Die dritte Augustwoche war heiß. Nicht ein Windhauch bewegte die großen Eukalyptusbäume, die unterhalb der Terrasse wuchsen. Durch sie hindurch konnte man L. A. unter einem Teppich gelbbraunen Dunstes erkennen. So war es seit ihrer Rückkehr aus Arizona, und obwohl die Luft in den Hügeln frischer war, hatte Tommy manchmal das Gefühl, er müsse ersticken.
Am Abend rückten die Wolken näher. Die Stürme, die schließlich losbrachen, waren heftig. Tommy stieg aus dem Bett und stand an den offenen Türen des Balkons. Er schaute sich die erleuchteten Silhouetten der Bäume an und lauschte dem Donner, der durch die Canyons rollte. Der Regen war stark und jäh. Die Straße war bald überflutet.
Nicht wegen des Wetters fühlte er sich lustlos. Die wundervolle Zeit, die er in Arizona verbracht hatte, hatte L. A. allen Glanz geraubt. Er war noch ein einziges Mal mit Cal ausgeritten. Jetzt aber wurde die Ranch aufgelöst. Die meisten Pferde waren verkauft, und die, die Cal gehörten – auch Chester –, waren nach Montana transportiert worden. Cal war mit ihnen gefahren. Er würde zurückkommen, um sein Haus auszuräumen, Ende Oktober würde er endgültig fortziehen. Tommy vermisste ihn so sehr, er wünschte, er hätte ihn nie kennengelernt.
Diane und Ray redeten kaum noch miteinander. Und wenn, brüllten sie sich an. Meistens erst, wenn Tommy im Bett lag. Die Stürme im Haus waren oft schlimmer als die Unwetter draußen. Kreischen und Schreien. Türenschlagen, und eines Nachts das entsetzliche Geräusch von splitterndem Glas. Am nächsten |281|Morgen sammelte Dolores auf den Knien die letzten Scherben des großen Wohnzimmerspiegels auf. Diane behauptete, der Sturm sei schuld gewesen.
Zweimal schon hatte Tommy sie weinen sehen. Beim zweiten Mal hatte er im Bett gelegen und gehört, wie sich die beiden bei Tisch auf der Terrasse stritten. Dann hörte er die Wohnungstür krachend ins Schloss fallen. Ray raste im Cadillac davon. Tommy war aufgestanden und zu Diane gegangen. Sie lag schluchzend auf ihrem Bett. Und als er sie fragte, was los sei, sagte sie nur, dass sie und Ray sich im Moment nicht so gut verstünden. So etwas geschehe öfter, wenn Menschen heirateten und sich aneinander gewöhnten und gleichzeitig viel arbeiteten. Sobald sie The Forsaken abgedreht hätten, würde sich alles beruhigen.
»Liebst du ihn noch?«
Tommy hoffte, Diane würde nein sagen, damit er ihr endlich von Leanne erzählen konnte, aber sie lächelte nur und sagte, er solle nicht albern sein, gewiss liebe sie Ray noch. Sie nahm ihn in die Arme und strich ihm übers Haar.
»Alles wird gut, mein Liebling. Ehrlich. Wenn der Film fertig ist, sind wir wieder glücklich. Vielleicht können wir alle zusammen verreisen. Irgendwohin, wo es schön ist. Ans Meer. Hättest du Lust?«
»Warum nicht? Aber könnten nur wir beide fahren?«
»Tommy, du musst aufhören, Ray so schlecht zu behandeln. Er liebt dich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie traurig es ihn macht, dass du nicht mit ihm sprichst und ihn meidest. Liebling. Warum machst du das?«
»Ich habe es doch schon gesagt. Er ist nicht nett zu dir. Ich mag es nicht, wenn er dich anschreit.«
»Bitte versuche, freundlicher zu sein. Wir wollen alle miteinander glücklich sein.«
Als könne man Glück anknipsen wie Licht. Eigentlich sah |282|Tommy Ray oder Diane nur noch selten, weil sie den ganzen Tag im Studio waren. Tommy lungerte im Haus herum, sah fern oder lag auf seinem Bett und las. Wenn ihn all das langweilte, half er Dolores in der Küche oder Miguel beim Waschen der Autos, oder er mähte den Rasen oder fischte Blätter aus dem Pool. Diane sagte, er solle einen Freund einladen, aber seine Freunde aus der Schule waren noch verreist.
Als Tommy schon glaubte, er würde verrückt vor Langeweile, rief Wally Freemans Mutter an, um zu sagen, dass Wally aus dem Ferienlager zurück sei. Tommy fragte Diane, ob Wally bei ihnen übernachten dürfe, und als sie zustimmte, wurde sogleich eine Verabredung getroffen.
Wally schlief im Gästebett in Tommys Zimmer, obgleich schlafen vielleicht nicht das richtige Wort war, denn sie redeten bis zwei Uhr morgens. Tommy erzählte von Arizona und bekam Lachanfälle bei all den Streichen, die Wally in Oregon erlebt hatte; Frösche in die Betten von anderen setzen und den gemeinsten Erzieher auf einer Insel zurücklassen, auf der es Bären gab.
Am Morgen weckte Tommy das Geschrei im Flur. Dolores brüllte jemanden an, er solle weggehen und sich nicht wieder blicken lassen. Wally schlief weiter. Aber Tommy kletterte aus dem Bett, und als er seine Zimmertür öffnete, erblickte er Diane im Morgenmantel. Sie hatte geduscht und war genauso neugierig wie er. Sie wollte wissen, wen Dolores ankeifte. Dolores antwortete barsch wie immer, es sei nur ein Bettler gewesen.
Diane und Tommy gingen ans Fenster. Ein Mädchen, ein Teenager, schlurfte in Richtung Tor. Sie hatte einen zotteligen blonden Pferdeschwanz und trug ein viel zu großes, schmutziges gelbes Kleid. Sie musste gespürt haben, dass jemand ihr nachschaute, denn sie wandte sich um und blickte kurz zurück. Ihr Ausdruck wirkte verkniffen und verletzt zugleich. Diane zuckte mit den Schultern.
|283|Kurz darauf fuhr Diane zur Arbeit. Tommy weckte Wally, und sie frühstückten und schwammen eine Runde. Für den Rest des Vormittags spielten sie Indianer, verfolgten einander und lauerten sich im Garten auf. Wally wollte wieder mit dem Luftgewehr auf Vögel schießen, aber Tommy sagte, es sei falsch, Lebewesen zu töten, es sei denn, man brauche Nahrung.
Später schwammen sie eine Runde und tauchten nach Fünf-Cent-Stücken. Dann saßen sie am Poolrand, ließen ihre Füße ins Wasser baumeln und erörterten, welche der drei Ms – Marilyn Monroe, Jane Mansfield oder Mamie Van Doren – die besten Titten hatte. Wally sagte, sobald die Schule wieder begonnen habe, würde er auf jeden Fall Wendy Carter küssen, und Tommy erwiderte, sie küsste wahrscheinlich lieber den Hintern eines Hundes, woraufhin sie anfingen, sich unterzutauchen und mit Wasser zu bespritzen. Sie waren so außer Rand und Band, dass Dolores aus dem Haus kam und sie aufforderte, aufzuhören.
Bei Wallys letztem Besuch hatte Ray stolz seine Waffensammlung gezeigt, und als sie sich ihre Badehosen auszogen, fragte Wally, ob er sie sich noch einmal ansehen dürfe. Tommy antwortete, dass die Waffen im Keller weggeschlossen seien und nur Ray einen Schlüssel besitze.
»Eine Waffe schließt er aber nicht ein.«
»Wirklich?«
»Ich darf es eigentlich nicht wissen. Willst du sie sehen?«
Sie gingen ins Haus und vergewisserten sich, dass Dolores in der Küche beschäftigt war. Dann stiegen sie die Treppen hinauf und trippelten auf Zehenspitzen wie zwei Diebe über den Treppenabsatz in Dianes Schlafzimmer und zum Nachttisch an Rays Bettseite.
»Versprich mir, dass du es niemandem verrätst«, flüsterte Tommy.
»Ich schwöre.«
|284|»Ray würde wütend wie eine Klapperschlange, wenn er wüsste, dass ich sie dir gezeigt habe.«
»Ich habe gesagt, ich schwöre.«
»Großes Indianerehrenwort!«
»Mann, Tommy. Okay, großes Indianerehrenwort.«
Tommy zog die Schublade auf, und sie starrten auf den Revolver. Er glänzte stumpf und geheimnisvoll.
»Wow«, sagte Wally. »Eine Smith and Wesson.«
»Eine Achtunddreißiger. Wie die Knarre von Sergeant Friday aus Dragnet.«
Wally griff danach, aber Tommy befahl ihm, den Revolver nicht anzurühren.
»Warum nicht? Wer soll es denn erfahren?«
»Das Ding ist geladen.«
»Na und? Sei kein Feigling.«
Wally nahm die Waffe und hielt sie vorsichtig.
»Eine echte Schönheit.«
»Ja ja.«
Wally umschloss den Griff mit seiner Rechten und richtete sie auf Tommy.
»Okay, Mister, Hände hoch.«
»Wally. Nicht! Die ist geladen, du Idiot!«
»Schon gut. Mach dir nicht in die Hose. Außerdem ist sie gesichert, du Trottel.«
»Leg sie zurück. Sofort!«
Wally seufzte, gehorchte aber.
»Aha! Was haben wir denn hier?«
Er nahm eine Plastiktüte, die Ray dort aufbewahrte.
»Das ist nur Tabak oder Tee oder so was.«
»Tee? Das ist Gras, du Depp.«
»Was?«
»Eine Droge. Man raucht das Zeug. Kennst du Scotty Lewis aus der sechsten? Sein großer Bruder raucht das dauernd. Deine |285|Augen werden dann ganz rot und komisch. Mann, dein Vater kann dafür ins Gefängnis wandern.«
»Ray ist nicht mein Vater. Wally, leg’s einfach zurück, ja?«
»Alles klar, reg dich ab.«
Hollywood war ein Ort vieler Illusionen, und eine davon war Freundschaft. Diane war schon kurz nach ihrer Ankunft im vergangenen Jahr von Edith Head, der legendären Kostümbildnerin von Paramount, gewarnt worden. Edith war eine Frau von unglaublichem Aussehen: volles schwarzes Haar und eine enorme Brille mit runden, dunkelblauen Gläsern, die sie angeblich trug, weil sie damit sehen konnte, wie ein Kostüm in einem Schwarzweißfilm wirkte. Im Alter von vierundsechzig Jahren nannte sie vier Oscars ihr eigen und hatte fast alle Stars des Jahrhunderts eingekleidet, von Marlene Dietrich und Mae West bis Sophia Loren und Grace Kelly. Aus irgendeinem Grunde hatte sie Diane sofort in ihr Herz geschlossen.
»Es gibt keine Stadt auf der Welt, in der du schneller Freunde gewinnst und auch wieder verlierst«, hatte Edith erklärt, als Diane in einem roten Ballkleid aus Satin, einer von Ediths wunderbaren Kreationen für den gescheiterten Gary-Cooper-Film, vor ihr gestanden hatte.
»In Hollywood dreht sich alles ums Geschäft. Auch Freundschaft. Am besten ist es, die beiden nicht zu vermischen.«
Damals hatte Diane nicht ganz verstanden, was Edith damit gemeint hatte. Inzwischen wusste sie es. Ein Jahr lebte sie nun schon hier und hatte viele Frauen kennengelernt, die sie mochte und auch als Freunde betrachtete. All diese Frauen oder ihre Ehemänner oder Freunde hatten auf die eine oder andere Weise mit dem Filmgeschäft zu tun. Sie telefonierten miteinander, trafen sich zum Kaffee oder zum Lunch oder kamen mit ihren Partnern zum Cocktailabend oder zum Dinner. Aber nicht eine war dabei, der sich Diane anvertraut oder mit der sie offen über |286|Ray und ihre Probleme gesprochen hätte. Erst im Oktober, als ihre alten Freundinnen Molly und Helen sie besuchten, wurde ihr bewusst, wie sehr sie diese Gespräche vermisste, bei denen sie in den eiskalten Londoner Nächten vor dem Gaskamin gesessen hatten.
Molly und Helen machten eine zweiwöchige Reise durch Kalifornien, und weil sie so viel wie möglich sehen wollten, konnten sie nur ein paar Tage bleiben. Diane fuhr ihre Freundinnen herum und zeigte ihnen die Sehenswürdigkeiten, genau wie Ray es vor einem Jahr mit ihr und Tommy gemacht hatte. Helen bombardierte sie mit Fragen über ihre Arbeit und die Menschen, die sie traf, und Diane spielte das Theater der Glücklichen und Begeisterten.
Der nächste Tag war ein Sonnabend. Tommy überzeugte die beiden Frauen davon, dass sie nicht abfahren konnten, ohne Disneyland besucht zu haben. Er war schon dreimal dort gewesen, konnte aber nicht genug davon kriegen. Ray sagte, er könne sie nicht begleiten. Sie fuhren also zu viert nach Anaheim, kreischten und lachten auf den Karussellfahrten.
Beim Abendessen gab sich Ray charmant und zuvorkommend, er amüsierte Helen und Molly mit lustigen, wenn auch selbstbeweihräuchernden Geschichten über das Filmgeschäft. Diane hatte sie schon ein Dutzend Mal gehört. Ihre Freundinnen waren von der Welt der Stars fasziniert. Ray verabschiedete sich früh, er habe noch eine Verabredung in der Stadt, und die drei wollten sicher noch ein Gespräch unter Frauen zu führen.
Kaum war er außer Hörweite, flüsterte Molly ziemlich laut, was für ein Traummann er sei. Sie lehnte sich zurück, betrachtete den Pool, das Haus und die Lichterketten in dem Baum über ihnen, seufzte und schüttelte den Kopf.
»Es ist himmlisch. Du hast ein solches Glück, Diane.«
»Ich weiß.«
Molly lächelte und zündete sich noch eine Zigarette an. |287|Helen, die sensiblere von beiden, musste den Unterton gehört haben.
»Aber?«, sagte sie.
»Nichts aber.«
»Komm schon, Di. Ich kenne dich doch.«
Nach und nach schmeichelten sie es ihr ab.
Zuerst stellte Diane es so dar, als hätten ihre Sorgen mit Hollywood zu tun, dem manchmal oberflächlichen und aufgesetzten Leben hier; dass es vielleicht nicht der beste Ort war, um ein Kind großzuziehen. Sie sagte, sie, ihre Freundinnen, wüssten am allerbesten, mit wie viel Leidenschaft sie gearbeitet habe, dass ihr Herz aber nicht mehr so dabei sei, seit sie die Verantwortung für Tommy übernommen habe.
Schließlich, weil Helen schlau genug fragte, erzählte Diane von Ray. Zuerst sprach sie in der Vergangenheit, ließ es so klingen, als sei mittlerweile alles besser. Und im Grunde stimmte das auch. Am schlimmsten war es in den Wochen nach ihrer Rückkehr aus Arizona gewesen, als sie die Szenen im Studio filmten. Dass Terry und Herb Kanter sich trotz der Wutausbrüche in Geduld geübt hatten, grenzte an ein Wunder. Zu Hause war dann kein Halten mehr. Das betrunkene Geschimpfe, das Aus-dem-Haus-Stürmen, die ewigen eifersüchtigen Vorwürfe, sie sei frigide oder habe eine Affäre. Das Unerfreulichste ersparte Diane ihren Freundinnen. Zum Beispiel den Bericht über die Nacht, als Ray das Glas nach ihr geworfen und den Spiegel getroffen hatte, oder diese düstere und rachedurstige Art und Weise, wie er mit ihr schlief, wenn sie es, was selten vorkam, aus Mitleid oder Schuldgefühl duldete.
Diane hatte genug erzählt, um ihren Freundinnen den Sternenstaub aus den Augen zu wischen. Sie berichtete ihnen noch, wie gemein Ray sein konnte, dass er verschwand und erst in den frühen Morgenstunden wieder auftauchte, betrunken oder bekifft oder beides.
|288|»Hat er dich geschlagen?«, fragte Helen.
»Um Gottes willen, nein«, sagte Diane. »Manchmal ist er nur … na ja, ein wenig grob.«
Molly schien sich bei dem Thema unwohl zu fühlen und schweifte ab.
»Mommy sagt, das erste Ehejahr ist das schwierigste. Nachdem sie Daddy geheiratet hatte, hat sie ein Jahr lang geweint. Jeden Morgen, sobald er nach dem Frühstück ins Büro gegangen war, musste sie ihr Herz ausschütten. Aber sie sagt, man gewöhnt sich daran.«
»Eine furchtbar deprimierende Vorstellung«, sagte Helen.
»Nein, hör zu. Als sie mich ins Internat geschickt haben, war es genauso. Ich habe jede Nacht geweint. Monatelang. Danach war es gut. Irgendwie gewöhnt man sich wirklich daran.«
»Ich nehme an, während des Krieges haben sich die armen Menschen auch daran gewöhnt, in einem Konzentrationslager eingesperrt zu sein, aber das heißt noch lange nicht, dass es recht ist.«
»Helen, ehrlich, du verdrehst immer alles. Ich meine doch nur, dass die Ehe keine einfache Sache ist. Man muss daran arbeiten.«
»Die Sache ist, ich möchte ja gerne, dass es funktioniert«, sagte Diane. »Um Tommys willen mehr als alles andere. Darum habe ich Ray überhaupt geheiratet, damit Tommy einen Vater hat und eine echte Familie.«
Wenigstens sprachen die beiden wieder miteinander. Wenn Ray sie aber anschnauzte oder seine Launen bekam, bemerkte sie, wie Tommy ihn böse anstarrte.
Diane musste ihrer Traurigkeit mehr Ausdruck verliehen haben, als sie gewollt hatte, denn plötzlich rückten Molly und Helen ihre Stühle heran und nahmen sie in die Arme.
»Alles wird gut«, sagte Molly. »Warte ab, wenn der Film in die Kinos kommt und alle sagen, wie wunderbar ihr beide seid, |289|dann wird Ray nicht mehr so angespannt und gereizt sein. Wir sind so stolz auf dich!«
»Ja«, sagte Helen. »Aber er darf dich niemals schlagen. Wenn er das tut, dann verlässt du ihn, ja?«
»Ach Helen, wirklich –«
»Versprich es.«
»Ich verspreche es.«
Die Freundinnen nahmen sich in den Arm.
Die Werbekampagne, die Herb Kanter und die Leute von Paramount ersonnen hatten, war beinahe so anstrengend wie die Dreharbeiten selbst. Der Start des Films war für Ende Februar vorgesehen, die Premieren sollten in Hollywood und New York stattfinden. Herb war entschlossen, jede nur freie Minute bis dahin auszunutzen, er wollte sicher sein, dass die ganze Welt von dem sensationellen neuen Star Diane Reed erfuhr.
Einen Tag, nachdem sie Molly und Helen in den Zug nach San Francisco gesetzt hatte, begann für Diane ein Marathon mit Interviews und Fototerminen. Meistens im Studio oder in einer für diesen Zweck gemieteten Suite im Beverly Hills Hotel. Bei Journalisten von einflussreicheren Zeitungen oder Zeitschriften gab es ein Essen im Brown Derby oder im Bistro. Am häufigsten wurden Fragen über Dianes Beziehung zu Ray Montane gestellt. Die Fragen waren irgendwann unbarmherzig vertraut.
Also, wo haben Sie sich kennengelernt? War es Liebe auf den ersten Blick? Was war das für ein Gefühl, die Liebesszenen zu drehen?
Diane war ein Profi und antwortete stets, als wäre es das erste Mal. Sie schmeichelte den Journalisten für ihren Scharfsinn, schenkte ihnen ein sanftes, selbstironisches Lächeln oder ein Stirnrunzeln, wenn sie vorgab, einen Moment nachdenken zu müssen. Bescheiden, professionell, manchmal, wenn es angemessen war, sogar ein wenig kokett. Sie hinterließ gerne den Eindruck, |290|dass man ihr mehr entlockt hatte, als sie zu verraten beabsichtigt hatte.
Viel schwieriger waren die Interviews, die sie mit Ray zusammen absolvieren musste. Sie saßen nebeneinander auf einem Sofa und spielten der ganzen Welt vor, das Leben sei ein Segen und ihre Liebe unvergänglich. Manchmal legte Ray – liebevoll und fürsorglich – seinen Arm um sie und küsste sie auf die Wange. Sobald die Journalisten den Raum verlassen hatten und sie wieder allein waren, explodierte er.
»Bin ich unsichtbar, oder was? Dieser kleine Arsch hat nicht eine Frage an mich gerichtet. Sagen Sie, Diane, hat der Ruhm Sie verändert? Haben Sie eine Botschaft für Ihre Fans in England? Zur Hölle mit ihm.«
Diane, Mollys Ermahnung im Ohr, holte tief Luft und küsste Ray, um ihn zu beruhigen. Wenn die Presse etwas mehr an ihr interessiert sei als an ihm, dann darum, weil sie das neue Gesicht sei. Er sei bereits ein Star. Die ganze Welt wisse, wer Ray Montane sei.
Am letzten Sonntag im Oktober meldete sich Cal Matthieson telefonisch, um sich zu verabschieden. Seine Abreise nach Montana stand unmittelbar bevor. Diane fuhr Tommy zur Ranch, doch sobald sie angekommen waren, wünschte sie, sie hätte es gelassen. Die Bagger hatten alles aufgerissen. Bis auf ein paar Bäume war alles verschwunden. Die Fundamente für Hunderte von Häusern waren gelegt, eingeschnitzt in den Hang die erdige Geometrie von Straßen und Abwasserkanälen. Cals Haus stand wie verdammt in einem Meer trockenen Schlamms, seine Möbel waren auf einem Lastwagen.
Tommy sagte kein Wort. Sein Blick wanderte dahin, wo sich einst die Ställe befunden hatten und nun ein Feuer schwelte. Der Rauch schwebte über dem Hang wie Nachwehen eines verlorenen, sinnlosen Krieges.
Cal gab ihr einen Zettel mit seiner Adresse in Montana und |291|seiner Telefonnummer. Er bat Diane, ihn anzurufen, wenn sie je etwas brauche, und nahm ihr das Versprechen ab, dass sie ihn besuchten. Jederzeit, sagte er, solange sie wollten.
»Weißt du, Tom, dein Pony wird schon griesgrämig. Du musst es bald reiten, oder es wird dich suchen kommen.«
Tommy lächelte tapfer. Dann wandte er sich ab. Cal sah Diane an.
»Wie geht’s?«
»Gut«, sagte sie heiter. »Besser.«
Er glaubte ihr nicht, das sah sie ihm an.
»Wie ich höre, ist der Film gut geworden.«
Es entstand ein langes Schweigen. Diane wollte ihn umarmen, ihn halten, ihm gestehen, was sie für ihn empfand, dass sie den Gedanken nicht ertrug, dass er fortging. Doch es war unmöglich.
»Wir gehen jetzt besser«, sagte Diane leise. »Fährst du noch heute?«
»Ja. Ich muss noch ein paar Sachen erledigen, dann geht es los.«
»Nun.« Sie schluckte. »Pass auf dich auf.«
»Du auch.«