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13

Rafe wollte rasch weiter, weil der Himmel jeden Moment seine Schleusen öffnen konnte. Aber der graue Wallach ließ sich einfach nicht zur Eile antreiben..

Mortmain hatte es längst aufgegeben, auf dem Tier zu reiten, und fragte sich zum wiederholten Mal, warum er so viel Geld für den Wallach ausgegeben hatte. Ein St. Leger war dafür verantwortlich. Valentine hatte irgendetwas mit ihm angestellt, und seitdem tat Rafe absonderliche Dinge, wie diesen Klepper zu kaufen und so vor dem Abdecker zu bewahren oder einer Witwe und ihrem kleinen Sohn zu helfen.

Der Wind heulte durch die engen Straßen und ließ die Schilder an den Häusern knarzen. Männer und Frauen hasteten über die Straßen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sein Pferd scheute. Zwar war es zu alt, um sich auf die Hinterbeine zu stellen, aber es fing an zu wiehern und weigerte sich wie ein störrischer Esel, weiterzugehen. Rafe wollte das Tier schlagen, aber dann schaute er ihm in die Augen und konnte es nicht tun. Stattdessen streichelte Mortmain dem Gaul über die Nüstern und redete beruhigend auf ihn ein.

»Alles ist gut, Rufus. Du brauchst keine Angst zu haben. Dieses kleine Sturmwindchen ist doch gar nichts. Soll ichdir mal von den Unwettern erzählen, durch die ich gesegelt bin ...«

Rafe konnte nicht glauben, dass er es war, der so zu einem Tier sprach. Doch nun trottete der Klepper bis zum Gasthof gehorsam hinter ihm her.

Eigentlich hatte er Rufus längst zum Schlachter bringen wollen, aber das schob er immer weiter auf. Zunächst wollte er dem Tier hier einen guten Platz zu verschaffen. Er rieb den Gaul ab und gab ihm eine zusätzliche Portion Futter. Als er dem Pferd dann einen Klaps gab und sich umdrehte, hätte er schwören können, tiefste Dankbarkeit in den Tieraugen zu sehen.

Was war nur mit ihm geschehen? Noch nie hatte er das Vertrauen eines Rosses gewinnen können. Und erst recht nicht das von einer Witwe und ihrem minderjährigen Sohn. Er begab sich zu Corrine und Charley, die ein Zimmer im obersten Stockwerk des Gasthofs bewohnten. Nicht gerade das erste Haus am Platz, aber er war schon schlimmer abgestiegen.

Im Innenhof blickte er nach oben und sah den Schein einer Kerze hinter dem Fenster. Wie der Lichtstrahl eines Leuchtturms, der ihn nach Hause leitete. Zuhause... Rafe wunderte sich, dass ihm ein solches Wort überhaupt in den Sinn kam. Nie zuvor hatte er so etwas wie ein Heim gekannt. Warum sollte ihm dann ausgerechnet eine Kammer in einem heruntergekommenen Hotel als Heimstatt erscheinen?

Er nahm auf dem Weg nach oben zwei Stufen auf einmal und versuchte sich einzureden, dass er nur dem einsetzenden Regen entkommen wollte.

-

Rafe stieß, ohne anzuklopfen, die Tür auf, und im nächsten Moment erkannte er, dass die Witwe nicht abgeschlossen hatte, obwohl er ihr das fest aufgetragen hatte.

Er sah sich rasch um. Ein munteres Feuer brannte im Kamin und erfüllte die Kammer mit Wärme. Von Corrine war nichts zu sehen, aber der Junge hatte sich im Sessel zusammengerollt.

»Charley, ich habe Rufus in den Stall gebracht und versorgt -« Der Knabe hörte ihn nicht, denn er schlief tief und fest.

Zu seiner eigenen Überraschung war Rafe enttäuscht. Er rüttelte Charley ohne Erfolg an der Schulter und hörte dann ein leises Kichern.

Als er sich umdrehte, sah er in der Tür zum Schlafzimmer Corrine stehen. »Ich fürchte, nur ein Kanonenschuss könnte Charley wecken. Den ganzen Tag hat er am Fenster gesessen und auf Eure Rückkehr gewartet. Wir haben uns Sorgen gemacht, dass Ihr in den Sturm geraten könntet.« »Tut mir Leid«, hörte er sich zu seiner eigenen Verwunderung entgegnen, »aber was ich zu erledigen hatte, zog sich doch länger hin, und ...«

Seine Stimme erstarb, als die Witwe auf ihn zukam. Sie hatte sich die Haare gewaschen, und sie fielen ihr feucht über die Schultern.

Bislang hatte er sie nur in Haube gesehen und sich deswegen nie vorstellen können, ihr Haar könne so lang und seidig sein.

Rafe hatte weit verführerische Frauen als Corrine erlebt.

Warum aber versetzte ihn ihr Anblick in solche Erregung, dass er sogar den Blick abwandte?

»Wenn der Junge so erschöpft ist, sollten wir ihn ins Bett tragen.«

Seine Mutter nickte und wollte ihn aus dem Sessel heben. Das aber ließ Rafe nicht zu. Außerdem hatte er so wenigstens etwas anderes zu tun, als Corrine anzustarren. Der Junge war federleicht und wachte auch nicht auf, als Rafe ihn auf die Arme nahm. Er beneidete Charley. Wann hatte er selbst jemals so tief, fest und angstfrei schlafen können?

Er hielt den Knaben schützend fest, als er ihn auf das Bett hinabließ und zudecken wollte. Corrine folgte den beiden mit einer Kerze.

Sie hielt ihn zurück und bedeutete ihm, dass der Knabe erst umgezogen werden müsse. Er trat zurück und überließ der Mutter die Tätigkeit, die er selbst noch nie ausgeführt hatte.

Doch als Rafe den Raum verlassen wollte, hielt die Witwe ihn zurück. »Bitte, Mr. Moore, Charley hat sich gewünscht, dass Ihr ihn heute Nacht zudeckt.« »Aber er schläft doch tief und fest. Wie sollte er den Unterschied merken?«

»Er wird mich morgen fragen, und ich kann ihn doch nicht anlügen.«

Natürlich nicht. Rafe bezweifelte, dass Corrine je in ihrem Leben die Unwahrheit gesagt hatte. Er tat ihr den Gefallen und bemerkte, dass sie ihn im Auge behielt. Für seinen Geschmack beobachtete sie ihn überhaupt viel zu häufig.

Als er Charley zugedeckt hatte, zog er sich in den anderen Raum zurück. Der Regen bildete auf der Fensterscheibe Flüsse, Blitze zerteilten den Nachthimmel, und Bäume schwangen ihre Wipfel wie ausgelassen Feiernde. Rafe stand am Fenster und war sich der Anwesenheit Corrines hinter ihm durchaus bewusst. Er wartete darauf, dass die alte Verbitterung sich wieder bei ihm einstellte. Aber die blieb wider Erwarten aus. Er wusste, wem er das zu verdanken hatte. Valentine St. Leger hatte ihm offenbar nicht nur das Leben, sondern auch die Seele gerettet.

Wer, zum Henker, hatte ihn darum gebeten? Doch Rafe gelang es nicht einmal, sich darüber zu ärgern. »Mr. Moore?« Corrine riss ihn aus seinen beunruhigenden Gedanken.

Er drehte sich um und sah sie unsicher dastehen. Seit sie dieses Zimmer bezogen hatten, hatte sie sich stets zur Nacht diskret in den Schlafraum zurückgezogen und Rafe das andere Zimmer überlassen.

So wie sie jetzt, nur im Nachthemd und mit schimmerndem Haar, vor ihm stand, beunruhigte ihn das noch viel mehr.

»Es ist schon spät. Ihr solltet zu Bett gehen.« »Ich weiß, aber vorher wollte ich Euch noch danken. Dafür, dass Ihr Rufus zurückgebracht habt.« »Ich brauchte ein Ross.«

»Aber nicht gerade Rufus. Und ich weiß, Mr. Moore, dass Ihr Pferde nicht sonderlich mögt.« Wie war sie bloß dahinter gekommen? Die Witwe beschäftigte sich eindeutig viel zu viel mit ihm. Manchmal hatte er das Gefühl, sie könne ihm bis in die Seele hineinschauen. »Ich weiß auch, warum Ihr losgezogen seid, Rufus zu holen - nämlich für Charley.«

Rafe wollte sofort widersprechen, aber selbst diese Fähigkeit ging ihm ab. »Er ist... ist ja auch ein guter Junge.« »Und Ihr seid ein guter Mann.«

»Meine Liebe, ich fürchte, an mir ist nur wenig Gutes. Haltet mich ja nicht für etwas Besonderes, bloß weil ich Euch aus einer Laune heraus geholfen habe. Wenn Ihr mich für freundlich haltet, dann liegt das nur daran, dass ...« Wie sollte er ihr von den St. Legers berichten oder der wundersamen Heilung, die einer von ihnen an ihm bewirkt hatte? Rafe drehte sich wieder dem Fenster zu und hoffte, die Witwe würde sich endlich zurückziehen.

Aber sie kam näher und meinte: »Ihr seid ein ganz besonderer Mann, Mr. Moore. Nur Wenige hätten es auf sich genommen, einer Witwe und ihrem kleinen Sohn zu helfen, der noch nicht einmal der eigene ist.« »Ich habe Euch meine Beweggründe dafür genannt.« »Ja, weil Ihr nicht wollt, dass ein kleiner Junge von seiner Mutter verlassen wird. Nun, wann hat Euch Eure Mutter verstoßen?«

Das hatte sie also auch schon erraten. Normalerweise sprach er nie über Evelyn Mortmain. Doch entgegen seiner Gewohnheit fing er jetzt an, Corrine alles zu erzählen, zunächst zögernd, doch dann immer flüssiger. Wie sie ihn im Kloster abgegeben hatte. Wie das Volk während der Französischen Revolution das Kloster gestürmt und niedergebrannt hatte ... Corrine strich ihm über das Haar. Seine Mutter hatte das nie bei ihm getan. Er starrte die Witwe an und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie sogar hübsch war. Wie bitte, er verspürte körperliche Gelüste auf Corrine Brewer? Das war doch vollkommen lachhaft. Doch als ihre Finger nun über seine Wange strichen, wurde ihm ganz anders.

Er schob ihre Hand fort. Verdammt, die Frau war alt genug, um zu wissen, was sie damit anrichtete. »Ich habe versucht, Euch begreiflich zu machen, dass ich kein guter Mensch bin, nicht einmal ein ehrenhafter. Ihr solltet nicht allein mit mir sein. In diesem dünnen Nachthemd und mit Euren Berührungen wollt Ihr mich in Versuchung führen -«

Er unterbrach sich, als er sah, wie sie rot anlief. »Ihr meint, ich ... ich wollte Euch ...« »Erregen? Ja!«

Sie senkte den Kopf, damit man ihre roten Wangen nicht mehr sehen konnte. »Mr. Moore, Ihr wart so überaus nett zu mir und Charley ... und da wusste ich nicht, wie ich Euch das wieder gutmachen sollte... Mir fiel nur ein, dass Ihr doch sicher ... dass Ihr ein Mann seid ...« Sie sprach so leise und so wirr, dass Mortmain einen Moment brauchte, bis er verstand, worauf sie hinauswollte. Sie bot sich selbst als Bezahlung an. Früher hätte er darüber gelacht, aber jetzt verspürte er keinerlei Belustigung. Die Witwe ließ jetzt auch noch den Schal fallen, den sie über den Schultern getragen hatte, und ihr Körper war unter dem dünnen Stoff deutlich zu erkennen. Rafe schluckte und wollte in eine andere Richtung schauen. Aber Corrine legte ihm die Arme um den Hals und löste damit bei ihm ein Stöhnen aus.

Wind und Regen wetteiferten darum, auf das Schieferhaus zu prasseln. Kate kam sich vor wie im Mittelpunkt des Unwetters.

Als ein Blitz die Nacht erhellte, sah sie das riesige Bett. Kate hatte noch nie Vals Schlafzimmer betreten. Was hatte er mit ihr vor?

Er bewegte sich durch das Gemach, und sie erkannte von ihm nicht mehr als eine Silhouette. Dann entzündete er eine Kerze, und sie sah sein Gesicht, die Haare, die ihm in die Stirn fielen, und den eindringlichen Blick in seinen Augen.

Val legte Mantel und Jacke ab, dann folgten Weste und Hemd. Dieser Mann, der sie auf sein Pferd gehoben hatte und mit ihr im wilden Ritt hierher gelangt war, kam ihr wie ein Fremder vor.

Aber ein sehr verführerischer Fremder ...

Sie spürte, dass er sie heute, hier und jetzt, lieben wollte.

Und dieses Mal würde es keinen Weg zurück geben.

Auf diesen Moment wartete die junge Frau schon lange. Doch als er jetzt auf sie zukam, fühlte sie sich unsicher. All seine unverständlichen Stimmungsschwankungen fielen ihr wieder ein - und auch das, was sie ihm durch ihren Zauberspruch angetan hatte.

Val stand hinter ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Wir sollten uns von den nassen Sachen befreien.« Kates Herz hämmerte so schnell, dass sie kaum atmen konnte, geschweige denn etwas sagen. Ihr Herz klopfte noch lauter, als seine Hände vor sie griffen und den Verschluss ihres Umhangs öffneten.

Dann fuhren seine Hände leicht über ihre Arme, was ein Prickeln in ihr auslöste. Die Wärme seiner Haut drang durch den dünnen Stoff ihrer Bluse. Val legte die Arme um ihre Hüfte und zog Kate hart an sich heran. Mit den Lippen schob er die nassen Strähnen beiseite und küsste ihren Hals. Ein bebendes Seufzen entrang sich der jungen Frau. Aber sie fand doch die Kraft, zu widerstehen, entfernte sich von ihm und blieb zitternd am Bett stehen. Er folgte ihr und drehte sie zu sich um. »Was ist mit dir? Hast du plötzlich Angst vor mir?« Kate schüttelte über eine so dumme Frage den Kopf. Aber wie sollte sie ihm erklären, dass sie vor sich selbst immer mehr Angst bekam - vor allem vor dem, was sie ihm angetan, wie sehr sie ihn verändert hatte. Er strich ihr übers Haar, doch seine Bewegungen waren schon unsicherer. Zwar brannte noch das Begehren in seinen Augen, aber dazwischen konnte man auch den alten Val erkennen. Wie lange würde er sich gegen den Wahnsinn behaupten können, den sie um ihn gewoben hatte? »Du kannst gehen, wann immer du willst«, versicherte er ihr. »Geh nach unten zu Jem, er wird dir dabei helfen, dich heute Nacht vor mir zu schützen.«

»Ach, Val, ich will nicht vor dir geschützt werden.« In Wahrheit verhielt es sich ja wohl anders. »Ich liebe dich doch.«

»Und ich begehre dich so sehr, dass ich darüber den Verstand verliere«, entgegnete er heiser und zog sie hart an sich.

Kate spürte wieder seine Hitze, und sein Kuss erfüllte sie ebenso mit Verlangen wie mit Verzweiflung. Den Verstand verlieren, ja das hatte sie wohl mit ihrem Zauberritual ausgelöst.

»Aber wenn es mit Eurer Familiensage nun doch etwas auf sich hat? Wenn wir beide nicht füreinander bestimmt sind?«

»Kate, du warst immer mein Engel und wirst das auch ewig sein.«

Sie errötete vor Scham.

»Früher wusstest du, wann ich dich am dringendsten brauchte. Deshalb wirst du auch jetzt spüren, wie sehr ich dich heute Nacht brauche. Sei noch einmal mein Engel.« Wie hätte sie ihm widerstehen können? Und was wäre so falsch daran, sich ihm hinzugeben? Nur eine einzige Nacht konnte doch wohl keine so furchtbaren Folgen haben, oder?

Er küsste sie wieder und wieder, und sie half ihm dabei, ihre Sachen zu öffnen, bis sie nackt vor ihm stand. Val betrachtete sie mit so eindeutigen Blicken, dass sie errötete. Sie schüttelte ihr Haar zurück, um ihm die volle Pracht ihrer Brüste zu zeigen.

»Du hast dich zu einer wunderschönen Frau entwickelt, Kate«, sagte er rau.

Ach, wenn das alles doch aus seinem Herzen gekommen wäre und nicht von ihrem Liebeszauber.

Val begann ihren Rücken und ihre Hüfte zu streicheln.

Dann legte er seine Hände auf ihre Pobacken und ließ sie spüren, wie hart er geworden war. Kate stockte der Atem, weil dieses neue Gefühl die unterschiedlichsten Regungen in ihr auslöste. Er hob sie hoch und trug sie aufs Bett. Dort legte er sich neben sie und bedeckte sie mit den aufregendsten Küssen. Sie schlang die Arme um ihn und wollte ihn ebenso verwöhnen, aber er hielt sie zurück.

»Nein, Kate, ich bin so bereit für dich, dass eine Berührung zu viel mich über die Schwelle tragen wird. Bleib nur still liegen und lass mich dich erregen.« Sie stellte rasch fest, dass das mit dem Ruhigbleiben leichter gesagt als getan war. Jede seiner Berührungen schien allein dazu da zu sein, sie mit Rastlosigkeit anzufüllen und den Druck in ihr immer weiter zu erhöhen. Willig öffnete sie ihm die Schenkel, als er sich schließlich auf sie legte.

Er stützte sich auf die Arme, küsste sie heiß und stieß in sie hinein. Beim ersten Mal verspürte sie einen stechenden Schmerz, doch danach nur noch das wunderbarste aller Gefühle.

Kate konnte sich ihm nicht sofort vollkommen hingeben. Wenn der Zauber aufgehoben wäre, würde Val sich wieder von ihr fern halten.

Aber damit würde sie sich beschäftigen, wenn es so weit war. Jetzt wollte sie ihren Liebsten genießen. Und sei es nur für eine einzige Nacht.

 

Rafe drückte Corrine an sich und genoss die Berührung ihres Körpers. Doch die Witwe war etwas verkrampft, war es offensichtlich nicht gewohnt, ihre Dankbarkeit auf diese Weise zu zeigen.

Er war allerdings erfahren darin, zögernde Frauen zu verfuhren. Er küsste sie, seine Hände berührten jeden Teil ihres Körpers.

Als ihre Lippen endlich für einen Moment voneinander ablassen konnten, machte er sich daran, ihr Nachthemd aufzuknoten. Sie zitterte und errötete leicht, als er ihr den Stoff herunterzog, hielt ihn aber nicht auf. Sie sah ihn mit einem verletzlichen, flehentlichen Blick an. Ohne sich selbst verstehen zu können, hörte er mit seinen Bemühungen auf, obwohl sein Körper mehr als bereit für sie war.

Verdammt, sie hatte doch damit angefangen und sich ihm angeboten.

Er biss die Zähne zusammen und wollte weiter an dem Stoff ziehen, um ihre Brüste freizulegen. Doch das brachte er nicht über sich. Stattdessen zog er das Nachthemd wieder hoch und wandte ihr den Rücken zu. Als er sich nach einer Weile wieder zu ihr umdrehte, stand Corrine immer noch so da. Sie wirkte verwirrt und wollte sich ihm wieder nähern.

Aber Rafe wehrte sie mit einer Hand ab. »Nein, bleibt mir vom Leib, verdammt noch mal!«

»Dann wollt Ihr mich also nicht?«

Er wusste nicht, was er in diesem Moment mehr gewollt hätte. Doch er erwiderte: »Nein, zur Hölle. Begebt Euch zu Bett, und lasst mich in Ruhe.«

Wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er sie gehen lassen. Aber als er die Witwe sah, wie sie mit hängenden Schultern und gesenktem Haupt zum Schlafzimmer schlich, holte er sie mit drei großen Schritten ein und stellte sich vor sie.

»Verdammt, Corrine, natürlich habt Ihr mich in große Versuchung geführt.«

»Aber warum schickt Ihr mich dann fort?« »Weil Ihr nicht zu den Frauen gehört, die für eine flüchtige Nacht in den Armen eines Mannes geschaffen sind. Und ich will Euch nicht ausnutzen, bloß weil Ihr glaubt, mir unbedingt Dankbarkeit beweisen zu müssen. Auch wenn ich schon zu lange allein bin.«

»Meint Ihr, ich nicht, Mr. Moore? Mein Mann ist seit einem Jahr tot und vorher lange zur See gefahren ...« Sie errötete und schämte sich ihrer Worte. Und er nahm sie in die Arme, genoss den Duft ihres Haares und spürte, dass sie ihn genauso wollte wie er sie. Aber er hielt sie nur fest. Und um nicht doch noch in Versuchung zu geraten, schickte er sie ins Nebenzimmer. »Gute Nacht, Mr. Moore«, nickte sie. »Rafe, nennt mich Rafe.« Vielleicht beging er damit die größte Dummheit seines Lebens. Aber die Verwirrung und Trauer, die er verspürte, als Corrine ihn allein gelassen hatte, rührten nicht daher, dass er etwas von sich preisgegeben hatte.

Er wusste, dass er die halbe Nacht wach liegen und seine Entscheidung bedauern würde. Doch einen Moment später erkannte er, dass er zum ersten Mal in seinem Leben wie ein Ehrenmann gehandelt hatte. Und das fühlte sich ziemlich gut an. Rafe erlebte zum ersten Mal das Gefühl der Zufriedenheit, und für die waren nicht nur Corrine, sondern auch ihr Sohn verantwortlich.

Er hoffte, dass es Valentine St. Leger in diesem Moment ähnlich erging.

 

Der Arzt warf sich in seinem Bett hin und her; denn der schlimmste Albtraum seit langem hielt ihn in seinen Klauen.

Er war ein kleiner Junge in Paris, und vor ihm lief seine Mutter. Doch so sehr er sich auch abmühte, er konnte sie nie einholen.

Wenn er nach ihr rief, schallte Madeline St. Leger ihn nur kalt über die Schulter an und verschwand in der nächsten Seitengasse.

Als der Knabe um die Ecke lief, bot sich ihm ein schrecklicher Anblick: Eine Kirche stand in hellen Hammen. Höllischer Feuerschein beleuchtete die Straße, und Teufel mit roten Mützen hieben mit ihren Waffen auf alles ein, was sich bewegte. Die Schreie der Getroffenen erfüllten die Luft, und Blut strömte Valentine entgegen. Helft uns, Dr. St. Leger, helft uns!

Verzweifelt sah er sich um. Wie sollte er diesen vielen Menschen helfen?

Dann fiel ihm eine junge Frau mit rabenschwarzem Haar auf, die auf den Kirchenstufen kauerte.

Kate!

Er rannte zu ihr und hob sie auf die Arme. Doch sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Körper fühlte sich kalt und leblos an.

Im nächsten Moment stand Effie Fitzleger mit vorwurfsvoller Miene vor ihm.

»Der Familienfluch!«, schimpfte sie. »Ihr hättet ihr niemals zu nahe kommen dürfen. Kate war nicht Eure auserwählte Braut.«

»Nein!«, entgegnete er heftig und wandte sich wieder der jungen Frau zu. Wenn er ihr doch nur ihr Leiden nehmen könnte. Er ergriff ihre Hand und versuchte mit aller Kraft, seine besondere Gabe zu wecken. Doch seine Macht war vergangen, er konnte nichts mehr für sie tun -

»Nein!«, schrie der Arzt und zwang sich, wach zu werden. Mit geöffneten Augen befreite er sich von Kissen und Decke, so als würden die ihn unweigerlich zurück in den Albtraum ziehen.

Nach einer Weile fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Nur ein böser Traum ... aber einer, der nicht von ihm stammte. Rafes Kindheitserlebnisse hatten sich mit seinen Ängsten um Kate vermengt. Kate - hoffentlich ging es ihr gut. Aber das konnte er ja leicht feststellen, lag die doch in seinem Bett. Zitternd streckte er eine Hand nach ihr aus und spürte zu seiner großen Erleichterung, wie sich ihr Oberkörper sanft hob und senkte.

Alles wäre gut ... bis auf den dunklen Fleck auf ihrer Schulter.

Was hatte er ihr angetan?

Val erstarrte, als ihm einfiel, was er der jungen Frau angetan hatte. Er hatte sie hart genommen, auch wenn sie sich ihm ziemlich willig gezeigt hatte.

Nein, so durfte er nicht denken. Kate hatte ihm immer das allergrößte Vertrauen entgegengebracht, und das hatte er schamlos ausgenutzt, um sie zu entehren.

Daran war einzig und allein dieser Kristallsplitter schuld.

Seine Hand schloss sich so fest um den Stein, dass er in seine Handfläche stach. Doch er brachte einfach nicht die Kraft auf, sich die Halskette abzureißen.

»Val?«, ertönte Kates schläfrige Stimme neben ihm. »Was treibst du da?«

Er ließ den Kristall unter sein Hemd verschwinden. Niemals durfte Kate ihn zu sehen bekommen oder davon erfahren. Val wollte aufstehen, um Abstand zwischen sich und sie zu bringen. Aber dann warf er einen Blick auf sie, und sie richtete sich mit verwirrter Miene auf. Das lange Haar hing wild wie bei einer Meerjungfrau über ihre Schultern, und ihr Körper wirkte von den langen Beinen bis zu den runden Brüsten geschmeidig wie Schilfrohr.

Er hatte kein Recht, sie jemals wieder zu berühren, mochte es ihn auch noch so sehr nach ihr verlangen. Doch der Kristall pochte über seinem Herzen und erfüllte ihn mit neuem heißem Verlangen. Val wusste, dass er verloren war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Kate wieder in seine Arme zu ziehen und sie ein weiteres Mal zu lieben.