Da ist sie nicht die Einzige. Wer einmal drinnen sitzt, möchte eigentlich nie wieder raus. Gerade im Spätherbst und Winter, wenn bei eisigen Außentemperaturen die Schneeflocken in der Luft tanzen oder die Nordlichter den Abendhimmel in eine spektakuläre, grün-gelblich schimmernde Lightshow verwandeln, lässt es sich in den heißen Quellen Islands wunderbar entspannen. Rund vierzig Grad warm sind die Hot Pots, die einem Whirlpool ähneln. Es gibt sie neben Schwimmbecken, in den Vorgärten der Wohn- und Sommerhäuser oder verstreut als natürliche Quellen in den einsamen Landschaften. Beim beliebtesten Hobby der Isländer kann man dann auch wirklich mal von Relaxen sprechen. Viktorías Familie hat die Qual der Wahl: Neben dem Haupthaus steht nicht nur ein selbst gebauter Hot Pot, den Hang hinauf haben sie außerdem einige Naturbadewannen und nur zehn Minuten entfernt liegt ein wohltemperiertes Freibad. Da die Vulkaninsel mit Erdwärme gesegnet ist, verfügt fast jedes Dorf über ein geothermisch beheiztes Schwimmbad.
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Nachrichtenbörse Hot Pot bei Nauthólsvík
Der Hot Pot ist ein wichtiges Kulturgut, quasi das Café der Isländer: Seit jeher tauschen sie hier den neuesten Tratsch aus und diskutieren über die aktuelle Lage der Nation. Schon Snorri Sturluson, Politiker und Autor der ›Snorra-Edda‹, einem Lehrbuch der alten nordischen Mythologie und Dichtkunst der Skalden-Prosa, traf darin im 13. Jahrhundert Kollegen zu hitzigen Debatten. Auch die ehemalige Präsidentin Vigdís Finnbogadóttir wollte in den neunziger Jahren während ihrer Amtszeit nicht auf das tägliche Bad im öffentlichen Freibad Vesturbæjarlaug verzichten. Eines Morgens traf sie im Hot Pot auf einen amerikanischen Touristen. »Was machen Sie beruflich?«, fragte er. »Ich bin Präsidentin«, antwortete sie. »Aha, und von welcher Firma?« – »Von Island.« Der Amerikaner war sprachlos und lief rot an.
Das zentral gelegene Vesturbæjarlaug in Reykjavík mit den 25-Meter-Bahnen hat etwas Gemütliches. Hier trifft sich die Nachbarschaft, zu der prominente Schauspieler, Musiker und Präsidenten zählen. Doch da die Isländer Ruhm nicht so ernst nehmen – jeder ist ja der Beste in irgendetwas –, wird kein Aufhebens darum gemacht. Und so ziehen sie relaxt ihre kurzen Bahnen, oft neben älteren Herren, die lautstark wie Walrösser schnaufen.
Für mich sind die ersten 250 Meter die Aufwärmphase, viele Reykjavíker schwimmen lediglich diese Strecke und entspannen dann in einem der vier Hot Pots. Die Tafeln am Rand geben die ungefähren Temperaturen an, der wärmste erreicht 44 Grad, darin kribbelt der ganze Körper, die meisten Isländer knubbeln sich aber im 38-bis-40-Grad-Pott. Dort hocken sie manchmal zu acht, dicht gedrängt, plaudern, schauen gen Himmel oder schließen einfach die Augen. Einige machen erst gar nicht den Umweg ins Schwimmbecken, sondern hüpfen schnurstracks in die runden Wannen.
Das berühmteste und größte Bad Islands ist die Bláa lónið, die Blaue Lagune. Der See liegt inmitten eines Lavafeldes, rund 15 Kilometer vom internationalen Flughafen Keflavík entfernt; es wird aus dem verbrauchten Heizwasser des benachbarten Geothermalkraftwerkes gespeist. Im Abwasser zu schwimmen hört sich nicht sehr prickelnd an, doch das Gemisch aus sechs Millionen Liter Salz- und Meerwasser ist sauber und sehr mineralhaltig. Kieselerde, Mineralsalze und Algen sorgen für die bläuliche Farbe und das milchig weiche Badegefühl – so mancher wähnt sich in einem riesigen Bad der Cleopatra. Nun gut, man muss die angetrunkenen oder knipsenden Touristengruppen ausblenden, doch auf dem weitläufigen Gelände findet jeder einen Ruheplatz. Wenn dann in der 37 bis 39 Grad Celsius warmen Lagune noch die Sonne die Wasseroberfläche glitzern lässt und der Dampf aufsteigt, kommt die Entspannung von ganz alleine.
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Körperpflege nach Anleitung.
Auf Isländisch, Englisch, Dänisch, Deutsch und Französisch wird ergänzt:
»Alle Gäste müssen sich mit Seife ohne Badeanzug waschen, ehe sie in das Schwimmbad gehen. Danke.«
Die Badebetreiber wissen um die Besonderheit ihres »Spas« – und nutzen es vielfältig. So offerieren sie den Gästen am Beckenrand blaue Drinks, man kann auf einer Matratze treibend im See massiert werden; kostenlos und für jeden zugängig, ist im Bad eine weiße, mineralreiche Paste mit Peeling-Effekt. Das Wasser soll für Allergiker mit Hautproblemen eine heilende Wirkung haben. Insbesondere Schuppenflechte-Patienten werden in der angrenzenden Klinik behandelt, aber auch für den normalen Besucher ist der Ausflug eine wohltuende Mini-Kur.
Anna G. Sverrisdóttir war früher Geschäftsführerin der Blauen Lagune, bis heute ist sie dem feuchten Element treu geblieben. Seit einigen Jahren arbeitet die Isländerin unter anderem für die Non-Profit-Organisation Vatnavinir, Wasserfreunde. Diese will den nachhaltigen Tourismus in ländlichen Regionen fördern. »So lenken wir die Aufmerksamkeit auf neue Plätze, die viele Besucher sonst wohl nie entdecken würden«, sagt die sechzigjährige Anna. Denn in jedem Reiseführer findet sich die Blaue Lagune, doch nur wenige Touristen wissen um die Schönheit der vielen Dorf-Schwimmbäder. Und so kamen befreundete Architekten, Designer, Philosophen und Marketing-Experten eines Tages auf die Idee, Vatnavinir zu gründen. Sie erstellten eine Landkarte, auf der nicht nur die klassischen Bäder vermerkt sind, sondern auch kleine Pools und einige natürliche Quellen. Anna und die anderen wollen das »Wellness Country Iceland« aufbauen: Zu ihren Pilotprojekten gehören elf verstreut liegende Bäder und Quellen in den Westfjorden, die teilweise saniert oder umgebaut werden sollen. Architektin und Vatnavinir-Mitgründerin Olga und ihr deutscher Kollege Jörn entwarfen Skizzen, wie die traditionellen Badeorte ein neues Design bekommen können.