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Da es Wochenende war, spielte eine Live-Band im Cactus Corral. Musik dröhnte durch den Raum und hämmerte gegen die Trommelfelle, ein ohrenbetäubendes Jammern von Steelgitarren in gnadenlosem Rhythmus. Diese Musik war wie ein Rammbock – dafür gemacht, Hemmungen niederzureißen, damit die Gäste offen für Alkohol und Drogen waren und sich mit den anderen Körpern zusammen auf der Tanzfläche austobten. In der donnernden Dunkelheit war es einfach, mit einem vollkommen Fremden zu tanzen; den Job, den man verloren, die Frau, die einen verlassen hatte, unbezahlte Rechnungen und unerfüllte Träume zu vergessen.
Nur neben dem Mann mittleren Alters mit dem Schnurrbart in der Farbe schwachen Tees und den strahlend weißen Zähnen war noch ein Platz frei. Er war schlank, aber nicht athletisch gebaut und sah wie ein Buchhalter aus, der mit seinem Körper genauso sorgsam umging wie mit dem Geld seiner Klienten. Obwohl er ein wenig älter war als die meisten anderen, fiel er nicht besonders auf. Aber trotz der zahlreichen Gäste, die sich an der Bar drängten und um die Aufmerksamkeit des Barkeepers wetteiferten, blieb der Platz neben ihm frei. Und niemand schien es zu bemerken.
Auch die piepsige Stimme, die von dem Barhocker kam, nahm keiner wahr. „Hast du die Brüste von der Blonden gesehen?“
Patrick Harlowe hörte die Stimme, beachtete sie aber nicht.
„Honigmelonen“, sagte die Stimme verträumt. „Groß und fest. Vielleicht kann ich bei ihr landen.“
Verdammtes kleines Monster. Warum übertönte die laute Musik es nicht? Er lehnte sich über die verschrammte Bar und rief dem Barkeeper seine Bestellung zu.
„Mit der letzten hattest du ein paar Probleme, aber diese Blonde könnte einen Toten wieder zum Leben erwecken. Verstehst du mich? Seinen Schwanz wieder zum Leben erwecken.“ Ein mädchenhaftes Kichern ertönte.
In dem Lärm der unsäglichen Band hätte Patrick kaum sein eigenes Wort verstanden, doch dieses Glück war ihm bei der Kreatur an seiner Seite nicht beschieden. „Halt den Mund.“
„Ha! Halt du den Mund. Oder sie denken noch, du bist verrückt, wenn du weiter mit dir selbst redest.“
Patrick senkte den Blick. Er sah ein kurzes, gedrungenes Etwas mit glitschiger orangefarbener Haut – viel Haut, weil es sowohl haarlos als auch nackt war. Es stand auf zwei Beinen, die eher wie die Keulen eines Tieres und nicht wie menschliche Glieder geformt waren. Der Schwanz und die leichte Neigung nach vorne ließen die Kreatur ungefähr wie ein stämmiges Känguru aussehen. Die Arme allerdings waren wie die eines Menschen, mit fünf Fingern an jeder Hand. Der Kopf war rund, hatte keine sichtbaren Ohren und einen breiten Schlitz anstelle des Mundes.
„Stinkender Hermaphrodit“, murmelte Patrick. „Warum schielst du überhaupt nach Brüsten? Spiel mit deinen eigenen.“
„Das tue ich auch. Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch gern mit ihren spielen würde.“ Der kleine Dämon zwinkerte der blonden Frau zu, die nichts ahnend ein paar Schritte weiter mit ihrem Freund plauderte.
„Vergiss es“, sagte Patrick. Jetzt musste er den hässlichen kleinen Mistkerl noch ertragen, aber das war nur vorübergehend. Genau wie das Abhängen in Löchern wie diesen. Alles nur vorübergehend.
Das hieß nicht, dass er die schlitzäugige Schlampe vergessen hatte, die ihm das alles eingebrockt hatte. Sie würde bekommen, was sie verdiente. Seine Mundwinkel hoben sich. Oh ja, sie würde bezahlen, und er würde derjenige sein, der ihr die Rechnung präsentierte. Zuerst war er wütend gewesen, weil es ihm nicht erlaubt worden war, sie zu töten, aber so war es noch besser. So würde sie sehr lange büßen müssen.
„Vielleicht solltest du dich an die Blonden halten. Die Braunhaarigen erinnern dich an sie, was?“
Mit einem Schlag leerte sich Patricks Geist. Sein Herz schlug so schnell und hart in seiner Brust, dass es alles andere ausblendete – Gedanken, Erinnerungen …
Er würde nicht darüber nachdenken. Außerdem war seine Erinnerung an das, was geschehen war, löchrig. Eines aber wusste er sicher, und das war das Wichtigste: Sie war in der Hölle, und er war hier. Ihm ging es gut. „Dummer kleiner Scheißkerl. Du weißt ja nicht, was du da sagst. Sie ist Chinesin – mit schwarzem Haar, nicht braunem.“
„Die meine ich nicht. Ich meine … He, pass doch auf!“
Patrick hatte die glitschige orangefarbene Haut mit seinem Stab gestreift und ihr damit einen kleinen Energiestoß versetzt. Er lächelte. Es tat gut zu sehen, wie der kleine Scheißkerl zusammenzuckte.
„Sei lieber vorsichtig mit dem Ding! Wenn du mich frittierst, wirst du Ärger bekommen!“
„Ich werde sehr vorsichtig sein“, versicherte ihm Patrick feierlich und gab dem Dämon damit zu verstehen, dass er es nicht ernst meinte. Es war an der Zeit, dass die Kreatur verstand, wer hier das Sagen hatte. „Und du wirst ebenfalls vorsichtig sein, nicht wahr?“
Der Dämon rieb sich die leicht schwelende Schulter und grummelte leise in sich hinein.
Patrick, der sich jetzt besser fühlte, wandte sich ab und bemerkte, dass der Mann, der ganz in ihrer Nähe stand, ihn beobachtete wie jemanden, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
Besser, er kümmerte sich darum. Er lächelte und streichelte mit dem Zeigefinger über den Stab. Der Mann – ein Cowboy-Typ, dessen senfgelbes Hemd über einem Bierbauch spannte – entspannte sich und lächelte zurück. Er sagte etwas, aber Patrick konnte es nicht verstehen, weil die Musik so laut dröhnte. Patrick schüttelte den Kopf, immer noch lächelnd, und deutete auf seine Ohren.
Bevor der Bierbauch zu einem Problem werden konnte, schob der Barkeeper Patrick seinen Drink zu. Patrick wandte sich ihm zu, die linke Hand um den Stab gelegt, mit netter und freundlicher Miene: „Danke, du Arsch.“
Der Mann blinzelte erstaunt. In dem Höllenlärm hatte er nicht verstanden, was Patrick genau gesagt hatte. Er hatte nur den Ton gehört, Patricks melodiöse, schleppende Stimme … deren Wirkung verstärkt wurde durch den – unsichtbaren – Stab.
Keiner dieser Dummköpfe sah das, was wesentlich war. Sie sahen nicht den Dämon, nicht den Stab, sondern nur das, was Patrick ihnen von sich zeigen wollte. So wie jetzt auch. Als die Musik plötzlich verstummte, stammelte der benommene Barkeeper: „Das geht aufs Haus. Dein Drink, der geht aufs Haus, Mann.“
„Sie haben mich wiedererkannt“, sagte Patrick, und in seiner Stimme klang leiser Kummer mit. „Ich hoffe, Sie sagen niemandem, dass ich hier bin. Manchmal brauche ich einfach ein wenig Abstand, verstehen Sie? Um mich unter normalen Leuten zu entspannen.“
„Scheiße, nein, natürlich nicht, ich werde nichts sagen. Ich lasse Ihre Tarnung nicht auffliegen, auf keinen Fall, Mann.“
„Danke.“ Patrick wandte ihm den Rücken zu und fragte sich, für wen er ihn hielt. Für jemanden mit Einfluss, so viel war klar. Jemanden, den der Mann insgeheim bewunderte. Aber zu wem würde ein Stück Scheiße wie er aufsehen?
Unwichtig. Es war einfacher, wenn sie sich alle ihr eigenes Bild von ihm machten. Er musste sie nur davon überzeugen, dass er wichtig war, jemand, den man bewundern und dem man dienen konnte. Darin war er immer schon gut gewesen. Nun, mit dem Stab in seinem Besitz, der ihm half, war er unbesiegbar.
„Unbesiegbar“, murmelte er in sein Glas, bevor er noch einen Schluck nahm. Das hörte sich gut an – und so wahr. Die Schlampe würde letztendlich nicht gewinnen, denn er würde derjenige sein, der sie besiegte. Höchstpersönlich. Seine Hand liebkoste den Stab.
Die Band stimmte einen weiteren Song an, der vom Boot-Stomping-Tanzen handelte, mit einem schweren, treibenden Rhythmus. Patricks Mund wurde schmal. Er hasste Countrymusic. Lauter Verlierer, die über ihr beschissenes Leben jammerten.
„Was ist, willst du die Blondine ficken oder sie nur anmachen?“
Jetzt konnte Patrick den kleinen Schwachkopf mit der großen Klappe nicht länger ignorieren. Auf der Suche nach der Richtigen ließ er den Blick weiter über die Menge schweifen. Der Stab war nicht sehr wählerisch. Er würde nehmen, was er ihm fütterte – und er musste oft gefüttert werden. Denn Sie hatte etwas mit ihm gemacht, ihn verändert, als er an … diesem Ort gewesen war. Mit Ihr.
Aber das war Teil des Plans. Alles war Teil des Plans, und das war auch gut so, alles in allem, obwohl er besorgt gewesen war, als ihm aufging, wie oft … aber ein guter Handwerker pflegt sein Werkzeug. Das hatte sein Vater immer gesagt. Was war der Stab schließlich anderes als ein Werkzeug? Sein Werkzeug.
Dort. Das Mädchen in dem roten T-Shirt und dem kurzen schwarzen Rock. Die war heute aufs Amüsieren aus, das war offensichtlich. So, wie sie den Cowboy, mit dem sie tanzte, anlächelte … Die würde er leicht auseinanderbringen können. Patrick ging an den Rand der Tanzfläche, um bereit zu sein, wenn der Tanz endete.
Vielleicht würde er, wenn er einmal an der Macht war, Countrymusic gesetzlich verbieten. Tod allen, die Kenny Chesney anbeten, dachte er und kicherte.
Das Mädchen warf ihren Kopf hin und her, dass ihr braunes Haar flog – ein schimmernder hellbrauner Heiligenschein aus Jugend, Bewegung und Licht. Aber auch das war vergänglich. Ganz sicher.