19
König Doghamrei versetzte mir einen Schlag ins Gesicht und schrie: »Du lügst, Cramph!«
Königin Thyllis saß vorgebeugt auf ihrem Kristallthron, umgeben von Chail Sheom und Menschenjägern. Sie stützte das Kinn in ihre weiße Hand und betrachtete mich mit ihren schrägen grünen Augen.
»Bagor ti Hemlad!« sagte sie. »Deine Behauptungen sind einfach unglaublich – du kannst gar nicht mehr am Leben sein!«
Ich fühlte mich mitgenommen, das kann ich Ihnen sagen! Dieser ehrenwerte Doghamrei hatte mich betäubt und wollte mich brennend von einem Himmelsschiff stürzen lassen, wie ich bereits geschildert habe, und da war es wohl verständlich, daß Königin Thyllis mir nicht glaubte. Sie war andererseits viel zu schlau, um König Doghamrei zu vertrauen, der offenbar bei ihr nicht gerade in höchster Gunst stand. Er war König von Hirrume, einem mittelgroßen Königreich innerhalb des Hamalischen Reiches, und arbeitete darauf hin, den einflußlosen Mann der Königin loszuwerden, den König, der mit Rees befreundet war; anschließend wollte sich Doghamrei verbessern und durch Heirat seinerseits zum König von Hamal aufsteigen. Ich hatte das Gefühl, daß Thyllis in instinktiver Erfassung dieser Sachlage ihren Mann besonders gut bewachte, um Doghamrei im Zaum zu halten, der seinerseits Freunde hinter sich wußte.
Ich fühlte mich denkbar elend. Ich hing völlig erschöpft im Griff der Wächter, die mich stützen mußten, damit ich nicht in die Knie ging. Der Folterknecht hatte mit seinen Messern noch keinen großen Schaden angerichtet, meine Müdigkeit hatte ihre Ursache in den Entbehrungen und Strapazen, denen ich in letzter Zeit ausgesetzt gewesen war. Ich hatte der Königin offenbart, was Doghamrei mit mir angestellt hatte. Sie wollte mir nicht glauben, war aber andererseits auch nicht von Doghamreis Worten überzeugt und wählte deshalb den Mittelweg, indem sie Naghan Furtway zu sich winkte.
Furtway näherte sich den goldenen Stufen. Die schrägen grünen Augen musterten ihn prüfend, und ehe sie zu sprechen begann, bissen die spitzen weißen Zähne auf eine schimmernde runde Lippe.
»Du behauptest also, Bagor ti Hemlad sei Prinz Majister von Vallia?«
»Ich weiß nichts von Bagor, Majestrix«, erwiderte Furtway. »Aber das hier ist Dray Prescot, das weiß ich mit Sicherheit.«
»Majestrix!« rief Ornol ham Feoste und trat vor. »Dieser Cramph ist Chaadur, der Mörder meiner Frau!«
Die Königin blickte von einem zum anderen und wandte sich schließlich in meine Richtung. »Der Mann, der Bagor ti Hemlad ist und mit dem ich selbst noch eine Rechnung zu begleichen habe, ist also zugleich Chaadur und der Prinz Rast von Vallia, wie?«
Die Situation hätte meine Delia sicher zum Lachen gereizt. Selbst ich erkannte die Ironie der Lage, dabei steckte ich denkbar tief in der Klemme! Die Menschen in dem großen Palastsaal debattierten über einen Mann, der drei Namen hatte – und sie alle erhoben Anspruch auf ihn. Hammabi el Lamma enthielt manches dunkle Geheimnis, doch ich bezweifelte, daß der Palast schon einmal eine solche Farce erlebt hatte!
»Bagor!« rief die Königin. »Möchtest du der Syatra zum Fraße vorgeworfen werden?«
»Nein, Königin.«
»Bist du Chaadur?«
Eine Lüge war so gut wie die andere.
»Nein.«
»Bist du Dray Prescot?«
Ich starrte zu ihr empor. Konnte ich es abstreiten? Ich sah den grünen Schimmer ihrer Augen, die Lippe zwischen ihren Zähnen, die Art und Weise, wie sie mich musterte. Und ich erkannte, daß sie die Antwort bereits wußte. Andere Flüchtlinge aus Vallia mußten nach Hamal gekommen sein. Zum Beispiel Naghan Furtways Neffe Jenbar. Vielleicht auch Nath Larghos, der Trylon der Schwarzen Berge gewesen war. Ich hatte ihm ein Auge ausgeschlagen und ihn womöglich getötet. Andere Angehörige der dritten Partei mußten nach Hamal geflohen sein und waren jetzt vielleicht damit beschäftigt, gegen Vallia zu intrigieren. Sie alle konnten mich identifizieren. Ich war sicher, daß sie es bereits getan hatten – so dachte Königin Thyllis nun mal.
Ich starrte sie an und richtete mich zwischen den Wächtern auf. Sie sah mein Gesicht. Sie zuckte nicht zurück, doch ihre Augenbrauen verkrampften sich wie in plötzlichem Schmerz, und ihre Zähne bissen so kräftig zu, daß an ihrem Mund ein Blutstropfen erschien. Ich muß zugeben, daß mich diese Beobachtung freute.
»Königin Thyllis«, sagte ich, »bei all deiner Raffinesse bist du unbeschreiblich dumm. Vallia hat diese elenden Rasts verstoßen, und jetzt tust du dich mit ihnen zusammen. Es sind Versager, und das gleiche gilt für dich! Dein hamalisches Reich ist zum Untergang verdammt! Vallia wird es zerquetschen wie eine Fliege! Und dich mit ihm.«
Die großen Worte behagten mir gar nicht, und sie kamen mir auch nicht besonders überzeugend über die Lippen. Ich jedenfalls ließ mich davon nicht täuschen.
Wenn Thyllis beleidigt oder erzürnt war, so ließ sie sich nicht das geringste anmerken.
»Du bist also wirklich der Prinz Majister von Vallia?«
»Aye!«
»Und du bildest dir ein, ich würde dich gegen Lösegeld freigeben? Ich würde dem alten Trottel von König eine Riesensumme abverlangen, damit du nach Hause segeln und neue Pläne gegen mich schmieden kannst?«
»Du kannst es ruhig versuchen, vom Herrscher ein Lösegeld zu erpressen. Aber damit würdest du nur deine Zeit verschwenden. Wenn du ein Lösegeld willst ...«
»Aber Dray Prescot! Ich werde kein Lösegeld fordern!«
Tief im Inneren war mir klar, daß sie mich nicht aus den Klauen lassen würde. Ich fragte mich, was der Herrscher von Vallia tun würde, wenn er Königin Thyllis in seiner Gewalt hätte.
Sie warf einem ihrer Jiklos ein Stück Fleisch zu; das Geschöpf hob den Kopf und fing den Brocken in der Luft auf. Das Wesen trug Goldschmuck, aber auch einen breiten Stahlkragen, der an einer Kette hing.
»Soll ich dich an meine Jiklos verfüttern?«
Ich antwortete nicht.
Der Saal hinter mir war voller Höflinge, Soldaten, Wächter und Abgesandter der Länder, die dem Hamalischen Reich verpflichtet waren. Es war ein Anblick barbarischer Schönheit. Die Königin ließ sich in ihrer Entscheidung nicht drängen. Sie gedachte ihre Bur des Triumphes voll zu genießen.
»Würdest du im Jikhorkdun kämpfen?«
Ich war versucht zu antworten: »Gib mir ein Schwert, dann wirst du es sehen!« Doch ich ignorierte sie.
Ihre Leibwache, stämmige Apims in leichten Kettenhemden, hatten zu beiden Seiten des Throns Aufstellung genommen. Der Federschmuck machte diese Männer zu Gecken, doch sie verstanden zu kämpfen. Die Chail Sheom, die nur mit kurzen Sensilfetzen bekleidet waren, boten auf den Thronstufen ein schönes Bild.
»Antworte, Nulsh! Soll ich dich zum Jikhorkdun verurteilen?«
»Mir egal«, sagte ich schließlich. »Was immer du mit mir machst, Hamals Tage sind gezählt!«
»Lügner!« kreischte sie plötzlich los, und ihr blasses Gesicht rötete sich. Ihre grünen Augen blitzten. Sie schlug mit der Faust auf die Armlehne des Throns.
»Du bist ein Dummkopf«, rief ich und verlagerte mein Körpergewicht wieder auf die Arme der Wächter.
»Wir haben Pandahem zerschlagen – und auch deine zusammengestoppelte vallianische Armee! Jetzt brauchen wir nur noch in Jholaix einzufallen, dann gehört ganz Pandahem mir! Mir allein!« Sie atmete heftig. »Und was Vallia angeht – wir werden dieses Land überrennen und den lemverfluchten Fleck vom Angesicht der Welt tilgen!«
»Wenn du dich auf Lem verläßt«, sagte ich, »bist du noch dümmer, als ich angenommen hatte.«
Daraufhin verlor sie fast die Beherrschung. Doch immerhin war sie eine Königin. Sie hatte gute Männer dazu gebracht, sie auf den Thron zu bringen. Rees hatte für sie gekämpft. Sie zwang sich zur Ruhe, lehnte sich zurück, öffnete die Fäuste. Dann lächelte sie. »Ich weiß, was ich mit dir mache, Dray Prescot, Prinz der Cramphs! Aber zunächst sollst du vom Kelch der Erniedrigung kosten, während ich den Kelch des Sieges leere!«
Ich wußte nicht, was sie meinte, doch ich sollte es zwei Tage später erfahren – zwei Tage, die ich in einem winzigen Loch von einer Zelle in den Verliesen des Palasts zubrachte.
Es liegt in der Art des Menschen, seiner Natur zu folgen, auch wenn er sie manchmal zu überwinden versucht – und es entsprach der Natur von Königin Thyllis, ein Biest zu sein. Und es entspricht der Natur des Siegers, sich als solcher zu präsentieren.
Ich wurde ins Freie gezerrt. Man nahm mir die Ketten nicht ab. Ich wurde lediglich gesäubert und erhielt etwas zu essen, so daß ich mich wieder besser fühlte. Man gab mir einen roten Lendenschurz. Man wollte, daß ich bei Kräften blieb und zu schätzen wußte, was um mich herum vorging. Dann führte man mich unter der Last meiner Ketten die schmale, feuchte Treppe hinauf.
Inzwischen ahnte ich, was geschehen sollte.
Ich möchte die Ereignisse dieses Tages nicht in allen Einzelheiten schildern. Es war ein Tag, der Hamals Größe darstellte. Königin Thyllis feierte ihren Triumph. Sie stattete Havil dem Grünen in aller Öffentlichkeit ihren Dank für den Sieg der hamalischen Armeen ab, ehe sie Krone und Szepter des Reiches nahm. Endlich bestieg sie als Herrscherin Hamals den Thron.
Ihr Mann, der König, machte die Feierlichkeiten mit, doch er stand sichtlich in ihrem Schatten, eine bloße Marionette, deren Anwesenheit erforderlich war, um die Krönung wirklich legal zu machen.
Der Triumphzug war lang und prächtig. Er wälzte sich langsam durch die Hauptstraßen und Boulevards von Ruathytu. Ich kannte viele der Menschen, die die Straßen säumten. Überall drängten sich die Neugierigen und brüllten: »Hamal! Hamal! Thyllis! Thyllis!« Und der neue Ruf: »Herrscherin! Herrscherin! Havil schütze Herrscherin Thyllis!«
Staub wirbelte empor, obwohl zahlreiche Sklaven mit Wasserkannen unterwegs waren. Die Sonnen strahlten am Himmel. Flaggen wehten, Trompeten schrillten, Kapellen spielten die berühmten hamalischen Märsche und schritten die Boulevards entlang, wanderten um die Kyros und das Jikhorkdun und die Merezos. Immer länger wurde die Prozession, Tiere wurden vorgezeigt, angekettete Sklaven, die Trophäen der Schlacht, Beutestücke aus den vernichteten pandahemischen Palästen. Regiment um Regiment marschierte durch die Hauptstadt, und trotz meines Zustands erkannte ich, daß viele der Schwadronen brandneu waren und aus jungen Guls bestanden. Wahrscheinlich befanden sich auch Clums in den Reihen, hatte Hamal doch erhebliche Bevölkerungsreserven, sobald man die verachteten Clums in die Armee ließ.
Kavallerie trottete dahin. Ich fragte mich, ob Rees an dem Umzug teilnahm. Ich erkundigte mich bei meinen Wächtern, die mir aber antworteten, sie hätten noch nie von dem Manne gehört. Sie alle waren neu ...
Am Himmel über uns flogen Voller und Flugvögel und bildeten Muster im vermischten Sonnenlicht, ein stolzes Symbol der hamalischen Macht. Der Jubel übertönte alles.
Thyllis war sich selbst treu geblieben und hatte sich in auffallender Einfachheit gekleidet. Ein langes grünes Gewand, überladen mit Edelsteinen, paßte vorzüglich zu diesem großen Augenblick. Sie wirkte königlich – in der Tat wie eine Herrscherin.
Wie großartig sie es verstand, die berüchtigten Königinnen des Schmerzes aus dem alten Loh nachzuahmen! Nein, sie übertraf sie sogar!
Ihre Sänfte schwankte auf dem Rücken eines mächtigen Boloth, der sich langsam auf sechzehn Beinen dahinbewegte. Sie saß vor einem riesigen Federfächer, der sie für alle Zuschauer deutlich sichtbar machte. Der Anblick der barbarischen Pracht, die sie umgab, mußte alle ergreifen – die grausame Herrscherin eines grausamen Reiches, die alles überragende Herrscherin Thyllis!
Nach dem langen Zug mit Beutestücken, Sklaven und Soldaten kam Herrscherin Thyllis in ihrer fantastisch dekorierten Sänfte auf dem mächtigen Boloth. Mit Ausnahme einer Ehrengarde aus Zorcakavalleristen, die den Abschluß bildeten, befand sich der ganze Zug vor ihr – sie bildete den krönenden Abschluß.
Zwischen der letzten Militäreinheit und dem Boloth war ein Zwischenraum gelassen worden. Hier trottete ein einzelner Calsany dahin. Die Zuschauer lachten, als sie das Lasttier erblickten, das niedrigste aller Lasttiere, das mit gesenktem Kopf dahinschlich.
An den Schwanz des Tieres war jener Mann gekettet, den die Hamaler als Prinz Majister ihres verhaßten Feindes Vallia kannten.
Wie sie johlten, als ich vorbeigezerrt wurde, bemüht, auf den Beinen zu bleiben! Jedesmal, wenn der Calsany durch den Lärm der Menge scheute, tat er, was alle Calsanys in der Erregung tun.
Die Cramphs aus Hamal hatten nichts vergessen.
Am Geschirr des Tiers war ein Fahnenstab festgezurrt worden, daran eine rote Flagge mit einem gelben Kreuz.
So nahm ich, Dray Prescot, Prinz Majister von Vallia, am Krönungszug der Herrscherin von Hamal teil; ich stolperte unter meiner geliebten Flagge dahin.
Viel mehr möchte ich über diesen Tag nicht berichten.
Hätten mich Rees, Chido, Nath Tolfeyr, Casmas der Deldy oder ein anderer aus dem Kreis meiner Freunde in Ruathytu gesehen, wie ich kettenbeladen dahinstolperte und mehr als einmal über den Boden geschleift wurde, ehe ich mich wieder aufrappeln konnte – sie hätten mich nicht erkannt, davon war ich überzeugt. Kein Wunder: man sieht einen verdreckten Mann, von dem man weiß, daß er der Prinz Majister von Vallia ist – wie kann man da nur auf den Gedanken kommen, daß er identisch ist mit Hamun ham Farthytu, dem Amak des Paline-Tals? Nein, es bestand keine Gefahr, daß ich erkannt wurde.
Der Tag ging schließlich zu Ende. Thyllis hatte vier Burs im Großen Tempel Havils des Grünen verbracht und sich krönen lassen; in dieser Zeit war ich langsam wieder zu Atem gekommen und hatte eine Schale Brei verzehrt. Als die Zwillingssonne von Antares endlich unterging, wurde ich, noch immer in Ketten, in meine Zelle zurückgeschafft.
Die Düsternis des Verlieses paßte zu meinen Gedanken. Ich hatte während der lächerlichen Parade durch die ruathytischen Straßen keine Scham verspürt. Vielmehr hatte mich Zorn und Entschlossenheit erfüllt. Aber die opazverfluchten Ketten gaben meinen Kräften nicht nach. Ich vermochte sie nicht zu verbiegen oder zu brechen. Was Thyllis als nächstes mit mir vorhatte, würde physisch unangenehm werden. Wahrscheinlich war sie bereits mit der psychologischen Strafe zufrieden, die sie mir zugedacht hatte; zweifellos nahm sie an, daß ich in diesem Augenblick völlig zerschmettert war. Aber Zurschaustellungen nackter Gewalt stoßen mich ab. Da ich meinerseits keine Macht erstrebte, konnte mir so etwas nicht schaden. Thyllis wäre an meiner Stelle vor Scham außer sich gewesen.
Unter der einsamen Fackel erschienen Gestalten, und ich brüllte los.
»Beeilt euch, ihr Rasts! Es ist Zeit zum Abendessen, und ich bin hungrig!«
Aber es waren nicht meine Wächter, die im Licht erschienen.
»Dray Prescot?«
Ich antwortete nicht.
Die verhüllten Gestalten kamen näher: ein halbes Dutzend Männer, die unter weiten Umhängen Rüstungen trugen. Sie hatten die Thraxter blank gezogen. Es handelte sich um Katakis. Klingenschwänze lagen gekrümmt an ihren Köpfen. Blut schimmerte dunkel auf vier Klingen. Vor meinem Verlies hatten vier Wächter Dienst getan.
Ich ignorierte die Katakis und starrte auf den Anführer, einen kraftvollen, arroganten Mann.
Strom Rosil na Morcray, Kataki-Chuktar!
Mit schnellem Blick suchte ich nach seinem Herrn Vad Garnath, der mich als Hamun ham Farthytu kannte.
Dem Kataki-Strom war mein Gesicht unbekannt. Bei unserem letzten Zusammenstoß in Smerdislad hatte ich eine Maske getragen, und er hatte mich für Quarnach Algarond, den Vad des Dudinter-Distrikts, gehalten. Strom Rosil war gewalttätig und gefährlich, eine tödliche Waffe in den Händen skrupelloser Männer, ein Mann, der sich auch gegen seinen Herrn wenden würde, wenn es ihm nützte. Katakis sind Sklavenherren, erfahren im Umgang mit Unterdrückten.
»Du bist der Mann, der Dray Prescot genannt wird?« fragte er noch einmal mit ungeduldiger Stimme. Dabei klopfte er sich mit einer Peitsche gegen den Stiefel.
»Hättest du heute meinen kleinen Ausmarsch beobachtet, brauchtest du diese Frage nicht zu stellen!«
Er atmete zischend ein.
»Ich sehe, daß der Zauberer recht hatte!« Er gab seinen Männern ein Zeichen. »Kettet ihn los!«
Als ich frei war, rieb ich mir die wunden Handgelenke.
»Die Zeit drängt. Wir haben uns mit Bestechung und Mord zu dir vorgekämpft. Beeilung!«
Die Männer führten mich durch Tunnel und Korridore, in denen wir nur die vier Wächter sahen, die ihr Leben hatten lassen müssen. Schließlich erreichten wir das Licht der Monde durch dieselbe Hintertür, durch die mich König Doghamrei mit Ob-Auge geschickt hatte, der mich als lebende Fackel von einem Himmelsschiff stürzen sollte. Ein Voller wartete. Wir stiegen an Bord, und das Flugboot raste los.
»Du erkundigst dich ja gar nicht, warum wir dich retten.«
»Ihr habt sicher eure Gründe.«
Wieder war das Zischen zu vernehmen.
»Ich hatte gerade auf mein Abendbrot gewartet«, fuhr ich fort, um ihn in Fahrt zu halten. »Habt ihr etwas zu essen an Bord?«
Sie förderten einen Weidenkorb zutage, und ich machte mich über Brot, kaltes Voskfleisch und Palines her. Die Männer wußten nicht, was sie von mir halten sollten, eine Einschätzung, die mir nur recht war. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was das alles sollte. Offenbar steckte der Zauberer Phu-si-Yantong dahinter, ein Mann, von dem ich damals noch nicht viel wußte. Er schien mich für eine wichtige Figur bei seinen Wahnsinnsplänen zu halten, die darauf abzielten, Hamal in seine Gewalt zu bekommen und durch mich auch Vallia zu kontrollieren. Vielleicht hielt er mich für den einzigen Mann in Vallia, der nach dem Tod des alten Herrschers das Reich zusammenhalten konnte. Brachte man mich um, hätte er viele Splittergruppen kontrollieren müssen, während er durch mich das Ganze in die Hand bekommen konnte. Wie gesagt, soviel wußte ich schon damals über diesen Zauberer von Loh: er war machtbesessen.
Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf: wenn ich ihn für machtbesessen hielt, weil er Vallia in seine Gewalt bringen wollte, was war ich dann? Allerdings hatte ich nicht den Ehrgeiz, dieses Land zu führen, und ich wünschte Delias Vater ein langes Leben.
»Man erwartet von dir, daß du für deine Rettung gewisse Gegenleistungen erbringst«, sagte der Kataki-Strom mit zischender Stimme. »Wären ich und meine Herren nicht gewesen, hättest du dich morgen auf einen scheußlichen Tod gefaßt machen müssen.«
Ich kaute Voskfleisch, schluckte es hinunter und biß von neuem ab.
»Du verhältst dich ziemlich gelassen. Wenn der Zauberer mit dir fertig ist, wirst du ein anderes Lied singen.«
»Ich bin mein eigener Herr«, sagte ich knapp.
»Ab sofort nicht mehr!«
Sein Schwanz war mit einer Klinge bewehrt. Seine fünf Begleiter waren ähnlich bewaffnet. Ihre Schilde rahmten die Bordwand des Vollers. Ich war nicht gerade in bester Form, weiß Zair, hatte ich doch viel durchgemacht. Trotzdem begann sich der alte Dray Prescot in mir zu regen und all die guten Vorsätze zu unterdrücken, die ich gefaßt hatte. Zu oft war ich herumgeschubst und gefesselt und gefoltert worden – nun ja, die Folterung war über den Anfang nicht hinausgekommen. Jedenfalls war ich denkbar schlecht gelaunt. Die einzige Dankbarkeit, die ich diesen Katakis erweisen wollte, bestand darin, daß ich sie nur umbringen würde, wenn sie mich dazu zwangen.
Über unseren Köpfen schimmerten die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln und die Frau der Schleier. Ihr gemischtes goldenes und rosarotes Licht ließ die Kanten des Vollers verschwimmen und blinkte auf den engen Helmen und den Schwanzklingen der Katakis.
»Ihr habt mich gerettet«, sagte ich. »Dafür danke ich euch. Aber ihr habt mich nicht gerettet, weil ich euch leid tat. Wenn ihr euch mit Königin Thyllis anlegen wollt, so lasse ich mich nicht dazu mißbrauchen.« Meine Worte sollten die Männer überzeugen, daß ich die Pläne des Zauberers nicht genauer kannte.
»Wovon redest du da, Prescot?«
»Ich habe dir gedankt. Jetzt solltet ihr den Voller landen und mich gehen lassen.«
Strom Rosil lachte. Sein Katakischwanz zuckte über seinem Kopf hin und her.
Ruathytu versank unter uns. Die vertrauten Straßen und Kyros verschwanden im rosa Mondlicht.
»Du begleitest uns, um deine Befehle entgegenzunehmen!«
»O nein«, erwiderte ich, beugte mich blitzschnell und entschlossen vor und riß ihm den Thraxter aus der Scheide.
Die Katakis verstehen mit Sklaven umzugehen. Doch in diesem Augenblick hatten sie ihre verdammten Eisenketten nicht bei sich.
Wir kämpften.
Die Schwänze der Katakis sind hervorragende Waffen, doch auch sie haben ihre Nachteile. Gegen meine Klinge kamen sie nicht an; mein Schwert bohrte sich in den Hals des Mannes, der sich vor seinem Anführer auf mich stürzte. Rosil taumelte zurück. Der Voller flog unbeirrbar weiter. Der zweite Mann griff an; ich tauchte unter seinem peitschenden Schwanz hindurch und hieb ihn gleichzeitig durch. Die Spitze wirbelte in die Leere hinaus. Der Kataki schrie auf vor Schmerz. Ich stach ihn durch den Hals; seine Rüstung bot mir keinen anderen Angriffspunkt. Die nächsten beiden fochten eine Zeitlang erbittert, und ich mußte mich höllisch in acht nehmen. Schließlich hackte ich eine weitere Schwanzspitze ab, nahm das Schwert kurz zurück, stieß zu und erledigte ihn von unten. Damit waren noch zwei Gegner übrig – und Rosil, der eine Möglichkeit suchte, mich anzugreifen. Er entriß einem seiner Männer den Thraxter, und unsere Klingen kreuzten sich.
»Du undankbarer Cramph! Belohnst du uns so für die Mühe, die wir mit deiner Befreiung hatten!«
Um ihn noch mehr zu verwirren, sagte ich: »Vermutlich hat Thyllis dich bezahlt, um diese Falle aufzubauen, du Kleesh!«
Er warf mir einen haßerfüllten Blick zu.
Sein Begleiter stürzte sich auf die Kontrollen, woraufhin der Voller in den Sturzflug überging. Bäume huschten vorbei.
»Hinter ihn, du Onker!« bellte Rosil.
Er war ein großartiger Kämpfer und setzte seinen Schwanz geschickt ein. Ich verfehlte die Schwanzspitze und mußte abrupt zur Seite springen und verzweifelt parieren, um einer Katastrophe zu entgehen. Der Voller holperte nun über dem Boden dahin, fegte raschelnd durch ein Kornfeld. Der letzte Mann versuchte seinem Anführer zu gehorchen und hob in tödlichem Stoß den Schwanz zwischen seinen Knien hindurch. Ich ließ meine Klinge nach unten wirbeln, schlug die gefährliche Spitze ab und wandte mich wieder Rosil zu. Der sah sich um. Der Voller kam zur Ruhe. Strom Rosil hatte vier tote Männer um sich, und einen fünften, der entsetzt auf eine blutende Schwanzspitze starrte. Der Kataki-Strom war ein schlauer und findiger Mann und zweifellos sehr mutig. Offenbar hatte Phu-si-Yantong, der Zauberer aus Loh, den Prinz Majister von Vallia sorgfältig studiert; dabei war er aber offenbar nicht darauf gestoßen, daß ich mich wie ein rechter Onker anstellen konnte, wenn es um das Ausführen von Befehlen ging. Er hatte geahnt, daß ich ein Kämpfer bin; doch das wußte Strom Rosil inzwischen auch.
Mit einem hilflosen Schrei sprang er über die Bordwand des Vollers und verschwand in der mondhellen Nacht.
»Dein Tag kommt auch noch, Prinz!« rief er mir zu. »Der Zauberer wird dich schon zurechtstutzen!«
Sein gestutzter Begleiter eilte hinter ihm her.
Der Voller gehörte mir.
Ich warf den Thraxter auf den blutigen Boden und machte mich daran, die Leichen über Bord zu wälzen. Die Waffen behielt ich, hackte den Toten auch noch die Schwanzklingen ab. Dann stellte ich die Kontrollen ein und startete; die Silberkästen taten ihr unheimliches Werk und trugen mich in den hamalischen Himmel.
Ich stellte den Kurs ein.
Entspannt aufatmend und endlich zur Ruhe gekommen, flog ich Pandahem und Vallia entgegen.