DER STAB DES HEILIGEN PATRICK

* 1689 *

Maurice Smith starrte auf die alte Truhe. Er hätte sie schon vor Jahren öffnen sollen.

Es war ein strahlender Märztag, und der Wind fand flüsternd seinen Weg nach Rathconan wie ein leises Versprechen, das vom Meer heraufkam.

Die Truhe hatte seinem Vater Walter gehört. Sie war seit dessen Verschwinden aufbewahrt worden. Maurice wusste, dass sie alte Papiere enthielt, aber das war auch alles, was er wusste. Und seinen Vater konnte er nicht fragen. Niemand wusste, was aus Walter Smith geworden war. Man hatte angenommen, er sei unterwegs ausgeraubt und ermordet worden, nachdem er fortgegangen war. Manche hatten sogar vermutet, er habe sich den royalistischen Kräften angeschlossen. Aber das schien nicht zu ihm zu passen. Außerdem gab es dafür nicht den geringsten Beweis. Und das war auch gut so. Hätte man genau gewusst, dass er an den Kämpfen teilgenommen hatte, so wäre es seiner Familie nach Cromwells Sieg womöglich noch schlechter ergangen.

Was auch immer aus Walter geworden sein mochte, seine Papiere und andere persönliche Dinge waren aufbewahrt worden. Als das Leben für einen katholischen Kaufmann in Dublin unerträglich geworden war, hatte sich Maurice nach Frankreich abgesetzt. Die Doyles hatten freundlicherweise seine Mutter, Anne, aufgenommen und die Truhe mit den Papieren und der übrigen Habe auf ihrem Dachboden verstaut. Dort war sie geblieben, auch nach Maurices Rückkehr, bis er sie sich vor ein paar Jahren geholt hatte.

Maurice musste gestehen, dass er die Truhe eigentlich nur aus Faulheit nicht schon früher untersucht hatte. Nun aber, da so wunderbare Dinge geschahen und die Hoffnung bestand, dass sich für die Katholiken in Irland vieles zum Guten wendete, hatte er sich gefragt, ob in dem Behältnis nicht vielleicht Urkunden oder sonstige Dokumente waren, die seiner Familie dienlich sein konnten. Die Truhe war mit drei verschiedenen Schlössern gesichert. Doch bei den persönlichen Dingen seines Vaters hatte sich eine ganze Sammlung von Schlüsseln gefunden, und er hatte ohne große Mühe die passenden herausgesucht. Jetzt zog er die Truhe, nachdem er sie aufgeschlossen hatte, an ein Fenster, setzte sich auf einen Hocker und öffnete den Deckel.

Zunächst war er ein wenig enttäuscht. Die Dokumente schienen ausschließlich die alte Gilde von St. Anne und gar nicht die Familie zu betreffen. Doch als er feststellte, dass sie bis in die Zeit der Reformation zurückreichten, begann er sie zu lesen, und dabei erfuhr er so viel über das Leben der Gläubigen in jenen Tagen, dass er bald ganz gefesselt war. Eine Stunde verging, ehe er auf ein Dokument aus dickem Papier stieß, das sorgsam zusammengefaltet und mit rotem Siegelwachs verschlossen war. Darauf stand in schwungvoller Handschrift:

 

EIDLICHE AUSSAGE MASTER MACGOWANS BEZÜGLICH DES STABS

 

Das Siegel war unversehrt. Er brach es auf und begann zu lesen. Ihm stockte der Atem.

Offensichtlich hatte der Kaufmann seine Aussage mündlich gemacht, und ein Mitglied der Gilde hatte sie niedergeschrieben. Sie war in der ersten Person verfasst, doch an manchen Stellen wechselte sie in die dritte: »Master MacGowan schwört, dass sich die Ereignisse in genau dieser Weise zugetragen haben.« Doch das war unwichtig. Wichtig war nur der Inhalt. Denn der Stab, um den es ging, war der Bischofsstab des heiligen Patrick.

Der Bachall Iosa: die heiligste Reliquie in Irland. Natürlich kannte Maurice die Geschichte von seiner Zerstörung. Anno 1538, als König Heinrich Viii., dieser ketzerische Unhold, befohlen hatte, alle Reliquien in Irland zu verbrennen, war der Bischofsstab des heiligen Patrick, den der Heilige über ein Jahrtausend zuvor in Händen gehalten hatte, aus der Christ-Church-Kathedrale geholt und mitten in Dublin öffentlich verbrannt worden. Ein größerer Frevel, eine größere Beleidigung Irlands war nicht vorstellbar. Die verbrecherische Tat war nie vergessen worden. Der Bischofsstab war verloren.

Oder doch nicht? Seit jener Zeit war immer wieder das Gerücht aufgekommen, dass der Stab möglicherweise gerettet worden sei. Etwa zwanzig Jahre nach der Verbrennung war gemunkelt worden, er existiere noch. Danach war es vorübergehend still um ihn geworden. Maurice hatte das Ganze stets für eine Legende halten, für mehr nicht. Dann, vor drei Jahren, hatte in Dublin die Geschichte die Runde gemacht, dass der Bischofsstab in der Grafschaft Meath wieder aufgetaucht sei. Aber Maurice war nie einem Menschen begegnet, der ihn tatsächlich mit eigenen Augen gesehen hatte.

Der Bericht Master MacGowans besagte etwas anderes. An jenem schrecklichen Tag, als die Soldaten ganze Wagenladungen heiliger Gegenstände zum Feuer karrten, war er in die Kathedrale gelaufen. Er sah, dass man den Bischofsstab bereits aus seinem Behältnis genommen hatte, und als die Vandalen des Königs einen Augenblick abgelenkt waren, bemächtigte er sich des Stabs und flüchtete. Er versteckte ihn in seinem bescheidenen Haus. Tags darauf verließ er zusammen mit Ratsherr Doyle unauffällig die Stadt und brachte den Stab zu einer frommen, »den Mitgliedern dieser Gilde bekannten« Familie in Kildare. Der Name wurde nicht genannt. Dafür war die Angelegenheit zu geheim. Maurice vermutete, dass es sich um eine der alten Familien handelte, aus denen viele Klostervorsteher und Priester hervorgegangen waren und die teilweise schon zu Lebzeiten des Heiligen im Dienst der Kirche gestanden hatten.

Die Aussage war von Ratsherr Doyle eidlich bezeugt. An ihrer Echtheit konnte kein Zweifel bestehen. Und während Maurice das Dokument in Händen hielt und über die Tragweite seiner Entdeckung nachsann, begann er zu zittern.

Die späteren Berichte über ein Auftauchen des Stabes entsprachen offensichtlich der Wahrheit. Eine der bedeutendsten Reliquien der Christenheit wurde mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo im Umkreis von vierzig Meilen um Dublin aufbewahrt. Und damit nicht genug: Für die verletzten und gedemütigten Katholiken Irlands war der Stab ein religiöses und nationales Symbol, ein Gegenstand des Stolzes, der Verehrung und der Erbauung, der nur darauf wartete, in ihrer Mitte hochgehalten zu werden. Und wenn der Stab jetzt den Menschen gezeigt wurde und ihre ketzerischen Herrscher zu behaupten wagten, es handele sich um eine Fälschung, so hielt er hier in seinen Händen den sprechenden Beweis für seine Echtheit.

Dass er in einer Zeit wie dieser ein solches Dokument gefunden hatte, war ein Zeichen des Himmels. Er sprach rasch ein Gebet.

Als Nächstes musste er überlegen, was zu tun war. Vorläufig war es wohl das Beste, die Angelegenheit geheim zu halten. Das Dokument war von unschätzbarem Wert, für die katholische Sache wie auch für ihre Feinde. Aber niemand wusste von seiner Existenz. In der Truhe war es sicher aufgehoben. Doch er musste jemanden einweihen. Jemanden, dem er vertrauen konnte. Und er würde auch Hilfe brauchen. Er musste nicht lange überlegen. Wessen Familie war fester im Glauben und verschwiegener als die seines Cousins Donatus Walsh? Noch am selben Nachmittag schrieb er einen kurzen und sorgsam formulierten Brief. Er nannte keine Einzelheiten, sondern teilte seinem Cousin lediglich mit, dass er ihn in einer hochwichtigen Angelegenheit, den Glauben betreffend, sprechen müsse, und bat ihn dringend, sich in drei Tagen, am Sonntag, vor dem alten Stadthaus in Dublin mit ihm zu treffen. Dann gab er den Brief einem Knecht. Wenn der Mann sofort losritt, konnte er bei Einbruch der Dunkelheit in Dublin sein und den Brief am nächsten Morgen in dem Haus in Fingal abliefern. Der Zeitpunkt für das Treffen in Dublin konnte nicht günstiger gewählt sein. Sie würden ohnehin beide dort sein.

Denn dies war der Grund, warum sein Fund ein Zeichen Gottes sein musste: Irland hatte einen katholischen König bekommen, und am Sonntag wurde er in Dublin erwartet.

***

Donatus Walsh war nicht zu Hause, als der Brief eintraf. Er war zum Brunnen des heiligen Marnock geritten. Jetzt sank er dort auf die Knie und dankte Gott für Irlands Befreiung.

Vierzig Jahre waren seit der schrecklichen Landung Cromwells vergangen: vierzig Jahre, in denen die Familie Walsh niemals, auch nicht in den finstersten Tagen, den Glauben verloren hatte. Und an Beweisen für Gottes Gnade hatte es nicht gefehlt. Doch wer hätte gedacht, dass sich jetzt alles auf diese Weise zum Guten wenden würde?

***

Donatus liebte diesen heiligen Ort. Wie oft war er mit seinem Vater Orlando hierher gekommen. Und dank seinem Vater hatte er einen großen Teil seiner Kindheit in Fingal verbringen können, auf diesem Gut, das er so gut kannte und innig liebte. Die Devise seines Vaters war einfach gewesen: Verliere nie den Glauben und harre aus.

Er hatte den Glauben nie verloren. Und er hatte ausgeharrt.

Nach dem abscheulichen Massaker in Drogheda hatte Orlando, so sehr es ihm auch widerstrebte, weiter an Dublin Castle Pachtgeld entrichtet und Dublins Soldaten mit Lebensmitteln versorgt. Cromwell hatte sich gewaltsam einen Weg durch Irland gebahnt, aber er war nicht lange geblieben. Er hatte es seinen Kommandeuren überlassen, die restlichen Feindtruppen aufzureiben. Trotz der rücksichtslosen Zielstrebigkeit seiner militärischen Unternehmungen hatte es noch weitere zwei Jahre gedauert, ehe Irland bis in den hintersten Winkel unterworfen war. Da Geld und Lebensmittel in dieser Zeit knapp waren, hüteten sich die Behörden, den Walshs Schwierigkeiten zu machen. Aber das hatte nicht ewig so bleiben können.

Donatus war fast zwölf, als sein Vater eines Tages mit grimmiger Miene aus Dublin zurückgekehrt war und erklärt hatte: »Sie haben die Absicht, uns umzusiedeln.«

»Was meinst du damit … umsiedeln?«, fragte seine Mutter.

»Die Katholiken. Sie wollen alle Katholiken nach Westen schicken … nach Connacht. Das übrige Irland sollen die Protestanten erhalten.«

Später hatte Donatus erfahren, dass sein Vater und mit ihm Tausende andere um ihr Leben hatten fürchten müssen. Mehrere Hundert Männer wurden hingerichtet, auch Priester. Viele andere flohen. Zum Glück wurden die Hinrichtungen plötzlich eingestellt. Nach dem endgültigen Sieg der Engländer wurde bald deutlich, dass sie den irischen Rebellen nicht nach dem Leben trachteten. Sie wollten nur ihr Land.

Soldaten, Abenteurer, Anhänger Cromwells, Regierungsbeamte, Männer wie Pincher, gottesfürchtige Leute allesamt – sie waren des Landes wegen gekommen, und Land mussten sie nun bekommen. »Zwei Drittel von Irland werden nötig sein, um sie alle zufrieden zu stellen«, bemerkte Orlando. Doch das bereitete den Engländern kein Kopfzerbrechen. »Je mehr Land wir nehmen«, so betonten sie, »desto größer wird das protestantische Irland.«

Die Vorgehensweise war denkbar einfach. Viele Rebellenführer waren geflohen. Die meisten waren natürlich Katholiken, allerdings zählten auch einige königstreue Protestanten dazu wie etwa der große Ormond. Deren Besitz wurde sofort beschlagnahmt. Danach kamen hunderte weniger bedeutende Männer an die Reihe, darunter viele Grundbesitzer aus Fingal, die bei dem Aufstand nur eine bescheidene Rolle gespielt hatten. Eine Handvoll Gentlemen, darunter einige Katholiken, die Spitzeldienste geleistet oder die englische Sache unterstützt hatten, durften zur Belohnung ihr Land behalten. Doch für die anderen fand man eine neue Lösung. »Handelt es sich um Protestanten, wollen wir sie mit einer Geldstrafe belegen«, schlugen die Vertreter der Regierung vor. »Handelt es sich um Katholiken, werft sie hinaus.« Doch statt die Betroffenen vollkommen zu ruinieren, verfügten Cromwells Beamte, dass sie, je nach Schwere ihrer Schuld, eine Hälfte oder ein Drittel vom Wert ihrer Güter in Form von unfruchtbarem Land in Connacht bekommen sollten.

Das Gut in Fingal, auf dem seine Familie seit Jahrhunderten lebte, verlassen und ins hinterste Connacht gehen? Für Orlando war dies ein ganz ungeheuerlicher Gedanke. Doch einer von den neuen Herren in Dublin Castle machte es ihm mit einfachen Worten klar: »Sie haben die Wahl, Master Walsh. Zur Hölle oder nach Connacht.«

Orlando leistete Dublin seine Dienste wie bisher und schaffte es, noch über ein Jahr auf seinem Gut in Fingal zu bleiben.

Man schrieb das Jahr 1653, als Doktor Pincher dort eintraf. In der Stadt war eine Seuche ausgebrochen, und er kam mit der Anweisung, dass er so lange auf dem Gut zu beherbergen sei, bis er selbst zurückzukehren wünsche. Donatus war fasziniert von der hageren, schwarzen Gestalt des Mannes, der ihn so kalt ansah, im besten Zimmer wohnte und erwartete, dass man ihn vorn und hinten bediente. Sein Vater sagte ihm, dass der gelehrte Prediger über achtzig Jahre alt sei. Doch der Besuch des alten Mannes war auch eine lehrreiche Erfahrung.

Doktor Pincher wohnte seit zehn Tagen bei ihnen, als sein Neffe Captain Budge zu Besuch kam. Er blieb nur eine Nacht. Normalerweise nahm der Alte seine Mahlzeiten allein in seinem Zimmer ein, aber bei dieser Gelegenheit aßen alle zusammen zu Abend, und Donatus beobachtete den großen, stumpfgesichtigen Offizier voller Neugier. Captain Budge war ein einflussreicher Mann und frischgebackener Gutsbesitzer. Denn als Brian O’Byrne aus Irland geflohen war, was ihm das Leben gerettet hatte, war Rathconan an Budge gefallen. Daher lauschte Donatus aufmerksam, als sein Vater Budge höflich nach den bevorstehenden Umsiedlungen fragte. Ob diese Maßnahme nicht etwas hart sei, erkundigte sich Orlando vorsichtig.

»Nein, Sir, notwendig«, hatte Budge geantwortet. »Die irischen Eingeborenen sind natürlich jeder Zivilisation abgeneigt. Unfähig, sich selbst zu regieren. Die reinsten Tiere.«

Solange Donatus auf dem Gut in Fingal lebte, hatte er nie jemanden so über die Iren reden hören. Er hatte immer angenommen, dass all diese freundlichen Menschen, unter denen er aufgewachsen war – die Knechte und Mägde, die Pächter und Feldarbeiter, die Fischer an der Küste, die Austernfischer in Malahide, die Handwerker in Swords –, dass all diese Menschen der ländlichen Bevölkerung in anderen Ländern ganz ähnlich seien. Aber Budge war noch nicht fertig.

»Man muss sie klein halten. Vergessen wir nicht, sie haben dreihunderttausend unschuldige Protestanten ermordet.«

»Das entspricht nicht ganz der Wahrheit«, widersprach Orlando schüchtern und blickte zu Doktor Pincher. Doch der Prediger schob sich nur ein Stück Brot in den Mund und kaute. Er besaß noch einen Großteil seiner Zähne.

»Es ist die Wahrheit«, beharrte Barnaby. »Es stand in einem Buch.«

»Auch geschriebene Bücher können lügen«, gab Orlando zu bedenken.

»Papistische Bücher schon. Aber das war ein protestantisches Buch.« Barnaby nickte vor sich hin. »Und es war der papistische Landadel, der sie davor gegen die Obrigkeit aufgehetzt hat. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Jeder irische Clanführer, alle Priester, jeder Waffenkundige, jeder katholische Gentleman von Ruf wird aus diesem Land entfernt. Dann bekommen die irischen Hunde protestantische Herren, die sie Gehorsam lehren. Dies ist der Zweck der Umsiedlung.«

»Dann muss ich also nach Connacht?«

»Ganz bestimmt«, antwortete Barnaby.

Es war das erste Mal, dass Donatus wirklich begriff, wie die englischen Siedler, die nun über das Land herrschen sollten, dachten.

Im Frühjahr darauf war die Familie Walsh umgesiedelt worden. Mit vier Karren, auf denen sich ihre Möbel und sonstige Habe türmten, darunter auch ihr Schmuck und in Kleider eingenähte Gold- und Silbermünzen, traten Donatus und seine Eltern die lange Fahrt nach Westen an. Daniel, der nicht verstehen konnte, warum sie fortzogen, kam natürlich mit. Nur drei Bedienstete begleiteten sie. Das übrige Gesinde, die Pächter, Kleinbauern und Tagelöhner blieben auf dem Gut in Fingal. Was dies betraf, geschah bei den Walshs das Gleiche wie überall. Die große Masse der Iren blieb, wo sie war, und bestellte das Land für die neuen protestantischen Herren, während die alten Grundbesitzer nach Connacht gingen.

»Wenigstens sind wir in guter Gesellschaft«, bemerkte sein Vater trocken. Zum damaligen Zeitpunkt waren bereits viele Nachbarn und Freunde denselben Weg gegangen.

So begannen sieben lange Jahre in der Grafschaft Clare. Zu ihrem kleinen Gehöft gehörte ein bescheidenes Wohnhaus, das Donatus und sein Vater langsam wieder aufbauten. Ihre Nachbarn waren sehr freundlich. Die Walshs arbeiteten hart, und sie überlebten. Doch die ersten beiden Jahre in dem beengten und undichten Cottage waren besonders schwierig. Zwei ihrer Bediensteten mussten sie nach Fingal zurückschicken, weil der Hof zu wenig abwarf und weil es nichts für sie zu tun gab. Mary Walsh bemühte sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber sie war bedrückt. Doch am meisten litt der arme Daniel. Auch wenn er nicht alles verstand, so schien er doch stärker als alle anderen zu spüren, dass Mary unglücklich war. Er klammerte sich an sie, wurde unleidlich, und auch das war für sie schwer zu ertragen. Nach einem Jahr wurde er krank und starb. Orlando hatte Donatus schon frühzeitig gewarnt. »Geistesschwache werden selten zwanzig.« Doch noch viele Monate, nachdem sie Daniel begraben hatten, lag ein Schatten der Trauer auf der Familie.

Einen Umstand freilich betrachtete Donatus als Segen. Hier, im Exil, lernte er seinen Vater viel besser kennen, als es ihm sonst möglich gewesen wäre. Er wusste, wie erniedrigend sein Vater ihre ärmlichen Verhältnisse empfand, und er bewunderte ihn dafür, dass er es niemals zeigte. Gemeinsam bewirtschafteten sie ihr kleines Stück Land, hielten Schweine, ein paar Kühe, bauten Getreide an. Und Orlando übernahm auch seine schulische Erziehung, mit dem Ergebnis, dass Donatus schon mit zwanzig das meiste von dem wusste, was an der Universität Salamanca gelehrt wurde, und darüber hinaus noch Grundkenntnisse in irischem Recht besaß. Möglicherweise lag es am ständigen Umgang mit einem älteren Mann, dass er für einen Jungen seines Alters allzu reife Ansichten annahm. Aber dies war schwerlich eine Zeit für die üblichen Freuden der Jugend, und es machte ihn glücklich zu wissen, dass er bei allem an der Seite des Vaters stand.

Jedes Jahr pilgerten sie nach Fingal. Umgesiedelten Familien war das Reisen verboten, aber sie sahen sich vor und wurden niemals erwischt. Es gab so manches gefühlsselige Wiedersehen. Die Pächter auf dem Gut nahmen sie freundlich auf und versteckten sie in ihren Cottages. Einer gab Orlando sogar einen Teil des Pachtzinses: »Ich werde dem alten Teufel Pincher sagen, dass ich es mir nicht leisten kann, ihm die volle Summe zu bezahlen«, pflegte er schadenfroh zu sagen. »Verfluchter Protestant. Er hat von Tuten und Blasen keine Ahnung.« Auch ihr Cousin Doyle kam jedes Mal aus Dublin, um die Walshs zu sehen. Vor der Umsiedlung hatte ihm Orlando hundert Pfund zur Verwahrung gegeben. Zum Glück mussten sie selten darauf zurückgreifen. Und Doyle brachte Neuigkeiten aus der Hauptstadt mit. Oft betrafen sie die jüngsten Entwicklungen in den Dubliner Kirchen.

Bei ihrer dritten Rückkehr nach Fingal erfuhren die Walshs, dass Doktor Pincher gestorben war. Pinchers Neffe Captain Budge hatte die Pacht übernommen. Doch die Umstände seines Todes waren etwas ungewöhnlich gewesen. Der Pächter, der ihnen den Pachtzins gab, erzählte ihnen davon. »Kurz bevor es zu Ende ging, phantasierte er. Er schrie, dass er von einem Mann mit einem Schwert angegriffen werde. Und als sie später kamen, um den Leichnam anzukleiden, was entdeckten sie da? Eine Narbe. Schräg über den Rücken, von der Schulter bis runter zu den Rippen. An seinen Worten muss also etwas dran gewesen sein. Dann kam Captain Budge, und sie erzählten ihm davon. Er blickte eine Weile nachdenklich drein, bevor er sagte: ›Das war bei der Rebellion 1641. Es waren die Katholiken, die meinen lieben Onkel angegriffen haben. Er hatte Glück, dass sie ihn nicht zum Märtyrer machten.‹ Glauben Sie, dass das stimmt?«

»Ich habe nie davon gehört«, antwortete Orlando.

Bevor Donatus und sein Vater aus Fingal wieder abreisten, pflegten sie immer zu dem heiligen Brunnen in Portmarnock zu reiten, um dort gemeinsam zu beten. »Ich tue es«, erinnerte ihn Orlando stets, »so wie es mein Vater vor mir getan hat.« Und wenn sie dort waren, sagte er immer: »Es tut mir leid, Donatus, dass du mit ansehen musst, wie tief dein Vater gesunken ist. Aber wir dürfen den Glauben nicht verlieren. Es war eine Gnade Gottes, dass er dich uns nach so vielen Jahren des Wartens zum Geschenk gemacht hat. Und zu gegebener Zeit, wenn wir die Prüfung bestanden haben, wird er uns wieder nach Hause holen, wenn es sein Wille ist.«

Und so war es am Ende auch gekommen. Gott hatte sie nach Hause geholt.

Die Erlösung kam aus England. Denn während Cromwell Irland mit Erfolg unter ein koloniales Joch gezwungen hatte, lagen die Dinge drüben in England ganz anders. Bei aller militärischen Macht war es Cromwell nicht gelungen, die von ihm beseitigte Monarchie durch eine zufrieden stellende Regierungsform zu ersetzen. Parlamentsherrschaft, ein Protektorat, in dem er selbst in jeder Beziehung ein König war, nur nicht dem Namen nach, eine Militärdiktatur der Generäle – alles war ausprobiert worden, nichts hatte funktioniert. Und als der Tyrann nach zehn Jahren entkräftet starb, wollte nicht einmal sein Sohn in seine Fußstapfen treten. Im Jahr 1660 trafen das englischen Parlament und der Sohn des toten Königs eine Übereinkunft. Karl II. wurde auf den englischen Thron erhoben, allerdings zu bestimmten Bedingungen. Eine dieser Bedingungen war, dass die protestantischen Siedler in Irland ihr Land behalten sollten. Doch es wurden auch kleinere Ausnahmen gemacht. Und als Ormond als Lord Lieutenant des neuen Königs nach Irland zurückkehrte, gedachte er freundlicherweise der bedauernswerten Familie Walsh. Sein Wort genügte, um den königlichen Beamten zu versichern, dass Orlando kein Verbrechen begangen hatte, und zähneknirschend ließ sich Barnaby Budge dazu bewegen, die Pacht seines Onkels aufzugeben. So waren die Walshs im Gegensatz zu vielen ihrer Freunde nach Fingal zurückgekehrt. Dies war nun in der Tat der Beweis, dass Gott ihnen gnädig war.

Und er war ihnen weiter gnädig geblieben. Donatus hatte erleben dürfen, wie seine beiden Eltern ein hohes Alter erreichten. Und er hatte das Glück erlebt, selbst eine Familie zu gründen. Unlängst erst hatte er seine beiden Töchter mit braven Männern verheiratet. Fünf Jahre zuvor war seine Frau gestorben, und er hatte angenommen, dass dieser Teil seines Lebens nun vorüber sei. Doch zu seiner eigenen Überraschung hatte er eine neue Liebe gefunden. Und noch erstaunlicher war, dass ihm seine neue Frau im letzten Dezember seinen ersten Sohn geschenkt hatte. In ihrer überschwänglichen Freude hatten sie dem Jungen den Namen Fortunatus gegeben.

Und nun, nach einer Reihe von Ereignissen, die niemand hatte voraussehen können, durften die Walshs in ihrem unerschütterlichen Glauben ebenso neue Hoffnung schöpfen wie zahllose andere Familien. Karl II. von England, ein Mann, der die Baukunst, die Wissenschaften und seine vielen Mätressen liebte, war vor vier Jahren, anno 1685, völlig unerwartet gestorben, und sein Bruder war ihm als Jakob II. auf den Thron gefolgt. Und Jakob war Katholik. Vor zehn Tagen war er in Irland eingetroffen und befand sich nun auf dem Weg nach Dublin, um ein katholisches Parlament einzuberufen. Donatus würde am Sonntag in Dublin sein, um den neuen König willkommen zu heißen.

***

Bei seiner Rückkehr fand Donatus zu Hause den Brief seines Cousins Maurice vor. Er las ihn mit Interesse, aber auch mit einem Schmunzeln. Maurice Smith war ein guter Geschäftsmann, der im französischen Exil seinen Weg gemacht hatte. Und als er, durch die politische Entspannung unter Karl II. dazu ermutigt, mit seiner Familie nach Dublin zurückgekehrt war, hatte er, obwohl Katholik, auch hier Erfolg gehabt. Allerdings hatte Maurice auch eine romantische Ader und ließ sich von seinen Gefühlen leicht zu Unüberlegtheiten hinreißen.

Der Kauf seines Guts war für ihn bezeichnend. Natürlich war es bedauerlich, dass Brian O’Byrne wie ein Großteil der irischen Gentry vor Cromwell hatte flüchten müssen und dass das Gut in Rathconan an Barnaby Budge gefallen war. Die Menschen oben in den Wicklow-Bergen hassten Budge, aber sie konnten nicht verhindern, dass er das Gut übernahm. Er wohnte in dem alten befestigten Haus, nannte sich Gentleman und erwarb weitere Ländereien durch Kauf oder Pacht, wann immer er konnte. Barnaby behielt Rathconan auch nach der Thronbesteigung Karls II. und lebte dort, bis er 1677 starb. Sein ältester Sohn nahm seinen Platz ein, aber er war nicht aus demselben Holz geschnitzt wie sein Vater und sein jüngerer Bruder Joshua. Benjamin Budge war ein friedliebender Mensch, und es dauerte nicht lange, bis er mit den Tories Ärger bekam.

Donatus hatte es immer amüsiert, dass die beiden politischen Lager im englischen Parlament so kuriose Namen trugen. Die einen, die dafür eintraten, dass das Parlament den König kontrollierte, wurden Whigs genannt, was eigentlich ein spöttischer Ausdruck für Viehtreiber war. Die Anhänger des royalistischen Lagers wurden hingegen als Tories bezeichnet, womit ursprünglich irische Räuber gemeint waren.

Und irische Banditen waren es ohne Frage, die dem armen Benjamin Budge das Leben schwer machten, vorwiegend Einheimische, die das ungebundene Leben in den Wicklow-Bergen liebten und die puritanischen Siedler hassten. In den letzten Jahren seiner Herrschaft hatte Karl II., dieser freundliche Monarch, die Beschränkungen für Katholiken so gelockert, dass sie wieder Land kaufen konnten. Und so kam es, dass Benjamin Budge, als ihm Maurice Smith ein gutes Angebot für das Gut unterbreitete, froh gewesen war, den Besitz loszuwerden, und lieber das Geld genommen hatte. Benjamin Budge lebte jetzt in Dublin und hegte anscheinend nicht den Wunsch, ein anderes Gut zu erwerben.

Aber warum, so hatte sich Donatus oft gefragt, war sein Cousin so versessen darauf gewesen, in die Berge zu ziehen? Er wusste, dass Maurice immer eine Schwäche für Brian O’Byrne gehabt hatte und sich dessen Gut in den Bergen verbunden fühlte. Anscheinend war er auch glücklich, seit er dort oben lebte, und wurde als Katholik von den Einheimischen leidlich toleriert. Aber er hatte sein ganzes Vermögen in Rathconan gesteckt, und Donatus bezweifelte, dass sich die Investition rentierte. Es war typisch für Maurice, dass er so etwas tat, nachdem er jahrelang gespart hatte.

Daher fragte sich Donatus, als er den Brief, den ihm sein Cousin aus Rathconan geschickt hatte und der in einem merkwürdig erregten Ton gehalten war, ein zweites Mal las, auf welch neue Idee Maurice nun wieder verfallen sein mochte.

***

Sonntag, der 24. März. Palmsonntag: der Festtag, der an den Einzug des Herrn in Jerusalem erinnerte. Ob auch das Datum ein Zeichen Gottes war? Jakob II. zog durch das im Westen gelegene St. James’s Tor in Dublin ein.

Vor dem Tor war ein Podium aufgebaut, auf dem zwei irische Harfner spielten. Ein Mönchschor schmetterte ein fröhliches Lied, und eine Gruppe von Marktfrauen, alle ganz in Weiß gekleidet, führte einen traditionellen Tanz vor. Der Bürgermeister und die Ratsherren traten unter den Klängen von Pfeifen und Trommeln heraus und überreichten dem König den Schlüssel der Stadt, bevor er Einzug hielt. Mit seinen Edelmännern und Berittenen, Lakaien und Querpfeifern passierte Jakob II. das Tor und zog durch die Straßen, die zwar nicht mit Palmzweigen bestreut, dafür aber frisch beschottert waren. Der König von England, Schottland und Irland nahm wieder in Besitz, was ihm rechtmäßig zustand. Am Tor zur Burg weinte er.

Er gab sich bescheiden. Und er machte eine gute Figur: Im Gegensatz zu seinem Bruder Karl, der von dunkler Gesichtsfarbe gewesen war, hatte er einen blassen und rötlichen Teint, und seine vormals so stolzen Züge waren durch Exil und Krankheit etwas demütiger geworden. Er dankte den braven Menschen von Dublin. Er komme, so schien er sagen zu wollen, in Freundschaft zu allen Untertanen seines irischen Königreichs und ohne jeden Groll. Doch als Donatus Walsh und Maurice Smith zusahen, wie er vorbeiritt, da ahnten sie beide, dass es nicht leicht werden würde. Denn es blieb eine Tatsache, dass das englische Volk ihn bereits wegen seiner Bevorzugung der Katholiken vertrieben hatte und sein Rivale um den Thron jederzeit in Irland einfallen konnte.

 

Was die Protestanten in England anbelangte, so hatten sie niemals damit gerechnet, dass Jakob König werden könnte. Sein Bruder Karl II. hatte stets den Eindruck eines Mannes gemacht, der mit einer unverwüstlichen Gesundheit gesegnet war. Man hatte gemunkelt, dass Karl insgeheim Katholik sei. Aber falls das stimmte, dann war er zu gerissen gewesen, sich das anmerken zu lassen. Er hielt sich Mätressen, ging ins Theater, scherzte bei Pferderennen mit dem gemeinen Volk und rief allgemein zur Mäßigung auf, wenn sich die religiösen Hitzköpfe zu sehr ereiferten. Er bemühte sich, seine protestantischen Untertanen zu mehr Toleranz gegenüber den Katholiken anzuhalten, aber dieses Unterfangen wurde ihm nicht leichter gemacht, als am Ende seiner Herrschaft sein Cousin, Ludwig XIV. von Frankreich, die protestantischen Hugenotten brutal aus seinem Königreich vertrieb, sodass rund zweihunderttausend von ihnen in Holland, England und andernorts, wo man bereit war, sie aufzunehmen, Zuflucht suchen mussten. Nach London flüchteten Zehntausende von Hugenotten. Und das erinnerte die Londoner an die Inquisition, den Aufstand in Irland und jede andere, tatsächliche oder vermeintliche, Gräueltat, die Katholiken an Protestanten begangen hatten. Deshalb war es für ganz England ein großer Schock, als Karl II. völlig unerwartet starb und sein jüngerer Bruder, ein bekennender Katholik, den Thron bestieg.

Nur aus einem einzigen Grund war man bereit: Jakob selbst war zwar Katholik, doch seine Erbin, seine Tochter Maria, war Gott sei Dank Protestantin und überdies mit einem Protestanten verheiratet, mit Wilhelm III. von Oranien, dem Erbstatthalter der Niederlande. Nur deshalb war man bereit, sich eine Weile mit Jakob II. abzufinden, denn sobald er weg wäre, könnte man sich auf Wilhelm und Maria freuen.

Als Jakob II. hohe Ämter mit Katholiken besetzte, nahmen es die Engländer zähneknirschend hin. Als er katholische Offiziere in die Armee berief, sahen sie entsetzt zu. Aber als er, obwohl er jahrelang kein Kind gezeugt hatte und Gerüchten zufolge aufgrund einer Geschlechtskrankheit auch keine zeugen konnte, plötzlich von seiner zweiten Frau, einer Katholikin, einen Sohn bekam, konnten die Engländer nicht mehr an sich halten. War es tatsächlich sein Sohn? War die Königin überhaupt schwanger gewesen? Oder war es ein untergeschobenes Kind? Handelte es sich wieder um eine Verschwörung Roms mit dem Ziel, den englischen Thron zu stehlen? Was immer die Wahrheit war, die Engländer wollten sich mit einem katholischen Thronfolger nicht abfinden. Ohne großes Blutvergießen setzten sie den König einfach ab und boten Wilhelm III. von Oranien den Thron an. Jakob floh nach Frankreich.

In Irland lagen die Dinge anders. Protestanten wie Katholiken waren über die Ereignisse in England beunruhigt. Doch König Jakobs Günstling, der Katholik Lord Tyrconnell, hatte für seinen Herrn gute Arbeit geleistet. Es war ihm gelungen, die Protestanten mit seinen Truppen einzuschüchtern, aber gleichzeitig versicherte er ihnen: »König Jakob will euch nichts Böses.« Nur die Presbyterianer in Ulster blieben misstrauisch. Die befestigte Stadt Derry lehnte es ab, sich zu unterwerfen. Aber der größte Teil des katholischen Irland hoffte, dass Jakob II. als Befreier kommen würde.

Und nun war er endlich hier, vom französischen König Ludwig XIV., seinem Cousin, mit Geld und Truppen ausgestattet, und wurde von seinem irischen Königreich willkommen geheißen.

*** Sobald der König in der Burg verschwunden war, hatten Donatus und Maurice einen Gasthof aufgesucht, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Donatus hatte bereits Neuigkeiten in Erfahrung gebracht.

»Er wird ein Parlament einberufen, das Anfang Mai hier in Dublin zusammentreten soll: Ihm wird die alte katholische Gentry angehören. Stell dir das mal vor, Maurice – ein katholisches Parlament.«

»Und unsere Religion?«

»Er geht behutsam vor, und das ist auch gut so. In den letzten zehn Tagen hat er sich auf dem Weg von Cork nach Dublin mit Vertretern der protestantischen Geistlichkeit getroffen und ihnen versichert, dass es den Protestanten freistehen wird, ihren Glauben auszuüben. Alle Christen sind willkommen. So lautet sein Versprechen. Sofern sie loyal sind.« Er lächelte. »Aber Irland wird natürlich katholisch.«

Dann erzählte Maurice von dem Bischofsstab, und mit Genugtuung nahm er zur Kenntnis, dass Donatus, was die Bedeutung des Fundes anging, mit ihm einer Meinung war.

»Das wäre in der Tat eine großartige Sache, wenn es uns gelänge, den Stab und die eidliche Aussage zusammenzubringen. Ein Symbol für Irland. Und wenn es zum Krieg mit König Wilhelm von Oranien käme, dann hätten wir auf dem Schlachtfeld den echten Stab …«

»Du willst mir also helfen?«

»Aber gewiss. Wir müssen ihn finden.«

 

Anfang Mai 1689, als das Parlament zusammentrat, brach Maurice zu seiner Suche auf. Er wusste, dass er unter Umständen längere Zeit fort sein würde, und ließ Rathconan in guten Händen zurück. Sein Sohn Thomas war kein Geschäftsmann, aber er liebte das Land und würde das Gut in seiner Abwesenheit bestens verwalten.

Donatus Walsh war unterdessen fleißig gewesen. Seine Nachforschungen in Dublin hatten die Namen zahlreicher Familien zu Tage gefördert, die möglicherweise etwas über den Stab wussten. Bewaffnet mit dieser langen Liste, zog Maurice nun aus wie ein Pilger oder wie ein fahrender Ritter, der sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral begab.

Sein Weg führte ihn zunächst in die Grafschaft Meath. Dort war der Stab, wenn die Berichte stimmten, zuletzt gesehen worden. Zwei Wochen lang zog er von Haus zu Haus, wo immer ein Katholik von Einfluss oder ein Priester wohnte. Doch obwohl er sehr gewissenhaft zu Werke ging, ergab sich nichts Greifbares. Mehrere Befragte behaupteten, der Stab sei in einem Haus oder einer Kapelle ausgestellt worden. Wie es schien, hatte ihn jemand von außerhalb hergebracht. Aber mehr konnte er nicht in Erfahrung bringen.

Von Meath wandte Maurice sich nach Kildare, wo er zwei Wochen lang Nachforschungen anstellte – doch ohne jeden Erfolg. Allerdings waren ja fast alle gläubigen Familien der Gentry nach Connacht umgesiedelt worden. Daher zog Maurice nun von Kildare aus nach Westen und suchte dort nach Familien, die ursprünglich hierher verbannt worden waren.

Es war eine bedrückende Erfahrung, von Gehöft zu Gehöft, ja von Hütte zu Hütte zu reiten und zu sehen, wie die alten katholischen Familien nach der Umsiedelung in Armut versunken waren. Viele knüpften an das neue katholische Parlament die Hoffnung, ihre früheren Güter zurückzuerhalten. Maurice hoffte und betete, dass sich diese Hoffnung erfüllte. Aber niemand wusste etwas über den Stab. Woche um Woche verging. Erst als der Inhalt seiner Reisekasse aufgebraucht war, brach er die Suche ab und trat den Heimweg an, freilich in dem festen Vorsatz, sie baldmöglichst wieder aufzunehmen.

Es war an einem Tag Anfang Juli, als er den Pass in den Wicklow-Bergen überquerte und zu dem geliebten alten Haus in Rathconan hinunterritt.

Als er sich der Tür näherte, sah er zu seiner Überraschung, dass ein Besucher da war. Sein Pferd war neben der Tür angebunden, daher musste er aus der entgegengesetzten Richtung gekommen und erst kurz vor ihm eingetroffen sein. Seine Frau und sein Sohn Thomas standen neben dem Neuankömmling. Maurice ritt zu ihnen und stieg ab.

Der Besucher war ein großer, dunkelhaariger, gut aussehender Mann mittleren Alters, etwa zehn Jahre jünger als er selbst, aber von drahtiger Gestalt. Er kam Maurice entgegen.

»Sind Sie Mwirish, der Sohn von Walter Smith?«

»Ganz recht.«

»Ich bin Xavier O’Byrne, der Sohn von Brian O’Byrne. Ich bin hierher gekommen, um mir den Besitz anzusehen.« Er deutete auf das Haus und die Ländereien von Rathconan. »Jetzt, wo er mir zurückerstattet werden soll.« Er lächelte. »Ich wollte eben schon Ihre Angehörigen fragen: Wo werden Sie künftig leben?«

***

Maurice sollte noch merkwürdigere Dinge zu hören bekommen, als er an diesem Abend mit O’Byrne am Tisch saß. Seine Nachforschungen hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er sich kaum die Mühe gemacht hatte, die Beratungen des Dubliner Parlaments zu verfolgen. Zwar hatte er vernommen, dass die umgesiedelten Familien ihr Land zurückbekommen sollten, aber nach den möglichen Konsequenzen für sich selbst hatte er nie gefragt. Und an die O’Byrnes hatte er, um die Wahrheit zu sagen, überhaupt nicht gedacht.

»König Jakob ist gegen die ganze Sache«, erklärte O’Byrne, »weil er befürchtet, dass sie zu viel böses Blut schaffen wird, aber die katholischen Gentlemen im Parlament sind fest entschlossen. Sie wollen, dass das gesamte Land, das Cromwell konfisziert und an Protestanten verteilt hat, den ursprünglichen Eigentümern zurückerstattet wird. Auch denen, die Irland verlassen haben, sofern sie zurückzukehren wünschen. Und das gilt auch für Rathconan, verstehen Sie?«

»Aber ich bin Katholik«, wandte Maurice ein, »und ich habe das Gut gekauft.«

»Sie sind einer von vielen. Aber Sie haben es von Budge gekauft, verstehen Sie, und der hätte es nie bekommen dürfen.« Er lächelte. »Sie stehen nicht allein. Viele sind in derselben Lage, und nach dem neuesten Vorschlag soll Schadenersatz geleistet werden. Einige Protestanten haben König Wilhelm Hilfe geleistet, als er nach England kam. Ihr Land wird beschlagnahmt, und damit sollen Sie entschädigt werden.«

»Aber ich liebe Rathconan.«

»Das freut mich zu hören. Aber meine Familie hat hier jahrhundertelang gelebt.«

Maurice seufzte. Xavier O’Byrne hatte Recht, das ließ sich nicht bestreiten, doch er wünschte, es wäre anders.

»In absehbarer Zeit wird nichts geschehen«, versicherte ihm O’Byrne. »Die Parlamentsmitglieder werden vermutlich noch Jahre darüber debattieren. Und davon abgesehen ist uns Irland noch längst nicht sicher.«

Was O’Byrne über die militärische Lage zu sagen hatte, war gleichermaßen interessant wie zynisch. »Ich bin ein Söldner, Mwirish«, erklärte er. »Ich betrachte diese Dinge ganz nüchtern. Die irischen Soldaten, die Tyrconnell ausgehoben hat – Tausende –, sind schlecht bewaffnet. Manche haben nicht einmal Piken. Sie sind nicht ausgebildet. Tapfer wie Löwen, versteht sich: Das macht mich stolz, Ire zu sein. Aber nicht zu gebrauchen. Irische Offiziere wie ich, deren Familien vor langer Zeit aus Irland fliehen mussten und die jetzt zurückgekommen sind, um zu sehen, was für sie zu holen ist, bilden sie aus, so gut es eben geht. Auch französische Soldaten sind auf dem Weg. Das sind Berufssoldaten und harte Kerle. Aber wenn König Wilhelm übersetzt, bringt er eine Armee mit, die jeden größeren Feldzug in Europa mitgemacht hat.« Er sog hörbar die Luft ein. »Die meisten von euren Leuten haben nichts dergleichen vorzuweisen.«

»Wird er denn kommen?«

»Das ist die Frage.« O’Byrne schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Bislang scheint er nicht zu wollen. Darauf müssen wir hoffen – dass er Irland Jakob II. überlässt. Es ist eine Familienangelegenheit: Jakob II. ist immerhin sein Schwiegervater, und sie standen miteinander auf freundschaftlichem Fuß, solange Wilhelm und Maria England erben sollten. Vielleicht gelangen sie zu einer neuen Einigung.« Er hielt inne und überlegte. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das englische Parlament mit einem katholischen Irland vor der Haustür leben kann.«

»Wenigstens haben wir uns Irland selbst gesichert«, sagte Maurice.

»Wahrscheinlich, Mwirish. Wahrscheinlich. Die Protestanten oben in Ulster warten immer noch auf König Billie, wie sie ihn nennen. Meiner Ansicht nach ist Ulster ein Pulverfass. Und wie Sie wissen, haben wir Derry noch immer nicht genommen.« Dies war eine der bemerkenswertesten Besonderheiten dieses Sommers. Die unbeugsamen Verteidiger Derrys hatten ihre Tore geschlossen und sich geweigert, die Stadt Jakobs II.

Truppen zu übergeben. Sie saßen in der Falle und wurden seit April belagert, aber sie hatten noch nicht aufgegeben. »Die müssen mittlerweile Ratten fressen«, sagte O’Byrne mit der Bewunderung eines Soldaten. »Und selbst wenn die Stadt fällt, wird es sehr schwierig, solche Leute zu bändigen.«

Doch die eigentliche Überraschung erwartete Maurice Smith, als sie wieder auf familiäre Dinge zu sprechen kamen. Er hatte bereits in Erfahrung gebracht, dass sein alter Freund Brian O’Byrne als Soldat gefallen war, und zwar im Dienst des Königs von Frankreich. Es war schon spät am Abend, als Maurice traurig erwähnte, dass er nie herausgefunden habe, was aus seinem eigenen Vater, aus Walter Smith, geworden sei.

»Sie meinen«, fragte O’Byrne, »nachdem er bei Rathmines gekämpft hat?«

»Rathmines? Mein Vater hat nie in der Schlacht bei Rathmines gekämpft.«

»Aber gewiss doch«, erwiderte Xavier O’Byrne. »Mein Vater war mit ihm zusammen und hat mir alles erzählt.« Und er berichtete, was geschehen war. Als er fertig war, fügte er mit einem Lächeln hinzu: »Walter Smith war kein Soldat. Aber er habe heldenhaft gekämpft, sagte mein Vater. Mein Vater wusste es nicht mit Sicherheit, aber er hat sich immer gefragt, ob Walter nicht vielleicht nach Drogheda gegangen und dort umgekommen ist.«

Maurice brauchte eine Weile, um diese Neuigkeit zu verdauen. Dann durchflutete ihn plötzlich eine Welle der Zuneigung zu seinem verschollenen Vater. Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, und musste wegsehen. »Ich hätte nie gedacht, dass er so etwas tun würde«, sagte er schließlich.

»Er war ein echter Ire«, erwiderte O’Byrne leise.

Dann erzählte Maurice vom Stab des heiligen Patrick.

***

Donatus Walsh durchlebte im Herbst und Winter 1689 eine schwere Zeit. Zu jedermanns Erstaunen hatte sich Derry nicht nur gehalten, sondern war im Spätsommer auch befreit worden. Für die Protestanten in Ulster war es eine Ermutigung, für König Jakob II. ein herber Rückschlag. Er war zwar ein katholischer König auf einer katholischen Insel, doch der Vorfall führte seinen Feinden vor Augen, dass er besiegt werden konnte.

König Wilhelm III. war es allerdings nicht viel besser ergangen. Er hatte seinen langjährigen Heerführer General Schomberg auf die Insel geschickt. Doch statt auf Dublin zu marschieren, blieb der erfahrene Soldat nahe der Grenze von Ulster stecken. Viele seiner Leute erkrankten im nasskalten irischen Winter. In den folgenden Monaten herrschte ein Patt zwischen den katholischen und protestantischen Armeen.

Bitter für die Soldaten, bitter für die Bevölkerung. Der Winter war kalt. Fest entschlossen, nichts zur Unterstützung der Engländer jenseits des Meeres zu tun, gaben die Iren Befehl, alle englischen Einfuhrwaren zurückzuschicken, darunter auch die Kohle, die man zum Beheizen der Häuser in Dublin brauchte. Die Mühe hätten sie sich freilich sparen können. Die Engländer schickten ohnehin keine. Kurz nach Weihnachten holzte Donatus auf seinem Gut zwei Hecken ab, um seine Leute mit Heizmaterial zu versorgen. Und zu Beginn des neuen Jahres stellte er bei einem Besuch in Dublin fest, dass man die Hälfte der Holzgeländer und Pfosten bereits zu Brennholz verarbeitet hatte.

Er traf sich mehrere Male mit Maurice Smith. Dabei machte ihn sein Cousin auch mit O’Byrne bekannt. In der Landfrage tat sich fürs Erste nichts, und es hatte den Anschein, als seien die beiden Männer fest entschlossen, Freunde zu bleiben, was auch immer bei der Sache herauskommen mochte. Was Donatus anging, so war er von dem weltklugen Söldner fasziniert und genoss die Gespräche mit ihm. Was der Soldat über den verschollenen Walter berichtet hatte, hatte sie alle tief berührt. Der vermeintlich so nüchterne Kaufmann war offensichtlich ein viel leidenschaftlicherer Mensch gewesen, als alle vermutet hatten. Maurice sprach nie darüber, aber Donatus spürte, dass er sich dem Vater, den er verloren hatte, auf ganz neue Weise verbunden fühlte. In seinen Augen lag jetzt ein Ausdruck der Ruhe und Freude, wenn er von ihm sprach. Und Donatus war froh, dass Maurice in seiner zweiten Lebenshälfte einen solch unverhofften Quell innerer Stärke gefunden hatte. Wenn überhaupt, so hatte ihn das Wissen, dass sein Vater sein Leben für die katholische Sache hingegeben hatte, nur in seiner Entschlossenheit bestärkt, die Suche nach dem Bischofsstab fortzusetzen. Er sprach davon, im Frühjahr wieder nach Connacht zu gehen.

Aber die militärische Pattsituation konnte nicht ewig dauern. Im Februar ging das Gerücht, dass Wilhelm keine Hoffnung mehr in General Schomberg setze und die Absicht habe, selbst nach Irland zu kommen. Im März landeten mehrere Tausend vom König von Dänemark gemietete Soldaten in Ulster. »Jetzt schicken sie uns wieder die Wikinger auf den Hals«, klagten die Katholiken in Dublin. Doch die Truppen, die ihnen der französische König zu Hilfe schickte, waren in gewisser Hinsicht beinahe ebenso schlimm. Zum einen ließen sie bei ihrem Einmarsch in Dublin alle Zeichen von Arroganz und Verachtung für die Bewohner der Stadt erkennen. Und kaum waren sie da, stellte sich auch noch heraus, dass mehrere Tausend dieser Söldner Protestanten waren!

Den ganzen April hindurch landeten englische, niederländische und deutsche Truppen im Norden. Einer von Wilhelms Marinebefehlshabern wagte sogar einen dreisten Vorstoß in die Dublin Bay und kaperte eines von Jakobs Schiffen. So oder so, glaubte Donatus, musste sich die Lage im Sommer zuspitzen.

In dieser ganzen Zeit gab es nur eine erfreuliche Neuigkeit. Kurz vor Ostern erfuhr Donatus von seiner Frau, dass sie wieder schwanger war.

***

Der Priester kam eines Tages Mitte Mai an seine Tür. Er war ein alter Mann. Der Umhang, den er sich um den Leib geschlungen hatte, war schlammbespritzt und an mehreren Stellen zerrissen, aber seine blauen Augen blickten durchdringend.

»Haben Sie Erkundigungen über den Stab eingezogen?« Tatsächlich war Donatus den Winter über nicht untätig gewesen. Er war auf die Idee gekommen, an mehrere irische Kollegen auf dem Kontinent zu schreiben. Er hatte ihnen von dem Fund berichtet, den Maurice unlängst gemacht hatte, und angefragt, ob sie etwas über den Verbleib des Stabes wüssten. Die Antworten, die er bislang erhalten hatte, waren höflich und zeugten von lebhaftem Interesse, hatten aber leider keine neuen Erkenntnisse erbracht. Doch man wusste nie, welche Kreise eine solche Anfrage im weit gespannten Netz der irischen Katholiken in Europa zog. Und offensichtlich hatte sie Kreise gezogen. »Ich erhielt einen Brief von einem guten Freund in Douai«, sagte der Priester. »Und da dachte ich mir, ich schaue auf dem Weg nach Dublin bei Ihnen vorbei, bevor ich außer Landes gehe.«

»Haben Sie den Stab gesehen?«, fragte Donatus begierig.

»Das nicht. Aber ein gewisser Pater Jerome O’Neill, der vor zwei Jahren verstorben ist, erzählte mir, dass er ihn gesehen habe. Vor einiger Zeit, so versicherte er mir, sei er dort aufbewahrt worden, wo man ihn vermuten könne.«

»Wo man ihn vermuten könne?«

»Am Amtssitz des heiligen Patrick. Ich glaube, dort könnte man ihn vermuten.«

»Seinen Amtssitz hat man immer im Norden vermutet. In Armagh.«

»Ganz recht. Dort war es auch.«

»Das ist erstaunlich.«

»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Leider. Aber ich habe nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass er sich geirrt hat. Er war ein äußerst gewissenhafter und hoch gebildeter Mann. Natürlich ist es möglich, dass der Stab inzwischen fortgebracht wurde. Aber ich könnte mir denken, dass Sie ihn dort finden.«

Donatus bat den Priester, noch zu bleiben, doch er hatte es eilig, fortzukommen. »Mit Ihrer Erlaubnis trinke ich noch ein Glas Brandy, aber dann muss ich nach Dublin zurück. Mein Schiff geht morgen.«

Noch am selben Abend schickte Donatus eine Nachricht an Maurice. Drei Tage später trafen sie sich in Dublin.

***

Donatus hatte den Eindruck, dass sein Cousin etwas fiebrig war, und fragte sich, ob er eine Krankheit ausbrütete. Doch als er ihm von seinem Gespräch mit dem Priester berichtet hatte, konnte er ihn nur mit Mühe davon abhalten, sich sofort auf den Weg zu machen. »Eigentlich wollte ich in allernächster Zeit wieder nach Connacht«, rief er. »Aber das … das …«

»Vielleicht ist der Stab ja gar nicht in Armagh. Und selbst wenn, heißt das nicht, dass du ihn auch findest.«

»Einen so viel versprechenden Hinweis hatten wir noch nie«, gab Maurice zu bedenken. Und das ließ sich nicht bestreiten.

Doch es gab auch ein Problem geographischer Art: Armagh lag in Feindesland. König Wilhelms Truppen hatten mittlerweile diesen ganzen Teil von Ulster besetzt, und vieles deutete darauf hin, dass sie sich zur Schlacht rüsteten. »Wenn du zum jetzigen Zeitpunkt da oben nach dem Stab des heiligen Patrick suchst«, warnte Donatus, »begibst du dich in große Gefahr.«

»Was ist das gegen die Wirkung auf unsere Soldaten«, erwiderte Maurice, »wenn es mir gelingt, ihnen den echten Stab zu bringen, bevor sie in die Schlacht ziehen.« Er nickte zufrieden. »Ich kehre nach Rathconan zurück und treffe alle Vorbereitungen. Dann reite ich nach Norden.« Es war offensichtlich, dass ihn nichts davon abhalten konnte.

»Dann komm wenigstens bei mir vorbei, wenn du losreitest«, bat ihn Donatus. »Mein Haus liegt auf deinem Weg. Vielleicht begleite ich dich ein Stück.« Maurice versprach es ihm.

Doch seine Abreise verzögerte sich. Donatus hatte mit seiner Vermutung, dass sein Cousin eine Krankheit ausbrütete, Recht gehabt. Wenige Tage später erreichte ihn aus Rathconan die Nachricht, dass Maurice mit rasenden Kopfschmerzen nach Hause gekommen und von seiner Frau ins Bett gesteckt worden sei. Tags darauf hätten sich starke Halsschmerzen dazugesellt. Das klang ganz so, als sei er frühestens in ein oder zwei Wochen reisefähig.

In der letzten Maiwoche traf Donatus Walsh in Dublin zufällig Xavier O’Byrne. Donatus weilte aus geschäftlichen Gründen in der Stadt und ging gerade an der Burg vorbei, als er ihn herauskommen sah. Da sie beide nach Osten wollten, gingen sie zusammen. Dabei entspann sich zwischen ihnen eine so angeregte Unterhaltung, dass sie, als sie in der Dame Street an einer Schenke vorbeikamen, beschlossen, das Gespräch bei einem Glas Wein fortzusetzen.

O’Byrne war in nachdenklicher Stimmung. Er rechnete damit, dass er bald mit König Jakob nach Norden würde ziehen müssen. »Ich habe nämlich keinen Zweifel«, sagte er zu Donatus, »dass es noch vor Ablauf eines Monats zur entscheidenden Schlacht kommen wird.« Als Donatus ihm von Maurices Absicht berichtete, in Armagh nach dem Bischofsstab zu suchen, lächelte O’Byrne.

»Er ist ein anständiger Kerl, Ihr Cousin«, bemerkte er. »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass ich ihm Rathconan wegnehme, auch wenn das Gut von Rechts wegen mir gehört.« Dann verzog er das Gesicht. »Wenn König Billie allerdings Jakob besiegt, wird kein Katholik sein Land zurückbekommen, so viel ist sicher.«

»Glauben Sie denn, dass Wilhelm siegen wird?«, fragte Donatus.

»Das ist schwer zu sagen. Letztes Jahr hatten wir mehr Leute, als wir gebrauchen konnten. Jeder katholische Gentleman und Kaufmann in Irland meldete sich mit Rekruten, und keiner war ausgebildet. Wir schickten sie wieder fort. Jetzt würden wir wohl einige behalten, denn wir sind nicht mehr so viele. Aber die Soldaten, die wir haben, verstehen ihr Handwerk. Doch das gilt auch für König Billies Leute.« Er seufzte. »Ich bin Söldner, Donatus. Ich habe jahrelang für den französischen König gekämpft. Aber ich könnte mein Leben auch im Kampf für den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches oder für Spanien beschließen. Allerdings, ein Katholik müsste es, glaube ich, schon sein. Für einen Protestanten wollte ich nicht kämpfen. Gleichwohl bin ich Söldner. Ich habe einen Sohn, der fast erwachsen ist. Er wird wahrscheinlich das Gleiche tun, wenn seine Zeit gekommen ist. Wir sind Söldner, und das gilt für viele Berufssoldaten, die jetzt in Irland sind. König Billie hat niederländische und englische Soldaten, aber auch dänische und deutsche. Wir haben selbstverständlich irische Rekruten, aber auch Franzosen, Wallonen und sogar Deutsche, von denen die meisten obendrein Protestanten sind. Gott steh uns bei! Es ist ein Söldnerkrieg.«

»Maurice betrachtet es als einen katholischen Kreuzzug«, sagte Donatus Walsh. »Und ich eigentlich auch.«

O’Byrne nahm noch einen Schluck Wein, streckte seine Beine aus und blickte mit halb geschlossenen Augen aus dem Fenster.

»Für Irland stimmt das, da gebe ich Ihnen Recht. Und für England auch, wenn Sie so wollen. Dieser kleine Krieg wird darüber entscheiden, ob Irland protestantisch oder katholisch wird, so viel ist gewiss. Aber ein Kreuzzug?« Er machte eine Pause. »Sehen Sie doch die Hauptkontrahenten an, Donatus. Ludwig XIV. von Frankreich strebt nach der Vorherrschaft in Europa. Ihm gegenüber steht ein großes Bündnis von Ländern: König Wilhelm mit seinen englischen und niederländischen Protestanten, dazu Österreich und Spanien, die beide streng katholisch sind. Und nicht zu vergessen, sogar der Papst. Der Papst steht in diesem Konflikt keineswegs auf der Seite König Jakobs. Er unterstützt den protestantischen König Billie. Die Sache hier in Irland ist nur ein Geplänkel in einem viel umfassenderen Krieg. Überall in Europa wird man in katholischen Kirchen das Te Deum singen, wenn König Billie siegt. So etwas kann ich nicht als Kreuzzug bezeichnen. Sie?«

»Nun ja, aber zumindest kämpfen wir und König Jakob für Irland«, erwiderte Donatus.

»Das wäre ein tröstlicher Gedanke.«

»Wollen Sie nicht einmal das gelten lassen?«

»Ach, die Iren kämpfen für Irland.« O’Byrne schmunzelte. »Altengländer wie Sie eingeschlossen, versteht sich. Vielleicht kämpfe auch ich für Irland, Donatus. Ich nehme es jedenfalls an. Aber König Jakob denkt anders. Er ist Katholik, gewiss. Aber warum hat er, seit er hier ist, so großen Wert darauf gelegt, den Protestanten uneingeschränkte Religionsfreiheit zu gewähren? Er buhlt um die Gunst der Engländer. Während wir hier reden, trägt sich Jakob mit dem Gedanken, mit einem Teil der Armee nach England zu gehen, sobald Billie hier landet. Tyrconnell soll Billie hier in Irland in Schach halten, während er fort ist. Das weiß ich von Tyrconnell persönlich. Der Franzose hält ihn für verrückt, und ich bin mir sicher, dass sie ihn davon abhalten werden. Aber König Jakob will England, nicht Irland. Er kann es nicht erwarten.«

»Dann liegt keinem etwas an Irland?«

»Keinem. König Ludwig nicht, König Billie nicht, und auch König Jakob nicht.« Er nickte nachdenklich. »Irlands Schicksal liegt in der Hand von Männern, die sich einen Teufel um das Land scheren. Das ist seine Tragödie.«

Donatus schied eine Stunde später mit freundschaftlichen Gefühlen von O’Byrne. Aber er kehrte traurig und voller Zweifel nach Fingal zurück. Er konnte nur hoffen, dass der zynische Soldat sich irrte.

***

Maurice Smith klopfte am Ende der ersten Juniwoche an seine Tür. Er war vollständig von seiner Krankheit genesen und brannte darauf, nach Ulster zu gehen. Stolz zeigte er Donatus das Dokument mit der eidlichen Aussage, das er in einer selbst genähten, verborgenen Innentasche seines Mantels aufbewahrte. Das Schwert an seinem Gürtel verlieh ihm fast ein martialisches Aussehen. Seine Augen funkelten vor Begeisterung und Erregung. Donatus versuchte ihn zu überreden, sich einen Tag in seinem Haus auszuruhen, aber davon wollte Maurice nichts hören.

»Dann reite ich mit dir«, sagte Donatus. Am frühen Nachmittag brachen sie auf.

Wie glücklich Maurice aussah, als sie nebeneinander dahinritten. Sein Gesicht strahlte vor Entschlossenheit. Er glaubt wirklich, dass er den Stab finden wird, dachte Donatus im Stillen. Er empfand tiefes Mitgefühl mit ihm. Es war Wahnsinn, kein Zweifel. Nun, da sich die Armeen formierten, schien es ausgeschlossen, dass Maurice unbeschadet durchkam. Hatte sein Vorhaben überhaupt einen Sinn? Er dachte an sein Gespräch mit O’Byrne. Sollte er Maurice davon erzählen? Aber würde sein Cousin ihm überhaupt zuhören? Wahrscheinlich nicht.

Aber was war, wenn Maurice – und diese Möglichkeit durfte man nicht außer Acht lassen – wie durch ein Wunder und mit Gottes Hilfe den Stab fand und sicher zum Heer Jakobs II. brachte? Würde das etwas bewirken? Ja, wahrscheinlich, was O’Byrne auch immer sagen mochte. Aus dem Krieg würde ein Kreuzzug werden. Und wer konnte sagen, welche Folgen das für Irland haben würde? Nicht nur der Bischofsstab selbst, sondern auch der Umstand, dass er ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt und zusammen mit der eidlichen Aussage wieder auftauchte, würde als Zeichen verstanden werden. In dieser Hinsicht hatte Maurice Recht. Träumer und Visionäre hatten früher schon Schlachten gewonnen. Die Aussichten waren gering, die Gefahren riesig. Aber er hatte den Eindruck, dass dies Maurice im Grunde gleichgültig war.

»Deine Chancen stehen nicht gut«, zwang er sich zu sagen. »Du begibst dich in große Gefahr.«

»In keine größere als mein Vater«, entgegnete Maurice zufrieden, »als er an der Seite Brian O’Byrnes gekämpft hat.«

Donatus nickte. Er glaubte, verstanden zu haben. Sie ritten den ganzen Nachmittag und lagerten am Abend in Sichtweite des Tara-Hügels. Die Nacht war lau. Am frühen Morgen ritten sie weiter, bis der Fluss Boyne in Sicht kam. »Ich werde dich jetzt verlassen«, sagte Donatus und umarmte seinen Cousin innig. Er sah ihm noch eine Weile nach, wie er nach Norden ritt, dann wendete er jählings sein Pferd und machte sich auf den Rückweg. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er Maurice nie wiedersehen würde.

***

In der zweiten Junihälfte traf die Nachricht ein, dass Wilhelm III. mit einer großen Flotte in Belfast gelandet sei. Jakob II. und seine Truppen rückten sogleich nach Norden ab. Eine Woche verging. Bald war zu hören, dass sie Ulster erreicht hatten. Dann, einige Zeit später, dass sie zurückgetrieben wurden, in Richtung Boyne.

Donatus hörte nichts von Maurice. Es war an einem Abend im Juli, als die ersten Männer an seinem Haus vorbeikamen und eilig nach Süden weiterritten.

»König Wilhelm hat uns geschlagen. Am Boyne. Er ist auf dem Weg hierher.«

***

Der Brief von Xavier O’Byrne traf erst drei Wochen später bei Donatus Walsh ein. Sein Ton war freundschaftlich. Er schreibe ihm, so erklärte er, weil er das Gefühl habe, ihn, Donatus, zu kennen, und um ihn zu bitten, die Nachricht Maurices Angehörigen zu überbringen, wenn er es für angebracht halte.

Die Schlacht am Boyne war tatsächlich nicht mehr als ein großes Geplänkel gewesen. Aber sie hatte die Entscheidung gebracht. König Wilhelm hatte, sich mit seinem Stern und Hosenband dem Feind tapfer als Zielscheibe darbietend, seine Kavallerie persönlich gegen die irischen Truppen geführt und gesiegt. Jakob II. hatte gar nichts getan und war geflohen. Er war eine Nacht in Dublin geblieben, wo er den Iren an seinem Versagen die Schuld gab, und hatte sich dann ins sichere Frankreich abgesetzt. Die Reste der irischen Armee, die Wilhelm für seinen Mut respektierten, ob sie ihn nun mochten oder nicht, und für Jakob nur noch Verachtung empfanden, hatten sich in Limerick neu formiert. Und von Limerick aus hatte O’Byrne geschrieben. Er hatte Erstaunliches zu berichten.

Maurice Smith war tatsächlich bis Armagh gekommen. Wie er das geschafft hatte, war selbst O’Byrne unbegreiflich, aber er hatte es geschafft. Tagelang habe er dort nach dem Stab gesucht. »Leider ohne Erfolg«, schrieb der Soldat. Erst als Wilhelms Armee in Richtung Süden vorgerückt sei, habe er umkehren müssen. »Sie haben uns den guten Mann sozusagen in die Arme getrieben«, schrieb O’Byrne, »und was dann geschah, wird Euch vermutlich nicht überraschen.«

Er hatte Maurice beschworen, nach Hause zu reiten, da er ohnehin nichts Sinnvolles tun könne. Aber Maurice wollte nichts davon hören. Er hatte sein Dokument verschiedenen Leuten gezeigt. Sogar Tyrconnell, und der hatte es dem König gegenüber erwähnt. Doch ohne den Stab selbst erregte es kein großes Interesse.

»Er hatte das Gefühl, versagt zu haben, und aus diesem Grund war er, wie ich vermute, umso entschlossener zu kämpfen. Ich behielt ihn so gut ich konnte im Auge, seien Sie versichert. Doch bei der Geschichte am Boyne wurde er von einer verirrten Musketenkugel hinweggerafft. Er war, das muss ich sagen, ein tapferer Mann, wie ich keinen zweiten gekannt habe, und auf seine Weise ist er wohl so gestorben, wie er es sich gewünscht hätte.«

Es dauerte bis zum Ende des darauf folgenden Jahres, ehe Donatus wieder von Xavier O’Byrne hörte. Ohne Jakob II. hatten sich die restlichen irischen Truppen gut gehalten und im Westen weiter Widerstand geleistet. König Wilhelm hatte sich anderen Aufgaben zugewendet und den tüchtigen niederländischen General Ginkel geschickt, um die Insel vollends zu befrieden. Die katholischen Kräfte wurden von Sarsfield befehligt. Donatus kannte ihn flüchtig. Er war mütterlicherseits ein Nachfahr der irischen Clanführer, väterlicherseits ein altenglischer Gentleman wie Donatus selbst. Er schlug sich wacker und hielt den niederländischen General noch ein Jahr lang auf Trab, bis er im Herbst 1691, nachdem er sich monatelang in Limerick behauptet hatte, einen höchst ehrenvollen Frieden zu verhältnismäßig günstigen Bedingungen schloss.

Dazu gehörte die Zusage, dass die Katholiken in Irland weiterhin ohne Angst vor Verfolgung ihre Religion ausüben dürften.

Danach durften Sarsfield und rund zwölftausend Mann aus Limerick hinausmarschieren und sich nach Frankreich einschiffen. Donatus hatte gehört, dass Xavier O’Byrne bis zum Ende geblieben war, hauptsächlich, wie er annahm, aus Treue zu Irland. Umso mehr rührte es ihn, dass der Söldner sich die Mühe machte, ihm zum Abschied eine letzte Nachricht zukommen zu lassen.

***

Es ist vorbei, Donatus, ich reise ab. Hier hält mich nichts mehr. Ich werde in der Welt herumziehen, wie ich es schon so lange tue und wie es nach mir wohl auch mein Sohn tun wird.

Doch ich bin froh, dass ich in die irische Heimat zurückgekommen bin und dass ich Rathconan gesehen und gute Freunde gewonnen habe.

Nun werden wir Limerick verlassen – Iren, Soldaten und Katholiken, die wir sind – und wie die Wildgänse mit dem Wind davonfliegen, und ich glaube nicht, dass wir jemals wiederkommen werden.

Ich bedauere, dass Maurice den Stab nicht gefunden hat.

***

Wenn Donatus Walsh diesen Brief in den folgenden Jahren zur Hand nahm, was er häufig tat, dann mit zunehmender Traurigkeit. Innerhalb eines Jahres hatte das protestantische Parlament die Bestimmungen des Vertrags von Limerick aufgehoben, obwohl König Wilhelm die Katholiken liebend gern in Frieden gelassen hätte. Wer in der Schlacht am Boyne gekämpft hatte – und leider war der Name Maurice Smith ans Licht gekommen –, sollte sein Land verlieren. Die Flucht der Wildgänse, wie man den Abzug aus Limerick später nannte, war wie ein Abgesang auf eine katholische Führungsschicht, die der Insel für immer verloren ging. Vom Stab des heiligen Patrick hörte man nie wieder etwas.

Eines Tages, als sein Sohn Fortunatus sieben Jahre alt war, ritt Donatus zu dem Brunnen nach Portmarnock. Er blieb länger als gewöhnlich, und als er zurückkam, machte er seiner Frau eine überraschende Eröffnung. Ihr zweites Kind war ebenfalls ein Junge. Sie hatten ihn Terence genannt, aber danach hatten sie keine Kinder mehr bekommen. Seine beiden Söhne ansehend, erklärte Donatus jetzt ruhig: »Ich habe dem Heiligen, und auch meinem lieben Vater, versprochen, dass Terence zu einem guten Katholiken erzogen werden soll.«

»Das möchte ich doch hoffen«, erwiderte seine Frau.

»Aber da ist noch etwas, was zu Anfang wohl schwer zu ertragen sein wird, nach meiner Überzeugung aber zum Schutz der Familie und des Glaubens selbst notwendig ist.«

»Und das wäre?«

»Fortunatus soll protestantisch erzogen werden.«