Prolog
Vom Kamin fiel bernsteinfarbenes Licht auf den schmutzigen Boden der Hütte. Es reichte kaum aus, den einfachen Tisch und die Stühle zu erhellen, die beiden niedrigen Betten mit den Steppdecken sowie die anderen abgenutzten und alten Einrichtungsgegenstände; niemand wusste, wessen Großvater oder Großmutter sie erworben hatte. Bei Einbruch der Nacht zündete eine große, schwarzhaarige und gut zwanzig Jahre alte Frau eine einzelne Kerze auf dem Tisch an, und selbst das war Luxus.
Sie war schlank, mit großen braunen Augen unter Brauen, die sich weit nach oben wölbten; einige Strähnen hatten sich aus ihrem langen Zopf gelöst. Unter dem Wollmantel trug sie eine alte, fleckige Schürze über einem blauen Kleid. Sie zog einen Kochtopf vom Feuer, damit das Essen nicht anbrannte, trat dann zum vorderen Fenster der Hütte. Mit der einen Hand schob sie die Jutegardine beiseite, mit der anderen öffnete sie den Fensterladen einen Spaltbreit und blickte besorgt über den Dorfweg.
Nur wenige Leute waren zwischen den dicht zusammengedrängten Hütten unterwegs, trugen Feuerholz oder gingen, mit Eimern in den Händen, zum Brunnen. Die junge Frau zog den Fensterladen wieder zu, ließ die Gardine zurückfallen, kehrte zum Tisch zurück und stellte zwei Näpfe aus Ton bereit, mit Holzlöffeln daneben. Von einem Regal nahm sie ein in Tücher gewickeltes Bündel und ein Messer, setzte sich damit auf einen Stuhl. Sie wickelte einen Laib Roggenbrot aus und schnitt das trockene Ende ab. Mehr gab es nicht zu tun, und so wartete sie.
Als es an der Tür klopfte, seufzte sie erleichtert.
Bevor sie zur Tür ging, knurrte draußen eine hohle Stimme: »Schluss mit den Höflichkeiten!«
Holz knirschte und brach, als die Tür aufflog. Lederne Angeln lösten sich, und Splitter fielen auf den Boden. Die junge Frau wich zum Tisch zurück und stolperte dabei fast über einen Stuhl.
Drei schattenhafte Gestalten standen in der Öffnung, ihre Gesichter unter Kapuzen verborgen. Die größte von ihnen senkte den Fuß, als die aufgetretene Tür zur Ruhe kam.
»Das war nicht nötig, Vater«, sagte der zweite Mann, der neben dem Großen stand. Er trug einen pechschwarzen Kapuzenmantel und handgearbeitete Reitstiefel, und die in einem Handschuh steckende Hand war noch immer zum Klopfen erhoben. Er ließ sie sinken.
Die dritte Gestalt blieb zurück, als der Vater eintrat, die junge Frau mit drei Schritten erreichte und sie an der Kehle packte.
Sie hielt sich am Tisch fest, als er sie nach hinten drückte. Sein Daumen zwang ihren Kopf zur Seite, und er betrachtete ihr Profil. Die ganze Zeit über hielt sie den Blick auf ihn gerichtet.
Das Licht der Kerze enthüllte einen Teil des Gesichts unter der Kapuze. Fast farblose Augen starrten sie an, und er war noch bleicher als ihre eigene hellhäutige Art. Eine lange Adlernase reichte bis zum dünnlippigen Mund. Er trug stählerne Armschützer an beiden Unterarmen, und unter seinem Mantel bemerkte die Frau einen burgunderroten Wappenrock ohne Wappen über einem Kettenhemd. Ihre Hand tastete am Tisch nach einem besseren Halt und berührte etwas Scharfes.
»Ist sie es?«, fragte der große Mann. Seine Worte galten natürlich nicht der Frau.
Derjenige, der ihn Vater genannt hatte, trat in die Hütte, wodurch der dritte Fremde Gelegenheit bekam, sich der Frau zu nähern.
Sein langer Kapuzenmantel schien wie schwarzes Öl zu fließen, als er über den Hüttenboden glitt. Der flackernde Schein des Feuers ließ zwischen den Falten seltsame Zeichen und Symbole aufschimmern und dann wieder verschwinden. Das Gesicht verbarg sich unter einer Maske aus altem Leder, die über einer wie zerknittert wirkenden Mundpartie endete.
Er streckte die Hand nach der Frau aus, als sähe er sie, doch seine dünnen Finger verharrten dicht vor ihrer Wange, während sie versuchte, noch weiter zurückzuweichen.
»Verlasst meine Hütte!«, rief sie. Niemand schenkte ihr Beachtung.
»Ja …«, hauchte der Fremde mit der Maske, und seine Stimme klang wie vom Wind bewegter Sand. »Jene, die mir erschien. Jene, die mir unsere Herrin im Traum zeigte.«
Der Vater sah seinen Sohn an.
»Du solltest zufrieden sein«, sagte er. »Du bekommst eine attraktive Braut.«
Die Augen der Frau wurden groß. Sie wäre nicht die Erste und bestimmt auch nicht die Letzte gewesen, die ein Vasallenlord aus einer Laune heraus einem Lehensmann zur Ehefrau gab, aber Adlige nahmen sich keine Dorffrauen zur Gemahlin.
»Braut?«, wiederholte der Sohn. »Vater, ich bezweifle, dass sich dein Lakai …« Bei diesem Wort zischte der Maskierte über die Schulter hinweg. »… mit den Bräuchen aufhalten würde, die damit in Zusammenhang stehen. Nimm sie und lass uns gehen. Je eher, desto besser.«
Die Finger des Maskierten kamen noch etwas weiter nach vorn, und die Hand des großen Mannes schloss sich fester um die Kehle der Frau, hob sie hoch. Als die Fingerspitzen ihre Wange berührten, ergriff sie das Messer auf dem Tisch.
Die Gestalt mit der Maske wich zur Wand der Hütte zurück, noch bevor sich die junge Frau bewegte. Sie beugte sich nach vorn, stieß von unten nach oben. Durch den Seitenschlitz des Kettenhemds bohrte sich die Klinge des Messers in den Unterleib des großen Mannes.
Seine Hand blieb an ihrer Kehle. Niemand in der Hütte rührte sich.
Der Zorn verließ die Frau, als sie in die Augen des Mannes starrte und dort nicht das geringste Gefühl sah. Er machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Hand vom Griff des Messers zu lösen. Der Maskierte glitt zur Tür und in die Nacht hinaus. Der große Mann, Vater genannt, folgte ihm und zerrte die junge Frau, noch immer an der Kehle gepackt, mit sich.
Sie stolperte und fand das Gleichgewicht wieder. Der Sohn des großen Mannes wandte sich ab, als sie an ihm vorbeikam, und sie sah nichts von seinem Gesicht unter der Kapuze. Zwei große Pferde standen draußen auf dem Dorfweg. Der Sohn schwang sich auf das nächste, einen Braunen, sein Vater hob die Frau mühelos hoch und setzte sie hinter ihn.
Rufe kamen aus der Dunkelheit.
Dorfbewohner verließen ihre Hütten, doch die meisten von ihnen wahrten Distanz. Einige wenige hielten Fackeln oder Laternen mit Kerzen, deren Licht kaum genügte, den Weg zwischen den Hütten zu erhellen. Drei junge Männer in schmutziger Arbeitskleidung näherten sich mit Hacken und Heugabeln. Zwei zögerten, aber der dritte zeigte keine Furcht. Selbst in der Finsternis erkannte die junge Frau das zerzauste braune Haar und das kantige Gesicht mit dem vorstehenden Kinn.
»Adryan, nein!«, rief sie, erfüllt von Ärger und auch Sorge um ihn.
Ein Dorfbewohner, der einen Adligen angriff, war eher früher als später eine Leiche, und niemand, der etwas zählte, würde seinen Tod in Frage stellen. Der junge Mann warf ihr nur einen kurzen Blick zu; seine Aufmerksamkeit galt der maskierten Gestalt und dem großen Mann, dem Vater.
»Lasst sie frei!«, sagte er scharf. »Sie gehört zu mir!«
»Du Dummkopf!«, rief sie zurück. »Komm nicht näher. Du kannst nicht helfen.«
Sie wollte vom Pferd rutschen, aber der Sohn des Großen streckte den Arm nach hinten und hinderte sie daran.
»Du solltest auf sie hören«, sagte er.
Adryan lief zum Vater. Der große Adlige schlug seinen Mantel zurück, und zum Vorschein kam das Messer in seinem Unterleib. Der junge Mann zögerte, und die maskierte Gestalt glitt nach vorn, versperrte ihm den Weg. Sie holte mit einer knochigen Hand aus, und der Hieb traf Adryan an der Wange.
Er fiel nach hinten zu Boden, schrie und hob beide Hände zum Gesicht. Während er sich noch krümmte, zog der große Mann das Messer aus seinem Leib wie aus einer Scheide. Er warf es neben Adryan auf den Boden, und die beiden Freunde des jungen Mannes wichen zurück.
Der Maskierte näherte sich Adryan.
»Das reicht!«, sagte der große Mann. »Vergeuden wir hier nicht noch mehr Zeit. Wir erwarten dich beim Bergfried.«
Der Maskierte drehte sich um und nickte. Er streckte die Arme aus, mit den Innenflächen der Hände nach oben. Langsam und mit einem hörbaren Zischen ließ er den Atem entweichen.
Die Luft über dem Dorfweg begann zu brodeln.
Die auf dem Pferd sitzende Frau beobachtete, wie in einem Kreis um den Maskierten Blätter und dünne Zweige in Bewegung gerieten. Der auflebende Wind schuf flackernde Silhouetten, und das Licht der Laternen fiel auf etwas, das in der Luft Gestalt annahm.
Gesichter erschienen: hohlwangig und mit tiefen Augenhöhlen, die Haut über Phantomknochen geschrumpft. Durchsichtige Hände tasteten auf allen Seiten nach dem Kapuzenmantel des Maskierten, der schnell an Substanz verlor und sich auflöste.
Der Wind flaute ab.
Die Frau spürte plötzlich die Kälte der Nacht, als sie dorthin starrte, wo der Maskierte eben noch gestanden hatte.
Der große Mann stieg auf das zweite Pferd und ritt über den Weg in den Wald. Der Bergfried erhob sich in einiger Entfernung auf der Kuppe eines Hügels. Der Sohn drehte sein Pferd, um dem Vater zu folgen, und hinter ihnen im Dorf hörte die junge Frau einen Schrei. In Verzweiflung gehüllt, hörte sie ihn nur undeutlich und drehte sich halb um, hielt sich dabei mit der einen Hand an der Taille des Sohnes fest, als das Pferd zu traben begann.
Eine andere Frau kam über den Weg, beleibt und schwarzhaarig, in einem violetten Kleid. Mit dem Messer, das im Bauch des großen Mannes gesteckt hatte, lief sie den Pferden hinterher.
»Nein, Bieja!«, rief die junge Frau und presste die Knie an die Flanken des Rosses.
Erleichterung durchströmte sie. Ihre ältere Schwester war erneut zu spät vom Markt im Nachbardorf heimgekehrt. Das Pferd ging vom Trab in den Galopp über, und die junge Frau musste sich stärker an der Taille des Mannes festhalten. Sie konnte nicht mehr zurücksehen und hörte ihre Schwester erneut rufen.
»Magelia!«