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DER VIERTE BETTELHINE

 

Skye sperrte die Feuerschlange in den Stasis-Safe der Suite ein. Paakth-Doy schloss die Behandlung der Wunden von Wethers und Skye ab. Noch während wir alle sichtbaren Hinweise auf den Angriff der Feuerschlange beseitigten, einigten wir uns darauf, den Vorfall vorerst geheim zu halten - einerseits, um eine Panik unter den übrigen Mitreisenden zu vermeiden, andererseits, um dem Übeltäter, wer er auch sein mochte, mehr Gelegenheit zu geben, sich versehentlich zu enttarnen. Das war kein großer Plan, aber es war immerhin etwas.

Dann meldete sich Mendez und berichtete, dass es außerhalb der Kutsche eine neue Entwicklung gäbe.

Dieses Mal gingen alle nach unten, um sich die Neuigkeiten anzusehen, die die Luftschleusenmonitore zu bieten hatten. Dieses Mal sahen wir alle die kleinen, monochromen Hologramme, die uns im Wechsel die verschiedenen Bilder der Kutsche lieferten und uns Aufnahmen eines heraufziehenden Unwetters zeigten.

Die Stanley, die über uns an der Trosse hing, war nicht mehr allein dort draußen. Eine weitere, zweifellos ausgesandt von Anchor Point, klammerte sich unter uns an die Trosse und erinnerte dabei eher an ein Raubtier in Lauerstellung als an eine Rettungstruppe, die auf den richtigen Moment zum Eingreifen wartete. Wenigstens fünfzig weitere Raumfahrzeuge, von Ein-Personen-Fliegern bis hin zu Truppentransportern, die Hunderten Platz boten, hatten uns eingekreist. Dutzende kleinerer Lichtpunkte - die sich nicht ausreichend darstellen ließen, um herauszufinden, mit wie vielen wir es zu tun hatten - wurden erkennbar, wenn Mendez die Zoomfunktion aktivierte. Es waren Soldaten: alle gesichtslos in ihren für den freien Fall ausgelegten Manöveranzügen, alle ausgestattet mit Präzisionswaffen mit schwarzen, hungrigen Läufen.

Doch war es die reine Bewegungslosigkeit der Szenerie, die das Bild so beängstigend erscheinen ließ. Keines der Raumfahrzeuge bewegte sich in Relation zu irgendeinem der anderen. Keiner der Soldaten veränderte seine Position. Das Einzige, womit Maschinen und Menschen sich gegenseitig ihre Funktionstüchtigkeit und ihre Bereitschaft, jederzeit in Aktion zu treten, demonstrierten, war das kurze, helle Aufflackern, das alle paar Sekunden zu sehen war, wenn die jeweiligen Antriebssysteme kurz zündeten, um das zugehörige Objekt daran zu hindern, aus der Formation abzutreiben.

Seit die erste Stanley, die von Layabout geschickt worden war, ihre Rettungsmission abgebrochen hatte, waren gerade etwas mehr als eine Stunde und zwanzig Minuten vergangen. Die Mächte, die auf Xana über Militäreinsätze geboten, hatten diese Armada in einem Zeitraum auf die Reise geschickt, der den zuständigen Personen auf manchen Konföderiertenwelten nicht einmal gereicht hätte, ihre Stiefel anzuziehen. Dies war ein herausragendes Zeugnis Bettelhine'scher Effizienz und ein nicht ganz so gutes Omen in Hinblick auf unsere Überlebenschancen.

Ich hätte die Geborgenheit, die damit einherging, mit einem einzelnen Mörder oder auch einer Hand voll Verschwörern hier eingesperrt zu sein, dem zweifelhaften Trost in Form einer ganzen Flotte, die ihre Waffen auf meine Position richtete, vorgezogen. Zugegeben, die Kommandanten, die die Befehle erteilten, waren alle selbst Mitarbeiter der Bettelhines, weshalb es unwahrscheinlich war, dass sie die Idee, drei Angehörige des Inneren Kreises der Familie zu töten, als besonders reizvoll einstuften. Aber nun schuldeten wir jeden weiteren Atemzug der anhaltenden Geduld und Standfestigkeit der Männer und Frauen, die wussten, dass ihr eigenes Leben davon abhängen mochte, unverzüglich auf einen möglichen Angriff zu reagieren. Sollte es zu diesem äußersten Notfall kommen, wären wir nicht die ersten Geiseln, die ihr Leben lassen mussten, weil irgendein schweißüberströmter Rekrut hinter der hübschen anonymen Spiegelfläche seines Helmvisiers einen Angriff erwiderte, der lediglich aus einem Sonnenstrahl, reflektiert von einem Stück Stahl, bestanden hatte.

Jasons allgegenwärtiges Grinsen wich einer finsteren Fratze. »Uns läuft die Zeit davon, Bruder.«

Philip schien kaum glauben zu können, dass er einbezogen wurde. »Ich weiß.«

»Das ist eine Belagerung.«

»Ich weiß.«

»Durch unsere eigenen Leute.«

»Ich weiß.«

Jason biss sich auf die Lippe. »Die Sache ist die: Bei einer Formation wie dieser würde ich normalerweise erwarten, dass sie einen Boten schicken oder in anderer Form versuchen, Kontakt herzustellen, um uns darüber zu informieren, was sie wollen. Uns die Bedingungen für die Kapitulation diktieren. So was in der Art. Aber sie warten nur. Es ist, als fürchteten sie sich davor, den nächsten Schritt zu tun.«

»Oder«, wandte Jelaine ein, »sie warten auf den passenden Moment, um anzugreifen.«

Philip hob eine Hand, zögerte noch einen Moment, als wüsste er nicht, was er mit ihr tun sollte, und legte sie Jason auf die Schulter. Das war wohl der unbeholfenste Ausdruck kindlicher Liebe, der mir je begegnet war, und er muss sich umso unbeholfener angefühlt haben, bis Jason die Geste erwiderte.

Als Philip wieder das Wort ergriff, bebte seine Stimme nicht allein vor Furcht. »Also gut. Bitte hören Sie mir alle zu. Dies ist ein einmaliges Angebot an die unbekannte Partei, die für unsere derzeitige Situation verantwortlich ist, oder an jede Person, die dieser Partei Vorschub leistet. Wer immer Sie sind, wenn Sie jetzt vortreten und uns dabei helfen, diesen Wahnsinn auf der Stelle zu beenden, dann garantiere ich persönlich Straffreiheit, eine sichere Passage zu einer Welt Ihrer Wahl und genug Geld, um Ihnen ein Leben in überwältigendem Reichtum zu ermöglichen. Dieses Angebot beinhaltet auch einen Freifahrtschein in Bezug auf den Mord an dem Khaajiir und wird sofort eingelöst, wenn alle an Bord dieser Kutsche in Sicherheit sind. Gehen Sie jedoch nicht darauf ein, so versichere ich mit dem gleichen Ernst, dass diejenigen, die Ihnen dieses Angebot unterbreiten, und noch einige mehr Sie für den Rest Ihres Lebens Tag für Tag aufs Neue durch die Hölle jagen werden. Dieses Angebot wird nicht erneuert und gilt von jetzt an noch für zehn Sekunden.«

Als Dejah vortrat, dachte ich erst, sie wolle ihre Schuld eingestehen und das Angebot annehmen, aber nein, sie fügte nur hinzu: »Ich werde für dieses Angebot einstehen, sollte er es nicht tun.«

In der nun folgenden Stille musterte ich die Gesichter der Anwesenden auf der Suche nach einem Ausdruck der Unsicherheit, der Unentschlossenheit, den ich von jedem solchermaßen in Versuchung geführten Missetäter erwartet hätte.

Nach ein paar Sekunden sagte Philip: »Die Zeit ist abgelaufen.«

Dejah ließ ein Grinsen aufblitzen. »Es ist sogar schon eine halbe Minute vergangen, mein Lieber. Aber niemand wollte etwas sagen und damit womöglich einem Mörder den Weg versperren, der noch keinen Entschluss hat fassen können.«

Jelaine verbarg ein vages Lächeln hinter den Fingern. »Es tut mir leid, Leute, aber ich habe die Digitaluhr in der Konsole da drüben im Auge behalten. Es waren beinahe vierzig Sekunden.«

Philip nickte. »Der Mistkerl ist sich seiner Sache sicher, wer immer er ist.«

»Ein echtes Arschloch«, stimmten die Porrinyards zu.

Wie nicht anders zu erwarten, trieb Dina Pearlman die Sache gleich darauf einen Schritt zu weit. »Ich gebe gern zu, dass ich mir überlegt habe, wie ich diesen Lohn für mich hätte beanspruchen können. Für so ein Angebot hätte ich den Khaajiir gleich zwanzigmal ermordet.«

Dejah bedachte sie mit einem ausgesprochen kurzen Blick. »Ja, klar, es bräuchte so ein Angebot, damit Sie den Khaajiir umbringen. Er war etwas wert. Sie sind nur noch am Leben, weil bisher noch niemand ein bisschen Kleingeld geboten hat.«

Ihre Worte wurden hie und da mit einem Lächeln quittiert, sogar von Mrs Pearlman, wenn auch widerwillig. Zumindest für den Augenblick waren dies keine keifenden Konkurrenten, die unterschiedliche Absichten verfolgten, keine verängstigten Gefangenen, die darauf warteten, dass jemand von draußen käme, um sie zu retten, sondern Menschen, die eine vereinte Front im Angesicht eines unbekannten und gefährlichen Feindes bildeten.

Ich jedoch setzte keinerlei Vertrauen darauf, dass die Waffenruhe so lange fortdauern würde wie unsere Zwangslage. Aber ich wusste, auf kurze Sicht wäre sie hilfreich, als Philip sagte: »Nun, Counselor? Was jetzt?«

Farley Pearlman meldete sich zu Wort, ehe ich einen Ton sagen konnte, womit er mir unwissentlich einen Gefallen tat, da er meinen vorübergehenden Ideennotstand mit seinen Worten überdeckte. »Gibt es einen Grund, warum wir nicht einfach evakuieren? Das haben wir heute doch schon einmal gemacht. Sicher, wir haben kein Shuttle. Aber es ist ja nicht so, als gäbe es da draußen einen Mangel an Schiffen, die darauf warten, uns zu retten.«

Dejah nagte an ihrem Daumennagel, eine Geste, die einer Gewohnheit, die mich jahrelang geplagt hatte, so nahe war, dass ich bei dem Gedanken daran, wie ich ausgesehen hatte, einen kleinen Stich verspürte. »Ich kann zu nichts dergleichen raten, solange wir nicht wissen, warum all diese Waffen auf uns gerichtet sind.«

»Denken Sie wirklich, die würden auf uns schießen?«, fragte Philip.

Dejah deutete auf das Bild. »Sehen Sie sie sich doch an. Wie Sie gesagt haben, das ist eine klassische Belagerungssituation. Uns oder zumindest die Familienmitglieder an Bord zu retten, muss nach wie vor Priorität haben, es sei denn, es ist ein Staatsstreich im Gange, von dem wir nichts wissen, aber es scheint, als ginge es ihnen in erster Linie um eine Machtdemonstration gegenüber ... irgendjemandem. Können Sie sich vorstellen, was die tun werden, wenn wir plötzlich einen Raumspaziergang unternehmen und die denken, das wäre nicht irgendjemand von uns, sondern unser Mörder unternähme einen Fluchtversuch?«

»Und warum sollten sie nicht einfach ohne tödliche Gewalt intervenieren?«, fragte Philip. »Das müssen sie, wenn die Alternative das Risiko beinhaltet, den Bettelhines zu schaden.«

»Ich wiederhole«, sagte Dejah. »Das beschränkt sich auf das, was wir wissen. Ohne direkten Kontakt können wir aber nicht wissen, was auf ihrer Seite los ist. Wir wissen nicht, warum sie auf Distanz bleiben. Nach dem, was wir wissen, könnte die Lage schlimm genug sein, als planetare Krise eingestuft zu werden.«

»Das ist lächerlich«, sagte Philip. »Ich kann mir keine Notlage vorstellen, die so schlimm ist, dass drei Angehörige des Inneren Kreises als entbehrlich gewertet werden.«

Meine mentale Paralyse ließ nach. »Ich schon.«

Jedes Gesicht im Raum drehte sich in meine Richtung.

»Bitte verstehen Sie, dass ich darin nicht die einzige mögliche Erklärung sehe. Es gibt auch noch andere, die zu den verfügbaren Beweisen passen. Aber haben Sie alle wirklich vergessen, dass unter unseren Passagieren auch eine der Personen ist, die an der Entwicklung von Magrisons Fugue beteiligt waren? Falls Mrs Pearlman entsprechende Absichten gehegt hat, so wäre dieser Aussichtspunkt der perfekte Ort, um die Atmosphäre mit der Fugue oder einer beliebigen ähnlichen Waffe, die sie inzwischen entwickelt haben könnte, zu verseuchen.«

Dinas so oder so schon eisige Miene kühlte sich vor Zorn noch weiter ab. »Ich wusste, jemand würde so etwas behaupten, um mir die Schuld zu geben.«

»Verzeihen Sie, Madam, wenn ich Ihre Worte wie das Klopapier des letzten Jahres behandele: unerwünscht, unerfreulich, überflüssig und alt. Ich sagte bereits, dass dies nur eine von mehreren möglichen Erklärungen ist, aber Tatsache bleibt, dass die Wirtschaft der Welt unter uns vollständig vom Waffenhandel abhängig ist, und es gibt eine Vielzahl von Waffen, darunter Ihre Fugue, die auch für Xana im Ganzen gefährlich genug wären, dass die Bettelhines, die auf dem Planeten das Kommando führen, den Verlust von einigen wenigen Angehörigen des Inneren Kreises, die irgendwo in der Falle sitzen, als einen geringen Preis für das Wohl der Allgemeinheit betrachten müssten.«

»Das ist kein schlechtes Argument«, sagte Philip. »Es ist aber genauso wahrscheinlich, möglicherweise viel wahrscheinlicher, dass Sie Teil dieser Verschwörung sind und dieses Weltuntergangsszenario dazu missbrauchen, uns davon abzuhalten, den einfachsten Weg zu nehmen.«

Ich nahm ihm seine Worte nicht übel. »Basierend auf den Daten, die Ihnen zur Verfügung stehen, ist das absolut richtig. So könnte es sein. Die einzige Konstante, die wir hier haben, ist die Ungewissheit. Wie dem auch sei, Dejah hat recht. Wir können nicht plötzlich in Aktion treten, ohne zuvor Kontakt hergestellt und herausgefunden zu haben, was diese Streitmächte vorhaben.«

Die diversen Gefangenen in der Königlichen Kutsche der Bettelhines schmorten in geteiltem, unbehaglichem Schweigen vor sich hin.

Dann räusperte sich Mendez mit einer Ehrerbietung, in der eine Entschuldigung dafür spürbar war, dass er sich in die Angelegenheiten seiner Vorgesetzten einzumischen erdreistete. »Darf ich einen Vorschlag machen?«

»Um Gottes willen«, entgegnete Jelaine, »wenn Sie etwas zu sagen haben, dann machen Sie den Mund auf. Fragen Sie doch jetzt nicht erst um Erlaubnis.«

»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Miss. Ich wollte nur sagen, dass ich, würde ich einen Anzug anziehen und hinausgehen, vielleicht in der Lage wäre, einen luftdichten Behälter mit einer Botschaft auszusenden, mit der wir die Truppen über unsere Sorgen in Kenntnis setzen und unseren Wunsch übermitteln könnten, unsererseits mit allen Informationen versorgt zu werden, die sie uns im Gegenzug zukommen lassen können. Dafür ist keine besonders präzise Vorgehensweise von meiner Seite notwendig, da dort draußen so viele Soldaten sind, dass ich den Behälter einfach nur irgendwohin werfen muss, und er wird unweigerlich von irgendjemandem aufgefangen werden.«

Jason schüttelte den Kopf. »Und wenn der Counselor recht hat und die Ihnen den Kopf von den Schultern schießen, sobald sie sehen, dass Sie irgendetwas werfen?«

»Ich werde mein Bestes tun, um mittels meiner Körpersprache darzulegen, dass meine Absichten gutartig sind.«

»Dazu ist aber enorm viel Vertrauen in ihr pantomimisches Talent erforderlich«, bemerkte Jelaine.

»Noch dazu in einem Raumanzug«, fügte Jason hinzu. »Nein, danke, mein Freund, aber ich denke, Dejah und der Counselor haben recht. Solange wir nicht wissen, was das Militär da draußen tut und was die glauben, das wir tun, bin ich nicht bereit, zuzulassen, dass Sie Ihr Leben riskieren, indem sie leichtfertig mit Gegenständen nach diesen Leuten werfen.«

Wieder trat ein Augenblick der Stille ein. Dann sagte ich: »Vielleicht muss er das gar nicht.«

Mein Plan wäre beinahe gescheitert, weil niemand etwas zu schreiben finden konnte. Abgeschnitten vom Hytex-Netzwerk stellten wir fest, dass keiner von uns etwas so antiquiertes und fragiles wie Papier bei sich hatte, ganz zu schweigen von dem Arbeitsgerät, mit dem wir es beschriften konnten. Jason murrte, es sei vielleicht eine gute Idee, in Zukunft sämtliche Suiten mit einem hübschen kleinen Vorrat an Papier auszustatten, idealerweise Briefpapier mit dem Wappen der Bettelhines. Ja, natürlich, gab Jelaine mit funkelnden Augen und giftigem Tonfall zurück, denn genau so eine Situation träte selbstverständlich immer wieder ein.

Der Notwendigkeit gehorchend, öffnete Philip am Ende mit kläglicher Miene eine Vitrine im Salon und riss zwei leere Seiten aus der Familienchronik der Bettelhines, die zwei Jahrzehnte zuvor von irgendeinem Großgroßonkel oder Cousin zwanzigsten Grades oder irgendeinem anderen Vorfahren irgendeiner Art in Auftrag gegeben wurde und ihre letzte Heimat an Bord der Kutsche gefunden hatte, weil sie eben die königliche Aura mit sich brachte, die die Bettelhines so gern zur Schau trugen. Die Suche nach einem Schreibwerkzeug hätte ähnliches Kopfzerbrechen bereitet, hätte Dejah nicht schlicht in ihre Tasche gegriffen und einen glitzernden goldenen Zylinder zum Vorschein gebracht, den sie als persönliche Waffe auswies, der jedoch auf kleinster Stufe imstande war, haarfeinde, verkohlte Linien auf dem Papier zu hinterlassen.

Zu diesem Zeitpunkt war niemand in der Stimmung, ihr Vorwürfe zu machen, weil sie eine Waffe an den Sicherheitsleuten auf Layabout vorbeigeschmuggelt hatte.

Vernon Wethers, der von sich behauptete, eine hervorragende Handschrift zu haben, beschriftete das Blatt mit kursiven Lettern, die elegant genug waren, sogar der klotzigen Merkantilschrift Schönheit zu verleihen. Eingeleitet wurde der Text durch eine Reihe von Symbolen, die von allen drei Bettelhines als Kennzeichen des Inneren Kreises identifiziert wurden und den Empfängern vermitteln sollten, dass die Bettelhines bei der Abfassung dessen, was folgte, die Hände im Spiel hatten.

An Colonel Antrec Pescziuwicz: Wir sind die überlebenden Passagiere und die Mannschaft der Königlichen Kutsche der Familie Bettelhine. Eine Person an Bord, der Bocai-Akademiker, der als der Khaajiir bekannt war, wurde von unbekannter Seite ermordet, wobei eine Klaue Gottes K'cenhowten'scher Herkunft zum Einsatz kam. Vorläufige Ermittlungen wurden von den drei Bettelhine-Geschwistern an Bord autorisiert und werden von Counselor Andrea Cort von der Hom.Sap-Konföderation geleitet, die als Ehrengast von Hans Bettelhine an Bord ist. Wir konnten den Mörder bisher nicht ausfindig machen und keine Verbindung zwischen diesem Vorfall und dem, der sich zuvor auf Layabout ereignet hat, herstellen. Wir alle befinden uns derzeit im Frachtbereich und behalten die externen Monitore im Auge. Sollten Sie uns irgendetwas mitteilen wollen, das unsere Überlebenschancen erhöhen könnte, so wäre jetzt der passende Zeitpunkt.

 

Dejah Shapiro

Andrea Cort

Oscin Porrinyard

Skye Porrinyard

Arturo Mendez

Loyal Jeck

Colette Wilson Paakth-Doy

 

Die Worte stammten größtenteils von mir, aber die Bettelhines hatten diverse Korrekturen hinzugefügt, unter denen die bemerkenswerteste von Philip stammte, der darauf bestanden hatte, dass ich auf mich selbst als seines Vaters »Ehrengast« hinwies.

»Gut aufgepasst«, sagte Jelaine. »Das hätte mir auch ins Auge springen müssen.«

Nun endlich fiel mir die besondere Betonung auf, die dieses Wort die ganze Zeit erhalten hatte. »Entgeht mir irgendetwas?«

Der erschrockene Ausdruck eines Mannes, der gerade daran erinnert worden war, dass er sich mit meiner Anwesenheit bisher gar nicht hatte anfreunden können, flackerte über Philips Gesicht. »Wissen Sie das nicht? Hat Ihnen niemand erklärt, was das bedeutet?«

»Jedenfalls kann man nicht sagen, ich hätte nicht gefragt.«

»Nein. Ich meine nicht den Grund für Ihre Anwesenheit, der, wie ich bereits sagte, auch mir nach wie vor ein Rätsel ist. Ich spreche von den diversen protokollarischen Ebenen gegenüber Gästen.«

»Davon höre ich zum ersten Mal.«

Er maß Jason und Jelaine mit finsterem Blick. »Wie konntet ihr ihr das verschweigen?«

Jelaines Hand flatterte an ihre Lippen. »Wir haben versucht, alles ein bisschen herunterzuspielen, bis Vater Gelegenheit hat, mit ihr zu sprechen.«

Philip schüttelte ungläubig den Kopf, ehe er sich mir zuwandte und sagte: »Dann werde ich Ihnen jetzt sagen, was die beiden Ihnen nicht verraten haben. Während der letzten vier Generationen oder so hat die Familie eine Rangordnung benutzt, um festzulegen, welches Maß der Gastfreundschaft unseren würdigen Besuchern entgegenzubringen ist. Besonderen Gästen und Firmengästen werden größere Privilegien zugestanden als einem durchschnittlichen Besucher, aber beide liegen weit unter der Ebene der persönlichen Gäste, denen die volle Gastfreundschaft und Freundschaft des Inneren Kreises der Familie gebührt. Diese Ehre wurde von uns niemals leichtfertig einem Gast zugestanden. Um Ihnen einen vollständigen Durchblick zu ermöglichen, Counselor: Dejah ist eine der erfolgreichsten Industriellen in der Geschichte der menschlichen Zivilisation und einer der angesehensten Gäste, die diese Welt seit einiger Zeit begrüßen durfte. Und doch ist es gemäß den Bedingungen des Protokolls nicht für notwendig erachtet worden, sie oder zuvor den Khaajiir höher einzustufen als einen persönlichen Gast.«

Wie ein Gewicht lasteten die Blicke aller auf mir. »Und was ist dann ein Ehrengast?«

»Jemand, dem alle Privilegien und Vergünstigungen gewährt werden, die jedem Angehörigen des Inneren Kreises zustehen, einschließlich des vollen Anteils an den Erträgen des Inneren Kreises, solange sich die Person auf Bettelhine-Terrain befindet. Das macht sie temporär selbst zu einem Bettelhine. Im Augenblick ist mein Vater der Einzige, der eine solche Ehre gewähren kann, und soweit ich weiß, hat er das bisher nur zwei Mal getan, jedes Mal unter außergewöhnlichen Umständen.«

Ich klappte den Mund auf. Klappte ihn zu. Warf Jason und Jelaine einen Blick zu. Beide nickten. Und wieder bemerkte ich an der Art, wie sie mich ansahen, etwas Größeres als bloße Zuneigung oder Bewunderung. Aber nun erkannte ich, was es war: Liebe.

Obwohl das Blut in meinen Ohren pulsierte, hörte ich Philips abschließende Worte: »Ich weiß immer noch nicht, was das alles zu bedeuten hat, Counselor, aber Ihren Status in diesem Dokument klar darzulegen, ist das verfahrenstechnische Äquivalent dazu, diesen Truppen zu sagen, dass sie nicht von drei Bettelhines an Bord dieser Kabine ausgehen sollen, sondern von vier...«

 

Wethers beendete seine Niederschrift und las den Brief anschließend laut vor für den Fall, dass noch irgendjemand etwas hinzufügen wollte. Doch es wurden keine weiteren Korrekturen gefordert.

Dejah, die mich während der letzten Minuten, seit Philip die Bombe hatte platzen lassen, ständig im Auge behalten hatte, bemerkte: »Ich muss sagen, Counselor, für einen Hilferuf ist dieses Dokument erstaunlich formell. Lassen Sie sich eigentlich je gehen, wenigstens für einen Moment?«

»Ja«, sagten die Porrinyards.

Wethers blinzelte sie mehrere Sekunden lang an, ehe er die Bedeutung ihrer Worte erfasst hatte, woraufhin er leuchtend rot anlief. »Oh.«

Jelaine nahm ihm das Dokument ab und legte es in das Gefäß, das Philip beschafft hatte. Es handelte sich um einen isolierten, luftdichten Zylinder, abgeschirmt gegen Magnetfluss, extreme Temperaturen und die meisten Scantechniken; normalerweise diente er als Schutzhülle für heikle Aufzeichnungsmedien im Transit aus dem Orbit, weshalb er den Wiedereintritt in die Atmosphäre ohne messbaren Schaden an seinem Inhalt überstehen konnte. Philip zufolge würde die magnetische Ladung auf der Unterseite reichen, ihn am Rumpf festzuhalten, solange wir weiterhin reglos außerhalb der Atmosphäre verharrten. Das Kombinationsschloss war unter diesen Umständen überflüssig, aber wir konnten den Verschlussmechanismus auch aktivieren und dennoch jedem, der den Behälter in seinen Besitz brachte, einen problemlosen Zugang ermöglichen.

Meine Idee gegenüber Mendez' Vorschlag, den Behälter wegzuwerfen, lautete, wir sollten es den Mächten um uns herum überlassen, zu entscheiden, wann sie ihn gefahrlos abholen konnten.

»Ich sollte das machen«, sagte Jason.

Mendez hatte sich bereits umgezogen; das flexible Material des Raumanzugs aus Bettelhine-Fertigung versiegelte seinen ganzen Körper mit Ausnahme des noch unbehelmten Kopfes. Als er nun Jasons Vorschlag vernahm, verzog er sogleich gepeinigt das Gesicht. »Und wie sollte ich es rechtfertigen, das zugelassen zu haben, Sir?«

»Die Erklärung würde ich auch gern hören«, ließ sich Philip vernehmen.

Jason schien bereit zu sein, gleich drei oder vier mögliche Antworten zu liefern, verwarf sie jedoch alle als unzureichend, ehe er schließlich eine ziemlich lahme und wenig überzeugende Erklärung zum Besten gab: »Mir missfällt der Gedanke, von anderen Leuten zu fordern, dass sie ihr Leben für mich riskieren sollen.«

»Willkommen in der modernen Zivilisation«, kommentierte Dejah. »Ganz zu schweigen von dem Leben als Bettelhine. Andere Leute riskieren für Sie schon ihr Leben, seit Sie geboren wurden.«

»Trotzdem.« Jason trat dicht an Mendez heran, sodass sie sich Auge in Auge gegenüberstanden. »Arturo, Sie mögen denken, Sie wären uns zu Treue verpflichtet, aber das sind Sie nicht. Wir haben diese Verpflichtung geformt. Haben Sie verstanden? Das waren allein wir. Sie müssen das nicht tun.«

»Es ist meine Pflicht, Sir.« Mendez nahm ihm den Helm aus den Händen, schob ihn über seinen Kopf und drückte ihn auf den Kontaktring an seinen Schultern. Das Flexgewebe des Anzugs warf Blasen im Bereich der Verriegelung, zerfloss für einen Moment und verfestigte sich über der Verbindungsstelle am Hals, sodass die Naht zwischen den beiden Teilen des Anzugs so unsichtbar wurde wie das Gesicht hinter der silbernen Maske. Ich sah, wie sich seine Brust weitete, als er tief durchatmete. Dann nahm er Jelaine den Behälter ab, erhob sich und machte sich auf den Weg zur Luftschleuse.

Oscin, der hinter mir stand, beugte sich herab und brachte seine Lippen dicht an mein Ohr. »Das ist nicht richtig.«

»Ich weiß«, gab ich flüsternd zurück. »Aber ich weiß nicht, warum.«

»Ich auch nicht.«

Es fühlte sich mehr als nur falsch an. Es fühlte sich finster an, schlecht und gefährlich. Aber der Grund dafür entzog sich mir. Selbst als Mendez die Luftschleuse betrat und sich die Tür hinter ihm schloss, taxierte ich die Mienen der anderen in der Hoffnung auf eine Offenbarung, die nun nur noch knapp außer Reichweite zu sein schien. Die meisten bemerkten nichts von den unterschwelligen Strömungen, die sich hinter dem offensichtlichen Drama des Augenblicks verbargen. Jason und Jelaine sahen betroffen aus, und ihre enorme Ähnlichkeit trat noch mehr zutage, als sie den Aufbruch ihres Ersten Stewards mit übereinstimmenden, von Schuldgefühlen und Verdruss geprägten Mienen verfolgten. Dina Pearlman wirkte auf geheimnisvolle Weise amüsiert, Dejah etwa so ratlos, wie ich mich fühlte. Die Mienen von Vernon Wethers und Monday Brown waren so undurchdringlich wie immer. Loyal Jeck stand nur reglos da - ein massiver, charismatisch herausgeforderter Klotz. Colette Wilson trat näher an Philip heran, legte ihre Hand auf seinen Oberarm und schien eine milde Gelassenheit durch die sanfte Berührung zu finden. Der ältere Bettelhine ging nicht darauf ein. Er verfolgte lediglich den Arbeitsprozess der Luftschleuse und holte unwillkürlich tief Atem, als sich die andere Tür zum Weltraum öffnete und Arturo sich aufmachte, über die Notleiter auf das Dach der Kutsche zu klettern.

Ich fühlte die warme Berührung der Porrinyards an meinem Rücken, fühlte, wie sie meine Schulter massierten. Sah ich wirklich so schlecht aus?

Arturo war bereits oben angekommen und platzierte den Zylinder gut sichtbar auf dem Dach. In wenigen Sekunden wäre er wieder an Bord, und die Stanley konnte sich die Sache nach eigenem Gutdünken ansehen, so sie dazu bereit war.

Und ich wäre diese uncharakteristische Angst los, falls es das war, was mich plagte.

Ich wusste, das war es nicht.

Der Plan würde funktionieren. Mendez würde seine tapfere Kletterei im Angesicht all der drohend geschwungenen Waffen überleben. Die Stanley, die über uns an der Trosse hing, würde herabsinken und die Botschaft an Bord holen. Die Mächte, denen es oblag, die Bettelhines und ihre Gäste zu schützen, ob es nun persönliche Gäste oder Ehrengäste waren, würden die Mauer des Schweigens durchbrechen, die jede Erklärung für das, was uns widerfahren war, bisher vor uns verborgen hatte.

Mein plötzliches Zittern war einem tieferen Ort entstiegen, einem Ort, der mit meinem Gewissen und meiner Menschlichkeit verbunden war.

Das war keine Angst. Es war purer Schrecken.

Plötzlich wusste ich, warum Brown und Wethers, von den Bettelhines abgesehen, keine Familie hatten und warum Mendez seine Träume aufgegeben hatte.

Ich stellte Augenkontakt zu den sonderbaren Geschwistern Jason und Jelaine her - zwei Personen, von denen ich mir eingebildet hatte, ich würde anfangen, sie zu verstehen, obgleich das Wenige, auf das ich so stolz war, es herausgefunden zu haben, nichts im Vergleich zu dieser Erkenntnis war. Wenn sie irgendwie mit der Wahrheit in Verbindung standen, die diesem Moment zugrunde lag, verkörperten sie, verborgen hinter lächelnden Gesichtern und guten Absichten, alles, was ich an ihrer habgierigen, weltenzerstörenden Familie verabscheute. Und wenn sie unschuldig waren ... dann waren sie schuldig, vorsätzlich blind gewesen zu sein.

Das war übel, ganz klar. Aber es war kein neues Übel. Das ging schon eine ganze Weile so.

Und ich wusste genau, was es war.

Die Stimme der KIquellen, die nun schon seit einigen Stunden schwieg, kicherte in meinem Kopf. Hervorragende Überlegung, Counselor.

Ich hätte beinahe aufgeschrien, schaffte es aber doch, meine Antwort tonlos zu erteilen. Scheiße! Ich dachte, der Kontakt zu euch wäre abgebrochen!

Seien Sie nicht albern. Die Parteien, die für diese Krise verantwortlich sind, mögen es geschafft haben, die lokalen Verbindungen zum Hytex-Netzwerk und den anderen Kommunikationssystemen der Bettelhines zu unterbrechen, aber keine Technik, die sich derzeit in den Händen von Menschen befindet, wäre in der Lage, die Verbindung zu unterbrechen, die wir zu Ihnen unterhalten. Nein, wir sind schlicht einen Schritt zurückgetreten und haben Ihnen die Möglichkeit gegeben, diese Probleme allein zu eruieren.

Entweder helfen Sie mir, oder Sie verschwinden aus meinem Kopf!

Sie können Ihr Arbeitsverhältnis jederzeit beenden, Andrea. Sie werden Gelegenheit dazu bekommen, noch bevor diese Angelegenheit erledigt ist. Die große Frage nach dem heutigen Tag ist, ob Sie das dann noch wollen.

Jemand reichte mir einen Becher Wasser. Paakth-Doy. Ich weiß nicht, wo sie hingegangen war, um es zu holen; der Salon befand sich mehrere Decks über uns. Es war kalt und schmeckte so süß wie Honig, bahnte sich einen Weg durch den sauren Geschmack auf meiner Zunge.

Wie kann das Schicksal von Milliarden von dieser Sache abhängen? Es kann nicht um die Leute auf Xana gehen. Da unten sind nur ein paar Millionen. Außerdem haben Sie gesagt, es ginge um eine außerirdische Art.

Die Menschheit hätte schwer unter den Nachwirkungen zu leiden. Aber Sie haben recht. Wir meinen nicht die Leute auf Xana.

Wen dann?

Ihnen das zu sagen, würde gegen die Verfahrensbedingungen verstoßen.

»Counselor?« Philip, der wieder einmal die Stimme zuversichtlicher Autorität erhob, nun, da ich ihm die Freude gemacht hatte, einen Moment der Schwäche zu demonstrieren. »Er ist wieder an Bord. Sie können jetzt aufhören, sich Sorgen zu machen ...«

»Ich habe mir ... nicht um ihn ... Sorgen gemacht.«

Besorgte, verängstigte Mienen umlagerten mich, und Dejah, Jason und Jelaine wirkten betroffener als alle anderen. Ich wich ihren sorgenvollen Blicken aus. Sollten sie sich doch über mich wundern. Ich war nicht bereit, das, was ich wusste, zu verwenden, ganz zu schweigen davon, den vielen Dingen nachzuspüren, die ich nicht wusste.

Werden die Bettelhines den Genozid einleiten, von dem Sie gesprochen haben? Ist es das, was Sie mir sagen wollen?

Die Antwort ist weitaus subtiler, Andrea, und sie ist davon abhängig, dass Sie lange genug leben, um Ihre Entscheidung zu treffen. Haben Sie Geduld. Es liegt noch immer vor Ihnen.

Die Luftschleuse summte, als die Atmosphäre wiederhergestellt wurde. Der Holo-Monitor zeigte uns einen gelassenen Arturo Mendez, der darauf wartete, dass der Vorgang abgeschlossen wurde.

Mrs Pearlman hat die Möglichkeit zur Sprache gebracht, das Verhalten ganzer feindlicher Bevölkerungen zu kontrollieren. Haben sie irgendetwas damit zu tun? Haben sie etwas damit zu tun, was auf Bocai passiert ist?

Ein duldsamer Ton machte sich in der Stimme der KIquellen bemerkbar. Die Tragödie auf Bocai war das Letzte, das irgendein Bettelhine sich hat wünschen können.

Das Holo-Bild wechselte, zeigte uns ein mehrbeiniges Vehikel, das mit Höchstgeschwindigkeit an der Trosse herabsauste. Es war die Stanley von Layabout, die herunterkam, um Arturos Botschaft abzuholen.

Als sich ein tastender Tentakel um den Zylinder wickelte, hallte der Frachtraum von dem Keuchen der Passagiere wider, die erst jetzt bemerkt hatten, dass sie die Luft angehalten hatten.

Es ergriff den Zylinder.

Zögerte, als warte es auf weitere Anweisungen.

Verstärkte den Griff, zerquetschte den Zylinder zu einem Klumpen Schrott.

Ohne die Aufschreie wie »Nein!« und »Du Mistvieh!« zu würdigen, die aus unseren Kehlen drangen, trat es den Rückzug über die Trosse an und widersetzte sich all unseren Kommunikationsversuchen.

Als die Stanley nur noch ein helles Licht am Firmament über uns war, hatten sich einige der Aufschreie zu klagendem Geheul gesteigert. Philip Bettelhine, der stets das größte Vertrauen in die naturgegebene Fähigkeit seiner Familie, systematisch mit jeder Krise fertig zu werden, demonstriert hatte, brüllte nun am lautesten: »Kommt schon! Verdammt! Was ist los mit euch?« Paakth-Doy war beinahe genauso außer sich. Sie fiel Colette Wilson in die Arme, was ihr eine sonderbar abwesende, oberflächliche Umarmung eintrug, während die Barfrau Tränen weinte, denen es nicht gelang, das konstante Lächeln auf ihrem Gesicht zu stören. Dina Pearlman war stinksauer und schrie: »Scheiße! Scheiße! Scheiße!« Ihr Ehemann schlug nur immer wieder an das Schott, ein Bild des Verlusts, unberührt von Mitgefühl seitens irgendeiner anderen Person. Dejah Shapiro schien ganz in Gedanken versunken zu sein. Monday Brown sah einfach ulkig benommen aus. Vernon Wethers und Loyal Jeck sagten und taten nichts.

Mendez trat aus der Luftschleuse, den Helm in Händen, in Erwartung eines Schulterklopfens ob seines schnellen und effektiven Handelns, nur um eine Szenerie vorzufinden, dominiert von ungezügeltem Zorn und Verzweiflung. »Was ist passiert?«

Dinas Stimme, die binnen der kurzen Zeit, in der ich sie kannte, von süßlich-zäh zu säuerlich gewechselt hatte, beendete nun ihre Transformation, und zwar in pures Gift. »Die Scheißkerle lassen uns hier sterben.«

»Was?«, entfuhr es ihm.

Ich hatte genug davon und wandte mich an Skye. »Komm.«

Sie nickte, schnappte sich den Stab des Khaajiir und folgte mir zur Tür hinaus. Oscin blieb zurück, um die anderen im Auge zu behalten.

Philip sah uns gehen. »Counselor?«

Ich wirbelte zu ihm herum, nicht imstande, meine neuerliche Abscheu aus meiner Stimme fernzuhalten. »Ich mache mich wieder an die Arbeit, Sir. Inzwischen schlage ich vor, dass der Rest von Ihnen hier unten in der Nähe dieser Luftschleuse bleibt. Es könnte sein, dass wir alle schnell diese Schleuse aufsuchen müssen, und der Salon ist im Moment auch nicht mehr der angenehmste Aufenthaltsort, nicht, während der Khaajiir so eifrig damit beschäftigt ist, die Luft zu aromatisieren. Sollte sich herausstellen, dass wir es mit einer längerfristigen Belagerung zu tun haben, können wir alle abwechselnd in den Mannschaftsquartieren schlafen und kleine Expeditionen zu unseren jeweiligen Quartieren unternehmen, sollten sich dort irgendwelche wirklich benötigten persönlichen Gegenstände befinden. Aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich glaube, es wird nicht so lange dauern, bis Sie wieder etwas von mir hören.«

Philip blinzelte verdutzt. »A-aber ... mit wem wollen Sie denn als Nächstes sprechen?«

Ich bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Zuerst mit der Leiche«, sagte ich. »Dann mit der

Barfrau. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn Sie sie raufschicken können.«

Damit machten wir kehrt und gingen davon. Die Stimmen hinter uns wurden bereits lauter, ehe wir

die Treppe erreicht hatten.