|226|NEUNZEHN

Der Pfad führte an der Bergseite entlang. Ein Band aus rotem Sand, das sich nördlich zwischen dem silbergrauen Wüstenbeifuß schlängelte. Zu beiden Seiten lagen Findlinge, einer, so groß wie ein Haus, ragte so weit hervor, dass sie sich bis zum Hals der Pferde hinunterbeugen mussten. Am unteren Ende des Abhangs befand sich ein Eichenwäldchen. Die Blätter raschelten im lauen Wind, und manchmal erhaschte man den Blick auf die Wiesen im Tal am Fluss.

Es war Ende Mai und wurde von Tag zu Tag heißer. In L. A. konnte sowieso nicht von Witterung die Rede sein, es war immer sonnig und warm. Beschwerden hörte man nur über den Smog.

Tommy ritt wie immer auf Chester, dem trittsicheren gefleckten Pony. Cal ritt hinter ihm auf Amigo. Tommy war gern mit Cal allein unterwegs, obwohl es auch Spaß machte, wenn Diane sie begleitete. In letzter Zeit war sie öfter mit ihnen zusammen ausgeritten. Sie musste reiten lernen für den Film, in dem sie und Ray zusammen spielen würden, und dank Cal war sie schon ziemlich gut. Beinahe wäre sie auch mitgekommen, aber das Studio hatte angerufen, es standen letzte Frisur- und Maskenproben an.

Nur noch drei Tage Schule und dann am Wochenende auf nach Arizona, wo die Dreharbeiten begannen. Tommy war so aufgeregt, dass er in den letzten Tagen kaum an etwas anderes denken, geschweige denn von etwas anderem reden konnte. Ganze zwei Monate würden sie am Drehort verbringen. Ray sagte, sie könnten Monument Valley besuchen, wo all die großartigen |227|John-Ford-Filme gedreht worden waren. Und Cal reiste auch mit. Er musste sich um die Pferde kümmern und war Rays Double.

Plötzlich machte Chester eine seitliche Bewegung und scheute. Tommy gelang es im letzten Moment, das Sattelhorn zu umfassen, damit er nicht abgeworfen wurde. Cal ritt an seine Seite und beruhigte das Pferd.

»Warum hat er das getan?«

Cal zeigte auf den Hang. Tommy sah eine schwarzweiße Schlange zwischen den Felsen verschwinden.

»Eine Klapperschlange?«

»Eine kalifornische King Snake.«

»Ist die giftig?«

»Nein. Die Rassler sind die einzigen giftigen Schlangen hier. Hey, Tom, das hast du prima gemacht.«

Tommy mochte es, wenn Cal ihn Tom nannte. Er mochte alles an Cal. Der kannte den Namen jeder Pflanze, jedes Vogels und aller Tiere. Tommy fragte ihn Löcher in den Bauch und versuchte, sich alles zu merken, was Cal ihm erzählte. Er wusste jetzt, dass es in Kalifornien sieben verschiedene Falkenarten gab, acht Echsenarten und achtzehn Arten von Schlangen, allerdings bekam man sie nur selten zu sehen. Er wünschte nur, er hätte nicht auf einem ihrer ersten Ausflüge damit geprahlt, mit seinem Luftgewehr in Rays Garten auf Vögel geschossen zu haben. Cal hatte die Stirn gerunzelt.

»Tötest du die Vögel, um sie zu essen?«

»Natürlich nicht.«

»Warum willst du sie dann töten?«

Tommy wusste keine Antwort. Beinahe hätte er Ray die Schuld gegeben, der ihm gezeigt hatte, wie man auf sie schoss. Doch das wäre unfair gewesen, denn in Wahrheit machte es ihm Spaß, auf der Lauer zu liegen und ein guter Schütze zu sein. Wally Freeman machte auch gerne mit, wenn er manchmal |228|nach der Schule mitkam. Die beiden verkleideten sich und gaben vor, als Hawkeye und Chingachgook im Wald zu jagen.

Tommy schämte sich vor Cal. Nach längerem Nachdenken musste er zugeben, dass er nur neugierig war. Die Vögel waren frei und so schnell, dass er nicht einmal in ihre Nähe kam. Aber wenn man auf sie schoss, dann konnte man sie berühren und sehen, wie schön sie waren. Sobald das Jagdfieber verflogen war und er den leblosen kleinen Körper in den Händen hielt, plagte ihn das schlechte Gewissen. Nach der Unterhaltung mit Cal hatte er sich geschworen, nie wieder auf ein Lebewesen zu schießen.

Cal sagte, es habe früher in den Hügeln viel mehr wildlebende Tiere gegeben, doch die Stadt breite sich immer weiter aus und vertreibe die Tiere. Erst letzte Woche waren sie auf einen Hügel geritten und hatten von ihren Pferden die Bulldozer beobachtet, die das Land für eine Autobahn ebneten und dabei riesige Staubwolken aufwirbelten. Cal sagte, Mr. Maxwell, dem die Ranch gehörte, sei von einer Immobilienfirma, die auf seinem Land bauen wollte, viel Geld geboten worden. Immer wenn er sie abweise, böten sie mehr. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis er verkaufe.

An jenem Tag sahen sie Maultierhirsche, Erdhörnchen und Kojoten. Am aufregendsten aber war, dass sie an einer Stelle im getrockneten Lehm neben dem Flüsschen auf die Spur eines Berglöwen stießen. Cal sagte, es gebe hier eine Menge Berglöwen, aber man sehe sie nur selten, es sei denn, einer sprang von einem Baum und biss einem den Kopf ab – ihre bevorzugte Angriffstaktik. Seither suchte Tommy jeden Baum ab, unter dem sie hindurchritten. Cal sagte, zu Hause in Montana gebe es viele Berglöwen. Und Grizzlys, die sogar noch gefährlicher waren, besonders Bärinnen mit einem Jungen. Früher habe es auch Wölfe gegeben, aber sie seien alle gefangen oder erschossen worden.

|229|Tommy liebte es, wenn Cal anfing, von seiner Kindheit in Montana zu erzählen. Seine Mutter war eine Vollblut-Blackfeet, sie war im Reservat geboren, in der Nähe von Browning, einem, so Cal, ziemlich trostlosen Ort. Sein Vater war ein weißer Mann. Seine Eltern lebten auf einer Ranch weiter südlich an der Front Range der Rocky Mountains. Sein Urgroßvater mütterlicherseits war beinahe hundert Jahre alt, er war noch auf Büffeljagd gegangen. Früher habe es enorme Herden gegeben, erzählte Cal. Manchmal sah die Ebene schwarz aus, so viele waren es. Aber dann kam die Eisenbahn, und die Büffel wurden erschossen. Fünfzig Millionen in kaum mehr als zehn Jahren.

»Nun, hast du auch eine Rolle in dem Film bekommen?«, fragte Cal.

Tommy lachte.

»Noch nicht. Ray arbeitet dran.«

»Wir müssen uns was für dich überlegen. Vielleicht muss ich dir einfach einen Job als Cowboy geben.«

Der Film sollte The Forsaken heißen. Jeder meinte, das Drehbuch sei brillant. Tommy hatte versucht, es zu lesen, aber all die nummerierten Szenen und die Regieanweisungen – Außenaufnahmen, Innenaufnahmen und Ausblenden und Schwenks und Kamerafahrten – verwirrten ihn, so dass er den Faden verlor. Diane hatte ihm die Geschichte erzählt. Es war kein echter Western, jedenfalls nicht so einer, wie Tommy sie mochte. Autos und Flugzeuge kamen in dem Film vor und Menschen, die am Telefon sprachen, aber kein einziger Indianer.

Eigentlich war es mehr eine Liebesgeschichte. Diane sollte Helen, eine Engländerin, spielen, die mit dem reichen Dexter Dearborn verheiratet war. Sie lebten auf einer schönen Ranch am Rande der Wüste, aber Dexter war nicht gerade freundlich zu ihr oder zu irgendjemand anderem. Er war ein Ölbaron und immer geschäftlich unterwegs oder schlich sich aus der Stadt zu seiner Freundin. Helen wurde darum sehr traurig und langweilte |230|sich und fühlte sich einsam. Bis Dexters Bruder Harry auftauchte.

Harry, den Ray spielen sollte, war ein berühmter Rodeoreiter gewesen, er wurde jedoch schwer verletzt und musste aufhören, war pleite, traurig und einsam und trank zu viel. Eigentlich war er ein netter Bursche. Dexter hatte ihm einen Job angeboten, um ihm unter die Arme zu greifen. Er sollte sich um die Ranch kümmern. Natürlich verliebten sich Helen und Harry ineinander, und für eine Weile war alles bestens. Aber eines Nachts kam Dexter unerwartet nach Hause und ertappte sie dabei, wie sie sich küssten, und schlug Helen. Harry kam ihr zu Hilfe, er tötete Dexter und landete auf dem elektrischen Stuhl. Die Geschichte endete also dramatisch. Keiner wusste so recht, warum der Film The Forsaken heißen sollte, aber Ray meinte, egal, es sei einfach ein guter Titel.

Ray und Diane hatten erst einen Monat zuvor geheiratet, an dem Tag, an dem die Russen Juri Gagarin ins All geschickt hatten (obwohl Ray behauptete, das sei alles in einem Fernsehstudio aufgenommen worden und die Amerikaner seien die ersten gewesen, als sie drei Wochen später Alan Shepard in den Weltraum schickten).

Ray war darauf versessen gewesen, die Hochzeit an die große Glocke zu hängen und viele Gäste einzuladen, aber Diane wollte das nicht, und am Ende waren sie nur zu dritt. Sie fuhren im offenen Cadillac nach Las Vegas und wohnten in der riesengroßen Suite eines wunderschönen neuen Hotels, das »Tropicana« hieß. Sie wurden wie Könige behandelt und bekamen einen Rolls-Royce mit Chauffeur. Am nächsten Morgen standen sie vor Sonnenaufgang auf und fuhren stundenlang durch die Wüste bis zum Grand Canyon, der so gewaltig und außergewöhnlich war, dass es ihm so vorkam, als sei er auf dem Mars gelandet.

Am Abend darauf heirateten Ray und Diane in einer kleinen |231|Kapelle, die mit Tausenden von Lichterketten dekoriert war. Diane sah umwerfend aus. Ihr Kleid war aus weißem Satin, das mit Strasssteinen besetzt war, sie hatte weiße Lilien im Haar. Tommy trug einen weißen Anzug. Eine Sonderanfertigung von einem der Kostümbildner von Paramount. Ray trug ebenfalls einen weißen Anzug, und sie hatten die gleichen Stetsons und Schnürsenkel-Krawatten. Der Pfarrer hatte schwarzes, pomadisiertes Haar und eine Frisur wie Elvis. Einen Moment lang dachte Tommy, er sei es höchstpersönlich.

Die Hochzeit sollte geheim sein. Aber irgendjemand musste der Presse einen Tipp gegeben haben, denn als sie aus der Kapelle traten, waren jede Menge Fotografen da. Sie mussten sich auf die Stufen stellen und im Blitzlichtgewitter lächeln. Die Fotografen riefen: Diane! Ray! Hier! Diane! Einer brüllte sogar: Tommy! Zum ersten Mal in seinem Leben kam er sich vor wie eine Berühmtheit. Am nächsten Tag flogen sie nach Hawaii. Hochzeitsreise. Auch da waren Fotografen, und das Bild von ihnen mit Blumenkränzen um den Hals schmückte die Titelseite des Lokalblatts.

»Okay, Tom, sollen wir sie ein bisschen laufen lassen?«

Cal und er waren durch das Wäldchen ins Tal geritten. Die Luft war warm, und es roch süß. Tommy drückte sanft seine Hacken in Chesters Seite, so wie Cal es ihm gezeigt hatte. Das Pony trabte los. Die letzten hundert Meter am Bach entlang ließen sie die Pferde in Galopp fallen. Tommy liebte das Hufgetrappel und den warmen Wind im Gesicht. Sein Hut fiel herunter. Cal hob ihn im Ritt wieder auf und gab ihn zurück, als sie wieder in Schritt verfielen. Sie ritten auf einem Pfad aus dem Tal, der um den letzten Hügel herumführte, und dann sahen sie die Ställe und Cals kleines Haus und Diane, die neben dem gelben Galaxie auf sie wartete. Sie winkte ihnen zu.

»Wie geht es meiner Starschülerin?«, fragte Cal, als sie näher kamen.

|232|»Hey, ich dachte, ich sei dein Starschüler?«, sagte Tommy.

Alle drei lachten sie.

»Das sagt er all seinen Schülern«, sagte Diane. »Ach, ich wäre so gerne mitgekommen. Wie war’s?«

»Wir haben eine kalifornische King Snake gesehen.«

»Wirklich?«

»Sie sind aber nicht giftig. Die Rassler sind die einzig giftigen Schlangen hier. Chester hat gescheut, aber ich bin im Sattel geblieben, stimmt’s, Cal?«

»Ja, das hast du gut gemacht. Wenn er noch besser wird, verliere ich meine Anstellung.«

Die beiden stiegen ab und führten die Pferde in den Stall. Tommy nahm den Sattel herunter, hängte ihn über das Geländer und rieb Chester ab. Cal sagte, Pferde liebten es, abgerieben zu werden. Anschließend führte Tommy die Pferde zur Tränke. Cal und Diane plauderten. Die beiden hatten sich angefreundet, seit Diane Unterricht nahm.

Auf dem Weg nach Hause wollte Tommy wissen, warum jemand, der so nett war wie Cal, keine Frau und keine Kinder hatte. Diane sagte, manchmal dauere es, bis man die richtige gefunden habe, und außerdem, nicht jeder wolle heiraten. Manche Menschen lebten lieber allein.

»Hättest du Cal vor Ray kennengelernt, hättest du ihn dann gerne geheiratet?«

Diane lachte.

»Was ist daran so komisch?«

»Nichts. Nur du und deine Fragen.«

 

Sie flogen in Herbs Lockhead Lodestar nach Arizona und beobachteten den Schatten des Flugzeugs unter ihnen. Die Berge waren rosa und zerklüftet von trockenen Flussbetten und geheimnisvollen Seen, in denen die untergehende Sonne aufblitzte. Tommy sah noch einmal den Grand Canyon. Sie versuchten, |233|die Stelle wiederzuerkennen, an der sie im Monat zuvor gestanden hatten, aber die Ausmaße des Canyons waren unvorstellbar. Etwas später bat Herb den Piloten, einen kleinen Umweg zu fliegen, damit sie einen Blick auf das Monument Valley werfen konnten. Sie flogen im Tiefflug ein und umkreisten die Säulen, die im Sonnenlicht wie die feurige Festung einer ausgestorbenen Rasse von Riesen rot und riesig aufragten und nach Osten hin im Schatten lagen.

Herb saß neben Tommy am Fenster und zeigte ihm die Wahrzeichen, Orte, an denen Ford seine berühmten Szenen für Searchers and Stagecoach gefilmt hatte. Tommy konnte sich nicht sattsehen, und obwohl Ray all das schon kannte, war auch er voll kindlicher Ehrfurcht. Er legte seinen Arm um Diane, und sie lächelte und küsste ihn.

Ray glaubte nicht an Schicksal oder Vorsehung oder an das, wofür Leute das verantwortlich machten, was ihnen widerfuhr. Wenn alles vorherbestimmt, von einer unsichtbaren, allmächtigen Hand geschrieben war, ohne dass die Möglichkeit der Selbstbestimmung bestand, worin lag dann der Sinn des Lebens? Seine Philosophie war eine andere. Das Leben war wie ein fieser Cop, der einem, wenn er nur die kleinste Chance hatte, in die Eier trat. Manchmal wurde dem miesen Hurensohn langweilig, und er schaute weg. Dann musste man seine Kraft sammeln und sich nehmen, was man kriegen konnte, sich wie ein Ladendieb die Taschen vollstopfen, bevor sein böses Auge wieder auf einen fiel. Überleben war nur eine Frage der Gerissenheit und hatte nichts mit Glück zu tun. Ray musste allerdings zugeben, dass der Cop in den letzten Monaten ziemlich abgelenkt gewesen sein musste.

Er hatte gedacht, er hätte alles verloren – Karriere, Frau, sein Selbstbewusstsein, das ganze verdammte Schützenfest –, und jetzt saß er hier, flog über den Wolken mit einem der mächtigsten Produzenten Hollywoods, verheiratet mit einer Traumfrau |234|und auf dem Weg, das zu werden, wovon er überzeugt gewesen war, dass er es sein sollte: ein echter Filmstar.

Jack Warner hatte sich nie geäußert, was er von The Forsaken hielt. Der Idiot hatte das Drehbuch wahrscheinlich gleich nach ihrem Treffen in den Müll geworfen. Dieses Genie hatte sogar Gone with the Wind mit der Begründung abgelehnt, niemand wolle einen Film über den Bürgerkrieg sehen. Der alte Dreckskerl hatte sicherlich inzwischen erfahren, dass The Forsaken in einem anderen Studio gedreht wurde, und das erfüllte Ray mit einer gewissen Schadenfreude.

Das war gänzlich Herb Kanter und seinem unerschütterlichen Glauben (und einer beachtlichen Investition) zu verdanken – und natürlich Diane. Es war der schnellste Deal, den Ray je abgeschlossen hatte. Nachdem Diane nach Weihnachten zurück nach Kalifornien geflogen war und ihm verziehen hatte, hatte sie Shelbys Drehbuch gelesen. Es hatte ihr gefallen, und es gab eine wunderbare Rolle für sie. Diane zeigte es Herb, der es in derselben Nacht las. Er war genauso begeistert. Er holte Terence Redfield als Regisseur ins Boot, pries den Stoff bei Paramount an, und bingo: Am nächsten Tag gaben die Anzugträger grünes Licht.

Fast die gesamte Crew, die für den Gary-Cooper-Film vorgesehen war, arbeitete bei The Forsaken mit. Der arme, alte Coop hatte schlussendlich vor ein paar Wochen ins Gras gebissen. Wie der Rest der Nation hatte Ray die richtigen Worte gefunden: eine große Tragödie, ein furchtbarer Verlust usw. Insgeheim sah er das Ableben des großen Mannes als Segen: ein Konkurrent weniger.

Später erfuhr er, dass Redfield, das kleine, hinterhältige Stück Scheiße, versucht hatte, Steve McQueen oder Bill Holden für die Rolle des Harry zu gewinnen – obwohl die Rolle für Ray geschrieben worden war, verflucht. Glücklicherweise waren die beiden Arschlöcher mit anderen Projekten beschäftigt, und Herb konnte Redfield davon überzeugen, dass es für die Öffentlichkeit |235|einen gewissen Reiz barg, den früheren Red McGraw in der Rolle als völlig gescheiterten Rodeostar zu besetzen. Außerdem würde es eine Menge Publicity geben, denn Ray und Diane waren auch im wirklichen Leben ein Paar. Herb hatte recht. Louella Parsons und Hedda Hopper hatten darüber geschrieben, und jedes Magazin, das ihre Hochzeitsbilder gebracht hatte, erwähnte den Film. Diesen Hohlköpfen den Tipp zu geben war seit langem der beste Streich, der Ray gelungen war.

Die Schattenseite: Seine Gage war Kleingeld, das Budget und der Drehplan waren eng gefasst. Keine großen Namen, darum. Auch wurde die finanzielle Situation von Paramount mit jedem Tag schlechter. The Forsaken zu machen würde mit Sicherheit hart sein. Zur Hölle! Es war ein echter Kinofilm. Montane und Reed, endlich. Schon bei dem Gedanken bekam Ray einen Ständer.

Als sie Medicine Springs erreichten, war die Sonne untergegangen. Die Landepiste war nur eine schmale, schwarze Spur in der verglühenden Wüste. Die Loadstar setzte auf, wurde von einer Böe erwischt und schlingerte seitwärts. Alle hielten die Luft an, lachten aber, als die Maschine zum Stehen kam. Sie kletterten hinaus. Die Luft stand still und heiß. Diane schloss die Augen, holte tief Luft. Sie liebe den Geruch der Wüste, sagte sie. Ray gab vor, genauso zu empfinden. In Wirklichkeit barg diese Luft zu viele Erinnerungen an die Tage, als er als Ölarbeiter schuften musste, Knochenarbeit, und an irgendwelchen Fraß in der gottverlassenen texanischen Weite.

Frank Dawson, der Line Producer, hieß sie willkommen. Sein Assistent und ein paar brandneue Chevy Trucks warteten auf sie. Ray hatte mit dem Mann noch nie zusammengearbeitet, er hatte aber Gutes über ihn gehört. Frank war ein Meter achtzig und hatte den Brustkorb eines Ringers. Sie gaben sich alle die Hand, und dann lud Frank die Koffer auf einen Truck. Herb hatte gleich Besprechungen und verschwand mit dem Assistenten; |236|er sagte, er sehe sie in zwei Stunden, es gebe eine kleine Feier im Hungry Horse. Frank fuhr sie ins Hotel.

Medicine Springs, eine Stadt mit einer Straße, kauerte verloren am Fuße eines Berges aus rotem Sandstein. Laut Frank Dawson war er dreihundert Meter hoch und einst ein heiliger Ort der Indianer gewesen. Ganz oben, sagte er, gebe es angeblich Felsmalerei.

In der Stadt gab es eine Eisenwarenhandlung, einen Waschsalon, eine Tankstelle, vier Bars (Hungry Horse mitgezählt) und – so schien es – die meisten räudigen Hunde der Welt. Dreimal musste Dawson anhalten und hupen, damit sie sich verzogen. Auf den Bürgersteigen lungerten ein paar junge Indianer herum und rauchten. Als die Filmstars vorbeifuhren, verzogen sie keine Miene.

»Sind das Indianer?«, wollte Tommy wissen.

»Navajo«, erwiderte Dawson.

»Sie sehen nicht besonders glücklich aus.«

»Das sind sie auch nicht.«

Die Produktion hatte in den beiden Motels der Stadt alle verfügbaren Zimmer gebucht. Dawson versicherte, dass sie in dem besseren untergebracht waren. Es sah allerdings nicht danach aus. Das Motel befand sich am südlichen Ende der Stadt auf einer leichten Anhöhe. Davor stand ein großer Plastikkaktus. Auf einem roten Neonschild leuchtete der Name »Motel Casa Rosa«. Die letzten beiden Buchstaben flackerten.

Der blassgrün gestrichene Empfangsbereich maß kaum drei Quadratmeter, eine einzige Neonröhre an der Decke diente als Lichtquelle. Eine kleine Mexikanerin mit traurigen Augen lehnte hinter dem Empfangstresen. Sie nickte und lächelte, als Dawson Ray und Diane als die Stars vorstellte, die eben erst aus Hollywood angereist waren.

»Herrgott, Frank«, flüsterte Ray, als sie sich umdrehte, um nach den Schlüsseln zu suchen. »Das ist das schöne Hotel?«

|237|»Ich glaube, ich sagte das bessere. Du solltest sehen, wo ich untergebracht bin.«

Sie hätten Zimmer Nummer sechs und sieben, die besten, sagte die Frau, als sie Ray und Diane in den hinteren Bereich des Hauses führte. Mit einer Verbindungstür und Blick auf die Berge. Es gab auch einen Blick auf einen rostigen gelben Bulldozer in einer Grube neben Sandhügeln. Das würde der Swimmingpool werden, erklärte die Frau stolz.

»Großartig«, sagte Ray.

Es raschelte, als die Frau die Tür öffnete. Das Zimmer war klein und schmuddelig, die Fliegenfenster waren zerrissen. Auf dem winzigen Tisch standen ein großer Blumenstrauß und ein Korb mit Früchten. Eine Karte von Herb: Viel Glück beim Dreh.

»Das ist so goldig«, sagte Diane. »Vielen Dank.«

Eine Kakerlake huschte aus dem Korb und verschwand unter der Tischplatte. Diane hatte sie nicht bemerkt, aber Tommy. Er warf Ray einen Blick zu.

»Frank«, sagte Ray. »Darf ich dich unter vier Augen sprechen? Diane, zeig doch Tommy sein Zimmer, ja?«

Dawson folgte ihm nach draußen zum Rand der Grube. Ray zündete sich eine Zigarette an.

»Habe ich etwas missverstanden? Soll das ein Aprilscherz sein?«

»Wie bitte?«

»Soll das ein Witz sein? Was soll das – uns in so eine Absteige zu verfrachten?«

»Ray, das ist die beste Unterkunft, die es hier gibt. Manchmal ist es eben ein wenig einfach, wenn an Originalschauplätzen gedreht wird.«

»Wir haben ein Kind dabei, um Himmels willen. Hast du die Kakerlake gesehen? Diese Bruchbude sollte abgerissen werden. Und erzähl mir nichts von Originalschauplätzen. Ich bin kein Greenhorn.«

|238|Die beiden Männer starrten sich eine Weile an. Die Motelbesitzerin beobachtete sie. Dawson blinzelte zuerst.

»Ich werde mit Herb sprechen.«

»Mach das, Kumpel. Hier bleiben wir nicht, okay? Hast du das kapiert?«

Diane fand, er sei zu barsch gewesen. Aber Ray meinte, sie wisse nicht, wie es im Filmgeschäft laufe. Diese Leute würden dafür bezahlt, jeden verdammten Cent zu sparen, und stellten einen auf die Probe, um zu sehen, wie weit sie damit kämen. Man musste ihnen von Anfang an zeigen, dass sie einen respektvoll zu behandeln hatten.

Tatsächlich, innerhalb von zwanzig Minuten war Herb Kanter am Telefon. Er entschuldigte sich, sie würden versuchen, eine bessere Bleibe für sie zu finden. Ein Wagen sei auf dem Weg, zu ihrer persönlichen Verfügung, und ob sie einverstanden seien, wenn Leanne, die als Kindermädchen für Tommy eingestellt worden war, gleich morgen zu ihnen komme?

»Alles, was du brauchst, Ray, bitte, zögere nicht. Ruf einfach an.«

»Siehst du, was ich meine?«, sagte Ray, als er aufgelegt hatte.