Kapitel 6
Und so kam es, dass an einem Sommermorgen die Königliche Limousine den Gatten und das Double der Königin nach Schottland brachte, während ein schäbiges Taxi in der Shepherd Street vor einem Blumenladen hielt. Eine adrett gekleidete Dame mit einem Koffer stieg aus.
„Macht fünf Pfund, junge Frau“, der Taxifahrer hielt sein Hand auf.
Junge Frau? Die Queen hätte am liebsten los gelacht. Stattdessen fischte sie ein Portmonee aus ihrer Handtasche. Eine Hofdame hatte es für sie erworben. Es roch nach frisch-gegerbtem Leder und knackte, als sie es öffnete. Geld. Ach ja. Sie fummelte die Summe ungeübt hervor und reichte sie dem Fahrer.
Er warf ihr einen bösen Blick und murmelte etwas, das verdächtig wie „knausrige alte Krähe“ klang. Er hatte wohl ein Trinkgeld erwartet und raste mit einem ärgerlichen Aufheulen des Motors davon. Oh je, daran hätte sie denken müssen!
Als das Taxi verschwunden war, stieg die Queen die Stufen zum Ladeneingang hoch. Er war von Schaufenstern flankiert und über der dunkelgrünen Front prangte ein Schild mit der Aufschrift : Clare's Fleurs.
Ihre Hand zögerte am Messingknauf. Dann holte sie Luft und schob die Tür auf.
Ein Glöckchen klingelte.
Während die Queen wartete, bewunderte sie die Vasen mit Blumen. Die Luft duftete nach Erde und Pflanzen. Auf einem Arbeitstisch an der hinteren Wand lag Werkzeug bereit: eine Blumenschere, Bindedraht, Steckpolster. Eine saubere Schürze hing an einem Haken. Es sah alles sehr ordentlich aus. Eine altmodische Kasse wartete auf Einnahmen. Daneben waren Körbe mit kleinen niedlichen Kärtchen und Dekor. Die Queen ging ein wenig näher heran, um sie sich anzuschauen, wich aber wieder zurück, als sie das Klappern von Schuhen hörte. Eine junge Frau betrat den Ladenraum.
Die Queen sah in ein grün-graues Augenpaar. Diese Frau war sicher nicht älter als die Enkelinnen der Queen. Sie trug ein blaukariertes Kleid, das für London ländlich aussah, aber gut zu den Blumen passte.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. Ihr Blick fiel auf den Koffer. „Oh, Entschuldigung! Wie dumm von mir...Sie sind sicher Lizzy Lloyd! Ich hatte Sie nicht so früh erwartet.“
Sie streckte der Queen ihre Hand entgegen. Die Queen, die es ganz und gar nicht gewohnt war, Hände angeboten zu bekommen, blickte sie nur an. Dann dämmerte es ihr. Als sie zugriff, war sie überrascht, wie sicher und fest ihr Händedruck erwidert wurde. Normalerweise pressten Leute die königliche Hand nicht so.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich über ihre Ankunft freue. Ich brauche Sie hier wirklich sehr!“
Dankbar über den warmen Empfang, lächelte die Queen zurück.
„Aber wir wollen hier nicht einfach herumstehen. Ich möchte Ihnen alles zeigen, und natürlich Ihr Zimmer. Ich bin übrigens Clare Milford. Aber bitte nennen Sie mich einfach nur Clare.“
„Gut, dann nennen Sie mich – nenne mich bitte auch einfach nur Lizzy.“
Clare nahm den Koffer und ging voran.
Es ging durch einen düsteren Gang bis zu einer Treppe.
Clare deutete nach links, wo man durch eine geöffnete Tür eine Küche sah.
„Dort kochen und essen wir, und gegenüber ist unser Wohnzimmer, aber lassen Sie uns – lass uns erst nach oben gehen.“
Sie erklommen die knarrende Treppe, und die Queen hielt sich am Treppengeländer fest. Es wackelte gefährlich, und sie drehte sich nach einem Diener um, um ihm zu sagen, dass 'hier dringend etwas geschehen müsse', aber da war natürlich keiner.
Oben auf dem Treppenabsatz stand ein Kleiderschrank. Neben ihm ging es in ein Zimmer mit einem Erwachsenen-und einem Kinderbett. Die Betten waren gemacht, und das Fenster war zum Lüften hochgeschoben. Alles sah sehr hell und freundlich aus. Einige Spielsachen lagen allerdings auf dem Teppich verstreut.
„Das kleine Monster! Ist der doch wieder rausgeschlichen, ohne seine Spielsachen aufzuräumen...Hätte ich mir ja denken können!“, Clare hob sie auf und legte sie in eine Kiste. „Nun ja, er ist erst vier. Er wird es schon noch lernen.“ Sie hielt einen Teddybären fest in ihren Armen, ihre Augen sanft. Sorgfältig setzte sie den Bären auf das Kissen des kleinen Bettes und führte die Queen zum nächsten Zimmer.
„Das ist Ihr – ich meine, dein Reich.“
Mein Reich. Die Königin sah sich um.
Das Zimmer war spärlich möbliert, ein bisschen wie eine Dienstbotenkammer. Der einzige Luxus war ein großer Sessel beim Fenster. Clare trat ein und rückte eine Vase mit weißen Rosen mehr auf die Mitte des Nachttisches.
„Wunderschöne Blumen“, sagte die Queen.
Clare errötete über das Kompliment. „Ja, sie sind frisch vom Markt.“
Über dem schmalen Bett hing ein Bild, das die Queen stutzen ließ. Es war ihr Ebenbild, handgestickt und etwas schief.
Clare folgte ihrem Blick. „Das soll die Queen sein. Ich habe es für Emily gemacht, als ich klein war.“
„Gut gemacht. Es sieht ihr tatsächlich ähnlich.“
Die Queen spürte, wie ihre Mundwinkel gefährlich zuckten.
„Ich hoffe, sie stört dich dort nicht. Ich habe schon die ganzen Gedenkteller und Tassen entfernt, aber die Tapete hinterm Bild ist dunkler. Emily war ein Riesenfan der Queen“, sie lächelte, „so wie wir alle.“
„Ja. Gewiss.“
„Also, wenn dich das Bild irritiert – ich habe auf dem Dachboden noch ein Bild von Van Gogh...“
„Nein. Ist schon recht“, die Queen biss sich auf die Lippe.
Clare sah sie von der Seite an. „Ich hoffe, dies ist nicht alles zu schäbig. Am Ende bist du mehr Komfort gewohnt.“
Komfort war es nicht, was die Queen im Sinne hatte.
„Nein. Es ist perfekt.“
Clare seufzte.
„Fein. Ich zeige dir eben noch das Badezimmer, und dann kannst du auspacken, während ich schon mal gehe und uns Tee mache. Wenn wir Glück haben, gibt es noch nicht so viel Kundschaft, und wir können ein wenig plaudern.“
Nachdem Clare weggeeilt war, betrachtete die Queen ihr Domizil in Ruhe. Das Zimmer hatte zwei Fenster. Durch das eine sah man eine Backsteinmauer, vor der sich einige Äste im Wind bewegten. Durch das andere konnte man auf die Straße vor dem Laden blicken. Gegenüber schwangen sich Tauben über das Chaos der Dächer oder hockten auf den unzähligen Schornsteinen.
Ihr Rufen und Gurren wurde vom Grummeln der Stadt begleitet, als der Verkehr auf Piccadilly wenige Blöcke entfernt dichter wurde.
Der große Sessel schien ihr zuzuwinken, und sie setzte sich hinein. Er war weich und warm. Sie lehnte ihren Kopf zurück und schloss die Augen. And one enormous chair...wouldn't it be lovely? Sie fühlte sich wie Eliza Doolittle.
Dann erhob sie sich, um auszupacken – zum ersten Mal in ihrem Leben. Es machte Spaß, zu entscheiden wo alles hin kam. Es brauchte einige Zeit, bis sie zufrieden war.
Sie nahm ihren Toilettenbeutel und ging nach nebenan, um das Badezimmer zu inspizieren. Den Beutel stellte sie auf eine Ablage und sah sich um. Ein Plastiksitz war auf der Toilette, perfekt geformt für einen kleinen Kinderpo. Wie clever! Sie hatte so etwas noch nie gesehen. Aber – sie hatte ja auch noch nie ihr Bad mit jemanden teilen müssen. Auf dem Wannenrand hockten ein Wal und ein gelber Schwamm mit Gesicht, Armen und Beinen.
Auf der Spiegelablage waren Clares Kosmetika. Ein Flakon Parfüm stand bereit und die Queen konnte nicht widerstehen, daran zu schnuppern. Sie nickte anerkennend. Ein schöner, blumiger Duft. Leicht und nicht zu penetrant.
Sie sah ihr Spiegelbild kritisch an. Eine ältere Dame schaute zurück. Sie fand ihr Brillengestell ganz ausgezeichnet. Es war leicht und fast ohne Rand. Es fühlte sich viel besser an, als ihr altes. Vielleicht könnte sie dieses ja behalten, wenn sie zum Hof zurückkehrte.
„Ich sehe nett aus“, dachte sie zufrieden, „gar nicht wie die Queen. Gut, manche Leute werden vielleicht denken, dass ich mich wie sie bewege und spreche, aber ich könnte ein Fan von ihr sein, wie diese Emily, und sie aus Bewunderung imitieren.“
Sie fuhr sich mit den Fingern durch das gerade, kurze Haar. „Prima“, dachte sie, „ich brauche noch nicht einmal eine Bürste. Sehr praktisch!“
Voller Unternehmungslust stieg sie die Treppe hinab und klopfte an der Küchentür.