Hohn und Spott für den Erfinder

»Juanelo ist ein Flame und folglich ein Trunkenbold. Er trinkt alles außer Wasser. Das Wasser verabscheut und verachtet er. In jüngster Zeit hasst er es sogar. Jetzt ist sein Zorn auf das Wasser so weit gestiegen, dass er angefangen hat, es zu quälen. Weil das Wasser sich nicht mehr von Juanelo quälen lassen will, läuft es in seiner Verzweiflung bergan. Das ist die ganze Kunst des Flamen.«

Diese Verhöhnung eines Zeitgenossen geht so an der Sache vorbei, dass dahinter nur eine handfeste Kampagne stecken kann, bei der die Wahl der Mittel nebensächlich ist. Da man Turriano schlecht Versagen vorwerfen konnte, denunzierte man ihn als trunksüchtigen Ausländer und zog ins Lächerliche, was seine Mechanik zu leisten vermochte. Der Autor dieses Pamphlets verfocht die Sache der Toledaner, die dem Lombarden und seinem Werk zürnten. Ihnen ging es nicht um das Wohl der Maultiere oder die geniale technische Lösung eines Problems, sondern ums Geld sowie die Vorschreibungen der Krone. Die Toledaner scherte offenbar nicht, dass ein schon zu Lebzeiten europaweit berühmter Ingenieur ihrer Stadt einen großen Dienst geleistet hatte, sondern sie verteufelten das teure Konstrukt, dessen Nutzen als Infrastrukturmaßnahme sie nicht erkennen wollten oder konnten. Da half es wenig, dass ihre Stadt ein landauf, landab gerühmtes Werk der Ingenieurskunst beherbergte. Sie verhielten sich nicht nur unwillig, sondern destruktiv. Bereits während der Bauarbeiten hatte die städtische Bürokratie den Ingenieur nach Kräften behindert, der um das bewilligte Material kämpfen und zähneknirschend zusehen musste, wie der Wachschutz abgezogen wurde. Prompt gab es Sabotage auf der Baustelle, Unrat und Fäkalien landeten dort, verhöhnten so das Unternehmen und schädigten das Bauholz. Bereits jetzt wurden Stimmen vernommen, die die Qualität des so beförderten Wassers in Zweifel zogen. Doch Turriano ließ sich nicht beirren, sondern arbeitete tapfer weiter, wohl im Vertrauen, das Ergebnis werde seine Kritiker mühelos überzeugen.

Aber nicht nur machten die Toledaner dem Meister der Wasserkunst die Arbeit an seinem Werk schwer – sie weigerten sich außerdem, ihren Teil des Geschäfts zu erfüllen. Der König war nicht mehr vor Ort, und so witterte Toledo die Chance, aus der teuren, ungeliebten Verpflichtung wieder herauszukommen. Jetzt rächte sich, dass die Stadt vom König genötigt worden war, den Vertrag abzuschließen. Denn Toledo hatte andere Sorgen als diese Infrastrukturmaßnahme, die noch dazu vornehmlich den königlichen Gärten des Alcázars zugutekam, wie man nicht müde wurde zu betonen.

Für Toledo waren inzwischen nämlich dramatische Veränderungen eingetreten. Die jahrhundertelange Blüte der Stadt hatte ein Ende gefunden, man war unübersehbar im Niedergang begriffen. Das hatte nicht zuletzt mit der königlichen Politik zu tun. Insgesamt waren die ersten gesamtspanischen Könige, Karl I. sowie sein Sohn Philipp, in Spanien nicht uneingeschränkt beliebt. Als aufgrund dynastischer Heiratspolitik und zahlreicher Todesfälle unter den spanischen Thronfolgekandidaten 1516 mit Karl ein Habsburger König wurde, stieß das nicht auf Begeisterung bei den Spaniern, zumal Karl gar kein Spanisch sprach, erst mehr als zwei Jahre nach dem Tod seines Großvaters ins Land kam und dann aus seiner Herkunft und flandrischen Prägung keinen Hehl machte. Zeitweise stand die Stadt Toledo an der Spitze der Opposition – und schließlich offener Rebellion – gegen den König. Dieser Comuneros-Aufstand wird in der Forschung inzwischen als eine Art bürgerliche Revolution verstanden, in der das aufstrebende Bürgertum um mehr politischen Einfluss kämpfte, nicht nur, aber gerade auch in der eigenen Stadt. Die Bewegung unterlag jedoch, nicht zuletzt wegen der inneren Zerstrittenheit hinsichtlich ihrer Ziele, was der Monarchie die Möglichkeit verschaffte, künftig weniger im Konsens und stärker absolutistisch zu regieren. Das wiederum führte im Großen und langfristig zur Überdehnung des Königreiches und zur Überforderung des Staates – im Kleinen und kurzfristiger verbaute es den städtischen Handwerker- und Kaufmannsschichten nicht nur politische, sondern auch ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten.

In Spanien blieb Karl vorerst der Ausländer, wozu die langen Jahre seiner Abwesenheit beitrugen – die der Tatsache geschuldet waren, dass sein Reich nicht nur aus Spanien und den überseeischen Besitzungen bestand, sondern seit 1519 auch das Heilige Römische Reich und Österreich dazuzählten, außerdem die Niederlande und Burgund, Neapel, Sizilien, Sardinien und einige mehr. Sein Engagement andernorts finanzierte Karl in erheblichem Maße durch kastilische Steuern, deren Last für die Toledaner im Laufe des 16. Jahrhunderts auf ein Vielfaches stieg. Zwar gewann Karl in Spanien nicht nur herrschaftlich an Boden, sondern fand schließlich auch zunehmend Akzeptanz, zumal kein Spanier unempfänglich war für Ruhm und Glanz von Kaisertum und Entdeckung der Neuen Welt. Kastilien aber geriet gleichwohl ins Hintertreffen, und dieser Prozess vollzog sich nicht so schleichend, dass man ihn hätte übersehen können. Am schärfsten spürten den Niedergang, der durch ein Bevölkerungswachstum und vermehrte Zuwanderung nur noch verschärft wurde, die Bürger. In Toledo brach die Mittelschicht regelrecht weg, das Proletariat aber nahm an Umfang zu. Die Bürger aber waren es, die die Hauptlast der Steuern zu tragen hatten.

Unter Philipp wurde es noch schlimmer. Das kleine Kleckernest Madrid, das bisher in keinster Weise an Toledo hatte heranreichen können, war 1561 von Philipp zur neuen Hauptstadt auserkoren worden – sehr zum Unwillen und Unverständnis der meisten Zeitgenossen. Über die Gründe lässt sich trefflich streiten, weil Philipp sie nirgendwo niederlegte. Für Toledo jedenfalls stellte das eine schmerzliche Degradierung dar. Zwar behielt die Stadt den Status als Sitz des spanischen Kirchenoberhaupts, aber das allein konnte den Abwärtstrend nicht aufhalten. Nicht nur das Prestige litt, auch wirtschaftlich entfiel durch den Abzug des Hofes ein bedeutender Faktor. Philipp reiste zwar nicht ständig umher wie sein Vater, aber Toledo profitierte davon nicht, im Unterschied zur neuen Hauptstadt Madrid, das nunmehr zum Höhenflug ansetzte, und dem nicht weit von dort gelegenen Escorial. Philipps Beliebtheit war vermutlich nicht dienlich, dass er mehr misstrauischer Despot und fanatischer Aktenfresser war als liebenswerter Landesvater, zumal ihn das Volk nur selten zu sehen bekam. Immerhin ließ er bis 1587 den Tajo zwischen Toledo und Lissabon schiffbar machen, was der daniederliegenden Tuchindustrie Toledos einen Vorteil verschaffen sollte, aber das linderte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nur wenig.

Der Alcázar von Toledo, gerade im Ausbau begriffen, würde als königliche Residenz also keine sonderliche Bedeutung mehr erlangen. Vielleicht deshalb holte Philipp für die Kosten der Wasserkunst die Stadt Toledo ins Boot – gegen ihren Willen. Trotz allem wurden ja die Palastgärten unterhalten und brauchten Wasser – aber es war schwer vermittelbar, dass die Bürger für die Wasserversorgung des Alcázar zahlen sollten, wo der König doch eben erst der Stadt seine Gunst und den Hauptstadttitel entzogen hatte. Der Unmut der Bürger von Toledo ist also durchaus nachvollziehbar. Es lässt sich allerdings nicht mehr feststellen, ob die Toledaner tatsächlich nur die spärlichen Reste des Wassers erhielten, nachdem der Alcázar seinen Bedarf gedeckt hatte. Wahrscheinlich ist es aber durchaus, denn zum einen befand sich der Palast weit oben auf dem Bergfelsen, zum anderen stand schon vom Rang her zunächst dem König das nach oben beförderte Wasser zu. Im Versuch, ihre Felle zu retten, mögen die Wasserträger, deren Existenz die Wasserkunst von Toledo bedrohte, den Widerstand gegen die Verbesserung der städtischen Infrastruktur forciert haben. Die immer wieder beobachtete Sabotage und die mangelnde Pflege der Anlage könnten ein Ausdruck von Hilflosigkeit gewesen sein, die das stolze Toledo angesichts des rapiden Niedergangs verspürte. Welchen Nutzen sollte man in einem Bauwerk erkennen, das gleichzeitig Geld kostete und Arbeitsplätze vernichtete, noch dazu in einer Stadt, die sich mit ihren massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen alleingelassen fühlte?

Turriano hatte den König weiterhin auf seiner Seite, außerdem verwandten sich die Beauftragten der Krone für ihn. Erreicht wurde schließlich ein Vergleich, der vorderhand salomonisch wirkt: Philipp übernahm die Bezahlung Turrianos, drehte aber den Bürgern das Wasser kurzerhand ganz ab. Die Stadt beauftragte, vermutlich abermals auf Drängen des Königs, Turriano mit einer zweiten Wasserkunst, deren Kosten sie übernehmen wollte, weil sie auch allein davon profitieren sollte. 1581 war diese zweite Arbeit vollendet, aber die Stadt zahlte abermals nicht. Der König hatte das Problem nur vertagt, nicht gelöst, und vermochte auch jetzt nicht, seinem Mechaniker zu seinem Recht zu verhelfen.

In den 1580er-Jahren wurden Toledos wirtschaftliche und soziale Probleme aber immer größer. Die Rezession verschärfte sich, nachdem zuvor die Bevölkerung Kastiliens stark zugenommen hatte. Das dicht besiedelte Land erlebte eine Stadtflucht, mit der das angezählte Toledo nur unter größter Anstrengung fertig wurde. Angesichts der städtischen Aufwendungen für die Armenfürsorge besaß eine moderne, bequeme Wasserversorgung keine Priorität.

Inzwischen betagt geworden, hätte Turriano verdient, endlich entsprechend seinen Fähigkeiten und beachtlichen Leistungen einen wohlsituierten Lebensabend verbringen zu können. Stattdessen vergällten ihm bittere Armut und der Streit ums Geld die verbliebenen Lebensjahre. An den König schrieb er: »Ich fürchte, es wird kein Geld geben, um mich zu beerdigen.« Da er sich aus Geldnot schließlich auch von den beiden Wasserkünsten trennen musste, schrieb er abermals an Philipp: »Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, dem Kaiser, unserem Herrn, und Eurer Majestät zu dienen, und in Eurem Auftrag habe ich jene Anlagen erfunden. Es erscheint mir daher nicht gerecht, dass etwas von derartiger Größe in anderen als in Euren Händen bleiben soll. Deshalb komme ich, um Euch die meinige anzubieten, damit Ihr Euch beider Anlagen bedienen könnt. Eure Majestät kennt mein Alter und meine Not, und weil die Stadt Toledo nicht einhielt, was mit mir vereinbart wurde, bin ich solchermaßen arm, dass ich weder meine Schulden tilgen, noch meinen drei verwaisten Enkelinnen, die ich verheiratet habe, die Mitgift aushändigen, noch für die anderen mir verbleibenden Enkelinnen dieser Pflicht nachkommen kann …«

Das war kurz vor Turrianos Tod am 13. Juni 1585 in Toledo. Er wurde in der Kirche des Klosters Carmen beigesetzt – »ohne die Begleitung, die er verdient hätte, als ein König in allen Dingen, an denen er Hand anlegte oder für die er seinen scharfen Verstand einsetzte«, wie Esteban de Garibay berichtete, der dem Sarg folgte.

Turrianos Tochter Barbara Medea bat im Jahr darauf den König um Hilfe und verwies auf den ihm übersandten Nachlass ihres Vaters. Philipp bewilligte ihr daraufhin 6.000 Dukaten. Für die Nachkommen seines Mechanikers fühlte sich der König also verantwortlich, aber der Fortbestand der Wasserkunst von Toledo war alles andere als gesichert. Die Stadt missachtete nicht nur die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Erbauer, sondern auch die Anlage an sich, die wie gewohnt stiefmütterlich behandelt wurde. Man hatte weiterhin mit Krisen zu kämpfen, ob Missernten oder Hunger, ob Heuschreckenplage oder Pest.

Nur war das System der Wasserkunst ebenso ausgeklügelt wie kompliziert und verlangte nach sachkundiger Wartung. Dafür war der Ingenieur ja auch nach Fertigstellung des Auftrages verpflichtet worden – und seinem Teil der Vereinbarung kam er sogar posthum noch nach. Sein Enkel war in der Lage, die Wasserkunst zu warten und instandzuhalten. Einige Jahrzehnte nach Turrianos Tod schaufelte seine Wasserkunst das kostbare Nass weiter in die Höhe und von nah und fern kamen Besucher, um die ausgeklügelte Konstruktion zu bewundern. Juanelos Nachkommen erledigten wohl auch die Aufgabe, den zahlreich anreisenden Neugierigen das Wunderwerk der Technik zu zeigen und zu erklären. Dann aber starb auch der Enkel, ohne dass ein fähiger Nachfolger verfügbar war. Vier Jahrzehnte nach Turrianos Tod fiel die Anlage der Vernachlässigung anheim, wurden Messingteile entwendet, verrottete die Schutzbehausung der Anlage. Schließlich wurde die Wasserkunst von Toledo ganz stillgelegt und verfiel schließlich völlig. Ihr Modell, das man heute vor Ort in Augenschein nehmen kann, musste anhand der späteren Beschreibungen und der örtlichen Gegebenheiten rekonstruiert werden – wie das Ganze also wirklich aussah, ist nicht mehr zweifelsfrei zu ermitteln.