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DEJAHS DARSTELLUNG

 

Halb in der Erwartung, einen weiteren übel zugerichteten Leichnam unter unseren Mitpartygästen vorzufinden, rannte ich zurück in den Salon, wo mir stattdessen eine vorsichtige Hoffnung begegnete, die den Schock über das Ableben des Khaajiir milderte.

Monday Brown schäumte für seine Verhältnisse geradezu über, was bedeutete, dass seine Mundwinkel ein kleines Stück aufwärts gewandert waren, statt nur die Enden einer schnurgeraden Linie zu bilden. Vernon Wethers war kreidebleich, und seine Augen suchten die kunstvoll gearbeitete Decke ab, als hoffe er auf das plötzliche Auftauchen einer Fluchtleiter. Dina Pearlman, die sich mit einer Flasche in eine der Sitzecken zurückgezogen hatte, hob diese zu einem spöttischen Toast, während Farley nur müde aussah, so, als wäre er bereit, alles zu akzeptieren, was auf ihn zukommen mochte, solange ihn nur alle anderen in Ruhe ließen.

»Was ist los?«

Philip schien ein niederträchtiges Vergnügen dabei zu empfinden, mir die gute Nachricht zu überbringen. »Hilfe ist eingetroffen. So hört es sich an, wenn die Stanley von Layabout unser Dach berührt.«

»Sind Sie sicher?«

Eine weitere Erschütterung brachte Gläser zum Klirren und sämtliche Leute, die nicht bereits saßen, aus dem Gleichgewicht. Mit einer Effizienz, die scheinbar kein Nachdenken erforderte, rettete Mendez ein Glas, ehe es über den Rand des Tresens rutschen konnte. »Er weiß, wovon er spricht, Counselor. Das ist eine Stanley, die Kontakt zur Kutsche herstellt. Ich weiß es, ich wurde darin geschult, dieses Geräusch zu erkennen.«

»Dann wissen Sie, was wir zu erwarten haben«, sagte ich.

»Ich bedauere, das weiß ich nicht. In den Simulationen, die ich erlebt habe, blieb die Kommunikation zwischen dem Piloten und uns während der ganzen Rettungsmission aufrechterhalten. Er hätte uns beispielsweise vor dem Ruck gewarnt. Aber ich weiß nicht, was er tun wird, wenn wir nicht mit ihm sprechen und ihm nicht sagen können, dass wir noch leben.«

»Keine Sorge«, sagte Oscin zu niemandem Bestimmten. »Ich kenne zwar die exakten Parameter der hiesigen Technik nicht, aber in einer so niedrigen Umlaufbahn wäre jedes Gefährt nutzlos, das keine Instrumente an Bord hat, die Bewegung und damit Leben innerhalb einer abgeschlossenen Kabine wie dieser erfassen können. Jetzt, da ein direkter Kontakt hergestellt ist, nehme ich an, dass die Mannschaft von diesem Ding sich genauso darum bemüht, Herzschläge und Stimmen zu zählen, wie darum, die Art der Fehlfunktion festzustellen. Sehe ich das richtig, Mr Bettelhine?«

»So sehe ich es auch«, sagte Philip.

»So läuft es auch«, sagte Jason.

Farley Pearlman löste seinen Blick gerade lange genug von seinem Drink, um einen einzigen und nicht besonders interessanten Vorschlag zu unterbreiten. »Was ist mit uns? Sollen wir alle anfangen zu schreien?«

Er war exakt die Art krimineller Person, der gegenüber ich im Gespräch niemals irgendeinen professionellen Abstand würde wahren können, aber meine Antwort galt weniger ihm als allen anderen, die auf den Gedanken kommen könnten, sein Vorschlag wäre nützlich. »Wenn deren Instrumente in der Lage sind, einen Herzschlag durch die Schotts und Hitzeschilde aufzufangen, und da oben jemand lauscht, ist das das Letzte, was wir tun sollten. Das wäre, als würde man lauthals hallo in ein Stethoskop brüllen.«

Er bedachte mich mit einem traurig-zufriedenen vagen Nicken, als freue er sich, wieder in die Irrelevanz zurückgeworfen worden zu sein, und widmete sich wieder seinem Getränk.

»Hätte schlimmer sein können«, krähte Mrs Pearlman. »Er hätte auch vorschlagen können, dass wir singen.«

Wieder ging ein Ruck durch die Kabine, dieses Mal hart und metallisch und ächzend, als würde eine prähistorische Bestie nach anderen ihrer Art rufen.

»Sie bewegen sich«, sagte Jason.

»Mr Bettelhine? Solange diese Schutzschilde vor den Fenstern liegen, sind wir quasi blind. Gibt es so etwas wie eine externe Überwachungseinrichtung, mit deren Hilfe ich die Vorgänge beobachten kann?«, erkundigte ich mich.

Philip musterte mich ungläubig. »Warum? Sie wollen doch wohl nicht behaupten, Sie wären auch auf diesem Gebiet eine Expertin?«

»Das vielleicht nicht«, sagte ich. »Aber in Anbetracht all dessen, was heute passiert ist, halte ich es für besser, nicht zu viel Vertrauen darauf zu setzen, dass alles innerhalb der erwarteten Parameter abläuft. Wenn da draußen etwas schiefgeht oder wenn dort lediglich ein neuer Anschlag auf das Leben der Leute in diesem Raum vorbereitet wird, würden Sie das dann nicht auch gern wissen?«

Er suchte in meinen Augen nach Hinweisen auf Doppelzüngigkeit, fand keine und hielt noch ein paar Sekunden stand, weil er ganz einfach nicht geneigt war, mir auch nur dieses bisschen Boden zu überlassen.

»Schaden kann es nicht«, sagte Jelaine.

Philip sackte in sich zusammen, gab seiner Kapitulation durch ein knappes Winken Ausdruck, das doch weniger Kapitulation war als die großzügige Erlaubnis, mich aus seiner Gegenwart fortschleichen zu dürfen.

Jason hatte eine gnomenhafte Miene aufgesetzt, in der sich eine Befriedigung abzeichnete, die unter den gegebenen Umständen nicht weniger ominös war, als es der Auftritt eines weiteren Bocai-Attentäters gewesen wäre. Entgegen aller Logik rechnete ich beinahe damit, dass er seiner Schwester vertrauliche Worte ins Ohr raunte. Er tat es nicht, aber auf ihrem Gesicht lag so ziemlich der gleiche Ausdruck.

»Unter Deck gibt es einen Kontrollraum, gleich neben der Frachtraumluftschleuse«, sagte Mendez. »Dort steht Ihnen eine Echtzeit-Holoübertragung zur Verfügung, die das Äußere der Kabine aus vier verschiedenen Perspektiven zeigt.«

»Das wird reichen. Aber geben Sie mir erst noch eine Sekunde.« Ich zerrte Skye zu den Trümmern des Speisetischs und sagte: »Du, Mendez und Paakth-Doy kommt mit mir. Oscin bleibt mit den anderen hier.«

»Bist du wirklich überzeugt, dass diese Rettungsmission keine ist?«, fragte sie mich mit leiser Stimme.

»Sagen wir einfach, ich misstraue einfachen Lösungen, nachdem sich anscheinend den ganzen Tag alles gegen uns verschworen hat. Warum? Denkst du, ich bin paranoid?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wenn du anfängst, dich paranoid zu verhalten, suche ich die Dächer nach Scharfschützen ab.«

Wir kehrten zu den anderen zurück, als ein heftiger Ruck die Kabine so sehr erschütterte, dass die Vibration sich gerade weit genug legte, um in ein niederfrequentes Brummen überzugehen, das zwar kaum zu hören war, dafür aber stark genug resonierte, mir Zahnschmerzen zu bereiten.

Dejah hielt mich auf, ehe ich Mendez und Paakth-Doy ansprechen konnte. »Andrea? Ich bin es leid, mich an der Bar festzuhalten. Ich begleite Sie, falls Sie Hilfe brauchen.«

»Das dürfte nicht nötig sein«, sagte ich.

»Möglich, aber das ist das, was ich zu tun gedenke.«

Ich suchte nach logischen Einwänden, scheiterte aber kläglich. Warum nicht? Das gab mir vielleicht eine Gelegenheit, ihr ein paar Fragen zu stellen.

Von Philip Bettelhine hätte ich erwartet, dass er Einwände erhob, aber er brummte nur vor sich hin. Das jedoch war weniger eine Kapitulation als ein taktischer Rückzug, konnte er so doch seine Kräfte für spätere Gefechte sparen.

Als wir uns auf den Weg machten, stellte ich Augenkontakt zu Vernon Wethers her, der regelrecht enttäuscht zu sein schien, dass sein Boss die Dinge so einfach laufen ließ. Er hatte den Mund aufgeklappt, bereit, allem beizupflichten, was Philip wollen könnte, doch nun musste er ihn wieder schließen, während sein unermüdlicher Beistand noch im Fluge, aber seines Landeplatzes beraubt war. Mir kam ein Spruch in den Sinn, den ich in einem anderen Zusammenhang einmal gehört hatte, der aber so gut zu ihm passte, dass ich annahm, ich würde mich künftig stets in Verbindung mit seinem Namen daran erinnern: Kein Mann, sondern ein Ersatzteil. Außerdem fragte ich mich, ob er, wie Mendez, einmal das Potenzial besessen hatte, etwas anderes aus sich zu machen.

Das war das, was mich im Zusammenhang mit der Befragung von Mendez am meisten wurmte. Diese Welt mochte den Bettelhines alles verdanken, aber ein verdächtig großer Prozentsatz derer, die eng mit ihnen zusammenarbeiteten, schien ihnen alles gegeben zu haben.

Ich habe nicht viel Zeit in luxuriösen Beförderungsmitteln zugebracht, aber bei den wenigen Malen, wo ich dergleichen erlebt habe, hatte ich stets das Bedürfnis, die Bereiche zu erkunden, die nicht für die Augen zahlender Passagiere gedacht waren. Ich hatte festgestellt, dass die polierte Fassade sehr dünn war, eine, hinter der es umso schmuddeliger und einfacher zuging, je tiefer ich in das Territorium der Bediensteten vordrang. Es überraschte mich nicht, unter Deck der Königlichen Kutsche festzustellen, dass die Räumlichkeiten hier dem gleichen Muster folgten. Kaum waren wir zwei Decks hinuntergestiegen und hatten das zweite Passagierdeck hinter uns gelassen, war von der Herrlichkeit auch schon nichts mehr übrig. Hier gab es keinen großzügigen offenen Raum für kurzweilige Zusammenkünfte, keinen großartigen Ausblick auf den Planeten unter uns, nur schmale Korridore, ausgestattet mit luftdicht schließenden Türen, gesäumt von verschlossenen Räumen mit Schildern, die sie als LAGERRAUM A, LAGERRAUM B, SPEISEKAMMER, WÄSCHEREI und NOTAUSRÜSTUNGSRAUM kennzeichneten.

Weiter hinten stießen wir auf einen graueren, noch vollgestopfteren Bereich, weniger ein Ort, an dem Leute ihr Leben lebten, als einer, an dem sie gelagert wurden, wenn sie nicht in Gebrauch waren. Nur eine der vier Kabinen, die von Mendez, war mit dem Namen ihres Bewohners versehen, und auch das nur, um seine Funktion zu verdeutlichen: ERSTER STEWARD A. MENDEZ. Die anderen Räume waren lediglich als MANNSCHAFTSQUARTIER A, MANNSCHAFTSQUARTIER B und MANNSCHAFTSQUARTIER C ausgewiesen.

Am Ende des Korridors führte eine weitere Wendeltreppe hinunter in die tiefste Ebene, ein grauer Bereich, gesäumt von Kisten und Verschlägen und schwarzen maschinellen Anlagen, abgeriegelt durch ein Schott mit zwei Luftschleusen, an deren Türen FRACHTRAUM 1 und FRACHTRAUM 2 zu lesen war.

Aber das, was uns derzeit interessierte, war der Monitor zwischen den beiden Türen, ein Standardflachbildschirm mit minimaler Holokapazität. Er lieferte uns ein monochromes Bild des Kutschendachs, von einem Punkt nahe der Anschlussstelle unserer Kabine an der planetarischen Trosse aus gesehen. Der Himmel im Hintergrund war ein sternenloser schwarzer Schatten, an dessen unterem Rand ein schwacher Lichtschein zu sehen war. Die Trosse befand sich im Randbereich des Bildes, eine gerade Linie zwischen uns und der Verankerung auf Layabout.

Derzeit hockte ein insektiles Fahrzeug mit einer an Obsidian gemahnenden Oberfläche, einer Länge, die drei Viertel des Durchmessers der Kutsche entsprach, und sechs gewundenen, segmentierten Beinen rittlings auf dem Dach. Zwei der Beine umklammerten die Trosse. Zwei andere standen fest auf dem Kutschendach. Die letzten beiden hatten sich in ein schwindelerregendes Aufgebot kleinerer Glieder aufgeteilt, die dem Gerät offenbar als Finger dienten. Das Vehikel selbst saß regungslos oberhalb des Punktes, an dem die Kutsche in der vorderen Bahn der Trosse hing, beinahe, als wüsste es nicht recht, was es nun tun sollte.

Die Anschlussstelle war ein geschwärztes Durcheinander; das Gehäuse hing verdreht vor der Trosse und sah aus, als wäre es geschmolzen, um gleich darauf wieder in eisiger Härte zu erstarren.

Dejah, Paakth-Doy, Skye und ich starrten das Bild in tiefer Stille an, die erst endete, als ich gestand: »Ich habe keine Ahnung, was ich da sehe. Das große Ding da ist die Stanley, richtig?«

Mendez nickte. »Ja, Madam.«

»Ich glaube, die Frage habe ich schon einmal gestellt, aber warum in Jujes Namen nennt man das Ding Stanley?«

Sein Schulterzucken war ein naher Verwandter einer ehrlichen Abbitte. »Mir wurde erklärt, das hätte etwas mit dem arachniden Aussehen zu tun, aber alles Weitere hat sich mir immer entzogen. Vielleicht sollten Sie Jason und Jelaine danach fragen, denn die beiden haben bei der Erwähnung des Wortes und der Form der Stanley stets eine gewisse Belustigung gezeigt, für die ich jedoch nie eine Erklärung erhielt.« Wieder zuckte er mit den Schultern, wieder war das Schulterzucken ein naher Verwandter einer Abbitte. »Ich nehme an, das ist eine Art Insiderwitz, den nur die beiden verstehen.«

Ich überlegte, ob dieser Insiderwitz von Bedeutung sein konnte, und stellte fest, dass er das zumindest im Augenblick nicht war. »Warum bewegt es sich nicht?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber da keine Notsituation vorliegt, in der es um Leben und Tod geht und die unverzügliches Handeln erfordern würde, wird die Mannschaft wohl damit beschäftigt sein, das Problem zu diagnostizieren und die weitere Vorgehensweise mit den Ingenieuren auf Layabout und in Anchor Point abzusprechen. Ich nehme an, sie sind noch dabei, die Sache zu diskutieren.«

Wir betrachteten das Bild noch einige weitere Sekunden und warteten darauf, dass die Stanley irgendetwas tat. Sie regte sich nicht.

Schneller als ich formulierte Dejah ihren Argwohn. »Da stimmt was nicht.«

In ihrer Stimme lag keine Panik, keine Furcht, nur eine grauenvolle Gewissheit. »Warum denken Sie das?«

»Ich könnte verstehen, wenn sie sich Zeit ließen, hätten sie die ganze Zeit Kontakt zu uns gehabt«, sagte sie, »aber unsere Kommunikation mit der Außenwelt ist bereits vor Stunden abgerissen. Vertrauen Sie auf das Wort einer Person, die aus eigener Erfahrung weiß, welche besondere Form der Aufmerksamkeit die Stinkreichen erwarten: In Anbetracht dessen, wer der Eigentümer dieser Kutsche ist, müssten sich die Leute an Bord dieses Vehikels vor Angst in die Hosen scheißen. Sie müssten verzweifelt darum bemüht sein, zu uns vorzudringen und sich zu vergewissern, dass es allen gut geht.«

Ich warf erneut einen Blick auf den Bildschirm, und beim Betrachten der erstarrten Pose der Stanley bemerkte ich eine seltsame Feinheit. »Angenommen, Pescziuwicz hat ihnen alles erzählt, was sie wissen mussten, dann, fürchte ich, haben wir sogar noch mehr Grund zum Misstrauen.«

»Inwiefern?«

»Als ich während des Essens mit ihm gesprochen habe, hat er mir erzählt, dass Brown ihn darüber informiert hätte, dass ein Bocai an Bord ist. Wenn die Mannschaft der Stanley unsere Herzschläge hören kann und darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass sich ein Bocai unter uns befindet, dann werden sie auch bemerken, dass alle noch schlagenden Herzen menschlich sind und daraus schließen, dass es inzwischen bereits mindestens einen Todesfall gegeben haben muss ... an einem Tag, an dem es bereits einen Zwischenfall gegeben hat, in den Bocai-Attentäter verwickelt waren. Was immer der Grund für unsere Probleme ist, diese Leute müssten davon ausgehen, dass es hier um Leben und Tod geht. Sie müssten sich längst in Bewegung gesetzt haben. Zumindest sollte irgendjemand so schnell wie möglich eine Luftschleuse aufsuchen, um die medizinischen Helfer in die Kutsche zu bringen.«

»Das stimmt mit allem überein, was ich über die Notfallprotokolle weiß«, sagte Paakth-Doy.

Dejah biss sich auf die Lippe. »Entweder können sie nichts tun, oder sie trauen sich nicht.«

Ich nickte. »So sehe ich das auch.«

Wir musterten weiterhin das statische Bild, warteten auf irgendein Lebenszeichen der Stanley. Sie hing nur an ihrem Platz, behielt ihre Position bei und gab nichts von den Dramen preis, die sich in ihrem Inneren abspielen mochten.

Ich stellte mir die Mannschaftsangehörigen vor, wie sie zusammengesunken über ihren Konsolen hingen, die Stühle befleckt mit Innereien, die sich unter dem Einfluss einer Klaue Gottes im Rücken der Opfer verflüssigt hatten. Das war unlogisch, blanker Unsinn, aber es war exakt die bedrohliche Wirkung, die die regungslose Stanley bei mir erzielte.

»Oscin hat den Bettelhines gerade erzählt, worüber ihr gesprochen habt«, sagte Skye. »Philip sagt, wir sollen wieder in den Salon kommen und die Arbeit den Profis überlassen, aber er hat mehr Angst, als er zugeben will. Jason meint, wir sollten der Stanley noch ein paar Minuten geben, ehe wir voreilige Schlüsse ziehen. Allerdings hat er ein paar besonders betont. Ich denke, er ist auch der Ansicht, dass das nicht gut aussieht.«

Beinahe hätte ich etwas gemurrt von wegen, ich würde nicht für die Bettelhines arbeiten und könne auf ihre Ratschläge verzichten. »Arturo? Gibt es für uns irgendeine Möglichkeit, jemanden da rauf zuschicken?«

»Es gibt eine Leiter an der Außenseite des Rumpfes, in Reichweite der Luftschleuse, die zum Fahrstuhldach hinaufführt«, sagte Mendez. »Notfalls kann ich mit einem Anzug rausgehen, aber ich wäre nicht gern da draußen, wenn sich die Stanley oder die Kutsche wieder in Bewegung setzen.«

»Welche Gefahr wäre damit verbunden?«

»In Bezug auf die Kutsche? Keine, solange wir oberhalb der Atmosphäre bleiben. Das wäre in Anbetracht der Proportionen des größten Teils der planetarischen Atmosphärenschichten bis zu den letzten Minuten unseres Abstiegs der Fall. Was die Stanley betrifft, wäre ich nicht in ernsthafter Gefahr, solange ihre Mannschaft weiß, dass ich da draußen bin. Aber wir können nicht mit ihnen reden, und es wäre wirklich unangenehm, sollten diese Beine um die Ecke krabbeln, während ich noch auf der Leiter hänge und keine Möglichkeit habe, sie zu kontaktieren, um dafür zu sorgen, dass sie mich nicht umrennen. Ich werde es tun, wenn die Bettelhines es wünschen - das ist immerhin meine Pflicht -, aber unter den gegebenen Umständen halte ich es für klüger, noch ein paar Minuten zu warten, bis wir sicher sind, dass es keine Alternative gibt.«

Als er gleich darauf die verschiedenen Blickwinkel durchging, in der Hoffnung, irgendwo einen Bildausschnitt zu finden, der uns einen Hinweis darauf liefern konnte, was die Stanley und ihre Mannschaft daran hinderte, sich in Bewegung zu setzen, stellte ich fest, dass Dejah mich eingehend musterte. Ihr Blick war nicht unfreundlich, aber taxierend, und als sie sich aufrichtete und Skye begutachtete (die in dem Moment näher an mich herangerückt war, in dem sie erkannt hatte, dass Dejah mir auffallend viel Aufmerksamkeit widmete), überlegte ich, wie genau sie uns studierte, wie viel sie sehen konnte. »Was?«

Sie sah sich zu Mendez um, sah, dass er vollkommen in die Bilder der Überwachungskameras vertieft war, und sagte: »Sie haben sich verändert.«

Aus dem Mund einer so scharfsichtigen Person wirkte diese Feststellung lächerlich banal. »Und?«

»Nein, Counselor, ich meine es ernst. Früher sind Sie mir vorgekommen wie einer der am schlimmsten geschädigten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Ihre ganze Persönlichkeit war verschorft und vernarbt. Ich konnte kaum ein Wort an Sie richten, ohne die eine oder andere Wunde wieder aufzureißen. Aber etwas hat sich verändert, und die Aufnahme einer gesunden, wenn auch etwas ungewöhnlichen Beziehung ...«, sie deutete auf Skye, »... reicht dafür nicht aus. Sie haben sich nicht nur verändert. Sie haben sich verändert!«

Ich hatte weder die Zeit noch das Interesse, die subtilen psychologischen Eingriffe zu diskutieren, die die KIqu ellen auf One One One an mir vorgenommen hatten, oder ihr von irgendeiner der Erfahrungen zu berichten, die ich gemacht hatte, seit das Dip Corps die Macht über mein Leben verloren hatte. »Seit damals ist viel Zeit vergangen.«

»Nicht so viel«, sagte Dejah mit unumstößlicher Sicherheit. »Nicht genug für das, was ich gesehen habe.«

Nun verließ sie das Reich der Fragen, die ich nicht beantworten wollte, und betrat das Reich jener Fragen, bei denen ich nicht sicher war, ob ich sie beantworten konnte. Wie sehr konnte sich meine Persönlichkeit verändert haben, seit ich die KIquellen in meinem Kopf willkommen geheißen hatte? Seit sie eine Verbindung zwischen ihren Abtrünnigen Intelligenzen - den Wesen, die ich als Unsichtbare Dämonen bezeichnete - und dem Wahnsinn, der meine menschlichen und bocaischen Familien überwältigt hatte, eingeräumt hatten? Seit ich abtrünnig geworden war? Dejah hatte erkannt, dass einige meiner Wunden verheilt waren, aber konnte sie auch sehen, dass sich neue gebildet hatten?

Ich zögerte lange genug, dass sie glauben musste, sie wäre zu weit gegangen, denn sie legte mir beschützerisch eine Hand auf den Unterarm. »Sie müssen mir nichts erklären, wenn Sie nicht wollen. Ich weiß, Sie haben andere Menschen, mit denen Sie sprechen können. Ich will Ihnen nur sagen, dass ich es bemerkt habe und beeindruckt bin.«

Ich gab keinen Ton mehr von mir, bis ich an meinen Kragen gegriffen und eine kleine, silberne Scheibe abgenommen hatte, in der die meisten Leute nur ein Schmuckstück gesehen hätten. Tatsächlich war es eines meiner Lieblingswerkzeuge in meinem Arsenal - ein Zischschirm aus Tchi-Herstellung, von unschätzbarem Wert, wollte man ein privates Gespräch privat halten. Das leise weiße Rauschen, das das Gerät abgab, würde mich, Dejah, Paakth-Doy und Skye nicht stören, aber es würde unsere Worte vor Mendez' Ohren schützen, der immer noch die reglose Stanley aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtete und nach einem glaubhaften Beweis dafür suchte, dass die Mannschaft das Dach der Kutsche nicht nur als Parkplatz missbrauchen wollte. Kaum setzte das Zischen ein, senkte ich die Stimme und wandte mich an Dejah. »Also schön, da wir gerade vertrauliche Dinge austauschen: Haben die Bettelhines Ihnen irgendeinen Hinweis darauf geliefert, warum Sie hier sind?«

Sollte sie enttäuscht gewesen sein, dass ich auf ihre persönliche Ansprache mit einer abrupten Rückkehr zu unserer aktuellen Lage reagierte, so wusste sie das gut zu verbergen. Wenn überhaupt, dann wirkte sie amüsiert. »Nein, Counselor. Ich glaube, Philip weiß es auch nicht, und die wenigen Male, bei denen ich Gelegenheit hatte zu fragen, haben Jason und Jelaine nur gesagt, es sei die Sache ihres Vaters, mich aufzuklären.«

»Die gleiche Antwort habe ich auch bekommen.«

Sie schürzte die Lippen. »Das überrascht mich nicht.«

»Warum?«

»Na ja, irgendwie scheint sich alles um Sie, mich und den Khaajiir zu drehen, oder nicht?«

Den gleichen Eindruck hatte ich gewonnen. »Wenn Sie nicht wissen, warum Hans Sie sehen will, was hat man Ihnen dann gesagt, um Sie herzulocken?«

Sie trat näher und vergewisserte sich, dass sie sich in dem Bereich aufhielt, in dem der Schirm die größte Wirkung erzielte, ehe sie die Stimme noch weiter senkte. »Eines sollten Sie unbedingt wissen: Philip hat beim Essen nicht gescherzt, als er gesagt hat, dass wir Feinde gewesen sind.«

»Was war die Ursache dafür? Eine geschäftliche Auseinandersetzung?«

»Ganz und gar nicht. Zwischen uns hat es keinerlei Rivalität gegeben, wir hatten nicht einmal gemeinsame Auftraggeber. Man könnte sagen, dass wir auf gegenüberliegenden Straßenseiten gearbeitet haben, insofern dass ich Welten entwerfe, wohingegen sie nur immer umfangreicherer und bessere Methoden entwickeln, damit die Leute sich gegenseitig in die Luft jagen können. Wenn überhaupt, dann haben sie meine Geschäfte gefördert, indem sie Bedarf für mich schafften, wann immer ihre Kunden bewohnte Welten irreparabel zerstört haben. Aber das ist eine kranke, gewinnsüchtige Betrachtungsweise. Die Wahrheit ist, dass ich oft genug über ihre Schweinereien gestolpert bin und genug von dem Leid gesehen habe, das sie verursacht haben, um alles zu verachten, wofür diese Leute stehen. Darum habe ich von Zeit zu Zeit, immer wenn sich eine passende Gelegenheit geboten hat, meinen eigenen beträchtlichen Einfluss dafür benutzt ... die Nachfrage nach ihren Produkten zu verhindern. Das habe ich über die Jahre so oft getan, dass sie schließlich mit offenen Feindseligkeiten reagiert haben, die bisweilen an Gewalt grenzten.«

»Irgendwelche Attentatsversuche?«, fragte ich.

»Sieben. Bei einem wäre beinahe mein armer Mann Karl umgekommen, aber er hat überlebt dank der besonderen Vorsehung, die stets den Unschuldigen und den Narren zugute kommt.«

Skyes Stimme war kälter als alles, was ich bisher von den Porrinyards gehört habe, sei es gemeinsam oder einzeln gewesen. »Mir fällt auf, dass Sie kein Problem damit haben, hinter seinem Rücken schlecht über ihn zu reden.«

Dejah verzog gepeinigt das Gesicht. »Das tue ich durchaus, nicht wahr?«

»Das war heute Abend das vierte Mal in meiner Hörweite«, verkündete Paakth-Doy.

Dejah blickte zu Boden und schaute dann mich an, während sie nach passenden Worten suchte. »Sie haben recht. Karl verdient Besseres.«

»Warum«, hakte Skye nach, »sprechen Sie dann auf diese Weise über ihn?«

»Ich muss. Ich liebe den Mann, ich möchte mein Leben mit keinem anderen verbringen, aber der hohe Einsatz, um den ich spiele, zwingt mich, offen mit seinen Stärken und Schwächen umzugehen. Und die traurige Wahrheit ist, dass Karl trotz seiner Güte und seiner Großzügigkeit und allem anderen, was ich an ihm bewundere, in intellektueller Hinsicht eine eingeschränkte Kreatur ist, ein Dummkopf im klassischen Sinne. Er ist die Art von Mensch, die über alles Mögliche stolpert und grundsätzlich ein Desaster anrichtet, wenn sie versucht, etwas Gutes zu bewirken. Das hat zu der kriminellen Laufbahn geführt, die an dem Tag endete, an dem wir uns erstmals begegnet sind. Ich habe ihn auf diese Reise nicht mitgenommen - obwohl Hans Bettelhine uns beiden einen sicheren Aufenthalt zugesichert hat -, weil seine besten Absichten kombiniert mit den schlimmsten Absichten der Bettelhine Corporation eine zu explosive Mischung ergeben hätten für ein Zusammentreffen, von dem unsere Gastgeber den Eindruck vermittelt haben, es könnte der Auftakt zu einem dauerhaften Frieden werden.«

Aus irgendeinem Grund war Skye offenbar immer noch fest entschlossen, den unbedeutenden Karl zum Thema zu machen. »Sie reden immer noch über ihn, als wäre er ein Haustier und kein Ehemann.«

»Er ist ein Ehemann«, versicherte Dejah. »Aber er kann, soweit es das Geschäft betrifft, kein Partner sein. Da gibt es einen Unterschied.«

Skye wollte erneut protestieren, als ich eine Hand hochreckte und »Es reicht!« sagte und damit jeder weiteren Erkundung dieser Tangente ein abruptes Ende setzte. Ich wandte mich an Dejah. »Auch wenn sie ihre guten Absichten beteuert haben, hätte ich erwartet, dass Sie darauf bestehen, Hans Bettelhine auf neutralem Terrain zu treffen. Nur für den Fall, dass seine Einladung den Rahmen für Attentatsversuch Nummer acht bilden sollte.«

Sie seufzte. »Vor vielleicht einem oder zwei Jahren hätte ich das getan. Und es bedurfte monatelanger flehentlicher Beschwörungen, bevor ich mich entschlossen habe, die Einladung anzunehmen. Aber ich hatte Informationen zusammengetragen, die mir Grund zur Sorge geliefert haben.«

»Inwiefern?«

»Das hat etwas mit den Nachfolgeregelungen der Bettelhines zu tun. Traditionell beansprucht jeder Angehörige des Inneren Kreises die Leitung einiger Unternehmensteile, wobei die diversen Forschungs­und Entwicklungseinrichtungen als besonders begehrenswert gelten. Da steht mehr auf dem Spiel, als Sie sich vorstellen können. Auf keinen Fall hätte die Familie je darauf vertraut, dass Jason mit seiner wechselvollen Geschichte und den Jahren der Abwesenheit, in denen er unter der Kontrolle durch Juje weiß welche widerlichen Parteien gewesen sein konnte, frei von den Einflüssen Außenstehender ist. Unter normalen Umständen hätten seine Verwandten ihn zweifellos als geliebten Bruder oder Sohn zu Hause willkommen geheißen, aber auf keinen Fall als jemanden, der in irgendeinem wichtigen Teil des Unternehmens eine Zukunft erwarten konnte. Sie hätten verrückt sein müssen, so ein Risiko einzugehen. Verstehen Sie?«

»Ja.«

»Dann erklären Sie mir, warum Philip - ein Traditionalist Bettelhine'scher Prägung, dessen Geschäftsmodell man zusammenfassend als die gleiche Chose bezeichnen könnte und der ganz oben im Machtgefüge stehen sollte - in den letzten zwei Jahren aus mindestens vier wichtigen Subunternehmen hinausgedrängt worden ist, während diesem Duo, gebildet aus Jason und Jelaine, immer mehr Verantwortung zugewiesen wurde. Erklären Sie mir, warum Hans Bettelhine einen immer größeren Prozentsatz seiner Arbeitsstunden in Gesellschaft von Jason und Jelaine verbracht hat - und wie es scheint auch in der dieses Bocai-Stellvertreters. Erklären Sie mir, warum der Konzern zu einem Zeitpunkt in seiner Geschichte, an dem seine Erfolgsaussichten so gut sind, wie sie nur sein können, nicht, wie man erwarten sollte, expandiert, sondern seine Mittel konsolidiert - eine Maßnahme, die auch zur Aufkündigung langfristiger Verpflichtungen zur Produktion von Kriegsmaterialien für mindestens ein Dutzend wütender Buschfeuer auf Konföderiertenwelten geführt hat. Erklären Sie mir, warum sie ihre Investitionen verlagern und Geld für die Rekonstruktion einer bröckelnden Infrastruktur oder für Welten, die durch ihre Taktik verwüstet wurden, ausgeben. Erklären Sie mir, warum diese Familie, die ein Waffenimperium geschaffen hat, anscheinend dabei ist, Grundlagen für eine totale Abkehr von ihren bisherigen Geschäften zu schaffen. Erklären Sie mir, worauf die umrüsten. Und dann erklären Sie mir zu allem Überfluss noch, warum sie gerade mir ein Friedensangebot machen wollen, mir, einer Frau, die sie siebenmal umbringen wollten.«

Ich erinnerte mich an ein anderes Gespräch, das ich früher an diesem Abend geführt hatte. »Jelaine hat vorhin von ihrem Bruder erzählt. Sie hat gesagt: ›Ein veränderter Mann kann seine Familie ändern und das, wofür die Familie steht‹.«

»So etwas Ähnliches hat sie zu mir auch gesagt«, sagte Dejah. »Und es wäre wirklich wunderbar, könnte ich das glauben - schon weil es so verlockend ist, die Geschichte von dem angstgepeinigten reichen Jungen für wahr zu halten, der herausfindet, dass die kleinen Leute leiden müssen, und in seine Machtposition zurückkehrt, nur um all seinen Reichtum dazu zu nutzen, die Menschheit zu verbessern. Aber Geschlechter wie das der Bettelhines funktionieren einfach nicht so. Sie haben Maßnahmen getroffen, die verhindern sollen, dass je ein derart radikaler Wandel stattfindet. Das ist einer der Gründe, warum sie immer so viele Kinder in die Welt setzen: damit die Familie, wann immer irgendein Nachfahre ein soziales Gewissen entwickelt und anfängt, laut darüber nachzudenken, alles zu demontieren, was der Familie ihre Macht beschert hat - was alle paar Generationen passiert, weil Schuld ein Charakteristikum des Reichtums ist -, bereit ist, ihn aufzuhalten, ehe er einen dauerhaften Schaden anrichten kann.«

Paakth-Doy schien vollkommen gefesselt zu sein. »Wie aufhalten?«

»Auf jede denkbare Art mit Ausnahme eines Attentats, falls Sie das gedacht haben. Normalerweise schiebt man den Nachwuchs einfach auf eine Position, beispielsweise im Bereich Personalwirtschaft, ab, die die Insignien der Macht trägt, sich aber nicht grundlegend auf die unternehmerische Zielsetzung auswirkt. In besonders extremen Fällen werden die jugendlichen Idealisten ausbezahlt und zu irgendeinem fernen Planeten geschickt, wo sie mit Flüchtlingen arbeiten oder mit Hilfsorganisationen oder sich nach Herzenslust anderen moralischen Werten verschreiben können, wiederum ohne je eine Entscheidung treffen zu können, die irgendetwas ändern könnte. Im allerschlimmsten Fall kann man sie immer noch für inkompetent erklären und ins Exil schicken, intern oder extern. Sie wären überrascht, wie viele ausgestoßene Bettelhines unter anderen Namen in anderen Systemen leben und wie viele der abgelegeneren Anwesen auf Xana von Familienmitgliedern bewohnt werden, die mit allem versorgt werden, was sie sich nur wünschen können - nur die Möglichkeit, irgendetwas zu verändern, wird ihnen verweigert. Aber die Vorstellung, ein Bettelhine des Inneren Kreises wie Jason könnte von einem außerweltlichen Höllenloch wie diesem Deriflys zurückkehren, wo er nach meinen Informationen seinerzeit gelandet war, und aus purem Charisma und Mitgefühl für das Leid anderer erfolgreich eine Institution verändern, die Jahrhunderte alt ist ... das ist einfach viel zu gut, um wahr zu sein. Es sei denn, da ist noch was anderes im Busch.«

»Ihr ›Grund zur Sorge‹ ist also?«, hakte ich nach.

»... dass früher oder später erneut etwas Schlimmes, Unausweichliches passiert.«

Sie sah die Dinge weitgehend so wie ich, aber Dejahs Herangehensweise ließ sie noch dringlicher erscheinen. Das waren Leute, die schon jetzt mehr zu menschlichem Leid auf einer größeren Skala beigetragen hatten als jede andere Familie in der Geschichte der Menschheit; es war in der Tat verlockend zu glauben, jeder Kurswechsel dieser Familie könne nur gut sein, aber konnte es Gutes geben, wenn die Bettelhines ihre Finger im Spiel hatten? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass wir nur eine andere Schattierung des Bösen vor uns sahen?

Ich wollte Dejah gerade eine weitere Frage stellen, als Mendez aufschrie: »Was zum Teufel macht ihr? Nein, verdammt, nein

Ich deaktivierte den Zischschirm und hastete zu ihm, dicht gefolgt von Dejah, Paakth-Doy und Skye. Für einen Moment wusste ich nicht, was er entdeckt hatte, doch dann sah ich, dass sich das Bild auf dem Schirm verändert hatte. Nun wurde es nicht mehr von den Kurven der Stanley beherrscht, sondern von dem schwarzen Nichts über uns. Die Stanley hingegen hatte sich so weit von uns entfernt, dass ihre Lichter zu einem einzigen hellen Punkt verschmolzen waren, so weit oben an der Trosse, dass es aussah, als wäre da nur irgendein ferner Stern. Noch höher über uns blinkte die schmale Linie, besser bekannt als Layabout, wie zum Zapfenstreich - an und aus, an und aus -, ein weit entfernter Leuchtturm, dessen Licht Schiffbrüchige, dahintreibend und bar jeglicher Hilfsmittel, die es ihnen ermöglichen würden, die sturmgepeitschten Kilometer zwischen sich und dem Land zu überwinden, zu verspotten schien.

»Was macht die Stanley da oben?«, fragte Dejah.

Mendez verzog das Gesicht. »Ich weiß es nicht, Madam. Erst ist gar nichts passiert, dann sind sie mit Höchstgeschwindigkeit davongerast, als stünde unsere Kabine in Flammen und als müssten sie befürchten, mit uns zu verbrennen. Sie ist nun ... Moment. Sie wird langsamer. Hält an. Steht einen Kilometer über uns. Und bleibt. Das ergibt keinen Sinn. Was denken die, was sie da tun? Wollen die uns einfach im Stich lassen?«

Eine zehnsekündige Pause trat ein, während wir alle überlegten, was das bedeuten mochte.

Mir ging zuerst ein Licht auf, und zufällig sah ich, dass auch Dejah begriffen hatte, und sie war die Erste, die aussprach, was wir beide dachten. Ihre Empörung stand der von Mendez in nichts nach, doch sie gab noch eine ordentliche Portion Furcht dazu. »Nein. Wenn ich richtig liege, werden sie dort bleiben und uns aus sicherer Entfernung beobachten. Vermutlich wird keine Stunde vergehen, bis einen Kilometer unter uns eine weitere Stanley Position bezieht, eine Gefälligkeit der Sicherheitskräfte der Bodenstation. Bald werden wir auch Orbitalflugkörper sehen. Aber niemand wird uns nahe kommen. Nicht, bis irgendjemand in deren Verhandlungsmannschaft oder an Bord dieser Kutsche einen Ausweg findet.«

»Ausweg woraus?«, verlangte er zu erfahren.

Die Porrinyards hatten begriffen. Ich sah es, weil sich in diesem Moment Entsetzen, Furcht, Zorn und schließlich Abscheu in Skyes Augen spiegelten. Ich konnte nur raten, ob ihre gemeinsamen Gefühle sich auch in Oscins Miene so deutlich niederschlugen und wie solch ein Gesichtsausdruck sich auf die Verfassung der anderen Leute auswirken würde, die sich immer noch im Salon aufhielten. Was immer geschah, die Stimmung dort oben würde zweifellos spätestens dann umschlagen, wenn wir uns wieder zu ihnen gesellten.

»Das ist eine Geiselnahme«, sagte ich.

»Oder eine Quarantäne«, fügte Dejah hinzu.