Robert Sheckley
Der Kontorist

 

 

Herr Dee saß in seinem großen Lehnstuhl; er hatte den Gürtel seiner Hose gelockert; zu seinen Füßen lagen die einzelnen Blätter der Abendzeitung verstreut. Gemütlich rauchte er seine Pfeife und war mit sich und der Welt zufrieden. Er hatte heute schon zwei Amulette und einen Liebestrank verkauft; seine Frau wirtschaftete in der Küche herum, wo sie ein köstliches Mahl zubereitete; und seine Pfeife zog vorzüglich. Voller Wohlbehagen seufzte Herr Dee, gähnte herzhaft und räkelte sich.

Morton, sein neunjähriger Sohn, schleppte eilig einen Stoß Bücher durchs Wohnzimmer.

»Wie war’s in der Schule?« fragte Herr Dee.

»Alles in Ordnung«, antwortete der Junge, ohne stehenzubleiben.

»Was hast du denn da?« fragte Herr Dee und deutete auf die Bücher.

»Nur ein paar Sachen über Buchführung«, sagte Morton, ohne seinen Vater anzusehen. Er eilte in sein Zimmer.

Herr Dee schüttelte den Kopf. Irgendwie war der Junge auf den Einfall gekommen, Kontorist zu werden. Ein Kontorist! Gewiß, Morton war schnell im Rechnen; trotzdem mußte er diese unsinnige Idee aufgeben. Für ihn gab es Größeres zu tun.

Die Türglocke schlug an.

Herr Dee machte seinen Gürtel zu, stopfte hastig das Hemd in die Hose und öffnete die Haustür.

Draußen stand Fräulein Greeb, Mortons Lehrerin.

»Kommen Sie herein, Fräulein Greeb«, sagte Dee. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Ich habe nicht viel Zeit«, antwortete Fräulein Greeb. Sie blieb unter der Tür stehen und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Mit ihren grauen, unordentlichen Haaren, ihrem schmalen Gesicht mit der langen Nase und den geröteten, triefenden Augen sah sie genau wie eine Hexe aus. Und das mußte auch so sein, denn Fräulein Greeb war eine Hexe.

»Ich möchte mit Ihnen über Ihren Sohn sprechen«, sagte sie.

In diesem Augenblick kam Frau Dee aus der Küche.

»Ich hoffe, er ist nicht ungezogen gewesen«, meinte sie ängstlich.

Fräulein Greeb rümpfte unheilvoll die Nase. »Heute habe ich die jährliche Prüfung abgehalten. Ihr Sohn versagte kläglich.«

»O je«, klagte Frau Dee. »Es ist Frühling. Vielleicht –«

»Der Frühling hat nichts damit zu tun«, sagte Fräulein Greeb. »Vorige Woche gab ich die Größeren Zaubersprüche von Cordus auf, Teil eins. Sie wissen doch, wie leicht sie sind. Er lernte nicht einen einzigen.«

»Hm«, machte Herr Dee.

»In Biologie hat er nicht die geringste Ahnung, welches die grundlegensten Zauberkräuter sind. Aber auch nicht die geringste!«

»Das ist nicht zu glauben«, sagte Herr Dee.

Fräulein Greeb lachte bitter. »Außerdem hat er das ganze Geheimalphabet vergessen, das er in Klasse drei gelernt hat. Er hat die Schutzformel vergessen, und auch die Namen der 99 unbedeutenderen Teufelchen des Dritten Kreises; er hat vergessen, was er je über die Geographie der Größeren Hölle gewußt hat. Und was noch dazu kommt: er will nicht lernen.«

Schweigend sahen Herr und Frau Dee einander an. Die Sache war wirklich sehr ernst. Eine gewisse jungenhafte Unaufmerksamkeit war zu akzeptieren, ja sogar zu unterstützen, denn sie deutete auf eine lebhafte Phantasie hin. Aber ein Kind mußte die Grundlagen lernen, wenn es jemals ein vollflügger Hexenmeister werden wollte.

»Ich sage es Ihnen ganz offen«, empörte sich Fräulein Greeb, »wenn mir so was früher passiert wäre, hätte ich ihn ohne langes Überlegen ausgestoßen. Aber wir sind nur noch so wenige.«

Herr Dee nickte traurig. Die Zauberei war immer mehr aus der Mode gekommen. Die alten Familien starben aus, fielen dämonischen Kräften zum Opfer oder wurden Wissenschaftler. Und die wankelmütige Öffentlichkeit zeigte absolut kein Interesse an dem Charme und dem Zauber alter Zeiten.

Heutzutage beherrschte nur noch eine Handvoll in alle Winde verstreuter Leute die Alte Lehre. Sie hüteten sie und ließen sie den Kindern von Hexenmeistern an Privatschulen beibringen – wie auf jener von Fräulein Greeb. Es war ein Erbe, ein geheiligtes Gut.

»Schuld daran ist dieser Unsinn mit der Buchführung«, beklagte sich Fräulein Greeb. »Ich möchte nur wissen, woher er die Idee hat.« Anschuldigend blickte sie Dee an. »Und ich verstehe auch nicht, warum sie nicht schon im Keim erstickt wurde.«

Herr Dee fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg.

»Aber eins weiß ich sicher. Solange Morton das noch im Kopf hat, kann er sich nicht voll und ganz der Thaumaturgie widmen.«

Herr Dee senkte den Kopf unter dem Blick der roten Hexenaugen. Es war seine Schuld. Er hätte niemals diese Spielzeug-Rechenmaschine mit nach Hause bringen sollen. Und als er das erste Mal beobachtete, daß Morton doppelte Buchführung spielte, hätte er das Hauptbuch verbrennen sollen.

Aber woher hätte er wissen sollen, daß es zu einer derartigen Besessenheit ausartet?

Frau Dee glättete ihre Schürze und sagte: »Fräulein Greeb, Sie wissen, daß Sie unser vollstes Vertrauen haben. Was würden Sie vorschlagen?«

»Ich habe getan, was in meiner Kraft steht«, antwortete Fräulein Greeb. »Das einzige, was noch bliebe, ist, Boarbas, den Dämon der Kinder, auf den Plan zu rufen. Und das liegt natürlich bei Ihnen.«

»Oh, ich glaube nicht, daß es so schlimm ist«, beeilte sich Herr Dee einzuwerfen. »Boarbas herbeizuzitieren, ist ein sehr ernster Schritt.«

»Wie gesagt, das ist Ihre Sache«, sagte Fräulein Greeb. »Tun Sie’s oder tun Sie’s auch nicht, ganz nach Ihrem Ermessen. Wie aber die Dinge jetzt stehen, wird Ihr Sohn niemals ein Hexenmeister.« Sie drehte sich um und wollte gehen.

»Möchten Sie nicht zum Tee bleiben?« fragte Frau Dee hastig.

»Nein. Ich muß zu einem Hexentreffen nach Cincinatti«, antwortete Fräulein Greeb und verschwand in einer orangefarbenen Rauchwolke.

Herr Dee fächelte mit den Händen den Rauch fort und schloß die Tür.

»Puh«, brummte er. »Man könnte meinen, sie benutzt parfümierten Rauch.«

»Sie ist altmodisch«, stellte Frau Dee fest.

Schweigend standen sie neben der Tür. Erst jetzt wurde Herrn Dee das eben Gehörte klar. Es fiel ihm schwer, zu glauben, daß sein Sohn, sein eigenes Fleisch und Blut, die Familientradition nicht fortführen wollte. Das konnte einfach nicht wahr sein!

»Nach dem Essen«, sagte er schließlich, »werde ich mich mal ernsthaft mit ihm unterhalten. Ich bin sicher, daß wir keiner dämonischen Einmischung bedürfen.«

»Gut«, antwortete Frau Dee. »Ich bin fest davon überzeugt, daß du es dem Jungen verständlich machen kannst.«

Sie lächelte, und Dee erhaschte einen Funken des alten Hexenlichts in ihren Augen.

»Mein Braten!« entfuhr es Frau Dee, das Hexenlicht verlosch. Eilig lief sie zurück in die Küche.

Das Essen verlief schweigend. Morton wußte, daß Fräulein Greeb dagewesen war. Voller Schuldgefühle stocherte er auf seinem Teller herum, nur ab und zu warf er seinem Vater einen verstohlenen Blick zu.

Herr Dee zerlegte den Braten und teilte ihn aus. Seine Stirn war in drohende Falten gelegt. Frau Dee wagte es nicht, über belanglose Dinge zu sprechen.

Nachdem er sein Dessert verschlungen hatte, eilte der Junge in sein Zimmer.

»Jetzt werden wir ja sehen«, sagte Herr Dee zu seiner Frau. Er trank seinen Kaffee aus, wischte sich die Lippen und stand auf. »Ich werde mich jetzt gleich mit ihm unterhalten. Wo ist mein Überzeugungs-Amulett?«

Frau Dee dachte einen Augenblick angestrengt nach. Dann ging sie zum Bücherregal. »Hier.« Sie zog es aus einem bunt eingebundenen Buch. »Ich habe es als Lesezeichen benutzt.«

Herr Dee steckte das Amulett ein, holte tief Luft und betrat das Zimmer seines Sohnes.

Morton saß an seinem Arbeitstisch. Vor ihm lag ein Notizbuch, das mit Zahlen und winzigen präzisen Zeichen vollgekritzelt war.

Auf der Tischplatte waren sechs sorgfältig gespitzte Bleistifte aufgereiht, ein Radiergummi, ein Abakus und eine Spielzeug-Rechenmaschine. Seine Bücher hingen unordentlich über den Tischrand; unter ihnen befanden sich Geld von Rimraamer, Praktische Einführung in die Kontokorrentbuchführung der Banken von Johnson und Calhoun, und viele andere.

Herr Dee schob ein Kleiderbündel beiseite und machte es sich auf dem Bett bequem. »Wie kommst du voran, mein Sohn?« fragte er in freundlichem Ton.

»Prima, Vater!« antwortete Morton eifrig. »Ich bin schon bei Kapitel vier in der einfachen Buchführung. Und ich habe schon alle Antworten –«

»Mein Junge«, unterbrach ihn Dee leise, »und wie steht’s mit deinen normalen Hausaufgaben?«

Morton blickte unsicher drein und scharrte mit den Füßen.

»Du weißt, daß nicht viele Jungens die Chance haben, heutzutage noch Hexenmeister zu werden.«

»Ja, natürlich, weiß ich.« Dann blickte er ihn fest an und sagte mit hoher Stimme: »Aber, Vater, ich möchte doch Kontorist werden. Wirklich, Vater!«

Herr Dee schüttelte den Kopf. »Morton, in meiner Familie hat es immer einen Hexenmeister gegeben. Achtzehnhundert Jahre lang sind die Dees in den übernatürlichen Kreisen berühmt gewesen.« Morton ließ den Blick aus dem Fenster schweifen und rückte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

»Du willst mich doch nicht enttäuschen, mein Sohn?« Dee lächelte traurig. »Jeder kann Kontorist werden, weißt du. Aber nur wenige Auserwählte beherrschen die Schwarzen Künste.«

Morton wandte sich wieder dem Vater zu. Er ergriff einen Bleistift, untersuchte die Spitze und drehte ihn langsam zwischen den Fingern.

»Na, mein Sohn, was hast du mir darauf zu sagen? Willst du nicht lieber etwas mehr für Fräulein Greeb arbeiten?«

Morton schüttelte den Kopf. »Ich will Kontorist werden.«

Herr Dee konnte seinen Ärger nur schwer unterdrücken. Was war mit dem Amulett der Überzeugung los? Sollte der Zauber nachgelassen haben? Er hätte es neu aufladen sollen. Trotzdem sprach er weiter.

»Morton«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich bin nur ein Meister dritten Grades. Meine Eltern waren sehr arm. Sie konnten mich nicht auf die Universität schicken.«

»Ich weiß«, flüsterte der Junge.

»Ich wünsche dir all die Dinge, die ich selbst nie besessen habe. Morton, du kannst ein Meister ersten Grades werden.« Nachdenklich schüttelte er den Kopf. »Es wird nicht leicht sein. Aber deine Mutter und ich haben ein bißchen beiseite gelegt, und irgendwie werden wir den Rest schon zusammenkratzen.«

Morton biß sich auf die Lippen und spielte nervös mit dem Bleistift.

»Na, was hältst du davon, mein Sohn? Als ein Meister ersten Grades brauchst du doch nicht in einem Laden zu arbeiten! Du kannst ein direkter Agent des Schwarzen werden. Ein direkter Agent! Was sagst du dazu, Junge?«

Einen Augenblick lang glaubte Dee, sein Sohn sei gerührt. Seine Lippen hatten sich leicht geöffnet, und seine Augen strahlten verdächtig. Aber dann blickte er auf seine Buchführungsbücher, seinen kleinen Abakus, seine Spielzeug-Rechenmaschine.

»Ich werde ein Kontorist«, sagte er.

»Das werden wir ja sehen!« schrie Herr Dee aufgebracht. »Du wirst kein Kontorist werden, junger Mann. Du wirst ein Hexenmeister werden. Das war gut genug für deine ganze Familie, und es wird auch, bei allem, was verdämmenswert ist, für dich gut genug sein. Das letzte Wort in dieser Sadie ist noch nicht gesprochen, junger Mann.« Und er stürzte davon.

Sofort widmete sich Morton wieder seiner Buchführung.

 

Schweigend saßen Herr und Frau Dee nebeneinander auf dem Sofa.

Frau Dee knüpfte an einem Luftseil, aber ihre Gedanken waren nicht bei der Arbeit. Herr Dee starrte verdrossen auf einen verschlissenen Fleck auf dem Wohnzimmerteppich.

Endlich sagte Dee: »Ich habe ihn verzogen. Boarbas ist die einzige Lösung.«

»O nein«, erwiderte Frau Dee hastig. »Er ist noch so jung.«

»Willst du, daß dein Sohn ein Kontorist wird?« fragte Herr Dee verbittert. »Willst du, daß er sein Leben lang Zahlen schmiert, anstatt die wichtige Arbeit des Schwarzen zu verrichten?«

»Natürlich nicht«, gestand Frau Dee. »Aber Boarbas –«

»Ich weiß. Ich komme mir selbst schon wie ein Mörder vor.«

Eine Zeitlang dachten sie beide nach. Dann sagte Frau Dee: »Vielleicht kann sein Großvater etwas tun. Er mochte den Jungen immer sehr gern.«

»Vielleicht hast du recht«, antwortete Herr Dee nachdenklich. »Aber ich weiß nicht, ob wir ihn stören sollten. Schließlich ist der alte Herr nun schon seit drei Jahren tot.«

»Ich weiß.« Frau Dee entwirrte einen falschen Knoten in ihrem Luftseil. »Aber entweder er oder Boarbas.«

Herr Dee stimmte ihr zu. Wie störend es auch für Mortons Großvater sein mochte, Boarbas war unendlich viel schlimmer. Sofort traf Dee die Vorbereitungen, seinen toten Vater heraufzubeschwören.

Er holte das Bilsenkraut hervor, das Einhorn-Horn, den Schierling und ein Stückchen Drachenzahn. Das alles legte er auf den Teppich.

»Wo ist mein Zauberstab?« fragte er seine Frau.

»Ich habe ihn zu deinen Golfschlägern gelegt«, antwortete sie ihm nach kurzem Nachdenken.

Herr Dee holte seinen Zauberstab und schwenkte ihn über den Zutaten. Er murmelte die drei Worte des Losbindens und rief seines Vaters Namen.

Augenblicklich stieg vom Teppich leichter Rauch auf.

»Hallo, Großvater Dee«, sagte Frau Dee.

»Vater, es tut mir leid, dich zu stören«, sagte Herr Dee. »Aber mein Sohn – dein Enkel – weigert sich, ein Hexenmeister zu werden. Er will ein – Kontorist werden.«

Die Rauchfahne erzitterte, glättete sich dann wieder und beschrieb ein Schriftzeichen der Alten Sprache.

»Ja«, sagte Herr Dee. »Überzeugung haben wir schon probiert. Der Junge ist steinhart.«

Wieder zitterte der Rauch und formte dann ein anderes Zeichen.

»Schätze, das wird das Beste sein«, sagte Herr Dee. »Wenn du ihn bis ins Innerste erschreckst, wird er seinen Kontoristen-Unfug ein für allemal vergessen. Es ist vielleicht grausam – aber immerhin nicht so schlimm wie Boarbas.«

Die Rauchfahne nickte und strömte auf das Zimmer des Jungen zu.

Herr und Frau Dee setzten sich auf das Sofa.

Mortons Zimmertür sprang auf, als schlüge ein kräftiger Wind dagegen. Morton blickte auf, runzelte die Stirn und widmete sich wieder seinen Büchern.

Die Rauchfahne verwandelte sich in einen geflügelten Löwen mit einer Haifischflosse. Er brüllte gräßlich, duckte sich, knurrte und setzte zum Sprung an.

Morton warf ihm einen kurzen Blick zu, hob die Augenbrauen und fuhr fort, eine Zahlenreihe zu notieren.

Der Löwe verwandelte sich in eine dreiköpfige Eidechse, deren Flanken schrecklich nach Blut rochen.

Feuerspeiend näherte sie sich dem Jungen.

Morton zählte die Zahlenreihe fertig zusammen, überprüfte das Ergebnis an seinem Abakus und sah die Eidechse an.

Mit einem Schrei verwandelte sich die Eidechse in eine ungeheure, kreischende Fledermaus und flatterte um den Kopf des Jungen.

Morton grinste und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Büchern zu.

Herr Dee konnte es nicht länger ertragen. »Verdammt«, schimpfte er, »hast du denn keine Angst?«

»Warum sollte ich?« fragte Morton. »Es ist doch nur Großvater.«

Bei diesen Worten löste sich die Fledermaus in eine Rauchfahne auf.

Traurig nickte sie Herrn Dee zu, verbeugte sich vor Frau Dee und verschwand.

»Servus, Großvater«, rief Morton. Dann stand er auf und machte die Tür zu.

»Jetzt ist’s aber genug«, sagte Herr Dee. »Der Junge ist zu selbstsicher. Wir müssen Boarbas herbeirufen.«

»Nein!« sagte seine Frau.

»Was sollen wir denn sonst tun?«

»Ich weiß es nicht.« Frau Dee war den Tränen nahe. »Aber du weißt doch, was Boarbas den Kindern antut. Sie sind nie mehr die gleichen hinterher.«

Herrn Dees Gesicht war hart wie Granit. »Ich weiß. Aber es ist nicht zu ändern.«

»Er ist noch so jung!« klagte Frau Dee. »Es – es wird traumatisch sein für ihn!«

»Dann werden wir alle Mittel der modernen Psychologie anwenden, um ihn zu heilen«, beruhigte sie Herr Dee. »Die besten und teuersten Psychoanalytiker werden sich seiner annehmen. Aber der Junge muß ein Hexenmeister werden!«

»Also gut«, gab Frau Dee weinend nach. »Aber verlange nicht von mir, daß ich dir helfe.«

Typisch Frau, dachte Dee. Wenn es Ernst wird, werden sie weich. Schweren Herzens traf er die Vorbereitungen, um Boarbas, den Dämon der Kinder, herbeizurufen.

Zuerst kam der verzwickte Entwurf des Fünfecks mit dem zwölfzackigen Stern darin, und dahinein wieder die endlose Spirale. Dann die Kräuter und Essenzen; kostspielige Zutaten, aber für das Zauberstück unbedingt notwendig. Dann kam das Einschreiben der Schutzformel, damit Boarbas nicht ausbrechen und sie alle vernichten konnte. Und dann kamen die drei Tropfen Flußpferdblut –

»Wo ist mein Flußpferdblut?« fragte Herr Dee und wühlte in der Schublade des Wohnzimmerschranks.

»In der Küche, in der Aspirinflasche«, sagte Frau Dee, sich die Augen wischend.

Dee fand es, und dann war alles bereit. Er entzündete die schwarzen Kerzen und sang den Spruch.

Der Raum war plötzlich sehr warm. »Morton«, rief Herr Dee. »Komm einmal her.«

Morton öffnete die Tür und trat ins Zimmer. Mit der einen Hand umklammerte er fest eines seiner Kontenbücher; er sah sehr jung und schutzlos aus.

»Morton, ich bin eben dabei, den Dämon der Kinder herbeizurufen. Laß es nicht dazu kommen, Morton!«

Der Junge erblaßte und lehnte sich gegen die Tür. Aber er schüttelte eigensinnig den Kopf.

»Also gut«, sagte Herr Dee. »BOARBAS

Mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag und einer Hitzewelle erschien Boarbas – er war so hoch wie das Zimmer und kicherte bös.

»Ah!« schrie Boarbas mit einer Stimme, die den Raum erzittern ließ. »Ein kleiner Junge.«

Morton starrte ihn mit offenem Mund an.

»Ein ungezogener, kleiner Junge«, sagte Boarbas und lachte. Der Dämon ging auf Morton zu, bei jedem Schritt drohte das Haus einzustürzen.

»Schick ihn weg!« rief Frau Dee.

»Ich kann nicht«, antwortete Dee mit leiser Stimme. »Ich kann nichts tun, bis er fertig ist.«

Die großen hornigen Hände des Dämon griffen nach Morton; aber blitzschnell öffnete der Junge das Kontenbuch. »Rette mich!« schrie er.

In diesem Augenblick erschien ein großer, schrecklich dünner alter Mann, über und über mit stumpfen Schreibfedern und Kontenblättern bedeckt, seine Augen waren zwei leere Nullen.

»Zicke, zacke, hoi!« sang Boarbas und drehte sich um, um den Neuankömmling zu packen. Aber der dünne alte Mann lachte und sagte: »Ein Vertrag einer Körperschaft, der ultra vires ist, ist nicht nur aufhebbar, sondern völlig ungültig.« Bei diesen Worten wurde Boarbas zurückgestoßen, beim Fallen zerbrach er einen Stuhl. Er rappelte sich wieder hoch, seine Haut glühte feuerrot vor Wut, und er sprach klar und deutlich den dämonischen Meister-Spruch: VRAT, HAT, HO

Aber der dünne alte Mann schützte Morton mit seinem Körper und rief die Worte der Auflösung. »Ablauf, Aufhebung, Vorkommen, Ergebung, Aufgabe und Tod!«

Boarbas kreischte vor Schmerzen. Hastig zog er sich zurück, wobei er in der Luft herumfummelte, um die Öffnung zu finden. Er sprang hindurch und war verschwunden.

Der große, dünne, alte Mann wandte sich zu Herrn und Frau Dee, die in einer Ecke des Wohnzimmers kauerten, und sagte: »Wißt, daß Ich DER KONTORIST bin. Und nehmt zur Kenntnis, daß dieses Kind mit Mir einen Vertrag geschlossen hat, in meine Lehre und Dienste zu treten. Und als Gegenleistung für diese Dienste lehre Ich, DER KONTOrIST, ihn die Verdammung von Seelen – sie werden in einem verfluchten Netz von Zahlen, Formeln, Unrecht und Repressalien gefangen.

Und seht hier: Dies ist Mein Zeichen auf ihm!«

Der Kontorist hob Mortons rechten Arm und deutete auf den Tintenklecks am Mittelfinger.

Dann wandte er sich Morton zu und sagte mit sanfter Stimme:

»Morgen, mein Junge, werden wir uns mit einigen Gesichtspunkten der Einkommensteuer-Hinterziehung als ein Weg zur Verdammung beschäftigen.«

»Jawohl, Sir«, nickte Morton eifrig.

Und mit einem scharfen Blick auf die Dees verschwand DER KONTOrIST.

Sekundenlang herrschte Schweigen im Zimmer. Dann suchte Dee die Augen seiner Frau.

»Also, gut«, sagte Dee, »wenn der Junge so sehr darauf versessen ist, ein Kontorist zu werden, dann will ich ihm ganz gewiß nicht im Wege stehen.«