4. Kapitel
Der Wald ist nicht wie andere natürliche Räume. Zunächst einmal ist er kubisch, das heißt, die Bäume umgeben uns, überragen uns, bedrängen uns von allen Seiten. Der Wald versperrt uns die Sicht, er läßt uns orientierungslos, und er verwirrt uns. Er macht uns klein und verlegen und verletzlich, wie ein Kind, das sich in einer Menschenmenge, zwischen lauter fremden Beinen, verirrt hat. In der Wüste, in der Steppe wissen wir, daß wir uns in einem großen, offenen Raum befinden. Im Wald spüren wir diesen Raum nur. Der Wald ist ein riesiges, konturloses Nirgendwo. Und der Wald lebt.
Der Wald ist gespenstisch. Abgesehen davon, daß wilde Tiere in ihm hausen können und bewaffnete, genetisch gesehen unvollkommene Zweibeiner, die Zeke oder Festus heißen, ist ihm etwas Finsteres eigen, etwas Unbeschreibliches, das uns mit jedem Schritt eine Atmosphäre der Bedrohung spüren läßt und uns überdeutlich zu verstehen gibt, daß wir uns nicht in unserem Element befinden und besser die Ohren spitzen. Obwohl wir uns einreden, daß es absurd ist, werden wir das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Wir sagen uns: Ruhig bleiben, es ist schließlich nur ein Wald, meine Güte, aber in Wirklichkeit sind wir fickriger als ein Bankräuber mit gezogener Pistole. Bei jedem plötzlichen Geräusch – dem krachenden Lärm eines herabfallenden Astes, dem Vorbeihuschen eines aufgescheuchten Rehs – geraten wir ins Rotieren und schicken ein Stoßgebet zum Himmel, welcher Mechanismus im Körper auch immer für die Adrenalinproduktion verantwortlich ist, in diesem Moment funktioniert er wie geschmiert, noch nie war er so versessen darauf, einen heißen Schub dieses Saftes auszustoßen. Selbst im Schlaf sind wir angespannt wie ein Flitzbogen.
In Amerika hat der Wald die Menschen 300 Jahre lang eingeschüchtert. Der unsägliche Tugendbold und Langweiler Henry David Thoreau fand alle Natur prächtig, solange eine Stadt in der Nähe war, wo er Kuchen und Gerstensaft kaufen konnte, aber als er 1846 bei einem Ausflug auf den Katahdin einmal echte Wildnis erlebte, war es bis ins Mark erschüttert. Das war nicht die zahme Welt der verwunschenen Obstgärten im kleinen Vorort von Concord, Massachusetts, sondern es war das abschreckende, bedrückende, urzeitliche Land, »grimmig und wild… primitiv und trüb«, nur für »Menschen gemacht, die Steinen und wilden Tieren verwandter sind als unsereinem«. Diese Erfahrung hat ihn, um mit den Worten eines Biographen zu sprechen, »an den Rand des Wahnsinns« gebracht.
Aber selbst hartgesottenere, dem Leben in der Wildnis angepaßtere Männer als Thoreau ließen sich von der eigentümlichen, fast greifbaren Bedrohung einschüchtern. Daniel Boone, der sich nicht nur Faustkämpfe mit Bären lieferte, sondern auch mit deren Weibchen anbändelte, beschreibt einige Gegenden in den südlichen Appalachen als »so wild und grauenhaft, daß man nicht ohne Erschauern davon berichten kann«. Und wenn schon Daniel Boone Muffensausen kriegt, sollte man sich besser vorsehen.
Als die ersten Europäer in die Neue Welt kamen, gab es in dem Gebiet, das später als die »Lower 48« bezeichnet wurde, also dem nordamerikanischen Kontinent mit Ausnahme von Alaska, knapp 385 Millionen Hektar bewaldete Fläche. Der Chattahoochee Forest, durch den Katz und ich gerade trotteten, gehörte zu einem riesigen geschlossenen Baumbestand, der vom südlichen Alabama bis nach Kanada reichte, und noch weiter, von der At- lantikküste bis zum fernen Grasland entlang des Missouri River.
Der größte Teil dieses Waldgebietes ist heute verschwunden, aber was geblieben ist, ist eindrucksvoll genug. Der Chattahoochee gehört zu einem 1,6 Millionen Hektar – 16.000 Quadratkilometer – großen Staatsforst, der sich bis zu den Great Smoky Mountains und über vier Bundesstaaten erstreckt. Auf einer Karte der Vereinigten Staaten stellt er nur einen unbedeutenden grünen Fleck dar, erst zu Fuß erschließen sich seine kolossalen Ausmaße. In vier Tagen würden Katz und ich den nächsten Highway überqueren und erst in einer Woche wieder in eine Stadt kommen.
Und so wanderten wir los. Wir wanderten Berge hinauf, durch verlassene Senken, entlang einsamer Gebirgskämme, mit Aussicht auf noch mehr Gebirgskämme, über grasgrüne, kahle Bergkuppen, steinige, sich windende, nervenaufreibende Abstiege hinunter und Kilometer um Kilometer durch dunklen, tiefen, einsamen Wald, auf dem knapp einen halben Meter breiten Wanderpfad, der durch weiße, rechteckige Markierungen angezeigt wurde – ein Balken, fünf Zentimeter hoch, 15 Zentimeter lang –, die in regelmäßigen Abständen in die graue Borke der Bäume geschnitzt waren. Wir wanderten und wanderten.
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der entwickelten Welt ist Amerika immer noch zu einem erstaunlichen Teil ein Land der Wälder. Ein Drittel der Landfläche des nordamerikanischen Kontinents, Alaska ausgenommen, ist mit Bäumen bewachsen, 295 Millionen Hektar insgesamt. Allein Maine hat über vier Millionen Hektar unbewohntes Land. Das sind mehr als 40.000 Quadratkilometer, ein Gebiet, das um einiges größer ist als Belgien, ohne einen einzigen Bewohner. Nur zwei Prozent der Vereinigten Staaten werden als baulich erschlossen eingestuft.
Etwa 97 Millionen Hektar der amerikanischen Wälder gehören dem Staat. Der größte Anteil davon, 77 Millionen Hektar, verteilt auf 155 Parzellen, wird vom U.S. National Forest Service unterhalten und steht je nachdem unter Verwaltung der National Forests, der National Grasslands oder der National Recreation Areas. Das hört sich an, als sei es unberührtes Land, ganz im Sinne der Ökologie, aber in Wahrheit sind weite Teile des Waldgebietes des Forest Service zur Mischnutzung ausgewiesen, was großzügig interpretiert wird und alle möglichen Aktivitäten erlaubt: Bergbau; Öl- und Gasgewinnung; Wintersport (137 Orte); Bau von Eigentumsanlagen; Schneemobil- und Geländewagenrennen und natürlich jede Menge Holzwirtschaft – lauter Dinge, die mit der Ruhe des Waldes eigentlich unvereinbar sind.
Der Forest Service ist wirklich eine höchst erstaunliche Institution. Viele Menschen sehen das Wort Forest im Namen und vermuten, dahinter verberge sich die Sorge um Bäume. Tatsächlich verhält es sich anders, obwohl die Pflege des Waldes der ursprüngliche Gedanke war. Vor 100 Jahren, als die Abholzung amerikanischer Wälder alarmierende Ausmaße annahm, wurde der Service als eine Art »Waldbank« eingerichtet, als dauerhaftes Depot für amerikanisches Nutzholz. Der Auftrag lautete: Nutzung und Schonung dieser Ressourcen für das Land. An Nationalparks war dabei nicht gedacht. Privatfirmen sollten die Genehmigung bekommen, Erze abzubauen und Holzwirtschaft zu betreiben, wurden aber angehalten, dies nur in begrenztem Umfang und auf intelligente und nachhaltige Weise zu tun.
Womit sich der Forest Service hauptsächlich beschäftigt, ist der Straßenbau. Das ist kein Witz! Durch die amerikanischen Staatsforste führen Straßen in einer Gesamtlänge von 608.315 Kilometern. Die Zahl sagt vielleicht nicht viel aus, aber man kann es auch so sehen: Das Netz ist achtmal so groß wie das gesamte amerikanische System der Interstate Highways. Es ist das größte Straßennetz der Welt, das in der Hand eines einzelnen Betreibers hegt. Der Forest Service beschäftigt im Vergleich zu allen anderen staatlichen Institutionen auf der Erde die zweitgrößte Anzahl an Straßenbauingenieuren. Die Aussage, daß diese Leute gerne Straßen bauen, hieße, das Maß ihrer Hingabe auf charmante Weise untertreiben. Zeigt man ihnen einen idyllischen Wald, ganz egal wo, werden sie ihn ausgiebig und nachdenklich in Augenschein nehmen und zum Schluß sagen: »Hier könnte man gut eine Straße bauen.« Es ist erklärtes Ziel des U.S. Forest Service, bis Mitte des nächsten Jahrhunderts weitere 933.400 Straßenkilometer durch Waldgebiet anzulegen.
Der Grund warum der Forest Service diese Straßen baut, abgesehen von der tiefen Befriedigung, die es den Männern bereitet, mit großen Maschinen möglichst viel Krach im Wald zu machen, liegt darin, daß der privaten Holzindustrie Zugang zu vorher unerreichbaren Baumbeständen verschafft werden soll. Von den 60 Millionen Hektar verwertbaren Waldgebiets des Forest Service sind zwei Drittel für die zukünftige Nutzung reserviert. Das übrige Drittel – 19 Millionen Hektar, eine Fläche, doppelt so groß wie Ohio – ist zur Rodung bestimmt. Das ermöglicht den Kahlschlag ganzer, geschlossener Waldgebiete. Das schließt, um nur ein besonders erschreckendes Beispiel zu nennen, auch 84 Hektar eines Bestands von tausendjährigen Redwoods im Umpqua National Forest in Oregon ein.
1987 gab der Forest Service bekannt, er werde der privaten Holzindustrie ab sofort erlauben, jährlich Hunderte Hektar Baumbestand aus der uralten grünen Lunge des Pisgah National Forest, gleich neben dem Great Smoky Mountams National Park, abzuholzen. Dies sollte zu 80 Prozent nach Methoden der »wissenschaftlichen Forstwirtschaft« geschehen, wie man es delikaterweise nannte. Gemeint ist damit Kahlschlag, was nicht nur eine Beleidigung fürs Auge, sondern ein brutaler Eingriff in die Landwirtschaft darstellt und große Überschwemmungen auslösen kann, die den Boden zerfurchen, ihm Nährstoffe entziehen und das ökologische Gleichgewicht weiter stromabwärts zerstören, manchmal auf eine Länge vom mehreren Kilometern. Das hat mit Wissenschaft nichts mehr zu tun. Das ist Waldfrevel.
Trotzdem schleift der Forest Service weiter. Ende der 80er Jahre – es ist so abwegig, daß man es kaum aussprechen mag -war er der einzige ernstzunehmende Vertreter der amerikanischen Holzindustrie, der schneller mit dem Abholzen war als mit der Wiederaufforstung. Und das mit einer grandiosen Ineffizienz. 80 Prozent seiner Leasingunternehmen machten Verluste, häufig riesige Summen. In einem typischen Fall verkaufte der Forest Service hundertjährige Murrays-Kiefern im Targhee National Forest in Idaho für zwei Dollar pro Stamm, nachdem er umgerechnet vier Dollar pro Stamm für Landvermessungen, Vertragsakquisition und – wie könnte es anders sein – Straßenbau ausgegeben hatte. Zwischen 1989 und 1997 verlor der Forest Service durchschnittlich 242 Millionen Dollar pro Jahr – nach den Berechnungen der Wilderness Society alles in allem fast zwei Milliarden Dollar. Das ist dermaßen niederschmetternd, daß ich es lieber dabei bewenden lassen und mich wieder unseren beiden, durch die verlorene Welt des Chattahoochee stapfenden, einsamen Helden widmen möchte.
Der Wald, den wir durchquerten, war eigentlich noch ein strammer Jüngling. 1890 kam ein Eisenbahn-Magnat namens Henry C. Bagley aus Cincinnati in diesen Teil von Georgia, sah die verschiedenen stattlichen, nordamerikanischen Fichten und Pappeln und war so tief berührt von ihrer Erhabenheit und Vielfalt, daß er den Entschluß faßte, sie alle zu fällen. Sie waren ihr Geld wert. Außerdem würden sie die Schornsteine seiner Lokomotiven zum Rauchen bringen, wenn er das Holz in seine Fabriken im Norden des Landes schaffte. Diese Radikalkur verwandelte fast alle Berge im nördlichen Georgia im Laufe der folgenden 30 Jahreinsonnenbeschienene Haine aus Baumstümpfen. Bis 1920 hatten die Waldarbeiter 36 Millionen Festmeter Holz geschlagen. Erst 1930, mit Gründung des Chattahoochee Forest, wurde der Natur wieder zu ihrem Recht verhelfen.
In einem forstwirtschaftlich nicht genutzten Wald herrscht eine seltsame Atmosphäre der erstarrten Gewalt. Es schien so, als hätte jede Lichtung, jede Senke soeben eine grandiose Umwälzung erfahren. Alle 40 bis 50 Meter lagen umgestürzte Bäume quer über dem Weg, die meisten hatten riesige Krater um die ausgerissenen Wurzeln herum hinterlassen; auf den Abhängen lagen noch mehr Bäume, die langsam verrotteten, und jeder dritte oder vierte Baum, so kam es mir vor, lehnte sich steil an seinen Nachbarn. Es war, als könnten sie es nicht erwarten umzustürzen, als bestünde ihr einziger Zweck im Universum darin, groß genug zu werden, um mit einem richtig satten Krachen umzufallen, so daß die Späne nur so flogen. Immer wieder kam ich an Bäumen vorbei, die sich so bedenklich mit ihrem ganzen Gewicht über den Weg beugten, daß ich zuerst zögerte, dann drunterherhuschte, jedesmal befürchtend, den falschen Moment erwischt zu haben und erschlagen zu werden, und mir dann Katz vorstellte, der wenige Minuten später vorbeikommen, sich meine verdrehten Beine ansehen und sagen würde: »Scheiße, Bryson, was machst du denn da unten?« Aber es fielen keine Bäume um. Der Wald blieb ruhig, unnatürlich still, und so war es fast überall. Außer dem gelegentlichen Glucksen eines Wasserlaufs und dem leisen Rascheln der vom Wind über den Boden gepusteten Blätter gab es fast kein Geräusch.
Der Wald war deswegen so still, weil der Frühling noch nicht eingesetzt hatte. Normalerweise wären wir jetzt mitten durch die reizvolle Pracht spaziert, die der Frühling in den Bergen im Süden mit sich bringt: eine strahlende, fruchtbare, wie neugeborene Welt, erfüllt vom Schwirren der Insekten und dem Gezwitscher aufgeregter Vögel, eine Welt, gewürzt von frischer, bekömmlicher Luft und dem samtigen, die Lungen erweiternden Geruch von Chlorophyll, den man einatmet, wenn man durch niedriges, blattreiches Gehölz streift. Vor allem aber gäbe es Wildpflanzen in Hülle und Fülle, die sich tapfer durch die fruchtbare Streu auf dem Waldboden hindurch dem Licht entgegenstreckten, jeden Sonnenhang und jede Uferböschungineinen Teppich verwandelten – Wachslilie, kriechende Heide, Doppelsporn, Zeichenwurz, Alraune, Veilchen, Kornblume, Butterblume und Blutkraut, Zwerglilie, Akelei, Sauerklee und andere unzählige, wundervolle Pflanzen. Es gibt 1.500 verschiedene Wildpflanzen in den südlichen Appalachen, 40 seltene Arten allein im Norden von Georgia. Ihr Anblick erwärmt noch das kälteste Herz. In diesem grimmigen März jedoch war davon nichts zu sehen. Wir stapften durch eine kalte, stille Welt kahler Bäume, unter einem bleigrauen Himmel, über steinharten Boden.
Nach einigen Tagen stellte sich ein gewisser Rhythmus ein. Wir standen jeden Morgen beim ersten Tageslicht auf, bibbernd, wärmten uns, kochten Kaffee, bauten unsere Zelte ab, aßen ein paar Handvoll Rosinen und begaben uns auf den Weg durch den stillen Wald. Wir wanderten von halb acht bis etwa vier Uhr. Wir gingen selten zusammen, unser Schrittempo paßte einfach nicht zueinander, aber alle paar Stunden ließ ich mich auf einem Baumstamm nieder – nicht ohne vorher die Umgebung nach Bären und Wildschweinen abgesucht zu haben – und wartete ab, bis Katz aufgeholt hatte, um sicher zu sein, daß auch alles in Ordnung war. Manchmal überholten mich Wanderer und sagten mir, an welcher Stelle Katz gerade war und welche Fortschritte er machte, er war fast immer langsamer, aber gut aufgelegt. Der Trail war für ihn sehr viel beschwerlicher als für mich, aber zu seinen Gunsten muß ich sagen, daß er sich mit Meckern zurückhielt. Ich vergaß keine Sekunde lang, daß er ja nicht hätte mitkommen müssen.
Ich hatte gedacht, wir würden den Massen zuvorkommen, aber in der Region waren doch schon ziemlich viele Wanderer unterwegs – drei Studenten von der Rutgers University in New Jersey, ein erstaunlich sportliches älteres Ehepaar mit kleinen Tagesrucksäcken, das zur Hochzeit ihrer Tochter im fernen Virginia wollte, ein etwas unbedarftes Kerlchen namens Jonathan aus Florida – mit uns zusammen etwa ein Dutzend, die alle Richtung Norden zogen. Da jeder ein anderes Schrittempo hat und zu unterschiedlichen Zeiten Pausen einlegt, trifft man unweigerlich irgendwann auf einzelne oder auf alle Mitwanderer, besonders auf Berggipfeln mit Panoramablick, an Bächen mit sauberem Wasser und natürlich an den Schutzhütten, die in Abständen auf Lichtungen neben dem Trail stehen, angeblich, aber nicht unbedingt immer jeweils eine Tagesetappe voneinander entfernt. Auf diese Weise lernt man seine Mitwanderer kennen, wenigstens oberflächlich, noch besser natürlich, wenn man sie jeden Abend in den Schutzhütten wiedersieht. Man wird Teil eines bunt zusammengewürfelten Haufens, einer lockeren, verständnisvollen Gemeinschaft von Leuten aller Altersgruppen und sozialen Schichten, die jedoch alle gleichermaßen Wind und Wetter, den Widrigkeiten des Wanderlebens und der Landschaft ausgesetzt sind, angetrieben von dem gleichen Impuls, bis nach Maine zu gehen.
Selbst bei Hochbetrieb verschafft einem der Wald noch großartige Momente der Einsamkeit, und wenn ich stundenlang keine Menschenseele sah, spürte ich das erhebende Gefühl absoluten Alleinseins. Häufig wartete ich auf Katz, und es kam kein anderer Wanderer vorbei. Dann ließ ich meinen Rucksack stehen und ging zurück, um ihn zu suchen, nach ihm zu sehen, was ihn immer beruhigte. Manchmal winkte er mir schon von weitem mit meinem Wanderstab, den ich an einem Baum abgestellt hatte, weil ich mir die Schuhe zugebunden oder die Tragegurte strammgezogen und ihn dann vergessen hatte. Wir sorgten füreinander. Das war wirklich schön. Ich kann es nicht anders sagen.
Gegen vier Uhr suchten wir uns regelmäßig eine Stelle zum Zelten. Einer ging los, um Wasser zu holen und es zu filtern, während der andere in einem Topf eine Pampe aus dampfenden Nudeln zubereitete. Manchmal redeten wir dabei, aber meistens verbrachten wir die Zeit in kameradschaftlichem Schweigen. Gegen sechs trieben uns die Dunkelheit, die Kälte und die Müdigkeit in unsere Zelte. Katz schlief jedesmal umgehend ein, soweit ich das beurteilen kann. Ich las immer noch ungefähr eine Stunde lang und hatte dafür die völlig untaugliche, kleine Stirnlampe aufgesetzt, deren Strahlen konzentrische Kreise auf die Buchseite warfen, wie eine Fahrradlampe. Weil ich das Buch schräg halten mußte, um das Licht einzufangen, wurde mir irgendwann an Schultern und Armen, die nicht im Schlafsack steckten, kalt, und sie wurden schwer. Ich blieb noch wach liegen und lauschte in der Finsternis den seltsam klaren, artikulierten Geräuschen des Waldes bei Nacht, dem Fegen und Seufzen des Windes, dem müden Stöhnen der sich wiegenden Äste, dem endlosen Gewese und Gemurmel, wie in einem Genesungsheim nach dem Lichtlöschen, bis ich selbst auch in einen tiefen Schlaf fiel. Morgens wachten wir bibbernd vor Kälte auf, wiederholten unsere kleinen Rituale, packten die Rucksäcke, setzten sie auf und wagten uns wieder in den großen undurchdringlichen Wald.
Am vierten Abend lernten wir jemanden kennen. Wir waren gerade auf einer hübschen Lichtung neben dem Trail angekommen, hatten die Zelte aufgeschlagen, mampften unsere Nudeln, genossen das exquisite Vergnügen, nichts zu tun und nur herumzusitzen, als eine pummelige Frau mit Brille und roter Jacke und dem unvermeidlichen überdimensionalen Rucksack des Weges kam. Sie musterte uns mit dem verkniffenen Blick eines Menschen, der entweder ständig konfus oder stark kurzsichtig ist. Wir grüßten einander und tauschten die üblichen Gemeinplätze über das Wetter und den ungefähren Standort aus. Dann kniff sie wieder die Augen zusammen, sah, daß die Dämmerung hereinbrach und verkündete, daß sie ihr Lager neben unserem aufschlagen werde.
Sie hieß Mary Ellen und kam aus Florida. Sie war, wie Katz sie später immer wieder in ehrfurchtsvollem Ton titulierte, »ein harter Brocken«. Sie redete ununterbrochen, außer wenn sie ihre Ohrtrompete reinigte, was häufig genug geschah. Zu diesem Zweck hielt sie sich die Nase zu und stieß kräftig Luft aus, was mit einem kräftigen und höchst alarmierenden Schnauben verbunden war, bei dem jeder Hund vom Sofa gesprungen und sich unter dem Tisch im Nebenzimmer verkrochen hätte. Ich weiß längst, daß Gott in seinem Plan für mich vorgesehen hat, ich solle jeweils etwas Zeit mit den dümmsten Menschen der Welt verbringen, und Mary Ellen war der Beweis dafür, daß ich diesem Schicksal auch in den Wäldern der Appalachen nicht entkommen konnte. Es war von der ersten Sekunde an klar, daß sie ein ganz besonders seltenes Exemplar dieser Gattung war.
»Na, was gibt’s denn bei euch zu essen?« sagte sie, pflanzte sich auf einen freien Baumstamm und reckte den Hals, um einen Blickinden Topf werfen zu können. »Nudeln? Schwerer Fehler. Nudeln geben so gut wie keine Energie. Tendenz gegen Null.« Sie schnaubte wieder, um den Innendruck in den Ohren loszuwerden. »Ist das ein Zelt von Starship?«
Ich sah hinüber zu meinem Zelt. »Ich weiß es nicht.«
»Schwerer Fehler. Die haben dich bestimmt übers Ohr gehauen in dem Ausrüstungsladen. Wieviel hast du dafür bezahlt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Auf jeden Fall zuviel. Du hättest dir ein Zelt besorgen sollen, das für drei Jahreszeiten geeignet ist.«
»Das Zelt ist für drei Jahreszeiten geeignet.«
»Entschuldige bitte, wenn ich das sage, aber es ist ausgesprochen dämlich, im März mit einem Zelt hierherzukommen, das nicht für drei Jahreszeiten geeignet ist.« Sie schnaubte wieder.
»Das Zelt ist für drei Jahreszeiten geeignet.«
»Du kannst von Glück sagen, daß du noch nicht erfroren bist. Geh zurück in den Laden und schlag den Kerl zusammen, der dir das angedreht hat, denn das war, sag ich mal, absolut unnötig, dir so’n Ding zu verkaufen.«
»Glaub mir, das Zelt ist für drei Jahreszeiten gedacht.«
Sie schnaubte und schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das da ist ein Zelt für drei Jahreszeiten.« Sie zeigte auf das Zelt von Katz.
»Das ist haargenau das gleiche Zelt.«
Sie sah es sich nochmals an. »Ist ja auch egal. Wie viele Kilometer seid ihr heute gelaufen?«
»Ungefähr 16.« Eigentlich waren es nur dreizehneinhalb, aber dazu gehörten einige knifflige Steilabbrüche, unter anderem eine höllische Wand, Preaching Rock, die höchste Erhebung nach Springer Mountain, für die wir uns mit einem Bonus in Form von erlassenen Kilometern belohnt hatten, aus moralischen Gründen.
»16 Kilometer? Mehr nicht? Ihr müßt ja wirklich in ganz schön schlechter Verfassung sein. Ich bin 22 Komma acht Kilometer gelaufen.«
»Und wieviel hat dein Mundwerk zurückgelegt?« sagte Katz und schaute von seinem Teller Nudeln auf.
Sie fixierte ihn böse aus zusammengekniffenen Augen. »Genauso viel wie ich natürlich.« Sie sah mich verstohlen an, als wollte sie sagen: Tut dein Freund nur so doof, oder was soll das? Sie schnaubte wieder. »Ich bin im Gooch Gab losgegangen.«
»Wir auch. Das sind nur dreizehneinhalb Kilometer.«
Sie schüttelte heftig den Kopf, als wollte sie eine besonders hartnäckige Fliege loswerden. »22 Komma acht.«
»Nein, im Ernst, es sind nur dreizehneinhalb.«
»Entschuldigt bitte, aber ich bin schließlich den ganzen Weg zu Fuß gelatscht. Ich muß es ja wohl wissen.« Dann wechselte sie plötzlich das Thema. »Meine Güte, sind das Timberland-Schuhe? Megaschwerer Fehler. Wieviel hast du für die bezahlt?«
In dem Stil ging es weiter. Schließlich war ich es leid und stand auf, um unsere Teller zu spülen und den Vorratsbeutel aufzuhängen. Als ich wiederkam, bereitete sie ihr Essen zu, redete dabei aber ununterbrochen auf Katz ein.
»Weißt du was?« sagte sie. »Entschuldige, wenn ich kein Blatt vor den Mund nehme, aber du bist zu dick.«
Katz sah sie völlig verdattert an. »Wie bitte?«
»Du bist zu dick. Du hättest abnehmen sollen, bevor du losgingst. Ein bißchen Sport machen sollen, sonst kriegst du noch so eine, ähem, ich meine, so eine Herzsache.«
»Was für eine Herzsache?«
»Ja. Ich meine, wenn das Herz aufhört zu schlagen und man tot ist.«
»Meinst du einen Herzinfarkt?«
»Ja, genau.«
Dazu muß gesagt werden, daß Mary Ellen auch nicht gerade unter mangelnder Körperfülle litt und sich just in diesem Moment ungeschickterweise bückte, um etwas aus dem Rucksack zu holen und dabei ein breitwandiges Hinterteil präsentierte, auf das man ohne weiteres einen Kinofilm hätte projizieren können. Das stellte Katz auf eine harte Geduldsprobe. Er sagte nichts, sondern stand auf, um zu pinkeln und zischte mir im Vorbeigehen aus dem Mundwinkel ein passendes dreisilbiges Schimpfwort zu, das wie das Signal eines Güterzugs bei Nacht klang.
Am nächsten Tag standen wir wie immer durchgefroren und wie gerädert auf und machten uns an die Verrichtung unserer kleinen Pflichten, diesmal mit der zusätzlichen Qual, daß jede Bewegung beobachtet und bewertet wurde. Während wir unsere Rosinen aßen und unseren Kaffee mit Toilettenpapierschnipseln tranken, verschlang Mary Ellen ein mehrgängiges Frühstück bestehend aus Müsli, Honigpops, einem speziellen Energiemix für Wanderer, und einer Handvoll kleiner, rechteckiger Schokoladenstückchen, die sie neben sich auf dem Baumstamm aufreihte.
Wir sahen ihr wie zwei Waisenkinder auf der Flucht dabei zu, wie sie sich die Backen vollstopfte und uns über unsere Mängel in puncto Proviant, Ausrüstung und allgemeiner Virilität aufklärte.
Danach ging es wieder ab in den Wald, diesmal zu dritt. Mary Ellen ging manchmal neben mir her, manchmal neben Katz, aber immer mit einem von uns beiden. Es war augenscheinlich, daß sie trotz ihres ganzen aufgeblasenen Getues absolut unerfahren und wanderuntauglich war – zum Beispiel hatte sie nicht den leisesten Schimmer, wie man eine Karte las – und sich allein in der Wildnis nicht wohl fühlte. Irgendwie tat sie mir sogar ein bißchen leid, und außerdem fand ich sie allmählich auf komische Weise unterhaltsam. Sie hatte eine ungewöhnlich redundante Art, sich auszudrücken. Sie sagte zum Beispiel Sätze wie diesen: »Da drüben ist ein Wasserfluß«, oder »Wir haben jetzt zehn Uhr morgens.« Einmal, es ging um den Winter in Florida, informierte sie mich völlig ernstgemeint: »Normalerweise haben wir im Winter ein- bis zweimal Frost, aber dieses Jahr schon zweimal.« Katz litt unter ihrer Gesellschaft und stöhnte, weil sie ihn andauernd bedrängte, einen Schritt schneller zu gehen.
Endlich einmal war das Wetter freundlich – eher herbstlich als frühlingshaft, aber dafür erfreulich mild. Um zehn lag die Temperatur bei angenehmen 20 Grad. Zum ersten Mal seit Amicalola zog ich meine Jacke aus, und sofort bemerkte ich mit schwachem Erstaunen, daß ich keinen Platz hatte, um sie zu verstauen. Schließlich band ich sie mit einem Gurt am Rucksack fest und stapfte weiter.
Es ging 6,5 Kilometer bergauf, über den Blood Mountam, mit 1.359 Meter die höchste und schwierigste Erhebung auf dem Wegabschnitt in Georgia, danach folgte ein steiler Abstieg über drei Kilometer bis Neels Gap, der für Aufregung sorgte. Aufregung deswegen, weil sich in Neels Gap ein Laden befand, genauer gesagt, befand sich der Laden in einem Lokal, das sich Walasi-Yi Inn nannte und in dem man Sandwiches und Eiscreme kaufen konnte. Um halb eins etwa vernahmen wir ein neues Geräusch, Autoverkehr, und wenige Minuten später tauchten wir aus dem Wald auf, und vor uns lag der U.S. Highway 19 beziehungsweise 129, eigentlich nur eine kleine Straße über einen hohen Paß mitten im bewaldeten Nirgendwo, obwohl sie zwei Nummern hat. Direkt gegenüber lag das Walasi-Yi Inn, ein beeindruckendes Gebäude aus Stein, das das Civilian Conservation Corps, eine Art Armee der Arbeitslosen, während der Zeit der Depression errichtet hatte und das heute eine Mischung aus Expeditionsausstatter, Lebensmittelgeschäft, Buchhandlung und Jugendherberge ist. Wir liefen über die Straße, rannten regelrecht hinüber und gingen hinein.
Es mag unglaubwürdig klingen, wenn ich sage, daß eine geteerte Straße, rauschender Autoverkehr und ein richtiges Haus nach fünf Tagen in der Waldeinsamkeit für Aufregung sorgen können und ungewohnt erscheinen, aber es war tatsächlich so. Allein durch eine Tür zu gehen, in einem Raum zu sein, umgeben von vier Wänden und einer Decke, war ein neues Gefühl. Und das Walasi-Yi Inn war wunderbar – ich weiß gar nicht, wo ich an- fangen soll. Es gab einen einzigen, kleinen Kühlschrank, der vollgestopft war mit frischen Sandwiches, Mineralwasser, Obstsaft und verderblicher Ware wie Käse und anderem. Katz und ich glotzten minutenlang dumpf und wie gebannt auf die Regale. Langsam fing ich an zu begreifen, daß die wichtigste Erfahrung, die man auf dem Appalachian Trail macht, die der Entbehrung ist, daß der ganze Sinn und Zweck der Unternehmung darin besteht, sich so weit von den Annehmlichkeiten des Alltags zu entfernen, daß die gewöhnlichsten Dinge, Schmelzkäse, eine schöne mit Kondenswasserperlen besetzte Dose Limonade, den Menschen mit Staunen und Dankbarkeit erfüllen. Es ist ein berauschendes Erlebnis, Cola zu trinken, als wäre es das erste Mal, und beim Anblick von Toastbrot an den Rand eines Orgasmus zu geraten. Ich finde, das macht die ganzen Strapazen vorher erst rich- tig lohnenswert.
Katz und ich kauften je zwei Eiersalat-Sandwiches, Kartoffelchips, Schokoriegel und Limonade und setzten uns hinters Haus an einen Picknicktisch, wo wir unsere Köstlichkeiten unter Ausrufen des Entzückens gierig schmatzend verspeisten, dann kehrten wir wieder zum Kühlschrank zurück, um noch ein bißchen mehr zu staunen. Das Walasi-Yi, stellte sich heraus, bietet echten Wanderern noch einigen Service – Waschmaschinen, Duschen, Handtuchverleih –, und wir machten kräftig Gebrauch von diesen Einrichtungen. Die Dusche war schon ziemlich betagt und nur ein dünnes Rinnsal, aber das Wasser war heiß, und ich muß sagen, ich habe noch nie eine Körperreinigung so sehr genossen wie diese. Mit tiefer Befriedigung beobachtete ich, wie der Schmutz von fünf Tagen meine Beine hinunterrann und im Abfluß versickerte, und ich stellte selbstverliebt fest, daß mein Körper merklich schlankere Konturen angenommen hatte. Wir wuschen zwei Maschinenladungen Wäsche, spülten unsere Becher, Teller, Töpfe und Pfannen, kauften verschiedene Postkarten, riefen zu Hause an und füllten unseren Proviant mit frischen und haltbaren Lebensmitteln aus dem Laden auf.
Das Walasi-Yi wurde von einem Engländer namens Justin und seiner amerikanischen Frau Peggy geführt, mit denen wir im Laufe des Nachmittags, während wir ständig rein- und rausgingen, ins Gespräch kamen. Peggy erzählte uns, sie hätten seit dem ersten Januar bereits tausend Wanderer zu Besuch gehabt, dabei stehe die eigentliche Wandersaison erst noch bevor. Die beiden waren ein freundliches Paar, und ich hatte den Eindruck, daß besonders Peggy ihre Zeit hauptsächlich damit verbrachte, genervte Wanderer davon abzuhalten aufzugeben. Erst tags zuvor hatte ein junger Mann aus Surrey sie gebeten, ihm ein Taxi zu bestellen, das ihn nach Atlanta bringen sollte. Peggy hatte ihn fast dazu überredet durchzuhalten, es wenigstens noch eine Woche lang zu versuchen, aber zum Schluß war er zusammengebrochen, hatte still geweint und sie angefleht, ihn doch nach Hause gehen zu lassen.
Ich selbst verspürte dagegen zum ersten Mal den aufrichtigen Wunsch weiterzugehen. Die Sonne schien. Ich hatte mich frisch gemacht und eine Stärkung zu mir genommen, und wir hatten noch reichlich Proviant in unseren Rucksäcken. Ich hatte mit meiner Frau telefoniert, zu Hause war alles in Ordnung. Vor allem aber fühlte ich mich fit. Ich war mir sicher, daß ich einige Pfunde verloren hatte. Ich war bereit loszumarschieren. Katz strahlte ebenfalls vor Sauberkeit und sah auch schon etwas schmächtiger aus. Wir packten unsere Einkäufe auf der Terrasse zusammen, und im selben Moment fiel uns beiden zu unserer großen Freude und Erleichterung auf, daß Mary Ellen nicht mehr zu unserem Gefolge gehörte. Ich steckte noch mal den Kopf durch die Tür und fragte unsere Gastgeber, ob sie sie gesehen hätten.
»Ach die? Ich glaube, die ist vor einer Stunde gegangen«, sagte Peggy.
Die Sache wurde immer besser.
Es war nach vier Uhr, als wir endlich loszogen. Justin hatte uns gesagt, ungefähr eine Stunde Fußmarsch von hier gäbe es eine Wiese, die sich ideal zum Zelten eignete. Jetzt, im warmen Sonnenlicht des späten Nachmittags, sah der Trail einladend aus, die Bäume warfen lange Schatten, und man hatte einen weiten Blick über ein Flußtal hinweg auf wuchtige, anthrazitfarbene Berge. Die Wiese eignete sich tatsächlich ideal, um Station zu machen, Wir schlugen unsere Zelte auf und aßen die Sandwiches und Kartoffelchips und tranken die Säfte, die wir fürs Abendessen eingekauft hatten.
Dann holte ich stolz, als hätte ich ihn selbst gebacken, mehrere Päckchen Napfkuchen von Hostess hervor. Meine kleine Überraschung.
Katz’ Gesicht hellte sich auf, wie bei dem Geburtstagskind auf einem Gemälde von Norman Rockwell.
»Oh, Mann!«
»Little Debbies hatten sie leider nicht«, sagte ich entschuldigend.
»He«, sagte er. »He.« Zu mehr war er nicht fähig. Katz liebte Kuchen.
Wir teilten uns drei Napfkuchen und legten den letzten auf einen Baumstamm, wo wir ihn für später aufhoben und solange bewundern konnten. Wir fläzten uns ins Gras, mit dem Rücken an den Baumstamm gelehnt, verdauten, rauchten, fühlten uns ausgeruht und zufrieden, unterhielten uns mal ausnahmsweise - kurzum, es war so, wie ich es mir zu Hauseinmeinen optimistischen Vorstellungen ausgemalt hatte –, als Katz plötzlich leise aufstöhnte. Ich folgte seinem Blick und sah Mary Ellen, die forschen Schrittes, aus der falschen Richtung, den Pfad entlang auf uns zukam.
»Ich habe mich schon gefragt, wo ihr beide abgeblieben seid«, schimpfte sie. »Ich muß sagen, ihr seid ja echt langsam. Wir hätten längst sieben Kilometer weiter sein können. Ich sehe schon, ich muß jetzt besser auf euch beide aufpassen. Ist das ein Napfkuchen von Hostess da vorne?« Bevor ich etwas sagen konnte und bevor sich Katz einen Stock geschnappt hatte, um ihr den Schädel einzuschlagen, sagte sie: »Ich darf doch, oder?« und verschlang ihn mit zwei Bissen. Es vergingen einige Tage, bis Katz wieder lächelte.