DROGHEDA

* 1649 *

Walter Smith ritt langsam um das große Hügelgrab herum. Es war ein ungemütlicher Tag Anfang September, und der kräftige Wind drohte zu einem Sturm anzuschwellen. Entlang der niedrigen Hügelkette lagen die riesigen, grasbedeckten Gräber unter dem bewölkten Himmel. Die verstreuten Splitter weißen Quarzes zu Walters Füßen nahmen die trübe Farbe des Tages an, genau wie die vielen verblichenen Knochen. Im Tal kräuselten Böen zornig das schiefergraue Wasser des Flusses Boyne.

Wie es hieß, lebten die Tuatha De Danaan, die sagenhaften Bewohner der Insel, noch und tafelten in hellen Sälen unter den magischen Hügeln. Vielleicht lag es am Wetter, aber diese alte heilige Stätte erschien Walter abweisend und irgendwie bedrohlich. Er ritt weiter nach Osten.

Ein Monat war vergangen, seit er Rathconan verlassen hatte. Warum war er so plötzlich fortgegangen? Vielleicht weil es in seiner Natur lag, dass er das, was er einmal angefangen hatte, auch zu Ende bringen musste. Da er sich dem Kämpfen verschrieben hatte, musste er den Kampf suchen. Er hatte Ormond und die Reste der königstreuen Armee gefunden und drei Wochen in ihrem Lager verbracht. In dieser Zeit war seine Wunde fast verheilt, allerdings hatte er noch Schmerzen im Bein und hinkte leicht.

Nach Cromwells Ankunft in Dublin hatten sich seine Maßnahmen schnell herumgesprochen. Er hatte die besten Soldaten der Garnison ausgewählt und seiner Armee einverleibt. Cromwell forderte eiserne Disziplin. Seine Soldaten waren in der Stadt einquartiert, aber es war ihnen streng verboten, den Einwohnern Unannehmlichkeiten zu bereiten. Plündern wurde augenblicklich mit dem Tod bestraft. Er hatte sogar darauf bestanden, dass alle Verpflegungslieferungen aus dem Umland, gleich ob von protestantischen oder katholischen Bauern, korrekt bezahlt wurden. Das war nicht nur beispiellos, sondern auch sehr klug. Jedenfalls hatte sich bislang keine Hand gegen ihn oder seine Männer erhoben.

Vermutlich, so dachte Walter, erhielt Orlando für sein Getreide den vollen Preis. Mehr als einmal hatte er den Wunsch verspürt, das Gut in Fingal zu besuchen, aber er wusste, dass das unmöglich war. Selbst wenn er der Verhaftung entginge, würde er nur Ärger verursachen. Er musste dem Gut fernbleiben, bis diese Sache vorüber war.

Bald darauf brachte ein Reiter genauere Kunde.

»Cromwell rüstet zum Marsch nach Norden.« Das erschien durchaus klug. Wenn es ihm gelang, die von den Royalisten gehaltenen Garnisonen in Ulster zurückzuerobern und Owen Roe O’Neill vernichtend zu schlagen, war das Rückgrat des Aufstands gebrochen. Gleichwohl barg eine solche Strategie Risiken. Die Garnisonen waren stark, und ehe er in Ulster einfiel, musste er die größte befestigte Hafenstadt von allen nehmen.

Drogheda. Oder Tredagh, wie die Engländer sie nannten, um der irischen Aussprache des Namens möglichst nahezukommen. Bald nach dem Eintreffen der Nachricht hatte Ormond die Garnison mit einem Teil seiner besten Soldaten verstärkt, die Sir Arthur Aston, ein altgedienter Offizier, befehligte. Als Freiwilliger ohne Ausbildung im Kriegshandwerk war Walter nicht ausgewählt worden. Und so hatte er sich gestern heimlich aus Ormonds Lager davongeschlichen. Wenn er erst einmal dort war, so sagte er sich, würden sie einen zusätzlichen Mann kaum abweisen.

Er hatte nur noch ein paar Meilen am Nordufer des Boyne entlangzureiten, bevor die alte Stadt in Sicht kam: Drogheda lag auf zwei Hügeln zu beiden Seiten des Flusses und wurde von mächtigen mittelalterlichen Mauern umschlossen, die als uneinnehmbar galten. Als zweitgrößte Hafenstadt in dieser Region nach Dublin war sie von großer Bedeutung, bildete sie doch das Tor nach Ulster. Drogheda wurde von Katholiken und Protestanten bewohnt, hatte sich jedoch geweigert, Sir Phelim und seinen katholischen Rebellen die Tore zu öffnen, und war daraufhin monatelang erfolglos belagert worden. Als regierungstreue Bastion war sie unlängst von Ormonds royalistischen Kräften mit einer Garnison belegt worden. Heute, unter einem trüben, windgepeitschten Himmel, schienen seine grimmigen Verteidigungsanlagen und grauen Kirchtürme zu sagen: »Wir haben uns Sir Phelim und seinen Katholiken nicht ergeben, und wir werden uns auch Cromwell nicht ergeben.«

Als Walter sich näherte, kam ihm ein kleiner Zug von Bewohnern entgegen, die teils zu Fuß, teils mit Karren die Stadt verließen. Offensichtlich wurde Cromwell in Bälde erwartet. Walter ritt durch ein Tor in der Nordwestmauer in die Stadt.

Wenig später meldete er sich bei einem Offizier und wurde in die Kommandantur geschickt, wo er zu seiner Überraschung vom Kommandanten persönlich empfangen wurde. Er wusste ein wenig über Sir Arthur Aston. Er war ein kleiner, energischer Mann, der als einer der wenigen katholischen Offiziere in König Karls Armee gedient und im Krieg ein Bein verloren hatte. Die Soldaten achteten ihn. Zudem war er wohlhabend. »Wie es heißt, soll sein Holzbein mit Gold gefüllt sein«, hatte man Walter erzählt. Aston hatte gehört, dass Walter aus Ormonds Lager kam, deshalb brannte er darauf, mit ihm zu sprechen.

»Ich hatte gehofft, Sie bringen Munition«, sagte er zu dem Kaufmann. »Lord Ormond hat mir versprochen, Pulver und Kugeln zu schicken.« Er schüttelte den Kopf. »Und Owen Roe O’Neill hat mir Soldaten versprochen. Keines von beiden ist eingetroffen.« Er warf Walter einen Blick zu. »Keine Sorge. Die Mauern hier schützen uns, selbst wenn wir keinen einzigen Schuss abfeuern.«

Auf Anordnung Astons wurde Walter einer kleinen berittenen Kompanie zugeteilt, die in einem Gasthaus im Nordteil der Stadt einquartiert war. Ormonds Koalition bestand zwar aus Katholiken und Protestanten, doch Astons Leute waren in der Mehrzahl Katholiken, und die kleine Kompanie, zu der Walter stieß, war rein katholisch. Der Wirt des Gasthauses war ein englischer Protestant, der ihnen freundlich zu verstehen gab, dass er weder für sie noch für Cromwells Leute besonders viel übrig habe. »Aber ich bleibe lieber hier und lasse mir mein Bier bezahlen, als dass ihr Gentlemen es in meiner Abwesenheit umsonst trinkt.« Er war seit einem Jahr Witwer und hatte eine blond gelockte dreijährige Tochter, mit der die Soldaten spielten, um sich die Zeit zu vertreiben. Belustigt darüber, einen Kameraden zu bekommen, der so viel älter war, nannten die Soldaten Walter sofort »Opa«. Als das kleine Mädchen nach dem Grund fragte, antworteten sie ihr: »Hast du denn nicht gewusst, dass das dein Opa ist, Mary? Er ist jedermanns Opa.« Sie wandte sich an ihren Vater, und der Wirt antwortete leutselig: »Die meisten Kinder haben nur zwei Großväter, Mary, aber du hast großes Glück, du hast drei.« Danach verlangte das Kind, den ganzen Abend auf Walters Schoß zu sitzen.

Tags darauf tauchten Cromwells Truppen aus dem Süden auf. Walter beobachtete ihre Bewegungen von der Mauer aus. Als sie auf den Hängen gegenüber ihre Zelte aufschlugen, schätzten die Beobachter, dass Cromwell mit rund zwölftausend Mann angerückt war. Am nächsten Morgen wurde klar, dass seine Artillerie noch nicht eingetroffen war.

»Wahrscheinlich hat er sie auf dem Seeweg geschickt«, vermutete der einbeinige Kommandant. Bei dem anhaltenden Wind seien die Küstengewässer tückisch. »Wenn wir Glück haben, sind seine Transportschiffe untergegangen.« Ohne Artillerie könnte Cromwell gegen die hohen Mauern von Drogheda nichts ausrichten.

In den folgenden Tagen blieb es merkwürdig ruhig. Die Kameraden versuchten, Walter einige Grundbegriffe im Fechten und in militärischer Taktik beizubringen, allerdings mit mäßigem Erfolg. In der übrigen Zeit streifte er durch Drogheda.

Die beiden Teile der Stadt, die jeweils auf einer Flussseite lagen, waren vollständig autark und ummauert. Der Fluss zwischen ihnen war tief und nur über eine mächtige Zugbrücke auf der Nordseite zu überqueren, die sich rasch hochziehen ließ. Im Südteil, der etwas kleiner war, gab es einen Hügel mit einem kleinen Fort darauf und eine Kirche mit einem hohen Turm, der eine weite Aussicht bot. Der Nordteil war mit seinen mittelalterlichen Gassen und geschmackvoll eingefriedeten Gärten sehr ansprechend. Manchmal setzte sich Walter die kleine Mary auf die Schultern und nahm sie auf seine Spaziergänge mit.

In diesen ersten Tagen entsandte Aston immer wieder Stoßtrupps, die den Feind angriffen. Einmal erhielt Walter den Befehl, für den Kommandanten einen Botengang zu erledigen, und hinterher stellte er fest, dass seine Kompanie in seiner Abwesenheit einen Überfall durchgeführt hatte. Es wurde kein Wort darüber verloren, aber er begriff, dass man ihn hatte schonen wollen, und fühlte sich gedemütigt, zumal mehrere seiner Kameraden nicht zurückgekehrt waren. Ein anderes Mal rückte ein größerer Trupp aus, geriet aber in einen Hinterhalt von Cromwells Leuten und wurde aufgerieben. Danach wurden die Ausfälle seltener. Sir Arthur Aston blieb dennoch zuversichtlich. Eines Nachmittags begegneten ihm Walter und ein paar Kameraden zufällig auf der Mauer. Der Kommandant ließ seinen Blick über die Zelte gegenüber schweifen, dann sagte er: »Sie können keine Bresche in die Mauern schlagen, und der Winter steht vor der Tür. Danach, meine Herren, habe ich zwei Verbündete, die ihn mit Sicherheit in die Knie zwingen werden.« Er grinste. »Oberst Hunger und Major Krankheit. Ich kann Ihnen versichern, dass sie Cromwell für mich attackieren werden, während er da draußen im Regen hockt. Bei einer Belagerung in Irland geschieht das immer früher oder später.«

Cromwell lagerte auf dem Südufer des Flusses, und in seiner Nähe gab es keine Stelle, wo er leicht übersetzen konnte. Viele der Bewohner verließen nun die Stadt, was bedeutete, dass die Nahrungsvorräte, die nach wie vor ungehindert durch die Tore auf der Nordseite hereinströmten, umso länger reichen würden. Aston hatte mehrere katholische Priester mitgebracht, die in der großen Kirche für die katholischen Soldaten die Messe lasen. Es war schön, dachte Walter, dass die alte mittelalterliche Kirche wieder für den wahren Glauben genutzt wurde.

Am siebten Tag kamen die Transportschiffe mit Cromwells Geschützen den Boyne herauf. Walter beobachtete, wie die schweren Geräte in ihre Stellungen geschleppt wurden, ein Teil auf die Hänge, welche die Stadt überragten, ein anderer zu dem tiefer liegenden Gelände vor der Südmauer. Am nächsten Morgen überbrachte ein Reiter aus Cromwells Lager eine Botschaft.

Sie war kurz und bündig. Um ein »Blutvergießen« zu vermeiden, wie sich der puritanische General ausdrückte, forderte er die Garnison zur Übergabe auf. Falls sie sich weigere, dürfe sie ihm »keinen Vorwurf machen«.

Der Inhalt der Botschaft war unmissverständlich. Das Kriegsrecht war alt und grausam. Wenn eine belagerte Stadt von der Möglichkeit der Übergabe Gebrauch machte, konnten die Angehörigen der Garnison ihr Leben retten. Wenn sie ablehnten und die Stadt fiel, brauchte kein Pardon gegeben zu werden. Der angreifende General hatte das Recht, alle Kämpfer zu töten. Gewöhnlich einigten sich die beiden Seiten irgendwann auf einen Kompromiss. Gleichwohl wussten die Verteidiger, dass sie mit ihrem Leben spielten, wenn sie das erste Angebot ausschlugen.

Doch Sir Arthur Aston war nach wie vor zuversichtlich. Die Mauern Droghedas waren noch nie durchbrochen worden. Bald machte die Nachricht die Runde:

»Das Angebot ist abgelehnt worden.«

Walter stand auf der Mauer und spähte zu den Geschützstellungen hinüber, als der erste Kanonenschuss fiel. Er spürte einen leichten Anflug von Angst und Erregung, während er die Kugel vorbeizischen hörte. Zu seiner Überraschung traf sie nicht die Mauer, sondern fuhr krachend in den hohen Kirchturm dahinter. Etwas Mauerwerk prasselte in die Tiefe. Augenblicke später donnerte es ein zweites Mal, und wieder geschah dasselbe. Anscheinend benutzten sie den Turm für Zielübungen.

»Sie holen zuerst den Kirchturm herunter«, bemerkte ruhig ein alter Soldat neben ihm. »Sie wollen verhindern, dass sie von da oben mit Musketen beschossen werden.« Er rümpfte die Nase. »Aber dieses Geschütz wird auf die Mauern keinen großen Eindruck machen.«

Eine Weile herrschte Stille. Dann hörten sie erneut ein Donnern. Aber diesmal klang es anders. Es war lauter und endete mit einem tiefen, scharfen Grollen. Ein lauter Knall ertönte, und im unteren Teil des Kirchturms klaffte ein Loch.

»Was war das?«, fragte Walter.

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete der Soldat. »Das könnte ein Dreißigpfünder gewesen sein.« Er schüttelte den Kopf und verfiel in Schweigen. Der nächste Schuss folgte.

In Europa gab es zu der Zeit zwei Arten von Belagerungsgeschützen. Einmal die Mörser, mit denen man große, mit Schwarzpulver gefüllte Eisengranaten auf eine hohe Flugbahn schoss; diese Granaten explodierten mit verheerender Wirkung. Dann die Kanonen, mit denen man feste Kugeln verschoss, die geeignet waren, Mauern zu brechen. Die größten in Irland bekannten Geschütze verschossen gewöhnlich zwölf oder vierzehn Pfund schwere Kugeln. Bei einem Beschuss mit Kugeln dieser Größe würden die dicken Mauern Droghedas wohl Schaden nehmen, aber sie würden standhalten. Doch es gab noch größere Ungetüme. Mit so genannten Halbkartaunen, Kartaunen und Doppelkartaunen konnte man Kugeln verschießen, die um ein Vielfaches größer waren.

Lord Ormond und seine Kommandeure hatten nicht damit gerechnet, dass Cromwell einige dieser großen europäischen Geschütze mit nach Irland bringen würde. Und die Artilleristen, die sie bedienten, verstanden ihr Handwerk.

Das unheilvolle Grollen der Kanone hielt den ganzen Morgen an. Nach einiger Zeit sah die Kirchturmspitze so aus, als hätte ein unsichtbarer zorniger Rabe an ihr gepickt. Dann, ganz plötzlich, stürzte sie unter lautem Krachen ein.

Das Geschütz verstummte nicht, sondern beharkte nun den Kirchturm darunter. Gegen Mittag sah er aus wie ein abgebrochener Zahn, und die Kanone nahm die nahe Bastion an der Ecke der Mauer ins Visier. Dieser Teil des Festungswerks war bei weitem stabiler. Aber die Kanone setzte den Beschuss gleichmäßig fort, Stunde um Stunde, ohne Pause, den ganzen Nachmittag über und bis in den Abend hinein. Beißender Rauch trieb von den Geschützstellungen in Richtung Stadt. Langsam zerbröckelte der mächtige Eckturm, der jahrhundertelang jedem Angriff getrotzt hatte. Kurz vor Einbruch der Dämmerung richteten die Kanoniere ihre Aufmerksamkeit auf die Mauern und schossen weit oben zwei Breschen.

In der Nacht ließ Aston die Löcher von seinen Leuten flicken und die Steine ersetzen. Doch im Morgengrauen wurden viel umfangreichere Arbeiten in Angriff genommen, bei denen die halbe Garnison mithelfen musste. Die Männer hoben ein kurzes Stück hinter der durchbrochenen Mauer drei Gräben aus. Und hinter jedem Graben wurden mit Erde Schanzen aufgeworfen, hinter denen Musketiere Deckung finden konnten.

Obwohl solche Arbeiten normalerweise Sache der Infanterie waren, half auch Walter mit, und niemand hielt ihn davon ab. Den Spaten in der Hand, arbeitete er neben Männern, die halb so alt waren wie er, und da der wohlbeleibte Kaufmann eine solche Plackerei nicht gewohnt war, hatte er bereits am frühen Morgen ein rotes Gesicht und war in Schweiß gebadet, aber er war glücklich, sich nützlich machen zu können. Die Gräben liefen zu der Mauer, die den Kirchhof umgab. Hinter den Schanzen erhob sich der steile Hügel, auf dem das kleine Fort thronte.

Am frühen Morgen wurde bekannt, dass eine Gruppe von Aristokraten Aston zur Kapitulation gedrängt hatte. Er hatte sie an einem der Nordtore aus der Stadt werfen lassen.

»Wie kann er denn kapitulieren?«, rief ein Offizier. »Wenn das mächtige Drogheda aufgibt, welche andere Stadt würde dann noch Widerstand leisten und kämpfen?«

In diesem Augenblick ertönte Kanonendonner, und die erste Salve des Tages schlug in der Mauer ein.

***

Den ganzen Morgen hoben sie Gräben aus und schütteten Erdwälle auf, während graue Wolken am Himmel aufzogen und die Einschläge der Kanonenkugeln Mauerwerk regnen ließen.

Die Mauern Droghedas stürzten nicht so leicht ein. An manchen Stellen waren sie fast zwei Meter dick. Doch das mittelalterliche Gefüge aus Steinen, Schotter und Mörtel konnte, so widerstandsfähig es auch war, dem stundenlangen Dauerbeschuss mit Hunderten von Kanonenkugeln nicht standhalten. Nach und nach zerbröckelte es zu großen Schutthaufen an der Basis der Mauern. Gegen Mitte des Nachmittags konnten die Männer an den Gräben durch die große, gezackte Lücke das feindliche Lager auf den Hängen gegenüber sehen.

Kurz nach fünf Uhr humpelte Sir Aston auf seinem Holzbein zu den Schanzbauern und forderte sie auf, sich bereit zu machen. »Cromwells Leute werden durch die Lücke zum Sturm ansetzen«, erklärte er, »aber sie werden zu Fuß über den Schutt klettern müssen. Für die Reiterei ist er zu hoch. Ihr werdet sie ziemlich leicht abschießen können. Denkt an meine Worte.«

Hinter den Gräben war Walters Kavallerieschwadron erschienen. Er wischte sich so gut es ging das Gesicht sauber, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und gesellte sich zu ihnen. Dabei fiel ihm auf, dass die Geschütze verstummt waren. Eine seltsame Stille erfüllte die Luft. Aston stand jetzt hinter den Gräben und verteilte die Leute.

Er postierte Musketiere hinter den zwei hinteren Schanzen und im Kirchhof. In vorderster Linie standen Pikenträger. Es bedurfte kräftiger Männer, um die fast fünf Meter langen Piken zu handhaben, deren schwerer Schaft mit einer Furcht einflößenden Stahlspitze versehen war. Walter hatte sich einmal probehalber von einem stämmigen Pikenier seine Waffe geben lassen und war von ihrem Gewicht beinahe umgerissen worden. Doch in geübten Händen war es eine schreckliche Waffe. Wenn die feindlichen Soldaten die erste Schanze erklimmen sollten, würden sie entweder aufgespießt oder vom Musketenfeuer aus dem Kirchhof oder von den beiden Schanzen dahinter niedergestreckt werden. Trotz ihrer umständlichen Lunten- und Steinschlösser konnte ein geübter Musketier drei Schuss pro Minute abgeben.

Während sie warteten, fühlte Walter sein Herz klopfen. Die Stille wurde unheimlich. Zu seiner eigenen Überraschung war er fast zu aufgeregt, um Angst zu haben.

Plötzlich ertönte draußen vor der Mauer Gebrüll. Dann sah Walter Smith Metallhelme durch die Bresche und über den Schutthaufen kommen. Die »Rundköpfe«, wie man die Soldaten des englischen Parlament-Heeres nannte, waren da. Einhundert, zweihundert, er war sich nicht sicher. Er hörte, wie Astons Stimme die Luft durchschnitt.

»Wartet, Musketiere. Wartet.« Die erste Welle hatte den Schutthaufen überwunden, die zweite war noch in der Bresche. Er sah ihren Offizier, einen stattlichen Grauhaarigen. »Feuer.«

Der Zeitpunkt war gut gewählt. Die erste Salve saß und streckte fünfzig Mann nieder. Auch der Grauhaarige fiel. Eine Musketenkugel hatte ihm den Kopf zerschmettert.

»Feuer.« Eine zweite Salve von der dritten Schanze, und wieder stürzten zahlreiche Angreifer. Überall gellten Schreie. Er sah, wie ein halbes Dutzend Männer von Piken durchbohrt wurden. Kein Wunder, dass die Vorhut bei Angriffen wie diesem als »verlorener Haufen« bezeichnet wurde. Die Soldaten, die jetzt durch die Bresche drängten und das Blutbad sahen, schienen zu zögern.

»Auf die Bresche. Feuer.« Eine weitere tödliche Salve traf. Und dann, ganz plötzlich, machten die »Rundköpfe« kehrt. Die Männer in der Bresche versuchten, sich kriechend in Sicherheit zu bringen, doch die Musketiere im Kirchhof, die frei feuern konnten, schossen sie einzeln ab. Unter den Royalisten brach Jubel aus. Cromwells Soldaten flohen.

»Neu laden. Sie werden wiederkommen. Kavalleristen, ladet eure Pistolen.« Astons Stimme, klar und präzise.

Wie die meisten Berittenen hatte Walter zwei Pistolen bekommen, die in Taschen auf beiden Seiten des Sattels steckten. Er lud sie und behielt eine in der Hand. Mehrere Minuten verstrichen, bevor die Feinde wieder angriffen. Diesmal kamen sie schneller, und in größerer Zahl. Die erste Welle hatte fast die Reihe der Piken erreicht, ehe Aston rief: »Feuer.« Und wieder traf sie der vernichtende Hagel der Musketenkugeln. »Kavalleristen, Feuer frei. Gezieltes Feuer.«

Walter legte den langen Lauf der Pistole auf seinen freien Arm, um ihn zu stützen. Beim Üben mit seinen Kameraden hatte er festgestellt, dass er so besser schoss. Er sah einen Angreifer, der soeben die Piken erreicht hatte, zielte sorgfältig und betätigte den Abzug. Er hatte auf die Brust gezielt, doch er traf den Kopf. Mit einem aufwallenden Triumphgefühl sah er den Mann zu Boden gehen. Wenn mich jetzt meine Familie sehen könnte, dachte er stolz. Augenblicke später brandete abermals Jubel auf. Auch der zweite Angriff war zurückgeschlagen worden.

»Laden«, rief Aston. Aber diesmal folgte eine längere Stille. Vielleicht hatten die »Rundköpfe« für heute aufgegeben, nachdem sie zweimal Prügel bezogen hatten.

Direkt gegenüber der Bresche befanden sich zwei Batterien. Die eine lag auf gleicher Höhe und richtete ihr Feuer auf die Mauern, die andere auf dem Hang dahinter und blickte auf die Bresche herab. Von dieser Batterie sah Walter nun eine Rauchwolke aufsteigen.

Ein bedrohliches Pfeifen. Ein Ruck, als sein Pferd getroffen wurde. Platzende Geräusche, entsetzliche Schreie. Dann stürzte er. Als er auf dem Boden aufschlug, hörte er erneut ein Pfeifen. Wieder Schreie. Pferde bäumten sich.

Cromwells Geschütze am Hang waren mit Kugeln, die nur ein halbes Pfund wogen, geladen worden und feuerten jetzt durch die Bresche mitten in die Reiterei. Walter war kaum wieder auf den Beinen, als er Massen von Feinden durch die Bresche stürmen sah. Offensichtlich hofften sie, die Gräben durch ihre schiere Zahl zu überrennen. Die Musketen krachten, aber in der jetzigen Verwirrung klang die Salve nicht mehr so geschlossen. Er schaute nach unten. Sein Pferd war bereits tot. Rings um ihn wanden sich Leiber von Pferden und Menschen. Überall war Blut. Er fühlte sich benommen, aber er war sicher, dass er nicht verwundet war. Eine Hand zog ihn am Arm.

»Komm, Opa. Wir ziehen uns zurück.«

Er hatte verstanden, verharrte aber noch einen Augenblick, als könnte er nicht begreifen. Und dabei sah er oben in der Bresche einen Offizier in einem Ledermantel stehen. Er hielt ein Schwert in der Hand, und seine langen grauen Haare wehten im Wind. Er wusste sofort, wer dieser Mann war.

Oliver Cromwell war vom Pferd gestiegen und hatte seine Männer persönlich durch die tödliche Bresche von Drogheda geführt.

Meine Pistole, dachte Walter. Sie steckte noch am Sattel. Er beugte sich zu seinem Pferd hinab und zog sie aus der Tasche. Dann richtete er sich, die Pistole in der Hand, wieder auf. Cromwell war noch da, schwenkte das Schwert und trieb seine Männer vorwärts. Walter legte auf ihn an.

Und dann stand er wie gelähmt, wie in einem Traum. Sein Finger betätigte den Abzug, aber nichts geschah. Wie war das möglich? Er versuchte es noch einmal. Der Mechanismus klemmte.

»Opa. Komm schnell.« Der Kamerad zog ihn so fest, dass er fast das Gleichgewicht verlor, und in diesem Moment ging die Pistole los und feuerte die Kugel in die Luft. Er fluchte und taumelte in die Richtung, in die er gezerrt wurde. Ein Teil der Schwadron hatte sich zu Fuß gesammelt. Sowie Walter bei ihnen war, nahmen sie ihn in die Mitte und liefen los.

Die erste Schanze wurde überrannt. Die Musketiere feuerten ihre Waffen ab und zogen sich dann zurück. Im Wegrennen sah Walter, dass Aston auf seinem Holzbein mit einer Kompanie den Hügel hinauf humpelte, zu dem kleinen Fort. Er fragte sich, ob er sich ihm anschließen sollte, aber zwei Kameraden zogen ihn weiter. Sie hasteten durch die Gasse in Richtung Fluss. Die Zugbrücke tauchte vor ihnen auf.

»Wir müssen über die Zugbrücke, bevor sie hochgezogen wird, Opa«, rief einer seiner Begleiter. Wenn sie erst oben war, würden die Zurückgebliebenen kämpfen müssen, aber den anderen würden Cromwells Leute nicht folgen können. Der Fluss war tief, und die Mauer der Nordstadt dick. Sie würde eine sichere Zuflucht bieten, zumindest für eine Weile. Doch als sie die Zugbrücke erreichten, wurden sie von einer großen Schar Musketiere und Pikeniere fast schon eingeholt, und als Walter sich umblickte, sah er die Lederwämser und Metallhelme der Feinde, die ihnen dicht auf den Fersen waren. Sie flüchteten Hals über Kopf über die Brücke.

Erst als Walter in die Hauptstraße der Nordstadt einbog, kam es ihm zu Bewusstsein. Niemand hatte die Zugbrücke hochgezogen. Zusammen mit den in die Nordstadt fliehenden Verteidigern überquerten auch Cromwells Soldaten den Fluss. Er drehte sich um und rief: »Zieht die Zugbrücke hoch«, aber niemand nahm davon Notiz, und die nachdrängende Menge schob ihn weiter, sodass er nichts tun konnte.

In einiger Entfernung vor ihnen erhob sich die große St. Peter’s Church. Seine Kameraden bogen nach links in die Querstraße ab, die zu dem westlichen der beiden Tore im Nordteil führte. Nach wenigen Metern zweigte eine Gasse zu dem Gasthaus ab, in dem sie einquartiert waren. Zwei Kameraden hatten dort Geld zurückgelassen und wollten es holen. »Wenn wir schon fliehen müssen, haben wir wenigstens das Geld«, riefen sie ihm zu. Der Wirt, der den Lärm gehört hatte, aber nicht genau wusste, was vor sich ging, war gerade dabei, die Fensterläden zu schließen. Als Walter ihn kurz ins Bild setzte, rief der Mann: »Ich muss Mary holen.« Sie war bei Nachbarn.

»Schließen Sie Ihr Gasthaus«, sagte Walter zu ihm. »Ich hole das Kind.« Und damit lief er fort.

Er brauchte nur ein oder zwei Minuten, um die kleine Mary aus dem betreffenden Haus zu holen. Sie fest an der Hand haltend, rannte er mit ihr die kurze Strecke zum Gasthaus zurück. Er hatte ganz vergessen, dass er noch das Schwert umgegürtet hatte, bis er merkte, dass Mary sich beinahe daran gestoßen hätte. Er nahm sie auf den Arm und lief weiter.

Die Masse der Soldaten war noch auf der Hauptstraße. Noch war keiner in diese Richtung gekommen. Seine Kameraden standen mit dem Wirt an der Tür. Walter war noch fünfzig Meter von ihnen entfernt, als eine Schar »Rundköpfe« in schwerer Ledermontur von der Straße in die Gasse stürmte. Beim Anblick der königstreuen Soldaten erhoben sie ein Geheul und stürzten sich auf sie. Seinen Freunden blieb kaum Zeit, die Schwerter zu zücken. Er hörte, wie einer von Cromwells Leuten »Papistenhunde« brüllte und der Wirt einen Fluch ausstieß, dann drangen die »Rundköpfe« auf sie ein. Er hörte ein Scheppern, das Geklirr von Schwertern, Rufe, Gebrüll, einen gellenden Schrei. Alles ging so schnell, dass er es kaum glauben konnte. Er sah seine Freunde zu Boden gehen, und auch den Wirt. Offenbar hatten sie ihn für einen Soldaten gehalten.

Beim Erscheinen der Soldaten hatte er sich instinktiv in einen Türeingang gedrückt und die kleine Mary mit dem Gesicht an seine Brust gepresst, damit sie nichts sehen konnte. So wartete er und fragte sich, ob die Feinde in seine Richtung kommen würden, aber sie kamen nicht. Nach einer Weile spähte er vorsichtig um die Ecke. Sie waren fort. Aber von der Straße, aus der sie aufgetaucht waren, drang Geschrei in die Gasse. Die Leiche von Marys Vater lag mit den anderen vor dem Gasthaus. Er konnte das Kind unmöglich hier zurücklassen. Er eilte denselben Weg zurück, den er gekommen war. Die Nachbarn würden das Kind bestimmt aufnehmen. Aber in diesem Augenblick sah er »Rundköpfe« auf der Straße am Ende der Gasse, ganz in der Nähe des betreffenden Hauses. Er wagte es nicht, weiterzugehen. Neben ihm war eine leere Gasse, die nach Westen führte. Er folgte ihr. Er musste Mary bei sich behalten, bis er einen sicheren Platz für sie fand.

Vielleicht konnte er noch durch das Westtor entkommen. Vielleicht waren Cromwells Leute noch nicht dort. Oder war es ihnen inzwischen gelungen, über das tiefe Wasser des Boyne zu setzen, die Stadt zu umzingeln und alle Fluchtwege abzuschneiden? Walter wusste es nicht.

»Dein Opa nimmt dich auf einen kleinen Spaziergang mit«, flüsterte er der kleinen Mary zu. »Danach gehen wir zu deinem Vater.« Er rang sich ein Lächeln ab.

Vorsichtig schritt er die Gasse entlang. Wohin mochte sie wohl führen?

***

Barnaby Budge blieb vor der Bresche stehen. Er hatte keine Angst. Warum sollte er auch? Wo doch Gottes General wieder alle vor ihm mit sich riss. Ein Tag des Sieges für den Herrn.

Er wusste, wer hinter den dunklen Mauern Droghedas lauerte. Die barbarischen, blutrünstigen Iren, die Papisten und ihre Lakaien. Dreihunderttausend Protestanten hatten sie wahllos und ohne Erbarmen niedergemetzelt, fromme Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Aber nun war der Tag der Abrechnung da. Endlich wurde der Gerechtigkeit Genüge getan. Mein ist die Rache, sprach der Herr. Und das Heer der Heiligen war die rechte Hand des Herrn. Hatte der Heiland nicht selbst verkündet: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Und wenn es vorüber war, wenn die papistischen Iren vertrieben waren, dann sollten die Streiter Christi ihren Lohn erhalten und das Land in Besitz nehmen. Die fünfhundert Pfund, die er vor sieben Jahren in diese Sache investiert hatte, würden mit irischem Boden entgolten werden, und auf diesem Boden würde er seinen Teil der heiligen Stadt bauen, sich eine gottesfürchtige Frau nehmen, einen Hausstand gründen und sich um seinen alten Onkel kümmern. Sein Schwert, sein Vermögen, sein Leben: Er hatte alles gegeben. Er war ein Soldat Christi, ein Abenteurer für Gott. Wenn er, wie er zu hoffen wagte, zu den Auserwählten gehörte, so hatte er auch für sein Seelenheil bezahlt.

In dieser Gewissheit näherte sich Barnaby Budge tapferen Herzens der Bresche in den Mauer Droghedas. Er spürte einen Lufthauch auf seiner Wange und hob den Blick. Der Wind schien zu drehen. Die grauen Wolken wälzten sich am Himmel, als wollten sie auseinanderstieben.

»Kavallerie marsch!«, ertönte der Befehl. Cromwell selbst hatte ihn gerufen. Und wer konnte sich weigern, wenn der Anführer selbst keine Angst zeigte? Zweimal waren seine Männer aus der Bresche zurückgeschlagen worden. Die Toten lagen in Haufen übereinander. Aber Cromwell war vom Pferd gestiegen, hatte sein Schwert aus der Scheide gezogen und den dritten Angriff persönlich angeführt. Er war ein heldenhafter Streiter Gottes.

»Werden wir ihm folgen?«, rief Barnaby seinen Männern zu.

»In den Schlund der Hölle!«, brüllten sie zurück.

Doch es gab nur einen Weg über den Schutthaufen, und der führte durch die Bresche.

»Absteigen«, befahl er ruhig. Barnaby nahm sein Pferd an den Zügeln und führte seine Leute zu Fuß hinüber. Ein paar Musketenkugeln zischten an ihm vorbei, doch er achtete nicht darauf.

Auf der anderen Seite bot sich ihm ein schreckliches Bild. Die Kämpfe hatten sich von den Gräben zu dem Hügel dahinter verlagert. Er durchquerte mit seinen Soldaten den Kirchhof, der mit Leichen übersät war. Am Fuß des Hügels angekommen blieb er stehen. Sir Arthur Aston und seine Getreuen hatten sich oben in dem kleinen Fort verschanzt, inzwischen aber erkannt, dass ihre Lage hoffnungslos war, und beschlossen, sich zu ergeben. Doch wenn sie gehofft hatten, dadurch ihr Leben zu retten, hatten sie sich getäuscht. Die »Rundköpfe« waren bereits in dem Fort, und zornige Rufe drangen von oben herab.

»Sie wollen sein Holzbein«, erklärte der Offizier, der unten stand. »Es soll voller Gold sein.«

Das Gebrüll von oben wurde noch wütender, dann war das Geräusch von Hieben zu hören. Für Barnaby klang es so, als schlügen die Soldaten Aston mit dem Holzbein den Schädel ein.

»Sie haben kein Gold gefunden«, bemerkte der Offizier trocken.

In diesem Augenblick tauchte Cromwell hinter dem Hügel auf. Er nickte Barnaby zu.

»Reiten Sie mit Ihren Männern über die Zugbrücke und sichern Sie die Nordtore«, befahl er. Er sah ihn streng an. »Die Hauptmacht des Feindes sitzt in der Stadt in der Falle, Captain Budge. Fällt Drogheda, gehört uns ganz Irland. Lassen Sie keinen entkommen. Haben Sie verstanden?«

»Jawohl, Sir.«

»Kein Pardon, Captain Budge. Die Feinde haben keine Schonung verdient.« Er hielt inne, blickte zu dem Fort hinauf und wirkte einen Augenblick lang nachdenklich, bevor er Barnaby wieder hart ansah. »Der Herr hat uns hierher geführt und uns diese Stadt ausgeliefert. Der Sieg gehört ihm allein.«

»Gottes Wille wird geschehen«, erwiderte Barnaby fest. Und als seine Soldaten Augenblicke später über die Zugbrücke preschten, gab er den Befehl: »Zückt die Schwerter.«

Der Sturm der Belagerer über die Zugbrücke erfolgte so plötzlich, dass den Verteidigern keine Zeit blieb, sich neu zu formieren. Überall im Nordteil der Stadt tobten Straßenkämpfe.

Und die zersprengten royalistischen Truppen wurden niedergemäht wie Gras. Barnaby musste sich einen Weg zwischen den Leichen bahnen, als er die Hauptstraße entlangritt. An einem offenen Hof, der in einen kleinen Garten führte, stieß er auf einen Offizier und seine Kompanie. Sie hatten ein Dutzend Royalisten gefangen genommen, die die Waffen gestreckt hatten.

»Kein Pardon«, sagte Barnaby zu dem jungen Offizier. »Befehl von General Cromwell.« Und als der Offizier Einwände erhob, schüttelte Barnaby den Kopf: »Ich habe ihm mein Wort gegeben. Denkt daran, was sie protestantischen Frauen und Kindern angetan haben. Tötet sie alle.« Die Soldaten stießen mit ihren Schwertern zu, und Barnaby verharrte noch einen Augenblick, um sich zu vergewissern, dass sie niemanden verschonten.

Zweihundert Meter vor ihm tobte rund um die St. Peter’s Church ein größeres Gefecht. Er vernahm Schreie, Waffengeklirr und das unablässige Krachen von Musketenfeuer. Aber er hatte klare Befehle. Er musste die Tore sichern. Es gab zwei Tore im Nordteil Droghedas, und dank der Karte, die er mit den anderen Offizieren in der Woche zuvor studiert hatte, wusste Barnaby genau, wo sie sich befanden: an den beiden Enden der langen Querstraße, das eine in der Ost-, das andere in der Westmauer. Zum Osttor war es näher, und er und seine Männer ritten rasch darauf zu. Hier und dort sah er Gesichter durch halb geschlossene Fensterläden in den oberen Stockwerken der Häuser spähen. Aber es schien sich um gewöhnliche Bewohner zu handeln, die in der Stadt geblieben waren. Das konnte man später überprüfen. Am Osttor angekommen, stellte er fest, dass es bereits von einem Trupp Infanteristen gesichert wurde. Er befahl ihnen, es unter keinen Umständen zu öffnen, machte kehrt und ritt in Richtung Westtor.

Als sie die Hauptkreuzung der Stadt überquerten, blickte er zu der großen Kirche, wo die Schlacht tobte. Er vernahm Rufe und Schreie, aber nicht denselben Gefechtslärm wie zuvor. Etwas hatte sich verändert. Dann, als er die Straße entlangblickte, sah er, dass durch den offenen Rinnstein in ihrer Mitte Blut strömte: Sie richteten die irischen Papisten mit dem Schwert. Er hatte schon Ströme von Blut auf dem Schlachtfeld gesehen, aber dergleichen noch nie. Sie mussten bereits mehrere hundert abgeschlachtet haben.

Es war ein Blutbad, aber es musste sein. Wenn er an das gewaltige Massaker dachte, das diese verfluchten Leute an Unschuldigen begangen hatten, wurde sein Herz gefühllos, denn er wusste, dass hier nur Gottes Werk getan wurde.

Das Westtor lag weniger als vierhundert Meter entfernt. Doch die breite Straße, die zu ihm hinführte, war nicht leer. Eine Gruppe von Infanteristen hatte sich soeben dort gesammelt. Unter ihnen waren Pikeniere und Musketiere, die sich rasch in Gefechtsordnung aufstellten. Es mochten hundert Mann oder mehr sein. Dann tauchten aus einer Seitengasse ein halbes Dutzend Reiter auf und bildeten einen Schutzschild vor den Fußsoldaten. Er blickte sich um. Er hatte zwanzig Mann, beritten und bewaffnet wie er selbst. Und die Feinde, der begriffen haben mussten, was oben an der Kirche geschah, waren zweifellos entschlossen, ihr Leben teuer zu verkaufen. Er rief nach hinten zu einem seiner Männer: »Hol Verstärkung.« Der Feind mochte verzweifelt sein, aber seine Leute waren erfahrene, im Kampf gestählte Soldaten und überdies Streiter Christi. Cromwell persönlich hatte ihm befohlen, das Tor zu sichern. Gott würde sie schützen. Er maß die Feinde mit geübtem Auge.

In diesem Augenblick rissen die Wolken auf. Die Abendsonne brach durch die Lücke, und ein breiter Strahl fiel genau auf die Stelle, wo die feindlichen Reiter standen, flammte auf wie ein Feuer und blendete sie vorübergehend. Als Barnaby das sah, da wusste er mit letzter Gewissheit, dass dies ein Zeichen Gottes war, das ihm wie eine Feuersäule den Weg in das gelobte Land wies.

»Nicht mein Arm, O Herr, sondern deiner«, murmelte er und erteilte seinen Leuten den Befehl zum Angriff, indem er sein Schwert hoch in die Luft erhob, sodass es die Sonne einfing und blitzte.

Barnaby Budge gab seinem Pferd die Sporen und fuhr mitten unter die Feinde, hieb mal hierhin, mal dorthin, sodass das Blut der irischen Bestien spritzte. Reiter stürzten, Fußsoldaten fielen. Die Papisten wichen vor ihm zurück, und er hieb und stach für den Herrn.

Rufe hinter ihm. Er blickte sich um. Weitere Männer kamen zur Verstärkung. Gut so. Die Feinde des Herrn stoben auseinander. Er sprengte ihnen nach und mähte sie im Laufen nieder.

Sie flohen in Höfe und Gassen, rannten durch die Straßen. Er konnte das Tor sehen, hundert Meter vor sich. Es stand offen. Er ritt darauf zu.

Dabei gewahrte er am Rand der Straße einen papistischen Soldaten, der sich, gekleidet wie ein Reiter, aber ohne Pferd, am Eingang zu einer Gasse duckte. Der Schurke trug ein kleines Kind im Arm und drückte es sich an die Brust. Sein rundes rotes Gesicht blickte zu ihm auf, wie versteinert. Hoffte er, auf diese Weise der Gerechtigkeit zu entgehen?

Barnaby riss das Pferd herum und erschlug ihn mit einem einzigen Hieb, der dem Kerl durch Kragen und Brust fuhr und auch das Kind tötete. Das Kind war zweifellos auch ein Papist. Es spielte keine Rolle.

Barnaby wendete das Pferd wieder. Da waren immer noch papistische Soldaten zwischen ihm und dem Tor. Es gab noch viel Arbeit.

Er drang auf die Iren ein, und während er abermals Hiebe austeilte, sah, wie sie stürzten, und die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht spürte, da gewahrte Barnaby die Herrlichkeit Gottes, und er wusste, dass der Allmächtige seinen Arm führte und dass er das Gelobte Land bekommen sollte, das man ihm für seine fünfhundert Pfund schuldete.

***

So war es damals, an jenem Abend in Drogheda, als die royalistische Garnison unterging, Engländer und Iren, Protestanten und Katholiken. Zweitausendfünfhundert Mann starben durch das Schwert; viele, nachdem sie die Waffen gestreckt hatten.

Das Gerücht kursierte, dass auch die Stadtbewohner niedergemetzelt worden seien, und zweifellos wurden es einige auch.

Aber wer wollte, selbst wenn es stimmte, behaupten, dass das Gemetzel empörend gewesen sei? Als noch Könige und Parlamente über den Glauben der Menschen bestimmten, bedeutete Uneinigkeit immer Blutvergießen. Seit einem Jahrhundert, seit Luther und Calvin das Christentum gespalten hatten, war es dasselbe, und in den kommenden Generationen sollte das Blutvergießen weitergehen. Überall in Europa starben die Gläubigen, Katholiken durch Protestanten, Protestanten durch Katholiken. Es war alles ein und dasselbe.