Miss Aura und ihre innere Schönheit
Ásthildur Cesil Þórðardóttir kleidet sich eher unscheinbar. Ein türkisblauer Strickpulli, eine dunkle, locker sitzende Hose und dazu Birkenstocks mit Wollsocken. Die 66-Jährige schminkt sich auch nicht aufwändig, ihre Haare sind einfach da. Ásthildur braucht kein besonderes Outfit – schließlich ist sie Miss Aura, die Frau mit der schönsten Aura. Sie lebt am Rande der Hafenstadt Ísafjörður. Ihr Haus liegt an einem Hang, nur unweit der Halle, in der an Ostern das Aldrei-Musikfestival stattfindet. Beim letzten Mal lag der Schnee über einen Meter hoch vor ihrer Tür, da schaute sich Ásthildur das Spektakel lieber live im Internet an. Ansonsten ist die Isländerin aber gerne in der Natur; sie ist die Gärtnerin der Stadt.
Herzlich lächelnd begrüßt sie jeden Gast in ihrem ungewöhnlichen Haus. Zunächst sollte es die Form eines Champignons haben, bei dem der Stiel der Aufzug gewesen wäre und die Kappe der Wohnbereich, so träumte es zumindest ihr Mann Elías eines Nachts in den achtziger Jahren. Doch da sich das in der Umsetzung als schwierig erwies, entwickelte ein Architekt für sie den Champignon ohne Stiel. Der vordere Teil des Hauses ist ein mit Glas überdachter Garten, in dem sich ein kleiner Teich, blühende Rosen und sogar hochgewachsene Bäume befinden. Vom Gartentisch aus, blickt die Familie in den Fjord und auf die gegenüberliegenden Bergketten. Ásthildur und Elías haben vier gemeinsame Kinder (ein weiteres brachte der Mann mit in die Ehe) und zwanzig Enkelkinder. Wann immer man die Familie besucht, turnt mindestens eines davon im Gewächshaus oder auf dem Grundstück herum.
Wie wird man eigentlich zur Miss Aura? Im Frühjahr 2007 las eine Bekannte von Ásthildur in der Zeitung, dass in Ísafjörður ein klassischer Schönheitswettbewerb stattfinden sollte. Das fand sie albern, schließlich könne man gutes Aussehen doch nur schwer bemessen, also dachte sie sich den Wettbewerb der »Ungezähmten Schönheiten« aus. Jeder konnte mitmachen, solange der Person anzusehen war, dass sie schon gelebt hat: durch Falten, eine Glatze, Übergewicht, Cellulite, hängende Brüste, Rückenhaare oder Arbeiterhände. Denn »sie geben Charakter und Sex-Appeal«, war die Ansicht der Jury.
13 Leute beteiligten sich an der Wahl zur »Ungezähmten Schönheit«, am Ende bekam jeder einen Preis. Der eine wurde zu »Mister Postkarte« ernannt, eine andere zu »Miss Persönlichkeit«, und Ásthildur kürte die Jury zu »Miss Aura«.
Der Wettbewerb war ein Spaß für alle Beteiligten und gleichzeitig ein Statement: Erkenne, dass jeder schön und besonders ist. Die 66-Jährige holt ihre Schärpe hervor und legt sie sich stolz um: »Áran 2007« steht dort geschrieben. Und ich verstehe, warum die Isländerin diesen Preis bekam. Die Frau mit den leuchtenden blauen Augen hat wirklich eine bezaubernde Ausstrahlung.
»Jeder kann eine schöne Aura haben«, sagt sie. »Fülle dich mit Licht und Liebe und sag deinem Körper, dass du zu schätzen weißt, wie viele Jahre er dir gut gedient hat.« Manche ihrer Ausführungen erinnern an andere Geisteshaltungen: Denke positiv, schließe deine Augen und lerne, dein Unterbewusstsein zu öffnen. »Egal, ob du daran glaubst oder nicht, nehme auf, was die Erde dir gibt«, findet Ásthildur.
Die spirituelle Isländerin ist offen für nicht erklärliche Dinge. Sie sagt, dass in ihrem Haus nicht nur ihr Mann und die Enkel, sondern auch einige Elfen leben – solche, die plötzlich Sachen verschwinden lassen. Ansonsten seien die verborgenen Wesen ihnen aber wohlgesonnen. Ásthildur weiß, dass manche sie für verrückt halten, doch das stört sie nicht. Und ob man nun an gute Geister und Elfen glaubt oder nicht, am Ende des Tages verlässt man dank der Herzlichkeit der Familie dieses Haus mit einem warmen, wohligen Gefühl.