Kapitel 59
Für die Queen, die es nur gewohnt war in einer sanft schnurrenden Limousine mit viel Beinfreiheit über die Straßen zu gleiten, war die Situation sehr ungewohnt. Hier hockte sie auf einem kleinen, harten Sitz, die Knie fast unterm Kinn, den Kopf dicht unterm Autoverdeck und fühlte sich sehr warm mit dem zotteligen Hund auf dem Schoß. Der königliche Chauffeur war ein Fahrexperte und lenkte das Auto stets behutsam, um seinen edlen Passagier nicht zu inkommodieren. Tessa, hingegen, fuhr erratisch und wild. Sie bremste urplötzlich, um in der nächsten Minute wieder ohne ersichtlichen Grund zu beschleunigen. Die anderen Damen waren das anscheinend gewohnt und machten sich nichts daraus.
Pilot drückte seine Nase am Fenster platt und beobachtete, wie die Landschaft vorbei glitt; erst die Außenbezirke von London dann die sanften Hügel von Sussex, auf denen Schafe grasten, ab und zu ein Kirchturm inmitten eines Dorfes oder ein kleiner Wald.
Die Queen schwieg und genoss die Aussicht, aber die anderen Damen plauderten ständig und kommentierten alles, was sie sahen.
„Schaut mal, der Bauernhof dort“, rief Gladys und zeigte in die Richtung, die sie meinte, „ist der nicht furchtbar nah an der Autobahn? Würdet ihr es nicht auch hassen, so nahe dran wohnen zu müssen?“
„Ja, und guck – die haben die Wäsche raus gehängt“, sagte Elsie, „die wird doch von den vielen Abgasen ganz schmutzig!“
„Oooo!“, quiekte Gladys kurz darauf, „habt ihr gerade das kleine Haus dort gesehen? Mit dem niedlichen Garten? Das sah aber nett aus. Ach, ich hätte so gerne so ein Haus mit so einem Garten!“
„Ja, und Mr. Du Bois als Mann“, sagte Tessa über das Motorgeräusch hinweg.
„Ach, lass gut sein“, sagte Gladys gut gelaunt, „der ist doch eh nur scharf auf Lizzy.“
„Hach, aber süß ist er schon. Man wird ja wohl träumen dürfen“, seufzte Elsie theatralisch.
„Apropos 'süß' – hat jemand einen Bonbon für mich?“, fragte Tessa, „wenn ich Auto fahre kriege ich immer Lust auf was Süßes.“
Die anderen beiden wühlten in ihren Handtaschen und fanden Toffees und saure Drops.
„Ein Toffee, bitte“, sagte Tessa.
„Hier Lizzy“, Gladys reichte eines nach vorne, „du kannst es ihr auswickeln.“
Während der Hund auf ihrem Schoß turnte, kämpfte die Queen mit dem Bonbon. Das Papier klebte fest dran und sie musste es abzupfen. Pilot, der hellhörig wurde, als er das Geknister wahrnahm, beäugte das Toffee und plötzlich, ohne Warnung, schnappte er es der Queen aus den Fingern und schlang es hinunter.
„Oh, nein“, sagte Tessa, „das war für MICH, du blöder Hund. Lizzy – bitte – wickelst du mir noch eins aus?“
Die Queen fühlte sich heiß und irritiert. Ihre Finger klebten vom Zucker und sie wusste nicht, wie sie sie sauber kriegen sollte. Aber sie wickelte das nächste Toffee aus. Diesmal passte sie besser auf und schob es Tessa blitzschnell in den Mund, bevor Pilot überhaupt begriffen hatte, was vorging.
„So“, sagte sie triumphierend.
„Vow! Vas var virklich vut!“, sagte Tessa anerkennend durch ihr Toffee.
„Ja. Du bist schon sehr geschickt“, sagte Elsie bewundernd, „nicht nur mit Hunden, sondern auch mit deinen Händen. Kein Wunder, dass Clare dich in ihrem Laden nicht entbehren kann.“
Die Queen dankte ihr für das Kompliment, während sie sich mühte, ihre klebrigen Finger an einem Taschentuch abzuwischen.
„Ich arbeite gerne für sie. Clare ist ein echter Schatz.“
„Und sie hat Glück gehabt, dich zu finden“, sagte Elsie weiter, „wir machten uns alle ziemliche Sorgen, als Em starb. Guck wie viel besser ihr Leben ist, seitdem du bei ihr bist! Alles hat sich zum Guten gewendet.“
„Ich wette, sie heiratet diesen schicken Steward“, sagte Gladys.
„Ja, die Glückliche“, seufzte Tessa.
„Nun, ich denke, er könnte sich sehr glücklich schätzen“, entgegnete die Queen „Clare ist etwas ganz Besonderes.“
„Ja, das ist wahr...das stimmt...“, pflichteten die anderen ihr bei.
„Er wird auf jeden Fall besser sein, als mein Mann war“, sagte Gladys.
Die Queen spitzte ihre Ohren. Sie wusste nichts von den Ehen ihrer Freundinnen und war entsprechend neugierig.
„Na, das ist ja schließlich keine Kunst“, sagte Tessa, „dein Mann war vielleicht ein guter Buchführer in der kleinen Firma , wo er angestellt war, aber er war ein schlechter Ehemann.“
„Ja“, stimmte Elsie zu, „hätte mein Bob mich so behandelt wie dein Mann dich, hätte ich ihn in den Tabak geschickt. Ich hätte es nicht so viele Jahre ertragen. Sofort nach der ersten Affäre mit dieser Verkäuferin hätte ich ihm gezeigt wo die Tür ist.“
„Jedenfalls spätestens nach der Geschichte mit dieser billigen Kellnerin“, fügte Tessa hinzu. Sie fing an, zu kichern und Elsie, die offensichtlich über etwas im Bilde war, musste laut lachen.
Gladys sah mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster.
„Ooooo, Entschuldigung!“, sagte Elsie ihr, während sie sich die Lachtränen abwischte, „ aber sie war so furchtbar albern und dumm. Weißt du noch, wie sie vor eurer Haustür stand und dir ins Gesicht sagte, dass dein Mann in Wirklichkeit sie liebte? Und du hast dann gesagt, Pech! - du wärst immerhin seine Frau. Und dann hat sie gesagt, das wäre kein Problem, du könntest ja irgendwie mal sterben, oder so, und dann wäre er frei.“
„Dabei ist er dann gestorben, nicht sie“, erklärte Tessa der Queen, „sein sündiges Leben hat seinen Körper überfordert.“
Ihre Augen begegneten Elsies im Rückspiegel und sie fingen wieder an, zu kichern.
Gladys schmollte und sagte ärgerlich: „Wenigstens sah er toll aus. Deswegen waren die Frauen doch alle hinter ihm her – nicht wie dein Bob, Elsie.“
Elsies Blick wurde sanft. „Bob war kein Adonis“, sagte sie, „aber er war eine treue Seele. Ich hatte ein Riesenglück, ihn zu treffen, nachdem Will gestorben war. Meine Mädchen fanden ihn wunderbar. Sie hätten mich sonst bestimmt nicht mehr nach meiner zweiten Hochzeit so oft besucht. Nach Wills Tod wäre ich am liebsten selber gestorben, aber Bob hat mich wieder auf die Füße gestellt.“
„Und immerhin wurde er nicht von den Frauen verfolgt, mit seinem Bierbauch und seinen falschem Gebiss“, jetzt lachte Gladys vergnügt vor sich hin.
„Was ist mit dir? Warst du jemals verheiratet, oder bist du eine olle Jungfrau wie unsere Tessa hier?“, fragte Elsie die Queen.
Die Queen wusste nicht, was sie erwidern sollte.
Glücklicherweise rettete Elsie die Situation, indem sie verkündete: „Ich muss mal!“
„Oh, Elsie“, schimpfte Tessa, „warum kannst du es nicht einfach bis Brighton aushalten? Wir kommen so gut durch, dass wir bestimmt in einer dreiviertel Stunde da sind.“
„Fünfundvierzig Minuten! Du machst wohl Witze? Bis dann ist meine Blase geplatzt. Oder ich mache eine Pfütze auf deinen Autositz.“
Die Queen fand diesen Ausdruck sehr amüsant. Was würde der königliche Chauffeur davon halten?
„Na gut“, seufzte Tessa. Anscheinend hatte das letzte Argument sie überzeugt, „gleich kommt ein Rastplatz. Da fahre ich runter. Aber nur, wenn ihr auch alle gleich geht,“ sagte sie streng, „wir wollen nicht in Brighton als Erstes auf Klosuche gehen müssen.“
Das stimmte die Queen nachdenklich. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine öffentliche Toilette benutzt, geschweige denn auf einem Autobahnrastplatz. Sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefallen würde.
Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass du viel verpasst, hatte Philipp gesagt.
Aber Tessa war bereits abgebogen und hatte das Auto geparkt.