Kapitel 63
Der Verkehr war stop-and-go bis zur Promenade. Tessa fand einen Parkplatz nahe der Grand Junction Road und manövrierte ihr Auto hinein. Sie stiegen alle dankbar aus, streckten sich und seufzten. Pilot sprang heraus und schnüffelte begeistert die Seeluft.
„Ob er wohl jemals das Meer gesehen hat?“, wunderte sich Gladys, „Immerhin scheint er noch recht jung zu sein. Vielleicht ist das alles ganz neu für ihn.“
Neu oder auch nicht, das Meer schien eine starke Anziehungskraft auf ihn auszuüben und er zerrte an seiner Leine.
„Kommt schon, Mädels, auf zu den Wellen!“, sagte Tessa. Ihr Ärger von vorhin war vergessen.
Sie gingen eifrigen Schrittes zum Kieselstrand. Auf ihm waren Liegestühle verstreut. Die meisten davon waren besetzt.
„Dort drüben sind zwei“, sagte Tessa, „Lizzy und ich werden sie für uns sichern, während ihr beiden geht und die Fish-and-Chips holt.“
„Sie sichern“ bedeutete, sich genüsslich darin auszustrecken. Gladys und Elsie machten finstere Mienen, als sie zur Promenade und ihren Fressbuden davonzogen.
„Und wenn ihr unterwegs seid, haltet nochmal Ausschau nach dem Plakat“, rief ihnen Tessa hinterher.
Das auch noch! Die beiden Frauen waren sich grimmig einig darin, dass wenn Tessa nicht die Mühe der langen Fahrt auf sich genommen hätte und Lizzy nicht „neu“ wäre, sie selbst dann bestimmt nicht diejenigen wären, die auf Essenssuche gehen müssten.
Die Queen lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. Die Sonne wärmte ihr das Gesicht und sie konnte hören, wie die Brandung über die Kiesel plätscherte. Sie musste daran denken, wie oft sie in Brighton gewesen war und aus ihrer Staatskarosse sehnsüchtig zum Strand hinüber gesehen hatte. Sie hatte immer gedacht, wie nett es doch sein müsse, einfach in so einem Stuhl zu liegen und die Atmosphäre zu genießen.
Tessa war vom Fahren müde und döste bereits neben ihr. Pilot schien ganz zufrieden zu sein, bei ihnen in der Nähe zu bleiben, und die Queen dachte es könne nicht schaden, ihn ein wenig von der Leine zu lassen, damit er nicht so eingezwängt war.
Nach einiger Zeit hörten sie die Kiesel hinter sich knirschen. Gladys balancierte die Pakete mit dem Imbiss.
„Hier, Tessa, nimm mir mal was ab“, sagte sie, ihr Gesicht von der Anstrengung gerötet, „Elsie hat da hinten noch zwei Stühle entdeckt und sie schleppt sie gerade hierher. Sie müsste gleich da sein.“
Die Queen und Tessa standen auf, um zu helfen. Die Queen half Elsie, die Stühle aufzustellen, und Gladys und Elsie ließen sich dankbar hineinfallen. Tessa teilte die Portionen herum. Pilot ging sofort neben der Queen in Position.
Tessa, die neben ihm saß, schnupperte misstrauisch an ihrem Essen.
„Seid ihr euch ganz sicher, dass dieser Fisch frisch war?“, fragte sie Gladys und Elsie, „Ich finde er riecht irgendwie muffig.“
Beide waren höchst empört.
„Natürlich ist er frisch!“
„Wie sind doch am Meer, oder? Frischer geht es nicht!“
Die Queen, als Hundekennerin, hatte eine böse Ahnung. Sie inspizierte Pilots Fell und sah verräterische Spuren darauf. Vorsichtig roch sie an seinem Rücken.
„Ich befürchte, Pilot hat sich in etwas gewälzt. Wahrscheinlich auf einem toten Fisch hier am Strand.“
„Oh, nein!“, riefen sie alle angewidert.
„Na toll! Jetzt haben wir nicht nur ein großes, hässliches, zottliges Monster als Gesellschaft, sondern sogar noch eins das stinkt“, Tessa zog eine Grimasse.
„Ich versuche mal, ihn am Wasser abzuwaschen“, sagte die Queen. Sie nahm eine Fritte und lockte Pilot hinter sich her. Er folgte ihr brav, bis sie bei der Spülkante anlangten. Das war nun gar nicht nach seinem Geschmack. Offensichtlich war er durch und durch eine Landratte. Die Queen schubste, lockte und räsonierte mit ihm, aber er beschloss, dass es bei den anderen Damen und ihren Pommesfrites netter war. Die Queen gab auf und sie kehrten unverrichteter Dinge zurück. Ihre Freundinnen waren nicht beglückt.
„Was ist denn? Ist deine Hundeflüsterei heute etwa fehlgeschlagen?“, fragte Tessa bissig.
„Vielleicht finden wir hier in Brighton irgendeine Möglichkeit, ihn loszuwerden“, sagte Tessa hoffnungsvoll.
„Ja. Wir können ihn als Preis beim Bingo aussetzen“, war Elsies Vorschlag.
„Apropos Bingo, lasst uns aufessen und zum Hippodrome gehen“, sagte Gladys. „Wenn wir wirklich zum Prinzen pilgern müssen, dürfen wir die Zeit nicht aus den Augen verlieren.“
„Und wie ist es mit heute Abend? Wollten wir nicht zu einer Show gehen?“, fragte Tessa.
„Ja“, stimmte Gladys zu, „Elsie und ich haben noch ein anderes Plakat gesehen und darauf stand, dass es heute Abend im Kino eine Show mit Tom Tiger dem Sänger gibt. Und nachher gibt es einen Double-Wettbewerb.“
„He, das hört sich nach Spaß an“, sagte Tessa, „Nichts wie hin.“
„Wir können nur da hin, wenn wir nicht unsere ganze Zeit vor der blöden Kunsthalle vergeuden“, seufzte Gladys und warf Tessa einen sauren Blick zu.