Die positiven Seiten der Krise
Jón Gnarrs Botschaft ist, das Leben nicht zu ernst zu nehmen. Auch seine Mitbürger machen sich über die Krise lustig. Im Stadtführer ›Top Ten Reykjavík and Iceland‹ wird zum Beispiel die Top-Ten-Liste der »halbfertigen Gebäude und anderen Ikonen der Krise« aufgelistet, dazu zählen unter anderem der Präsident und die riesige Konferenz- und Konzerthalle am Hafen. Außerdem gibt es seit dem 8. Oktober 2008, an dem nicht nur die drei Banken zusammenbrachen, sondern auch das damit verbundene Weltbild, das Label »2007«.
Alles, was vorher noch cool war wie glänzende, teure Range Rover, ist nun Gegenstand des Spottes. Sehen die Isländer jemanden in einem protzigen Geländewagen, sagen sie nur noch abfällig »Ach, der ist ja voll 2007.« Auf einer Satire-Website steht diese fiktive Anzeige: »Zu verkaufen! Goldener Range Rover, einen Monat alt, 200 Meter gefahren. Jetzt zu haben – im Austausch gegen Essen!« (Einige Isländer bekamen kurz nach dem Crash tatsächlich Anrufe von Freunden und Verwandten aus Übersee, die ihnen anboten, Lebensmittel zu schicken.) Bis heute werden mit Autos Haltungen wiedergegeben: In Downtown Reykjavík parkt oft ein alter Pick-up, an dessen Heck der handgemalte Schriftzug »Kreppan«, übersetzt »die Krise«, zu lesen ist. Und ein Porschefahrer besorgte sich das Autokennzeichen »2007«.
Für manche hat die Krise auch etwas Positives. Denn die Isländer besinnen sich wieder stärker auf die Familie. 33-Jährige ziehen kurzfristig bei ihren Eltern ein, weil sie sich die eigene Wohnung nicht mehr leisten können, andere finden auf der Couch des Bruders einen Platz zum Schlafen. Die Isländer verzichten in der ersten Zeit nach dem Crash zwar nicht auf den Besuch in Cafés und Bars, aber sie laden ihre Freunde öfter zu sich nach Hause ein. Manche bauen Gemüse in kleinen Gewächshäusern an, die internationalen Medien berichten viel von den Strickclubs, in denen sich vor allem Frauen treffen, um Pullis, Socken und Handschuhe zu stricken. Das niedliche Island. Und so klischeehaft es klingen mag, es ist tatsächlich so, dass die Isländer in Krisenzeiten zusammenrücken. Sie gehen gemeinsam ins Theater, ins Schwimmbad, Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern – nicht nur die, die arbeitslos geworden sind. Befragungen haben sogar ergeben, dass Kinder seit der Krise glücklicher sind als zuvor. Die Ereignisse machten viele Isländer nachdenklich und erinnerten sie an die wesentlichen Werte. »Wir sind trotz der Krise immer noch ein reiches Land«, sagt Halldór, der Autor von ›Wir sind alle Isländer‹, »denn wir haben eine gute Bildung, unsere Kultur und die Familie.« 2009 verzeichnete die Geburtenrate einen Rekord.
Im selben Jahr gründete Guðjón Már Guðjónsson das »Ministerium der Ideen«, bei dem jeder seine Geschäftsideen vortragen kann und sie mit der Hilfe anderer gemeinsam entwickelt. Der 39-Jährige hatte schon mit 17 seine erste Softwarefirma, war zwischendurch auch mal pleite, ist Mitbegründer und Geschäftsführer einer Telekommunikationsfirma und nutzt seine Erfahrung nun, um auch anderen ein Forum zu bieten. Das Ministerium befindet sich im Hugmyndahús, dem »Haus der Ideen«. In einem alten Fabrikgebäude, wo bis zum Finanzcrash teure Designer-Möbel verkauft wurden, haben jetzt junge Designer, Start-ups und Künstler ihre Büros. Das Hugmyndahús liegt nahe des Hafens und wird von der Universität Reykjavík und der Isländischen Kunstakademie finanziert. Anfangs konnten die Jungunternehmer die Arbeitsfläche umsonst nutzen, nun kostet sie vierzig Euro pro Monat.