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Das Reihenhausgebiet lag verlassen da. Verlassen auf die ursprüngliche Art und Weise. Eine archaische Verlassenheit.

Wie der Tod.

Wenn auch nur aus einem einzigen Blickwinkel.

Nämlich dem von Paul Hjelm.

Er saß in seinem schicken neuen Dienstwagen, einem metallicgrünen Volvo S-60, den bisher niemand in Norsborg kannte, und beobachtete das Geschehen aus der Distanz. Vollständig anonym. Vermutlich waren die Nachbarn zur Stelle, genau wie immer, neugierig durch Lücken und Zäune spähend, aber er sah sie nicht. Und sie sahen ihn nicht. So viel Erkundungsgewohnheit besaß er.

Nein. Die Verlassenheit war in unangenehm hohem Grad eine innere Verlassenheit.

Er hätte natürlich nicht da sein sollen.

Nicht genug damit, dass es seine Arbeitszeit war, nicht genug damit, dass alles bis ins kleinste Detail arrangiert war. Er hatte, um das Maß voll zu machen, mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Dies war nicht mehr seine Welt.

Aber er konnte nicht anders. Es war seine Art, Abschied zu nehmen. Von einer Epoche. Einer Epoche, die im Großen und Ganzen ein Leben umfasste.

Er hatte nicht viele Erinnerungen an sein Leben vor der Zeit, als er hierher gezogen war. Frisch verheiratet und frisch examiniert und mit dem Ziel, eine Familie zu gründen und ein reibungsloses Leben zu führen. Weiter hatte sein Ehrgeiz kaum gereicht. Aber im Großen und Ganzen hatte es wohl funktioniert. Das war es, was er getan hatte. Auch wenn er das Ende der Fahnenstange nicht ganz erreicht hatte.

Er saß schon dort, als der Möbelwagen zwischen die Reihenhäuser rollte und die lärmenden Möbelpacker dem Mittsommeridyll den Garaus machten. Er saß dort, während sie seine Sachen herausschleppten, die allesamt in einen Müllcontainer geworfen werden sollten. Er saß dort, als sie fluchend und verkatert das Klavier hinauswuchteten; durchs Küchenfenster sah er den Papageien – zweifellos der Einzige, der es vermissen würde – erstaunt hinterherschauen. Er saß da, während die Familie, ein Mitglied nach dem anderen, auftauchte, um ein wenig halbherzig aufzupassen, dass nicht die eigenen Sachen im selben Aufwasch beseitigt wurden. Und er saß noch da, als die Türen des Möbelwagens ein letztes Mal zugeklappt wurden und das Gefährt ein wenig ungestüm zwischen den Rasenflächen davonzischte.

Paul Hjelm hatte dort nichts zu suchen.

Danne war da. Er hatte dort etwas zu suchen. Paul Hjelm spürte einen Stich in seinem schon durchstochenen Herzen, als er sah, wie sein Sohn die CD-Sammlung kontrollierte, um sicher zu sein, dass der Vater keine CDs mitgehen ließ, die ihm nicht gehörten. Danne, der schon ausgezogen war, in eine Studentenwohnung am Roslagstull, die ihm nach zweijähriger Wartezeit zugeteilt worden war, während er wechselnde Fächer an der Uni studierte, immer noch darauf wartend, Polizist zu werden. Dummkopf. Auch Danne war hergekommen, wahrscheinlich als Stütze für die Mutter in einer schweren Zeit.

Und ich selbst? dachte er bitter. Brauche ich keine Stütze?

Sein Leben war mittlerweile eine einzige endlose Trennung. Hatte er nicht ein noch größeres Bedürfnis nach Stütze in einer schweren Zeit?

Es war seine eigene Schuld, würden sie antworten – und er müsste ihnen recht geben. Du hast all diese Trennungen selbst herbeigeführt. Du hast dich entschieden, die A-Gruppe zu verlassen, um Chef der Stockholmsektion der Abteilung für Interne Ermittlungen zu werden. Ein Karrieresprung. Du selbst warst es, der sich entschieden hat, Mama zu verlassen und in die Stadt zu ziehen. Du hast nur auf diesen Augenblick gewartet.

Du hast nie richtig in dieses Reihenhausviertel gepasst.

Aber stimmte das wirklich? Wer von ihnen wollte sich scheiden lassen? Wollte sich überhaupt jemand scheiden lassen?

Man kann immer weiterkämpfen, dachte er, während er seiner Tochter Tova zusah, wie sie eine Tüte mit Schmutzwäsche nach der anderen durchwühlte. Tova würde noch zwei Jahre zu Hause wohnen. Hätten sie nicht bis dahin warten können? Er betrachtete sein jüngstes Kind mit Sorge. Erwachsen oder nicht erwachsen, das war hier die Frage. Genau an der Grenze. Was würde eine Scheidung gerade jetzt, in diesem Übergangsstadium, bei ihr auslösen?

Es gab keine Antworten. Vielleicht würde jahrelange Therapie erforderlich sein, um der Folgen Herr zu werden. Vielleicht war es nur gut für sie.

Vielleicht war die lebenslange Paarbeziehung ganz einfach nicht möglich, dachte er bitter und sah Cilla aus dem Haus treten und stehen bleiben. Sie stellte sich in den mäßig gepflegten kleinen Garten. Sie stand nur einfach da und sah den Möbelpackern zu, die etwas bisher ziemlich Abstraktes in etwas sehr Konkretes verwandelten. Eine konkrete Abwesenheit. Sie war viel zu weit weg, als dass er ihren Gesichtsausdruck hätte erkennen können, aber Erleichterung war es nicht, so viel meinte er sehen zu können. Eher eine Art recht kühl zur Kenntnis genommener Schmerz.

Jaha, so wird es sich also anfühlen.

Sie war so schön mit ihrem blonden zerzausten Haar, das von der milden Mittsommersonne beleuchtet wurde, eine kleine, magere Engelsgestalt in seinem – seinem – riesigen alten Morgenmantel. Vermutlich hatte sie Nachtschicht gehabt.

Cilla.

Jetzt brauchte er jedenfalls nicht mehr auf ihre komplizierten Arbeitszeiten Rücksicht zu nehmen, dachte er und war dem Weinen nahe. Dann dachte er: Nun wirf ihn schon fort! Wirf den Morgenmantel in einen Umzugskarton, und steh nackt da. Er gehört mir. Du stehst da und siehst so unschuldig aus, während du höchst aktiv meinen Morgenmantel stiehlst.

War dies hier wirklich richtig? dachte er, als sie sich umwandte und sich langsam wieder ins Reihenhaus zurückzog. War es wirklich notwendig gewesen? Er und Cilla, die gemeinsam so viel Schweres durchlebt und neu angefangen und sich wieder zusammengerauft hatten und wieder aufs richtige Gleis gekommen waren. Und dann dieser Kollaps. Dieser Schiffbruch. Warum?

Macht.

Als die Türen des Möbelwagens ein letztes Mal zugeklappt wurden und das Gefährt ein wenig ungestüm zwischen den Rasenflächen davonzischte, dachte er erneut: Vielleicht ist die lebenslange Paarbeziehung ganz einfach nicht möglich. Vielleicht beruht die Idee der Kleinfamilie auf einer Hierarchie, für die es keine Grundlage mehr gibt. Wir versuchen, in den familiären Mustern einer entschwundenen Zeit zu leben, und statt einer klar geregelten Arbeitsverteilung haben wir einen endlosen, zersetzenden Machtkampf bekommen. Den infizierten Machtkampf der Gleichstellung.

Dass es zwischen uns immer zerrüttet sein muss.

Nur weil wir endlich gleich sind.

Er blickte dem Möbelwagen nach, bis die schwarze Abgaswolke verflogen war. Wenn er heute Abend von der Arbeit nach Hause käme, würde die neue Wohnung nicht mehr scheidungsleer sein. Die alten Sachen würden in chaotischer Unordnung dastehen und ihn an die Vergangenheit erinnern. An die Zeit, als er eine Familie hatte.

Und Chaos würde sein Name sein.

Sein Blick wanderte über den dürftigen Miniaturgarten. Er lag verlassen da. Verlassen auf die ursprüngliche Art und Weise. Eine archaische Verlassenheit.

Wie der Tod.

Er ließ den Motor an, schob die Brille in die Stirn, warf einen Blick auf die Armbanduhr, legte die Aktenmappe auf dem Beifahrersitz zurecht und zupfte den Schlips gerade.

Und dachte: Nein.

Dann fuhr er davon.