Dress to impress

Der Körper muss nicht perfekt sein, dafür aber das Outfit. Isländerinnen geben sich viel Mühe, individuell auszusehen. Und sei es nur durch eine silberne Netzstrumpfhose oder eine glitzernde Papageitaucher-Brosche. Sie lieben es, ihre Kleidung neu zu kombinieren, sind verspielt und couragiert. So werden gestreifte Oberteile mit karierten Hosen angezogen, rosa Teile mit orangefarbenen gemischt, jedem, wie es ihm gefällt. Die Lust nach neuen Dingen zeigt sich auch beim Styling.

Während die allseits bekannten, teuren und günstigen Modeketten im Reykjavíker Einkaufscenter Kringlan vertreten sind, zeigen die meisten einheimischen Designer ihre Kollektionen in 101 Reykjavík, jenem zentralen Viertel, wo sich die Straße Laugavegur befindet. Übersetzt bedeutet der Name übrigens »Weg der heißen Quellen«. Früher gingen die Frauen über diese Straße zum Þvottalaugar, einer natürlichen heißen Quelle, in der sie ihre Wäsche reinigten. Heute ist in der Nähe ein Schwimmbad, und der alte Weg dorthin ein Hot Spot des Nachtlebens und die Shoppingmeile Islands. Da der Bürgersteig geothermisch beheizt wird, friert er selbst im Winter nie zu.

Isländer haben ohnehin ein anderes Kälteempfinden als wir Mitteleuropäer. Selbst bei Minusgraden laufen erstaunlich viele mit geöffneten Jacken und tiefen Dekolletés durch die Innenstadt, manche tragen bei acht Grad Celsius Flipflops oder Ballerinas ohne Socken. Die Logik: Wo die Durchschnittstemperaturen sogar im Sommer unter zwanzig Grad liegen, sind acht Grad gar nicht mal so schlecht. (Die Isländer zelebrieren schon Mitte April den ersten offiziellen Sommertag, dafür gibt es sogar einen eigenen Feiertag.)

Außerdem parken viele ihr Auto ganz in Zielnähe, da braucht man keine dicke Jacke. Die Autos sind ihre Jacken. Auf dem Laugavegur und den angrenzenden Straßen finden sich rund vierzig Boutiquen, die meisten werden von den Designern direkt betrieben. Steinunn zum Beispiel war früher Head-Designerin bei Calvin Klein und Gucci, ihre edlen Kostüme zeichnen sich durch einen individuellen Schnitt aus; nur wenige Häuser weiter ist Mundis Label. Der 24-Jährige schaffte es mit seinen poppigen Wolloutfits schon in die britische ›Vogue‹, seine erste Kollektion, »Too cool for gravity«, kreierte er mit 19 Jahren. Für Modedesigner wie ihn sind Isländerinnen dankbare Kunden, denn sie wollen sich stets neu erfinden und sind offen für stilvoll verrückte Kleidung. Es gebe nicht den einen isländischen Style, sagt Mundi und beschreibt den Dresscode seiner Landsleute als lebendig, lustig und aufregend.

Fassade von Naked Ape und Forynja

Nur unweit von Mundis Label ist die Boutique Forynja und Naked Ape, in der eine Gruppe von Designern zusammenarbeitet und ihre Mode verkauft. Wie so viele Geschäfte in 101 Reykjavík ist Naked Ape mehrfach umgezogen. Vor drei Jahren lag der Laden fünf Häuser weiter, dann zwischenzeitlich in einer Seitenstraße und nun in der Bankastræti, die direkt in den Laugavegur übergeht. Jeder Winkel der Boutique hat einen eigenen Stil: Der Fußboden ist schwarz-gelb-weiß gestreift, die eine Wand türkisfarben, die andere ziert eine dunkelrote Tapete mit Vögeln und Blumen, im hinteren Bereich setzt eine goldgelbe Barockwand den Kontrast zu den farbenfrohen Kleidern und Röcken. Der Laden ist bunt und ein wenig schrill, genau wie die Kollektion: Zu der gehören hellblaue Seidenkleider mit knallorangenen Ornamenten, Shirts in neonfarbenem Graffiti-Muster und sogar unifarbene Oberteile, die dann aber durch lange Schnüre am Kragen wieder etwas Einzigartiges bekommen. Ähnlich fantasievoll wie die Schnitte und Farben sind auch die Namen der Kleidungsstücke: Sie heißen »Alarm«, »Gefängniszeit« oder »Großmutters Traum«.

»Am beliebtesten sind momentan die bunten Leggins«, sagt Thelma Björk Jónsdóttir. Einige Exemplare sind pink-lila-mintgrün-schwarz gemischt, andere mit grellen, großflächigen Ornamenten versehen. »Die Leggins werden handgedruckt, jedes Exemplar ist ein Einzelstück.« Also genau das, wonach die modebewusste Isländerin sucht. Die knallengen Hosen werden häufig mit bauschig geschnittenen Kleidern oder Pullovern kombiniert, dazu tragen sie High Heels. Nicht selten sind die Absätze so hoch, dass die Isländerinnen kaum darauf laufen können und daher nur langsam durch die Straßen stöckeln. Das rettende Ufer (ein Café oder das Auto) liegt aber meist in unmittelbarer Nähe.

Auch mit Megafon den Chic bewahren

Im Vergleich zum Sortiment der Boutique ist das Outfit von Verkäuferin Thelma eher schlicht. Sie trägt ein schwarzes Kleid, dazu eine türkisfarbene Strumpfhose und braune Lederstiefel. Ihre Individualität drückt sie vor allem durch ihren Kopfschmuck aus: ein Haarreif, auf den mehrere mit Perlen besetzte silberne Blumen zu einem Gesamtkunstwerk gestickt wurden. Elegant und anmutig sieht die blonde Isländerin damit aus. Thelma ist Absolventin der Kunstakademie, sie hat den Haarschmuck selbst entworfen und in Handarbeit angefertigt. Inspiriert wurde sie durch ihre Großmutter, die bis heute tatkräftig mitstickt und häkelt. Auf einem Regal liegen einige ihrer handgearbeiteten Kreationen. »Wir wollen unseren Kundinnen dadurch eine verführerische Sinnlichkeit und eine auffällige Individualität verleihen«, sagt die Designerin. Der Haarschmuck werde zu einem Teil der Persönlichkeit.

Die Kleider aus den Designerläden in 101 Reykjavík werden hauptsächlich hier im Szeneviertel getragen. Allgemein kann man sagen, dass der Mut zu ungewöhnlichen Outfits vor allem von den Frauen ausgelebt wird, die Männer scheinen nach Meinung von Jungdesigner Mundi zu glauben, dass es cool ist, Fashion und gute Kleidung zu ignorieren. Es passe nicht zu ihrem Alphamännchen-Gehabe.

Ein Kleidungsstück, das alle Isländer eint und von jedem schon getragen wurde, ist der Lopapeysa. Der Islandpulli aus dicker Schafswolle hat traditionell ein Zackenmuster am Kragen. Mugison zieht ihn an, wenn es ihm auf dem Aldrei-Festival zu kalt wird, man hat den Pulli bei Wandertouren dabei, und seit einigen Jahren sind Lopis auch wieder modern. Die Marke Farmers Market designt neue Arten, sie sind nicht ganz so dick, aber durch die Schafwolle trotzdem noch wärmend. Für eine Marketing-Kampagne ließen sich bekannte Schauspieler und Künstler in rustikaler Kulisse mit deftiger Brotzeit oder in der Natur mit diesem Pulli fotografieren (ohne Honorar, es war ein Freundschaftsdienst). Dadurch wurde die Marke innerhalb kurzer Zeit sehr populär, etliche Isländer tragen Wollprodukte von Farmers Market auf der Straße.

Wie du dich stilvoll verrückt kleiden kannst

  • Kombiniere mal zwei Kleidungsstücke oder Accessoires, die dir gefallen, aber nach deinem bisherigen Modestil überhaupt nicht zusammenpassen.

  • Höre beschwingte Musik, wenn du die Kleidung auswählst, dann bist du mutiger.

  • Lass dich von kleinen Kindern beraten, die durch die Modeindustrie noch nicht versaut wurden.

  • Stricke dir einen Lopapeysa.

  • Mache zum Spaß ein Fotoshooting, am besten direkt mit dem neu kreierten Styling, dann erkennst du noch mal, wie besonders du bist.

  • Schönheit ist auch eine Frage der Haltung. Mit einem geraden Rücken und selbstbewussten Gang wirkst du völlig anders.

  • Mach ein Rollenspiel: Du bist der Star, dann benimm und kleide dich auch dementsprechend.

  • Wenn dir diese Rolle mit einer anderen Identität leichter fällt, gib dir zum Spaß einen Künstlernamen, zum Beispiel, indem du dich wie ein/e Isländer/in nennst.

  • Finde dein persönliches Markenzeichen: Sei es nun ein Lippenstift, ein Schnauzbart oder beides.

 

Schönstricken

Auf den Websites unten findest du verschiedene Anleitungen, wie du dir deinen eigenen Lopapeysa, liebevoll Lopi genannt, stricken kannst. Neben klassischen Zackenmustern werden dort auch Rosen-Designs und moderne Schnitte mit Reißverschluss vorgestellt. Die wohl aktivste Strickerin Islands ist Ragnheiður Eiríksdóttir, sie betreibt die Internetseite »Knitting Iceland« und den Blog »Raggaknits«. Also, ran an Nadel und Garn! Du weißt gar nicht, wie man strickt? Dann könnte Ragnheiðurs DVD »Knitt your own Lopapeysa« helfen; oder reise direkt auf die Insel, ihre Firma bietet auch Strickreisen an. Und wenn du schon mal da bist, kannst du einfach ältere Damen ansprechen oder ins Wollgeschäft gehen, die geben dir garantiert noch ein paar Geheimtipps.

www.knittingiceland.is

www.raggaknits.com

www.istex.is

www.handknit.is

PS: Sollten alle Stricke reißen, bestelle dir im Internet einen fertigen.

Wem dann der Touch des Individuellen fehlt, der nimmt selbst die Stricknadel in die Hand oder bittet die Mutter oder Großmutter, einen solchen Pulli zu fertigen. Auch in den Touristenläden bekommt man meist Einzelstücke, am Kragen bzw. auf dem Preisschild steht oft der Name der Strickerin.

Abgesehen von den Lopis tragen die Männer meist Jeans, Lederstiefel und einfarbige Shirts oder Hemden. Wer es ein wenig flippiger mag, beweist sein Modeinteresse durch individuelle Anzüge, Hüte oder Brillen; Jüngere sieht man in Kapuzenpullis mit Graffiti-Mustern und farbenfrohen Sneakern. Stylingfreudiger als beim Outfit sind die Männer bei ihren Frisuren. Jón Gnarr zum Beispiel, der rothaarige Bürgermeister von Reykjavík, legte sich kurz nach Amtsantritt einen Punkschnitt zu.

Außerdem sieht man im März auffallend viele Männer mit Schnauzer. An sich sind Oberlippenbärte in Island eher unüblich, doch dann ist »Mottu Mars« (»Schnauzer März«). Die isländische Krebsgesellschaft ruft die Herren der Schöpfung dazu auf, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen, um so auf die Bedeutung der Krebsvorsorge bei Männern hinzuweisen. Gleichzeitig wird Geld für die Erforschung der Krankheit gesammelt.

Am Fuße dieser Kirche in Vík liegt eines der bedeutendsten Strickzentren Islands

Es ist erstaunlich, wie viele mitmachen, gefühlt trägt dann jeder dritte Mann einen Oberlippenbart. Polizisten, Wissenschaftler, Verkäufer und Politiker wie Finanzminister Steingrímur J. Sigfússon, alle beteiligen sich an der Kampagne. Während des Mottu Mars können sich die Bartträger auf einer Website der Krebsgesellschaft registrieren lassen, Gewinner der Wahl ist der, für den die meisten spenden. In einer Live-Fernsehshow wird dann das Ergebnis (der beste Schnauzbart und die Spendensumme) verkündet.

Im März muss ich genau überlegen, ob und wem ich meinen isländischen Spaß-Satz, dass Tom Selleck der einzige Mann auf der Welt ist, der mit Schnauzer gut aussieht, vortrage. Dass der Schnauzbart des US-Schauspielers bemerkenswert ist, finden die Isländer allerdings auch. Im Sirkus, jenem legendären Club, der 2008 schließen musste und für die Kunstmesse Frieze noch mal kurz zum Leben erweckt wurde, gab es über viele Jahre Tom-Selleck-Look-Alike-Wettbewerbe. Inzwischen werden sie wieder veranstaltet, allerdings in der Bar Boston. Sosehr die Ehefrauen, Freundinnen und Töchter das Engagement der Männer auch unterstützen, sind doch die meisten froh, wenn im April die Schnauzbärte wieder fallen.

 

Geht es um Frisuren, sind die isländischen Männer ähnlich experimentierfreudig wie die Frauen, auch außerhalb des Mottu Mars. Sei es eine Punkfrisur, ein asymmetrischer Schnitt oder eine neue Blondierung, hat man einen Isländer drei Wochen nicht gesehen, ist garantiert irgendetwas am Styling der Haare anders. Die Isländerinnen flechten sich ihre Haare gerne zu kunstvollen Zöpfen, rollen sie zu Schnecken oder türmen sie auf. Besonders die Fernsehmoderatorinnen bei RÚV lassen sich stets außergewöhnliche Kreationen frisieren. Wie man die hinkriegt, kann jeder in Magazinen oder achtseitigen Beilagen der Tageszeitungen nachlesen. Es gibt für scheinbar alles achtseitige Sonderbeilagen: Reifen, Jagdgewehre, Wolle, Hosen oder eben Haarschnitte.

Hrafnhildur Arnardóttir macht die abgeschnittenen Haare selbst zum Kunstwerk. Sie formt sie zu langen, ineinander verwobenen Zopfbildern, die als Exponate in Museen hängen oder am Dachbalken der beiden befreundeten Künstler Ragnar und Ásdis. Auch Musikerin Björk ließ sich für das Cover ihres Albums ›Medúlla‹ eine Kreation von Hrafnhildur aka Shoplifter anfertigen. »Das Haar ist für viele im täglichen Leben eine Quelle der Kreativität«, sagte die Isländerin mal, »sie drücken damit ihre Individualität und Schönheit aus.« Für Björk schuf die Künstlerin ein schwarzes Kunstwerk, das einem Netz ähnelte und in das Haar von Björk verwoben wurde. Der Popstar ist ein regelmäßiger Gast bei isländischen Designern. Auch von Thelma ließ sie sich schon Kopfschmuck gestalten. Es ist eben eine kleine Szene, in der jeder jeden kennt und sich neue Trends schnell entwickeln und verändern.