Poul Anderson
Der Mann, der zu früh kam

 

 

Ja, wenn ein Mann alt ist, hat er schon so viel seltsame Dinge gehört und gesehen, daß ihn kaum noch etwas verwundern kann. Es heißt, daß der König in Miklagard vor seinem Thron ein wildes Tier aus Gold sitzen hat, das sich erhebt und brüllt, wenn ein Fremder kommt. Eilif Eiriksson hat mir das erzählt; er hat dort unten gedient, und wenn er nicht gerade betrunken ist, ist er ein zuverlässiger Bursche. Er hat auch das Griechische Feuer gesehen – es brennt auf Wasser.

Deshalb, Priester, bin ich nicht abgeneigt zu glauben, was du mir über den Weißen Christen erzählt hast. Ich bin selbst in England und Frankreich gewesen und habe das Volk aufblühen sehen. Er muß schon ein sehr mächtiger Gott sein, der so viele Reiche aufnehmen kann … und sagtest du nicht, daß jeder, der getauft ist, eine weiße Robe erhält? Ich möchte gerne eine haben. Hier in diesem verfluchten isländischen Wetter überziehen sie sich zwar mit Mehltau, aber ein kleines Opfer für die Hauselfen sollte – Keine Opfer? Na, hör mal! Ich gebe das Pferdefleisch auf, meinetwegen, wenn’s sein muß, meine Zähne sind sowieso nicht mehr die besten, aber jeder vernünftige Mensch weiß doch, wieviel Ärger die Elfen machen, wenn sie hungrig sind.

 … Komm, trinken wir noch was und reden wir noch ein bißchen davon! Wie schmeckt dir das Bier? Selbst gebraut, weißt du? Die Schalen habe ich mir in England beschafft, schon vor vielen Jahren. Damals war ich noch jung … wie die Zeit vergeht! Nachdem ich zurückgekommen war und die Ländereien meines Vaters geerbt hatte, bin ich nie mehr fortgezogen. Wenn man jung ist, tut es ganz gut, ein bißchen herumzukommen, aber wenn man älter ist, sieht man erst, wo der wahre Reichtum liegt: hier, im Land und in der Herde.

Schüre das Feuer, Hjalti! Es wird kalt. Manchmal habe ich das Gefühl, als seien die Winter jetzt kälter als in meiner Jugend. Thorbrand von Salmondale meint es auch, aber er glaubt, die Götter seien zornig, weil sich so viele von ihnen abwenden. Du wirst auf Schwierigkeiten stoßen, wenn du Thorbrand gewinnen willst, Priester. Ein Dickkopf. Ich selbst bin ja aufgeschlossen und bereit.

 … Nun denn. In einem Punkt muß ich dich verbessern. Das Ende der Welt wird nicht in zwei Jahren nahen. Das weiß ich bestimmt.

Und wenn du mich fragst, woher ich das weiß – das ist eine sehr lange Geschichte, und in mancher Hinsieht auch eine schreckliche. Ich bin froh, alt zu sein, und bevor das große Morgen kommt, sicher unter der Erde zu ruhen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich deinen Predigten lausche: weil ich weiß, daß der Weiße Christ Thor besiegen wird. Binnen kurzer Zeit wird Island christlich sein, und es scheint mir das beste, mich auf die Seite der Gewinner zu stellen.

Nein, ich habe keine Visionen gehabt. Vor fünf Jahren aber trug sich hier etwas zu, das meine eigenen Leute und Nachbarn beschwören können. Sie glaubten das meiste von dem, was der Fremde erzählte, nicht; aber ich, ich glaube mehr oder weniger daran, und wenn auch nur deshalb, weil ich meine, daß ein Lügner und Betrüger nicht soviel Unheil anrichten kann. Ich liebte meine Tochter, Priester, und nachdem es vorbei war, verheiratete ich sie gut. Sie wehrte sich nicht dagegen, aber jetzt sitzt sie mit ihrem Mann auf der Farm im Vorgebirge und spricht kein einziges Wort mehr mit mir; wie ich höre, paßt ihm ihre Verstocktheit und Launenhaftigkeit nicht, und er verbringt seine Nachte mit einer irischen Konkubine. Ich kann ihm das nicht verübeln, aber es bereitet mir Kummer.

Also gut, ich habe genug getrunken, um die ganze Wahrheit zu erzählen, und ob du’s glaubst oder nicht, das ist mir egal. Hier … he, Mädchen! … füllt die Schalen, denn beim Erzählen wird mir die Kehle trocken.

 

Die Sache begann an einem Tag im Frühsommer, vor fünf Jahren. Zu dieser Zeit lebten bei meiner Frau Ragnhild und mir nur noch zwei unserer Kinder, die noch nicht verheiratet waren: unser jüngster Sohn Helgi, siebzehn Lenze alt, und unsere Tochter Thorgunna, achtzehn. Das blonde Mädchen hatte schon Bewerber gehabt. Aber sie verweigerte sich ihnen, und ich bin keiner von den Vätern, die ihre Töchter zu etwas zwingen. Was Helgi anbetrifft, so war er ein rechter Draufgänger, sehr lebendig. Er dient jetzt bei König Olaf von Norwegen. Außerdem hatten wir auch noch Hausleute bei uns – zwei irische Sklaven, zwei Mädchen für die Frauenarbeiten und ein halbes Dutzend Gefolgsleute. Unser Hof ist ziemlich groß.

Du hast noch nicht gesehen, wie meine Ländereien liegen. Ungefähr zwei Meilen zum Westen hin befindet sich die Bucht; Reykjavik liegt fünf Meilen nach Süden. Gegen Long Jökull hin steigt der Boden an, so daß meine Äcker hügelig sind; aber es ist gutes Weideland, und am Strand sammelt sich oft Treibholz an. Ich habe dort einen Schuppen aufgestellt und auch ein Bootshaus.

In der vorangegangenen Nacht hatte ein ziemlicher Sturm getobt, deshalb gingen Helgi und ich hinunter, um nach Treibgut Ausschau zu halten. Du kommst aus Norwegen und weißt wahrscheinlich nicht, wie wertvoll das Holz für uns Isländer ist. Wir besitzen nur ein paar struppige Bäume und müssen uns das ganze Nutzholz vom Ausland beschaffen. Dort werden Menschen von ihren Feinden manchmal bei lebendigem Leibe in ihren Häusern verbrannt – das betrachten wir als eine der schlimmsten Taten.

Da ich mit meinen Nachbarn in gutem Einvernehmen stand, führten wir nur Handwaffen mit uns. Helgi trug ein Schwert und die beiden Arbeiter, die uns begleiteten, Speere. Der Sturm hatte die Landschaft reingewaschen, und die Sonne schien freundlich auf das hohe nasse Gras. Mein Land war gut bestellt, die Kühe und Schafe schienen wohlgenährt, aus der Halle meines Hauses stieg Rauch auf, und ich wußte, daß mein Leben einen guten Sinn gehabt hatte. Das lange Haar Helgis flatterte lustig, als wir die Stallungen verließen und uns auf den Weg zum Wasser machten. Seltsam, wie gut ich mich an jede Kleinigkeit erinnere, was an diesem Tag geschah.

Als wir hinunter zum Strand kamen, ging die See ziemlich hoch; weiß und grau spülte sie gegen die äußerste Kante der Welt. Ein paar Seemöwen flatterten kreischend über unsere Köpfe hinweg, aufgescheucht durch einen ans Ufer gespülten Kabeljau. Ich sah eine Menge Kleinholz, und sogar einen ziemlich großen Holzbalken … von irgendeinem Schiff, das während der Nacht zertrümmert worden war, schätze ich. Das war ein sehr nützlicher Fund, obgleich ich natürlich später ein Opfer bringen würde, um ganz sicherzugehen, daß der Geist des Eigentümers mich nicht plagt.

Wir hatten uns gerade daran gemacht, den Balken an Land zu ziehen, als Helgi laut aufschrie. Ich griff nach meiner Axt. Wir hatten damals keine Fehden weit und breit, aber Gesetzlose gibt es ja immer.

Dieser schien harmlos. Tatsache war, daß ich ihn für völlig unbewaffnet hielt, als er so über den schwarzen Sand herangetaumelt kam. Er war hochgewachsen und höchst seltsam gekleidet – Jacke und Hose und Schuhe waren wie alle andern, aber sie hatten einen sonderbaren Schnitt, und die Hosen hielt er mit Gamaschen zusammen, statt mit Riemen. Auch hatte ich noch nie einen Helm wie den seinen gesehen: er war fast viereckig und reichte tief in seinen Nacken, einen Nasenschutz hatte er nicht, ein Lederriemen gab ihm festen Sitz. Und das glaubst du nun vielleicht nicht, aber er war nicht aus Metall, und trotzdem war er in einem Stück geschnitten!

Er begann taumelnd zu laufen, als wir näher kamen, schlug mit den Armen um sich und keuchte. Die Sprache hatte ich noch nicht gehört, und ich kenne eine ganze Menge: Es hörte sich wie das Bellen eines Hundes an. Ich sah, daß er frisch rasiert war, seine schwarzen Haare waren kurz geschnitten, und ich dachte mir, daß er eigentlich gut ein Franzose sein könnte. Er war noch ziemlich jung, sah gut aus, mit blauen Augen und regelmäßigen Gesichtszügen. Seiner Haut nach konnte er nicht viel im Freien leben, er hatte aber eine gute Figur. »Ob er ein Schiffbrüchiger ist?« fragte Helgi.

»Seine Kleider sind trocken und sauber«, sagte ich. »Auch kann er nicht weit gegangen sein, denn sein Kinn hat keine Stoppeln. Aber mir ist nicht bekannt, daß hier irgendwo ein Fremder zu Besuch ist.«

Wir senkten unsere Waffen, als er sich uns keuchend näherte. Ich sah, daß die Jacke und das Hemd hinten mit stäbchenartigen Knöpfen verschlossen waren; keine Schnüre, und die Stoffe waren aus dickem Gewebe. Um den Hals schlang sich ein Stoffstreifen, der in den Mantel gesteckt war. Alle Kleidungsstücke waren von bräunlicher Farbe. Schuhe hatte ich in der Art, wie er sie trug, noch nie gesehen: fugenlos zusammengeflickt. An verschiedenen Stellen seiner Jacke fielen mir Blechstücke auf, auf jedem Jackenärmel waren drei Streifen und ein schwarzes Band mit Buchstaben darauf, die auch auf dem Helm standen. Aber es waren keine Runen, sondern römische Buchstaben: MP. Um die Hüfte hatte er einen breiten Gürtel geschlungen, darin steckten ein keulenförmiges Ding aus Metall und eine richtige Keule. »Es muß ein Kriegsgefangener sein«, murmelte einer meiner Männer. »Wozu sonst diese Zeichen?«

»Vielleicht sind sie nur zur Zierde da, oder als Schutz gegen Zaubereien«, beruhigte ich ihn. »Ich bin Ospak Ulfsson von Hillstead«, fuhr ich zu dem Fremden gewandt fort. »Mit welchem Auftrag kommst du hierher?«

Seine Brust hob und senkte sich, in seinen Augen blitzte es. Dann seufzte er, ließ sich auf der Erde nieder und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

»Wenn er krank ist, bringen wir ihn besser ins Haus«, sagte Helgi. Seine Augen strahlten – wir sehen hier nur wenig neue Gesichter.

»Nein … nein …« Der Fremde blickte auf. »Ich will mich einen Augenblick ausruhen –«

Er sprach unseren nordischen Dialekt ganz gut, obgleich er einen harten Akzent hatte und viele fremde Worte beimengte, die ich nicht verstand.

Grim, einer meiner Männer, hob den Speer. »Sind Wikinger gelandet?« fragte er.

»Wann sind wohl jemals Wikinger nach Island gekommen?« schnaubte ich. »Wo denkst du hin?«

Der Fremde schüttelte den Kopf, als hätte man ihm einen Schlag versetzt. Zitternd erhob er sich. »Was ist los?« sagte er. »Was ist mit der Stadt geschehen?«

»Welcher Stadt?« fragte ich verblufft.

»Reykjavik!« jammerte er. »Wo ist sie geblieben?«

»Fünf Meilen südlich von hier, wo du hergekommen bist – außer du meinst die Bucht selbst«, antwortete ich.

»Nein! Da war ja nur der Strand, und ein paar schäbige Hütten und –«

»Das sage lieber nicht zu laut! Wenn Hjalmar Broadnose das hört!« riet ich.

»Aber hier war doch eine Stadt!« rief er. »Ich habe die Straße überquert, es gab einen Sturm, dann ein Krachen, und plötzlich stand ich hier am Strand, und die Stadt war weg!«

»Er ist verrückt«, stellte Sigurd fest und trat einen Schritt zurück.

»Seid vorsichtig … wenn ihm Schaum auf die Lippen tritt, wird er tollwütig.«

»Wer seid ihr?« stammelte der Fremde. »Was macht ihr hier in dieser Aufmachung? Wozu die Speere?«

»Er scheint nicht direkt verrückt zu sein«, sagte Helgi. »Nur erschreckt und erstaunt. Irgend etwas Teuflisches muß ihm widerfahren sein.«

»Ich bleibe bei keinem, auf dem der Fluch liegt!« zeterte Sigurd und wollte weglaufen.

»Komm zurück!« bellte ich. »Bleib, wo du bist, oder ich zerspalte dir deinen verlausten Kopf!«

Das brachte ihn zur Vernunft, denn er hatte keine Verwandten, die ihn rächen würden. Inzwischen hatte sich der Fremde so weit gefaßt, daß er ruhig sprechen konnte.

»War das die Ha-Bombe?« fragte er. »Hat der Krieg begonnen?«

Er benutzte dieses Wort – Ha-Bombe – oft, so daß ich mich noch heute sehr wohl darauf besinne, obgleich ich nicht genau weiß, was es bedeutet. Scheint eine Art Griechischen Feuers zu sein. Was den Krieg betrifft, so weiß ich nicht, welchen er meinte, und das sagte ich ihm auch. »Gestern nacht war ein schweres Gewitter«, fügte ich hinzu. »Und du sagst, daß du auch in eines geraten bist. Vielleicht hat dich Thors Hammer hierher geschleudert.«

»Aber wo sind wir hier?« entgegnete er.

»Das habe ich dir doch schon gesagt. Dies ist Hillstead, in Island.«

»Aber da komme ich ja her!« stotterte er. »Reykjavik … was ist passiert? Hat die Ha-Bombe alles zerstört, während ich bewußtlos war?«

»Nichts ist zerstört worden«, sagte ich.

»Vielleicht meint er das Feuer in Olatsvik, letzten Monat«, sagte Helgi.

»Nein, nein, nein!« Wieder vergrub er das Gesicht in den Händen. Nach einer Weile blickte er auf und sagte: »Hört zu. Ich bin Sergeant Gerald Robert vom Stützpunkt der amerikanischen Armee auf Island. Ich war in Reykjavik und wurde vom Blitz oder irgendwas getroffen. Plötzlich stand ich am Strand, kriegte es mit der Angst und begann zu laufen. Das ist alles. Könnt ihr mir sagen, wie ich zurück zur Kaserne komme?«

Das waren mehr oder weniger die Worte, die er gebrauchte, Priester. Natürlich haben wir nicht die Hälfte davon verstanden. Er mußte alles ein paarmal wiederholen und die einzelnen Ausdrücke erklären. Auch dann konnten wir uns noch kein rechtes Bild machen, außer daß er von irgendeinem Land namens Vereinigte Staaten von Amerika kam, das, wie er sagte, hinter Grönland nach Westen zu liegt, und daß er und noch einige andere hier auf Island seien, um unser Volk gegen seine Feinde zu schützen. Ich hielt das nicht direkt für eine Lüge, mehr für einen Irrtum oder ein Mißverständnis. Grim hätte ihn niedergeschlagen, aber ich wußte, daß er das, was er sagte, wirklich so meinte.

Der Versuch, uns alles zu erklären, kühlte ihn etwas ab. »Seht mal«, sagte er mit einem zu vernünftigen Ton für einen Fiebernden, »vielleicht können wir von eurer Seite aus der Wahrheit näherkommen. Wißt ihr denn von keinem Krieg? Nichts, was – also, paßt mal auf. Meine Leute kamen zuerst hier nach Island, um euch gegen die Deutschen zu beschützen … jetzt gegen die Russen, aber damals waren’s die Deutschen. Wann war das?«

Helgi schüttelte den Kopf. »Davon wüßte ich nichts«, sagte er. »Wer sind die Russen?« Später fand er heraus, daß Gardariki gemeint waren. »Außer«, fügte er hinzu, »die alten Kriege –«

»Er meint die irischen Mönche«, erklärte ich. »Ein paar lebten hier, als die Nordländer kamen, aber sie wurden vertrieben. Das war so ungefähr vor hundert Jahren. Hat dein Volk je den Mönchen geholfen?«

»Ich habe nie von ihnen gehört«, antwortete er. Er hielt den Atem an. »Ihr … seid ihr Isländer nicht von Norwegen her gekommen?«

»Ja, vor ungefähr hundert Jahren«, erklärte ich ihm geduldig. »Nachdem König Harald die Nordländer eingenommen hat und –«

»Vor hundert Jahren!« flüsterte er. Ich sah, wie sein Gesicht leichenblaß wurde. »Was für ein Jahr ist dies?«

Wir starrten ihn an. »Nun, es ist das zweite Jahr nach dem großen Lachsfang«, sagte ich.

»Welches Jahr nach Christi Geburt, meine ich?« Es war ein heiseres Gestammel.

»Oh, du bist also ein Christ? Warte, laß mich nachdenken … Ich habe mal mit einem Bischof in England gesprochen, den wir als Geisel zurückhielten, und er sagte … Moment mal … ich glaube, er sagte, dieser Christenmann lebte vor tausend Jahren, oder vielleicht auch ein bißchen später.«

»Eintausend –« Er schüttelte den Kopf; und dann verließ ihn irgend etwas. Mit glasigen Augen stand er da – ja, ich habe Glas gesehen, ich sagte ja schon, ich bin ein weitgereister Mann – so stand er da, und als wir ihn zur Heimstätte führten, ließ er das wie ein kleines Kind mit sich geschehen.

Du kannst das ja selbst beurteilen, Priester: meine Frau Ragnhild ist trotz ihres Alters noch eine hübsche Frau, und Thorgunna geriet nach ihr. Sie war – sie ist groß und schlank, mit einer prächtigen blonden Haarkrone. Als sie noch ein junges Mädchen war, trug sie es lose über die Schultern. Sie hatte große blaue Augen und ein schmales herzförmiges Gesicht und sehr, sehr rote Lippen. Sie war immer fröhlich und wohlgemut und hatte ein gutes Herz – alle Männer liebten sie. Sverri Snorrasson ging zu den Wikingern, als sie ihm ihre Hand abschlug, und kam ums Leben, aber niemand hätte gewagt, sie unglücklich zu machen.

Wir führten diesen Gerald Samsson – er sagte, daß sein Vater Sam hieße – ins Haus. Sigurd und Grim blieben zurück, um das Treibholz aufzusammeln. Es gibt einige, die keinen Christen in ihr Haus aufnehmen würden, nur aus Furcht vor Hexerei, aber ich bin ein aufgeschlossener Mensch, und Helgi begeisterte sich natürlich für alles, was neu war. Unser Gast stolperte wie ein Blinder über die Felder, aber als wir den Hof betraten, schien er aufzuwachen. Sein Blick wanderte über die Gebäude, von den Ställen und Scheunen zur Räucherkammer, der Brauerei, der Küche, dem Badehaus, dem Altar und zur Wohnhalle, in deren Eingang Thorgunna stand.

Ihre Blicke begegneten sich, und ich bemerkte, wie ihr die Farbe in die Wangen stieg; dachte mir damals aber noch nichts dabei. Unsere Schuhe hallten, als wir über den Hof gingen und die Hunde beiseite stießen. Meine beiden Sklaven hielten mit dem Säubern der Ställe inne und gafften, bis ich sie mit der Bemerkung, ein Mann sei immer noch gut zum Opfern, wenn er sonst nichts wert ist, wieder an die Arbeit brachte. Das ist übrigens etwas Nützliches, was euch Christen fehlt: Ich selbst habe nie einen Menschen geopfert, aber du kannst jetzt sehen, wie nützlich die Tatsache ist, daß ich es tun könnte.

Wir betraten die Halle, und ich sagte den Leuten Geralds Namen und wie wir ihn gefunden hatten. Ragnhild trieb ihre Mädchen an, das Feuer zu schüren, Bier herbeizuschaffen und dergleichen, während ich Gerald zu dem hohen Gastsitz führte und mich neben ihm niederließ. Thorgunna brachte die gefüllten Hörner.

Gerald kostete das Gebräu und zog ein Gesicht. Ich fühlte mich etwas beleidigt, denn mein Bier wird im allgemeinen als gut bezeichnet, und fragte ihn, was daran denn nicht recht wäre. Er lachte und meinte, daß er an Bier gewöhnt sei, das schäumte und nicht sauer wäre.

»Und wo macht man so ein Bier?« fragte ich gereizt.

»Überall! – Island auch – nein …« Er starrte grübelnd vor sich hin. »Sagen wir mal … in Vinland.«

»Wo in Vinland?« fragte ich.

»Das Land im Osten, wo ich hergekommen bin. Ich dachte, du wüßtest das. Moment mal …«. er schüttelte den Kopf. »Vielleicht kann ich es herauskriegen – habt ihr schon mal von einem Mann namens Leif Eriksson gehört?«

»Nein«, sagte ich. Aber nun weiß ich, daß das ein Beweis für seine Geschichte war, denn Leif Eriksson ist heute ein bekannter Führer; und ich nehme jetzt auch diese Erzählungen von dem Land, das Bjarni Herjulfsson gesehen haben will, viel ernster.

»Seinen Vater vielleicht – Eirik den Roten?« fragte Gerald.

»Oh, ja«, antwortete ich. »Wenn du den Nordländer meinst, der wegen eines Totschlags hierhergekommen ist und der dann Island aus dem gleichen Grund wieder verlassen hat. Jetzt ist er bei unseren Leuten in Grönland.«

»Dann ist das die Zeit um oder vielmehr ein bißchen vor Leifs Reise«, murmelte er. »Ende des zehnten Jahrhunderts.«

»Hör zu«, mischte sich Helgi ein, »wir haben eine Menge Geduld mit dir gehabt, aber jetzt ist nicht der rechte Augenblick für großes Rätselraten. Sparen wir uns das für andere Gelegenheiten, wie Feste und Trinkgelage. Kannst du uns nicht ganz klar sagen, woher du kommst und wie du hierher gekommen bist?«

Gerald bedeckte sein Gesicht und zitterte.

»Laß ihn in Ruhe«, sagte Thorgunna. »Siehst du denn nicht, daß der Mann Kummer hat?«

Er hob den Kopf und blickte sie an, wie ein geschlagener Hund, den man gestreichelt hat. In der Halle war es ziemlich dämmrig, durch das Dachfenster fiel aber noch soviel Tageslicht ein, daß die Kerzen nicht angezündet zu werden brauchten; dadurch erschien alles etwas schemenhaft. Trotzdem konnte ich sehen, wie sich die Gesichter beider etwas röteten.

Gerald atmete tief und kramte in seinen Kleidern, in denen sich Taschen befanden. Er zog ein kleines Pergamentschächtelchen hervor und entnahm ihm einen zierlichen weißen Stab, den er in den Mund steckte. Dann holte er eine andere, etwas kleinere Schachtel heraus. Mit einem der hölzernen Stäbchen, die darin waren, kratzte er an der Schachtel entlang, worauf es sich entzündete. Mit dem Feuer steckte er den weißen Stab in seinem Mund an und zog den Rauch ein.

Wir starrten ihn alle entgeistert an. »Ist das ein christlicher Ritus?«

»Nein … das nicht gerade.« Ein Lächeln verzog seine Lippen. »Ich hatte geglaubt, daß ihr erstaunter, ja entsetzt sein würdet.«

»Wir kennen es nicht«, gab ich zu. »Aber wir Isländer sind sachlich denkende Leute. Diese Feuerstäbe könnten sehr nützlich für uns sein. Bist du gekommen, um mit ihnen Handel zu treiben?«

»Kaum.« Er seufzte. Dieser Rauch schien ihn komischerweise zu beruhigen, während der Rauch in der Halle ihn zum Husten gebracht und ihm Tränen in die Augen getrieben hatte. »Die Wahrheit ist – etwas, das ich selbst kaum glauben kann, wie solltet ihr es dann begreifen?«

Wir warteten. Thorgunna hatte sich vorgelehnt, ihr Mund stand halb offen.

»Dieser Blitzstrahl –« Gerald nickte müde. »Ich befand mich draußen, in einem Sturm, und irgendwie muß mich der Blitz auf eine seltene Art getroffen haben. Er versetzte mich in die Vergangenheit.«

Das waren seine Worte, Priester. Ich verstand sie nicht und sagte es ihm auch.

»Es ist schwer zu verstehen«, stimmte er zu. »Wolle Gott, daß dies alles nur ein Traum ist. Aber wenn es ein Traum ist, so muß ich ihn durchstehen, bis ich wieder aufwache … hört zu. Ich wurde eintausendneunhundertundzweiunddreißig Jahre nach Christus geboren, in einem Land im Westen, das ihr noch nicht gefunden habt. Als ich dreiundzwanzig Jahre alt war, kam ich als Angehöriger unserer Armee nach Island. Der Blitz traf mich und jetzt – jetzt zählt ihr erst weniger als eintausend Jahre nach Christus, und trotzdem bin ich bei euch – fast eintausend Jahre vor meiner Geburt!«

Wir saßen sehr still da. Ich machte das Zeichen des Hammers und nahm einen tiefen Schluck aus dem Horn. Eines der Mädchen wimmerte, und Ragnhild flüsterte ihr so scharf etwas zu, daß ich es hören konnte: »Sei still! Der arme Kerl ist nicht bei Verstand. Er ist nicht böse.«

Ich stimmte ihr zu, obgleich ich von letzterem nicht so ganz überzeugt war. Die Götter können durch einen Wahnsinnigen sprechen, und man kann den Göttern nicht immer trauen. Vielleicht wurde er plötzlich tollwütig oder unterlag einem schweren Fluch, der sich auch auf uns übertrug.

Er starrte schweigend vor sich hin, und ich fing ein paar Flöhe und zerquetschte sie, während ich über alles nachdachte. Gerald bemerkte es und fragte entsetzt, ob wir hier denn Flöhe hätten.

»Wieso? Natürlich!« antwortete Thorgunna. »Hast du keine?«

»Nein.« Er grinste verlegen. »Noch nicht.«

»Oh«, seufzte sie, »dann mußt du krank sein.«

Sie war ein vernünftiges Mädchen. Ich konnte ihre Gedanken erraten, und auch Ragnhild und Helgi verstanden sofort. Sicherlich würde ein Mensch, der so krank war, daß er noch nicht einmal Flöhe hatte, nicht plötzlich zu rasen anfangen. Zwar bestand nun die Sorge, daß wir seine Krankheit auch bekommen würden, aber das schien mir doch unwahrscheinlich. Bei ihm stimmte es im Kopf nicht, vielleicht hatte er einen Schlag erhalten. Auf jeden Fall waren wir jetzt auf dem Boden der Tatsachen, wo wir etwas anfangen konnten.

Als ein Godi, ein Führer, der Opfer darbringt, hatte ich die Pflicht, mich gut um einen Gast zu kümmern. Und noch etwas stand dafür: Wenn er viele von diesen kleinen Feuerstäben beschaffen konnte, würden wir einen ertragreichen Handel damit aufbauen können. Deshalb schlug ich erst einmal vor, daß Gerald zu Bett gehen sollte. Er weigerte sich, aber wir schleppten ihn in eine Schlafkoje, und da er sehr müde war, schlief er bald tief und fest. Thorgunna versprach, sich um ihn zu kümmern.

 

Am nächsten Tag entschloß ich mich, ein Pferd zu opfern. Einmal wegen des Holzes, das wir gefunden hatten, und zum anderen wegen eines Fluches, der auf Gerald liegen mochte. Außerdem war das Tier, das ich auserkoren hatte, alt und nutzlos, und wir waren knapp an frischem Fleisch. Gerald hatte sich den ganzen Tag über mißmutig zwischen Stallungen herumgedrückt, aber als ich zum Abendessen kam, fand ich ihn lachend im Gespräch mit meiner Tochter Thorgunna.

»Du scheinst dich auf dem Wege der Besserung zu befinden«, sagte ich.

»O ja. Es könnte mir schlechter gehen.« Als die Diener und Mädchen die Tische und das Essen hereinbrachten, ließ er sich neben mir nieder. »Ich habe mich schon immer für das Zeitalter der Wikinger interessiert, und Mut habe ich auch.«

»Nun«, antwortete ich, »wenn du kein Heim hast, kannst du eine Weile hierbleiben.«

»Ich kann arbeiten«, beeilte er sich zu bemerken. »Ich werde meine Bezahlung schon wert sein.«

Jetzt wußte ich, daß er aus einem fremden Land stammte, denn welcher stolze Mann würde auf einem anderen als seinem eigenen Land arbeiten, und noch dazu gegen Bezahlung? Trotzdem hatte er das Benehmen eines Hochgeborenen und schien sein ganzes Leben lang gut gegessen zu haben. Ich übersah es, daß er keine Geschenke machte; schließlich war er ja ein Schiffbrüchiger.

»Vielleicht kannst du in deine Vereinigten Staaten zurückfahren«, schlug Helgi vor. »Wir könnten ein Schiff anheuern. Ich würde dieses Reich sehr gern kennenlernen.«

»Nein«, antwortete Gerald finster. »So ein Reich gibt es nicht. Noch nicht jedenfalls.«

»Du hältst also noch immer an der Idee fest, daß du von Morgen bist?« grunzte Sigurd. »Verrückter Einfall. Reich mir das Schweinefleisch.«

»Das tue ich«, sagte Gerald mit fester Stimme. »Und ich kann es sogar beweisen.«

»Ich verstehe nicht, wie du unsere Sprache sprechen kannst, wenn du aus einem so weit entfernten Land kommst«, sagte ich. Ich würde niemanden ins Gesicht hinein einen Lügner nennen, es sei denn, wir tauschten auf freundschaftliche Weise Lügenmärchen aus. Aber –«

»In meinem Land und meiner Zeit spricht man anders«, erwiderte er, »aber in Island hat sich die Sprache seit den alten Tagen wenig verändert, und ich habe sie gelernt, als ich hierher kam.«

»Wenn du ein Christ bist«, sagte ich, »dann mußt du Nachsicht haben, wenn wir heute abend unser Opfer darbringen.«

»Ich habe nichts dagegen«, entgegnete er. »Ich fürchte, ich war nie ein sehr guter Christ. Ich würde gerne zuschauen. Wie wird es gemacht?«

Ich erklärte ihm, wie ich das Pferd vor dem Gott mit einem Hammer erschlagen, seine Kehle durchschneiden und das Blut mit Weidenruten ringsherum versprengen würde; wie wir den Kadaver später zerstückeln und bei einem Fest verspeisen würden. Hastig sagte er:

»Das ist eine Chance, zu beweisen, wer ich bin. Ich habe eine Waffe, die das Pferd mit … mit einem Blitzstrahl töten wird.«

»Was ist das für eine Waffe?« fragte ich erstaunt. Wir drängten uns alle um ihn, als er die Metallkeule aus der Hülle zog und uns zuschob. Mir kamen Zweifel. Zwar sah es sehr wohl so aus, als könnte man einen Menschen damit verletzen, aber es hatte keine Ecken und Kanten, obgleich es außerordentlich schön geschmiedet war. »Nun, versuchen wir’s«, sagte ich. Er zeigte uns, was er noch in seinen Taschen trug. Das waren ein paar Münzen von bemerkenswerter Glätte und Feinheit, ein kleiner Schlüssel, ein Stab mit Blei darin zum Schreiben, eine flache Börse mit vielen einzelnen gezeichneten Papierstücken darin. Als er uns erzählte, daß einige davon Geld seien, mußte selbst Thorgunna lachen. Das beste von all dem war ein Messer, dessen Schneide sich in den Griff klappen ließ. Als er sah, wie ich es bewunderte, gab er es mir, was für einen Schiffbrüchigen eine nette Geste war. Ich versprach ihm Kleidung und eine gute Axt sowie freie Unterkunft, solange es sich als notwendig erwies.

Nein, ich habe das Messer nicht bei mir. Du wirst gleich hören, warum nicht. Eigentlich schade, denn es war ein gutes Messer, wenn auch ziemlich klein.

»Was warst du, bevor der Krieg in deinem Land verkündet wurde?« fragte Helgi. »Kaufmann?«

»Nein«, antwortete Gerald. »Ich war ein … Ingenieur … das heißt, ich wollte einer werden. Das ist jemand, der Dinge baut, Brücken, Straßen und Werkzeuge … mehr als ein Handwerker. Deshalb glaube ich, daß mein Wissen hier von großem Wert sein könnte.« Seine Augen glänzten fiebrig. »Gebt mir Zeit – dann werde ich bald ein König sein!«

»Wir haben in Island keinen König«, murmelte ich. »Unsere Vorväter sind hierher gekommen, um ohne Könige zu leben. Jetzt treffen wir uns immer bei den Thingen, um zu Gericht zu sitzen und neue Gesetze festzulegen, aber jeder ist sein eigener Richter, so gut er kann.«

»Aber angenommen, derjenige, der im Unrecht ist, will sich nicht fügen?« fragte er.

»Dann gibt es eine feine Fehde«, antwortete Helgi und erzählte von einigen Kämpfen. Gerald sah unglücklich aus und hantierte an seiner Pistole. So jedenfalls nannte er seine feuerspeiende Keule.

»Deine Kleider sind sehr schön«, bemerkte Thorgunna leise. »Deine Leute müssen große Äcker und Weiden besitzen.«

»Nein«, entgegnete er, »unser … unser König gibt jedem Mann in der Armee solche Kleider. Was meine Familie betrifft, so besaß sie kein Land, sondern mietete eine Wohnung in einem Gebäude, in dem noch viele andere Familien wohnten.«

Ich bin bestimmt nicht eingebildet auf meinen Reichtum, aber mir schien es nicht ehrlich von ihm, sich mit mir auf einem hohen Sitz niederzulassen, wenn er überhaupt kein Land besaß. Thorgunna schwächte meine Verstimmung, indem sie sagte: »Du wirst später einen Hof erwerben.«

Nach Eintreten der Dunkelheit gingen wir hinüber zum Schrein. Die Männer hatten ein Feuer davor angefacht, und als wir die Tür öffneten, schien der hölzerne Odin vorzuspringen. Gerald flüsterte meiner Tochter zu, daß es ein ungeschicktes Stück Schnitzerei sei, und da mein Vater es selbst gemacht hatte, ärgerte ich mich noch mehr über ihn. Manche Leute haben für die feinen Künste einfach kein Verständnis.

Trotzdem gestattete ich ihm, mir dabei zu helfen, das Pferd zum Altarstein zu führen. Ich nahm die Blutschale in die Hände und sagte ihm, er könne nun das Tier erschlagen, wenn er wolle. Er zog seine Pistole, legte das eine Ende hinter das Ohr des Pferdes und drückte ab. Ein Krachen erscholl, und dann zitterte das Tier am ganzen Körper und fiel hin, in seinem Kopf war ein Loch, wodurch das Gehirn für uns nicht mehr brauchbar war – eine ungeschickte Waffe. Mir stieg ein Geruch in die Nase, der an einen Vulkan erinnerte – scharf und bitter. Wir erschraken, eine der Frauen kreischte auf, und Gerald sah stolz aus. Ich nahm mich zusammen und beendete die Opfer-Zeremonie wie üblich. Gerald mochte es nicht, wenn Blut über ihn spritzte, aber schließlich war er ja auch ein Christ. Er wollte auch nur ganz wenig von der Suppe und dem Fleisch.

Hinterher fragte ihn Helgi wegen der Pistole aus. Er behauptete, daß sie einen Menschen auf die Entfernung eines Bogenschusses töten könnte, aber daß keine Zauberei dabei im Spiel sei, nur ein paar Tricks, die wir noch nicht kannten. Da ich schon vom Griechischen Feuer gehört hatte, glaubte ich ihm. Eine Pistole konnte bei einem Kampf höchst nützlich sein, wie ich später tatsächlich auch erfahren mußte, aber sie erschien mir doch nicht sehr praktisch – bei dem teuren Preis, den Eisen kostet, und den monatelangen Schmiedearbeiten für jedes einzelne Stück.

Ich machte mir wegen des Mannes selbst Sorgen.

Am nächsten Morgen traf ich ihn an, wie er Thorgunna einen Haufen Unsinn über seine Heimat erzählte, von Gebäuden, so groß wie Berge, und Wagen, die ohne Pferde fuhren oder flogen. Er sagte, daß in seiner Stadt – eine Burg namens New Jorvik oder so ähnlich – acht- oder neuntausend Menschen lebten. Ich kann eine ganze Menge Prahlerei vertragen, aber das ging nun doch zu weit, und so forderte ich ihn wütend auf, mit mir zu kommen, um eine auseinandergetriebene Herde zu suchen.

 

Nachdem wir einen Tag lang in den Hügeln herumgekraxelt waren, wurde mir klar, daß Gerald das Vorderteil einer Kuh kaum von ihrer Hinteransicht unterscheiden konnte. Einmal hatten wir die Ausreißer fast wieder, aber er rannte so tölpisch über ihren Weg, daß sie umkehrten und die ganze Arbeit von vorne begann. Mit erzwungener Höflichkeit fragte ich ihn, ob er melken, scheren, mähen oder dreschen könne, aber er verneinte das, denn er hätte nie auf einer Farm gelebt.

»Schade«, bemerkte ich, »denn auf Island tut das jeder, außer den Gesetzlosen.«

Bei meinen Worten stieg ihm das Blut ins Gesicht. »Ich kann genug andere Dinge«, antwortete er. »Gib mir ein paar Werkzeuge, und ich werde dir gute Metallsachen anfertigen.«

Das stimmte mich um, denn, um die Wahrheit zu sagen, war niemand in unserem Haus ein besonders begabter Schmied. »Das ist ein ehrenwerter Vorschlag«, sagte ich. »Du kannst uns von großer Hilfe sein. Ich habe ein zerbrochenes Schwert und verschiedene verbogene Speerköpfe zum Reparieren, und es wäre gar keine schlechte Idee, die Hufe der Pferde zu beschlagen.« Sein Geständnis, daß er nicht wußte, wie man ein Pferd beschlägt, dämpfte meinen Eifer zu der Zeit noch nicht.

Inzwischen waren wir wieder zu Hause angelangt, und Thorgunna kam ärgerlich auf mich zu. »So behandelt man keinen Gast, Vater!« sagte sie. »Ihn wie einen Leibeigenen arbeiten zu lassen!«

Gerald lächelte. »Es wird mir Freude machen zu arbeiten«, besänftigte er sie. »Ich brauche sie, ich muß etwas tun, mit dem ich wieder ganz von vorn beginne. Und ich möchte mich auch für eure Freundlichkeit erkenntlich zeigen.«

Das stimmte mich mild, und ich sagte, daß er ja schließlich nichts dafür könne, wenn in den Vereinigten Staaten andere Sitten und Gebrauche herrschten. Am nächsten Tag könne er die Arbeit in der Schmiede beginnen, ich würde ihn dafür bezahlen, und er wäre trotzdem ein Gleichgestellter, denn Handwerker sind rar. Das brachte ihm dunkle Blicke von den Gefolgsleuten ein.

An diesem Abend unterhielt er uns mit Geschichten aus seiner Heimat; wahr oder nicht wahr, sie waren interessant. Auf der anderen Seite war er nicht fähig, auch nur zweizeilige Verse zu dichten. Das muß schon ein ziemlich ungehobelter und rückständiger Haufen in seinem Land sein! Er sagte, seine Aufgäbe in der Armee sei es gewesen, Ordnung in den Truppen zu halten. Helgi meinte, das sei unvorstellbar, und er müsse ein ziemlich mutiger Mann sein, um so viele Männer zu beleidigen, aber Gerald erwiderte, das Volk gehorche ihm aus Furcht vor dem König. Als er hinzufügte, daß Gehorsamsverweigerung zwei Jahre Gefängnis kostete und daß die Männer auch zur Erntezeit eingezogen werden konnten, bemerkte ich, daß er gut daran sei, einem Land mit solch einem rücksichtslosen und mächtigen König entkommen zu sein.

»Nein«, entgegnete er versonnen, »wir sind ein freies Volk, das sagt, was ihm auf dem Herzen liegt.«

»Aber es scheint, ihr könnt nicht tun, was euch beliebt«, sagte Helgi. »Nun«, erwiderte er, »wir dürfen natürlich niemanden ermorden, weil er uns beleidigt hat.«

»Auch nicht, wenn jemand einen deiner Leute erschlagen hat?« fragte Helgi.

»Nein. Es ist Sache des … des Königs, für uns alle Rache zu üben.«

Ich lachte. »Deine Märchen klingen gut, aber jetzt hast du dich übernommen. Wie könnte der König jemals auf der Spur all der Mörder bleiben, ganz abgesehen von der Rache, die er zu üben hätte. Himmel, der Mann hätte nicht einmal mehr Zeit, einen Erben zu zeugen!« Das darauffolgende schallende Gelächter ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen.

Am nächsten Tag ging Gerald mit einem Sklaven, der ihm den Blasebalg treten sollte, zur Schmiede. Ich selbst war an diesem Tag und die darauffolgende Nacht nach Reykjavik gegangen, wo ich mit Hjalmar Breitnase wegen ein paar Schafen verhandelte. Ich lud ihn auf ein paar Tage zu mir ein, und zusammen mit seinem Sohn Ketill, einem rothaarigen mürrischen Jungen, den Thorgunna abgewiesen hatte, ritten wir in den Hof.

Gerald saß mit düsterem Gesicht auf einer Bank in der Halle. Er trug die Kleidung, die ich ihm gegeben hatte, da seine eigene von Asche und Funken verdorben war – was hatte er erwartet, der Narr? Mit leiser Stimme sprach er zu meiner Tochter.

»Nun«, sagte ich beim Eintreten, »wie ist’s gegangen?«

Mein Untergebener Grim spottete: »Er hat zwei Speerspitzen ruiniert, aber wir haben das Feuer, das er angelegt hat, ausgelöscht, bevor die ganze Schmiede in Flammen aufging.«

»Wie kommt das?« rief ich. »Sagtest du nicht, du seist ein Schmied?« Trotzig stand Gerald auf. »Ich habe mit anderen Werkzeugen gearbeitet. Und wir hatten bei uns zu Hause viel bessere. Ihr macht hier eben alles anders.«

Anscheinend hatte er das Feuer zu heiß werden lassen; sein Hammer hatte überall hin getroffen, nur nicht dorthin, wo er sollte; er hatte den Stahl zunichte gemacht, weil er das Feuer nicht rechtzeitig löschte. Natürlich dauert es Jahre, bis man das Schmiedehandwerk erlernt hat, aber er hätte zugeben müssen, daß er überhaupt keine Ahnung davon hatte.

»Also, was kannst du dann tun, um dir dein Brot zu verdienen«, fuhr ich ihn an. Es verdroß mich, vor Hjalmar und Ketill als Narr dazustehen, weil ich ihnen schon von dem Fremden erzählt hatte.

»Odin allein weiß das«, sagte Grim. »Ich nahm ihn mit, um deinen Ziegen nachzujagen, und in meinem ganzen Leben habe ich keinen schlechteren Reiter gesehen. Ich fragte ihn, ob er wenigstens spinnen oder weben könne, und er verneinte es.«

»Das war keine Frage, die man einem Mann stellt!« fuhr Thorgunna auf. »Er hätte dich dafür erschlagen sollen!«

»Das hätte er in der Tat sollen«, lachte Grim. »Aber laß mich weiter erzählen. Ich dachte, wir könnten deine Brücke über den Graben reparieren. Nun – mit einer Säge kann er gerade noch ein wenig umgehen, aber mit dem Breitbeil hätte er sich fast den eigenen Fuß abgeschlagen.«

»Wir benutzen solche Handwerkzeuge überhaupt nicht bei uns, das habe ich euch doch schon gesagt!« Gerald ballte die Fäuste und war den Tränen nahe.

Ich wies meine Gäste an, Platz zu nehmen. »Schätze, du kannst auch kein Schwein schlachten und braten«, sagte ich zu ihm.

»Nein.« Ich konnte seine Stimme kaum vernehmen.

»Nun denn, Mann … was kannst du überhaupt?«

»Ich –« Er bekam kein Wort heraus.

»Du warst doch ein Krieger«, kam ihm Thorgunna zu Hilfe.

»Ja – das war ich!« stimmte er zu, und sein Gesicht leuchtete auf.

»Wenig nutze in Island, wenn du keine anderen Fähigkeiten hast«, brummte ich, »aber wenn du vielleicht eine Passage nach den Ostländern kriegst, nimmt dich dort ein König in seine Wache auf.« Im Stillen zweifelte ich daran; denn ein Wachmann muß Manieren haben, die seinem Meister Ehre machen; aber ich brachte es nicht übers Herz, das offen auszusprechen.

Ketill Hjalmarson mochte es ganz offensichtlich nicht, daß Thorgunna so dicht bei Gerald stand und sich für ihn einsetzte. Jetzt lächelte er höhnisch und sagte: »Ich zweifle sogar daran, ob du überhaupt kämpfen kannst.«

»Darin bin ich ausgebildet«, antwortete Gerald wütend.

»Willst du mit mir ringen?« fragte Ketill.

»Gern!« fauchte Gerald.

Was soll man sich da noch denken? Je älter ich werde, um so weniger finde ich das Leben so, wie du es siehst, Priester: wir sind alle irgendwie Grau in Grau. Dieser nutzlose Bursche, dieser geistlose Tölpel, den man sogar fragen konnte, ob er Weiberarbeit verrichtet, ohne daß er die Axt hob, ging mit Ketill Hjalmarson hinaus in den Hof und warf ihn dreimal wie spielend auf den Boden. Es war irgendein Trick dabei, wie er die Kleider packte, wenn Ketill gerade angreifen wollte … Ich machte dem Kampf ein Ende, als die Jungen in mörderische Rage gerieten, lobte sie beide und füllte die Bierhörner. Aber Ketill brütete den ganzen Abend mißmutig auf seiner Bank vor sich hin.

Gerald sagte etwas über eine Pistole, die er machen wollte. Es sollte eine größere werden, eine Kanone nannte er es, und sie sollte angeblich Schiffe versenken und ganze Heere auseinandersprengen. Er würde die Hilfe von Schmieden brauchen, und verschiedene andere Dinge. Holzkohle war leicht aufzutreiben, und Schwefel gab es in der Vulkangegend, aber was ist dieser Salpeter?

Da ich inzwischen schon ziemlich mißtrauisch geworden war, fragte ich ihn genau, wie er solch ein Ding machen wollte. Wußte er, wie man das Pulver mischen mußte? Nein, gab er zu. Wie groß würde die Pistole sein? Als er es mir sagte – wenigstens so lang wie ein ausgewachsener Mann –, lachte ich und fragte, wie solch ein großes Stück denn geschnitten oder gebohrt werden sollte, selbst wenn wir tatsächlich so viel Eisen zusammenkratzen könnten. Das wußte er auch nicht. »Ihr habt nicht die Werkzeuge, um die Werkzeuge, mit denen man Werkzeuge herstellt, zu machen«, sagte er. Ich weiß nicht, was er damit gemeint haben könnte. »Gott stehe mir bei. Ich kann nicht tausend Jahre Geschichte ganz allein und für mich durchgehen.«

Er zog den letzten seiner kleinen Rauchstäbe hervor und zündete ihn an. Helgi hatte früher schon einmal einen Zug probiert, wonach ihm schlecht geworden war, trotzdem blieb er ein Freund Geralds. Nun schlug mein Sohn vor, am nächsten Morgen ein Boot zu nehmen und hinauf nach Ice Fjord zu fahren, wo ich noch etwas Geld ausstehen hatte, das ich kassieren wollte. Hjalmar und Ketill boten sich an, uns zu begleiten, und Thorgunna bat mich so eindringlich, daß ich es ihr auch erlaubte.

»Eine üble Sache«, murmelte Sigurd.

»Jeder weiß, daß es Unglück bringt, wenn eine Frau mit auf dem Schiff fährt.«

»Wie hat dann dein Vater eine Frau mit auf unsere Insel geschafft?« grinste ich.

Jetzt wünsche ich, ich hätte auf ihn gehört. Er war kein sehr gescheiter Mann, aber manchmal wußte er, wovon er sprach.

 

Ich besaß zu dieser Zeit die Hälfte eines Schiffes, das nach Norwegen fuhr und dort Schafwollballen gegen Holz eintauschte. Das war ein ziemlich ertragreiches Geschäft, bis es den Wikingern in die Arme lief. Manche Leute würden alles tun, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – Diebe, Mörder, und man sollte sie hängen, diese wertlosen Räuber, die sich auf ehrbare Kaufleute stürzen. Wenn sie Mut hätten, gingen sie nach Irland, wo das Plündern und Rauben an der Tagesordnung ist.

Nun ja – das Schiff war unterwegs, aber wir hatten noch drei weitere Boote, von denen wir eines nahmen. Außer mir fuhren Thorgunna, Helgi, Hjalmar, Ketill, Grim und Gerald mit. Ich beobachtete, wie der Fremde vor dem kalten Wasser zurückzuckte, als wir das Boot ins Wasser schoben; hinterher zog er Schuhe und Strümpfe aus, um sich die Füße abzutrocknen. Er hatte sich über unser Badehaus gewundert – glaubte er etwa, wir seien Wilde? –, und er war empfindlich wie eine Frau und begab sich bald aus dem Bereich unserer Füße.

Es ging eine günstige Brise, und wir richteten den Mast auf und segelten. Gerald versuchte zu helfen, konnte aber die eine Leine nicht von der anderen unterscheiden und brachte sie bald völlig durcheinander. Grim schnauzte ihn an, und Ketill lachte höhnisch. Aber nicht lange, und wir waren auf dem Weg, und er setzte sich neben mich. Er hatte eine lange Zeit lang ausgestreckt dagelegen und nachgedacht, bevor er schüchtern zu sprechen wagte: »In meinem Land hat man … wird man eine Takelung und ein Ruder haben, die besser sind als diese hier. Mit ihnen kann man mit und gegen den Wind kreuzen.«

»Aha, unser geübter Segler muß uns Ratschläge erteilen!« spottete Ketill.

»Sei still«, fuhr ihn Thorgunna scharf an. »Laß Gerald sprechen.« Er lächelte sie verstohlen und dankbar an. Auch ich war neugierig, was er von sich geben würde. »Das ist etwas, was man leicht herstellen könnte«, sagte er. »Ich habe solche Boote schon selbst benutzt und kenne sie gut. Als erstes sollte das Segel nicht viereckig sein und von einer Rahnock hängen, sondern dreieckig, wobei die eine Ecke an eine Rah gebunden wird, die drehbar am Masten hängt. Außerdem ist euer Steuerruder am falschen Platz – in der Mitte des Hecks sollte ein Ruder sein, das von einer Stange geführt wird.« Er war jetzt eifrig bei der Sache und zeichnete alles mit dem Fingernagel auf Thorgunnas Umhang. »Mit diesen beiden Dingen und einem tiefen Kiel – so tief, wie etwa ein Mann groß ist, bei einem Boot dieser Größe – kann es gegen den Wind kreuzen … so. Und ein anderes Segel kann außerdem noch zwischen den Masten und den Bug gehängt werden.«

Ich muß schon sagen, Priester, die Idee hatte ihre Vorzüge. Und hätte ich keine Angst vor dem Unglück – denn alles von ihm brachte Unglück –, so würde ich selbst jetzt noch ein wenig damit experimentieren. Aber es sind doch gewisse Nachteile vorhanden, die ich ihm auf ganz logische Art klarmachte.

»Erstens einmal«, begann ich, »und das wäre ziemlich übel, könnte man unmöglich mit solch einem tiefen Kiel und Ruder das Schiff an Land ziehen oder einen flachen Fluß hinaufsegeln. Vielleicht gibt es dort, wo du herkommst, viele Häfen, aber hier muß ein Schiff überall anlegen und muß schnell wieder klargemacht werden können, falls ein Angriff zu befürchten ist. Zweitens wäre dieser Mast, wie du ihn beschreibst, sehr schwer abzubauen, wenn der Wind nachläßt und die Ruder heraus müssen. Drittens kann man ein Segel mit einem solchen Format nicht als Plane benutzen, wenn man auf See schlafen muß.«

»Das Schiff könnte Anker werfen und ihr könnt mit kleinen Booten an Land gehen«, antwortete er. »Auch könntet ihr Kajüten ins Schiff einbauen, um darin Schutz zu finden.«

»Die Kabinen würden den Rudern im Wege sein«, wandte ich ein, »außer die Schiffe wären hoffnungslos breit gebaut oder die Ruderer säßen unter Deck wie die Galeerensklaven von Miklagard; und freie Männer würden das nicht ertragen, so zu rudern.«

»Müßt ihr denn Ruder haben?« fragte er wie ein kleines Kind.

Gelächter erscholl. Selbst die Möwen, die über Steuerbord schwebten, schienen zu lächeln.

»Habt ihr dort, woher du kommst, immer Wind?« schnaubte Hjalmar. »Was geschieht, wenn man in eine Flaute gerät – tagelang, meine ich, und die Verpflegung wird knapp –«

»Ihr könntet ein Schiff bauen, das groß genug ist, um Verpflegung für viele Wochen aufzunehmen«, sagte Gerald.

»Wenn du reich bist wie ein König, könntest du das tun«, entgegnete Helgi. »Und ein Schiff, das hilflos bei ruhiger See daherschaukelt, würde von jedem Wikinger von hier bis Jomsborg überfallen werden. Und was die Sache betrifft, daß du das Schiff auf dem Wasser läßt, während du an Land ein Lager aufschlägst – was wolltest du dort als Schutz nehmen oder zur Verteidigung, falls du eingeschlossen wirst?«

Geralds Gesicht wurde immer länger. Sanft sagte Thorgunna zu ihm: »Manche Leute haben nicht den Mut, irgend etwas Neues auszuprobieren. Ich finde, daß es eine ausgezeichnete Idee ist.«

Er lächelte ihr müde zu und faßte Mut, über ein Mittel zu sprechen, mit dem man immer, selbst bei Nebel, den Norden finden konnte. Er sagte, daß es Steine gäbe, die immer nach Norden zeigten, wenn man sie an einen Faden hängt. Ich erwiderte ihm darauf freundlich, daß ich sehr daran interessiert sei, wenn er mir ein paar von diesen Steinen besorgen könnte. Oder wenn er wisse, wo es solche Steine gäbe, könnte ich einen Händler bitten, mir einen zu besorgen. Aber er wußte es nicht und verfiel in Schweigen. Ketill öffnete schon den Mund, um etwas von sich zu geben, als ihn ein so scharfer Blick Thorgunnas traf, daß er ihn sogleich wieder zumachte. Aber sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, daß er Gerald für einen Lügner hielt.

Der Wind drehte sich nach einer Weile gegen uns, so daß wir den Mast niederließen und uns an die Ruder setzten. Gerald war stark und auch hilfsbereit, aber ungeschickt; und seine Handflächen waren so zart, daß sie bald zu bluten begannen. Ich bot ihm eine Ruhepause an, aber er blieb störrisch bei der Arbeit.

Als ich ihn so beobachtete, wie er vor und zurückruckte, die Hände an den nassen und von seinem Blut rot gefärbten Rudern, dachte ich viel über ihn nach. Alles, was er bisher angepackt hatte, war falsch – das dachte ich mir damals, als ich die Zukunft noch nicht kannte –, und die Art, wie Thorgunna ihn anblickte, gefiel mir auch nicht. Er war nicht der richtige Mann für meine Tochter – ohne Land, ohne Geld und hilflos. Trotzdem konnte ich mir nicht verhehlen, daß ich ihn mochte. Ob nun seine Geschichten wahr waren oder nicht, ich hatte das Gefühl, daß er es ehrlich meinte. Und auf alle Fälle lag in seinem Erscheinen bei uns etwas Seltsames. Ich bemerkte die Schnitte, die er sich mit meinem Rasierer am Kinn zugezogen hatte; er hatte behauptet, er sei an diese Art des Rasierens nicht gewöhnt und ließe sich einen Bart wachsen. Ich begann mich zu fragen, wie ich mich wohl ausgemacht hätte, wenn ich in diesem verhexten Land seiner Träume gelandet wäre, für ewig von meiner Heimat getrennt. Vielleicht war es das, was Thorgunnas Herz so für ihn einnahm. Frauen sind seltsame Geschöpfe, Priester, und du, der du dich nicht um sie kümmerst und sie so sein läßt, wie sie nun mal sind, verstehst sie vielleicht genauso wenig wie ich, der mit einem halben Hundert in sechs verschiedenen Ländern geschlafen hat. Ich glaube, daß sie sich selbst nicht verstehen. Geburt, Leben und Tod, das sind die großen Mysterien, die niemand ergründen wird, und eine Frau steht ihnen näher als ein Mann.

Der schlechte Wind versteifte sich, die See unter den niedrigen schweren Wolken wurde grau und bewegt, und es sah für uns nicht gerade günstig aus. Bei Sonnenuntergang konnten wir nicht mehr rudern, und wir steuerten auf eine kleine unbewohnte Bucht zu, in der wir, so gut es auf dem Sand ging, ein Lager aufschlugen.

Wir hatten Feuerholz und Eingemachtes mitgenommen. Gerald erwies sich trotz seiner Trübsal als nützlich: seine kleinen Stäbchen zündeten die Flamme leichter als Feuerstein und Stahl. Thorgunna kochte das Essen. Das Boot schützte uns nicht gegen den heulenden Wind; ihr Umhang schlug wie ein Flügel, und ihr Haar flatterte wild über den züngelnden Flammen. Es war eine helle Nacht, der Himmel hatte die Farbe eines staubigen Blaus, und die See wirkte wie eine Metallplatte. Wir Männer duckten uns in unsere Umhänge, hielten die klammen Hände über das Feuer und sprachen nur wenig.

Ich fand, daß uns etwas Erheiterung guttun würde, und bot ein Faß meines besten und stärksten Biers an. Ein böser Gott ließ mich das tun, aber niemand entrinnt seinem Schicksal. Unsere Bäuche waren leer, als unsere Nasen in dem Schaum des reihumgehenden Krugs versanken, und das Bier stieg uns bald zu Kopf. Ich erinnere mich, das Totenlied von Ragnar Hairybreeks deklamiert zu haben, ohne einen besonderen Grund dafür angeben zu können.

Gerald taumelte und stürzte, und Thorgunna beugte sich über ihn. Ich sah, wie ihre Finger mit unendlicher Behutsamkeit sein Haar glätteten, aber Ketill Hjalmarson entging das auch nicht. »Gibt es in deinem Land keine Verse?« fragte er.

»Nicht so wie die euren«, antwortete er. »Wir singen anders als ihr. Ich wünschte, ich hätte meine Gitarre hier – das ist eine Art Harfe.«

»Aha, ein irischer Barde!« sagte Hjalmar Breitnase.

Ich erinnere mich komischerweise noch genau, wie Gerald lächelte und was er in seiner eigenen Sprache sagte, obgleich ich die Bedeutung nicht verstand: »Only on me mither’s side, begorra.« Ich nehme an, das war irgendeine Zauberei.

»Bitte, sing etwas für uns«, bat Thorgunna.

»Laß mich überlegen«, antwortete er. »Ich werde es in eure Sprache übersetzen müssen.« Nachdem er eine Weile in die stürmische Nacht gestarrt hatte, begann er zu singen.

Ich mochte die Melodie gern, ungefähr so:

Man sagt mir, daß du dieses Tal nun verläßt, ich werde deine leuchtenden Augen und dein süßes Lächeln vermissen.

Du wirst den Sonnenschein mit dir nehmen, der mein Leben hier so erhellt hat …

Mehr habe ich nicht behalten, außer, daß es nicht ganz anständig war.

Als er das Lied beendet hatte, gingen Hjalmar und Grim hinüber zum Feuer, um nach dem Fleisch zu sehen. In den Augen meiner Tochter standen Tränen. »Das war wunderschön«, sagte sie.

Ketill saß steif aufgerichtet da. Die Flammen erhellten sein Gesicht und verliehen ihm einen noch wilderen Ausdruck als sonst. Seine Stimme klang rauh: »Ja, jetzt wissen wir, was dieser Bursche kann: herumsitzen und hübsche Gesänge für die Mädchen machen. Halte ihn dir dafür, Ospak.«

Thorgunna wurde leichenblaß, und Helgis Hand fuhr zum Schwert. Geralds Gesicht verfinsterte sich, seine Zunge war belegt: »Das ist keine Art, mit mir zu reden. Nimm’s zurück!«

Ketill stand auf. »Nein«, sagte er. »Bei einem Faulpelz, der auf Kosten eines ehrlichen Landbesitzers lebt, entschuldige ich mich nicht.«

Er kochte vor Wut, aber er war noch vernünftig genug, die Beleidigung von meiner Familie auf Gerald allein zu legen. Andernfalls hätten sein Vater und er mit uns vier fertigwerden müssen. Mit geballten Fäusten stand Gerald auf und sagte: »Willst du beiseite kommen und das mit mir austragen?«

»Gern!« Ketill drehte sich um und ging ein paar Schritte am Strand entlang, nachdem er seinen Schild aus dem Boot geholt hatte. Gerald folgte ihm. Thorgunna ergriff mit bleichem Gesicht seine Axt.

»Willst du ohne Waffen gehen?« rief sie mit Angst in der Stimme.

Gerald blieb stehen und blickte sie verwundert an. »Das will ich nicht«, murmelte er. »Fäuste –«

Ketill stellte sich auf und zog das Schwert. »Zweifellos kämpft man in deinem Land wie die Sklaven miteinander«, spottete er. »Wenn du mich also um Entschuldigung bittest, werde ich die Sache auf sich beruhenlassen.«

Mit hängenden Schultern blieb Gerald stehen. Er starrte auf Thorgunna, als wäre er blind, als wolle er sie fragen, was er tun solle. Sie reichte ihm die Axt.

»Du willst also, daß ich ihn töte?« flüsterte er.

»Ja«, antwortete sie.

Da wußte ich, daß sie ihn liebte.

Helgi brachte ihm seinen Helm. Er setzte ihn auf, nahm die Axt und trat vor.

»Das ist eine böse Angelegenheit«, sagte Hjalmar zu mir. »Stehst du auf der Seite des Fremden, Ospak?«

»Nein«, antwortete ich. »Er ist kein Verwandter oder Blutsbruder von mir. Dieser Streit geht mich nichts an.«

»Das ist gut so«, sagte Hjalmar.

»Ich würde nicht gern mit dir kämpfen, mein Freund. Du warst mir immer ein guter Nachbar.«

Es war kein richtiger Kampf mit Regeln und festgesetzten Schlägen und Sieg beim ersten Blutstropfen. Bei den beiden ging es um Leben und Tod. Ketill stürmte mit dem gezückten Schwert vor. Gerald sprang zurück und schwang die Axt unbeholfen in der Luft. Sie prallte an Ketills Schild ab. Der Jüngling grinste und streifte mit seiner Waffe Geralds Bein. Blut sickerte durch die Hose.

Von Anfang an war es Mord. Gerald hatte nie zuvor eine Axt benutzt. Einmal schlug er sogar mit der flachen Seite. Er wäre schon beim ersten Stoß niedergestreckt worden, wenn Ketills Schwert nicht durch einen Stoß gegen seinen Helm stumpf geworden wäre. So, wie es jetzt stand, blutete er aus einem guten Dutzend Wunden.

»Hört auf!« schrie Thorgunna und rannte auf sie zu. Helgi hielt sie am Arm fest und zwang sie zum Stehen; sie wehrte sich so heftig, daß Grim ihm zu Hilfe eilen mußte. Auf dem Gesicht meines Sohnes zeichnete sich Kummer ab, aber Grim grinste böse.

Gerald drehte sich um, um zu sehen, was los war. Da sauste Ketills Schwert nieder und hieb in Geralds linke Hand. Er ließ die Axt fallen. Ketill knurrte und machte sich zum nächsten Schlag bereit. Da zog Gerald seine Pistole. Sie gab einen Blitz und einen bellenden Laut von sich. Ketill fiel nieder, zuckte noch einmal und lag dann regungslos da. Sein Unterkiefer war wie weggeblasen, und die Hälfte seines Kopfes war auch verschwunden.

Es folgte eine lange Stille.

Dann trat Hjalmar vor, sein Gesicht war unbeweglich. Er kniete sich nieder und drückte die Augen seines Sohnes zu, als ein Zeichen dafür, daß die Rache ihm gehörte. Als er wieder aufstand, sagte er: »Das war eine teuflische Tat. Dafür wirst du ausgestoßen und gesetzlos sein.«

»Das war keine Zauberei«, bemerkte Gerald tonlos. »Es war wie ein … ein Bogen. Ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte nur mit meinen Fäusten kämpfen.«

Ich stellte mich zwischen sie und sagte, daß das Thing über diese Sache entscheiden müßte und daß ich hoffte, Hjalmar würde von Gerald Schadenersatz annehmen.

»Aber ich habe ihn getötet, um mein eigenes Leben zu retten!« protestierte Gerald.

»Trotzdem, Vergeltung muß bezahlt werden, wenn Ketills Angehörige das akzeptieren«, erklärte ich. »Wegen der Waffe, denke ich, wird das doppelt so hoch sein, aber das muß das Thing entscheiden.«

Hjalmar hatte noch eine Menge Söhne, und Gerald gehörte keiner Familie an, deshalb glaubte ich, daß er zustimmen würde. Er aber lachte eisig und fragte, wo denn jemand, der nichts besaß, das Silber herkriegen sollte.

Mit ruhiger Miene trat Thorgunna vor und sagte, daß wir es für ihn bezahlen würden. Ich öffnete den Mund, aber als ich ihre Augen sah, nickte ich. »Ja, das werden wir«, stimmte ich zu. »Um den Frieden aufrechtzuerhalten.«

»Dann machst du diesen Streit zu deinem eigenen?« fragte Hjalmar. »Nein«, entgegnete ich. »Dieser Mann ist nicht von meinem Blut. Aber wenn ich ihm ein Geldgeschenk, mit dem er machen kann, was er will, überreiche, was ist dann dabei?«

Hjalmar lächelte. Um seine Augen zeichneten sich Kummerfalten ab, aber er blickte mich mit alter Freundschaft an.

»Schon bald könnte dieser Mann dein Schwiegersohn sein«, sagte er. »Ich kenne die Anzeichen dafür, Ospak. Dann wird er in der Tat zu deiner Familie gehören. Wenn du ihm jetzt hilfst, entscheidest du dich für seine Seite.«

»Na und?« fragte Helgi sanft.

»Ich schätze unsere Freundschaft hoch ein. Meine Söhne werden den Tod ihres Bruders nicht gut aufnehmen. Sie werden Rache fordern an Gerald Samsson, wenn auch nur um ihrer guten Namen willen, und so werden unsere beiden Häuser getrennt sein, und ein Totschlag wird dem anderen folgen. So ist es schon oft genug gewesen.« Hjalmar seufzte. »Ich möchte Frieden mit dir, Ospak, aber wenn du dich auf die Seite dieses Mörders stellst, muß es eben anders sein.«

Ich überlegte einen Augenblick, dachte an Helgi und an meine anderen Söhne. Ich dachte daran, wie ich jedesmal, wenn wir nach Treibholz Ausschau hielten, volle Kampfausrüstung tragen, und jedesmal, wenn wir zu Bett gingen, darauf gefaßt sein müßte, am nächsten Morgen von bewaffneten Männern eingeschlossen zu sein.

»Ja«, antwortete ich, »du hast recht, Hjalmar. Ich ziehe mein Angebot zurück. Dies soll eine Sache zwischen dir und ihm allein sein.«

Darauf drückten wir uns die Hände.

Thorgunna stieß einen kleinen Schrei aus und floh in Geralds Arme. Er hielt sie an sich gepreßt. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er langsam.

»Ich kann dich nicht länger bei mir behalten«, erklärte ich. »Aber vielleicht gibt dir irgendein Kleinbauer Unterkunft. Hjalmar ist ein aufrichtiger Mann, der dem Gesetz gehorcht. Er wird dir nichts zuleide tun, bis das Thing dich für gesetzlos erklärt hat. Das wird nicht vor Mitsommer sein. Vielleicht kannst du noch vorher ein Schiff kriegen und Island verlassen.«

»Ein nutzloser Mensch wie ich?« erwiderte er bitter.

Thorgunna riß sich los und schrie mich an, daß ich ein Feigling sei, ein Wortbrüchiger und noch vieles mehr. Ich ließ sie gewähren, dann legte ich ihr die Hände auf die Schultern.

»Es ist für das ganze Haus«, sagte ich. »Das Haus und das Blut, beide sind heilig. Männer sterben, und Frauen weinen, aber unsere Nachkommen werden unsere Namen im Gedächtnis haben. Willst du fordern, daß Männer nur deines Verlangens wegen sterben?«

Lange stand sie schweigend da, und bis heute weiß ich ihre Antwort nicht. Gerald kam ihr damit zuvor. »Nein«, sagte er. »Ich glaube, du hast recht, Ospak … das Recht deiner Zeit, die nicht die meine ist.« Er ergriff erst meine und dann Helgis Hand. Seine Lippen streiften Thorgunnas Wange. Dann drehte er sich um und wanderte hinaus in die Dunkelheit.

Später hörte ich, daß er Thorvald Hallsson die Felder bestellen half, Thorvald lebte in Humpback Fell. Aber Gerald erzählte seinem Gastgeber nicht, was geschehen war. Er hatte wohl gehofft, daß es nicht herauskäme, bis er mit einem Schiff nach Ostland fliehen konnte. Aber natürlich sprach sich die Geschichte herum. Ich erinnere mich an sein Märchen, daß in den Vereinigten Staaten die Menschen Mittel hätten, von einem Ende des Landes bis zum anderen direkt zu sprechen. Er muß auf uns herabgeblickt haben, wie wir auf unseren einsamen Höfen sitzen und nicht wissen, wie wir einen Freund benachrichtigen sollen. Thorvalds Sohn Hrolf kam nach Brand-sealskin-boots, um irgendeine Angelegenheit zu regeln, dabei erwähnte er den Fremden, und bald darauf hatte sich die Geschichte auf der ganzen westlichen Insel herumgesprochen.

Wenn Gerald gewußt hätte, daß er bei dem ersten Hof, den er fand, kundtun mußte, daß er jemanden getötet hatte, wäre er wenigstens bis zum Treffen des Things sicher gewesen, denn Hjalmar und seine Söhne sind beherrschte Männer, die niemanden, der noch unter dem Schutz des Gesetzes steht, töten würden. Aber so, wie die Dinge lagen, hatte er die Sache geheimgehalten und war ein Mörder, und daher auch gesetzlos. Hjalmar und seine Leute ritten hinauf nach Humpback Fell und stürzten sich auf ihn. Er schoß sich mit seiner Pistole einen Weg an ihnen vorbei in die Hügel. Sie folgten ihm, denn nun hatten sie für einen weiteren Toten an ihm Rache zu nehmen. Ich frage mich manchmal, ob Gerald dachte, seine Waffe könnte uns einschüchtern. Er mag nicht gewußt haben, daß jeder Mann stirbt, wenn seine Zeit gekommen ist, weder früher noch später, so daß die Furcht vor dem Tode sinnlos ist. Am Ende, als sie ihn eingezingelt hatten, ließ ihn seine Waffe im Stich. Da ergriff er das Schwert eines Toten und verteidigte sich so tapfer, daß Ulf Hjalmarson seit dem Tage hinkt. Er schlug sich aufs beste, das gaben selbst seine Gegner zu. Die Männer von den Vereinigten Staaten mögen zwar etwas seltsam sein, aber sie besitzen Männlichkeit und Mut.

Als er endlich erschlagen war, wurde sein Körper mit zurückgebracht. Aus Furcht vor Geistern wurde er verbrannt und all das, was ihm gehörte, zu ihm ins Feuer gelegt. Auf diese Art habe ich auch mein Messer verloren, das er mir gegeben hatte. Das Hünengrab erhebt sich aus dem Moor, nördlich von hier; die Leute meiden es, obgleich der Geist nicht umgegangen ist. Nun, da so viele andere Dinge passieren, gerät er allmählich in Vergessenheit.

Und das ist die Geschichte, Priester, so wie ich sie miterlebt und gehört habe. Die meisten denken, Gerald Samsson war verrückt, aber ich persönlich glaube, daß er aus einer anderen Zeit gekommen ist. Es war sein Verhängnis, daß niemand ein Feld vor der Erntezeit zum Reifen bringen kann. Und doch schaue ich in die Zukunft, tausend Jahre von heute an, wenn sie durch die Lüfte fliegen und in Wagen ohne Pferde fahren und ganze Städte mit einem Blitzschlag zerstören. Ich stelle mir dies Island in jener Zeit vor und die jungen Männer von den Vereinigten Staaten, die hierher gekommen sind, um uns in einem Jahr, in dem das Ende der Welt ganz nahe über uns schwebt, beizustehen. Vielleicht werden manche von ihnen, die über die Heide wandern, jenes Hünengrab entdecken und sich fragen, welch uralter Krieger dort wohl begraben liegt.

Und vielleicht wünschen sie sich sogar, wie er, vor langer, langer Zeit, als die Menschen noch frei waren, gelebt zu haben.