Kapitel 28
Emilys Freundinnen kamen, um Lizzy abzuholen. Elsie rüttelte am Gartentor, während Tessa im Auto wartete und ungeduldig darauf wartete, zu Gladys fahren zu können.
„Schnell, schnell, schnell!“, rief Elsie in den stillen Garten, nachdem Clare ihr geöffnet hatte. Die verzauberte Atmosphäre zerbarst wie eine Seifenblase.
„Tessa lässt den Motor laufen. Wir sind schon spät dran und Gladys kann es nicht leiden, wenn man zu spät kommt.“
Die Queen, die sich vom Wein angenehm benommen fühlte und noch ganz mit der Unterhaltung beschäftigt war, wünschte auf einmal, nicht zu diesem Treffen gehen zu müssen. Sie zwang sich, daran zu denken, wie erfreut sie darüber ursprünglich gewesen war, und dass sie sich vorgenommen hatte, jede Gelegenheit wahrzunehmen, ihr Volk kennen zu lernen, zumal ihr nur wenig Zeit dazu zur Verfügung stand.
Clare spürte ihre Unlust und sie flüsterte: „Bist du wirklich sicher, dass du da hin willst? Die Drei können furchtbar nervig und anstrengend sein – lass uns einfach sagen, du hättest deine Meinung geändert.“
Aber die Queen schüttelte energisch ihren Kopf.
„Oh, nein. Dies möchte ich keinesfalls verpassen! Los geht’s.“
Sie schlüpfte in ihren Mantel und eilte hinaus zu dem wartenden Auto.
„Steig ein, steig ein, steig ein!“, rief Elsie, und die Queen wunderte sich mild irritiert, ob sie wohl alles immer dreimal sagte. In ihrer Position war sie diese Art Hetze ganz und gar nicht gewohnt. Man wartete gewöhnlicherweise auf sie.
Kaum hatte sie sich auf den Rücksitz des Minis gequetscht, als Tessas Fuß auf das Gaspedal knallte, und sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit losrasten. Ein wenig sorgte sich die Queen nun doch, ob ihr Mann mit seinen Sicherheitsbedenken recht gehabt hatte.
Nach einer – für die Queen gefühlter – Unzahl von scharfen Kurven und plötzlichen Ampelstops, befanden sie sich im Stadtteil Shepherds Bush. Tessa hielt mit quietschenden Bremsen vor einem der typischen Reihenhäuser aus braunem Stein.
Elsie drückte auf den Klingelknopf, und sofort ertönte ein markerschütterndes Gebell. Elsie und Tessa verdrehten die Augen.
„Oh nein! Baby!“, stöhnte Elsie.
„Verdammt! Wir haben ihn ganz vergessen“, stimmte Tessa ein, „man hätte doch nun wirklich gedacht, dass sie den Verstand gehabt hätte, ihn bis jetzt losgeworden zu sein. Ich wünschte, wir hätten uns bei mir verabredet, statt bei ihr.“
Gladys öffnete die Tür und sofort wurden sie von einem riesigen zotteligem Wesen angesprungen. Gladys ergriff sein Halsband und zerrte ihn zurück, während sie schrill schrie: „Hier, Baby, lass das! Lass das, sag' ich! Du Monster, du!“
Nachdem er die Gäste ordentlich beschnüffelt hatte, verzog sich 'Baby' – was für ein wirklich unpassender Name! – in eine Ecke, wobei er immer noch tief in seiner Kehle knurrte.
„Gladys, wie konntest du! Es war unfair von dir, uns nicht zu warnen, dass du immer noch dieses Monster beherbergst“, schimpfte Elsie.
„Hattest du nicht gesagt, dass du ihn loswerden würdest?“, fragte Tessa.
„Was soll ich denn machen?“, klagte Gladys, „irgendwie mag keiner ihn haben.“
„Wen wundert's“, sagte Tessa, „dann, um Himmels Willen, bring ihn zum Tierschutzverein und lass ihn dort aus seinem Elend befreien, und unserem, und deinem.“
Die Queen verstand nicht und Gladys erklärte: „Ich fand ihn neulich in einem Gebüsch hinter dem Bahndamm angebunden. Ich hatte selber früher drei süße Pudel, Twinkle, Sweetie und Dolly, und ich liebe einfach Hunde. Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen. Jemand wollte offensichtlich, dass er dort stirbt“, sie zuckte mit den Achseln, „da nahm ich ihn halt einfach mit, aber“, sagte sie zu dem Hund, „wenn ich gewusst hätte, was für ein schreckliches ungehorsames Tier du bist, hätte ich dem Ex-Besitzer sogar noch zu der guten Idee gratuliert!“
Der Hund lag da und sah sie missmutig an, wobei er unter einer albernen rosa Schleife hervorschielte, die Gladys ihm ins Fell geknüpft hatte.
Die Queen näherte sich Baby langsam und bückte sich zu ihm herunter. Baby sah sie misstrauisch an. Die Queen starrte ihm direkt in die Augen, öffnete ihre Augen weit und knurrte ihn an.
Den Damen stockte der Atem. Sie waren sicher, dass das Monster seine Zähne jede Sekunde in ihre Nasenspitze versenken würde.
Plötzlich winselte Baby und drehte sich unterwürfig auf seinen zottigen Rücken.
Die Queen tätschelte eines seiner Ohren und er sah sie mit einem Blick voll erwachender Liebe an.
„He“, staunte Gladys, „wie hast du das gemacht? Habt ihr das gesehen? Baby ist ganz ruhig. Bist du etwa eine Hundeflüsterin, oder so was?“
Die Queen lachte. „Nein, aber ich kenne mich mit Hunden gut aus. Zufällig weiß ich da einige Kniffe.“ Sie richtete sich wieder auf. „Man muss ihnen nur zeigen wer das Sagen hat.“
Tessa sagte scherzhaft: „Nun, als ehemalige Lehrerin wirst du dich ja wohl damit auskennen.“
Gladys wurde ungeduldig.
„Kommt schon! Lasst uns ins Wohnzimmer gehen und endlich damit anfangen, den Film anzusehen! Ich kann es kaum abwarten“, sie bugsierte sie in das Zimmer und wies ihnen ihre Plätze zu, „Wir setzen uns zu dritt auf die Couch“, erklärte sie der Queen, „normalerweise mache ich es mir auf dem Sessel da bequem, aber heute bist du unser Ehrengast und darfst ihn okkupieren.“
Ein großer plüschiger Ohrensessel mit riesigem Rosenmuster stand in einer Ecke. Die Queen setzte sich hinein. Als sie ihren Kopf zurücklehnte, verschwand sie fast gänzlich zwischen den 'Ohren'. Ein passender Hocker stand davor und sie streckte ihre Beine dankbar darauf aus.
„Ich fühle mich so, als wäre ich Mr. Rochester, kurz vor dem Interview mit Jane Eyre“, sagte sie.
Elsie furchte ihre Stirn. „Ja. Ich kann mir vorstellen, dass du auch mal vornehmere Leute kennengelernt hast, so als Lehrerin.“
Die Queen verkniff sich ein Lächeln.
Baby kam in das Zimmer geschlichen und machte es sich mit einem zufriedenen Grunzen neben ihrem Stuhl bequem.
„Du müsstest eigentlich einen edleren Namen haben“, sprach die Queen zu ihm, „du müsstest – Hmm – ja, du müsstest eigentlich 'Pilot' heißen.“ Genau wie Mr. Rochesters Hund im Roman „Jane Eyre“, dachte sie sich.
Ihre neuen Freundinnen waren nun gänzlich ratlos.
„Was für ein seltsamer Name“, sagte Gladys, „ich habe noch nie von einem Hund gehört, der so heißt.“
Das glaube ich gerne, dachte die Queen. Sie hatten das Buch sicher nie gelesen.
Für ein paar Sekunden schwiegen die drei Damen. Wahrscheinlich dachten sie gerade, dass Em zwar keine Leuchte gewesen war, aber irgendwie umgänglicher als diese Lizzy.
Gladys, die Gastgeberin, sagte in die Stille hinein: „Was kann ich euch jetzt anbieten? Ich habe Prosecco und hier habe ich eine Schüssel mit diesen herrlichen Chips, von denen ich euch schon erzählt habe. Sie machen geradezu süchtig!“
Sie füllte die extravaganten Gläser aus Pressglas mit dem Wein und reichte die besagte Schüssel herum. Sie drehte das Deckenlicht aus, so dass eine Stehlampe mit Fransenschirm zur einzigen Lichtquelle wurde. Dann schaltete sie den Fernseher an, auf dem eine Bolerotänzerin aus Porzellan prangte, ein Knie war angewinkelt und die Arme waren dramatisch in die Luft geworfen.
Die Queen registrierte mit großer Freude, dass auf dieser Figur eine dünne Staubschicht lag, wie auch auf allem in dem Raum. Hurra, dachte sie vergnügt, hier hat keiner für die Queen geputzt!
Gladys ließ sich mit einem Seufzer auf das Sofa fallen, und während der Film anlief, gab es so etwas wie eine gnädige Phase der Ruhe.
Die Queen legte ihren Kopf zwischen die Ohren des Sessels und dachte einen Augenblick lang an den anderen Abend, als sie zuerst diesen Film gesehen hatte. Sie fühlte sich sehr dankbar und glücklich. Sie schuldete diesem Film eine Menge. Hätte sie ihn nicht gesehen, hätte sie nie die Idee gehabt, mit ihrem Aussehen zu experimentieren, und es zu wagen, sich in die Ebene des „einfachen Lebens“ herabzubegeben. Dann würde sie nicht hier sitzen. Und was hätte sie nicht alles verpasst! Sie hätte niemals Clare oder Joey kennengelernt und sie wüsste nichts über deren Leben. Sie hätte nie Sam getroffen oder diese drei neuen Freundinnen. Sie würde nicht in diesem herrlich staubigen, spießigen Wohnzimmer sitzen, im Anblick dieser Bolerotänzerin, und klebrigen Wein aus angeberischen Gläsern trinken – und dabei genoss sie jede Sekunde.
Wenn Philipp sie nur so sehen könnte!