Alfred Bester
Geliebtes Fahrenheit

 

 

Er weiß nicht, welcher von uns beiden ich in diesen Tagen bin, aber es gibt einen Spruch: Du brauchst nichts – nur dich selbst. Du mußt dein eigenes Leben aufbauen, dein eigenes Leben leben und deinen eigenen Tod sterben … sonst stirbst du den eines anderen.

Die Reisfelder auf Paragon III erstrecken sich wie ein Schachbrett über Hunderte von Meilen, ein Mosaik aus Blau und Braun unter einem flammenden Himmel aus Orange. Am Abend ziehen die Wolken wie Rauch darüber, und die Reishülsen wispern …

Es war an dem Abend, an dem wir von Paragon III geflohen waren. Eine lange Reihe Männer schritt über die Felder. Sie schwiegen, waren bewaffnet und sehr aufmerksam: eine lange Kette von Silhouetten, die sich dunkel gegen den rauchenden Himmel abhoben. Jeder trug ein Gewehr. Jeder hatte ein Sprechfunkgerät umgehängt, den Hörer im Ohr befestigt, das Mikrophon dicht unter dem Mund; der schimmernde Sichtschirm am Handgelenk leuchtete wie eine grünäugige Uhr. Jedes Bild zeigte nur eine Menge verschiedener Pfade durch den Reis. Die Lautsprecher gaben keinen Laut von sich, außer dem Geräusch von Schritten. Ab und zu sprachen die Männer mit rauhen Stimme, alle zu allen.

»Nichts hier.«

»Was heißt hier?«

»Auf Jensons Feldern.«

»Ihr kommt zu weit nach Westen.«

»Schließt euch dort etwas dichter zusammen.« – »Ist jemand bei Grimsons Reisfeld?«

»Ja. Nichts.«

»So weit hätte sie nicht laufen können.«

»Könnte getragen worden sein.«

»Ob sie noch lebt?«

»Warum nicht?«

Die Worte wiederholten sich die lange Kette der Treiber entlang, die sich gegen den Sonnenuntergang hin fortbewegte. Diese Kette war wie eine kriechende Schlange und hielt nie in ihrer unbarmherzigen Bewegung inne. Einhundert Mann mit jeweils fünfzehn Metern Abstand. Eineinhalb Kilometer unheilvoller Suche. Der Abend sank herab. Jeder der Männer entzündete seine Suchlampe. Die kriechende Schlange verwandelte sich in eine Kette schwankender Diamanten.

»Alles klar hier. Nichts.«

»Auch hier nichts.«

»Und die Allen-Felder?«

»Sind gerade dabei.«

»Ob wir sie verpaßt haben?«

»Vielleicht.«

»Wir werden umkehren und nachprüfen.«

»Das würde die ganze Nacht dauern.«

»Allen-Felder klar.«

»Verdammt! Wir müssen sie finden!«

»Wir werden sie finden.«

»Hier ist sie. Sektor sieben. Schaltet euch ein.«

Die Kette blieb stehen. Die Diamanten erstarrten in der Hitze. Schweigen. Jeder der Männer starrte auf den glühenden Sichtschirm an seinem Handgelenk, der auf Sektor sieben eingestellt war. Alle auf diesen einen Punkt. Alle zeigten einen kleinen nackten Körper, der in dem schmutzigen Wasser eines Reisfeldes trieb. Neben dem Körper ragte ein Schild mit dem Namen des Besitzers aus dem Boden: VANDALEUR. Die Enden der Reihe liefen auf das Vandaleur-Feld zu. Die Kette wurde zu einem Sternengewimmel. Einhundert Männer drängten sich um einen kleinen nackten Körper, ein totes Kind in einem Reisfeld. In seinem Mund war kein Wasser. An seiner Kehle zeichneten sich Fingerabdrücke ab. Sein Gesicht war zerschlagen. Der Körper mißhandelt.

»Wenigstens drei bis vier Stunden tot.«

»Ihr Mund ist trocken.«

»Sie wurde nicht ertränkt. Zu Tode geschlagen.«

In der dunklen Abendhitze fluchten die Männer vor sich hin. Sie hoben den Körper auf. Einer wies auf die Fingernägel. Sie hatte mit ihrem Mörder gekämpft. Unter den Nägeln saßen Hautfetzen und heiles Blut, noch flüssig.

»Dieses Blut müßte eigentlich schon geronnen sein.«

»Komisch.«

»Gar nicht so komisch. Was für Blut gerinnt denn nicht?«

»Androiden.«

»Sieht so aus, als wäre sie von einem getötet worden.«

»Vandaleur besitzt einen Androiden.«

»Aber das ist doch nicht möglich!«

»Das ist aber Androidenblut unter ihren Nägeln.«

»Das untersucht am besten die Polizei.«

»Die Polizei wird mir recht geben.«

»Aber Androiden können nicht töten.«

»Das ist aber Androidenblut, oder?«

»Androiden können nicht töten. So sind sie gemacht.«

»Sieht so aus, als wäre einer falsch gemacht.«

»Jesus!«

Und das Thermometer zeigte an diesem Tag 92,9° köstliche Fahrenheit an.

 

So befanden wir uns also an Bord der Paragon Queen auf dem Weg nach Megaster v, James Vandaleur und sein Android. James Vandaleur zählte sein Geld und schluchzte. In seinem Zweiter-Klasse-Abteil war noch sein Android, eine prächtige synthetische Kreatur mit klassischen Gesichtszügen und großen blauen Augen. Auf seiner Stirn waren in eine Kamee von Fleisch die Buchstaben VA eingeritzt, die anzeigten, daß es einer der seltenen, vielseitig anwendbaren Androiden war, die bei der augenblicklichen Marktlage einen Wert von $ 57 000 erlangten. Und hier saßen wir nun beieinander, weinten, zählten und beobachteten geduldig.

»Zwölf, vierzehn, sechzehn. Sechzehnhundert Dollar«, schluchzte Vandaleur. »Das ist alles. Sechzehnhundert Dollar. Mein Haus war zehntausend wert. Das Land fünftausend. Und dazu noch die Möbel, Autos, Gemälde, Radierungen, mein Flugzeug, mein … Und nun nichts als sechzehnhundert Dollar. Oh, mein Gott!«

Ich sprang vom Tisch auf und drehte mich dem Androiden zu. Von einem der Lederkoffer zog ich einen Riemen und schlug auf den Androiden ein. Er bewegte sich nicht.

»Ich muß Sie daran erinnern«, sagte der Android, »daß ich siebenundfünfzigtausend Dollar wert bin. Ich muß Sie warnen: Sie gefährden wertvollen Besitz.«

»Du verdammte, vermaledeite Maschine«, schrie Vandaleur.

»Ich bin keine Maschine«, entgegnete der Android. »Ein Roboter ist eine Maschine. Ein Android ist eine chemische Schöpfung aus synthetischen Geweben.«

»Was ist in dich gefahren?« fuhr Vandaleur auf. »Warum hast du es getan? Verdammt noch mal!« Er schlug wütend auf den Androiden ein.

»Ich muß Sie daran erinnern, daß ich nicht bestraft werden kann«, sagte ich. »Das Syndrom Vergnügen-Schmerz ist bei der Androiden-Synthese nicht vorgesehen.«

»Warum hast du sie dann getötet?« keifte Vandaleur. »Wenn nicht zum Vergnügen, warum hast du –«

»Ich muß Sie daran erinnern«, sagte der Android, »daß die Kabinen zweiter Klasse in diesem Schiff nicht schalldicht sind.«

Vandaleur ließ den Riemen fallen und starrte keuchend die Kreatur an, die ihm gehörte.

»Warum hast du es getan? Warum hast du sie getötet?«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Zuerst war es nur böswilliger Unfug. Kleine Dinge. Geringfügiger Schaden. Schon da hätte ich wissen müssen, daß mit dir etwas nicht stimmte. Androiden können nichts zerstören. Sie können keinen Schaden anrichten. Sie –«

»Das Syndrom Vergnügen-Schmerz ist bei der Androiden-Synthese nicht vorgesehen.«

»Dann fing’s mit der Brandstiftung an. Dann ernsthafte Zerstörung. Dann tätliche Bedrohung … dieser Ingenieur auf Rigel. Es wurde immer schlimmer. Jedesmal mußten wir uns schneller davonmachen. Und nun ist es Mord. Großer Gott! Was ist mit dir los? Was ist passiert?«

»Sich selbst prüfende Einheiten sind dem Gehirn eines Androiden nicht beigefügt.«

»Jedesmal, wenn wir fliehen mußten, war es ein Schritt abwärts. Sieh mich an. In einer Zweiter-Klasse-Kabine. Ich. James Papeopogue Vandaleur. Es gab mal eine Zeit, da war mein Vater der wohlhabendste … Und jetzt, sechzehnhundert Dollar! Das ist alles, was ich besitze. Und dich, der Teufel soll dich holen!«

Vandaleur hob den Riemen, um den Androiden wieder zu schlagen, ließ ihn aber fallen und sank schluchzend auf eine Schlafkoje. Endlich nahm er sich zusammen.

»Instruktionen«, sagte er.

Der vielseitig anwendbare Android reagierte sofort. Er erhob sich und erwartete Befehle.

»Mein Name ist jetzt Valentine. James Valentine. Ich hielt mich auf Paragon III nur einen Tag lang auf, um in dieses Schiff nach Megaster V umzusteigen. Meine Beschäftigung: Agent für einen im Privatbesitz stehenden VA Androiden, der zu vermieten ist. Zweck des Besuches: Ich will mich auf Megaster V niederlassen. Richte die Papiere her.«

Der Android nahm Vandaleurs Paß und Formulare aus einer Mappe, legte sich Feder und Tinte zurecht und setzte sich an den Tisch. Mit einer vollkommenen Hand – einer wahrhaft vollendeten Hand, die zeichnen, schreiben, malen, schnitzen, ritzen, gravieren, photographieren, entwerfen, schöpfen, bauen konnte – fälschte er mit peinlicher Genauigkeit neue Identifikationspapiere für Vandaleur. Sein Besitzer beobachtete mich mißmutig.

»Schöpfen und bauen«, murmelte ich. »Und jetzt zerstören. O Gott! Was soll ich nur tun? Jesus! Wenn ich dich doch nur loswerden könnte. Wenn ich nicht auf dich angewiesen wäre, von dir leben müßte. Lieber Gott! Wenn ich statt deiner doch nur ein bißchen Mumm geerbt hätte.«

 

Dallas Brady war die Besitzerin des in Megaster führenden Juweliergeschäfts. Sie war klein, untersetzt und eine Nymphomanin. Sie mietete Vandaleurs vielseitig anwendbaren Androiden und ließ mich in ihrem Laden arbeiten. Sie verführte Vandaleur. Eines Nachts im Bett fragte sie ihn plötzlich: »Dein richtiger Name ist Vandaleur, nicht wahr?«

»Ja«, murmelte ich. Und dann: »Nein! Nein! Ich heiße Valentine. James Valentine.«

»Was ist auf Paragon geschehen?« fragte Dallas Brady. »Ich dachte, Androiden könnten nicht töten oder Besitz zerstören. Oberste Direktiven und Verbote werden bei ihrer Synthese mit aufgestellt. Jede Gesellschaft garantiert, daß sie es nicht können.«

»Valentine!« bestand Vandaleur.

»Ach, gib’s doch zu«, sagte Dallas Brady. »Ich weiß es schon seit einer Woche. Und habe keinen Ärger gemacht, oder?«

»Mein Name ist Valentine.«

»Möchtest du das beweisen? Soll ich die Polypen rufen?« Dallas griff zum Telefonhörer.

»Um Himmels willen, Dallas!«

Vandaleur sprang auf und riß ihr den Hörer aus der Hand. Sie stieß ihn zurück und lachte ihm ins Gesicht, bis er zusammenbrach und vor Scham und Hilflosigkeit weinte.

»Wie hast du es herausgekriegt?« fragte er schließlich.

»Die Zeitungen sind voll davon. Und Valentine klang ein bißchen zu sehr nach Vandaleur. Das war nicht sehr gescheit, was?«

»Wahrscheinlich nicht. Ich bin überhaupt kein großes Licht.«

»Dein Android hat schon eine ganz schöne Menge auf dem Kerbholz, was? Tätliche Bedrohung, Brandstiftung, Zerstörung. Was war auf Paragon los?«

»Ich entführte ein Kind. Nahm es mit hinaus in die Reisfelder und ermordete es.«

»Vergewaltigung? «

»Ich weiß nicht.«

»Sie werden dich kriegen.«

»Als ob ich das nicht wüßte. Jetzt sind wir schon seit zwei Jahren auf der Achse. Sieben Planeten in zwei Jahren. In diesen zwei Jahren muß ich Besitztümer im Wert von fünfzigtausend Dollar aufgegeben haben.«

»Du solltest der Sache besser auf den Grund gehen. Was stimmt denn nicht?«

»Wie soll ich das tun? Soll ich etwa eine Reparaturklinik aufsuchen und um eine gründliche Überholung bitten? ›Mein Android ist gerade zu einem Mörder geworden. Richten Sie ihn bitte.‹ Die würden sofort die Polizei verständigen.« Ich begann zu zittern. »Sie hätten den Androiden in einem Tag auseinandergenommen, und mich würden sie wahrscheinlich wegen Beihilfe zum Mord einsperren.«

»Warum hast du ihn nicht reparieren lassen, bevor es zum Mord gekommen ist?«

»Ich konnte das Risiko nicht eingehen«, erklärte Vandaleur ärgerlich. »Wenn sie angefangen hätten, mit Lobotomien, Körperchemie und Drüsenoperationen herumzuexperimentieren, hätten sie vielleicht seine Anwendbarkeit zerstört. Was bliebe mir dann zum Vermieten? Wie sollte ich leben?«

»Du könntest ja selbst arbeiten. Andere Leute tun das auch.«

»Was arbeiten? Du weißt, daß ich nichts verstehe. Wie könnte ich mit spezialisierten Androiden und Robotern konkurrieren? Wer kann das schon, wenn er nicht gerade für einen ganz bestimmten Job außerordentlich talentiert ist?«

»Ja. Da hast du recht.«

»Ich habe mein ganzes Leben lang vom Geld meines alten Herrn gelebt. Verdammt! Kurz vor seinem Tod muß er dann noch pleite gehen. Ließ mir nichts außer dem Androiden. Die einzige Art, mein Leben zu bestreiten, ist, daß ich ihn für mich arbeiten lasse.«

»Du verkaufst ihn am besten, bevor die Polizei dich schnappt. Fünfzig kriegst du dafür. Leg sie gut an.«

»Bei drei Prozent? Fünfzehnhundert im Jahr? Wo der Android 15 Prozent seines Wertes einbringt?

Achttausend im Jahr. Das verdient er. Nein, Dallas. Ich muß mit ihm weitermachen.«

»Was willst du aber gegen seine Ausbrüche tun?«

»Nichts – ich kann nichts dagegen tun …, außer aufpassen und beten. Was willst du nun unternehmen?«

»Nichts. Es geht mich nichts an. Nur eins – ich sollte was dafür kriegen, daß ich den Mund halte.«

»Was?«

»Der Android arbeitet für mich umsonst. Sollen dich die andern bezahlen. Ich kriege ihn umsonst.«

 

Der vielseitig anwendbare Android arbeitete. Vandaleur kassierte die Honorare. Seine Ersparnisse begannen zuzunehmen. Seine Unkosten wurden bezahlt. Als der warme Frühling von Megaster V in den heißen Sommer überging, begann er Farmhöfe und Besitztümer zu besichtigen. In einem oder zwei Jahren könnten wir uns hier niederlassen, vorausgesetzt natürlich, daß Dallas Bradys Forderungen nicht zu unverschämt wurden.

An dem ersten heißen Sommertag begann der Android in Dallas Bradys Werkstatt zu singen. Er lehnte über dem elektrischen Schmelzofen, der in dieser heißen Jahreszeit die Luft im Raum fast zum Kochen brachte, und summte eine alte Melodie, die vor einem halben Jahrhundert einmal beliebt gewesen war.

Die Hitze kommt aus Afrika,

hotze, hitze, hatze.

Sie brennt so heiß wie Paprika,

schwotze, schwitze, schwatze.

Es kocht die Sonn’ im Suppentopf.

Wer schwitzt, behält ‘nen kühlen Kopf.

Kotze, kitze, katze,

Er sang mit seltsam verhaltener Stimme, seine vollendeten Finger hielt er auf dem Rücken ineinander verschlungen, sein ganzer Körper ruckte in einem sonderbaren Rumbarhythmus hin und her. Dallas Brady war erstaunt.

»Bist du glücklich oder so etwas Ähnliches?« fragte sie.

»Ich muß Sie daran erinnern, daß das Syndrom Vergnügen-Schmerz bei der Androiden-Synthese nicht vorgesehen ist«, antwortete ich. »Hitze, hotze, hatze. Wer schwitzt, behält ‘nen kühlen Kopf. Kotze, kitze, katze …«

Seine Finger lösten sich und ergriffen eine schwere Eisenzange. Der Android stieß sie in das glühende Zentrum des Schmelzofens und lehnte sich vor, um in die Glut zu starren.

»Sei vorsichtig, verdammter Narr!« rief Dallas Brady. »Willst du hineinfallen?«

»Ich muß Sie daran erinnern, daß ich siebenundfünfzigtausend Dollar wert bin«, sagte ich. »Es ist verboten, wertvollen Besitz zu gefährden. Schwotze, schwitze, schwatze.« Er zog einen Schmelztiegel mit glühendem Gold aus dem elektrischen Ofen, drehte sich um, machte einen riesigen Satz vorwärts, sang wie vom Wahnsinn besessen und spritzte geschmolzenes Gold über Dallas Bradys Kopf. Sie kreischte auf und sank in sich zusammen, ihr Haar und die Kleidung glühten, ihre Haut verbrannte. Wieder und wieder goß der Android Gold über sie, während er sang und im Raum umherhüpfte.

»Es kocht die Sonn’ im Suppentopf. Wer schwitzt, behält ‘nen kühlen Kopf. Kotze, kitze, katze.« Er sang und schüttete das geschmolzene Gold über sie. Dann verließ ich die Werkstatt und begab mich zu James Vandaleur ins Hotel. Die unruhigen Finger des Androiden ließen seinen Besitzer ahnen, daß irgend etwas nicht stimmte.

Vandaleur eilte zu Dallas Bradys Werkstatt, starrte auf die Gestalt, erbrach sich und floh. Ich hatte gerade genügend Zeit, einen Koffer zu packen und neunhundert Dollar in bar aufzutreiben. Er belegte eine Dritter-Klasse-Kabine auf der Megaster Queen, die an diesem Morgen nach Lyra Alpha abflog. Er nahm mich mit. Er weinte und zählte sein Geld, und ich verprügelte wieder den Androiden.

Und das Thermometer in Dallas Bradys Werkstatt zeigte 98,1° wundervolle Fahrenheit an.

Auf Lyra Alpha verkrochen wir uns in einem kleinen Hotel nahe der Universität. Dort zerquetschte Vandaleur meine Stirn, bis die Buchstaben VA durch die Schwellung und die Verfärbung nicht mehr zu erkennen waren. Zwar würden die Buchstaben nach einigen Monaten wieder zum Vorschein kommen, aber in der Zwischenzeit, so hoffte Vandaleur, würde das Zetergeschrei nach einem VA vergessen sein. Der Android wurde als einfacher Arbeiter im Kraftwerk der Universität eingestellt. Vandaleur, jetzt James Venice, schlug sich jämmerlich mit dem kleinen Gehalt des Androiden durch.

Ich war gar nicht so unzufrieden. Die meisten der anderen Bewohner des Hotels waren Universitäts-Studenten, denen es auch nicht gerade glänzend ging, aber nette und begeisterte junge Leute. Besonders fiel mir ein entzückendes Mädchen mit scharfen Augen und einem schnellen Verstand auf. Sie hieß Wanda, und sie und ihr Verehrer, Jed Stark, nahmen ungeheuren Anteil an den Morden des Androiden, die in jeder Zeitung der Galaxis erwähnt waren.

»Wir haben den Fall studiert«, berichteten sie auf einer der improvisierten Studentenparties, die an diesem Abend zufällig in Vandaleurs Zimmer abgehalten wurde. »Wir glauben, daß wir die Ursache gefunden haben. Wir werden eine Arbeit darüber schreiben und veröffentlichen.« Sie befanden sich im Zustand höchster Erregung.

»Ursache wofür?« wollte jemand wissen.

»Daß der Android überschnappt.«

»Offensichtlich gerät er aus dem Gleichgewicht, nicht wahr? Seine Körperstruktur wird kaputt. Vielleicht handelt es sich um eine Art synthetischen Krebs, was?«

»Nein.« Wanda warf Jed einen Blick der Genugtuung zu.

»Na, was ist es denn?«

»Etwas ganz Besonderes.«

»Was?«

»Das hieße ja, alles verraten.«

»Ach, komm doch.«

»Nein, nein, kommt nicht in Frage.«

»Wollen Sie’s uns nicht verraten?« fragte ich eindringlich. »Ich … wir sind sehr daran interessiert, zu erfahren, was mit einem Androiden denn plötzlich schiefgehen könnte.«

»Nein, Herr Venice«, sagte Wanda. »Es ist eine einmalige Idee, und die müssen wir schützen. Solch eine These, und wir sind gemachte Leute. Wir können es nicht riskieren, daß sie uns jemand wegschnappt.«

»Können Sie uns keinen Hinweis geben?«

»Nein. Nicht den geringsten. Sag ihnen kein Sterbenswörtchen, Jed. Aber soviel kann ich Ihnen verraten, Herr Venice. Ich möchte mit dem Mann, dem der Android gehört, um nichts in der Welt tauschen.«

»Sie meinen, wegen der Polizei?«

»Ich meine Projektion, Herr Venice. Projektion! Das ist die Gefahr … und mehr sage ich nicht. Ich habe sowieso schon zuviel ausgeplaudert.«

Von draußen hörte ich Schritte, und eine heisere Stimme sang leise: »Sie brennt so heiß wie Paprika, schwotze, schwitze, schwatze.« Mein Android betrat das Zimmer; er hatte seine Dienstzeit im Kraftwerk der Universität beendet. Er wurde nicht vorgestellt. Ich gab ihm einen Wink, und er ging hinüber zum Bierfaß und übernahm Vandaleurs Aufgabe, den Gästen zu servieren. Seine vollendeten Finger zuckten auf eine ganz eigenartige Weise im Rumbarhythmus. Allmählich wurden sie ruhiger, und auch das seltsame Gesumme ließ nach.

Androiden waren in der Universität nichts Ungewöhnliches. Die wohlhabenden Studenten besaßen neben ihren Wagen und Flugzeugen auch Androiden. Vandaleurs Android gab keinen Anlaß zu klagen, aber Wanda hatte scharfe Augen und einen klaren Verstand.

Sie bemerkte die geschwollene Stirn, und außerdem war sie von der epochemachenden These, die sie und Jed niederschreiben wollten, besessen. Nachdem sich die Party aufgelöst hatte, beriet sie sich mit Jed, der sie zu ihrem Zimmer begleitete.

»Jed, warum hatte dieser Android eine geschwollene Stirn?«

»Wahrscheinlich hat er sich verletzt, Wanda. Er arbeitet fürs Kraftwerk. Da fliegen eine Menge schwerer Gegenstände durch die Luft.«

»Ist das alles?«

»Was denn sonst?«

»Es könnte eine ganz bequeme Wunde sein.«

»Bequem? Wieso?«

»Um zu verstecken, was auf seiner Stirn geschrieben steht.«

»Das hätte doch keinen Sinn, Wanda. Man braucht doch nicht erst die Zeichen auf der Stirn zu lesen, um zu wissen, daß es sich um einen Androiden handelt. Genausowenig, wie du das Markenzeichen auf einem Auto zu lesen brauchst, um es als Auto zu identifizieren.«

»Ich meine nicht, daß er versucht, als Mensch zu gelten. Was ich meine, ist, daß er versucht, sich als ein Android niedrigster Rangstufe auszugeben.«

»Warum?«

»Angenommen, auf seiner Stirn steht ein VA

»Vielseitige Anwendbarkeit? Warum, zum Teufel, würde Venice ihn dann dazu verschwenden, Öfen anzuheizen … Oh. Ja! Du glaubst, er …?«

Wanda nickte.

»Du meine Güte!« Stark spitzte die Lippen. »Was sollen wir tun? Die Polizei verständigen?«

»Nein. Wir wissen nicht hundertprozentig, ob es ein VA ist. Wenn sich herausstellt, daß er ein VA und zugleich der mordende Android ist, erscheint unsere Arbeit auf alle Fälle vorher. Das ist unsere große Chance, Jed. Wenn es dieser Android ist, können wir eine Reihe kontrollierter Tests vornehmen und –«

»Wie können wir uns aber Sicherheit verschaffen?«

»Ganz leicht. Infrarot-Film. Der wird uns zeigen, was sich unter der Schwellung verbirgt. Leih dir eine Kamera. Kauf ein paar Filme. Morgen nachmittag schleichen wir uns zum Kraftwerk und machen ein paar Aufnahmen. Dann werden wir Gewißheit haben.«

Am darauffolgenden Nachmittag gingen sie zum Universitäts-Kraftwerk. Es war ein großer Keller, tief unter der Erde. Hier war es ziemlich dunkel, nur die großen Türen der Verbrennungsöfen erhellten schattenhaft die Umgebung. Durch das Brüllen und Knistern des Feuers konnten sie eine seltsame Stimme hören: »Sie brennt so heiß wie Paprika, schwotze, schwitze, schwatze …« Und zu der Melodie sahen sie eine schwankende Gestalt einen wahnsinnigen Rumba hüpfen. Die Beine verrenkten sich. Die Arme schlenkerten. Die Finger verkrümmten sich.

Jed Stark hob die Kamera und begann seinen Infrarot-Film abzuknipsen, wobei es nicht einfach war, den umherhüpfenden Kopf ins Visier zu bekommen. Dann kreischte Wanda plötzlich auf, denn ich hatte sie erblickt und raste auf sie los. In den Händen hielt ich eine polierte Stahlschaufel. Sie zerschmetterte die Kamera, streckte das Mädchen nieder und dann den Jungen. Jed wehrte sich verzweifelt, bevor er zermalmt wurde. Dann schleifte der Android die beiden zum Hochofen und warf sie in die Flammen – langsam, genußvoll. Er drehte Kapriolen und sang. Dann kehrte er in mein Hotelzimmer zurück.

Das Thermometer im Kraftwerk zeigte 100,9° mörderische Fahrenheit an.

 

Wir schifften uns im Zwischendeck der Lyra Queen ein, und Vandaleur und der Android verrichteten kleine Arbeiten, um sich ihr Essen zu verdienen. Während der Nachtwachen saß Vandaleur allein im Zwischendeck und grübelte über den Inhalt eines Aktenordners nach, den er auf dem Schoß hielt. Diese Akte war alles, was er von Lyra Alpha hatte mitbringen können. Er hatte sie aus Wandas Zimmer gestohlen. Darauf stand mit großen Buchstaben ANDROID geschrieben. Sie enthielt das Geheimnis meiner Krankheit.

Und sie enthielt nichts als Zeitungen. Zeitungsausschnitte aus der ganzen Galaxis, gedruckte, gravierte, geätzte, Mikrofilme, Offsetdrucke, Photokopien … Rigel Star Banner … Pragon Picayune … Megaster Times-Leader … Lalande Herald … Lacaille Journal … Indi Intelligencer … Eridani Telegram News. Hotze, hitze, hatze!

Nichts als Zeitungen. Jede enthielt einen Bericht über ein Verbrechen aus der grausigen Karriere des Androiden. Aber jede enthielt auch Nachrichten, lokale und ausländische, vom Sport, über die Gesellschaft, das Wetter, die Schiffahrt, Aktienkurse, über bekannte Persönlichkeiten, Artikel, Wettbewerbe und Rätsel. Irgendwo zwischen diesem Durcheinander verschiedenartigster Berichte steckte das Geheimnis, das Wanda und Jed Stark entdeckt hatten. Hilflos brütete Vandaleur über den Zeitungen. Es war zu hoch für ihn. Sie brennt so heiß wie Paprika!

»Ich werde dich verkaufen«, drohte ich dem Androiden. »Verdammt. Sobald wir auf Terra landen, verkaufe ich dich. Ich begnüge mich mit drei Prozent von dem, was du wert bist.«

»Ich bin siebenundfünfzigtausend Dollar wert«, sagte ich.

»Wenn ich dich nicht verkaufen kann, übergebe ich dich der Polizei«, sagte ich.

»Ich bin wertvolles Besitztum«, antwortete ich. »Es ist verboten, wertvolles Besitztum zu gefährden. Sie werden mich nicht zerstören lassen.«

»Zum Teufel mit dir!« schrie Vandaleur. »Was? Du bist also arrogant? Weißt du, daß du mir vertrauen kannst, daß ich dich beschütze? Ist das das Geheimnis?«

Der vielseitig anwendbare Android betrachtete ihn mit ruhigen, vollkommenen Augen. »Manchmal«, so sagte er, »ist es gut, ein Besitztum zu sein.«

 

Es war 3 Grad unter dem Gefrierpunkt, als die Lyra Queen in Croydon Field niederging. Eine Mischung von Eis und Schnee fegte über das Feld; zischend zerstäubte sie unter den Düsen der Queen. Steif stolperten die Passagiere über den geschwärzten Betonboden zur Zollabfertigung und dann zum Autobus, der sie nach London bringen sollte. Vandaleur und der Android waren pleite. Sie gingen zu Fuß.

Gegen Mitternacht erreichten sie Piccadilly Circus. Der eisige Dezembersturm hatte noch nicht nachgelassen, und die Eros-Statue war mit Eis überzogen. Sie wandten sich nach rechts, gingen hinunter zum Trafalgar Square und über den Strand nach Soho. Sie zitterten vor Nässe und Kälte. Auf der Höhe der Fleet Street sah Vandaleur eine einsame Gestalt aus Richtung St. Pauls kommen. Er zog den Androiden in ein Seitengäßchen.

»Wir brauchen Geld«, flüsterte er.

Er deutete auf die näherkommende Gestalt. »Der hat Geld. Nimm es ihm weg!«

»Der Auftrag kann nicht befolgt werden«, sagte der Android.

»Nimm es ihm weg«, wiederholte Vandaleur. »Mit Gewalt. Verstehst du? Wir sind sonst verloren!«

»Das widerspricht meiner obersten Direktive«, wiederholte der Android. »Der Befehl kann nicht befolgt werden.«

Ich stieß den Androiden zurück und sprang auf den Fremden los. Er war groß, kräftig und gelenkig. Er hielt einen Stock in der Hand. Ich sah, daß er blind war.

»Ja?« sagte er. »Ich höre Sie. Was wollen Sie?«

»Sir …« Vandaleur zögerte. »Ich bin verzweifelt.«

»Wir alle sind verzweifelt«, erwiderte der Fremde. »Völlig verzweifelt.«

»Sir … ich muß etwas Geld haben.«

»Betteln oder stehlen Sie?« Die blinden Augen streiften Vandaleur und den Androiden.

»Idi bin zu beidem bereit.«

»Ah. Das sind wir alle. Es ist die Geschichte unserer Rasse.« Der Fremde deutete über seine Schulter. »Ich habe in St. Pauls gebetet, mein Freund. Was ich wünsche, kann nicht gestohlen werden. Was wünschen Sie, daß Sie so glücklich sind, es überhaupt stehlen zu können?«

»Geld«, sagte Vandaleur.

»Geld – wofür? Kommen Sie, mein Freund, schenken wir einander Vertrauen. Ich werde Ihnen erzählen, warum ich bete, und Sie erzählen mir, warum Sie stehlen. Ich heiße Blenheim.«

»Mein Name ist …Vole.«

»Ich habe in St. Pauls nicht um das Augenlicht gebetet, Herr Vole. Ich habe um eine Zahl gebetet.«

»Eine Zahl?«

»O ja. Rationale und irrationale Zahlen. Imaginäre Zahlen. Positive und negative Integrale. Positive und negative Brüche. Eh? Haben Sie schon mal was von Blenheims unsterblicher Abhandlung über zwanzig Nullen gehört? Oder über die Unterschiede beim Fehlen von Mengenangaben?« Blenheim lächelte bitter. »Ich bin der Zauberer der Zahlentheorie, Herr Vole.

Und ich habe den Reiz der Zahl für mich erschöpft. Nach fünfzig Jahren Zaubereien wird man allmählich senil, und der Appetit vergeht einem. Ich habe in St. Pauls um Inspiration gebetet. Lieber Gott, so habe ich gefleht, wenn Du existierst, dann schicke mir eine Zahl.«

Vandaleur hob langsam den Aktenband hoch und berührte damit Blenheims Hand. »Hier drin«, sagte er, »ist eine Zahl. Eine versteckte Zahl. Eine geheimnisvolle Zahl. Die Zahl für ein Verbrechen. Sollen wir tauschen, Herr Blenheim? Unterkunft gegen eine Zahl?«

»Weder betteln noch stehlen, was?« sagte Blenheim. »Sondern ein Geschäft. So vermindert sich das Leben zum Banalen.« Wieder glitt der leblose Blick über Vandaleur und den Androiden. »Vielleicht ist der Allmächtige nicht Gott, sondern ein Kaufmann. Kommen Sie mit mir nach Hause.«

Im obersten Stockwerk von Blenheims Haus teilten wir uns ein Zimmer – zwei Betten, zwei Schränke, zwei Waschtische, ein Badezimmer. Vandaleur zerquetschte mir meine Stirn wieder und schickte mich auf Arbeitssuche, und während der Android arbeitete, unterhielt ich mich mit Blenheim und las ihm, einen nach dem andern, die Zeitungsausschnitte aus der Aktensammlung vor.

Vandaleur erzählte ihm viel: Er wäre Student, sagte ich, der versuchte, eine Dissertation über den mordenden Androiden zu schreiben. In diesen Zeitungen, die er gesammelt hätte, wären die Tatsachen, die die Verbrechen, von denen Blenheim nichts gehört hatte, erklären würden. Es müßte eine Wechselbeziehung geben, eine Zahl, eine Statistik, irgend etwas, das für meine Geistesgestörtheit verantwortlich wäre, erklärte ich, und Blenheim reizte das Geheimnis, die Detektivgeschichte, das menschliche Schicksal in der Zahl.

 

Wir untersuchten die Zeitungen. Während ich sie laut vorlas, notierte er sich ihren Inhalt in seiner sorgfältig hingemalten Schrift. Und dann las ich ihm seine Notizen vor. Er ordnete die Papiere nach Art, .Aussehen, Tatsachen, Leitartikeln, Berichten, Schreibweise, Worten, Themen, Tendenzen, Bildern, Gegenständen, Politik und Fehlangaben. Er analysierte. Er studierte. Er meditierte. Und wir lebten zusammen im oberen Stockwerk, immer ein bißchen kühl, immer ein bißchen erschrocken, immer ein bißchen näher … enger zusammengeführt durch unsere Furcht davor, durch den Haß, der zwischen uns stand. Wie ein Keil, der in einen lebenden Baum getrieben wird und den Stamm zerspaltet, nur um auf immer mit dem Gewebe der Narbe verbunden zu sein, so wuchsen wir zusammen. Vandaleur und der Android. Hitze, hotze, hatze!

Und eines Nachmittags rief Blenheim Vandaleur in sein Arbeitszimmer und enthüllte ihm das Ergebnis seiner Überlegungen. »Ich glaube, ich hab’s gefunden«, sagte er, »aber ich verstehe es nicht.«

Vandaleurs Herz schlug schneller. »Hier sind die Korrelationen«, fuhr Blenheim fort. »In fünfzig Zeitungen sind Berichte über den verbrecherischen Androiden. Was aber steht außerdem noch in den fünfzig Zeitungen?«

»Ich weiß nicht, Herr Blenheim.«

»Es war eine rhetorische Frage. Hier ist die Antwort. Das Wetter.«

»Was?«

»Das Wetter.« Blenheim nickte. »Jedes Verbrechen wurde an einem Tag durchgeführt, an dem die Temperatur über 90° Fahrenheit lag.«

»Aber das ist unmöglich«, entfuhr es Vandaleur. »Auf Lyra Alpha war es kühl.«

»Wir haben keinerlei Berichte über ein Verbrechen auf Lyra Alpha.«

»Nein. Das stimmt. Ich –« Vandaleur war verwirrt. Plötzlich rief er aus: »Nein. Sie haben recht. Der Kesselraum. Dort war es heiß. Sehr heiß sogar! Natürlich. Mein Gott, ja! Das ist die Antwort. Dallas Bradys elektrischer Schmelzofen … Die Reis-Deltas auf Paragon. Sie brennt so heiß wie Paprika. Ja. Aber wieso? Warum? Mein Gott, warum nur?«

In diesem Augenblick betrat ich das Haus und sah Vandaleur und Blenheim im Arbeitszimmer. Ich ging hinein und erwartete neue Befehle.

»Das ist der Android, was?« sagte Blenheim nach einer langen Pause. »Ja«, gab Vandaleur zu, noch immer verwirrt durch die Entdeckung. »Und das erklärt auch, warum er sich damals in der Nacht am Strand weigerte, Sie zu überfallen. Es war nicht heiß genug, um die oberste Direktive zu brechen. Nur in der Hitze … Die Hitze – schwotze, schwatze, schwitze!« Er blickte zu dem Androiden. Ein wahnsinniger Befehl wechselte von dem Mann zum Androiden. Ich weigerte mich. Es ist verboten, Leben zu gefährden. Vandaleur gestikulierte wie wild, dann ergriff er Blenheims Schultern und riß ihn nach hinten, aus seinem Schreibtischsessel zu Boden. Blenheim stieß einen einzigen Schrei aus. Vandaleur sprang ihn wie ein Tiger an, hielt ihn fest auf den Boden gepreßt und hielt seinen Mund mit der Hand zu.

»Such eine Waffe«, rief er dem Androiden zu.

»Es ist verboten, Leben zu gefährden.«

»Das ist ein Kampf zur Selbsterhaltung. Bring mir eine Waffe!« Mit seinem ganzen Gewicht drückte er den sich windenden Mathematiker zu Boden. Sofort ging ich zu der Schublade, in der ich einen Revolver wußte. Ich prüfte ihn. Er war mit fünf Patronen geladen. Ich gab ihn Vandaleur. Ich ergriff ihn, stieß den Lauf gegen Blenheims Kopf und zog ab. Ein kurzes Zittern durchlief seinen Körper.

Wir hatten drei Stunden Zeit, bis die Köchin von ihrem Ausgang zurückkommen würde. Wir plünderten das Haus. Wir steckten Blenheims Geld und Schmuck ein. Wir packten einen Koffer mit Kleidungsstücken. Wir nahmen Blenheims Notizen an uns und vernichteten die Zeitungen; dann gingen wir, nachdem wir die Haustür sorgfältig hinter uns abgeschlossen hatten. In Blenheims Arbeitszimmer ließen wir einen Haufen zerknüllten Papiers unter einer einen Zentimeter hohen Kerze zurück, das Tuch ringsherum tränkten wir in Kerosin. Nein, ich allein tat all dies. Der Android weigerte sich. Es ist mir verboten, Leben oder Besitztum zu gefährden.

Hitze, schwitze!

Sie fuhren mit der Untergrundbahn nach Leicester Square, stiegen um und fuhren weiter zum British Museum. Von dort aus gingen sie zu einem kleinen Haus im georgianischen Stil, gleich neben Russell Square. Auf einem Schild im Fenster stand: NAN WEBB, PSYCHOMETRISCHE BERATUNG. Vandaleur hatte sich die Adresse schon vor einigen Wochen notiert. Sie betraten das Haus. Der Android wartete im Vorraum mit dem Gepäck. Vandaleur ging in Nan Webbs Büro.

Sie war eine große Frau mit grauen Fäden im Haar, von sehr feinem englischem Aussehen und mit sehr häßlichen englischen Beinen. Ihr Gesicht war ziemlich grob, aber der Ausdruck wachsam. Sie nickte Vandaleur zu, beendete einen Brief, klebte ihn zu und blickte auf.

»Mein Name«, sagte ich, »ist Vanderbilt. James Vanderbilt.«

»Schön.«

»Ich bin als Austauschstudent an der Londoner Universität.«

»Schön.«

»Ich habe mich mit dem mordenden Androiden befaßt und glaube, etwas sehr Interessantes herausgefunden zu haben. Ich würde gern Ihren Rat erbitten. Wie hoch ist Ihr Honorar?«

»Zu welchem College gehören Sie?«

»Warum?«

»Für Studenten habe ich einen verbilligten Preis.«

»Merton College.«

»Das macht zwei Pfund, bitte.«

Vandaleur legte zwei Pfund auf den Tisch und legte Blenheims Notizen dazu. »Zwischen den Verbrechen und dem Wetter besteht eine Korrelation«, sagte er. »Sie bemerken, daß die Verbrechen alle begangen wurden, wenn die Temperatur höher als 90° Fahrenheit lag. Gibt es dafür eine psychometrische Erklärung?«

Nan Webb nickte, studierte die Notizen einen Augenblick lang, legte die Blätter beiseite und sagte: »Offensichtlich Synästhesie.«

»Wie bitte?«

»Synästhesie«, wiederholte sie. »Wenn eine Empfindung sofort in Form einer anderen Empfindung eines anderen Sinnesorgans als dem gereizten wiedergegeben wird, Herr Vanderbilt, so nennt man das Synästhesie. Zum Beispiel: Ein bestimmter Ton verursacht die Vorstellung einer ganz bestimmten Farbe. Oder ein Lichtreiz verursacht eine Tonempfindung. Es können Verwirrungen oder Kurzschlüsse jeder Art vorkommen, wie etwa durch Geschmack, Geruch, Schmerz, Druck, Temperatur und so weiter und so weiter. Verstehen Sie?«

»Ich glaube, ja.«

»Ihre Untersuchungen haben ergeben, daß der Android höchstwahrscheinlich auf einen Temperaturanreiz über 90 Grad Fahrenheit synästhetisch reagiert. Wahrscheinlich besteht eine Temperaturverbindung mit dem Adrenalin des Androiden. Hohe Temperaturen verursachen Furcht, Wut, Erregung und gewalttätige körperliche Aktivität … alles fällt in den Bereich der Nebenniere.«

»Ja. Ich verstehe. Wenn der Android also in kaltem Wetter bei niedrigen Temperaturen leben würde …«

»Dann gäbe es weder einen Anreiz noch eine Reaktion. Und es gäbe auch keine Verbrechen.«

»Verstehe. Was ist Projektion?«

»Wie meinen Sie das?«

»Besteht irgendeine Gefahr der Projektion im Hinblick auf den Besitzer des Androiden?«

»Sehr interessant. Projektion ist schon ein fortgeschritteneres Stadium. Das bedeutet, daß man seine eigenen Ideen oder Impulse auf jemand anders überträgt. Der Paranoide, beispielsweise, projiziert seine Konflikte und Störungen auf andere, um sie zu verkörperlichen. Er beschuldigt, direkt oder durch Implikation, andere, genau die Krankheit, mit der er selbst kämpft, zu besitzen.«

»Und die Gefahr der Projektion?«

»Die Gefahr liegt darin, daß man glaubt, was einem unterstellt wird. Wenn man mit einem Psychopathen zusammenlebt, der seine Krankheit auf einen projiziert, so besteht die Gefahr, daß man selbst in diese Geistesgestörtheit verfällt und dann wirklich selbst psychopathisch wird. Was, ohne Zweifel, auch bei Ihnen der Fall ist, Herr Vandaleur.«

Vandaleur sprang auf.

»Sie sind ein Esel«, fuhr Nan Webb unbeirrt fort. Sie deutete auf die Notizzettel. »Das ist nicht die Schrift eines Studenten. Es sind die gleichmäßigen Schriftzeichen des berühmten Blenheim. Jeder Student in England kennt seine Blindenschrift. Es gibt kein Merton College an der Londoner Universität. Das war ein miserabler Einfall. Merton gehört zur Oxford-Universität. Und Sie, Herr Vandaleur, sind so offensichtlich durch die Assoziation mit Ihrem geistig gestörten Androiden angesteckt – durch Projektion, wenn Sie so wollen –, daß ich wirklich nicht weiß, ob ich die Polizei oder das Heim für geistesgestörte Kriminelle anrufen soll.« Ich zog den Revolver und schoß. Hitze!

 

»Antares II, Alpha Aurigae, Acrux IV, Pollux IX, Rigel Centauri«, sagte Vandaleur. »Die sind alle kalt. Kalt wie der Kuß einer Hexe. Niedrige Temperaturen von 40 Grad Fahrenheit. Nirgends ist es je heißer als 70 gewesen. Wir sind wieder im Geschäft. Paß auf – eine Kurve.«

Der vielseitig anwendbare Android zog das Steuerrad mit seinen vollendeten Händen herum. Der Wagen nahm die Kurve leicht und elegant und jagte weiter durch das nördliche Marschland: braunes, trockenes Schilfrohr unter kaltem englischen Himmel. Die Sonne versank schnell. Über ihnen flatterte eine Schar Trappen ostwärts. Und hoch oben trieb ein Helicopter.

»Nie wieder Wärme für uns«, sagte ich. »Nie wieder Hitze. Wenn uns kalt ist, sind wir sicher. Wir lassen uns in Schottland nieder, machen ein bißchen Geld, dann geht’s hinüber nach Norwegen, wir legen uns ein fettes Bankkonto an, und dann schiffen wir uns wieder aus. Auf Pollux werden wir uns fest ansiedeln. Wir sind in Sicherheit. Wir haben’s geschafft. Wir können wieder leben.« über ihnen ertönte plötzlich ein grelles »Piep« und dann ein markerschütterndes Brüllen: ACHTUNG! JAMES VANDALEUR UND ANDROID. ACHTUNG! JAMES VANDALEUR UND ANDROID

Erschrocken starrte Vandaleur in den Himmel. Der einsame Copter schwebte über ihnen. Aus seinem Leib ertönten laute Befehle: »SIE SIND UMZINGELT! DIE STRASSE IST GESPERRT! HALTEN SIE SOFORT IHREN WAGEN AN UND ERGEBEN SIE SICH! SOFORT ANHALTEN

Ich blickte zu Vandaleur, um Anweisungen entgegenzunehmen.

»Fahr weiter!« fauchte er mich an. Der Helicopter sank tiefer. »ACHTUNG, ANDROID! DU STEUERST DAS FAHRZEUG! HALTE SOFORT AN! DIES IST EINE STAATSDIREKTIVE UND ERSETZT AB SOFORT ALLE PRIVATEN BEFEHLE

»Was, zum Teufel, tust du denn?« schrie ich.

»Eine Staatsdirektive ersetzt alle privaten Befehle«, antwortete der Android. »Ich muß Sie darauf hinweisen, daß –«

»Mach, daß du vom Lenkrad wegkommst«, befahl Vandaleur. Ich schlug den Androiden nieder, stieß ihn zur Seite und drängte mich über ihn hinters Lenkrad. In diesem Augenblick geriet der Wagen von der Straße und holperte querfeldein über die gefrorene Erde und das Schilfgras. Vandaleur gewann wieder Kontrolle über das Fahrzeug und fuhr weiter nach Westen durch das Marschland, auf eine parallel laufende Hauptstraße in ungefähr fünf Meilen Entfernung zu.

»Wir werden diese gottverdammte blöde Sperre schon überwinden«, brummte er.

Der Wagen holperte und schleuderte. Der Helicopter sank noch tiefer herab. Ein Scheinwerfer strahlte an seiner Bodenfläche auf. »ACHTUNG, JAMES VANDALEUR UND ANDROID. ERGEBT EUCH! DIES IST EINE STAATSDIREKTIVE UND ERSETZT ALLE PRIVATEN BEFEHLE

»Er kann sich nicht ergeben«, schrie Vandaleur. »Es ist niemand hier, dem er sich ergeben könnte. Er kann und will auch gar nicht.«

»Jesus!« murmelte ich. »Wir besiegen sie noch. Wir besiegen die Sperre. Wir besiegen die Hitze. Wir –«

»Ich muß darauf hinweisen«, sagte ich, »daß mir meine obersten Direktiven vorschreiben, Staatsdirektiven, die alle privaten Befehle ersetzen, zu gehorchen. Ich unterwerfe mich der Gefangennahme.«

»Wer sagt denn, daß es eine Staatsdirektive ist?« fragte Vandaleur. »Die da? Da oben im Flugzeug? Die müssen uns erst ihre Ausweise zeigen. Sie müssen beweisen, daß sie den Staat vertreten, bevor du dich ergeben mußt. Woher willst du wissen, daß es keine Betrüger sind, die versuchen, uns hereinzulegen?«

Mit einer Hand lenkend, griff er mit der anderen in seine Seitentasche, um sich zu vergewissern, daß der Revolver auch noch am rechten Platz war. Der Wagen schleuderte. Die Räder quietschten auf dem vereisten Grasboden. Das Steuer entriß sich meinem Griff, das Auto raste einen kleinen Hügel hinauf und überschlug sich. Der Motor heulte auf, die Reifen quietschten. Vandaleur kroch aus dem Fahrzeug und schleifte den Androiden hinter sich her. Einen Augenblick standen wir im Scheinwerferlicht, das vom Helicopter auf uns niederstrahlte. Wir rannten in das Feld hinein, hinein in die Dunkelheit, in die Geborgenheit … Vandaleur stolperte und schleppte den Androiden hinter sich her.

Der Helicopter kreiste über dem zertrümmerten Wagen, Scheinwerfer bohrten sich in die Dunkelheit, der Lautsprecher dröhnte. Auf der Landstraße zu unserer Linken blinkten Lichter auf. Dort zogen sich die verschiedenen Sperren zusammen und befolgten die Richtungsangaben aus dem Lautsprecher des Helicopters. Vandaleur und der Android zogen sich immer weiter ins Marschland zurück, der parallel laufenden Straße und der Sicherheit entgegen. Es war Nacht geworden. Der Himmel glänzte schwarz. Nicht ein Stern war zu sehen. Die Temperatur sank. Von Südosten fegte der Nachtwind und drang wie tausend Messerspitzen in uns.

Weit hinter ihnen war eine Erschütterung zu vernehmen. Vandaleur drehte sich um. Er keuchte. Das Benzin im Wagen war explodiert. Eine fahle Flamme schoß zum Himmel. Sie senkte sich in einen kleinen Krater von brennendem Schilfrohr. Durch den Wind aufgepeitscht, entfachten sich die Flammen zu einer drei Meter hohen Mauer. Die Mauer kam knisternd auf uns zu. Darüber wogte eine Wolke öligen Staubs. Und dahinter konnte Vandaleur die Gestalten von Männern ausmachen … eine Gruppe von Treibern, die die Marsch absuchten.

»Jesus!« schrie ich und suchte verzweifelt nach einem sicheren Unterschlupf. Er rannte, mich hinter sich herschleifend, bis ihre Füße durch die Eisdecke eines Teiches brachen. Er trampelte wild auf dem Eis herum, warf sich in das betäubende Wasser und zog den Androiden mit hinab.

Die Flammenmauer kam näher. Ich konnte das Knistern hören und die Hitze spüren. Er konnte die Treiber deutlich sehen. Vandaleur griff in die Tasche, um den Revolver herauszuholen. Die Tasche war zerrissen. Der Revolver weg. Er knurrte und zitterte vor Kälte und Entsetzen. Das Licht des Marschbrands blendete. Oben wich der Helicopter hilflos nach einer Seite aus, unfähig, durch die Rauchschwaden und das Feuer zu fliegen, um den Treibern beizustehen, die zu unserer Rechten vorbeizogen.

»Sie werden uns verfehlen«, flüsterte Vandaleur. »Bleib ruhig. Das ist ein Befehl. Sie verfehlen uns. Wir besiegen sie. Wir besiegen das Feuer. Wir –«

Drei Schüsse hallten ganz in der Nähe. Bumm! Bumm! Bumm! Sie kamen von den Patronen aus meinem Revolver, den das Feuer nun erreicht zu haben schien. Die Treiber machten kehrt und kamen direkt auf uns zu. Vandaleur fluchte hysterisch und versuchte noch tiefer unter die Wasseroberfläche zu tauchen, um der unerträglichen Hitze des Feuers zu entrinnen. Der Android begann zu zucken.

Die Flammenmauer erreichte sie. Vandaleur holte tief Luft und bereitete sich darauf vor, unterzutauchen, bis die Flamme über sie hinweggefegt war. Der Android erschauderte und brach in einen ohrenbetäubenden Schrei aus.

»Hitze, hotze, hatze!« kreischte er. »Verdammt!« fluchte ich. Ich schlug ihm ins Gesicht.

Der Android trommelte auf Vandaleur ein. Er sprang aus dem Schlamm hoch und stand aufrecht da. Bevor ich noch den Angriff fortsetzen konnte, nahmen die züngelnden Flammen ihn wie in einer Hypnose gefangen. Er tanzte und vollführte Kapriolen vor der Feuermauer – in einem wahnsinnigen Rhythmus. Seine Beine verrenkten sich. Seine Arme schlenkerten. Die Finger zuckten wie im Krampf. Er kreischte und sang und rannte der alles umfangenden Hitze davon, ein Ungeheuer im Feuerschein.

Die Treiber schrien. Schüsse zischten. Der Android drehte sich zweimal um sich selbst und führte dann seinen schrecklichen Tanz vor den Flammen fort. Der Wind hob sich. Einen brüllenden Augenblick lang hüllten die Flammen die hüpfende Gestalt ein. Dann fegten sie weiter und hinterließen eine schluchzende Masse aus synthetischem Fleisch und feuchtem rotem Blut, das nie gerinnen würde.

Das Thermometer hätte 1200 Grad wunderbare Fahrenheit angezeigt.

 

Vandaleur starb nicht. Ich kam davon. Sie übersahen ihn, während sie den Tanz und den Tod des Androiden beobachteten. Aber ich weiß nicht, welcher von uns er nun ist. Projektion! hatte mich Wanda gewarnt. Projektion! hatte ihm Nan Webb gesagt. Wenn du mit einem verrückten Menschen oder einer verrückten Maschine lange genug lebst, werde ich auch verrückt. Schwitze!

Aber wir wissen das eine. Wir wissen, daß sie nicht recht hatten. Der neue Roboter und Vandaleur wissen das, denn der neue Roboter hat auch schon angefangen zu zucken.

Hitze! Hier auf dem kalten Pollux zuckt und singt der Roboter. Keine Hitze, aber meine Finger krümmen sich. Keine Hitze, aber er hat das kleine Talley-Mädchen mit auf einen einsamen Spaziergang genommen. Ein billiger Arbeits-Robot. Ein Servo-Mechanismus … mehr konnte ich mir nicht leisten … aber er zuckt und summt und spaziert irgendwo allein mit dem Mädchen umher, und ich kann sie nicht finden.

Jesus! Vandaleur kann mich nicht finden, bevor es zu spät ist. Sie brennt so heiß wie Paprika, schwitze, schwotze, schwatze … in dem klirrenden Frost. Und das Thermometer zeigt auf 10 Grad geliebte Fahrenheit.