Kapitel 52
Paul hatte es den „fantastischen Frauen“ gezeigt. Sie wurden wieder lieb und umgänglich. Der Wein löste ihnen die Zungen und sie erzählten lustige Anekdoten und tratschten gemütlich vor sich hin. Ihre Ecke des Gartens war voller gutgelauntem Gelächter und nach und nach drifteten die andere Gäste auch herbei. Clare und Edward stellten sich dazu, und die Queen bemerkte befriedigt, dass Edward seinen Arm um Clares Schultern gelegt hatte, als wolle er sie gegen die Abendkühle schützen.
Nach und nach verabschiedeten sich die Gäste, erst die Eltern mit kleinen Kindern, dann die drei „fantastischen“ Damen, die jeden abküssten, der das Pech hatte, zu dicht bei ihnen zu stehen.
„Vergiss nicht unsere Brighton-Pläne“, erinnerte Elsie die Queen, „die müssen wir recht bald umsetzten.“
Zuletzt waren nur noch Clare, Edward, Paul, Sam und Derek um den kleinen Tisch mit der Queen versammelt. Clare hatte Kaffee aufgesetzt, den sie jetzt aus den dicken Tassen schlürften, während sie Nachlese auf den Abend hielten.
Es war jetzt ganz dunkel und die Kerzen und Fackeln waren alle ausgebrannt. Nur die Lichterketten funkelten noch in den Sträuchern und eine einsame Kerze flackerte auf ihrem Tisch und lockte ab und zu eine Motte an. Das Geißblatt verbreitete sein süßes Aroma mit aller Kraft. Die Geräusche der Stadt waren verebbt und die sechs Freunde genossen die zauberhafte Atmosphäre.
„Das war ein netter Abend“, sagte die Queen, „nur fand ich es befremdlich, als die drei Damen mir so zusetzten. Was war nur in sie geraten? Ich kann mich nicht erinnern, irgendjemanden bewusst gekränkt zu haben.“
„Nein“, Edward rieb nachdenklich seine Nase, „ich glaube eher, du hast etwas falsch gemacht.“
„Oh. Das tut mir aber leid. Was kann es nur gewesen sein?“
Clare verstand worauf Edward hinaus wollte. „Du sahst einfach bezaubernd aus, wie du auf deinem Stuhl throntest und über unser Fest präsidiertest. Ich sagte Edward, dass es mir ein Rätsel ist, wie du es machst, aber du hast die Gabe so gelassen und heiter auszusehen, dass du alle Blicke auf dich ziehst. Du hast eine natürliche Anmut, um die dich sicher so manch einer beneidet.“
„Fiese alte Hexen!“, Sam war zornig, „ich hab gesehen, wie sie dich gemobbt haben. Ich hatte große Lust, zu ihnen hinzugehen, um ihnen meine Meinung zu geigen.“ Mit geballten Fäusten dachte sie auch an Trisha, die sie auch gerne verdroschen hätte, aber sie behielt die Episode mit Rücksicht auf Clares Gefühle für sich.
„Na, wie gut, dass du dich zurückgehalten hast“, sagte die Queen, „es wäre ein Jammer gewesen, wenn der schöne Abend in einer hässlichen Szene geendet hätte. Ehrlich gesagt, ich habe so etwas noch nie erlebt.“
„Natürlich nicht“, sagte Edward, „in deiner Stellung als – ähm – Lehrerin zollt man dir ja Respekt. Du besitzt sozusagen Immunität.“
Paul lachte: „Da bin ich mir nicht so sicher. Unsere Lehrer hatten so etwas nicht.“ Dann sagte er ernst: „Ich denke, im Gegenteil, dass wenn man irgendwie privilegiert ist, die Mitmenschen eher aggressiv gegen einen werden. Jeder hat eine Vorstellung davon, wie er sein möchte und wenn er das Ideal nicht erreicht, ärgert er sich umso mehr, über die, die es schaffen.“
Clare fragte: „Meinst du etwa, dass das der Grund ist, warum die Klatschpresse so über Prominente herfällt?“
„Klar, und deswegen lesen die meisten Leute so einen Schund nur zu gerne.“
„Also sieht es so aus:“, sagte die Queen philosophisch, „wenn es einem im Leben gut geht, wird man dafür gehasst – und anders herum funktioniert es wohl auch; wenn es einem schlecht geht, mögen einen die Leute.“
„Die Menschen sind gar nicht so furchtbar edel“, gab Edward zu bedenken.
„Nun, nicht alle“, sagte die Queen.
„Ich hasse es, wenn Leute mich verletzen und deshalb hasse ich es, irgendjemanden verletzen zu müssen. Ist doch ganz einfach“, sagte Sam.
Alle sahen sie an. Die Queen wunderte sich, wie Sam, so ungebildet und unerfahren sie auch war, alles auf den Punkt brachte. Obwohl, unerfahren war sie wohl doch nicht. Die Queen musste an den widerlichen Halbbruder denken und an das, was Sam von ihm erzählt hatte. Es machte sie traurig, und sie hätte Sam am liebsten dafür in den Arm genommen.
„Mir fällt dazu ein, dass auch die königliche Familie oft zum Opfer solcher Klatschreportagen wird“, unterbrach Edward ihre Überlegungen, „aber wenn die Royals bei offiziellen Auftritten in Erscheinung treten, ist das alles wie weggeblasen. Solche Anlässe sind so würdig und feierlich, dass alles außer Bewunderung und Respekt ausgeschlossen ist. Irgendwie wie auf Hochzeiten. Dort würde auch niemand auf die Idee kommen, das Brautpaar zu beneiden oder zu mobben.“
„Ja“, sagte Sam mit leuchtenden Augen, „deshalb liebe ich einfach Hochzeiten! Ich habe noch keine einzige erlebt, wo ich nicht auch ein bisschen weinen musste oder dieses fröstelige Gefühl hatte, das man nur kriegt, wenn alles perfekt ist und man sich wünscht, es könne so für immer sein.“
„Nun, wenn du Hochzeiten so sehr magst, müssen wir mal schauen, dass du bald wieder die Gelegenheit hast, auf eine zu gehen“,sagte Edward und sah Clare so an, dass sie ganz rot wurde.
„Oder vielleicht solltest du einmal deine eigene feiern – das wäre überhaupt das Tollste“, sagte Derek spitzbübisch.
„Ich habe noch nie von einer Hochzeit gehört, die jemand ganz alleine hatte“, erwiderte Sam, „und ich habe Mr. Richtig noch nicht gefunden.“
Derek legte seinen Kopf auf eine Seite und sah sie mit gespielter Verzweiflung an.
„Nicht einmal Mr. fast-Richtig?“
„Okay. Sagen wir mal Mr. - ähm – halb-Richtig.“
Da mussten alle lachen.
„Du hast Freunde vergessen, Edward“, sagte die Queen, „gute Freunde beneiden sich nicht gegenseitig. Wenn man Glück hat, freuen sie sich mit einem, sogar wenn es ihnen selber nicht so gut geht. Das macht wahre Freundschaft zu einer so kostbaren Sache.“
Sie sah sich in der kleinen Gruppe friedlich um.
„Deswegen genieße ich die Gesellschaft von euch fünf lieben Leuten so sehr.“
Alle schwiegen gerührt. Dann erhob sich Clare leise, legte ihre Arme um ihre Schultern und sah sie ernst an. „Ja, meine Liebe. Und deine Freundin Clare denkt, dass es jetzt höchste Zeit ist, diese Runde aufzubrechen, um schlafenzugehen. Es wird von Minute zu Minute kühler“, und sie half der Queen auf ihre Füße und geleitete sie ins Haus.
Man verabschiedete sich allgemein und bald lag der Garten still und verlassen da. Die letzte Kerze war von alleine ausgebrannt.