14
Während der folgenden Wochen versank das Rosenstrauch-Cottage im Chaos. Halb gefüllte Reisetruhen und Handkoffer verbreiteten sich wie Pilze nach einem Regenguss, und Effie hielt mit ihren Vorbereitungen für die Reise nach London den ganzen Haushalt auf Trab.
Hutschachteln stapelten sich im Salon, Handschuhe, Fächer und andere unabdingbare Reiseutensilien türmten sich auf den Tischen.
Die Hausherrin lief unentschlossen auf und ab, nahm bald diese Uhr in die Hand und bald jene. »Ach, herrje, ach, herrje!«, jammerte sie in einem fort und wandte sich dann an ihre Adoptivtochter, die still auf der Fensterbank saß.
»Kate, mein Liebes, du musst mir unbedingt einen Rat geben. Welche meiner kostbaren Uhren soll ich denn mitnehmen?«
Aber die junge Frau starrte nur aus dem Fenster und war in ihre eigenen Gedanken versunken. Und die waren alles andere als angenehm. »Gar keine«, antwortete sie nach einem Moment. »Ich glaube, in London ist man ausreichend mit Zeitmessern versorgt.«
»Aber es geht nichts über den Komfort, eine eigene Uhr zu haben. Ich habe einmal von einer Herzogin gehört, die ohne ihre eigenen Bettlaken nirgendwohin reisen konnte. Siehst du, mit meinen Uhren ergeht es mir ähnlich.«
Effie entschied sich endlich für eine Uhr aus Messing, nur um sie nach einem Moment wieder auf ihren Platz zurückzustellen.
Kate seufzte und wünschte Effie und ihre verdammten Uhren dorthin, wo der Pfeffer wächst. Sie schämte sich dieses unfreundlichen Gedankens, aber die letzten Wochen waren für sie wirklich sehr anstrengend gewesen. Seit Tagen herrschte grauer Himmel, und es regnete in Strömen. Manchmal befürchtete die junge Frau, sie könne mit ihrem Zauber die Sonne vertrieben haben. Oder hatte sie nur dem Mann, welchen sie liebte, das Licht genommen?
Val veränderte sich mit jedem Tag mehr, unterlag Stimmungsschwankungen und wirkte zunehmend unnahbarer. Die Dörfler tuschelten schon, der gute Doktor sei verrückt geworden oder verflucht.
Da war leider etwas dran, wie Kate zugeben musste. Ihr liebster vernachlässigte seine Patienten, ging seiner Familie aus dem Weg und ritt stundenlang auf seinem infernalischen Hengst.
Die einzigen Male, bei denen Kate ihn noch zu sehen bekam, war dann, wenn ... Die junge Frau errötete bis unter die Haarwurzeln.
Und eigentlich sahen sie sich dabei nicht wirklich, denn sie trafen sich nur im Schutz der Dunkelheit. Aus der einen gestohlenen Nacht waren längst zwei, drei, vier geworden ...
Kate befürchtete, dass alle Leute mittlerweile über ihr Treiben Bescheid wussten. Dabei störte es sie nicht so sehr, was man hinter ihrem Rücken flüsterte, aber es schmerzte sie, wenn man Vals guten Ruf in Frage stellte.
Mittlerweile erhielt sie von ihm all die Leidenschaft, die sie sich immer gewünscht hatte, aber irgendwie hatte sie ihren Freund verloren. Manchmal fühlte sie sich in diesen Tagen wirklich einsam, so sehr, dass sie schon versucht gewesen war, den alten Prospero noch einmal in seinem Turm aufzusuchen.
Aber heute Nacht würde alles sein Ende finden. Genau ein Mondzyklus war seit der Nacht zu Allerheiligen vergangen. Die Vorstellung, den Zauber endlich zurücknehmen zu können, erfüllte Kate mit Erleichterung und auch Furcht...
»Mein Liebes?« Effie legte ihr eine Hand auf die Schulter. Kate wischte sich rasch eine Träne aus dem Auge, bevor sie sich zu ihrem Vormund umdrehte. Effie stand mit zwei Uhren vor ihr. »Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Welche von beiden findest du besser?« Kate musste lachen, konnte sich einfach nicht dagegen wehren. Ihr Herz stand kurz davor, zu zerbrechen, und Effie verlangte von ihr, eine Uhr auszusuchen. Um der Adoptivmutter nicht beide Zeitmesser zu entreißen und auf den Boden zu werfen, stand sie rasch auf und entgegnete: »Himmel noch mal, Effie, nimm doch beide mit, wenn du dich nicht von einer trennen kannst!« Die ältere Frau prallte zurück und wirkte verletzt wie ein Kind, dem man ungerechterweise eine Ohrfeige verpasst hat.
»Tut mir Leid«, sagte Kate sogleich. »Nimm die vergoldete mit, die ist sowieso die schönste in deiner Sammlung.«
Aber damit hatte sie sich auf ein Gespräch eingelassen und bekam sofort die Rechnung präsentiert. »Freust du dich denn gar nicht auf die Reise, mein Kind? Ein bisschen aufgeregt bist du schon, was?«
Nein, wollte Kate erwidern, beherrschte sich aber. Wenn diese Nacht vorüber wäre, würde es keine Rolle mehr spielen, wo sie sich gerade aufhielt. Denn dann würde Val wieder ganz der Alte sein und sich furchtbar über das entsetzen, was sie während ihrer Schäferstündchen angestellt hatten.
Er würde Kate nie wiedersehen wollen, und damit hätte sie nicht nur ihren Liebhaber, sondern auch ihren Freund verloren.
Nach dieser Nacht erwartete sie nur noch ein schwarzer Abgrund.
Die junge Frau zwang sich zu einem Lächeln: »Ich glaube, London wird sicher ganz famos.« Aber statt beruhigt zu sein, brach Effie in Tränen aus. Sie warf sich Kate in die Arme und schluchzte hemmungslos. »Aber, Effie, was hast du denn jetzt schon wieder?« »I-ich kann es einfach nicht ertragen, dich so unglücklich zu sehen!«
Was sollte sie ihrer Adoptivmutter nur sagen? Wie üblich schluckte sie ihren eigenen Kummer hinunter und versuchte, Effie zu trösten.
»Aber ich bin doch gar nicht unglücklich, sondern nur etwas müde. Und die Vorbereitungen für die Reise sind wirklich anstrengend.«
»J-ja, hast ja Recht.« Effie suchte nach ihrem Taschentuch. »Glaub nur nicht, mein Liebes, ich wüsste nicht, wie es in deinem Innern aussieht. Du bist traurig, weil du all deine Freunde und Freundinnen für eine Weile nicht mehr sehen kannst. Ehrlich gesagt, ich werde diesen alten Trottel, Mr. Trimble, auch ein wenig vermissen. Aber denk doch lieber an all die schönen Dinge, die wir in London zu sehen bekommen.«
All das, was Effie sich immer gewünscht hat, sagte sich
Kate und versuchte, etwas mehr Begeisterung in ihre Stimme zu legen.
»Ja, wir werden bestimmt viel Zerstreuung finden.« »Gewiss, gewiss, und wir werden glücklich sein, das verspreche ich dir. Und ich mache auch alles wieder gut.« Wovon redete Effie denn da? Sie hatte ihr doch kein Leid zugefügt. Doch bevor sie ihre Adoptivmutter befragen konnte, erschien Nan im Salon.
»Verzeiht bitte die Störung, Miss Effie. Ich weiß, dass Ihr gesagt habt, Ihr wollt keine Kundschaft sehen. Aber da ist diese Mollie Grey wieder an der Tür und will Euch unbedingt sprechen.«
»Ach, das arme Mädchen!«, rief Effie. »Sie will bestimmt von mir hören, was sie noch tun kann, um diesen Schurken Victor St. Leger dazu zu bringen, sie zu heiraten. Ich weiß nicht, was diesen Elenden davon abhält. Wo steckt er überhaupt. Weißt du das vielleicht, mein Liebes?« »Ah, woher denn?« Kate erschrak und schämte sich ein wenig dafür, überhaupt nicht mehr an ihren zweiten Verehrer gedacht zu haben. »Ich bin mir sicher, dass Victor über kurz oder lang vor Mollie treten und ihr einen Antrag machen wird.«
»So? Dann sag du ihr das, denn ich spüre, wie ich wieder meine Kopfschmerzen bekomme.« »Nein, Effie, nicht jetzt, bitte!« Kate hatte nicht die geringste Lust, der Frau gegenüberzutreten, der sie unfreiwillig den Bräutigam gestohlen hatte. Aber Effie hatte sich erstaunlich flink aus dem Salon entfernt, wie es ihr stets gelang, wenn etwas Unerfreuliches auf sie wartete. »Dann führt unseren Besuch herein!«, befahl sie Nan notgedrungen.
Das Mädchen schlich unsicher herein und wirkte genauso wenig begeistert, hier nur Kate anzutreffen, wie Kate es war, weil nicht Effie sondern sie mit der jungen Frau reden musste.
Kate hatte nie Freundinnen gehabt. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sie sich wohl kaum Mollie ausgesucht. Mit ihrem weißblonden Haar und den stumpfen Augen erschien Mollie ihr zu fade. Viele Leute im Dorf meinten, das Mädchen, eine von fünf Töchtern eines reichen Bauern, heirate über ihrem Stand, wenn sie mit einem St. Leger vor den Traualtar trete. Aber Effie hatte gesprochen, und an den Entscheidungen der Brautsucherin gab es nichts zu deuteln. Kate, die am Kamin stand, setzte ein steifes Lächeln auf. »Hallo, Mollie, wie schön, Euch wiederzusehen. Miss Effie ist leider indisponiert. Tretet doch ein, und nehmt Platz.«
»Danke.« Die Stimme klang genauso glanzlos, wie der Rest der Erscheinung war. »Mir ist durchaus bewusst, dass Ihr mitten in den Reisevorbereitungen steckt, und ich wollte auch wirklich nicht lange stören. Aber ich dachte mir, ich sollte das hier Miss Effie vor der Abreise wiedergeben.«
Sie reichte der Adoptivtochter ein silberbeschlagenes Kästchen. Kate erkannte es sofort wieder: Das war die Schmuckschatulle, in der Effie ihre Perlen aufbewahrte. Die hatte sie von ihrem Großvater, Septimus Fitzleger, zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt bekommen.
Wie kam Mollie dazu? Kate sah sie fragend an. Das Mädchen senkte den Blick. »Miss Fitzleger ist überaus großzügig. Sie hat mir diese Perlen geliehen. Aber ich habe keine Gelegenheit mehr, sie zu tragen.« »Aber wolltet Ihr denn nicht morgen Abend den Maskenball auf Castle Leger besuchen?«
»Nein, ich habe nicht vor, daran teilzunehmen. Außerdem sollte ich die Perlen zu einer ganz besonderen Gelegenheit tragen.«
Kate wurde das Herz schwer, als sie Mollies trauriges Gesicht sah. Was sollte sie nur mit ihr anfangen. In Ermangelung einer besseren Eingebung gab Kate ihr das Kästchen zurück.
»Mollie, ich glaube, Ihr solltet diese besondere Gelegenheit noch nicht abtun. Victor könnte doch noch zu Euch kommen, und das eher, als Ihr glaubt.« Das Mädchen errötete ein wenig, schüttelte aber den Kopf. »Nein, ich habe ihn seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er arbeitet sehr hart und kümmert sich um das Familienunternehmen. Wie ich hörte, soll er viel Zeit im Hafen von Penryn verbringen und dort lernen, wie man segelt und eine Mannschaft befehligt, und sogar in der Takelage herumklettern.«
»Na bitte, das hört sich doch gut an. Kann es ein besseres Anzeichen geben, dass ein Mann es ernst meint?« »Mag sein, aber das tut er nicht für mich, sondern für Euch!«
»Großer Gott, das ... das tut mir wirklich Leid, Mollie.« »Muss es nicht. Ich glaube, Ihr könnt überhaupt nichts dafür.«
Kate fühlte sich mit einem Mal elend. »Ich mag nicht die Schönste im Land sein«, sagte Mollie, »aber früher war Victor immer nett zu mir. Wir waren einmal alle auf einer Kirchweih. Meine Schwestern tanzten vergnügt, aber ich stand wie üblich als Mauerblümchen abseits. Das hat Victor bemerkt und mich zum Tanz gebeten.« Kate bemerkte das Leuchten in Mollies Augen, als sie an jenen Abend zurückdachte. Wenn Victor sie jetzt hätte sehen können ...
»Damals habe ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt, aber ich hätte nie zu träumen gewagt, ihn wirklich für mich gewinnen zu können. Doch dann hat Effie erklärt, ich sei seine auserwählte Braut. Ein Traum schien wahr zu werden, doch es bedarf wohl mehr als eines Traums, um Victor St. Leger mit einem Bauernmädchen zusammenzubringen.«
»Ach, Mollie, wenn Ihr doch nur noch ein wenig warten könntet...«
»Nein, ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass Miss Effie diesmal ein Fehler unterlaufen sein muss. Aber wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann prüft doch bitte Euer Herz, ob Ihr nicht doch seine Zuneigung erwidern könnt. Ich möchte ihn glücklich sehen.« Kate konnte sie nur anstarren. Wenn eine andere Frau versucht hätte, ihr Val wegzunehmen, hätte sie sie auf der Stelle erschossen!
Schon wieder gehst du leichtfertig über das hinweg, was Val wirklich will, meldete sich ihr Gewissen zu Wort. Kate senkte beschämt den Kopf. Dieses einfache Bauernmädchen hatte ihr gerade eine Lektion erteilt. »Hört mir zu!«, redete Kate auf Mollie ein. »Gebt Victor noch nicht auf. Heute Nacht wird etwas passieren, nach dem sich alles ändert. Das verspreche ich Euch! Geht morgen auf den Ball. Victor wird auch da sein - und Euch mit anderen Augen sehen!« »Nein, Kate, niemals könnte ich -« »Verdammt, Mollie! Tut, was ich Euch sage, sonst schleife ich Euch persönlich an den Haaren auf die Burg!« Das Mädchen wollte fliehen, aber Kate hielt sie an den Händen fest. Und schließlich gab Mollie nach. »Also gut, Kate, ich gehe zu dem Ball, wenn Ihr wirklich glaubt, dass mir das etwas einbringt.«
Als die Besucherin gegangen war, hoffte Kate inständig, nicht den Mund zu voll genommen zu haben. Ihr Blick fiel auf Effies unzählige Uhren, die langsam vor sich hin tickten. Noch so viele Stunden, bis sie Prospero am stehenden Stein treffen würde. Kate betete darum, dass bis dahin nicht noch etwas dazwischenkäme.
Sie wollte sich auf ihre Kammer begeben und hatte schon die halbe Treppe hinter sich gebracht, als Nan die Haustür öffnete und einen atemlosen Jem Sparkins einließ. »Miss Kate, Ihr müsst sofort kommen, denn Ihr seid anscheinend die Einzige, die noch Einfluss auf Master Valentine hat. Ihr müsst ihn unbedingt zurückhalten, denn er ist auf dem Weg, Reeve Trewithan zu töten!«