17
Es war kein Fall. Er zwang sich, die Sache so zu sehen. Es war ein Nichtfall. Er war darangesetzt worden, um dafür zu sorgen, dass es ein Nichtfall blieb. Er war der Schutzwall gegen die Medien. Er war darangesetzt worden, um Gegenbeweise zu sammeln, die die Story im gleichen Augenblick, in dem sie veröffentlicht würde, zu einer Nichtstory machen würden. Und es eilte.
Dennoch fuhr er nach Norrviken im gut zehn Kilometer nördlich von Stockholm gelegenen Vorort Sollentuna. Bald erkannte er das stille, unbewegliche schwarze Wasser. Den mythischen See Ravalen.
Er fuhr seinen metallicgrünen Volvo S-60 auf den Kiesweg vor eine Garage. Weit unten, unterhalb des steil abfallenden, grasbewachsenen Hangs, lag ein Haus. Weil er zum allerersten Mal hier war, konnte er nur vermuten, dass das anspruchslose Haus in der Mitte zwischen dem dicht belaubten Mischwald und dem See das richtige war. Das hügelige kleine Grundstück war nicht mehr als ein Gedankenstrich zwischen dem See und dem Wald. Eine große Veranda erstreckte sich vom Haus zur Seite, parallel zum Ufer, dahinter ragte eine Angelrute über die Bordwand eines Ruderboots hinaus. Unmittelbar am Strand lag ein kleines Häuschen, eindeutig eine Sauna. An einem Nagel in einer Tanne am Waldrand hing ein Ornithologenfernglas. Es war kaum zu glauben, dass er nur fünfzehn Kilometer von der Stockholmer City entfernt war.
Und Sisyphos gleich rollte ein älterer Mann in Hawaiihemd und zu kleinen Shorts einen Handrasenmäher den steilen Grashang hinauf und hinab.
Paul Hjelm ging behutsam Schritt für Schritt abwärts. Er wollte keine Grasflecken auf den Anzug bekommen. Der Mann mit dem Rasenmäher hielt inne und starrte den Anzugmenschen an. Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihn erkannte. Da ließ er den Rasenmäher vor einem Büschel Löwenzahn stehen und ging Hjelm entgegen.
»Ich dachte schon, du wärst einer von diesen schwerstkriminellen Immobilienmaklern«, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. »Die tauchen in der Regel in Hugo-Boss-Anzügen hier auf und unterbreiten einem schamlose Angebote.«
»Hugo Boss kann man nicht tragen«, sagte Paul Hjelm und schüttelte seinem früheren Chef die Hand. »Hugo Boss hat die SS-Uniformen entworfen. Das hier ist Armani.«
»Na so was«, sagte Jan-Olov Hultin. »Maßgeschneidert?«
»Grundström hat mir einen günstigen Schneider empfohlen. Türke.«
»Stellt er Quittungen aus?«
»Tja«, sagte Paul Hjelm zögernd. »Wenn man will.«
»Auf die Weise wirst du vermutlich noch Reichspolizeichef«, lachte Hultin. »Wer hätte das vor einem Jahr gedacht.«
Einen Moment lang standen sie da und sahen einander verlegen an. Als kämen die Worte nur widerwillig.
»Du mähst also den Rasen?«, sagte Hjelm sinnlos.
»Ich bringe es immer noch nicht übers Herz, das Unkraut zu beseitigen«, sagte Hultin. »Löwenzahn ist schön.«
Ein weiterer Moment von Verkrampftheit. Dann sagte Hultin: »Komm, wir setzen uns auf die Veranda. Ich merke doch, dass du was auf dem Herzen hast. Stina hat Kaffee aufgesetzt.«
Sie gingen zum Haus. Es hatte kaum mehr als fünfzig Quadratmeter Grundfläche. Hier hatten die Eheleute Hultin zwei Söhne bekommen und großgezogen, beide waren zu erfolgreichen Geschäftsleuten geworden und kamen nie zu Besuch. Und hier war das Ehepaar geblieben.
Hjelm setzte sich auf den ihm angebotenen Platz auf der Veranda dicht am Ufer. Er blickte hinunter ins Ruderboot und sah eine große Dose, vermutlich mit Regenwürmern. Dann hob er den Blick und ließ die Schönheit auf sich einwirken. Die Sommersonne schien, und das schwarze Wasser funkelte.
Hultin kam mit Kaffee und Zimtschnecken. Er goss ein und bot an. Seine Frau kam mit Lockenwicklern im Haar heraus und begrüßte Hjelm. Sie setzte sich neben ihn.
Hultin sagte: »Mal abwarten, wie lange wir noch hier wohnen können. Noch sind wir beweglich, aber es kommt eine Zeit, wenn wir den Hang hinunterrollen und im Ravalen ertrinken.«
Hjelm lächelte. Die Zeit schien ihm noch recht weit entfernt zu sein. Das pensionierte Paar war ungewöhnlich gut erhalten.
Eine Weile herrschte Schweigen. Zwei Männer, deren Namen einmal für die meistbeachtete Polizeispezialeinheit des Landes gestanden hatten.
Schließlich sagte Hultin: »Ich bin erst ein paar Tage pensioniert. Und du bist schon da.«
Hjelm warf einen schnellen Blick auf Stina. Das reichte.
»Ich bin nicht mehr Polizist«, sagte Hultin. »Alles, was du mir sagen willst, kannst du auch Stina sagen. Sie hat mir über die Jahre viel mehr geholfen, als du glaubst. Schweigepflicht hat es zwischen uns nie gegeben.«
Stina lachte kurz auf. Ihr Blick ruhte weit draußen über dem Wasser. »Die Möwe ist wieder da«, sagte sie.
Eine große Silbermöwe segelte in weiten Kreisen über dem gegenüberliegenden Seeufer.
»Wie ist es bei den Internen?«, fragte Hultin.
»Ganz okay«, sagte Hjelm. »Alles ist extrem professionell. Aber es lässt sich nicht verheimlichen, dass es auch viel unfreier ist. Und ich komme mir verdammt komisch dabei vor, einem Mann Anweisungen zu geben, der noch vor ein paar Jahren versucht hat, meine Entlassung zu bewirken.«
»Du denkst an Mårtensson? Grundströms alten Kollegen?«
»Er nagelt mich ständig mit dem Blick fest. Das beeinträchtigt das Arbeitsklima. Also, wenn du mich fragst, ob ich jetzt glücklicher bin, weiß der Kuckuck. Aber ich habe eine eigene Sekretärin. Und ein klimatisiertes Büro.«
Hultin lachte laut. »Das hatte ich nie«, sagte er. »Weder noch. Und wie geht es mit … dem anderen …?«
»Der Scheidung? Puhh. Ich bin jetzt ausgezogen, nach Messer-Söder. Slipgatan. Es ist ziemlich … abgelegen. Aber lieber das als Eiseskälte.«
»Hättet ihr es nicht wieder hinbiegen können? Cilla und du, ihr machtet den Eindruck, als gehörtet ihr zusammen. Es kommt nicht oft vor, dass man es so deutlich sieht. Es ist für mich genauso unwahrscheinlich, als ob Stina und ich getrennte Wege gingen.«
»Vielleicht«, sagte Hjelm. »Wenn wir nur miteinander hätten reden können. Darum geht es eigentlich. Aber sobald einer von uns etwas sagte, hat der andere draufgehauen. Unfehlbar.«
Hultin schwieg. Er warf seiner Frau einen Blick zu.
»Na dann«, sagte er. »Warum bist du hier?«
Hjelm schwieg eine Weile und schlürfte von dem mörderisch starken Kaffee. Während er ihm durch die Kehle rann und alles wegputzte, was ihm in den Weg kam, sagte Hjelm:
»Was weißt du von Jorge?«
Jan-Olov Hultin betrachtete ihn aufmerksam. Chavez war seine eigene ›Entdeckung‹, das wusste Hjelm. Die anderen in der ursprünglichen A-Gruppe waren das Ergebnis von Tipps von Seiten der Polizeibehörden im Land, Söderstedt aus Västerås, Holm aus Göteborg, Norlander aus Stockholm, Nyberg aus Nacka und Hjelm aus Huddinge.
Aber Jorge Chavez hatte Hultin ganz allein auf irgendeine Weise von Sundsvall heruntergeholt.
»Was ist denn los?«, sagte Hultin.
»Eine anonyme Anzeige von der Art, um die wir uns normalerweise einen Dreck scheren.«
»Und warum macht ihr das nicht auch mit dieser?«
»Wegen einer überzeugenden Drohung, alles zu veröffentlichen, wenn wir der Sache nicht nachgehen. Das ist genau das, wonach sich die Presse jetzt in der Sauregurkenzeit die Finger lecken würde. Sie würde die Sache an die große Glocke hängen. Ich kann es schon vor mir sehen: ›Landesweit bekannter Polizist aus Einwanderermilieu in Drogenskandal verwickelt.‹«
»Drogenskandal?«
Hjelm beugte sich hinunter zu seinem neuen Aktenkoffer, hob das Tonbandgerät heraus und schaltete es ein. Es lief lange.
Als es zu Ende war, sagte Hultin: »Drogentest? Spinnt der?«
»Da geht er zu weit«, nickte Hjelm. »Du und ich, wir haben beide sehr viel und sehr, sehr eng mit Jorge zusammengearbeitet. Ich setze mein Leben darauf, dass er nie unter dem Einfluss von stärkeren Drogen gestanden hat als Columbiakaffee.«
Hultin stöhnte und machte eine Geste zum Tonbandgerät: »Was ist das hier eigentlich? Wer ist der Mann? Was bezweckt er?«
»Mit diesen Fragen habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen«, sagte Hjelm. »Es könnte natürlich ein freier Journalist sein, der da oben in Sundsvall über irgendwas gestolpert ist. Aber warum es dann an uns geben? Vielleicht ein zorniger, rachelüsterner Kollege?«
»Die Stimme sagt etwas anderes«, sagte Stina Hultin plötzlich.
»Wie meinst du das?«, fragte Hjelm überrascht.
»Es liegt kein Hass in der Stimme. Er ist eher informierend. Ruhig und gefasst.«
»Ja«, sagte ihr Mann. »Es ist ein ziemlich sonderbares Gespräch. Spiel es noch einmal ab.«
Hjelm spulte zurück und spielte es noch einmal ab.
»Grundström.«
Eine Männerstimme, die sich ziemlich verzerrt anhörte, sagte: »Sind Sie der Leiter der Abteilung für Interne Ermittlungen?«
»Ja. Worum geht es?«
»Es geht um einen Polizeibeamten, der in schwerwiegende kriminelle Machenschaften verwickelt ist.«
»Wer spricht denn da?«
»Das hat Zeit.«
»Um was für kriminelle Machenschaften geht es?«
»Drogenvergehen«, sagte die dumpfe Stimme.
»Und wer ist der Polizeibeamte?«
Kurze Pause. Dann: »Kriminalinspektor Jorge Chavez von der Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichskriminalpolizei.«
»Aha«, sagte Grundströms Stimme, und sie klang nicht ganz wie sonst. »Und worum genau geht es jetzt?«
»Es liegt einige Jahre zurück«, sagte die dumpfe Stimme.
»Als Chavez bei der Polizei in Sundsvall arbeitete.«
»Und da hat er sich also eines schweren Drogenvergehens schuldig gemacht, Ihnen zufolge. Einem anonymen Anrufer?«
»Wollen Sie zuhören oder nicht?«
»Ich höre zu.«
»Jorge Chavez hat damals viel Musik gemacht. Meistens Jazz, ein bisschen Rock. Zusammen mit einer Gruppe von Musikern betrieb er ein kleines Jazzcafé, eine Art Jazzclub mit Namen Majls. Nach Miles Davis. Dort wurde damals einiges an Drogen konsumiert. Es war eine richtige verdammte Opiumhöhle.«
»In welcher Weise war Chavez beteiligt?«
»Man konnte dort Drogen kaufen. Alles, von Marihuana und Haschisch bis zu Crack und Ecstasy. Hauptsächlich Kokain und Heroin. Ziemlich viel Amphetamin. Mehr Aufputsch- als Abtörnstoff. Das Majls war ein Umschlagplatz für Heroin in Norrland.«
»Aha«, sagte Grundström ruhig. »Noch was?«
Nach einem Moment des Schweigens fuhr die dumpfe Stimme fort: »An Ihrer Stelle würde ich gleich heute einen Drogentest bei Chavez machen. Ich wette, dass er immer noch Drogenmissbrauch betreibt.«
»Okay«, sagte Grundström. »So weit die Anklage. Und jetzt die Beweise.«
»Ich habe keine Beweise, aber ich habe eine Menge Namen von Leuten, die bestätigen können, was ich gesagt habe. Wollen Sie sie haben? Oder werden Sie dieses Gespräch einfach begraben? Wenn in ein paar Tagen nichts passiert ist, rufe ich vom Reichskriminalchef bis zum Justizminister alle an. Von der Presse ganz zu schweigen.«
»Wie bekomme ich die Namen?«, sagte Grundström.
»Ich faxe sie Ihnen im Lauf der nächsten Stunde zu.«
»Okay, gut. Nein, ich werde es nicht begraben. Ich werde untersuchen, ob an Ihren Behauptungen etwas dran ist. Aber es wäre glaubwürdiger, wenn Sie nicht anonym blieben.«
»Wenn es zum Prozess kommt, werde ich in Erscheinung treten. Machen Sie sich darum keine Sorgen.«
»Also im Lauf der nächsten Stunde?«
»Im Lauf der nächsten Stunde.«
Das Trio am Ufer des Ravalen saß schweigend da und betrachtete das Tonbandgerät.
»Schwache Stimmenverzerrung«, sagte Jan-Olov Hultin schließlich. »Dahinter gebildete Stockholmer Stimme eines Mannes in mittleren Jahren. Kommt nicht ins Stottern. Weiß, was er sagen will.«
»›Drogen konsumiert‹«, sagte Stina. »Ist das nicht eine etwas ausgefallene Wortwahl?«
»Nachdenklich«, sagte Hjelm. »Als ob er nicht ›kiffen‹ oder so was sagen wollte. Ich stimme zu: gebildet, zielbewusst. Kein Wort über den Zweck der Übung. Schwer durchschaubar.«
»Telefongespräch und Fax«, sagte Hultin. »Habt ihr die Nummern überprüft?«
»Das Telefongespräch kam von einem öffentlichen Telefon am Hauptbahnhof. Das Fax eine halbe Stunde später aus dem Tele-Laden in der Kungsgata.«
»Also unidentifizierbar. Hast du mit dem Personal in dem Tele-Laden gesprochen?«
»Nur am Telefon. Erinnert sich an nichts. Erzähl jetzt mal von Jorge.«
Hultin schnaubte wütend: »Vor zehn Jahren fragten sie von der Polizeihochschule bei mir an, ob ich vor den Studenten eine Vorlesung über das Reichskrim halten könnte. Ich war damals ein ziemlich routinierter Kriminalkommissar und wusste eine ganze Menge über die Aktivitäten des Reichskrim, nahm also die Einladung an. Ich hielt meinen Vortrag, bekam aber von einem kleinen dunklen Burschen unter den Studenten einiges an Einwänden und schweren Fragen zu hören, unter anderem über die Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei. Der Bursche war gewitzt und schnell im Denken, und ich blieb hinterher noch eine Weile da und unterhielt mich mit ihm. Ich erlaubte mir die Frage, wie er es geschafft habe, aufgenommen zu werden, obwohl er eigentlich zu klein war. ›Ablenkung im richtigen Augenblick‹, antwortete er. Ich nahm mir vor, seine Entwicklung im Auge zu behalten. Er war einer der ersten richtigen Kerle aus Rågsved an der Polizeihochschule. Einwanderer der zweiten Generation. Ich weiß noch, dass ich dachte: Der ist wichtiger, als wir voraussehen können.«
»Und dann landete er in Sundsvall?«
»Das war mein Fehler, fürchte ich. Ich wollte, dass er direkt als Kriminaler anfing. Aber nicht in Stockholm. Er sollte sich in einer halbwegs großen Stadt entwickeln können.«
»Hattest du Kontakt zu ihm, als er da oben war?«
»Ich wollte mich nicht zu stark einmischen. Es war besser, wenn er nicht wusste, dass ich ein Auge auf ihn hatte. Ich fragte dann und wann vorsichtig bei seinem Vorgesetzten nach. Zunächst schien alles in Ordnung zu sein, doch nach einem Jahr begann der Vorgesetzte, sich zu winden und um den heißen Brei herumzureden. Ich hatte kein gutes Gefühl mehr bei der Sache und rief schließlich Jorge selbst an. ›Die Musikszene ist gut‹, sagte er. ›Aber …‹«
»Das schöne alte ›Aber‹.«
»Ja. Es dauerte eine Weile, es aus ihm herauszulocken. Er hatte Anfeindungen auszustehen da oben. Seitens der Kollegen. Schikane noch und noch. Es reichte offenbar vollauf, dass er klein und dunkelhäutig war. Er bekam nur Scheißjobs. ›Aber ich habe ja das Majls‹, sagte er.«
»Den Jazzclub Majls«, sagte Hjelm. »Ein Luftloch zum Atmen.«
»Aber bei den Kollegen nicht besonders geschätzt. Ich meine mich zu erinnern, dass sie einige Razzien durchführten.«
»Drogenrazzien?«
»Ich glaube, ja«, sagte Hultin. »Ergebnislos.«
»Dann ist es wohl tatsächlich ein ehemaliger Kollege. Der sauer darüber ist, wie weit es sein früheres Mobbingopfer gebracht hat.«
»Aber es ist lange her, dass ihr in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten seid. Dich habe ich als Letzten von allen in die A- Gruppe geholt, und du warst der Held von Hallunda; Jorge, den ich als Ersten ausgesucht hatte, wurde der Tantoheld, als er vor undenklichen Zeiten den Machtmörder stellte.«
»Es kann ein alter Hass sein, der jetzt wieder aufflammt, weil Jorge mit einer großen und schönen arischen Frau ein Kind hat. Ist es ein Zufall, dass alles jetzt passiert, wo er im Vaterschaftsurlaub ist?«
»Wohl kaum«, sagte Stina. »Er tut eine Menge Dinge, die ein Einwanderersohn aus Rågsved nicht tun sollte. Vielleicht war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Vaterschaftsurlaub.«
»Dann hätten wir es mit einem faschistischen Polizisten aus Sundsvall zu tun, mit dem es abwärts geht? Auf dem Tonband klingt es nicht so. Sieh dir mal die Liste an, die er uns gefaxt hat, Jan-Olov. Sagt dir einer der Namen etwas?«
Hjelm zog die Faxliste aus dem Aktenkoffer und schob sie Hultin hin. Da kreischte die Silbermöwe auf der anderen Seeseite aus Leibeskräften. Hjelm drehte sich blitzschnell um und stieß dabei gegen die Kaffeetasse, sodass der Kaffee sich über die Liste ergoss. Die Möwe schoss im Sturzflug ins Wasser und schien einen Herzinfarkt erlitten zu haben.
Möwenherzinfarkt.
»Scheiße«, sagte Hjelm. Er stand auf, nahm das Blatt vom Tisch und schüttelte den Kaffee ab. Dann nahm er eine Serviette und presste sie auf das Papier.
»Original?«, fragte Hultin.
»Aus naheliegenden Gründen habe ich keine Kopien«, sagte Hjelm gereizt und sah auf das Papier. Die Buchstaben schienen in Kaffee zu schwimmen, waren aber noch lesbar.
Er setzte sich.
Hultin las.
»Dies sind also acht Personen, die Jorges Schuld bezeugen können?«, sagte er. »Soll man es so sehen?«
»Das behauptet er jedenfalls«, sagte Hjelm und untersuchte seinen Armani-Anzug. Zu seiner Überraschung schien der unbefleckt davongekommen zu sein.
»Scheißmöwe«, sagte er.
»Sag so etwas nicht«, sagte Stina. »Draußen in den Schären sterben die Möwen wie die Fliegen. Niemand weiß, woran. Wir sollten dankbar sein für jede Möwe, die wir zu Gesicht bekommen.«
Hjelm konnte die Dankbarkeit über die Möwe nicht ganz nachvollziehen. Sie hatte sich inzwischen erholt und schwamm wieder friedlich auf dem schwarzen Wasser des Sees.
»Mårdström kenne ich«, sagte Hultin, den Finger auf der Liste. »Der war Jorges Chef bei der Kripo in Sundsvall. Rickard Blomdahl ist inzwischen Kommissar bei der Interpol-Abteilung des Reichskrim. Und ich frage mich, ob nicht auch Bengt Eriksson ein Kollege war. Der Rest sagt mir nichts.«
»Der anonyme Anrufer weist also auf mindestens zwei Polizisten hin«, nickte Hjelm. »Das lässt eher auf eine interne Geschichte schließen.«
»Die Sache wirkt durch und durch faul«, fasste Jan-Olov Hultin zusammen.