CROMWELL

* 1640 *

Niemand hatte Maurice gesagt, was sie mit dem Kind im Sinn hatten. Deshalb war es für ihn eine große Überraschung.

Kurz nach Weihnachten begleitete er seine Mutter und den kleinen Daniel nach Fingal, wo sie drei angenehme Tage verbrachten. Maurice war fast die ganze Zeit mit Onkel Orlando zusammen, während sich seine Mutter und Tante Mary um das Baby kümmerten. Dann jedoch, kurz bevor sie nach Dublin zurückkehrten, eröffnete ihm seine Mutter, dass sie das Baby dort lassen würden.

»So ist es am besten für den kleinen Daniel«, sagte sie mit einem Lächeln, obwohl er eine Träne in ihrem Auge sah. »So ist es für alle am besten.« Mehr wollte sie nicht sagen.

Maurice musste seinen Vater um eine nähere Erklärung bitten.

»Es war Onkel Orlandos Idee«, erklärte der ihm. »Deine Tante Mary leidet darunter, dass sie keine Kinder hat, musst du wissen. Sie schrieb mir gegen Jahresende, ob sie nicht den kleinen Daniel großziehen könnten. Ich sprach mit deiner Mutter darüber, und wir kamen überein, dass es so am besten sei. Deiner Tante und deinem Onkel wird es Freude machen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass der kleine Daniel bei ihnen glücklich wird.« Maurice stimmte es traurig, seinen kleinen Bruder zu verlieren, aber seine Eltern würden schon wissen, was sie taten.

»Darf ich ihn denn besuchen?«, fragte er.

»Aber natürlich«, antwortete sein Vater.

Die ersten Monate des Jahres vergingen wie im Flug. Die Nachricht von O’Byrnes Hochzeit traf ein. Maurice hätte gern daran teilgenommen und fragte seine Eltern, ob sie nicht hingingen, aber sie verneinten. »Könnte ich nicht Onkel Orlando begleiten?«, fragte er. »Er wird doch bestimmt an der Feier teilnehmen.« Was aber nicht der Fall war.

Kurze Zeit nach diesem Gespräch sah Maurice, wie seine Mutter allein dasaß und ins Leere stierte. Sie sah sehr traurig aus. Er wollte gerade zu ihr gehen und fragen, ob etwas vorgefallen sei, da trat sein Vater von hinten zu ihm, nahm ihn am Arm und raunte ihm zu, dass er draußen seine Hilfe brauche. Als Maurice zu ihm sagte, dass die Mutter traurig aussehe, erwiderte Walter: »Deine Mutter hat das Bedürfnis, eine Weile allein zu sein.« Später an diesem Tag sah er, wie sein Vater schweigend den Arm um sie legte, was er nicht oft tat, und er hatte den Eindruck, dass seine Mutter in den folgenden Tagen und Wochen wieder etwas fröhlicher war.

Im März belebte sich Dublin, denn das irische Parlament wurde einberufen. Wentworth kehrte für kurze Zeit zurück, um den Vorsitz zu führen. Der König war so zufrieden mit ihm, dass er ihm den Titel Earl of Strafford verliehen hatte. Das Parlament lockte alle möglichen wichtigen Persönlichkeiten in die Stadt, so etwa die neuenglischen Grundbesitzer, denen die großen Landzuweisungen in Ulster und Munster zugefallen waren, und die protestantischen Gentlemen, die neue Wahlkreise vertraten und Wentworth eine Mehrheit von Protestanten der Kirche von Irland sicherten. Doch daneben gehörten nach wie vor viele altenglische Gentlemen und auch einige irische Aristokraten dem Parlament an.

Eines Tages, als Maurice mit seinem Vater durch die Straßen ging, deutete dieser auf einen dieser irischen Prinzen, Sir Phelim O’Neill. Maurice, der wusste, dass O’Byrne mit Sir Phelim bekannt war, musterte den Aristokraten aus Ulster neugierig. Aber wenn er eine grüblerische, imposante Erscheinung erwartet hatte, eine Gestalt aus den Tagen der Flucht der Grafen, so sah er nur einen Mann Ende dreißig, den man für einen Gentleman aus Fingal hätte halten können wie seinen Onkel Orlando. Er schlenderte mit zwei Herren ähnlichen Aussehens die Straße entlang und gab soeben einen Witz zum Besten.

»Seine beiden Begleiter sind Rory O’More und Lord Maguire«, sagte sein Vater leise. »O’Neill ist mit dem großen Tyrone verwandt, natürlich nur entfernt, aber er soll bis über beide Ohren verschuldet sein. Um die Wahrheit zu sagen, sind auch die beiden anderen nicht besonders gut gestellt. Als irische Führer haben sie schwerlich das Format ihrer Vorfahren.«

»Aber im Parlament hat ihre Stimme doch Gewicht?«

»Sie sprechen für das alte Irland, wenn man so will, und für die katholische Sache. Außerdem sind sie im Parlament, um zu sehen, was sie dabei herausschlagen können.«

»Ich dachte«, erwiderte Maurice, »die meisten Parlamentsmitglieder seien aus diesem Grund hier.«

»Wahrscheinlich.« Sein Vater schmunzelte und setzte, wieder ernster, hinzu: »Allerdings wurde ihnen und ihrem Stand in der Vergangenheit so viel Land weggenommen, dass man ihnen kaum einen Vorwurf daraus machen kann, wenn sie sich davor zu schützen suchen, noch mehr zu verlieren.«

Wentworths Absicht war offensichtlich: Er wollte das irische Parlament dazu bewegen, für den Krieg des Königs gegen die Schotten Geld einzutreiben und Truppen auszuheben. Die Zustimmung des Parlaments ließ nicht lange auf sich warten. »Sie haben das Geld bewilligt, um Wentworth loszuwerden«, bemerkte sein Vater trocken. Und in der Tat war Wentworth im April wieder in London, wo das englische Parlament einberufen wurde.

Aber die Engländer waren nicht geneigt, ihrem König zu helfen. Elf Jahre lang hatte Karl I. ohne Parlament regiert, hatte sie mit Steuern geschröpft und mit Willkürakten drangsaliert, und obendrein hatte er ihnen eine Kirche aufgezwungen, die seinen größtenteils puritanischen Untertanen verhasst war. Beinahe zwei Prozent der Bevölkerung waren in den zurückliegenden zehn Jahren nach Amerika ausgewandert. Jetzt kam der Tag der Abrechnung. Die Parlamentsführer standen mit den Schotten im Bund, und sie wussten um ihre Stärke. Bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße hatten die Smiths mit Doyle über die Lage in London gesprochen.

»Sie werden den König unter Druck setzen«, hatte ihnen Doyle mit grimmigem Lächeln prophezeit. Und das hatten sie auch getan. König Karl tobte. Keinen Monat später traf die Nachricht ein: »Er hat sie alle wieder nach Hause geschickt.«

In jenem Monat sah Maurice die erste Einheit der neuen Soldaten, deren Aushebung das irische Parlament zugesagt hatte. Er hatte Doyle am Tor zum Dublin Castle getroffen, als ein etwa hundert Mann starker Trupp den Hügel heraufmarschiert kam und durchs Tor verschwand.

»Das werden die Leute sein, die sie in Kildare angeworben haben«, bemerkte der Kaufmann. Die meisten Rekruten waren arme Schlucker, katholische Tagelöhner und dergleichen, doch an ihrer Spitze ritt ein kleiner Mann mit harten Gesichtszügen, der Maurice wie ein Ausländer vorkam. »Das ist der Oberst, der Mann, der die Soldaten angeworben hat«, erklärte Doyle. »Die Mannschaften sind Katholiken, aber die Offiziere werden Protestanten sein. Manche wie der da sind Söldner vom Kontinent, die das Parlament dafür bezahlt, Soldaten zu rekrutieren und auszubilden.« Er seufzte. »So stellt man Armeen auf, Maurice. Es ist ein Geschäft wie jedes andere.« Bis auf weiteres, so erfuhr Maurice, sollten die Soldaten nach Ulster in Garnison gelegt werden.

Sie hatten sich gerade von der Burg abgewendet und schlugen den Weg zur Christ Church ein, als Maurice den alten Mann und das Mädchen bemerkte, die ihnen entgegenkamen. Der Mann, vor dem sich Doyle höflich verneigte und der seinen Gruß mit einem diskreten Lächeln des Erkennens erwiderte, war eine vornehme Erscheinung, elegant gekleidet, jedoch so klein, dass er Maurice kaum über die Schulter reichte. Er hatte ein schmales Gesicht, einen schneeweißen Bart und freundliche Augen vom blassesten Blau, das Maurice jemals gesehen hatte.

»Das war Cornelius van Leyden«, murmelte Doyle, sowie sie vorüber waren. »Ein niederländischer Kaufmann.« Maurice kannte mehrere Niederländer in der Stadt, aber er war sich ziemlich sicher, dass er den Alten noch nie gesehen hatte. »Er ist erst seit kurzem hier«, erklärte Doyle. »Sein Sohn hatte hier ein Geschäft, ist aber gestorben, und so ist der alte Mann herübergekommen, um nach dem Geschäft zu sehen. Es gefällt ihm hier, sagt er, und so hat er sich zum Bleiben entschlossen. Wie ich höre, hat er oben in Nord-Fingal ein Gut gepachtet.«

»Ist er Protestant?«

»Ja. Wie die meisten Niederländer. Und er hat gute Beziehungen. Er kennt den Grafen von Howth, und anscheinend ist er ein alter Freund von Ormond.« Von den beiden großen altenglischen Dynastien Irlands hatten die Fitzgeralds größtenteils an ihrem katholischen Glauben festgehalten, während der reiche Lord Ormond, Oberhaupt der Butlers, zur protestantischen Kirche von Irland übergetreten war. »Der Niederländer ist ein liebenswürdiger alter Knabe«, sagte Doyle zum Schluss. »Und wohlhabend.«

»Und das Mädchen?«, fragte Maurice.

»Seine Enkelin.« Doyle warf ihm einen kurzen Blick zu. »Hübsch, findest du nicht?«

Maurice drehte sich um und schaute ihr nach. Der Alte stützte sich mit einer Hand auf ihren Arm, während er steif die Straße hinunterstakste. Maurice schätzte sie etwas jünger als er selbst war. Sie hatte eine schlanke, elegante Figur und trug ihr langes goldenes Haar offen, sodass es ihr Gesicht rahmte. Im Vorbeigehen hatte er bemerkt, dass sie cremefarbene Haut und makellos weiße Zähne hatte. Und dass sie seinen Blick mit einem Anflug von Interesse erwidert hatte. Sie wirkte wie ein stilles Wasser, doch sein Gefühl sagte ihm, dass sie von sinnlicher Natur war. Er gaffte ihr nach, bis ihm Doyle einen Stups gab. Er fuhr herum und blickte in die belustigten Augen des Kaufmanns.

»Sie ist Protestantin, Maurice«, sagte er ruhig. »Du kannst sie nicht heiraten.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Maurice. Aber er fragte sich, ob er sie wohl wiedersehen würde.

***

Es wurde ein trüber, verregneter Sommer. In der Region Dublin fiel die Ernte schlecht aus, und oben in Ulster, so hatte Maurice gehört, wurde sie vollständig vernichtet. Was das Mädchen mit dem goldenen Haar betraf, so hatte er sie nicht wiedergesehen. Er vermutete, dass sie oben in Fingal weilte oder mit ihrem Großvater in die Niederlande zurückgekehrt war.

Soldaten bekam er selten zu Gesicht. Die Truppenaushebung war recht erfolgreich verlaufen. Man hatte ein Heer von neuntausend Mann aufgestellt. Aber die Soldaten und ihre Offiziere waren oben in Ulster, wo sie bei Bauern und Städtern einquartiert wurden. »Angesichts der Missernte gibt es da oben viel böses Blut, weil man so viele Männer beherbergen und verpflegen muss«, erzählte ihm sein Vater.

Gegen Ende des Sommers trafen weitere Neuigkeiten ein. Die Schotten waren über die Grenze nach England vorgerückt, und das königliche Heer hatte sich zurückgezogen. Bald darauf berichteten im Hafen eintreffende Kaufleute: »König Karl hat klein beigeben müssen. Die Schotten sollen ihre Religion behalten, und obendrein muss er ihnen eine Entschädigung bezahlen.«

»Sie haben ihn gedemütigt«, bemerkte Walter Smith. »Das kann er sich nicht bieten lassen.«

Im September durfte Maurice Onkel Orlando und den kleinen Daniel besuchen. Er blieb mehrere Tage. Daniel ging es sichtlich gut. Es war offensichtlich, dass er jetzt Mary Walsh für seine Mutter hielt, die mit ihm spielte und ihn herzte, als sei er ihr leibliches Kind. Orlando war sehr freundlich und nahm Maurice zu mehreren Nachbarn mit, die er besuchte. Eines Morgens schauten sie bei den Talbots in Malahide vorbei und statteten dem Dorf und den Austernbänken in der Bucht gleich oberhalb der Burg einen Besuch ab. Als sie wieder zurückritten, sagte Orlando: »Ich muss noch nach Swords, Maurice. Wenn du mitkommen willst.«

Das Städtchen Swords lag von Malahide aus vier Meilen im Landesinneren, an der Straße, die nach Norden in Richtung Ulster führte. Hatte es früher ein Mönchskloster beherbergt, so war es jetzt ein wohlhabender kleiner Wahlbezirk, der zwei Abgeordnete ins irische Parlament entsandte. Während Orlando dort einen Kaufmann aufsuchte, erkundete Maurice den Ort. Die belebte Hauptstraße hatte einen freundlichen Gasthof namens The Boot aufzuweisen. Es gab einen kleinen Bergfried und zwei alte Kapellen, und auf einem Kirchhof ragte ein prächtiger alter Rundturm, der gewiss noch aus der Wikingerzeit stammte, imposant in den Himmel.

Maurice schlenderte gerade wieder auf der Hauptstraße zurück, als er das hübsche Mädchen erblickte. Sie wartete vor der Sattlerei. Diesmal war ihr blondes Haar geflochten und unter einem Hut versteckt. Das ließ sie etwas älter, fraulicher wirken. Er trat zögernd auf sie zu.

»Sind Sie nicht die Enkelin von Cornelius van Leyden?«

»Ja. Wenn Sie zu ihm wollen, er ist da drin.« Sie deutete auf die Sattlerei.

»Ich würde lieber mit Ihnen sprechen«, erwiderte er kühn.

Sie musterte ihn kühl.

»Und wer sind Sie?«

Er erklärte rasch, wer er war, und setzte hinzu: »Ich bin mit Kaufmann Doyle aus Dublin verwandt.«

»Ah.« Ihre Miene hellte sich auf. »Den kennen wir.«

Er erfuhr, dass sie Elena hieß, dass ihr Gut nur ein paar Meilen weiter nördlich an der Küste lag und dass sie den ganzen Sommer bei ihrem Großvater verbracht hatte, aber in Bälde mit ihm nach Dublin zurückzukehren gedachte.

»Vielleicht sehen wir uns dort«, sagte er.

»Vielleicht.«

In diesem Augenblick trat ihr Großvater ins Freie, und Maurice stellte sich vor.

»Der Sohn von Walter Smith? Ah ja.« Der alte Herr war höflich, aber reserviert, und als er zu verstehen gab, dass er und seine Enkelin noch eine Besorgung zu machen hätten, zog sich Maurice zurück. Doch er bemerkte, dass Elena, als sie sich von ihrem Großvater unbeobachtet wähnte, den Kopf nach ihm umwandte.

 

Als das Jahr 1640 sich seinem Ende zuneigte, hatte Faithful Tidy die Nase gestrichen voll. »Ich bin froh, wenn ich das Trinity College hinter mir habe«, klagte er seinem Vater. »Wenn ich nur endlich das alte Ekel los bin.« Ja, er begann sich sogar schon zu fragen, ob Doktor Pincher noch ganz richtig im Kopf war.

Im November wurde immer deutlicher, dass Pincher in einem Zustand unterdrückter Erregung war. Karl I., von den Schotten gedemütigt und wegen Finanzknappheit außerstande, ihnen die Entschädigung zu bezahlen, hatte widerstrebend das englische Parlament wieder einberufen. Kaum zusammengetreten, hatten die aufgebrachten Abgeordneten entschlossen gehandelt. Mittlerweile waren sie davon überzeugt, dass der König und sein Minister ein katholisches Komplott schmiedeten und die in Irland ausgehobenen Truppen gegen sie einzusetzen gedachten; folglich gingen sie zum Gegenangriff über und erhoben Anklage gegen den unlängst geadelten Wentworth. »Man hat ihn in den Tower von London gesperrt«, berichtete Pincher dem jungen Faithful schadenfroh. Das war ein vernichtender Schlag gegen Karl I. Das Parlament hatte es darauf angelegt, seinen wichtigsten Berater aus dem Weg zu räumen. »Überlasst ihn uns«, forderten seine Mitglieder rundheraus, »oder Ihr bekommt keinen Penny.« Einige Leute hegten den Verdacht, dass sie den König dauerhaft an die Kette legen wollten.

Da es sich bei der Anklage um ein gerichtliches Verfahren handelte, mussten Beweise für Wentworths Missetaten beigebracht werden, und bald eilten Boten zwischen London und Dublin hin und her. Mit seiner despotischen Art hatte sich der Lord Deputy unter Katholiken wie Protestanten nicht wenige Feinde gemacht, und nun, da es nicht mehr gefährlich war, machte auch Pincher aus seinem Widerwillen gegen ihn keinen Hehl mehr. Eines Morgens sah Faithful einen der Männer, die Wentworths Anklage vorbereiteten, aus der Wohnung des Alten kommen.

Im Dezember trafen weitere Neuigkeiten ein. Einige Londoner Puritaner hatten im Parlament offen vorgeschlagen, alle Bischöfe abzuschaffen und in England stattdessen eine presbyterianische Kirche zu errichten. Als Doktor Pincher davon erfuhr, glänzte ein Ausdruck der Verzückung auf seinem Gesicht.

Aber warum war Pincher nun, da alle seine Feinde auf dem Rückzug waren, geradezu von dem Gedanken besessen, dass er bedroht sei?

»Dunkle Mächte ziehen auf, Faithful«, unkte er immer wieder. »Wir müssen uns gegen sie wappnen.«

Im Januar und Februar 1641 blieb es in Dublin ziemlich ruhig. Je näher der Prozess gegen Wentworth rückte, desto deutlicher wurde, dass das englische Parlament entschlossen war, alle gesetzlichen Mittel auszuschöpfen, um ihn zu vernichten. Angeblich lagen Beweise dafür vor, dass er beabsichtigt hatte, mit den in Irland ausgehobenen Truppen gegen das englische Parlament vorzugehen. »Er wird aus dem Prozess nicht lebend herauskommen«, erklärten seine Feinde. Doch auch das vermochte Pincher nicht zu beruhigen. Einmal, als Faithful sich die Bemerkung erlaubte, dass er nicht verstehe, wieso er sich Sorgen mache, rügte ihn Pincher.

»Du musst über den heutigen Tag hinausschauen, Faithful Tidy. Wentworth ist ein Teufel. Aber er ist stark. Wenn er erst weg ist, hat das Staatsschiff keinen Kapitän mehr. Und dann steht alles auf dem Spiel.«

»Aber wenn die Engländer und die Schotten den König zwingen, ihnen eine presbyterianische Kirche zu geben«, begann Faithful, »dann wird hier in Irland …«

»Du musst über England hinausschauen. Du musst über Schottland hinausschauen. Du musst deinen Blick auf Europa, auf die gesamte Christenheit richten, wenn du verstehen willst, was in Irland geschieht«, mahnte der Doktor eindringlich. Und wie gewöhnlich setzte er hinzu: »Die Mächte des Bösen formieren sich.«

Bereits Anfang Dezember hatte der Doktor begonnen, Faithful mit überaus lästigen Aufträgen zu betrauen. Zu bestimmten Zeiten – der junge Mann wusste nie, nach welchen Gesichtspunkten Pincher sie auswählte – wurde er aufgefordert, vor dem Haus eines bekannten Katholiken Posten zu beziehen. Häufig war es die Wohnung des Jesuitenpaters Lawrence Walsh. Mal sollte er sich am frühen Morgen dorthin begeben, mal nach Einbruch der Dunkelheit. »Aber eiskalt ist mir dabei immer«, klagte Faithful seinem Vater. Wenn der Jesuit beispielsweise Besuch bekam, sollte er das notieren und versuchen, die Identität des Besuchers festzustellen. Wenn Pater Lawrence das Haus verließ, sollte er ihm folgen und in Erfahrung bringen, wohin er ging und, wenn möglich, mit wem er sich traf. Bisweilen verstrichen ein oder zwei Wochen, ohne dass der Doktor ihn behelligte. »Aber es braucht nur zu regnen, und schon schickt er wieder nach mir«, erklärte Faithful. »Und jedes Mal, wenn ich ihm berichte, was ich gesehen habe, sagt er mir, dass ich Gottes Werk tue.«

»Du musst es trotzdem tun«, erwiderte sein Vater.

1641 ging ins Land, aber Pincher nahm seine Dienste weiter in Anspruch.

»Also, wenn ihr mich fragt«, sagte Faithful zu seinen Eltern, »ist der alte Narr vollends übergeschnappt.«

***

Anfangs hatte Orlando die Anwesenheit des kleinen Daniel im Haus als störend empfunden. Zwar zweifelte er nie daran, dass er und Mary das Richtige getan hatten, als sie sich erboten, dem Kind ein neues Zuhause zu geben, denn im Haus der Familie Smith konnte seine Gegenwart doch nur Bitterkeit hervorrufen. Nur brauchte das Kind so viel Zuwendung, dass er sich mehr als einmal insgeheim fragte, ob das Ganze nicht ein Fehler gewesen sei. Mit der Zeit freilich lernte er, anders darüber zu denken.

Der Grund war die Veränderung, die er an Mary beobachtete. Denn je besser sie mit den Monaten in ihre Mutterrolle fand, desto offenkundiger wurde, dass mit ihr eine Wandlung vor sich ging. Ihre Züge wurden weicher, und wenn sie mit dem Kind zusammen war, verströmte sie einen milden Glanz. Sie wurde ausgeglichener, lachte mehr. Eine Wolke der Wärme und Sanftheit legte sich auf das Haus. An Weihnachten hatte sie ihm anvertraut: »Es ist merkwürdig, aber mir ist, als sei es mein leibliches Kind.«

»Mir geht es ebenso«, erwiderte er lächelnd und nahm sie in den Arm. Dies entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, doch seine Liebe zu ihr war so groß, dass er es in dem Glücksgefühl, das ihn bei diesen Worten durchströmte, um ihretwillen glaubte. Er hatte nicht mehr das Gefühl, dass etwas fehlte. Sie waren jetzt eine glückliche kleine Familie. Er gab es sogar auf, zu dem heiligen Brunnen nach Portmarnock zu gehen.

Ostern nahte, und die Fastenzeit begann. Für Orlando war das vierzigtägige Fasten immer eine ganz besondere Zeit. Er ging auf dem Gut und in Dublin wie gewohnt seiner Arbeit nach, doch versuchte er, sein Haus zu einem besonderen Ort zu machen, der von den Ereignissen in Dublin oder London möglichst unberührt blieb. Darin war er mit Mary eines Sinnes. So blieben auch diesmal wie schon in den Jahren zuvor Fleisch und Fisch, Eier, Käse, Milch und Wein von ihrem Tisch verbannt. Auch enthielten Mary und er sich der ehelichen Beziehungen. Über vierzig Nächte schliefen sie im selben Zimmer, entsagten jedoch allen fleischlichen Genüssen. Und mit den Jahren waren diese sechs Wochen der Enthaltsamkeit, die ihnen wahrlich nicht leicht fiel, eine Zeit besonderer Zärtlichkeit für sie beide geworden.

Die Karwoche kam. Am Palmsonntag suchte Orlando, einer plötzlichen Regung folgend, wieder den heiligen Brunnen in Portmarnock auf. Doch einmal dort, empfand er eine solche Liebe zu seiner Frau und zu dem Frieden seines Hauses, dass er, statt den Heiligen zu bitten, Fürsprache für ihn einzulegen, überhaupt keine Bitte vortrug, sondern nur für das Gottesgeschenk in Gestalt des kleinen Daniel und das Glück Marys dankte, bevor er wieder den Heimweg antrat.

Die restliche Woche bis zum Karfreitag und Karsamstag, den Tagen der Trauer, hielten sie ihr stilles Fasten und Beten durch. Dann begaben sie sich nach Malahide Castle, um die Osterkerze zu entzünden, und nahmen an der Ostermesse teil. An diesem Abend waren sie beide müde. Am Ostermontag beendeten sie das Fasten und speisten am späten Nachmittag gemeinsam. Dann zogen sie sich in ihr Schlafzimmer zurück. Und als Orlando seine Frau an diesem Abend mit großer Liebe und Zärtlichkeit in die Arme nahm, hatte er das Gefühl, dass etwas Außergewöhnliches mit ihnen geschah.

***

Brian O’Byrne zögerte, als er Pater Lawrence Walsh erblickte. Eine Begegnung mit diesem Mann konnte unangenehm werden.

Es war ein Spätsommertag, doch seit Wochen nieselte es ununterbrochen. Der Sommer 1641 drohte noch schlimmer zu werden als der des Vorjahres. Das zweite Misserntejahr hintereinander.

Er war seit Monaten nicht mehr in Dublin gewesen, doch eine Nachricht von Sir Phelim O’Neill, dem Verwandten seiner Frau, der immer noch an den Sitzungen des irischen Parlaments teilnahm, hatte ihn veranlasst, aus Rathconan herzukommen. Sir Phelim hatte ihm geschrieben, dass er ihn umgehend zu sprechen wünsche. O’Byrne hatte bereits den gestrigen Abend mit ihm verbracht und sollte ihn heute noch einmal treffen. Die Stunden bis dahin vertrieb er sich, indem er über Märkte schlenderte und ein kleines Geschäft tätigte. Das Haus der Smiths hatte er gemieden. Er hatte keine Lust, Walter zu begegnen, und da er jetzt an seine neue Frau zu denken hatte, gehörte die Sache mit Anne der Vergangenheit an. Den jungen Maurice hätte er natürlich gern wieder getroffen, aber es sollte nun mal nicht sein.

Wie es um die beiden Brüder Annes stand, wusste er nicht genau. Seinen Freund Orlando hatte er seit Jahren nicht gesehen. Er hatte nur gehört, dass Orlando und seine Frau das Kind, das Anne von ihm, Brian, empfangen hatte, adoptiert hatten. Aber wie sie zu ihm selber standen, wusste er nicht, und er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte. Aber dass Pater Lawrence seine Affäre entschieden missbilligt hatte, konnte er sich denken.

Umso überraschter war er, als der Pater lächelnd auf ihn zukam und rief: »Genau der Mann, den ich sprechen wollte.«

O’Byrne wurde sofort stutzig. Während er den Gruß des Jesuiten höflich erwiderte und in sein kluges Asketengesicht blickte, ertappte er sich bei dem Gedanken: Was er wohl herausfinden möchte?

»Sie waren doch bestimmt bei Sir Phelim?« Eine Frage. Das wissen Sie doch ganz genau, dachte Brian bei sich und ließ sich von dem anderen unter das hölzerne Vordach eines Kaufmannshauses ziehen, das sie vor dem Regen schützte und eine feuchte Enklave bildete. »Dies sind interessante Zeiten für Katholiken, O’Byrne«, sagte der Jesuit.

Im Mai hatte das englische Parlament seinen Willen durchgesetzt. Der Prozess gegen Wentworth war zwar eine Farce gewesen, aber die Abgeordneten hatten den König gezwungen, Wentworths Todesurteil zu unterzeichnen. Unter dem Jubel der Menge war er geköpft worden. Im Moment gab es keinen neuen Lord Deputy in Irland. Zwei Männer von niedrigerem Rang, die so genannten Lord Justices, verwalteten jetzt die Insel von Dublin aus. Schließlich hatte das englische Parlament die neuntausend Rekruten in Ulster entlassen, von denen es sich bedroht fühlte. Karl I. hatte jetzt kaum noch Truppen in Irland.

Daher war es keine Überraschung, dass man sich nun auch im irischen Parlament fragte, wie man die Schwäche des Königs ausnutzen konnte. »Irland soll ein separates Königreich werden«, forderten einige Altengländer. »König Karl bleibt natürlich König, aber wir wollen nicht mehr dem Londoner Parlament Rechenschaft ablegen müssen. Irland soll von den Iren regiert werden.« Womit sie natürlich sich selber meinten. Für loyale Gentlemen wie Orlando Walsh, die sich begründete Hoffnungen machten, dass eine solche Regierung letztlich katholisch sein würde, hatte dieser Gedanke seinen Reiz. Zumindest wäre der König gezwungen, ihnen als Gegenleistung für ihre Unterstützung Gnadenerweise zu gewähren und alle weiteren Siedlungspläne aufzugeben.

O’Byrne wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Alteingesessene irische Aristokraten wie Sir Phelim würden zweifellos der Führungsschicht angehören, und dank der verwandtschaftlichen Bande seiner Frau würde wohl auch er selbst davon profitieren. Aber er bezweifelte, dass es für die kleineren irischen Grundbesitzer dabei viel zu gewinnen gab.

Und davon abgesehen: Würden sich die Hoffnungen der Katholiken jemals erfüllen? Ihre beiden Forderungen waren den neuenglischen Protestanten im irischen Parlament ein Gräuel, von den Puritanern in London ganz zu schweigen. Der König mochte vielleicht nachgeben, aber die Protestanten niemals.

Die Zusammenkunft am gestrigen Abend war sehr vertraulich gewesen. Erst nach seiner Ankunft in Dublin hatte er erfahren, was der Verwandte seiner Frau von ihm wollte. »Ich möchte, dass Sie an meiner Stelle hingehen und mir hinterher berichten«, hatte er erklärt. »Noch kann ich mich in dieser Angelegenheit nicht festlegen, das wäre zu gefährlich. Gehen Sie deshalb hin, machen Sie sich kundig, und sagen Sie mir, was Sie davon halten.« In Anbetracht ihrer Beziehung hatte O’Byrne nicht ablehnen können. Wie geheißen hatte er das Haus eines katholischen Gentlemans in der Gemeinde Saint Audoen’s aufgesucht. Drei Stunden lang waren in regelmäßigen Abständen weitere Besucher erschienen. Lord Maguire, O’More. Sie hatten ausführliche Gespräche geführt. Manches, was O’Byrne dabei zu hören bekam, klang beängstigend. Bevor er das Haus wieder verließ, hatte er wie alle anderen schwören müssen, über das, was gesprochen worden war, absolutes Stillschweigen zu bewahren.

»Interessante Zeiten? Vermutlich«, erwiderte O’Byrne daher jetzt.

»Sir Phelims Meinung wäre von Interesse«, begann der Jesuit wieder leise.

»Er ist ein sehr guter Mann, daran besteht überhaupt kein Zweifel«, erwiderte O’Byrne höflich. »Obwohl er mit meiner Frau nur weitläufig verwandt ist, hat er mir viele Gefälligkeiten erwiesen.« Und dann langweilte er Pater Lawrence ein oder zwei Minuten lang mit einer Anekdote über O’Neills Gutherzigkeit.

»Ganz Europa blickt auf uns«, sagte der Jesuit und sah Brian O’Byrne forschend an.

Über dieses Thema wusste Pater Lawrence zweifellos mehr als O’Byrne. Und der Jesuit hatte Grund zur Zufriedenheit.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten die Kräfte der katholischen Gegenreformation überall in Europa beachtliche Erfolge erzielt. In Frankreich waren die Calvinisten eine bedrohte Minderheit, die wohl toleriert wurde, aber auf dem Rückzug war. Die mächtigen Lutheraner in Deutschland waren trotz Unterstützung durch gleich gesinnte Engländer, Dänen und Niederländer aus vielen Gebieten verdrängt worden und nur durch das protestantische Heer Schwedens vor dem völligen Scheitern bewahrt worden. Im Osten war die Hälfte der protestantischen Kirchen Polens bereits verschwunden. In Mitteleuropa waren die Protestanten aus Österreich vertrieben worden, und eine mächtige Koalition spanischer, deutscher und päpstlicher Kräfte hatte die großen protestantischen Gemeinden Böhmens und Mährens zerschlagen und diese Länder wieder zum katholischen Glauben zurückgeführt.

»Es gibt wackere Iren auf dem Kontinent, die bereit sind, der heiligen Sache zu dienen«, fuhr Pater Lawrence leise fort. Seit zwei Generationen dienten Iren, die ihre Heimat verlassen hatten, in den Heeren des katholischen Europa. Irische Stammesführer und Fürsten waren auf dem Kontinent zu erfahrenen Heerführern aufgestiegen und bekleideten hohe Posten. »Und vielleicht«, sagte der Jesuit und behielt O’Byrne dabei scharf im Auge, »werden sie die Gelegenheit bekommen, der Sache in ihrer Heimat zu dienen.«

Brian brauchte einen Augenblick, ehe er antwortete. Er wusste nicht, welche Hoffnungen die katholischen Mächte in Europa an Irland knüpften oder wovon im Exil lebende Iren träumten. Pater Lawrence wusste es ohne Zweifel, und er wollte den Jesuiten keinesfalls vor den Kopf stoßen. Aber es kam ihm nicht zu, über die Ansichten Dritter Auskunft zu geben, zumal er einen Eid geschworen hatte, das, was er am Vorabend gehört hatte, für sich zu behalten. Wenn diese Leute Pater Lawrence einzuweihen wünschten, würden sie es noch früh genug tun. Also hielt er es für das Klügste, sich in Unwissenheit zu flüchten.

»Glauben Sie?«, fragte er und erntete dafür einen zornigen Blick. Es wurde Zeit, das Thema zu wechseln. »Gibt es etwas Neues von Orlando?«, erkundigte er sich.

Und dann erfuhr er zu seinem großen Erstaunen, dass Mary Walsh schwanger war.

»Es muss kurz nach Ostern passiert sein«, erklärte der Jesuit. »Sie haben es lange verheimlicht. Selbst ich weiß es erst seit kurzem. Wenn alles gut geht, wird sie das Kind, glaube ich, im November bekommen.« Er lächelte. »Nach so vielen Jahren ist es in der Tat ein Geschenk Gottes.« Darin konnte ihm O’Byrne nur beipflichten.

Er fragte sich, ob er seinen früheren Freund besuchen sollte. Als Faithful Tidy sah, wie sich die beiden Augenblicke später trennten, notierte er die Uhrzeit und folgte dem Jesuiten bis zu dessen Wohnung. Sobald dieser die Tür hinter sich geschlossen hatte, durfte auch Faithful nach Hause gehen. Er wusste zwar nicht, was an einer zufälligen Begegnung zwischen dem Jesuiten und O’Byrne aus Rathconan von besonderem Interesse sein könnte. Gleichwohl machte er sich für den alten Pincher eine Notiz.

***

Walter Smith war ein ehrlicher Mann, aber er hielt sich auch für klug. Seine Geschäfte hatten ihn im Lauf der Jahre reich gemacht. Als Anne sich in O’Byrne verliebte, hatte er es viel früher bemerkt als sie selbst. Und was die öffentlichen Angelegenheiten betraf, so verfolgte er sie genau. Im Großen und Ganzen war er im Herbst 1641 verhalten zuversichtlich.

Ob Anne noch in O’Byrne verliebt war? Wahrscheinlich. Aber der Mann aus den Bergen hatte sie verletzt und enttäuscht. Sie hatte sich nach der ungezügelten Freiheit der Wicklow-Berge gesehnt, aber die hatten sich als rauer Landstrich entpuppt. Nun, da O’Byrnes Kind glücklich in Fingal und aus den Augen war, hatten die Wärme und Geborgenheit einer Familie und das komfortable Haus in Dublin wieder einiges für sich. Zusammen mit Annes Schuldgefühlen und ihrer Dankbarkeit für seine Vergebung hatte dieser Umstand dazu beigetragen, seine Frau wieder mit ihm zu versöhnen, und er nahm an, dass sie jetzt so glücklich waren wie die meisten Paare in ihrem Alter.

Auch Maurice bereitete ihm mit seinem Fleiß mehr und mehr Freude. Zudem sah er blendend aus, seine grünen Augen leuchteten förmlich.

Die politische Lage beurteilte Walter mit vorsichtigem Optimismus. In Dublin war es ruhig. Im August war das Parlament vertagt worden, und Phelim O’Neill und seine Freunde waren auf ihre Ländereien zurückgekehrt, um von der Ernte zu retten, was noch zu retten war. Karl I. kam mit den Schotten nicht weiter. Einem so schwachen Monarchen, so fand Walter nach wie vor, mussten sich aus Sicht der Katholiken in Irland doch ein paar Zugeständnisse abringen lassen. Und selbst wenn das nicht gelingen sollte, ging er davon aus, dass der übliche Zustand unsicherer Tolerierung anhalten würde.

Ein Umstand freilich stimmte ihn bedenklich. Einige Soldaten, die im Sommer nach Hause geschickt worden waren, hatten ihren Sold nicht bekommen, und von Zeit zu Zeit streiften Banden dieser Leute durchs Land. »Die Regierung will nicht zulassen, dass sie von Söldnerkommandeuren in Europa rekrutiert werden«, sagte er zu seinem Sohn. »Das ist bedauerlich, denn dann wären wir sie wenigstens los.« Doch Anfang Oktober galt seine Hauptsorge der Nahrungsversorgung im Winter. Auf den Feldern, die er oberhalb des Liffey noch besaß, hatte er einen Teil der Ernte retten können, was laut Orlando den meisten Farmern in Fingal gelungen war. Weiter im Norden, in Ulster, war die Lage jedoch schlimmer. In Dublin zogen die Brotpreise, die seit dem letzten Jahr ohnehin unablässig stiegen, weiter an. Reiche Leute wie er würden zurechtkommen, aber die Ärmeren brauchten bald Hilfe. »Als mein Großvater jung war«, erzählte er gern, »damals, als die Protestanten die Klöster noch nicht aufgelöst hatten, wurden die Armen in Notzeiten von den religiösen Orden gespeist.« Mit Doyle und mehreren anderen Kaufleuten hatte er bereits darüber gesprochen, welche Maßnahmen man dem Stadtrat vorschlagen könnte, falls die Not zu groß wurde.

***

Der Samstag war Markttag in Dublin. Karren mit allen erdenklichen Produkten rollten aus dem Umland in die Stadt, und Menschen strömten herbei, um einzukaufen oder sich zu vergnügen. Samstage waren fröhliche, geschäftige Tage. Und der 23. Oktober 1641 begann wie jeder andere. Jedenfalls fast.

Das Gerücht kam bereits am frühen Morgen auf. Maurice, der auf den Markt gegangen war, brachte es mit nach Hause.

»An allen Stadttoren stehen Soldaten, und die Burg ist geschlossen und wird bewacht. Oben in Ulster ist ein Aufstand ausgebrochen. Und wie es heißt, soll auch hier in Dublin eine Verschwörung aufgedeckt worden sein. Niemand weiß genau, was los ist.« Wenig später schaute Doyle vorbei und brachte weitere Neuigkeiten.

»Gestern Abend betrank sich ein Bursche in einer Schenke und prahlte damit, dass er und seine Kameraden am Morgen Dublin Castle besetzen würden. Jemand ging zu den Lord Justices, und spät in der Nacht holte man den Aufschneider ab zum Verhör. Zuerst nahm ihn keiner ernst, aber dann sah man oben in Ulster Brände. Wir warten immer noch auf Nachrichten. Die Männer in der Burg sind in Aufruhr. Sie trommeln Leute zusammen. Anscheinend«, so fügte er mit einem Seitenblick auf Walter hinzu, »handelt es sich um eine katholische Verschwörung. Aber wie es aussieht, war sie wohl schlecht vorbereitet.«

»Ich weiß von nichts«, beteuerte Walter Smith wahrheitsgemäß.

»Ich habe nichts anderes angenommen«, erwiderte Doyle vergnügt und ging seines Weges. Maurice kehrte unverzüglich zum Markt zurück, um Genaueres in Erfahrung zu bringen.

So war Walter in hohem Maße überrascht, als er eine halbe Stunde später, nachdem Anne ihm gemeldet hatte, dass ein Herr gekommen sei und ihn unter vier Augen zu sprechen wünsche, ins Wohnzimmer trat und dort einen alten Mann sitzend vorfand, den er nie zuvor gesehen hatte und der sich bei seinem Eintreten steif erhob, eine höfliche Verbeugung machte und sagte:

»Ich bin Cornelius van Leyden.«

***

Maurice war noch keine Stunde auf dem Markt, als er die Neuigkeit erfuhr. Ein Kaufmann, den er kannte, gesellte sich zu ihm. Er machte ein besorgtes Gesicht.

»Sie haben dreißig Leute verhaftet. Und wissen Sie was? Einer von ihnen ist Lord Maguire.«

Ein führendes Parlamentsmitglied. Die Verschwörung mochte gescheitert sein, aber wenn ein so bedeutender Mann darin verwickelt war, musste sie einen ernsten Hintergrund haben. Maurice hatte gerade begonnen, den Kaufmann auszufragen, als er seine Mutter in Begleitung einer Hausangestellten auf sich zueilen sah.

»Maurice«, drängte sie ihn, »du musst sofort nach Hause kommen.«

Er hatte seine Mutter noch nie so aufgelöst gesehen. Obwohl ihnen unterwegs wenig Zeit blieb, teilte sie ihm mit, wessen er beschuldigt wurde. »Sag mir, dass es nicht wahr ist«, flehte sie. Wie sollte er es ihr erklären?

»Es ist wahr«, sagte er. Doch seltsamerweise hörte sie nur mit halbem Ohr zu.

»Dein Vater wird mir die Schuld geben«, rief sie und schüttelte traurig den Kopf, was er überhaupt nicht verstand.

»Ja, ich weiß«, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit. »Sie hätten so etwas nie getan, Sie und Vater.«

»Gar nichts weißt du«, erwiderte seine Mutter und sprach kein Wort mehr, bis sie zu Hause waren.

 

Sein Vater war bleich vor Zorn. Seine Augen funkelten. Aber die Augen des alten Niederländers waren noch Furcht erregender. Sie musterten ihn stumm, aber in der schrecklichen, blassblauen Gewissheit, dass er als Angeklagter und Schuldiger vor seiner Familie und dem Allmächtigen stand. Maurice schlug die Augen nieder.

»Du hast der Enkelin dieses Gentlemans den Hof gemacht.« Das Gesicht seines Vaters war angespannt vor verhaltener Wut. »Hinter unserem Rücken. Ohne ein Wort zu mir. Oder zu Ihnen, Sir.« Er wandte sich dem alten Cornelius van Leyden zu.

»Das ist richtig, Vater.«

»Mehr hast du nicht dazu zu sagen?«

»Ich hätte mit Ihnen sprechen sollen.«

»Aber du hast mich hintergangen, weil du dir denken konntest, was ich dazu gesagt hätte. Bist du dir nicht darüber im Klaren, welche Schande du über dich und über uns alle gebracht hast? Und, was noch viel schlimmer ist, wie verwerflich du gegen diesen Gentleman und seine Familie gehandelt hast, von seiner Enkelin gar nicht zu reden? Siehst du nicht die Schändlichkeit deines Tuns, Maurice?« Der Niederländer mochte Protestant sein, aber es war offensichtlich, dass Walter den alten Cornelius van Leyden bereits ins Herz geschlossen hatte und schätzte und daher gleichermaßen beschämt wie empört war. »Wie lange geht das schon so?«, fragte sein Vater.

Tatsächlich noch nicht lange. Maurice war Elena im letzten Herbst mehrmals in Dublin begegnet, aber erst im Frühling hatten sie begonnen, gemeinsame Spaziergänge zu unternehmen. Sie hatten sich geküsst, leidenschaftlich. Und ein wenig mehr. Aber er hatte sich gescheut, noch weiterzugehen. Ehen zwischen Katholiken und Protestanten mochten in seiner Schicht nicht ungewöhnlich sein, aber das hing ganz von der Familie ab. Wäre Elena die Tochter Doyles gewesen, dessen Protestantismus ausschließlich praktische Gründe hatte, wäre es vielleicht etwas anderes gewesen. Aber die Familie van Leyden nahm ihren Glauben ernst, so wie Walter Smith und die Walshs den ihren ernst nahmen. Elena war die weniger schüchterne und die experimentierfreudigere von ihnen beiden gewesen. Allerdings hatte sie einen Großteil des Sommers in Fingal verbracht, sodass sich erst ein paar Mal die Gelegenheit zu einem Stelldichein geboten hatte.

»Wir haben uns im Frühling angefreundet, aber wir haben uns den Sommer über kaum gesehen.« In diesem Punkt sagte er die Wahrheit.

»Wie weit ist die Sache gegangen?« Cornelius van Leyden sprach leise, aber eindringlich.

Maurice blickte zu Boden. Wie viel wusste der Alte? Wie viel hatte Elena ihm erzählt?

»Nicht zu weit.« Vorsichtig wagte er, den Blick wieder zu heben und die beiden Männer anzuschauen. Er sah, dass sein Vater ihn fragen wollte, was er damit meinte, sich dann aber anders besann.

»Warte draußen, Maurice«, sagte sein Vater. »Wir sprechen uns später.«

Kaum hatte sich die Tür hinter seinem Sohn geschlossen, wandte sich Walter Smith an Cornelius.

»Sir, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich für die Beleidigung schäme, die mein Sohn Ihrer Familie zugefügt hat.«

»Das Mädchen war daran auch nicht ganz unschuldig«, erwiderte der alte Mann.

»Wie großmütig von Ihnen.«

»Wenn es ein Kind gegeben hätte …«

»Ich weiß, ich weiß«, stöhnte Walter. »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass er nie wieder in die Nähe Ihrer Enkelin kommt. Im Übrigen«, fügte er bedeutungsvoll hinzu, »wird er Stillschweigen über die Sache bewahren.«

»Das wäre wohl das Beste.« Der alte Niederländer seufzte. »Würden wir denselben Glauben teilen, hätte unser Gespräch möglicherweise einen anderen Verlauf genommen.«

Wie wahr, dachte Walter. Dann wäre das Mädchen eine glänzende Partie für seinen Sohn gewesen.

***

Allein mit seinem Sohn, gab Walter Smith seine Zurückhaltung auf. Er beschuldigte Maurice rundheraus, das Mädchen verführt zu haben. Es sei schon schlimm genug, dass sie aus guter Familie komme. Dass es eine protestantische Familie sei, mache alles nur noch schlimmer. »Was sollen sie von uns denken?«, brüllte er. Nicht auszudenken, wenn das Mädchen schwanger geworden wäre. Er hätte eine unmögliche Ehe schließen müssen, um Elena vor der Entehrung zu bewahren. Er könne froh sein, dass er nicht für immer aus der Familie verstoßen werde. »Wenn ich mir vorstelle, dass deine Mutter und ich …«, rief er, verstummte aber sogleich, als ihm Annes Eskapade mit O’Byrne einfiel, und warf verzweifelt die Hände in die Luft.

»Du wirst sie nie wiedersehen. Schwör mir das.«

»Ich schwöre«, sagte Maurice widerstrebend.

Walter Smith hätte wohl noch mehr gesagt, aber in diesem Augenblick begann draußen die große Glocke von Christ Church zu läuten, und nicht mit vollem, rundem Klang wie gewöhnlich, sondern mit lärmender, aufgeregter Dringlichkeit. Tidy zog offenbar mit aller Gewalt am Glockenstrang. Vater und Sohn wandten sich zur Tür und liefen auf die Straße hinaus.

Menschen rannten lärmend vorbei. Es war, als sei eine allgemeine Panik ausgebrochen. Walter hielt einen Lehrling an und fragte ihn, was denn in Gottes Namen geschehen sei.

»Es ist Krieg, Sir«, schrie der junge Mann. »Ganz Ulster hat sich erhoben. Sie sind auf dem Weg hierher.«

***

Die Nachricht vom Aufstand in Ulster war Besorgnis erregend und verbreitete sich innerhalb von Wochen in ganz Irland, doch weder Walter Smith noch einem seiner Verwandten oder Bekannten wäre in den folgenden Monaten jemals die Idee in den Sinn gekommen, dass das Land an einem der größten Wendepunkte seiner Geschichte stand. In späteren Jahrhunderten sollte die Ereignisse entweder als nationale Massenerhebung der Katholiken gegen ihre protestantischen Unterdrücker oder als gewaltiges Massaker an unschuldigen Protestanten dargestellt werden.

Es war weder das eine noch das andere.

Am 22. Oktober 1641 hatte der irische Landadel in Ulster mit einer Reihe aufeinander abgestimmter Operationen begonnen. Da ein geschulter Kommandeur fehlte, hatte Sir Phelim O’Neill die Führung übernommen. Immerhin floss in seinen Adern das Blut der alten Hochkönige. In der Überzeugung, dass nach Lage der Dinge weder das irische noch das englische Parlament jemals die Sicherheit ihrer Ländereien garantieren oder Zugeständnisse an ihren katholischen Glauben machen würde, hatten Sir Phelim und seine Freunde beschlossen, die Provinz zu besetzen, um Druck auf die Regierung auszuüben, und erst wieder abzurücken, wenn Konzessionen gemacht wurden. O’Neill hatte strikten Befehl gegeben, die Ulster-Schotten nicht zu behelligen, denn er wusste, dass die mächtige Armee der Covenanters von Schottland übersetzen würde, um Vergeltung zu üben, wenn schottische Siedler in Ulster zu Schaden kämen.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Sir Phelim O’Neill war kein Soldat. Wohl öffneten ihm ein paar kleinere Städte im Landesinnern die Tore, doch die stark befestigten Hafenstädte in Ulster waren ausnahmslos in der Hand schottischer Presbyterianer, und die ließen sich nicht einschüchtern. Er konnte keine einzige dieser Hafenstädte einnehmen. Schlimmer noch war, dass er die Bevölkerung, ja nicht einmal seine eigenen Soldaten in den ländlichen Gebieten unter Kontrolle halten konnte. Sie schlossen sich den Banden von Plünderern an, die durchs Land zogen, und fielen über die Gehöfte von Protestanten her, wobei sie sich nicht darum scherten, ob es sich um Engländer oder Schotten handelte. Sie raubten die Gutsbesitzer aus, und häufig, wenn die Opfer Widerstand leisteten, mordeten sie auch. Bald übten die protestantischen Bewohner der befestigten Städte Vergeltung. Es gab zwar kein einziges Massaker. Aber Tag um Tag, Woche um Woche kam es zu vereinzelten Zusammenstößen und Morden. Die Zahl der getöteten Protestanten stieg in die Hunderte, dann in die Tausende. Die Gewalt griff auch auf andere Teile der Insel über. Die Siedler, die teils sogar ihrer Kleider beraubt wurden, flüchteten in die Hafenstädte, um nach England zurückzukehren, oder schlugen sich nach Süden durch, ins fünfzig Meilen entfernte, sichere Dublin.

Unterdessen übertrugen die Lord Justices in Dublin dem Oberhaupt der mächtigen Butler-Dynastie, dem reichen und mächtigen Lord Ormond, der der protestantischen Kirche von Irland angehörte, eilends den Oberbefehl über die Truppen, welche die Regierung aufbieten konnte, um der Bedrohung Herr zu werden.

***

Den ganzen November über strömten Flüchtlinge nach Dublin. Und es war nicht verwunderlich, dass einige auch in der großen Kathedrale Christ Church Schutz suchten. Noch weniger überraschend war, dass die Frau des Küsters sie bereitwillig aufnahm.

Nie zuvor in ihrem Leben hatte Tidys Frau so viel zu tun gehabt. Wenn ein Geistlicher der Kathedrale unerwartet in Kindergesichter blickte, die ihm aus dem Fenster einer früher unterbelegten Wohnung im Kirchenbezirk entgegenstarrten, oder über eine Familie stolperte, die neben einem alten Grabmal in der Krypta lagerte, und daraufhin den Küster fragte: »Ist es wirklich nötig, dass diese Leute in der Kathedrale hausen?«, stieß Tidy einen Seufzer aus und antwortete: »Meine Frau, Sir. Ich kann sie nicht daran hindern.« Und da die Dubliner Protestanten sich in ihrer Empörung darüber, was man den frommen Leuten im Norden angetan hatte, einig waren – und sich schon aus christlicher Nächstenliebe eigentlich jede Kritik verbot –, konnte man tatsächlich nichts machen. Ebenso wenig konnte man sich über die gesalzene Rechnung beschweren, die der Küster dafür präsentierte, dass er nach der Schreckensmeldung stundenlang die große Glocke geläutet hatte.

Bei all diesen Werken tätiger Nächstenliebe hatten die Tidys übrigens einen einflussreichen Fürsprecher.

Hatten die Leute Doktor Pincher bisher für einen Exzentriker gehalten oder, wie der junge Faithful Tidy, sogar ernstlich am Verstand des Alten gezweifelt, so stand er jetzt plötzlich in hohem Ansehen. Hatte er nicht stets vor der katholischen Gefahr gewarnt? Hatte er nicht fest daran geglaubt, dass sich eine katholische Verschwörung zusammenbraute? Jawohl, das hatte er. Er hatte sich als ein Prophet erwiesen.

Doktor Pincher zeigte in sich in seiner neuen Rolle stolz wie ein Schwan. Jeden Tag eilte er zur Christ Church, wo ihn Tidys Frau wie einen Helden empfing und zu den Neuankömmlingen führte. Seine hagere, tintenschwarze Gestalt schritt gemessen zwischen ihnen umher, beugte sich gütig zu jedem hinab und sagte: »Seid frohen Mutes. Ich weiß, was es heißt, für den Glauben zu leiden.« Besondere Genugtuung empfand er, als eines Tages ein schottischer Presbyterianer grimmig erwiderte: »Es war unsere eigene Schuld. Das war die Strafe Gottes dafür, dass wir den Treueeid geleistet haben.«

Mitte November durfte der Gelehrte sogar wieder in der Kathedrale predigen. Dank der Flüchtlinge aus Ulster war sie bis auf den letzten Platz gefüllt. Wieder einmal sprach er über das Bibelwort, das so trefflich in diese Zeit zu passen schien:

Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Aber dieses Mal erübrigte es sich, die Gemeinde vor der katholischen Gefahr zu warnen. Diesmal sprach er den Gläubigen Mut zu, sie sollten nicht verzagen. Denn hatte der Herr nicht gesagt: »Des Menschen Sohn muss viel leiden«?

Das Schwert Christi, so erinnerte er sie, scheide die Auserwählten von den Verdammten.

»Ihr seid das Salz der Erde«, rief er. »Ihr seid das Licht der Welt. Darum seid froh über euer Leid.«

Es war nach allgemeiner Meinung eine der besten Predigten, die je zu Gehör gebracht wurden.

***

In jener Zeit belagerten die katholischen Streitkräfte Sir Phelim O’Neills, wenn auch ohne großen Erfolg, die fünfzig Meilen nördlich von Dublin gelegene Hafenstadt Drogheda. Gleichzeitig suchten die Lord Justices in Dublin immer noch nach Hinweisen auf die Drahtzieher der Verschwörung. Regelmäßig meldeten sich Informanten, allerdings war schwer zu beurteilen, inwieweit ihre Aussagen der Wahrheit entsprachen und wie viel davon erfunden war. In der letzten Novemberwoche gelang es der Dubliner Regierung immerhin, sechshundert schlecht ausgebildete Soldaten als Entsatztruppe nach Drogheda zu entsenden. Zwei Tage später traf jedoch die Nachricht ein: »Die katholischen Rebellen haben sie vernichtend geschlagen.«

Für die Lord Justices in Dublin wurde es Zeit, ernstere Maßnahmen zu ergreifen.

***

Um diese Zeit wurde Tidys Frau Zeugin einer merkwürdigen Begegnung. Sie führte Doktor Pincher gerade zu einer Familie, die sie in der Dame Street einquartiert hatte, als ihnen auf der Straße Pater Lawrence Walsh entgegenkam. Sie erwartete, dass die beiden Männer einander ignorieren würden. Doch nach dem triumphalen Erfolg seiner Predigt neulich dachte Doktor Pincher gar nicht daran, dem Jesuiten aus dem Weg zu gehen.

»Ich bin erstaunt, Priester«, rief er ihm schon von weitem zu, »dass Sie sich überhaupt noch auf die Straße trauen, nach den Verbrechen, die ihr Papisten verübt habt.«

»Ich billige keineswegs die Ermordung Unschuldiger«, entgegnete Lawrence ruhig. Der Gelehrte ging darauf gar nicht ein.

»O’Neill und seine Komplizen sind Verräter«, erklärte er grimmig. »Die werden dafür mit ihrem Leben bezahlen. Und Sie auch, Priester. Sie auch.«

»Nun habe ich aber gehört«, gab Pater Lawrence zu bedenken, »dass Sir Phelim mit Unterstützung des Königs handelt.«

Nichts an dem Aufstand in Ulster erboste die Protestanten so sehr wie das. Teils um den Gegner zu verwirren, teils um die loyalen altenglischen Katholiken auf seine Seite zu ziehen, hatte Sir Phelim öffentlich behauptet, er handele im Namen des Königs, und zum Beweis sogar eine schriftliche Bevollmächtigung vorgelegt. Das Dokument war eine Fälschung. Aber war dem König nicht zuzutrauen, dass er ein katholisches Heer gegen sein eigenes protestantisches Parlament hetzte? Doktor Pincher hielt nichts für wahrscheinlicher. Er musterte Pater Lawrence mit unverhohlenem Hass.

»Bilden Sie sich bloß nicht ein, das sei mir nicht bekannt«, versetzte er scharf. »Ihr Papisten habt das in ganz Europa seit Jahren geplant. Ihr wollt uns alle bekehren oder umbringen.«

Pater Lawrence erwiderte kühl seinen Blick. In gewisser Hinsicht hatte Pincher mit dem, was er sagte, Recht. Die Heilige Kirche hatte in der Tat die Absicht, die Christenheit zurückzuerobern. Seit einer Generation und länger warteten in Irland tapfere Männer, von denen viele auf dem Kontinent erzogen worden waren, geduldig auf eine Chance zur Befreiung. Und außerhalb der Heimat hofften irische Soldaten, die in Europas katholischen Armeen dienten, ferner Priester und Mönche sowie wachsame katholische Herrscher auf eine solche Gelegenheit. Pater Lawrence konnte sich an ein Dutzend Komplotte und Geheimpläne im Lauf der Jahre erinnern, von denen einige durchaus überzeugend, andere unsinnig gewesen waren. Nach seiner gesicherten Kenntnis war der Plan, Dublin Castle zu besetzen, auf dem Kontinent geschmiedet worden. Doch nach seiner Einschätzung konnte keiner dieser Träume und keine der vagen Hoffnungen auf Hilfe aus dem Ausland jemals in Erfüllung gehen, solange es hier, in Irland selbst, keine katholische Armee mit einer vernünftigen Organisation und Strategie gab. Aus diesem Grund hatte er so aufgehorcht, als ihm zu Ohren kam, was Sir Phelim und Lord Maguire beabsichtigten. Zum ersten Mal hatte er dem Vorhaben realistische Erfolgsaussichten eingeräumt.

Dennoch widersprach er Pinchers Anschuldigung.

»Was Sie sagen, erstaunt mich«, erwiderte er in verbindlichem Ton. »Denn meines Wissens fordert Sir Phelim O’Neill, der seine Loyalität zur Krone bekundet, lediglich die Zusage, dass loyalen Katholiken keine Ländereien mehr gestohlen und dass die vor langer Zeit garantierten Gnadenerweise respektiert werden. Gewiss, er hat Ulster besetzt, um die Regierung zum Handeln zu zwingen. Aber wo hat er derlei Methoden denn gelernt, wenn nicht bei Ihren Freunden, den schottischen Covenanters?« Dem hatte Pincher nichts entgegenzusetzen, denn Sir Phelims Ausspruch – »Es waren diese Schotten, die uns das ABC beigebracht haben« – war allgemein bekannt. Und so konnte sich Pater Lawrence nicht verkneifen, süßlich nachzuschieben: »Oder würden Sie auch die Covenanters als Verräter bezeichnen?«

Der Prediger runzelte die Stirn. Aber er war nicht gewillt, dem Jesuiten das Feld zu überlassen.

»Ich weiß sehr wohl, wann ich einen Verräter vor mir habe, Priester, und jetzt habe ich einen vor mir. Und Ihr Bruder ist ohne Zweifel auch einer. Ihre ganze Sippe ist ein Otterngezücht. Aber seien Sie versichert, es wird am Boden zertreten werden.«

Pater Lawrence wandte sich ab. Er hatte keinen Sinn, das Gespräch fortzusetzen.

Doktor Pincher sah ihm voller Abscheu nach, als er plötzlich eine Stimme neben sich vernahm: »Ich weiß, dass der Jesuit böse ist, Sir, aber dass alle in der Familie Verräter sein sollen, finde ich bedauerlich.« Er hatte Tidys Frau ganz vergessen. Er blickte auf sie hinab und begriff, dass keine Spur von Ironie in ihren Worten lag.

»Bei einem Papisten kann es keine Ehrlichkeit geben«, knurrte er gereizt.

***

Es konnte jetzt jeden Tag geschehen. Für Orlando Walsh, der auf die Geburt seines Kindes wartete, war sein Haus jetzt eine Oase der Ruhe, in besonderer Weise gesegnet und fernab vom Getümmel der Welt, die ihm weit weg erschien, beinahe unwirklich und kaum noch von Bedeutung.

Seine Frau war gesund, und er zweifelte nicht daran, dass auch das Kind gesund zur Welt kommen würde. Hatte er sich ein oder zwei Mal gefragt, ob das Kind wie der kleine Daniel geraten könnte? Eigentlich nicht. Was Gott ihm auch schenken mochte, er würde es dankbar annehmen. Aber tief in seinem Innern glaubte er fest daran, dass nach so vielen Jahren des vertrauensvollen Wartens Gottes Geschenk in jeder Hinsicht vollkommen sein würde.

»Wenn es ein Mädchen wird«, sagte er zu Mary, »sollten wir es Donata nennen.« Donata: die Geschenkte.

»Und Donatus, wenn es ein Junge wird«, erwiderte sie, und er stimmte bereitwillig zu.

Anfang Dezember suchten kleinere Banden katholischer Plünderer protestantische Gutshöfe in Fingal heim. Sie hatten es auf Essbares abgesehen, doch als einige Bauern Widerstand leisteten, kam es zu Handgreiflichkeiten, und es gab mehrere Verletzte. Auf Orlandos Gut blieb indes alles ruhig.

Am Zweiten des Monats kam ein entfernter Bekannter aus Swords mit einer Botschaft: »Wir müssen uns verteidigen, Orlando Walsh«, sagte er. »Die Männer in Dublin wollen nichts für uns tun.« Es war richtig, dass die Männer in Dublin Castle den ganzen letzten Monat den Landadel in Fingal weitgehend ignoriert hatten. Orlando hatte das nicht überrascht. Er kannte die Einstellung der protestantischen Regierungsbeamten. »Wir sind Katholiken, deshalb trauen sie uns nicht ganz«, erwiderte er milde. »Das ist alles.«

»Und sie können uns nicht beschützen«, erklärte der Mann aus Swords. »Oder sie wollen es nicht. Die einzige Truppe, die die Regierung bisher entsandt hat, wurde vernichtend geschlagen. Von dieser Seite haben wir nichts zu erwarten, aber wir müssen Gehöfte schützen. Aus diesem Grund sollten Sie mit uns kommen.« Er erklärte, dass eine Gruppe von Gentlemen aus der Gegend die Absicht habe, sich mit einigen von Sir Phelims Leuten zu treffen.

Orlando erwiderte, dass er wegen der bevorstehenden Niederkunft seiner Frau nicht fort könne, betonte aber, dass er solche Verhandlungen für sinnvoll halte. »Mit etwas Glück«, sagte er später zu Mary, »werden sich Phelim O’Neill und seine Soldaten bereitfinden, uns in Ruhe zu lassen. Schließlich sind die meisten von uns ja Katholiken.«

Am dritten Dezember erhielt er von den Lord Justices in Dublin eine Vorladung. Anscheinend nahmen sie endlich Anteil am Schicksal der Grundbesitzer in Fingal.

»Sie rufen uns alle zu einer Versammlung nach Dublin«, sagte er zu Mary. »Heute in fünf Tagen.« Er bemerkte den besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Ich werde nicht hingehen, wenn das Kind bis dahin noch nicht da ist«, versprach Orlando und sah ihre Erleichterung. Er verspürte ohnehin wenig Neigung, an dieser Versammlung teilzunehmen. Und wenn es sich irgend vermeiden ließ, wollte er auch nicht in ihre militärischen Unternehmen verwickelt werden.

Am Nachmittag des vierten Dezember 1641 erschien Doyle. Er schaute grimmig drein.

»Sie müssen beide sofort nach Dublin kommen«, sagte der Kaufmann.

»Mary kann in ihrem Zustand nicht reisen«, entgegnete Orlando. »Und ich möchte das Gut nicht allein lassen, solange die Lage so unsicher ist.«

Doyle schüttelte den Kopf.

»Sie begreifen nicht, was für eine Stimmung in Dublin herrscht«, erklärte er. »In der Burg ist alles in heller Aufregung, und Leute wie Pincher stiften in der Stadt Unruhe.« Und als Orlando ihm berichtete, dass einige Grundbesitzer aus Fingal auf dem Weg nach Tara zu einem Treffen mit Phelim O’Neills Leuten seien, geriet Doyle in Zorn. »Nein, Sie wissen von nichts. Sie wissen von gar nichts, Orlando. Hören Sie? Allein der Umstand«, fuhr er, wieder ruhiger, fort, »dass sie bei Ihnen waren, bringt Sie in Verdacht.« Aus einem kurzen Brief, den Lawrence ihm geschrieben hatte, wusste er von dessen Wortwechsel mit Pincher, aber bislang hatte er der Ansicht zugeneigt, dass man die Drohungen des Alten und seine lächerlichen Verratsvorwürfe nicht allzu ernst nehmen sollte. »Kommen Sie nach Dublin«, drängte ihn Doyle, »und bekunden Sie Ihre Loyalität. Sonst machen Sie sich verdächtig.« Orlando war verärgert, dass jemand ernstlich an seiner Loyalität zweifelte, aber er sah noch immer nicht ein, warum er deswegen zum jetzigen Zeitpunkt in die Stadt sollte.

»Richten Sie den Lord Justices aus«, erwiderte er, »dass ich zu der Versammlung in Dublin komme, sofern meine Frau bis dahin glücklich entbunden hat.«

»Das werde ich tun«, antwortete sein Verwandter, »und ich kann nur beten, dass das Kind rechtzeitig kommt.«

Am nächsten Morgen schaute erneut der Gentleman aus Swords vorbei. Er war so sehr in Eile, dass er nicht einmal vom Pferd stieg. »Die Sache ist entschieden«, rief er. »Wir schließen uns Phelim O’Neill an.«

»Dem Aufstand?«

»Eben nicht. Das ist der springende Punkt. Alle katholischen Gentlemen in Irland werden sich zu einem großen Bündnis zusammenschließen und dem König ihre Loyalität bekunden. Am achten Dezember, also heute in drei Tagen, findet in Swords eine große Zusammenkunft statt. Ich reite hier in der Gegend von Gut zu Gut und verbreite die Nachricht. Sehen Sie zu, dass Sie kommen.«

»Aber am selben Tag sollen wir doch alle in Dublin sein«, wandte Orlando ein.

»Die verfluchten Protestanten in Dublin können Ihnen gestohlen bleiben«, rief der Mann aus Swords ungeduldig. »Halten Sie zu den Ihren.«

»Ich werde kommen«, sagte Orlando auch zu ihm, »wenn meine Frau glücklich entbunden hat.«

»Und was ist«, fragte Mary, als er ihr hinterher davon erzählte, »wenn das Kind dann da ist?«

»Ich werde zu keinem Treffen gehen«, antwortete Orlando ruhig. Das erschien ihm als das Sicherste.

 

Zwei Tage später brachte ein Bediensteter einen Brief von Doyle, in dem er ihn noch einmal dringend aufforderte, sich unverzüglich nach Dublin zu wenden.

Er tat es nicht.

In der Nacht setzten bei Mary die Wehen ein.

Am nächsten Tag, dem achten Dezember, wurde das Kind in aller Frühe geboren. Es war gesund, und es war ein Junge. Sie nannten ihn Donatus.

***

Maurice Smith freute sich sehr, als er hörte, dass seine Tante das Kind bekommen hatte. Seit fast einer Woche fragte er sich, was er tun sollte – seit er den Brief von Elena erhalten hatte.

Einer von van Leyens Leuten hatte ihm den Brief auf dem Marktplatz ausgehändigt und um sofortige Antwort gebeten, da er umgehend auf das Gut des Niederländers in Fingal zurück musste. Nie zuvor hatte Maurice einen Brief von Elena erhalten. Ihr Englisch war noch fehlerhaft, aber sie hatte eine schöne, sichere Handschrift. Der Brief war nicht lang. Ihr Großvater, so schrieb sie, halte sie seit nunmehr zwei Monaten in Fingal fest und wolle sie partout nicht nach Dublin mitnehmen, obwohl er selbst recht häufig hinreite. Nun, da die Aufständischen immer näher rückten, bekomme sie es mit der Angst. Was sie denn tun solle?

Er ging mit dem Brief zu einem Schreiber, der ihm Feder und Tinte lieh, und schrieb seine Antwort darauf. Sie sei nicht in Gefahr, antwortete er. Es zwar sei möglich, dass Rebellen kämen und plünderten und vielleicht sogar Wertsachen mitnähmen. Und sie könnten auch gefährlich werden, wenn sie auf verhasste protestantische Siedler aus England stießen. Doch er halte es für unwahrscheinlich, dass sie einem harmlosen alten Niederländer und seiner Enkelin etwas zuleide täten.

Ihm war klar, was die eigentliche Botschaft ihres Briefes war. Sie hatte Angst und wollte, dass er zu ihr kam und sie tröstete, und er spürte auch ein starkes Verlangen, sie wiederzusehen und in die Arme zu nehmen. Es war ein Fehler gewesen, ihr den Hof zu machen. Und seinem Vater hatte er gelobt, diese Liaison abzubrechen.

Welcher Teufel hatte ihn also geritten, dass er seine Zeilen mit dem Versprechen »Ich komme zu Dir, sobald ich kann« beschloss?

 

Orlandos Brief mit der frohen Kunde von der Geburt hatte nämlich auch die Bitte an Maurice enthalten, er möge sie sofort besuchen, da das Kind so bald wie möglich von dem alten Priester aus Malahide getauft werden solle und er als Pate auserkoren sei. Walter freute sich für Maurice. »Das ist eine große Ehre«, sagte er zu ihm. Überdies sah er eine Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. »Wenn du dort bist, musst du deinen Onkel unbedingt dazu überreden, sich nach Dublin zu begeben. Am achten Dezember ist er nicht erschienen, aber das lässt sich mit der Geburt des kleinen Donatus entschuldigen. Dein Cousin hat sich darum gekümmert. Aber sobald das Kind getauft ist, sollte dein Onkel die Burg aufsuchen und seine Loyalität bekunden. Als Katholik würde auch ich in Verdacht geraten, würde ich nicht hier in Dublin leben. Sag ihm das, und dass ich mich Doyles Ansicht anschließe und ihm den dringenden Rat gebe zu kommen.«

Es wurde eine schöne kleine Zeremonie, die im Haus stattfand. Anwesend waren nur Maurice, eine Dame von einem Nachbargut, die als Patin fungierte, die glücklichen Eltern, der alte Priester aus Malahide und der kleine Daniel, der sich wie durch ein Wunder die ganze Feier über still verhielt. Maurice blieb bis zum folgenden Tag, und am Abend, als sich die Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen mit Orlando ergab, richtete er ihm aus, was sein Vater ihm aufgetragen hatte. Der Onkel hörte aufmerksam zu, nickte nachdenklich und dankte ihm, enthielt sich aber jeden Kommentars.

Am Morgen reiste Maurice ab. Doch kaum war er außer Sicht, wendete er das Pferd und schlug, statt in südlicher Richtung nach Dublin zurückzureiten, den Weg nach Swords ein. Von Swords aus wandte er sich nach Nordwesten, und eine Stunde später erblickte er von weitem das aus Stein und Holz errichtete Gutshaus van Leydens.

Er hielt an. Um eine mögliche Begegnung mit dem alten Mann zu vermeiden, ritt er nicht einfach zur Tür, sondern wartete so lange in der Kälte, bis ein Knecht in seine Richtung kam. Er machte dem Mann weis, dass er Kundschafter aus Dublin sei und nach Rebellen Ausschau halte, und erfuhr von ihm, dass hier noch keine gesichtet worden seien, dass der Alte in Dublin weile, allerdings am Nachmittag zurück erwartet werde und dass Elena in seiner Abwesenheit das Haus hüte. Er bat den Knecht, sie zu holen, und ritt langsam zum Haus. Augenblicke später erschien Elena.

Er glaubte zu sehen, wie sehr sie sich über das Wiedersehen freute. Trotz der Kälte gingen sie zusammen ein Stück, damit sie nicht belauscht werden konnten. Anfangs wirkte sie etwas befangen, was er gut verstehen konnte, denn ihm ging es nicht anders. Aber mehr als alles andere brauchte sie offenbar die Gewissheit, dass ihnen kein Überfall von Phelim O’Neills Leuten drohte. »Ich habe Großvater vorgeschlagen, vorsichtshalber nach Dublin zu ziehen«, klagte sie. »Aber er will mich dort nicht haben.« Sie lächelte gequält. »Deinetwegen.«

Maurice versicherte ihr noch einmal, dass die Rebellen nichts gegen Niederländer hätten. »Das sind doch keine Verbrecher oder Bestien«, rief er ihr in Erinnerung. »Du kannst mir glauben, dass du und dein Großvater nichts zu befürchten habt.«

Er hatte sie noch nie ängstlich erlebt. Bisher hatte er ihre Gesellschaft genossen, denn sie brachten einander zum Lachen. Dazu kam die Erregung, die durch den Reiz, etwas Verbotenes zu tun, noch verstärkt wurde. Er hatte sie als wunderbar sinnlich kennen gelernt. Aber um die Wahrheit zu sagen, hatten weder er noch sie wirkliche Liebe oder Leidenschaft empfunden. Nun aber, da er ihre Angst sah, durchflutete ihn eine Welle der Zärtlichkeit. Er legte den Arm um sie, beruhigte sie, so gut er konnte, und blieb fast eine Stunde bei ihr. Sie küssten sich zum Abschied, und wenn er es ihr auch nicht sagte, so ertappte er sich doch dabei, wie er sich ernstlich fragte, ob sie nicht vielleicht doch eine Verbindung eingehen sollten, obgleich er nicht wusste, wie.

Es war Nachmittag, als er wieder nach Swords gelangte. Er musste sich beeilen, wenn er noch vor Einbruch der Nacht in Dublin eintreffen wollte, bevor die Stadttore geschlossen wurden. Wie könnte er seinen Eltern erklären, dass er ausgesperrt wurde? Er hatte großen Durst, und als er die Hauptstraße entlangritt und das Gasthaus erblickte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, auf einen kleinen Krug Ale dort einzukehren. Dafür war bestimmt noch Zeit.

In der Schenke war es düster. Die Fenster waren klein, und der Tag draußen trüb und grau. Nur ein großes Kaminfeuer im hinteren Teil der Gaststube spendete Licht. Ein schmaler Tisch mit Bänken stand an einer Wand. Der Fußboden war mit Binsen ausgelegt. Der Wirt brachte ihm ein Ale, und er setzte sich am Ende des Tisches ans Feuer und trank genüsslich. Am anderen Tischende saßen zwei Männer im Halbdunkel und würfelten, zwischen sich kleine Stapel Münzen. Der eine war klein und verhutzelt, der andere kehrte ihm den Rücken zu. Nach ein paar Minuten stieß Letzterer ein trauriges Lachen aus und schob sein Geld zu dem kleinen Mann hinüber.

»Genug.« Er sprach Irisch. »Für einen einzigen Tag habe ich genug verloren.« Die Stimme kam Maurice bekannt vor. Der kleine Mann stand auf, strich das Geld ein und wandte sich zum Gehen. Der andere drehte sich um, erblickte Maurice und sah ihn erstaunt an. »Mwirish«, rief er auf Englisch. »Was führt dich denn hierher?«

Einen Augenblick später saß Maurice neben seinem Freund Brian O’Byrne.

Sie unterhielten sich lange. Maurice erzählte ihm alles. Von der Geburt des kleinen Donatus, worüber O’Byrne hocherfreut war. Von Elena, worüber der Ire den Kopf schüttelte. »Lass die Finger von ihr, Mwirish. Dein Vater hat Recht. Dabei kann nichts Gutes herauskommen.«

Er selbst, so berichtete O’Byrne, komme soeben von einem Besuch in Rathconan und kehre nun nach Drogheda zurück. Seit Beginn des Aufstands sei er bei Phelim O’Neill. »Ich hätte mich ihm so oder so angeschlossen, Mwirish, aber da meine Frau mit ihm verwandt ist …« Er zuckte mit den Schultern. »Es war Schicksal.«

O’Byrne bestellte noch eine Lage Ale. Während sie tranken, fand Maurice, dass sein alter Freund ungewöhnlich bedrückt wirkte. Irgendwann sah ihm O’Byrne ins Gesicht und sagte unvermittelt: »Du gehörst nach Rathconan. Das habe ich sofort gesehen.«

»Dort fühlte ich mich zu Hause«, räumte Maurice ein, obwohl er nicht wusste, aus welchem Grund O’Byrne ausgerechnet jetzt damit anfing. Auf jeden Fall schien der Ire kaum zuzuhören.

»Dort gehörst du hin«, sagte er, wie zu sich selbst. Er stierte ins Feuer und seufzte. »Vielleicht wird es noch dazu kommen.« Er schien so in seine Gedanken vertieft, dass Maurice ihn nicht zu unterbrechen wagte.

Ein Blick aus dem Fenster verriet Maurice, dass das Licht des Nachmittags schwand. Er sah wieder zu dem stattlichen Iren, der wie er grüne Augen hatte. Der Schein des Feuers fiel auf sein Gesicht und verlieh ihm etwas Grüblerisches, Geheimnisvolles. Und ob es die Furcht war, dass er zu spät in Dublin eintreffen und sein Besuch bei Elena entdeckt werden könnte, oder ob ihn plötzlich der Wunsch überkam, an der Seite dieses Mannes, den er bewunderte, für die heilige katholische Sache, ihr gemeinsames Erbe, zu kämpfen, jedenfalls platzte er heraus:

»Ich möchte mit Ihnen kommen. Nehmen Sie mich mit nach Drogheda.«

O’Byrne sah ihn lange an und lächelte schwach. Aber er schüttelte den Kopf.

»Nein, Mwirish, ich habe deiner Familie schon genug Kummer bereitet. Ich werde Walter Smith nicht auch noch den Sohn wegnehmen.« Maurice verstand nicht und wollte fragen, was er damit meinte, aber O’Byrne war noch nicht fertig. »Sag mir, Mwirish, spielst du gern?«

»Ich weiß nicht.«

»Alle Iren spielen gern, Mwirish. Das liegt ihnen im Blut.« Vielleicht lag es an dem tanzenden Feuerschein auf seinem Gesicht, aber Maurice hatte jetzt den Eindruck, dass sein Freund seltsam traurig aussah. »Weiß du, Mwirish, dieser Aufstand ist nur ein Spiel. Wie ein Versuch beim Würfeln.«

»Spieler können Glück haben.«

»Gewiss.« O’Byrne lächelte matt. »Aber nur wenige haben immer Glück. Ich habe gewürfelt, als du vorhin hereinkamst, Mwirish. Und ich habe verloren.«

»Ich will mit Ihnen kommen.«

»Wir werden uns wiedersehen, Mwirish. Reite jetzt nach Dublin zurück. Du musst los, denn ich habe noch etwas zu erledigen.«

Also machte sich Maurice auf den Weg nach Dublin. Er ritt so schnell er konnte und traf kurz vor Schließung der Tore dort ein.

Als er fort war, blieb O’Byrne noch eine Weile allein an dem Tisch sitzen. Falls er tatsächlich noch etwas zu erledigen hatte, so war davon nichts zu merken. Es saß niedergeschlagen da und würfelte mit sich selbst.

Endlich stand er auf. Er wollte am Morgen nach Norden reiten, und wer wusste, ob er sein Weg ihn jemals wieder hierher führen würde. Was ihm der junge Maurice Smith über Orlando und Mary erzählt hatte, hatte ihn tief bewegt. Wie wahrhaft wunderbar war es doch, dass Gott ihnen nach all den Jahren noch ein Kind geschenkt hatte. Er hatte von solchen Fällen schon gehört. Es war wie eine biblische Geschichte, etwas Heiliges. Er verspürte den brennenden Wunsch, seinen Freund wiederzusehen, ihm noch einmal freundschaftlich die Hand zu drücken und zu gratulieren. Wenn er sofort aufbrach, konnte er noch vor dem Dunkelwerden auf dem Gutshof der Walshs sein.

Wenig später lenkte er sein Pferd nach Süden zu Orlandos Haus. Viele Dinge gingen ihm durch den Kopf, während er durch den heraufziehenden Dezemberabend ritt.

Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass er verfolgt wurde.

 

Faithful Tidy war nicht begeistert gewesen, als Doktor Pincher ihn beauftragte, dem Priester nach Swords zu folgen. Er ritt ihm pflichtbewusst nach, fand aber nichts heraus, außer dass er den Abend im Haus einer alten Dame verbrachte, die, wie sich herausstellte, seine Mutter war. Doch seit der Zusammenkunft der Fingaler Katholiken in Swords neulich, von der im Nu ganz Dublin wusste, galt die Stadt fast schon als feindliches Gebiet. Daher setzte sich Faithful, als er im dortigen Wirtshaus Rast machte, um einen Krug zu trinken, ganz still in eine Ecke und hielt die Augen offen.

***

Seine Wachsamkeit wurde belohnt, als ein stattlicher Ire, in dem er O’Byrne von Rathconan erkannte, die Gaststube betrat. Faithful beobachtete ihn, sah zu, wie er mit dem jungen Maurice Smith sprach, und ritt ihm anschließend nach, bis kein Zweifel mehr bestand, dass er zum Gehöft Orlando Walshs wollte. Da es schon dunkel wurde, kehrte Faithful zu dem Gasthaus in Swords zurück. Am nächsten Morgen ritt er nach Dublin und suchte Pincher auf.

Der Doktor lauschte gespannt seinem Bericht über den gestrigen Abend.

»Und du hast O’Byrne allein davonreiten sehen?«

»Er sprach vorher lange mit Maurice Smith.«

»Vergiss den jungen Smith«, rief Pincher aufgeregt. »Der ist unwichtig. Begreifst du denn nicht? Nur auf O’Byrne kommt es an. Er ist mit Sir Phelim O’Neill verwandt, dem schlimmsten Verräter von allen. Er ist also direkt zu Orlando Walshs Haus geritten?«

»Ohne jeden Zweifel.«

»Dann habe ich ihn!«, jauchzte Pincher, ohne seine Schadenfreude zu verhehlen. »Ich kann Orlando Walsh vernichten.«

***

Den ganzen Dezember über blieb Orlando Walsh auf dem Gehöft bei seiner kleinen Familie, so still wie eine Maus.

Keine Frage, die Winter waren heutzutage kälter als noch in seiner Kindheit, und der diesjährige war der kälteste, an den er sich erinnern konnte.

Ein heulender Schneesturm aus Norden fegte über das Land. Einen Tag und eine Nacht lang schneite es ohne Unterlass. Dann zog der Sturm weiter, und die Landschaft erstarrte.

An manchen Tagen war der Himmel blau, und die vereisten Wiesen glitzerten. Bald hingen übermannsgroße Eiszapfen am Dach der großen Scheune. An Weihnachten hörte Orlando, dass unten in Dublin der Fluss Liffey gefroren sei.

In der Gegend rund um das Gut der Walshs blieb es ruhig. Aus dem Norden wurde noch immer von Überfällen auf protestantische Güter berichtet. Im Süden entsandten die Protestanten Trupps von Soldaten, um die Höfe verdächtiger Katholiken niederzubrennen. »Sie wollen sie dazu verleiten, sich aufzulehnen«, erklärte Orlando Mary. »Dann hätten sie den Beweis, dass alle Katholiken Verräter sind.« Unterdessen kursierte das Gerücht, dass der mächtige Lord Ormond, der einzige Mann von Format im Regierungslager, eine Streitmacht zusammenzog, um sie, wie er versprochen hatte, nach Dublin zu bringen.

***

Am Morgen nach Weihnachten schaute wieder der Gentleman aus Swords vorbei.

»Wir bewaffnen unsere Leute, Walsh«, sagte er zu Orlando. »Es wird unausweichlich zum Kampf kommen. Schließen Sie sich uns an?«

»Nein«, erwiderte Orlando.

»Angst?«, höhnte der Besucher. »Wir haben sie schon einmal geschlagen.«

»Ich möchte nicht gegen Ormond kämpfen«, antwortete Walsh einfach nur.

Zum einen ging er davon aus, dass der mächtige Großgrundbesitzer eine ernst zu nehmende Streitmacht aufgestellt habe. Doch Orlando nannte noch einen zweiten Grund: »Ormond ist unsere größte Hoffnung.« Der mächtige Kopf der Butler-Dynastie hatte zwar geschworen, die protestantische Kirche des Königs zu unterstützen, aber er war ein gemäßigter Mann und hatte Dutzende katholische Verwandte. »Wir sollten mit ihm reden«, sagte Orlando, »nicht mit ihm kämpfen.«

»Alle anderen sind aber dabei«, erklärte der Mann aus Swords. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Orlando wusste zuverlässig, dass etliche katholische Grundbesitzer, darunter auch sein Nachbar Talbot von Malahide, sich aus der Sache heraushielten. Einige Familienväter erlaubten zwar ihren jüngeren Söhnen oder Brüdern zu gehen, blieben aber selbst zu Hause. Doch Orlando erwiderte nichts mehr und ließ den Besucher ziehen.

Ein paar Stunden später tauchten ein Dutzend Männer vor seinem Haus auf. Sie waren Tagelöhner, allerdings nicht aus der Gegend. Orlando behandelte sie höflich, obwohl sie ihm nicht gefielen. Ihr Anführer behauptete, er sei Mönch und gehöre einem Franziskanerorden an. Orlando zweifelte an der Wahrheit dieser Behauptung, hielt es aber für ratsamer, nicht zu widersprechen, sondern fragte nur, was sie zu ihm führe. Der Mönch antwortete, dass sie für den Fall, dass O’Neills Armee hier durchkäme, Unterbringungs- und Verpflegungsmöglichkeiten erkundeten. Das war nun mit ziemlicher Sicherheit gelogen. Dennoch führte Orlando sie ins Haus, gab ihnen zu essen und betete im Stillen, dass sie nicht zu bleiben gedachten. Zum Glück beschlossen sie, weiterzuziehen. Nach Auskunft des angeblichen Mönchs wollten sie nach Norden in die Gegend hinter Swords. Als sie aufbrachen, hörte er einen der Fremden sagen: »Wenn wir auf Protestanten stoßen, ziehen wir ihnen die Hälse lang.«

Nach diesem Besuch blieb alles ruhig.

***

Der Liffey bot einen seltenen Anblick. Große Eisschollen bedeckten fast den ganzen Fluss, dessen Oberfläche in der Sonne glitzerte. Kinder schlitterten an den Ufern, und der geschäftstüchtige Besitzer eines Pferdeschlittens bot Fahrten an, die stromaufwärts am Ufer entlangführten.

Es war der erste Januar 1642. Zumindest unter den Protestanten herrschte Feststimmung. Tags zuvor waren Ormond und seine gut gedrillten Soldaten über die Brücke in die vereiste Ebene von Fingal hinausmarschiert. Bei Swords waren sie auf die schlecht ausgebildete Brigade gestoßen, die der örtliche katholische Landadel aufgeboten hatte, und hatten sie nach einem kurzen Geplänkel geschlagen. Am Abend läutete Tidy zur Feier des Sieges die große Glocke von Christ Church, und Doktor Pincher ging auf die Straße und predigte den Dubliner Protestanten, dass sie in Anbetracht dieses Beweises, dass Gott auf ihrer Seite sei, neuen Mut schöpfen könnten.

Maurice stand schon geraume Zeit auf der Brücke, als er die Reiter bemerkte. Es waren fünf Gestalten, alle dick eingemummt gegen die Kälte. Als sie näher kamen, sah er, dass ihre bedeckten Köpfe mit einer Eiskruste überzogen waren, was darauf hindeutete, dass ein langer Ritt im Schnee hinter ihnen lag. Auf der Brücke angekommen, ließen sie ihre Pferde in Schritt fallen, und als sie an ihm vorbeiritten, bemerkte er, dass der Reiter in der Mitte eine Frau war. Ihr Gesicht war halb eingehüllt, aber es kam ihm bekannt vor. Bei seinem Anblick schien sie zusammenzuzucken, aber sie war bereits vorbei, als ihm endlich dämmerte, dass es Elena war.

Ihr Großvater war augenscheinlich nicht unter den Reitern, und so rief er: »Elena!«

Doch nach kurzem Zögern zügelte sie ihr Pferd, und ihre Begleiter folgten ihrem Beispiel. Aufgeregt lief er zu ihr.

Während sie sich umdrehte, wickelte sie den schwarzen Schal ab, der die untere Hälfte ihres Gesichtes bedeckt hatte. Sie sah seltsam blass und abgespannt aus, als wäre sie plötzlich gealtert. Mit eisiger Miene blickte sie auf ihn herunter und sagte nichts.

»Dann hat dein Großvater also seine Meinung geändert«, sagte er und lächelte. Ihr Gesicht blieb unbewegt. »Ich meine, du bist in Dublin.« Er hielt inne, verstummte.

»Mein Großvater ist tot.« Ihre Stimme klang kalt, als spreche sie mit einem Fremden.

»Tot?«

»Ja. Tot. Ein paar von euren Freunden kamen«, sagte sie bitter. »Ein Priester war ihr Anführer.«

»Ein Priester?«

»Priester, Mönch.« Sie zuckte verächtlich die Schultern. »Was macht das für einen Unterschied? Von einem eurer gottlosen Orden. Sie kamen, um zu plündern. Sie nahmen mir sogar das Medaillon meiner Mutter. Sie rissen es mir vom Hals. Mein Großvater protestierte, da erschlugen sie ihn. Vor meinen Augen. Ich kann von Glück sagen, dass sie nicht auch mich umgebracht haben. Oder mir noch Schlimmeres angetan haben.«

»Das ist … furchtbar.« Er erinnerte sich, wie er ihr versichert hatte, sie sei nicht in Gefahr, und alles Blut wich aus seinem Gesicht.

»Ja. Es ist furchtbar.« Er hörte den Schmerz in ihrer Stimme, aber in ihren Augen sah er nur Wut und Verachtung. Er starrte sie hilflos an. Sie erschien ihm wie ein anderer Mensch. Das sinnliche Mädchen, das er gekannt hatte, war verschwunden. Da war nichts mehr, was an ihr früheres Wesen erinnerte. An ihre Stelle war eine junge Frau getreten, die ihn voller Abscheu ansah. »Es stimmt, was man sagt«, fuhr sie mit kalter Wut fort. »Ihr Katholiken seid nicht einfach nur gottlos. Ihr seid Bestien. Schneide einen Papisten auf, und du wirst den Teufel finden.«

Sie ließ die Worte wirken. Sie standen zwischen ihnen, schlimmer als jeder Fluch.

Im ersten Moment war Maurice zu schockiert, um etwas zu erwidern.

»Elena«, flehte er. »Ich bin entsetzt über das, was geschehen ist …«

Sie ließ ihn nicht ausreden.

»Ich will nicht hören, was du empfindest. Komm mir nie wieder zu nahe, du dreckiger Papist.« Sie trat dem Pferd in die Flanken, und das Tier fiel in Trab, doch im Fortreiten schrie sie das Wort ein letztes Mal: »Papist!«

***

Als der graubärtige Kaufmann Ende Januar Orlando Walsh zu sprechen wünschte, wurde er höflich in die Diele geführt. Orlando erkannte ihn erst, als er einen Meter vor ihm stand.

»Ich bin gekommen, um Lebwohl zu sagen«, begann Lawrence.

Für den Jesuiten war die Situation mit jedem Tag prekärer geworden. Die politische Lage war äußerst verworren. In England standen Karl I. und das Parlament kurz vor dem endgültigen Bruch. Der König war aus London geflüchtet. In der Hauptstadt regierte nun faktisch das Parlament. Drüben in Irland sorgte Lord Ormond mit seiner Truppe in der Region um Dublin im Auftrag der Regierung weiter für Ordnung – aber ob mit Regierung jetzt die Krone, das Parlament oder beide gemeint waren, vermochte niemand zu sagen. In Dublin selbst verhielt sich die protestantische Verwaltung so, als stehe die Stadt unter Belagerung. Die Tore wurden bewacht. Kein Fremder durfte ohne Erlaubnis in die Stadt. »Nicht einmal du könntest jetzt hinein, Bruder«, erklärte Lawrence, »weil du Katholik bist.« Und was seine eigene Person angehe, so habe Pincher in der Burg unablässig gegen ihn gehetzt. »Er kann mich jeden Tag verhaften lassen. Ich habe mich seit zehn Tagen nicht mehr rasiert und mich verkleidet davongemacht.«

»Wir können dich verstecken«, erbot sich Orlando sogleich, aber Lawrence schüttelte den Kopf.

»Nein, Bruder. Ich möchte nicht, dass ihr euch meinetwegen in Gefahr bringt. Außerdem wartet in Clontarf ein Boot auf mich. Ich gehe ins Ausland.«

»Wirst du für immer gehen?«

»Nicht unbedingt.« Er hielt inne. »Sir Phelim ist ein guter Mann, Orlando. Aber er ist nicht der militärische Führer, den wir jetzt brauchen, und er selbst wäre vermutlich der Letzte, der das bestreiten würde. Aber es gibt einen anderen O’Neill, der das Zeug dazu hätte, wenn er denn käme.«

»Du meinst Owen Roe O’Neill?«

»Ganz recht.«

Von allen Prinzen Irlands, die in den großen katholischen Heeren auf dem Kontinent inzwischen hohe Ränge bekleideten, war keiner berühmter als dieser Spross aus dem Geschlecht der alten Hochkönige. Der Neffe des Grafen von Tyrone, so ging das Gerücht, sei in die Pläne vom letzten Herbst, Dublin Castle einzunehmen, eingeweiht gewesen. Aber ein Mann, der das fürstliche Leben eines hohen europäischen Generals führte, brauchte einen besonderen Anreiz, ehe er alles aufgab, um sein Leben und sein Vermögen bei einem Aufstand aufs Spiel zu setzen, selbst im heiligen Land seiner Väter. Sollte er sich tatsächlich zum Kommen entschließen, würde weder sein Verwandter Sir Phelim noch ein anderer Verfechter der katholischen Sache zögern, ihm das Kommando zu übertragen.

»Glaubst du denn, dass er kommt?«

»Ich werde jedenfalls in den Chor derer einstimmen, die ihn bitten, unverzüglich zu kommen. Wenn mir Erfolg beschieden ist, kehre ich mit ihm zurück.« Lawrence lächelte. »Und wenn du mir jetzt ein Glas Wein anbietest, begrüße ich deine Frau und segne deinen Sohn, bevor ich weiterziehe.«

Wenig später, als Orlando zusah, wie sich sein älterer Bruder wieder auf den Weg machte, durchflutete ihn eine Welle der Zuneigung. Lawrence mochte streng und unbeugsam sein, aber er hatte immer nur das Beste gewollt. Er war ein treuer Diener des wahren Glaubens. Das stand außer Frage. Wenn nötig, würde er für seinen Glauben sterben.

***

Der Schnee schmolz, und nachdem fast eine Woche lang die Sonne geschienen hatte, sah Orlando vor der Haustür ein paar Schneeglöckchen und sogar ein oder zwei Krokusse. Er hörte von vereinzelten Gefechten in anderen Gegenden, aber in Fingal war es jetzt ruhig. Lord Ormond hatte gründliche Arbeit geleistet. Mehrere Landadlige aus der Umgebung, die zu den Waffen gegriffen hatten, flohen außer Landes. Andere hatten sich ihm persönlich ergeben und waren nach Dublin gebracht worden. Wie Orlando hörte, war unter ihnen auch der Gentleman aus Swords. Aber noch war niemand gekommen und hatte ihn behelligt, und in ihm keimte die Hoffnung, dass es so bleiben möge.

Eines frühen Nachmittags, als Mary und das Kind schliefen und er selbst gerade mit dem kleinen Daniel spielte, erschien Doyle. Die große, stämmige Gestalt seines Cousins füllte die Tür, als er in die Diele trat. Ungeduldig warf er seinen Umhang auf eine Bank und rückte sogleich mit der schlechten Neuigkeit heraus.

»Morgen fällen sie das Urteil über Sie. Ich weiß es von Tidy, dem Küster, und der hat es natürlich von Pincher. Sie werden für vogelfrei erklärt.«

»Für vogelfrei erklärt?« Dies war eine alte Strafe aus dem mittelalterlichen England, und eine niederträchtige obendrein. Ein Vogelfreier genoss keinerlei Schutz des Gesetzes mehr. Jedermann konnte ihn ausrauben oder töten, ohne dafür bestraft zu werden. Ein Vogelfreier konnte nur um sein Leben rennen oder sich stellen. Auf diese Weise trieb die Obrigkeit ihre Feinde in die Selbstzerstörung.

 

»Sie sind nicht der Einzige. Die Hälfte der Männer, die sich an dem Aufstand beteiligt haben, wurden für vogelfrei erklärt. Einige sind, wie Sie wissen, bereits außer Landes geflohen. Das Gut wird selbstverständlich eingezogen. Sie müssen zusehen, dass Sie möglichst viele Wertsachen Sicherheit bringen.«

»Aber ich habe mich nie an dem Aufstand beteiligt«, protestierte Orlando. »Ich weiß. Aber Ihr Bruder ist Jesuit, und er ist verschwunden. Sie sind Katholik. Sie sind nicht nach Dublin gekommen …« Doyle schüttelte zornig den Kopf. »Ich habe mich für Sie eingesetzt und geglaubt, ich hätte sie von Ihrer Unschuld überzeugt. Aber ich habe Pincher unterschätzt. Der Mann hat überall seine Spione. Wie es scheint, hatten Sie Besuch von O’Byrne, der es mit den Rebellen hält, und zwar ausgerechnet zu der Zeit, als Sie in Dublin sein sollten. Pincher hatte draußen in Swords einen Spion, der ihm bis zu Ihrem Haus gefolgt ist. Wer der Spion war, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, aber das ist auch ohne Belang. Die Sache wurde den Lord Justices gemeldet, die jeden Katholiken enteignen, wenn es irgend geht. Die Leute in der Burg nehmen es mit dem Gesetz gegenwärtig nicht besonders genau. Pinchers Anschuldigungen haben ihnen genügt.« Er machte eine Pause. »Kennen Sie die Männer, die sich Ormond ergeben haben?«

»Ja.« Orlando dachte an den Gentleman aus Swords.

»Wissen Sie«, fuhr Doyle fort, »was die Justices getan haben, als Ormond sie nach Dublin geschickt hat? Sie haben einen von ihnen auf die Folter gestreckt.« Aus Abscheu vor der grausamen Tortur schüttelte er abermals den Kopf. »Sie sind auf Blut aus.«

»Aber wenn sie das Gut einziehen, bin ich so gut wie ruiniert«, rief Orlando bestürzt. »Was soll ich nur tun?«

»Wenn Sie ins Ausland oder zu den Rebellen fliehen, ist das gleichbedeutend mit einem Schuldeingeständnis. Wenn Sie hierbleiben, wird man Sie verhaften. Ich werde versuchen, die Männer in der Burg umzustimmen, und selbstverständlich werde ich mich um Mary und die Kinder kümmern, aber bis auf weiteres sollten Sie sich verstecken.« Er sah Orlando nachdenklich an. »Kennen Sie einen geeigneten Platz?«

***

In der Ferne stieg immer noch Rauch empor, als die Soldaten, mehrere hundert an der Zahl, auftauchten. Es war ein milder Märztag.

Mary Walsh wartete, das Baby im Arm und den kleinen Daniel an ihrer Seite, in der Haustür, als die Kavalkade von Offizieren an ihrer Spitze heranpreschte.

Mary hatte gewusst, dass sie kommen würden, und sich in einem langen Gespräch mit Orlando in dessen Versteck sorgfältig darauf vorbereitet. Die Soldaten boten einen Furcht erregenden Anblick, und es wäre ihr wohl noch schwerer gefallen, ihre Angst zu verbergen, hätte sie unter den Reitern nicht die unverwechselbare Gestalt des Mannes entdeckt, die zu erblicken sie gehofft hatte.

James Butler, zwölfter Earl of Ormond, war ein wohl gebauter Mann mit einem breiten, intelligenten Gesicht. Er war erst zweiunddreißig Jahre alt, aber von so hoher Geburt und so reich, dass ihm sein Kommando offenbar eine leichte Bürde war. Er stieg ab, trat höflich auf Mary zu und fragte nach ihrem Mann.

»Er ist nicht hier, Lord Ormond«, antwortete sie ebenso höflich.

Seine Augen ruhten auf ihr.

»Ist Ihnen bekannt, dass er verhaftet werden soll?«

»Ich habe es gehört, Mylord. Allerdings kenne ich nicht den Grund, denn er ist loyal. Aber vielleicht«, setzte sie trocken hinzu, »wissen die Justices in Dublin ja mehr als wir.« Er schwieg dazu, doch als sie die Justices erwähnte, bemerkte sie ein verächtliches Zucken in seinem Gesicht, das verriet, was der Aristokrat persönlich von den Dubliner Behörden hielt.

»Ich würde gern eintreten«, sagte er ruhig.

Zwei Offiziere und ein halbes Dutzend Soldaten begleiteten ihn und fingen an, das Haus von oben bis unten zu durchsuchen. Mary zweifelte nicht daran, dass die Soldaten draußen die Wirtschaftsgebäude nach Orlando durchstöberten. Lord Ormond blieb unterdessen in der großen Diele, wo sie ihm ein Glas Wein anbot, das er auch trank. Sie wusste, dass sie die Zeit gut nutzen musste.

»Sagen Sie mir, Mylord: Wir sehen immer noch Rauch in der Ferne, und das seit Tagen. Wie es scheint, sollen auf Anordnung der Lord Justices alle katholischen Gehöfte zerstört werden. Und ihre Leute haben angekündigt, dass sie alle Felder niederbrennen werden. Aber was sollen Eure Männer und die Menschen in Dublin dann essen?« Der Befehl zu dieser sinnlosen Zerstörung war ein weiterer Beleg für die Dummheit und Niedertracht der Männer im Dublin Castle, die sogar die Fischzuchtanlagen in der Umgebung zerstören lassen wollten.

»Sie haben Recht«, antwortete er, ohne sie anzusehen. »Ich habe sie davon überzeugt, dergleichen zu unterlassen. Morgen, so hoffe ich, werden Sie keinen Rauch mehr sehen.«

»Ist das nicht traurig?«, bemerkte Mary Walsh. »Wir sollen zugrunde gerichtet werden, obwohl wir uns nichts zu Schulden haben kommen lassen. Wie viele ehrliche altenglische Gentlemen sollen noch auf diese Weise leiden?«

»Mir ist nicht daran gelegen, die Landadligen in Fingal zu Verrätern zu stempeln«, sagte er frei heraus. »Aber was immer Sie oder Sir Phelim behaupten mögen, Tatsache ist, dass sie sich gegen die Regierung des Königs erhoben haben. So sieht es der König, das versichere ich Euch.«

»Und ich kann Ihnen versichern, dass mein Mann sich ihnen nicht angeschlossen hat. Er war die ganze Zeit hier bei mir, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Sie werden keinen Rebellen finden, der Ihnen sagt, er sei dabei gewesen.«

»Hat er ihnen Beihilfe geleistet?«

»Nein, es sei denn, Sie meinen die Vagabunden, die einmal hier vorbeikamen, aber zu niemandem gehörten. Wir gaben ihnen zu essen und beteten, dass sie wieder gingen, was sie dann Gott sei Dank auch taten. Das ist alles.«

Ormond gab zu verstehen, dass dies aus seiner Sicht kein Verbrechen sei.

»Ist Euer Mann jetzt bei den Rebellen?«

»Nein.«

»Ist er ins Ausland geflohen?«

Diese Frage war gefährlich. Wenn die Behörden annahmen, er sei außer Landes, stellten sie möglicherweise die Suche nach ihm ein. Aber es wäre auch ein Indiz für seine Schuld.

»Nein, Mylord, er ist nicht ins Ausland geflohen.«

»Werden wir ihn hier finden?«

»Ich glaube nicht.«

»Wo ist er dann?«, fragte Osmond ruhig.

Nun war es also so weit. Vor diesem Augenblick hatte sie sich gefürchtet.

»Mylord«, antwortete sie freundlich. »Ich bin seine Frau, daher werde ich es Ihnen nicht sagen.« Sie hielt den Atem an, und er hob die Augenbrauen. »Es sei denn«, fügte sie leise hinzu, »Sie strecken mich auf die Folter.« Sie beobachtete ihn. Hatte sie den Bogen überspannt?

Aber er ging nicht zornentbrannt auf sie los. Stattdessen, und sie sah es ganz deutlich, zuckte er verlegen zusammen. Beide verfielen in Schweigen.

Eine Minute später kehrten seine Leute zurück, und die Offiziere erstatteten Bericht: »Nichts.« Ormond bedeutete ihnen, draußen auf ihn zu warten.

»Madam«, sagte er, als sie allein waren, »die Leute in Dublin brennen darauf, dieses Gut zu beschlagnahmen, um es sich selbst anzueignen. Doch nach Lage der Dinge werde ich wohl einen Teil meiner Soldaten hier einquartieren müssen. Ungefähr hundert«, fügte er tonlos hinzu. »Das Gut muss ordentlich bewirtschaftet werden, damit ihre Versorgung gesichert ist. Verstehen Sie?«

»Ich denke schon.«

»Wenn Ihr Mann dem König und der Regierung des Königs gegenüber loyal ist, dann muss er auch mir gegenüber loyal sein.«

»Darauf, Mylord«, sagte sie mit Nachdruck, »können Sie sich verlassen.«

»Ich kann das gegen Ihren Mann ergangene Urteil nicht aufheben. Das liegt nicht in meiner Macht. Aber wenn er hier ist und in meinem Auftrag meine Soldaten versorgt, wird er nicht angerührt, jedenfalls fürs Erste. Mehr kann ich nicht versprechen.«

»Ich danke Ihnen.« Sie zögerte. »Wie lange könnte das dauern?«

»Wer vermag das zu sagen?« Er seufzte. »Nichts ist gewiss. Ich weiß kaum, von wem ich nächsten Monat meine Befehle erhalten werde. Wir müssen von Tag zu Tag schauen.« Er sah sie lange an. »Suchen Sie morgen Ihren Mann auf, Madam.«

Sie nickte. Er machte eine kurze Verbeugung, und bevor sie dazu kam, sich mit einem Knicks zu revanchieren, war er fort.

***

Leichter Nebel lag über dem Meer, als Mary am nächsten Morgen in aller Frühe zum Strand hinunterging. Orlando, der sich seit drei Wochen drüben auf der kleinen Insel mit der Felsspalte in der Klippe versteckte, bemerkte sie nicht sogleich. Erst als die Strahlen der aufgehenden Sonne sich über das Meer ergossen und bis zur Küste vordrangen, sah er sie am Strand stehen und winken. Er schob ein Boot ins Wasser und ruderte, die Sonne im Rücken, zu ihr.

***

Doktor Pincher starrte auf den Brief. Er war noch immer verblüfft.

Der April 1642 war kein ermutigender Monat gewesen. In England war das Zerwürfnis zwischen dem König und dem Parlament inzwischen so groß, dass ein Bürgerkrieg drohte. Hier in Irland weitete sich der Aufstand sogar aus, obwohl Ormond rings um Dublin gute Arbeit geleistet hatte. Führer der altenglischen und irischen Gentry mit alten Namen wie Barry und MacCarthy griffen unten in Munster und andernorts zu den Waffen. Selbst Ormonds katholischer Onkel hatte sich den Rebellen angeschlossen. Noch beunruhigender war das hartnäckige Gerücht, demzufolge der berühmte General Owen Roe O’Neill sich endlich bereitgefunden habe, nach Irland zu kommen und das Kommando über die katholischen Truppen zu übernehmen.

Doch all diese Entwicklungen traten in den Hintergrund, als Pincher den Brief nochmals las.

Seine Schwester war verstorben. Er war ehrlich genug, zuzugeben, dass er darüber nicht besonders traurig war. Seit fünfundvierzig Jahren hatte er kein freundliches Wort von ihr erhalten, und wenn er auch darauf vertraute, dass sie in den Himmel und nicht in die Hölle kam, so ertappte er sich doch bei dem Gedanken, die himmlischen Gefilde seien hoffentlich so groß, dass künftige Begegnungen eher die Ausnahme blieben.

Der Prediger musterte die Handschrift. Sie war kraftvoll und männlich. Der Stil war nicht gebildet, vielleicht nicht einmal elegant, eher der eines einfachen, frommen Gentlemans. Zu diesem Ergebnis gelangte Pincher jedenfalls nach der dritten Lektüre. Doch die religiöse Überzeugung des Schreibers war über jeden Verdacht erhaben: offensichtlich ein äußerst gottesfürchtiger Mann.

Dies also war sein Neffe, Barnaby Budge.

Simeon Pincher konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob mit dem Heimgang seiner Schwester nicht vielleicht ein unsichtbares Hindernis wegfiel, das einer engeren familiären Beziehung lange im Wege gestanden hatte. Er hielt es durchaus für denkbar, dass sein Neffe bei näherer Bekanntschaft sogar Zuneigung zu ihm fasste. Immerhin war Barnaby sein Erbe.

Trotz seiner Jahre war Doktor Pincher bereit, eine weitere Seereise auf sich zu nehmen, um seinen Neffen zu besuchen. Doch wie es schien, war das wohl gar nicht nötig. Denn am Schluss des Briefes verlieh Barnaby seiner Hoffnung Ausdruck, in Bälde nach Irland zu kommen – vielleicht sogar, um hier zu leben. »Im Vertrauen auf Gottes Vorsehung«, schrieb er, »habe ich mir die Sache des Parlaments zu eigen gemacht und fünfhundert Pfund investiert.«

Erst einen Monat zuvor hatte das englische Parlament, das für Ormonds Truppen in Irland und eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung mit der Krone zu Hause Geld brauchte, eine neue Idee ausgebrütet, wie sich aus Irland Kapital schlagen ließ. Besiedelung und Kolonisierung waren bereits versucht worden: Irische Clanführer hatten aufbegehrt und so die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Anhänger der Regierung ihr Land zu herabgesetzten Preisen kaufen konnten. Aber der Act for Adventurers vom März 1642 war ein neuer Höhepunkt englischer Findigkeit.

Denn nun lud das englische Parlament alle guten Protestanten dazu ein: »Gebt uns heute bares Geld, und zu gegebener Zeit bekommt Ihr dafür irisches Land.« Das versprochene Land stand zwar noch nicht zur Verfügung, sollte aber im Lauf der Zeit von denen, die aufbegehrten, eingezogen werden. Auf diese Weise hoffte das englische Parlament eine Million Pfund zusammenzubekommen, eine gewaltige Summe. Pincher hatte den Plan einer genauen Prüfung unterzogen und dabei errechnet, dass man nicht weniger als zweieinhalb Millionen Morgen Land benötigte, also fast ein Viertel von ganz Irland und ein Vielfaches der Besitzungen all jener, die bislang aufbegehrt hatten. »Keine Sorge«, beruhigte ihn ein Mann aus der Burg, als er ihn darauf ansprach. »Wenn wir das Geld zusammenbringen, finden wir auch die Rebellen.«

Unter diesen Bedingungen konnten die fünfhundert Pfund Barnaby tausend Morgen Land einbringen, das Gut eines Gentlemans, und mit Unterstützung seines Onkels ließ sich sogar noch mehr für ihn herausschlagen. Doktor Pincher hatte enttäuscht zur Kenntnis genommen, dass man Orlando Walsh erlaubt hatte, auf seinem Gut zu bleiben. Aber nun wollte ihm scheinen, dass hier eine höhere Macht waltete. Denn die Vollstreckung war nur aufgeschoben. Ormond würde Walsh nicht ewig brauchen. Und wenn Walsh endlich vertrieben wurde, konnte Barnaby Budge möglicherweise das Gut bekommen. Sollte dies tatsächlich der göttliche Plan sein?

Er fragte sich, wann Barnaby kommen würde, und was für ein Mensch er wohl war.

* 1646 *

Brian O’Byrne stand mit seiner Frau auf der leeren Straße. In Kilkenny war es an diesem Dezembernachmittag ruhig – und kalt.

In den vergangenen fünf Jahren hatte er viel erlebt. Gefahren. Eine kleine Freude, denn seine Frau hatte ihm vor zwei Jahren einen strammen Sohn geschenkt. Einsamkeit, sogar Augenblicke tiefer Niedergeschlagenheit. Aber nichts hatte ihm mehr zugesetzt als die Entscheidung, vor der er jetzt stand.

Er warf einen Blick auf seine Frau: Jane war eine vergnügte junge Frau mit hellem Haar und gepflegten Zähnen. Sie hätte die Frau eines Grundbesitzers sein können. Aber sie hatte Brian O’Byrne zu Geld und guten Beziehungen verholfen, und das wusste sie.

Seit nunmehr drei Tagen waren sie zusammen in Kilkenny. Morgen sollte er hinunter nach Munster, und sie würde nach Rathconan zurückkehren, wo es im Augenblick sicher war. Hinter ihnen lagen ereignisreiche und glückliche Tage, aber er hatte es nicht über sich gebracht, ihr zu sagen, was er vorhatte. Und er fragte sich immer noch, wie er seine Pläne ansprechen sollte, als er hinter sich eine Stimme seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um.

Pater Lawrence Walsh war inzwischen Anfang sechzig. Sein spärliches graues Haar war kurz geschnitten. Sein Gesicht war schmaler geworden und von tiefen vertikalen Falten durchfurcht, aber sein Körper war immer noch drahtig und kräftig. Er grüßte Jane und sah O’Byrne durchdringend an.

»Ich glaube, wir sind uns zuletzt hier in Kilkenny begegnet«, sagte er.

Vor vier Jahren. Es schien eine Ewigkeit her. Die Zusammenkunft hatte katholische Führer aus ganz Irland angelockt. O’Byrne hatte Sir Phelim begleitet. Damals waren sie zu dem Ergebnis gekommen, dass der in Ulster ausgebrochene Aufstand nur dann eine Aussicht auf Erfolg hatte, wenn sich die Katholiken aus ganz Irland wie die Covenanters in Schottland zu einer einzigen, disziplinierten Organisation zusammenschlossen. Sie hatten einen Obersten Rat gebildet, dem auch Sir Phelim angehörte, und ein Netz örtlicher Anführer aus jeder Grafschaft geknüpft. Die Katholische Föderation, wie sie genannt wurde, wählte die Stadt Kilkenny in Süd-Leinster zu ihrem Hauptquartier. Während die englische Regierung Dublin hielt und die schottischen Siedler die Hafenstädte in Ost-Ulster behaupteten, kontrollierte der Rat von Kilkenny seitdem weite Teile der Insel.

»Ich habe Sie noch einmal hier in Kilkenny gesehen«, fuhr der Jesuit fort. »An dem Tag, als der Nuntius kam. Aber Sie haben mich in der Menge nicht bemerkt.«

Der 25. Oktober 1645. Ein Tag, der niemals in Vergessenheit geraten sollte, der Tag, an dem Nuntius Erzbischof Rinuccini, der persönliche Gesandte des Papstes an die Katholische Konföderation, in Kilkenny eintraf. Die Wiedergeburt des katholischen Irland. Sie hatten ihn wie den Heiligen Vater selbst empfangen.

O’Byrne fragte den Pater jetzt nach Orlando.

»Natürlich kann ich meinen Bruder nicht besuchen«, erklärte der Jesuit. »Die Dubliner Protestanten haben Fingal vollständig unter Kontrolle. Aber er bleibt auf dem Gut. Er muss hundert Regierungssoldaten durchfüttern. Dafür lässt man ihn in Frieden, und Lord Ormond hält schützend seine Hand über ihn.«

Obwohl das Parlament und der König, denen Ormond diente, Krieg gegeneinander führten, war er als Vertreter der protestantischen englischen Regierung in Dublin belassen worden, da er höheres Ansehen genoss als jeder andere. O’Byrne war froh, dass sein Freund Orlando einen so einflussreichen Beschützer hatte.

»Und die Smiths? Der junge Maurice?«

»Sie bleiben in Dublin. Sie werden geduldet, obwohl der Stadtrat inzwischen rein protestantisch ist. Maurice ist jetzt Teilhaber im Geschäft seines Vaters. Und auch meiner Schwester Anne geht es gut«, fügte er ohne weiteren Kommentar hinzu.

»Das freut mich«, sagte O’Byrne.

Pater Lawrence sah ihn nachdenklich an. Er blickte zu Jane.

»Brian O’Byrne«, fragte er ruhig, »darf ich nun erfahren, auf welcher Seite Sie stehen?«

***

Als er Sir Phelim nach Kilkenny begleitete, war das Ziel der Konföderation noch klar: Sie wollte Karl I. zwingen, die Verfolgung von Katholiken in Irland zu beenden. Die alteingesessenen irischen Clanführer aus den Provinzen, die später dazustießen, konnten die Begeisterung der Altengländer für die Krone zwar nicht teilen, schwenkten aber im Interesse einer starken Konföderation auf den royalistischen Kurs ein. Die Folge war, dass die Konföderation zwei hervorragende, auf dem Kontinent erprobte Generäle für sich gewann: Owen Roe O’Neill, den zurückgekehrten irischen Prinzen, im Norden und Thomas Preston, einen katholischen Altengländer, im Süden.

Der protestantische Gegner bot ein viel uneinheitlicheres Bild. Lord Ormond, der altenglische Grande, saß in Dublin. Oben im Norden befehligte General Monro zehntausend entschlossene Schotten, die übers Meer gekommen waren, um ihren presbyterianischen Glaubensbrüdern in Ulster beizustehen. Dagegen unterstanden die protestantischen Kräfte unten in Munster Lord Inchiquin, einem irischen Prinzen aus altem Geschlecht, der von Brain Boru abstammte, aber zum protestantischen Glauben übergetreten war und die römische Kirche verabscheute.

Zunächst erzielte die Konföderation Erfolge, und Lord Ormond stimmte erleichtert einem Waffenstillstand zu. Auch in England schien Karl L, der mittlerweile gegen sein eigenes Parlament Krieg führte, dem Sieg nahe. Selbst in Schottland war eine royalistische Gruppe aufgetaucht.

Für O’Byrne war es eine gute Zeit. Sir Phelim war ihm gewogen, und seine Frau schenkte ihm ein Kind.

Doch dann wendete sich das Blatt. Die Covenanters in Schottland besiegten die Royalisten, und in England brachten die neuen Generäle der Parlamentsarmee, Fairfax und Oliver Cromwell, den königlichen Heeren schwere Niederlagen bei. Noch im selben Jahr war Karl I. zur Kapitulation gezwungen worden, und jetzt wurde er von den Schotten gefangen gehalten. Die royalistische Sache schien verloren.

Aber war sie es wirklich?

»Könige haben ihren Nutzen, selbst als Gefangene«, pflegte Sir Phelim zu sagen. Und nun, da König Karl Gefangener war, hatte es den Anschein, als sei durch Verhandlungen mehr zu erreichen denn je. Die Schotten waren bereit, ihn wieder auf den Thron zu setzen, vorausgesetzt, er leistete den Eid auf ihren presbyterianischen Covenant. Auch die englischen Parlamentsmitglieder waren dazu bereit, vorausgesetzt, er unterwarf sich ihrer Kontrolle. Und die Katholische Konföderation in Irland hätte liebend gern einen Friedensvertrag unterzeichnet, um Karl I. den Einsatz von Ormonds Armee in England zu ermöglichen, ja, sie wäre sogar selbst nach England gegangen, um ihm zu helfen, wenn er dem katholischen Irland seine Rechte zugesichert hätte. Aber Karl selbst dachte gar nicht daran, einer der Parteien gefällig zu sein. In der Hoffnung, auf seinen Thron zurückzukehren, wenn es ihm gelang, einen Keil zwischen seine Feinde zu treiben, spielte er auf Zeit.

Aber hier in Irland stellte sich nun ein Problem anderer Art. Die Konföderation hatte glänzende Erfolge erzielt. Sie hatte Ormonds und Inchiquins Kräfte gebunden, und oben in Ulster hatte Owen Roe O’Neill, der verwegene irische Prinz, einen grandiosen Sieg über Monro und seine Schotten errungen.

»Das ist jetzt unsere Chance«, hatte O’Byrne zu seiner Frau gesagt, »gegen Dublin zu ziehen. Wenn wir die Stadt einnehmen, können wir wahrscheinlich auch die Protestanten aus den befestigten Städten in Ulster vertreiben.«

Doch nichts dergleichen war geschehen.

Ein Grund war die Eitelkeit der Generäle. Die irischen O’Neills und die altenglischen Prestons lehnten es ab, Befehle des jeweils anderen entgegenzunehmen. Ja, sie ließen sich kaum zu gemeinsamem Handeln bewegen. Doch dahinter verbarg sich ein noch tieferer Riss, der mitten durch die Konföderation ging.

Die Altengländer bestanden nach wie vor auf harten Verhandlungen mit König Karl. »Besser er als ein presbyterianisches Parlament«, sagten sie. Und Sir Phelim hatte sich ihren Standpunkt zu eigen gemacht. O’Neill und seine irischen Anhänger waren radikaler und forderten: »Lasst uns die Protestanten ein für alle Mal hinauswerfen, mitsamt ihrem König, und Irland selbst regieren.«

Der forsche Owen Roe O’Neill war ein Ire ganz nach seinem Herzen. Brian O’Byrne wusste, wem seine heimlichen Sympathien galten. Seit nunmehr sechs Wochen trug er sich mit der Absicht, Sir Phelim den Rücken zu kehren und sich Owen Roe O’Neill anzuschließen.

***

Im Februar, als Brian O’Byrne oben in Rathconan weilte, traf eine überraschende Nachricht ein.

»Lord Ormond hat Dublin dem englischen Parlament übergeben. Er verlässt Irland.« Er überbrachte die Neuigkeit persönlich seiner Frau.

»Aber das ist doch nicht möglich. Ormond war doch der Mann des Königs.«

»Das ist er noch immer. Nur fürchtete er, Dublin nicht halten zu können. Er ist zu König Karl gereist. Sie hoffen, mehr Truppen zu bekommen, um dann zurückzukehren. In der Zwischenzeit schickt das englische Parlament Soldaten zur Verstärkung der Garnison.«

»Das englische Parlament hält Dublin? Die Puritaner?«

Wie es schien, hatten sich Sir Phelim und die Altengländer verrechnet.

In Jane O’Byrnes Augen flackerte eine neue Unsicherheit, als sie ihren Mann ansah.

»Und was wird jetzt aus uns?«

***

Als Doktor Pincher im Jahre des Herrn 1647 die Welt betrachtete, da wusste er, dass allein Gottes Vorsehung ihm gestattet hatte, so lange zu leben, und dafür war er dankbar. Er war fünfundsiebzig, als Dublin dem englischen Parlament übergeben wurde, und einer der ältesten Bürger der Stadt. Für sein Alter war er bei guter Gesundheit, und vielleicht, so dachte er mit einem gewissen heimlichen Stolz, würde er seine Widersacher noch alle überleben. Zumindest war er fest entschlossen, noch mitzuerleben, wie die protestantische Sache siegte.

Und dass sein Neffe gut versorgt war.

Bald nach Beginn des Krieges zwischen Karl I. und seinem Parlament hatte Barnaby dem Prediger Budge in einem Brief mitgeteilt, dass er die Waffen gegen den König erhoben und sich den »Rundköpfen«, wie das Parlamentsheer genannt wurde, angeschlossen habe. Einige Zeit später schrieb Barnaby, dass gegenwärtig eine neue Armee aufgestellt werde, ein musterhaftes Heer aus gottesfürchtigen Männern, die bereit seien, durch Übung und Drill neue Höhen der Disziplin zu erklimmen. Unter der Führung ihrer Generäle Fairfax und Oliver Cromwell hatte diese New Model Army bald alles, was sich ihr in den Weg stellte, hinweggefegt. In späteren Briefen hatte er ihre militärischen Unternehmungen geschildert und damit bei Doktor Pincher Begeisterung, allerdings auch Befürchtungen ausgelöst.

»Ich bete zu Gott, dass er meinen Neffen wohlbehalten zu uns bringt«, gestand er mehr als einmal Tidys Frau, worauf sie stets beruhigend antwortete: »Oh Sir, das wird er ganz bestimmt.«

Im Lauf des Jahres 1647 mehrten sich die ermutigenden Zeichen. Das Parlament schickte kampferprobte Soldaten und erfahrene Kommandeure nach Dublin. Die Truppen der Konföderation in Leinster und Munster wurden zurückgedrängt, und als Owen Roe O’Neill auf Dublin vorrücken wollte, wurde er nach kurzer Zeit vertrieben. Nicht minder erfreulich war, dass die Maßnahmen der protestantischen Stadtverwaltung den Katholiken das Leben so vergällt hatten, dass mehrere führende Kaufmannsfamilien, darunter auch die von Walter Smith, sich zum Gehen entschlossen. Pincher traf Smith zufällig am Tag von dessen Abreise und fragte ihn, wo er künftig zu leben gedachte.

»Bei meinem Schwager Orlando Walsh«, antwortete Walter. Obwohl Ormonds protestantische Soldaten auf dem Gut der Walshs jetzt dem Dubliner Parlament unterstanden, hatte das Arrangement, das Orlando schützte, noch Gültigkeit. »Zumindest eure protestantischen Soldaten werden uns schützen«, bemerkte der Kaufmann trocken.

Nur eine einzige Entwicklung stimmte Doktor Pincher bedenklich. Er hätte sie niemals für möglich gehalten, und sie ging in England vonstatten. Ja, sie bereitete ihm so große Sorge, dass er Barnaby deswegen schrieb.

»Die Armee«, begann er, »scheint zu vergessen, dass sie die Dienerin der Regierung ist, nicht die Herrin.«

Kein Zweifel, Pincher hatte Recht. Die puritanische Armee, die den Sieg erkämpft hatte, verlor allmählich die Geduld mit den presbyterianischen Gentlemen im englischen Parlament, die es sich wohl gehen ließen und immer noch versuchten, mit dem gestürzten König eine Übereinkunft zu treffen. »Bringt ihn vor Gericht«, forderten die Soldaten. Sie waren in London einmarschiert und hatten die Einwohnerschaft eingeschüchtert. Und Oliver Cromwell hatte einen gewissen Joyce, einen seiner zuverlässigsten jungen Offiziere, entsandt, um den König zu ergreifen und in den Gewahrsam der Armee zu überführen. Auch wenn Karl im Gefängnis nominell immer noch König war und das Parlament weiterhin tagte, so war es doch die Armee, die nun das Heft in die Hand nahm.

Was Pincher jedoch besonders schockierte, waren einige Ansichten, die sie vertrat.

Wenn die Kirche König Karls mit ihren Bischöfen und ihrem Pomp in den Augen der meisten Puritaner nicht besser war als der Papismus, konnte man darüber streiten, was an ihre Stelle treten sollte. Aber so viel war gewiss: Die Ordnung musste gewährleistet bleiben. Die Gentlemen im Parlament und die Londoner Kaufleute befürworteten mittlerweile eine englische Version der presbyterianischen Kirche. Statt Geistliche sollte jede Kirchengemeinde ihre Ältesten wählen, und die wiederum sollten einen Zentralrat bestimmen, der die unumschränkte Autorität ausübte. So sollte die neue Staatskirche aussehen.

Doch auch die Rundköpfe hatten, als sie ihr Leben aufs Spiel setzten und die Welt auf den Kopf stellten, über solche Fragen diskutiert, und sie waren zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Von den Parlamentsmitgliedern hatten sie genug. Sie hatten die Autorität eines gesalbten Königs bekämpft, warum sollten sie dann vor dem Parlament das Knie beugen? »Mit welchem Recht«, so fragten sie, »wollte uns ein Parlament vorschreiben, wie wir Gott zu verehren haben? Gott spricht unmittelbar zu jedem Menschen.« Solange die Gemeinden gottesfürchtig und nicht papistisch waren, sollte es ihnen freistehen, ihrem Gewissen zu folgen und nach eigenem Gutdünken unabhängige Gotteshäuser jedweder Art zu errichten.

Solche Lehren waren ansteckend, wie Pincher eines Morgens feststellen musste, als er Faithful Tidy begegnete. Er war von dem jungen Mann ein wenig enttäuscht, weil er ihn seit seinem Abgang vom Trinity College kaum einmal besucht hatte. Da Faithful neuerdings jedoch dem Kapitular zur Hand ging, liefen sie sich von Zeit zu Zeit über den Weg. Die Mitglieder des Londoner Parlaments hatten bereits ihre Absicht bekundet, auch gesetzliche Regelungen für eine presbyterianische Kirche in Irland zu schaffen, und Pincher hatte es mit Freuden vernommen. Denn, so betonte er gegenüber Faithful, wenn man diesen Leuten von der Armee nachgebe, drohe ein Chaos, die Auflösung jeder religiösen und moralischen Ordnung.

»Aber«, erwiderte Faithful darauf leichthin, »haben die Katholiken, wenn man’s recht bedenkt, nicht genau dasselbe gesagt, als die Protestanten die Autorität Roms in Frage stellten?« Er zuckte mit den Achseln. »Wo liegt da der Unterschied?«

Pincher sah ihn verblüfft an.

»Der Unterschied, junger Mann«, bellte er, »liegt darin, dass wir Recht haben.«

Seit der junge Faithful das Trinity verlassen hatte, so dachte Pincher, wurde er immer impertinenter. Aber dass er so etwas auch nur denken konnte, schockierte den Doktor zutiefst.

Gewisse politische Ideen der Armeeleute waren genauso schlimm. Eine Gruppe dieser anmaßenden Kerle hatte eine neue und abscheuliche Debatte entfacht. Ihrer Meinung nach waren alle Menschen gleich. Levellers nannten sich diese Strolche selbst. Ihre Vorstellungen gingen in einigen Punkten auseinander, doch einig waren sie sich in der Forderung, dass alle Menschen das Recht bekommen sollten, ihre Regierung zu wählen, und die radikalsten stellten sogar das Recht des Menschen auf Privateigentum in Frage. Doktor Pincher war über das, was ihm da zu Ohren kam, so entsetzt, dass er Barnaby schrieb.

»Diese Levellers«, antwortete sein Neffe, »sind gefährliche und gottlose Leute.« Aber zu gegebener Zeit, so versicherte er, werde man schon mit ihnen fertig werden. Allerdings deuteten die Berichte, die Dublin erreichten, eher darauf hin, dass die Zahl der Levellers wuchs.

Und Doktor Pincher war beileibe nicht der einzige, den der radikale Geist des Parlamentsheers mit Besorgnis erfüllte. Im Lauf des Jahres stellten sich immer mehr Menschen in ganz Britannien die Frage: Erkannten diese Soldaten denn keine Autorität außer ihrer eigenen an? Sollte die Macht nur durch das Schwert erhalten werden? »Sollen wir die Tyrannei König Karls gegen eine noch schlimmere eintauschen?« Insbesondere die Presbyterianer in Schottland beobachteten die religiösen Unabhängigkeitsbestrebungen des Parlamentsheers mit wachsendem Argwohn.

In Dublin verbrachte Doktor Pincher, von Frostbeulen geplagt, einen unerquicklichen Winter.

Im Frühling 1648 geschah etwas Erstaunliches. In ganz England erhoben sich Menschen für den König, nicht etwa weil sie ihn geliebt hätten, ganz und gar nicht, sondern weil sie nicht von einer Armee regiert werden wollten. Auf einigen Schiffen der königlichen Marine brachen sogar Meutereien aus. In Schottland stellte einer der einflussreichen Lords eine royalistische Armee auf. Lord Ormond, von der in Paris weilenden Königin unterstützt, und der Sohn König Karls, ein listiger junger Mann, der ebenfalls Karl hieß, hatten Unterhändler in Irland. Im Namen der Katholischen Föderation sprach sich Lord Inchiquin nun mit Entschiedenheit für den König aus. Innerhalb eines Monats trat der Oberste Rat zusammen, wählte den Nuntius ab und erklärte sich für König Karl. Nur Owen Roe O’Neill sperrte sich. Es schien, als sollte der Bürgerkrieg noch einmal vor vorne beginnen.

Der arme Doktor Pincher war so beunruhigt, dass er zweimal innerhalb einer Woche das Bett hütete und sich von Tidys Frau mit stärkender Fleischbrühe verwöhnen ließ.

Erst ein Brief von Barnaby spendete ihm etwas Trost:

 

Ich bin jetzt bei General Cromwell. Er ist nicht nur unser bester Kommandeur, sondern auch ein kluger, gütiger und gottesfürchtiger Mann. Er ist stark im Herrn. Und er wird gegenüber Royalisten und Levellers gleichermaßen bestimmt auftreten, das versichere ich Ihnen.

 

Pincher hatte schon viel von diesem aufstrebenden General gehört, aber sonderlich beeindruckt hatte es ihn nicht. Er hatte dem Parlament angehört, bevor er Soldat geworden war, besaß große Ländereien und war wohlhabend. Als reicher Gutsherr, so sagte sich Pincher, hatte er für die sozialen Ideen der Levellers wohl nichts übrig. Doch seine religiösen Vorstellungen waren weniger klar. Er pflegte eine solche Nähe zu seinen Männern, dass man sich fragen musste, ob er überhaupt Presbyterianer war. Jedenfalls hatte er seinen Namen für mindestens eine Flugschrift hergegeben, die für religiöse Unabhängigkeit eintrat. Pincher hatte sie mit Abscheu gelesen.

Doch als die Wochen ins Land gingen, ließ sich Cromwells Feldherrenkunst nicht mehr in Abrede stellen. Während die Hauptmacht des Parlamentsheers die royalistischen Aufstände im Osten Englands niederschlug, stürmte Cromwell nach Westen und dann von Wales nach Schottland und zerschmetterte jeden Gegner, der sich ihm entgegenstellte, mit dem Hammer seiner kampfgestählten Truppen. Im Herbst war alles vorbei. Das Heer der Rundköpfe hatte gesiegt.

Und jetzt hatte das Heer genug. Als die Soldaten in London einrückten und feststellten, dass ein Großteil der presbyterianischen Parlamentsmitglieder immer noch mit Karl I. verhandeln wollte, warfen sie diese Leute aus dem Parlament und verkündeten: »Wir werden König Karl nach Weihnachten den Prozess machen.«

Der Prozess fand im Januar 1649 statt. Am Ende des Monats richteten sie Karl hin. In den folgenden Wochen wurden die Monarchie und das Oberhaus mit seinen erblichen Sitzen abgeschafft, ein Staatsrat gebildet und England zu einem Commonwealth erklärt.

Es war ein ungeheuerlicher Vorgang. Die Hinrichtung eines Königs unter Wahrung aller gesetzlichen Bestimmungen, so etwas hatte es noch nie gegeben. Die Welt wurde auf den Kopf gestellt, und Pincher war sich keineswegs sicher, ob ihm das gefiel. Aber bald bemerkte er auch, dass Cromwell, der den Staatsrat zunehmend dominierte, einen recht konservativen Kurs einschlug. Laut Barnaby hatte es ihm sogar widerstrebt, den König hinrichten zu lassen. Verlässliche presbyterianische Gentlemen wurden ins Parlament zurückberufen, und die Radikalen aus dem Heer wurden stillschweigend übergangen. Cromwell hatte ihnen den Kopf des Königs geliefert und auf diese Weise in England wieder einen Zustand der Normalität hergestellt. Vielleicht, so wagte Pincher zu hoffen, konnte er auch Irland wieder eine gottgefällige Ordnung geben.

Denn an Ostern dieses Jahres erhielt Pincher von Barnaby jene Nachricht, auf die er ein Leben lang gewartet hatte.

***

Cromwell soll nach Irland kommen. Er wird diesen Sommer landen. Und ich werde mit ihm kommen.

***

Mehrere Gruppen von Männern waren an diesem Tag im Lager eingetroffen. Von seiner Position auf dem Hügel aus beobachtete O’Byrne die kleine Reiterschar, die den Weg herauftrabte, doch er schenkte ihr keine besondere Beachtung.

Die Augustsonne brannte ihm an diesem Nachmittag ins Gesicht. In der Ferne erhoben sich die Mauern und Kirchtürme Dublins. Zu seiner Rechten, deutlich sichtbar im leichten Dunst, erstreckte sich das zartblaue Wasser der Dubliner Bucht. Hier an den Hängen des Dorfes Rathmines, mehrere Meilen südlich der Hauptstadt, warteten Tausende von Männern, so wie sie bereits den ganzen gestrigen Tag gewartet hatten. Sie warteten auf Cromwell.

O’Byrne wandte sich an den jungen Soldaten, der neben ihm stand. »Sehen Sie doch mal nach, wer die Leute sind, die gerade angekommen sind.« Eigentlich war es O’Byrne gleich, aber der junge Mann war nervös geworden, und jetzt hatte er wenigstens etwas zu tun.

Die Streitmacht, die hier wartete, um dem gerade nach Irland übersetzenden Cromwell entgegenzutreten, war ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Den Oberbefehl führte der Protestant Lord Ormond, der im Auftrag des Sohnes des hingerichteten Königs auf die Insel zurückgekehrt war. Den Truppen, die er bei Rathmines zusammengezogen hatte, gehörten eine große Zahl altenglischer Katholiken, aber auch viele Protestanten an. Ebenfalls der royalistischen Koalition beigetreten war der irische Protestant Lord Inchiquin mit seinen Kräften in Munster. Und oben in Ost-Ulster war zur Koalition eine Armee von Ulster-Schotten gestoßen, die sich als Presbyterianer zu Feinden der Independenten von Cromwells Heer erklärt hatten. Nur die Hauptarmee alteingesessener Iren war der Koalition ferngeblieben, weil Owen Roe O’Neill in West-Ulster immer noch ohne Verbündete ausharrte. Alles in allem verfügte Lord Ormond über mehr als vierzehntausend Mann.

Ormond hatte seine Position gut gewählt. Wenn Cromwell im Süden landete, konnte er ihm den Weg nach Dublin versperren. Wenn Cromwells Flotte in die Dublin Bay einfuhr, gerieten seine Schiffe in Schussweite der Artillerie, die der Lord an der nahen Küste in Stellung gebracht hatte.

Doch als Brian O’Byrne auf das Lager an den Hängen unter ihm blickte, stellte er sich nur eine Frage: Warum bin ich überhaupt hier? Seine Frau war mit ihrem Sohn bei ihrer Familie in Ulster, wo es im Augenblick verhältnismäßig sicher war. Vor ein paar Tagen war er noch oben in Rathconan gewesen, und er wünschte, er wäre jetzt wieder dort und könnte sich aus allem heraushalten. Der Krieg hatte nichts Gutes. Er hatte genug gesehen, um das zu wissen. Wenn er schon kämpfen musste, hätte er sich beizeiten Owen Roe O’Neill anschließen sollen. Aber mittlerweile stand er bei den Konföderierten und den Verwandten seiner Frau zu sehr in der Pflicht. Er musste an ihrer Seite kämpfen, auch wenn er nicht mit dem Herzen dabei war.

Und er stand mit seinem Unbehagen nicht allein. Denn der größte Widerstand gegen Cromwells Landung in Irland war von einer ganz anderen Seite gekommen: von Cromwells eigenen Soldaten.

Natürlich vom Flügel der Levellers. Und er beschränkte sich nicht nur auf einzelne Radikale: Ganze Kompanien, ganze Regimenter seiner unbeugsamen Musterarmee hatten den Dienst in Irland verweigert. Cromwell hatte ihnen gedroht, hatte ihnen gut zugeredet, aber seine gläubigen englischen Soldaten wollten nicht kommen. Ihre Weigerung hatte mehrere Gründe. Einige hatten ihren ausstehenden Sold verlangt, andere forderten politische Reformen in England. Doch das schlagendste Argument, das Soldaten aller Ränge vorbrachten, lautete:

»Die Religion eines Menschen ist eine Angelegenheit des persönlichen Gewissens. Warum sollten wir die Iren zwingen, Protestanten zu werden?«

Seit den Tagen, da das Römische Reich das Christentum zur Staatsreligion erklärt hatte, hatte keine Obrigkeit jemals die Auffassung vertreten, dass die Konfession eines Menschen eine reine Privatangelegenheit sei, die niemanden außer ihm etwas angehe. Der Gedanke war, in seiner Neuartigkeit wie auch in seiner entwaffnenden Schlichtheit, unerhört. Und selbst einem verständnisvollen Heeresgeneral wie Cromwell, der geneigt war, den Gemeinden zu erlauben, die protestantische Lehre auf unterschiedliche Weise mit Leben zu erfüllen, war die Vorstellung ein Gräuel, dass der große Teufel des Katholizismus wie eine gewöhnliche Religionsgemeinschaft behandelt und die tiefe Kluft zwischen Katholiken und Protestanten ignoriert werden könnte.

Doch obwohl Cromwell und seine Mitgeneräle die Meutereien der Levellers rasch niedergeworfen hatten, mussten sie zahlreiche englische Kompanien nach Hause entlassen, weil die Soldaten nicht einsahen, warum die Iren gezwungen werden sollten, Protestanten zu werden.

Und als O’Byrne traurig auf das Feldlager unter ihm blickte und daran dachte, wie viel Blut allein während seines kurzen Lebens aus religiösen Gründen vergossen worden war, schüttelte er den Kopf und fragte sich, ob diese englischen Ketzer und Meuterer nicht vielleicht sogar Recht hatten.

In diesem Moment kehrte der junge Mann, den er zu den Neuankömmlingen geschickt hatte, zurück.

»Eine Gruppe aus Fingal hat sich uns angeschlossen. Alles Katholiken. Wie ich hörte, ist einer aus Dublin und heißt Smith.«

»Smith?« Ein Lächeln legte sich auf O’Byrnes Gesicht. »Sagten Sie Smith?« Seine Traurigkeit war verflogen. »Das ist der junge Mwirish«, rief er fröhlich und sprengte den Hang hinunter.

Doch seine Überraschung war groß, als er, nachdem er durch das Lager geritten war, nicht Maurice, sondern dessen Vater gegenüberstand.

***

Äußerlich war Walter Smith immer noch derselbe beleibte Familien mensch mit schütterem grauem Haar, der er vorher gewesen war. Aber er war ein anderer geworden. Jedenfalls erschien es O’Byrne so, als sie an diesem Abend zusammen am Lagerfeuer saßen.

Der Kaufmann hatte sich nicht besonders gefreut, O’Byrne zu sehen, es war, als nehme er O’Byrnes Gegenwart als eine unabänderliche Naturgegebenheit hin wie das Wetter, als habe er es aufgegeben, sein Leben selbst bestimmen zu wollen. Und als O’Byrne ihn aus Höflichkeit eingeladen hatte, am Abend in seinem Zelt mit ihm zu essen, hatte er nur kurz genickt und geantwortet: »Wie Sie wünschen.« Und bei diesem Essen gab ihm O’Byrne jetzt einen ausführlichen Bericht über die militärische Lage, die Stärke der verschiedenen Teile von Ormonds Streitmacht und die vermutliche Taktik beim bevorstehenden Angriff auf Cromwells Armee.

An diesem Nachmittag hatte Ormond beschlossen, eine vorgeschobene Kompanie unten an der Mündung des Liffey zu postieren. Da diese Kompanie den Verteidigern von Dublin jedoch gefährlich nahe kommen würde, sollte im Schutz der Dunkelheit ein größeres Kontingent, etwa fünfzehnhundert Mann, nachrücken, um die Stellung zu sichern.

»Das ist ein hervorragender Schachzug«, sagte O’Byrne zu Walter, als sie zusahen, wie sich die Männer zum Abmarsch rüsteten. »Eine solche Kompanie kann Cromwells Schiffen schweren Schaden zufügen, falls er versucht, nach Dublin zu segeln.«

Was O’Byrne anging, so war er begierig darauf, Neues über seinen Freund Orlando, den jungen Maurice und das Haus in Fingal zu erfahren, in dem die Smiths noch lebten. Walter bestätigte ihm, dass Maurice mittlerweile die Geschäfte der Familie führte, obwohl der Handel momentan nicht einfach sei. Er sei oft ungeduldig und hätte lieber unter Ormond gekämpft. Allein der Umstand, dass die Familie ihn brauche, habe ihn vom Kommen abgehalten. Anne sei wohlauf, leide aber unter Gelenkversteifungen. Die Person, der es am schlechtesten ergangen war, so wurde bald klar, war Walter selbst.

O’Byrne konnte es sich denken. Walter machte nicht viele Worte darum, denn keiner von ihnen wollte die Angelegenheit ansprechen, die zwischen ihnen stand, doch O’Byrne konnte es sich nur allzu gut vorstellen.

In der Scheune, in den Nebengebäuden, im Haus selbst, überall waren protestantische Soldaten einquartiert. Das dürfte schon schlimm genug gewesen sein. Aber als Dauergast im Haus seines Schwagers zu leben, zusammengepfercht auf engstem Raum, das musste, einerlei wie sehr sich Walter und Orlando mochten, eine zusätzliche Belastung gewesen sein. Und dann Tag für Tag die Räumlichkeiten mit einer Familie zu teilen, der auch der geistesschwache Junge Daniel angehörte, der alle bis auf Maurice, der nicht Bescheid wusste, unablässig an seine Demütigung erinnerte … Ich hätte das nicht ertragen, dachte O’Byrne.

Aber Walter hatte es ertragen, Monat um Monat, denn er war ein guter und anständiger Mensch. Bis er schließlich seinen Entschluss gefasst hatte, weil alles, was er für die Seinen hatte tun können, getan war und weil er wusste, dass die Landung Cromwells eine ernste Bedrohung für ihrer aller Leben darstellte. Er hatte Maurice seine Frau anvertraut und ihnen gesagt, dass er in Geschäften nach Connacht reise, dann war er heimlich nach Süden geritten und hatte sich Ormonds Armee angeschlossen, um zum ersten Mal in seinem Leben als Soldat zu den Waffen zu greifen. So hatte sich dieser solide und friedfertige Familienvater jenseits der sechzig aus dem Leben seiner Familie geschlichen, und auf eine seltsame Weise wirkte er wie befreit. Ob er die Absicht hatte, jemals zu den Seinen zurückzukehren?, fragte sich O’Byrne.

Und während er dem Kaufmann lauschte und über dessen angeborene Anständigkeit nachdachte und darüber, dass er selbst es war, der all das Leid über den Mann gebracht hatte, kam ihm plötzlich die Erkenntnis, die sich bei Ehebrechern recht häufig einstellt, nämlich dass er dem betrogenen Mann mehr Zuneigung und Achtung entgegenbrachte als der Frau, die er ihm weggenommen hatte.

Ist es nicht seltsam, dachte O’Byrne, während er noch etwas Wein nachschenkte, dass dieser Mann überhaupt nicht so aussieht wie wir – im Gegensatz zu Maurice – und gleichwohl mein Landsmann ist, mehr Ire als Engländer. Und er ist gekommen, um an meiner Seite zu kämpfen, obwohl nur der Himmel weiß, ob er ein Schwert zu führen versteht. Er wird natürlich abgeschlachtet, wenn die Kämpfe beginnen. Aber das ist seine Entscheidung. O’Byrne trank seinen Wein und verfiel vorübergehend in Schweigen.

Und vielleicht trank er zu viel, denn später am Abend, als das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt war und Smith sich erhob, um in sein eigenes Zelt zu gehen, fasste er ihn am Arm und flehte ihn leise an: »Suchen Sie hier nicht den Tod. Das ist nicht nötig.« Und als der Kaufmann langsam den Kopf schüttelte, setzte er hinzu: »Sie sind ein viel besserer Mensch als ich, Walter Smith. Sie wiegen zehn von meiner Sorte auf.«

Aber der Kaufmann antwortete nicht und verschwand in der Dunkelheit.

***

O’Byrne erwachte im Morgengrauen, und da sein Zelt weit oben am Hang stand, gehörte er zu den Ersten, die es bemerkten. Eine kurze Weile dachte er, sie hätten sich versteckt, doch als die Sonne aufging und er mit seinen scharfen Augen die Artilleriestellungen an der Küste absuchte, wuchs seine Besorgnis. Die Soldaten, die in der Nacht in Marsch gesetzt worden waren, befanden sich nicht dort, und soweit er erkennen konnte, auch nirgendwo anders. Fünfzehnhundert Mann, einfach verschwunden.

Die Neuigkeit verbreitete sich im Lager. Bald spähten viele, in die Sonne blinzelnd, hinüber. Wo waren die Soldaten? Waren sie in die geheimen Hallen unter den Hügeln marschiert, wie die strahlenden Helden der irischen Sagen? Gegen acht Uhr löste sich das Rätsel, als in der Ferne eine lange Marschkolonne auftauchte und eilends der Küste zustrebte.

»Du lieber Himmel«, murmelte O’Byrne, »die Narren haben sich im Dunkeln verlaufen.«

Aber wenn O’Byrne die royalistischen Soldaten sehen konnte, dann konnte das auch die Garnison in Dublin. Die Kolonne erreichte ihr Ziel. Die Sonne stand über dem Horizont. Dann geschah das, was er befürchtet hatte.

Eine große Kolonne rückte aus Dublin aus. Er konnte ihre Stärke an der Staubwolke in der Ferne abschätzen. Sie war eine Meile lang. Etwa fünftausend Mann. Gegen fünfzehnhundert Mann, die in der Nacht herumgeirrt waren und keine Zeit gehabt hatten, sich zu verschanzen. Sie würden abgeschlachtet werden.

Augenblicke später ließ Ormond zum Generalangriff blasen.

***

Sie rückten zu schnell vor. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, doch als sie über offenes Gelände auf die kleine Anhöhe zusteuerten, sah O’Byrne, dass die vorderen Kompanien fast in Laufschritt fielen. Seine eigene Kavallerieschwadron war gut ausgebildet. Sie behielt die geschlossene Formation bei. Doch er sah eine andere, die in Galopp fiel. Die Männer wollten unbedingt ihre Kameraden retten. Doch was dachten sich ihre Kommandeure dabei?

Er fragte sich, wo Walter Smith wohl war. Er hatte ihn nicht gesehen.

Ein junger Offizier brachte neue Befehle.

»Schwenkung ausführen.« Sie sollten sich an einem massierten Angriff auf die rechte Flanke des Feindes beteiligen. Eine vernünftige Maßnahme, Gott sei Dank.

In den darauf folgenden Minuten kam O’Byrne kaum zum Nachdenken. Er konnte den Feind nicht mehr sehen. Vor ihm donnerte Kavallerie in zwei Wellen vorwärts. Die erste Welle prallte gegen die feindliche Linie. Aber die Soldaten aus Dublin hatten eine uneinnehmbare Wand aus Piken errichtet. Als die zweite Welle anbrandete, sah er eine brodelnde Masse stürzender Pferde und Männer, in die der Feind mit Musketen feuerte. Hier war kein Durchkommen. Sekunden später schwenkte er nach links und preschte an der Kampflinie entlang durch beißenden Pulverrauch. Der Wald der Piken funkelte bedrohlich zu seiner Rechten. Eine Musketenkugel pfiff an seinem Kopf vorbei. Er sah einen seiner Männer stürzen. »Zurück!«, rief er. Zeit, sich neu zu formieren.

Die Schlacht dauerte den ganzen Morgen. Die fünfzehnhundert Mann, die sich in der Nacht verlaufen hatten, fielen zum größten Teil. Immer wieder versuchten Ormonds Leute, die feindlichen Stellungen zu nehmen. Schließlich, gegen Mittag, ging der Feind blitzschnell zum Gegenangriff über. Ormonds Leute setzten sich zu Wehr, aber O’Byrne sah, dass sie links und rechts an Boden verloren. Dann, ganz plötzlich, wurden ihre Linien durchbrochen. Ganze Kompanien wandten sich zur Flucht. Der Feind setzte ihnen nach. Ein Kavallerieregiment jagte um die rechte Flanke herum und schnitt den Flüchtenden den Weg ab. Ein Blutbad zeichnete sich ab. Ormonds Armee drohte die Vernichtung, und man konnte nichts dagegen tun.

»Rettet euch«, rief er seinen Männern zu und riss sein Pferd herum.

In einiger Entfernung sah er offenes Gelände. Von dort führten Wege nach Westen. Wenn es ihm gelang, das offene Gelände zu erreichen, konnte er vielleicht entkommen. Zunächst nach Süden, dann hinauf nach Rathconan. Einen Versuch war es wert. Er preschte los.

Flüchtende kreuzten seinen Weg. Zweimal stieß er auf Scharmützel, galoppierte aber im Bogen um sie herum. Es sah ganz so aus, als käme er tatsächlich noch einmal davon. Er war etwa eine halbe Meile geritten, da sah er Walter Smith. Drei feindliche Reiter hatten ihn vor einer Baumgruppe gestellt. Der Erste attackierte ihn, hieb nach seinem Bein und schlug eine klaffende Wunde in seinen Oberschenkel. Der Kaufmann hatte sein Schwert gezückt und fuchtelte wild damit herum, aber es schien nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn am Boden hatten.

Just in diesem Augenblick traf er seinen Gegner wie durch ein Wunder im Gesicht, und der Mann stürzte, vor Schmerzen brüllend, vom Pferd. Doch die beiden anderen drangen auf ihn ein. Gleich würde es um Walter Smith geschehen sein.

O’Byrne stieß einen Schrei aus und gab dem Pferd die Sporen. Die Männer sahen ihn kommen, und einer schwenkte herum, um ihn in Empfang zu nehmen. O’Byrne zog sein Schwert, und es entbrannte ein Kampf. Während er Hiebe austeilte und parierte, konnte er nicht nach Smith sehen. Der Engländer war ein geübter Fechter. Einen Augenblick lang dachte O’Byrne, er könnte unterliegen. Aber Gott sei Dank geriet das Pferd des anderen ins Straucheln. Der Kopf des Mannes flog ruckartig nach hinten und entblößte den Hals. O’Byrne traf ihn mit einem Hieb, der ihm die Luftröhre aufschlitzte.

Während der Engländer zu Boden stürzte, blickte O’Byrne zu Walter. Erstaunlicherweise saß der Kaufmann noch im Sattel. Der Widersacher hatte ihn, abgelenkt durch den Kampf seines Kameraden mit O’Byrne, noch nicht niedergestreckt. Jetzt zögerte er. Walter schwang das Schwert und griff ihn an. O’Byrne preschte vor in der Hoffnung, ihn als Erster zu erreichen. Der Engländer besann sich eines Besseren und ergriff die Flucht.

»Kommen Sie.« O’Byrne war jetzt neben Walter und fasste ihn am Arm. »Wir müssen fort.« Er deutete mit dem Kopf auf Walters Bein. »Sie sind verwundet.«

Walter Smith starrte auf die stark blutende Wunde an seinem Bein. In der Hitze des Gefechts hatte er sie gar nicht bemerkt. Er war rot im Gesicht.

»Wir haben sie besiegt.«

»Ja.« O’Byrne schmunzelte und fragte sich, ob dem Mann überhaupt klar war, dass er ihm soeben das Leben gerettet hatte. Offenbar nicht. »Trotzdem müssen wir jetzt fort«, sagte er freundlich. Doch zu seiner Verwunderung schüttelte Smith den Kopf.

»Wir dürfen das Schlachtfeld nicht verlassen«, sagte er mit aller Entschiedenheit.

O’Byrne starrte ihn an, dann grinste er.

»Sie sind mir zu tapfer.« Er kicherte. »Trotzdem müssen wir fort, hören Sie? So lautet der Befehl. Man hat zum Rückzug geblasen.«

»Ach.« Smith blickte verwirrt, ließ sich aber führen.

Es dauerte eine Stunde, bis die immer noch tobenden Kämpfe endgültig hinter ihnen lagen. O’Byrne sagte zu Walter nichts, aber es war offensichtlich, dass Ormonds versprengte Soldaten nach und nach gestellt und abgeschlachtet wurden. Er fragte sich, wie viele von ihnen diesen Abend erleben würden. Nach ein paar Meilen, in sicherer Entfernung vom Schlachtfeld, hielt er kurz an und untersuchte Walters Wunde. Zum Glück war sie nicht tief, aber Walter hatte viel Blut verloren. O’Byrne riss einen langen Streifen von seinem Hemd ab und band ihn fest um das Bein.

Es war später Nachmittag, als sie auf den Weg einbogen, der nach Rathconan führte. Walter war mittlerweile ganz blass und still, aber O’Byrne machte sich keine allzu großen Sorgen um ihn. Der Kaufmann mochte wenig von einem Soldaten haben, doch er war erstaunlich kräftig.

Im Haus trafen sie den alten Priester und ein paar Mägde an. Walters Wunde wurde sorgfältig ausgewaschen und verbunden. Er schien dankbar und hatte immerhin noch genug Kraft, um mit ihnen zu Abend zu essen.

»Wir können nur hoffen, dass Cromwell in den nächsten Tagen nicht hier vorbeikommt«, sagte O’Byrne.

»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte ihn der Priester.

»Schwer zu sagen«, antwortete er. »Das wird von der militärischen Lage abhängen.« Er war davon überzeugt, dass der Weg nach Dublin für Cromwell nun frei war, aber diese Befürchtung behielt er für sich.

Nach dem Essen brachten sie Walter hinauf in die Kammer und steckten ihn in das Bett, in dem O’Byrne und Anne sich einst so leidenschaftlich geliebt hatten. Er lag da und schaute um sich.

»Ein schönes Haus, Rathconan«, sagte er schläfrig.

»Das ist es. Und auch Ihr Zuhause«, rief ihm O’Byrne in Erinnerung. »Denn Sie sind immer noch ein O’Byrne.«

»Ich weiß.« Smith nickte und schloss die Augen.

O’Byrne wartete eine Weile, und als er dachte, der Kaufmann sei eingeschlafen, wandte er sich zum Gehen.

»Wir haben heute tapfer gekämpft, nicht wahr?«, murmelte Walter, die Augen noch zu.

»Ja«, erwiderte Brian O’Byrne. »Sie haben gekämpft wie ein Löwe.« Und als er den Kaufmann lächeln sah, beugte er sich zu ihm hinab und küsste ihn.

O’Byrne schlief tief und fest in dieser Nacht und erwachte erst lange nach Sonnenaufgang.

Er ging in die Kammer, in der er Walter Smith am Abend zuvor zurückgelassen hatte, fand ihn dort aber zu seinem Erstaunen nicht vor. Noch größer war sein Erstaunen, als er im ganzen Haus und im Stall nach ihm suchte und feststellte, dass Walter mitsamt seinem Pferd verschwunden war.

***

Simeon Pincher war nun siebenundsiebzig Jahre alt, doch seit seiner Kindheit hatte er nicht mehr eine solche Aufgeregtheit verspürt wie an diesem Tag. Denn Barnaby Budge war eingetroffen, und sie sollten sich heute sehen. Diese Neuigkeit hatte ihm sein Neffe durch einen Soldaten zukommen lassen. Pincher hatte sich bereits viele Gedanken über diese Begegnung gemacht. Er wollte, dass sie in den heiligen Hallen des Trinity College stattfand, damit sein Neffe ihn zuerst in dieser eindrucksvollen Umgebung und nicht in seiner eher bescheidenen Unterkunft sah. Nur leider war ihm bislang kein Vorwand eingefallen, unter dem er ihn dort hinbestellen konnte. Aus dieser Verlegenheit half ihm nun der Soldat, als er ihn davon unterrichtete, dass General Cromwell persönlich in einer Kutsche zum College Green fahren und dort zur Dubliner Einwohnerschaft sprechen sollte.

»Ich werde dort sein, um General Cromwell zu empfangen«, erwiderte der Doktor. »Und bestellen Sie Captain Budge«, denn so wurde Barnaby angeredet, wie er soeben erfahren hatte, »er möchte anschließend ins College hinübergehen, dann wird er mich schon finden.«

Es hätte sich nicht besser treffen können. Zunächst eine Ansprache Cromwells, dem das Parlament nicht nur den militärischen Oberbefehl übertragen, sondern auch den Titel Lord Lieutenant von Irland verliehen hatte. Und danach ein öffentliches Familientreffen zwischen einem seiner tapferen Offiziere und dem berühmten Trinity-Professor. Das würde der Familie Ehre machen. Innerhalb einer Stunde hatte er dafür gesorgt, dass mehrere Dozenten, eine Auswahl der besten jungen Gelehrten und sogar die Familie Tidy zugegen sein würden, um dem Ereignis beizuwohnen.

Die Ankunft Oliver Cromwells und seiner »Rundköpfe« in Irland war ein eindrucksvolles Ereignis. Einhundertunddreißig Schiffe fuhren in die Mündung des Liffey ein und setzten ihre menschliche Fracht an Land: achttausend Fußsoldaten, dreitausend gewöhnliche Reiter, zwölfhundert Dragoner. Dazu kamen mehrere tausend englische Soldaten, die sich bereits in der Dubliner Garnison befanden. Zudem brachten die Schiffe zahlreiche Geschütze und nicht zuletzt auch eine mit siebzigtausend Pfund gefüllte Kriegskasse, mit der die Versorgung der Truppe bestritten werden sollte.

Ormonds Armee war bei Rathmines vernichtend geschlagen worden. Viertausend Mann waren gefallen, weitere zweieinhalbtausend gefangen genommen worden. Andere waren in ihre Heimat geflüchtet. Aber Ormond verfügte immer noch über etwa dreitausend Mann, die am Rand der Midlands ihr Lager aufgeschlagen hatten. Dazu kamen die royalistischen Kräfte unten in Munster und die teilweise durch mächtige Mauern geschützten Stadtgarnisonen in jeder Provinz. Und Cromwells Ankunft hatte eine weitere wichtige Figur auf den Plan gerufen.

Owen Roe O’Neill war stolz, aber die Landung der »Rundköpfe« hatte ihn schließlich doch zum Einlenken bewegt: »Wir müssen unsere Meinungsverschiedenheiten hintanstellen und die Kräfte der Konföderierten wieder einen.« Der päpstliche Nuntius mochte noch so toben, der irische Prinz schlug sich wieder auf die Seite der Royalisten. Er laborierte an einem brandigen Bein, aber er verfügte über fünftausend Mann und konnte noch einmal so viele zu den Waffen rufen.

Die Zahlen sprachen für die Royalisten. Hinzu kam, dass weder die Iren noch die Altengländer draußen auf dem Land, geschweige denn die schottischen Presbyterianer in Ulster den Neuankömmling bei sich zu sehen wünschten.

Während seine Armee von der Dubliner Garnison in Empfang genommen wurde, fuhr Cromwell in einer Kutsche zum College Green.

***

Der Tag hatte für Tidys Familie schlecht begonnen, und womöglich war er daran selbst schuld.

Die beiden Offiziere, die am Morgen in Christ Church erschienen waren, suchten nach Quartieren für ihre Soldaten. In Anbetracht der Tatsache, dass Tidys Frau in den vorausgegangenen acht Jahren zahlreiche protestantische Flüchtlinge beherbergt hatte, war es nicht verwunderlich, dass sie in den Bezirk der Kathedrale gekommen waren.

Nur leider kannten sie sich mit der Glocke nicht aus.

Keine Frage, der alte Tidy hatte sein Bestes gegeben. Stunde um Stunde hatte die große Glocke von Christ Church ihren protestantischen Willkommensgruß erschallen lassen, während Cromwells Flotte über den Liffey glitt. Geschlagene sieben Stunden lang hatte der alte Küster am Glockenstrang gezogen und sich nur jede Stunde einmal für kurze Zeit von seinem Sohn ablösen lassen, um sich mit einem Krug Ale zu stärken oder seine Notdurft zu verrichten. Und er hatte beabsichtigt, die Glocke heute wieder zu läuten, um Cromwells Einzug in Dublin zu feiern.

So freudig er dieser Aufgabe nachgekommen war, hatte er beim Anblick der beiden Offiziere doch nicht gezögert, ihnen eine Rechnung über die fürstliche Summe von vierzig Shilling zu präsentieren. Das war nicht gut aufgenommen worden. Tatsächlich waren den Offizieren, die in Unkenntnis der hiesigen Gepflogenheiten die Begleichung der Rechnung verweigerten, harsche Worte über die Lippen gekommen. Als der Küster ihnen daraufhin eröffnete, dass man keine Soldaten im Kirchenbezirk von Christ Church einquartieren werde, bemerkte der größere Offizier, offensichtlich im Glauben, es handele sich um ein papistisches Gotteshaus: »General Cromwell wird in dieser Kathedrale seine Pferde unterstellen, wenn es ihm beliebt.« Worauf Tidy entgegnete, dass der General seine Pferde wohl im Hauptschiff der St. Patrick’s Cathedral unterbringen könne, nicht aber in Christ Church. Sie waren im Unfrieden geschieden, obwohl Tidys Frau und Faithful sich bemüht hatten, den Offizieren ihre loyale Gesinnung zu versichern.

Die Glocke blieb stumm, als sich eine unglückliche Familie Tidy auf den Weg machte, um Oliver Cromwell zu hören.

Die Menge auf dem College Green war beeindruckend. Die Ratsherren waren vollzählig erschienen, dazu die Geistesgrößen vom Trinity College, unter denen der alte Doktor Pincher leicht auszumachen war, die protestantische Geistlichkeit der Stadt, die nach wie vor ein wenig imponierendes Häuflein war, und eine große Zahl von Bürgern. Sie alle sahen gespannt zu, als der General mit einer Kavallerieeskorte in einer einfachen offenen Kutsche vorfuhr.

Die Kutsche hielt an, aber Cromwell stieg nicht aus. Er nahm den Hut ab und stand auf. Er war ein soldatisch wirkender Mann von kräftiger Statur, knapp einen Meter und achtzig groß. Sein ergrauendes Haar war in der Mitte gescheitelt und hing bis zu den Schultern herab. Sein Gesicht war nicht hässlich, aber gewöhnlich und schien auf einer Seite von Warzen bewohnt. Seine Stimme klang hart, seine Gesten wirkten derb. Und die Botschaft, die Oliver Cromwell nun an das Volk von Irland richtete, war unmissverständlich und kurz:

Gott der Allmächtige, so erklärte er, habe ihn hergeführt, um ihnen die Freiheit wiederzugeben. Wer Gottes Vorsehung anerkenne und zu den Gottesfürchtigen zähle – womit er jeden guten Protestanten meinte –, könne sicher sein, dass man die barbarischen und blutrünstigen Iren bezwingen werde. Ihm sei der Schutz des Parlaments von England gewiss. Wer sich hingegen der Autorität des Parlaments mit Waffengewalt widersetze, werde ohne jeden Zweifel vernichtet.

Wer »ein empfindliches Gewissen« habe, wer wohl gesinnt sei, habe nichts zu befürchten. Das Gottesheer habe sich Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben: Bestrafung der Schuldigen, die unschuldiges Blut vergossen hätten, aber Milde gegen die anderen. Tugend und Ordnung sollten ihre Richtschnur sein.

»Bürgerfreiheiten für friedfertige Menschen«, verkündete er.

Damit nahm er wieder Platz, setzte den Hut auf und fuhr davon.

***

Was hatte Cromwells Bemerkung über »empfindliches Gewissen« zu bedeuten? Der Ausdruck war ein Code und jedem Zuhörer wohl bekannt. Er war auf Andersgläubige gemünzt. Wenn die Besitzer eines empfindlichen Gewissens »wohl gesinnt« waren, hatten sie, so der General, nichts zu befürchten. Die Sprache der Politik war unmissverständlich, der Fingerzeig für die auf dem Green versammelten Ratsherren klar. Wenn es nach diesem ungehobelten englischen General ging, konnte man anständige katholische Kaufleute wie die Smiths in Dublin in Frieden lassen, solange sie ihm keine Unannehmlichkeiten bereiteten. Das klang verdächtig danach, als wollte Cromwell ihnen sogar erlauben, weiterhin ihren Glauben zu praktizieren, solange sie es diskret und nicht in der Öffentlichkeit taten. Simeon Pincher war entsetzt. Die Katholiken sollten nicht zum Konvertieren gezwungen werden? Sie sollten nicht enteignet werden? Wo er doch gerade darauf sein Leben lang gewartet hatte. Aber vielleicht war die Rede ja nur ein taktischer Schachzug, der die Katholiken in Sicherheit wiegen sollte, bis man sich in gebührender Form um sie kümmern konnte.

Leicht verwirrt und mit Unruhe im Herzen stimmte sich Pincher auf die Begegnung mit seinem Neffen ein.

 

Zu dem Zeitpunkt, als Familie Tidy das Allerheiligste des Trinity College betrat, hatte Pincher bereits alle Vorkehrungen getroffen. Er stand, im schwarzen Talar, aufrecht da und blickte in Richtung Torbogen, wo eine Gruppe Studenten Ausschau hielt. Rechts neben dem Eingang hatten sich mehrere Dozentenkollegen versammelt, die darauf warteten, vorgestellt zu werden. Die Tidys nahmen gleich hinter dem Torbogen Aufstellung. Durch welchen nur wenige Augenblicke später mit schwerem Schritt eine große Gestalt in der Ledermontur eines »Rundkopf« -Offiziers trat. Der Mann entdeckte Doktor Pincher sogleich und kam schnurstracks auf ihn zu.

Tidy stöhnte. »Du lieber Himmel«, entfuhr es ihm. Es war der Offizier, mit dem er am Morgen gestritten hatte.

***

Doktor Pincher blickte erstaunt hoch. Der Mann, der auf ihn zusteuerte, war groß, aber damit endete die Familienähnlichkeit auch schon.

Barnaby Budge war stämmig. Seine Brust war breit, in seinen großen Bundhosen steckten offensichtlich Beine wie Baumstämme, seine ledernen Reitstiefel waren riesig. Doch es war der Anblick seines Gesichts, der den Doktor lähmte.

Barnaby Budges Gesicht war breit und stumpf. Doktor Pincher fühlte sich an einen Hammelrücken erinnert. Dieser ungeschlachte Kerl, der da schwerfällig auf ihn zustapfte, sollte der Sohn seiner Schwester sein?

»Doktor Pincher? Ich bin Barnaby.«

Der Prediger neigte den Kopf. Die Worte würden schon noch kommen, keine Frage, aber in diesem Augenblick wollte ihm partout nichts einfallen. Er bemerkte, dass der große Soldat mit Interesse seine Gesichtszüge studierte. Dann hörte er ihn vor sich hinmurmeln: »Meine Mutter hatte Unrecht.«

»Unrecht? Inwiefern?«, fragte Pincher scharf.

Barnaby blickte verdutzt, dann verlegen. Er hätte nicht gedacht, dass das Gehör des Onkels in diesem fortgeschrittenen Alter noch so scharf sein würde.

»Wie ich feststelle, Sir«, antwortete er mit schwerer Stimme, aber wahrheitsgemäß, »sehen Sie überhaupt nicht krank aus.«

Pincher starrte ihn an.

»Kommen Sie, Neffe«, sagte er leise mit einem Blick zu der Stelle, wo die Dozenten des Trinity College standen und sie beobachteten, »über familiäre Angelegenheiten sollten wir lieber in meiner Wohnung reden.« Und ohne den Tidys auch nur zuzunicken, schritt er mit Barnaby an seiner Seite steif durch das Tor aus dem College.

Einmal in seiner Wohnung, brauchten sie nicht lange, um der Notwendigkeit Genüge zu tun und sich über das Familiäre auszutauschen. Der Doktor erfuhr, dass Barnaby ein gutes Auskommen im Tuchhandel gehabt hatte, ehe er sich Cromwells Armee anschloss. Außerdem hatte er ein kleines Vermögen und ein solides Haus geerbt. Er sprach von seiner Mutter mit Respekt, aber, wie es Pincher schien, ohne große Zuneigung. Außerdem sprach er über seine Investition in Irland.

»Ich bin hier, um Gottes Werk zu tun, Onkel, und weil man mir fünfhundert Pfund schuldet.«

»Ganz recht«, sagte Doktor Pincher.

Seit sieben Jahren, so erklärte er, denke er natürlich oft an die fünfhundert Pfund, mit denen er die parlamentarische Sache unterstützt habe. Und da die Summe nun großzügig in Form von enteignetem irischem Land zurückerstattet werden sollte, würde er gern den Rat seines Onkels hören. Er freue sich darauf, sich in Irland niederzulassen und sein Freund zu werden. »Wir werden es zu einem gottesfürchtigen Land machen, Onkel, das verspreche ich Ihnen«, sagte er und klopfte dem alten Mann auf den Rücken. Und der Doktor, dem erste Zweifel kamen, ob er seinen Lebensabend tatsächlich mit diesem Verwandten belasten wollte, erwiderte:

»Alles zu seiner Zeit, Barnaby. Zuerst muss die Schlacht gewonnen werden.«

Pincher brauchte auch nicht lange, um sich ein Bild von der Verstandeskraft seines Neffen zu machen. Barnaby war kein Gelehrter. Er schien zwar mit Teilen der Heiligen Schrift vertraut zu sein, erweckte aber nicht den Eindruck, in seinem Leben jemals ein Buch gelesen zu haben. Er war ein überzeugter, gottesfürchtiger Protestant, und sein Glaube lobenswert stark. Auf die Frage, ob er glaube, dass er erlöst werde, antwortete er fest: »Ich diene in Gottes Heer, Sir, und hoffe, erlöst zu werden.« Doch als das Gespräch auf Konfessionszugehörigkeit und Calvins Prädestinationslehre kam, wirkte Barnaby unsicher. »Gott allein weiß, nehme ich an, wen er auserwählt hat«, sagte er. Je tiefer Pincher bohrte, desto deutlicher erkannte er: Unabhängig davon, dass Engländer sich nur ungern von schottischen Presbyterianern sagen ließen, was sie zu tun hatten, hielten sich Cromwells gottesfürchtige Soldaten deshalb für Auserwählte, weil sie jahrelang in Gottes Heer gekämpft hatten, und nicht weil sie einer bestimmten Kirche angehörten. Während Pincher also zufrieden zur Kenntnis nahm, dass sich sein Neffe als Auserwählter Gottes verstand, verdross es ihn, dass er dies aus einem falschen Grund tat.

Doch er war begierig darauf, mehr über die verwirrende Person Cromwells zu hören. Er begriff schnell, dass sein Neffe und die gesamte Armee den ungehobelten General verehrten.

»Er ist ein frommer Mann«, versicherte ihm Barnaby. »Wenn er ein hitziges Temperament hat, so zeigt er es nur im Namen der Rechtschaffenheit.« Kein Mann in seinem Regiment, so vernahm der Doktor mit Freuden, dürfe ungestraft Gott lästern oder auch nur einen Eid schwören. Cromwell sei mit seinem Los als Landedelmann und Parlamentsmitglied durchaus zufrieden gewesen. Erst die unerträgliche Tyrannei Karls I. habe ihn in die Opposition getrieben, und da das Parlament sich nach dem Krieg als unfähig erwiesen habe, die Verhandlungen mit dem König zu einem Abschluss zu bringen, habe er sich genötigt gesehen, mit Gleichgesinnten aus der Armee die Macht zu übernehmen. »Er wollte den König nicht hinrichten lassen«, beteuerte Barnaby. »Nur grausame Notwendigkeit hat ihn dazu veranlasst. Das hat er mir selbst gesagt.« Ob dies freilich die Klage eines ehrlichen Mannes oder die Rechtfertigung eines Politikers war, vermochte Doktor Pincher nicht zu beurteilen.

Eine andere Auskunft war hingegen ermutigend: »Cromwell tritt unermüdlich für den Herrn ein, und er weiß, dass die katholischen Priester die schlimmsten Teufel sind. Er wird jeden Priester, denn er zu fassen bekommt, töten, das kann ich Ihnen versprechen.« Was immer der General auch über »empfindliche Gewissen« gesagt haben mochte, die Katholiken hatten offenbar nicht viel zu erhoffen. Pincher vernahm es mit Erleichterung.

Als Barnaby jedoch auf die Gefühle der Armee, die mit Cromwell marschierte, zu sprechen kam, klangen seine Ausführungen befremdlich.

»Wir wissen, warum wir hier sind, Onkel«, versicherte er. »Wir sind hier, um die irischen Barbaren für die Massaker zu bestrafen. Wir werden für die Rebellion von 1641 Vergeltung üben, das verspreche ich Ihnen.«

»Das war schrecklich«, pflichtete Pincher ihm bei und fügte mit einem gewissen Stolz hinzu: »Ich habe in der Christ-Church-Kathedrale zu den Überlebenden gepredigt.«

Doch Barnaby hörte kaum hin.

»Ich bin über alles im Bilde, Onkel«, bekräftigte er und fuhr wie auswendig gelernt fort: »Das ganze irische Volk begehrte auf, fiel über die Protestanten her, Männer, Frauen und Kinder, und metzelte sie nieder. Die irische Grausamkeit war grenzenlos. Dreihunderttausend unschuldige Protestanten starben. Das ist beispiellos in der gesamten Geschichte der Menschheit.«

Doktor Pincher starrte ihn an. Die genaue Zahl der Toten bei dem Aufstand von 1641 war nicht bekannt. Er nahm an, dass, als alles vorüber war, in ganz Irland etwa fünftausend Protestanten ihr Leben verloren hatten, aber es konnten durchaus auch weniger gewesen sein. Weitere ein- oder zweitausend Katholiken waren den Vergeltungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Seit damals war die Zahl natürlich immer wieder übertrieben worden, aber Barnabys Behauptung war doch erstaunlich. Pincher war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt so viele Protestanten auf der Insel gab.

»Wie viele?«

»Dreihunderttausend«, antwortete Barnaby bestimmt.

Pincher verachtete die Iren und hasste die Katholiken, aber er war kein unehrlicher Mann.

»Diese Zahl«, so wagte er einzuwenden, »scheint mir etwas hoch gegriffen.«

»Nein«, erwiderte Barnaby, »ich versichere Ihnen, sie stimmt. Die ganze Armee weiß es.«

Da erst begriff Simeon Pincher. Die Armee des Oliver Cromwell, die an der Notwendigkeit, Katholiken zu bekehren, gezweifelt hatte, war durch diese Erinnerung an die Gräueltaten, die es zu rächen galt, moralisch gestärkt worden. Er seufzte. Vermutlich musste man jeder Armee irgendeine Geschichte erzählen. Mal war die Geschichte wahr, mal nicht. Und diese Geschichte würde bestimmt ihren notwendigen Zweck erfüllen.