Paarweise

Ich glaube, das habe auch ich gedacht. Dass es mich nichts kosten würde. Nachdem Mike und Cora nach Cardiff zurückgekehrt waren, schienen sich für Mike und mich plötzlich unendlich viele Gelegenheiten zu ergeben, uns in aller Unschuld zu treffen, ohne dass es irgendetwas bedeutete.

Rückblickend ist es erstaunlich, wie oft wir uns in der Mittagspause oder nach Feierabend zufällig über den Weg liefen, beim Durchwühlen der Sonderangebote im Elektromarkt oder beim Nachgrübeln über die Vorzüge einer »Drei-zum-Preis-von-zwei«-Aktion in der Drogerie. Ich freute mich immer aufrichtig, ihn zu sehen. Irgendetwas dehnte sich dann in meinem Inneren aus und zog sich gleichzeitig zusammen. Ich fühlte mich wieder wie eine Studentin im ersten Semester, die einen Jungen zum ersten Mal trifft und sich fragt, ob er wirklich mit ihr reden will oder nur höflich ist.

Wir waren Freunde, mehr nicht. Warum hätte irgendjemand etwas anderes denken sollen?

Es stimmt schon, dass uns Menschen, die uns nicht kannten, zu Studienzeiten oft für ein Pärchen hielten. Wenn wir zu viert unterwegs waren, amüsierte uns dieser Trugschluss – es machte uns Spaß, die Leute im Ungewissen zu lassen. Schließlich war es nicht unsere Schuld, dass sie so dumm waren. Was schadete es schon?

Einmal passierte uns so eine Verwechslung während eines Wochenendtrips, zu dem Stevie und ich Mike und Cora nach Tenby in Pembrokeshire entführten. Wir verbrachten den Tag damit, träge wie Krabben auf unseren bunten Handtüchern am Strand zu liegen, die Finger und Zehen tief im Sand vergraben, während die hellen Fährboote nach Caldey Island durch die Bucht pendelten und flüchtige Blicke auf Familien im Anorak gewährten, die dicht aneinandergedrängt dem Wind trotzten.

Wir hatten zwei Doppelzimmer gebucht – natürlich nach Geschlechtern getrennt, wie es sich gehörte. Während Cora und Stevie duschten, klopfte Mike mit erwartungsvoll strahlendem Gesicht, das noch ganz rosa vom Wasserdampf war, an die Tür des Mädchenzimmers. In seinem grauen Wollpullover mit den schlaff herunterhängenden Ärmeln sah er aus wie ein kleiner Junge, der umarmt werden wollte.

»Ob Ihr mir wohl beim edlen Streben nach billigem Alkohol behilflich sein wollt, o holde Lizzy? Stevie braucht eine halbe Ewigkeit.« Ich schnappte mir also meine Jacke und rief Cora über den Lärm der laufenden Dusche hinweg eine Erklärung zu. Zusammen zogen wir durch die Straßen und suchten ein Spirituosengeschäft, und als wir endlich eins gefunden hatten, betrachteten wir prüfend die Regalreihen, zählten unsere Münzen, lachten und rempelten uns gegenseitig kumpelhaft an, flüsternd und mit einem Lächeln auf den Lippen. Als der Mann an der Kasse unseren Wein und unser Bier in eine Tüte packte, fragte ich ihn, ob er uns ein nettes Restaurant empfehlen könne.

»Für eine ganz besondere Gelegenheit, nehme ich an? Was Hübsches, Romantisches für euch beide?«, fragte er mit väterlichem Lächeln und entblößte dabei ein schauderhaft schlechtes Gebiss.

Mike und ich grinsten uns an und nickten.

»Wusste ich’s doch. Sieht man auf den ersten Blick. Meine Frau und ich gehen an unserem Hochzeitstag immer ins Plantagenet. Bisschen teuer zwar, aber das ist sie doch wert, oder?« Er zwinkerte Mike zu. »Ihr gebt ein hübsches Paar ab.«

Das klang schön – wir mussten beide lächeln. Und wir folgten seinem Rat und speisten bei Kerzenschein in der beengten, kitschig-romantischen Pracht eines Stadthauses aus dem siebzehnten Jahrhundert.

Weil wir paarweise Platz genommen hatten, ging das Personal davon aus, dass wir zwei Pärchen waren und Stevie und ich zusammengehörten. Ich tat so, als würde ich nicht merken, wie Stevies Brust vor Stolz anschwoll, weil sich die anderen Männer im Restaurant zu uns umdrehten und sich, nachdem sie einen Sekundenbruchteil zu lange in unsere Richtung geschaut hatten, offenkundig fragten, was eine Frau wie ich mit einem so durchschnittlich aussehenden jungen Mann wie Stevie wollte. Um das Vergnügen noch weiter auszudehnen, spielte ich mit den Härchen in Stevies Nacken, wie es eine gute Freundin eben tut, was ihn sofort zum Erröten und Grinsen brachte. Auch Mike grinste und zwinkerte mir über seine Jacobsmuscheln hinweg zu, während er Cora einen Kuss auf den Hals drückte. Unbezahlbar!

Es war doch nur ein Spiel. Vollkommen harmlos, oder etwa nicht?

Am nächsten Tag nahmen wir die Fähre nach Caldey Island, schauten uns das Zisterzienserkloster an, wanderten die ausgetretenen Pfade entlang und bewunderten die alte Kirchenruine. Cora war übel, weil sie zu viel von der Schokolade gegessen hatte, die die Mönche auf der Insel selbst herstellen. Wir aßen Kuchen und tranken Tee und brüllten vor Lachen, als Mike sagte: »Und wieder lässt Enid Blyton grüßen. Wir brauchen nur noch einen Hund. Lasst uns für den Nachmittag irgendwo einen mopsen!«

Und er schaffte es tatsächlich, einen Collie dazu zu bringen, nach dem Schinken aus seinem belegten Brötchen zu springen. Dann verfolgte er mich über die Wiese und jagte mir mein letztes Rolo ab. Unser Verhalten kam uns so selbstverständlich vor, so harmlos. Cora schien es nichts auszumachen. Warum auch? Alles andere gehörte doch ihr, all die Teile von ihm, die wirklich zählten, was war also schlimm daran, wenn ich hin und wieder kleine Häppchen von ihm abbekam?

Wir waren sechs Jahre getrennt gewesen, aber sobald Cora und Mike zurück in Cardiff waren, nahmen Mike und ich unsere alten Gewohnheiten wieder auf. Wenn Cora zu einem Elternabend oder einer Schulaufführung musste, gingen Mike und ich zusammen ins Kino, meist um uns irgendeine Literaturverfilmung anzusehen. Wir waren das unschuldigste Duo, das man sich vorstellen konnte, saßen getrennt voneinander in der Dunkelheit, ohne uns zu berühren. Wir flüsterten nur und kicherten und teilten uns Popcorn.

Danach holten wir uns manchmal noch eine Tüte Pommes frites und gingen beschwingt zu Fuß nach Hause, wo er mich hereinbat, um mir ein Taxi zu rufen.

Wenn Cora dann schläfrig in ihrem Designer-Bademantel aus dem Schlafzimmer kam und uns Kaffee machte, um die Wartezeit zu überbrücken, erzählten wir ihr den ganzen Film mit allen Höhen und Tiefen, hoben einzelne Drehbuchelemente und Kameratechniken hervor, fielen uns kichernd ins Wort und beendeten die Sätze des anderen, während Mike immer wieder auf den Tisch schlug und Dinge sagte wie »Ja, das war echt Wahnsinn!« oder »Du hast ja so recht, Lizzy!«.

Cora lächelte nachsichtig und war die perfekte Zuhörerin, und wenn ich dann ins Taxi stieg, standen die beiden Arm in Arm vor der Tür und winkten mir nach, und während Mike mir noch hinterhergrinste und mit der freien Hand die Tür hinter mir zuschlug, neigte er schon den Kopf, um sie zu küssen.

In der Redaktion, wo ich endlose Tage zwischen krächzenden Fernsehern und Radios und ratternden Newstickern durchstand, zwischen routinemäßigen Anrufen bei der Polizei und Pressekonferenzen und Kollegen, die alle gleichzeitig in den Telefonhörer brüllten, zwischen knisternden Funkgeräten und dem endlosen Kreislauf der minütlich aktualisierten Fernschreiber, hatte ich jetzt wieder diese kostbaren, heiteren Mike-Momente, auf die ich mich freuen konnte.

Sie bewirkten, dass sich mancher im Redaktionsauto verbrachte Vormittag leichter ertragen ließ und ich die auf Boden und Sitzen verteilten Krümel besser ignorieren konnte, wenn ich wieder einmal vor einer schäbigen Häuserreihe parkte, um die Angehörigen einer Person, die gerade eines unnatürlichen oder unerwarteten Todes gestorben war, um Fotos und Stellungnahmen zu bitten, wenn ich dort inmitten einer tosenden See aus drahtigen, zähen Kindern, die um mich herum mit zielloser Aggression auf einen Fußball einhämmerten, im Auto saß und mich fragte, warum ich nicht einfach so tat, als hätte ich bereits an die Tür geklopft.

Natürlich hätte ich lügen und behaupten können, im Gespräch mit den Hinterbliebenen mein Bestes gegeben zu haben, sie gefragt zu haben, warum ihr Sohn/ihre Tochter/ihr Mann/ihre Frau sich umgebracht hatte oder wie sie sich fühlten, nachdem ihr Vater vor zwei Tagen bei einem Unfall umgekommen war, oder was die letzten Worte ihrer achtjährigen Tochter gewesen waren, bevor das Auto sie erwischt hatte. Ich hätte dem Arschloch einfach erzählen können, dass das Gespräch nichts ergeben hatte, dass es keine Story gab. Aber für irgendjemanden war es immer eine Story, und die endlos tickende Redaktionsuhr kannte keine Gnade.

Ich stellte fest, dass ich mir vor Treffen mit Mike besondere Mühe gab, dass ich mit höchster Sorgfalt mein Make-up auftrug oder mir den Kopf zerbrach über das passende Outfit, über meine Frisur, den Schmuck, den ich tragen wollte. Und alles nur, weil dem Mann meiner besten Freundin das eine vielleicht besser gefiel als das andere.