen. Du solltest das Ergebnis deines letzten Intelligenztests hinterfragen. Die haben bestimmt einen Fehler gemacht, als sie dich als schwachsinnig eingestuft haben.«
Bei diesem Schlagabtausch fühlten sich alle unwohl. Sean Amory sagte: »Laß ihn doch in Ruhe, Marx. Er ist Anfänger.«
»Anfänger zu sein, ist keine Entschuldigung für Humorlosigkeit.«
»Lange dabei zu sein, ist keine Entschuldigung für Zickigkeit.« Lopez stand auf, warf dabei seinen Stuhl um. »Bis später.«
Hayley schob sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. »Tja, jetzt hat er's mir gegeben.« Sie sah Bederman und Amory an. »Haltet ihr mich für zickig?«
»Alle Frauen sind manchmal zickig«, erwiderte Bederman. »Genau wie alle Männer manchmal Drecksäcke sind. Aber du solltest dir jemanden aussuchen, der dir gewachsen ist.«
»Dann muß er sich eben anstrengen.«
»Lopez imitiert nur Waters«, warf Amory ein. »Er hat einen Scheißkerl als Partner. Er glaubt, er muß auch ein Scheißkerl sein. Sei nicht so streng mit ihm.«
»Warum sollte ich? Andy ist ein Wichser.«
Alle schwiegen. Hayley stand auf. »Es reicht nicht, eine verdammte Frau in einer männerdominierten, paramilitärischen Organisation zu sein, ich muß auch noch Florence Wie-hieß-sie-gleich für die schwächeren Mitglieder eures Geschlechts spielen, damit denen der Pimmel nicht wie Wurstpelle verschrumpelt. Bin gleich wieder da.«
Am Tisch war es plötzlich sehr leer geworden. Cindy hatte es in weniger als fünf Minuten geschafft, daß sie statt zu siebt nur noch zu dritt waren. Sie fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Die beiden Männer schienen sie kritisch, wenn auch heimlich zu mustern. Bederman brach das Schweigen. »Du bist ja eine ganz Ruhige.«
Cindy lächelte. »So ist es sicherer.« Bederman wollte sich noch einen Drink eingießen, hielt aber inne. »Ich sollte heimgehen. Hab meiner Frau gesagt, ich bin um zehn zurück.« Er sah auf die Uhr, wandte sich an Amory. »Was ist mit dir?«
»Geh du nur. Ich bleib hier bei der Kleinen, bis Marx zurückkommt.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Cindy. »Ich brauch keinen Babysitter. Und Alleinsein macht mir nichts aus.«
Amory lächelte. »Dann hast du dir den falschen Ort ausgesucht.«
»Warum bist du hier?« fragte Bederman.
»Bei Bellini's? Wegen Hayley. Wir wollten uns hier treffen. Statt essen zu gehen.«
»Magst du Hayley?« wollte Bederman wissen. »Ja.«
»Sie hat viel Mist gebaut. Mit zu vielen verheirateten Männern geschlafen. Jetzt ist sie verbittert. Mach nicht denselben Fehler.«
»Keine Bange. So bin ich nicht.« Bederman sah sie durchdringend an. »Wie bist du dann?«
Sie wußte nicht, ob er sie taxierte. Ob er sie anmachen wollte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt:
Noch ein Mann, der zu ihrer Beunruhigung beitrug. »Das ist eine gute Frage mit vielen Antworten, Bederman. Im Moment bin ich etwas müde und habe Kopfschmerzen.«
»Brauchst du eine Tablette?«
»Danke, ich hab schon welche geschluckt.«
»Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?« fragte er unschuldig.
»Nein, ich hab mein Auto dabei. Aber trotzdem danke.« Bederman schien plötzlich das Interesse zu verlieren. Er wandte sich wieder an Amory. »Kommst du morgen das Spiel anschauen?«
»Ja. Ich bring die Familie mit.«
»Gut, bring du die Familie und das Bier. Ich sorg fürs Essen.«
»In Ordnung.«
Bederman ging. Cindy sah über die Schulter. Hayley saß neben Lopez, vorgebeugt, nickte, während er redete. Offenbar hatten sie Waffenstillstand geschlossen. Zu Amory sagte sie: »Ich komm wirklich allein zurecht.«
»Das glaub ich dir. Weißt du, ich mag Marx nicht, aber Lopez hätte das wirklich nicht sagen sollen. Du solltest ihm das nicht einfach durchgehen lassen.«
»Den knöpf ich mir schon vor, aber nicht in der Öffentlichkeit. Ich bring Leute nicht gern in Verlegenheit.«
»Bei Tropper hat dir das nichts ausgemacht.«
Cindy merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. »Meinst du die Sache vor einer Woche? Das war doch nichts Dolles.«
»Für dich vielleicht nicht, aber der Sergeant war ziemlich sauer. Wenn du nicht diesen Nachnamen hättest, stände da bestimmt ein dicker schwarzer Punkt neben deiner Quartalsbeurteilung. Aber weil dein Vater Einfluß hat, wird sich Tropper zurückhalten.«
»Ich hab nur mein Bestes gegeben, Amory.«
»Das Beste ist nicht immer das Richtige.«
»Ich bemühe mich ja um ihn.« Wieder wurde sie rot. Wie das klang! »Ich meine, ich hab den Papierkram für ihn erledigt.«
»Ja, alle wissen, daß du seine Berichte tippst; sie sind verständlich.«
»O nein.« Cindy verzog das Gesicht. »Quatschen die anderen ihn darauf an?«
»Sie glauben, du schläfst mit ihm. Und Tropper streitet es nicht ab.«
Instinktiv warf Cindy den Kopf zurück, als hätte sie einen Schlag gegen das Kinn bekommen. »Das ist nicht nur falsch, das ist total absurd!« Aber sie empfand mehr Furcht als Wut. Amory breitete die Arme aus. »Laß es nicht an dem Boten aus. Vielleicht kannst du dem ein Ende machen und seine Berichte nicht mehr tippen.«
»Beaudry hatte das vorgeschlagen.«
»War wohl kein guter Tip.«
Cindy sah ihn an, unsicher, ob er Freund oder Feind war. »Ich sollte einfach meinen Job machen und nicht mehr auf den Rat anderer hören. Wer glaubt, daß ich mit Tropper schlafe?«
»Da scheint es zwei Lager zu geben«, erwiderte Amory. »Die Machos sagen >Tja, typisch, 'ne Schlampe, die sich nach oben schläft.< Dann gibt's da noch andere Affen, die wissen, daß du Decker heißt und nicht blöd bist ... zumindest nicht so blöd. Vor allem nicht, um was mit Tropper anzufangen.«
»Ich schlafe nicht mit Clark Tropper. Genaugenommen schlafe ich momentan mit niemandem, weder mit Cops noch mit anderen. Mein Liebesleben ist total zum Stillstand gekommen.«
»Das läßt sich ändern.«
»Aber mit keinem von euch«, sagte Cindy. »Vielen Dank, ich behalte lieber meinen Nonnenstatus bei. Du könntest mir einen Gefallen tun und das verbreiten.«
»Daß du eine Nonne bist.«
»Daß bei mir Zutritt verboten ist.«
Amory stand auf. »Ich glaube, das war das Stichwort für meinen Abgang.«
»War nett, mit dir zu reden, Amory.« In wenigen Minuten hatte Cindy es geschafft, alle zu vertreiben. Mann, brachte sie Leben in die Bude! Nach einer Ewigkeit besaß Hayley die Freundlichkeit zurückzukommen. Sie warf Cindy einen fragenden Blick zu. »Du siehst fix und fertig aus.«
»Amory hat gesagt, alle glauben, daß ich mit Tropper schlafe. Stimmt das?«
»Amory hat wohl gehofft, daß du mit Tropper schläfst«, antwortete Hayley. »Weil du, wenn du so dämlich wärst, auch auf ihn reinfallen könntest.«
»Du hast die Frage nicht beantwortet. Hast du was läuten gehört?«
»Nichts Ernstes. Amory ist ein Schürzenjäger. Er hat's bei dir versucht. Es hat nicht funktioniert. Vergiß es.«
Cindy ersparte sich die Frage, woher Hayley das wußte. »Was ist mit Bederman?«
»Frag nicht.« Marx rieb sich die Stirn. »Gott, mir stinkt diese Kneipe. Warum sind wir hier?«
Weil du es wolltest! lag Cindy auf der Zunge. Statt dessen sagte sie: »Laß uns irgendwo in Ruhe einen Kaffee trinken.«
»Klingt gut. Wie wär's bei dir?«
Warum um alles in der Welt wollte Hayley dorthin? Hm das zu beenden, was sie letzte Nacht angefangen hatte? Aber so, wie sie es sagte, klang es beinahe romantisch ... als hätte sie es gern gemütlich. Bei Cindys momentanen Rochus auf die Kerle klang es verlockend. Beinahe. »Hast du die Sache mit Lopez geklärt?«
»Ja, klar.«
»Wo ist er?« Cindy sah sich um. »Ich seh ihn nirgends. Wo ist er hin?«
»Ich weiß nicht.« Hayley schaute in die Runde. »Vorhin stand er noch an der Theke. Egal. Laß uns gehen.«
Cindy hängte sich die Tasche über die Schulter. »Weißt du, wo ich wohne?«
»Keine Ahnung.«
»Dann fahr mir nach. Ich kann einen guten Cop gebrauchen, der auf mich aufpaßt.«
Hayley runzelte die Brauen. »Wieso?«
»Mir ist in letzter Zeit einiges passiert. Komm.«
Hayley rührte sich nicht. »Was ist dir passiert?«
Sie klang eher besorgt als überrascht. Cindy hätte mißtrauisch sein sollen, vorsichtig. Aber sie wollte sich dieser Frau anvertrauen. Was hatte Hayley an sich, das Cindys Vertrauen weckte? »Ich erzähl's dir später«, sagte Cindy. »Nicht hier. Vor allem nicht hier.«