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Ich schüttelte Kov Lart von neuem durch.

»Du irrst dich, Onker! Kov Pando hat durchaus eine Armee und Freunde und ein Vermögen. Sieh dich um, sie sind hier, sie umgeben dich mit Stahl! Und wenn König Nemo ihm nur ein Härchen krümmt oder seiner Mutter irgendwie schadet, werde ich ihn am höchsten Turm seines verdammten Palastes aufhängen! Ist das klar?«

Erst als dieser leidenschaftliche Ausbruch vorüber war, machte ich mir Gedanken darüber, was meine Männer von der Szene halten mochten. Immerhin hatten sie einen weiten Weg zurückgelegt. Sie hatten damit gerechnet, hier auf Freunde zu stoßen, auf eine Armee, auf einen gastfreundlichen Kov und Könige, die bereit waren, zusammen mit ihnen in die Schlacht zu ziehen.

Statt dessen war man ihnen mit Katastrophenmeldungen begegnet, mit einer Lage, in der Verrat nicht ausgeschlossen war, und es mochte sich der Gedanke breitmachen, daß ich die Vallianer in voller Kenntnis dieser Situation hergelockt hatte, um womöglich ein ganz anderes Ziel zu erreichen als das ursprünglich besprochene.

Kytun allerdings zögerte nicht.

Er zog seinen Djangir, jenes kurze breite Schwert, das viel über die Djangkrieger aussagt, und schwenkte es über dem Kopf.

»Wir sind zum Kämpfen hier, Dray Prescot. König von Djanduin! Führe uns zum Feind, damit wir ihn zerschlagen!«

Kytun hatte wieder einmal den psychologisch richtigen Augenblick getroffen. Die versammelten Krieger nahmen den Ruf auf, womit der unangenehme Augenblick endete – in einem schimmernden Wald emporgereckter Klingen, in lautem Kriegsgeschrei, mit dem ich aufgefordert wurde, meine Armee zum Feind zu führen.

Ich richtete mich gern nach den Wünschen meiner Soldaten. Und wieder mußte Kov Lart Mosno herhalten: er wurde zum drittenmal durchgeschüttelt.

»Wo versteckt sich Kov Pando?«

»Wenn ich das wüßte, würde ich ihn an den Hacken vor den König zerren lassen!«

»So etwas Dummes wirst du doch nicht wagen, oder?«

Er starrte mir ins Gesicht. »Nein, natürlich nicht.«

Turko der Schildträger, der sich einen halben Schritt schräg hinter mir aufgestellt hatte, trat vor. Er reckte sein hübsches Gesicht vor.

»Du redest den Prinz Majister mit Majister an, verstanden?«

»Majister«, sagte der Kov geknickt. Ich beherrschte mich, um nicht Mitleid mit ihm zu empfinden. »Aus den letzten Berichten der königlichen Kundschafter ging hervor, daß er sich mit den Überresten seiner Armee versteckt hält.« Er schluckte und begann zu husten.

Ich tat, als klopfte ich seine Uniformbrust ab und las spöttisch ein eingebildetes Haar von seiner mit Goldlitze verzierten Schulter. »Laß dir Zeit, Kov. Denke gut nach – und dann erzähl mir alles.«

»Ja, Majister.« Seine Augen blickten seltsam verträumt, und er hatte zu schwitzen begonnen. Vermutlich war er einer Bande von Raufbolden wie der unseren noch nie so nahe gewesen – und der schlimmste von allen war offenbar ich.

»In den Wäldern südlich des Tomorgipfels. Jawohl, Majister. Dort muß er sich verstecken, denn der Feind hat eine Streitmacht losgeschickt, um die Reste der bormarkschen Armee zu vernichten.«

»Soll das heißen, daß dein elender König Nemo Pando und seine Armee hat allein kämpfen lassen?«

»So lautete die politische Entscheidung, Majister.«

Es hatte keinen Sinn, die Diskussion um diesen Punkt auszudehnen. »Wie groß ist die Truppe?«

Er fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Wir schätzen sie auf mindestens zwanzigtausend Mann.«

Ich war erleichtert und besorgt zugleich. Meine Krieger konnten sicher mit einem Gegner fertigwerden, der uns um fünftausend Mann überlegen war – doch immerhin standen uns die eisernen Legionen Hamals gegenüber.

»Wir brauchen einen Führer!« rief ich laut. »Kov Lart von Memberensis kennt das Land und den Aufenthaltsort des Gegners! Er hat sich bereit erklärt, unserer Armee den Weg zu weisen!«

»Aber Majister!« stotterte Kov Lart. »Ich muß zum König zurückkehren und ihm berichten!«

»Oh«, sagte ich. »Er wird schon früh genug erfahren, was hier geschieht.«

Dennoch beauftragte ich einen Boten aus Kov Larts Gefolge, zu König Nemo zurückzukehren. Der König möchte sich mit einer Armee in die Wälder südlich des Tomorgipfels begeben und sich auf einen Kampf gegen hamalische Truppen einrichten. Ich glaubte eigentlich nicht daran, daß Nemo dieser Aufforderung nachkommen würde; und wenn er es tat, mochte es dazu kommen, daß er sich wegen Pando mit uns anlegte, ohne sich um die wahre Kriegslage zu kümmern.

Die hamalische Hauptmacht lag noch weiter im Westen; sie wurde durch eine Armee aufgehalten, die aus den Überresten der Streitkräfte bereits eroberter pandahemischer Länder bestand. Dort lag auch König Nemos Hauptarmee. Wenn wir uns hier an einen Nebenschauplatz des Krieges verschlagen sahen, so entsprach das durchaus unserer Kampfstärke; der Verlust von zwanzigtausend Mann würde die hamalischen Generäle jedenfalls ganz schön in Verlegenheit setzen. Ich dachte an Kov Pereth, den hamalischen Pallan der Nordfront. Er war während meiner Spionagetätigkeit in Hamal auf diesen Posten berufen worden; vielleicht hatten die Intrigen an Königin Thyllis' Hof inzwischen zu seiner Ablösung geführt.

Wir setzten uns in Marsch. Dabei mußten wir in erheblichem Umfang Material mitführen, in erster Linie Kampfmittel. Unsere Vorräte beschränkten sich auf eiserne Rationen, ging ich doch davon aus, daß meine Männer an Ort und Stelle versorgt werden konnten. Die Lastkarren wurden mit Infanteriesoldaten beladen, bis die Achsen knackten. Die geduldigen Quoffas mit ihren langen Gesichtern und zottigen Fellen stemmten sich gelassen ins Geschirr. Unsere Schiffe hatten außerdem ausreichend Kavallerie an Land gesetzt, und was unsere Luftstreitmacht anging, so war ich inzwischen überzeugt, daß sie die beste in ganz Havilfar war.

So zogen wir in südlicher Richtung über die Landstraßen Tomborams. Am dritten Tag wurde das Terrain immer unwirtlicher, und in der Ferne erschien eine Bergkette. Am vierten Tag überquerten wir ein Schlachtfeld, ein schlimmer Anblick – überall Leichen, zerbrochene Waffen, zerspellte Trommeln, zerrissene Banner. Ich sah die blaue Fahne mit dem goldenen Zhantil, wie auch das Purpurgold Hamals. Wer immer hier gekämpft hatte, mußte sich nach der Niederlage überaus schnell zurückgezogen haben, ebenso schnell verfolgt durch die Sieger.

Bis jetzt hatten unsere Flutduinpatrouillen den Gegner noch nicht gesichtet. Ich behielt meine Vollerstreitmacht in der Nähe der Armee und setzte den Marsch fort.

Die Berge bereiteten uns zuerst Schwierigkeiten, doch dann fanden wir ansässige Führer, die uns Schleichpfade durch die Pässe zeigten. Ihr Haß auf Hamal wurde offenbar, sobald sie unsere Banner erblickten und erkannten, daß wir für Tomboram kämpften. Auf der südlichen Seite der Berge verließen wir den letzten Paß unterhalb des Tomorgipfels. Steine klapperten unter den Hufen der Nikvoves, Zorcas und Totrixes und unter den haltbaren Marschstiefeln der Männer. Die Quoffas stapften über die Wege, und die Wagen quietschten und knirschten. Die Männer begannen zu singen.

Vor uns erstreckte sich eine relativ dicht bewaldete Ebene, da und dort von schimmernden Wasserläufen durchzogen. Ein interessantes Terrain für eine Schlacht. Wir setzten den Marsch fort, und die Flutduinpatrouillen brachten zunächst weiterhin negative Berichte, bis plötzlich ein Reiter zurückkehrte und meldete, er habe in der Ferne ein Militärlager entdeckt. Auf mein Geheiß hin war der Mann sofort umgekehrt.

Kurz darauf saß ich im Sattel eines Flutduins und flog in Begleitung Kytuns und einer Eskorte in die Sonne hinauf, machte kehrt und inspizierte das Lager.

Ordentlich angelegt, wie man es bei den Hamalern nicht anders erwarten durfte, mochte die Anlage jene zwanzigtausend Mann beherbergen, die uns angeblich gegenüberstanden. Ich starrte hinab und machte mir im beißenden Wind Notizen; schließlich kehrten wir um und flogen unbemerkt zu unserer Armee zurück.

»Die Burschen schaffen wir, Dray«, sagte Kytun, nahm mit einer Hand seinen Flughelm ab, löste mit der zweiten seine Lederschnüre, griff mit der dritten nach einem Weinkelch und holte sich mit der vierten einen Klappstuhl heran.

»Jawohl, Kytun. Aber wir müssen umsichtig vorgehen.«

»Sie haben Voller.«

»Aber nicht so viele, wie ich erwartet hatte. Offenbar sind Kundschafter unterwegs; wir müssen also ständig eine Patrouille in der Luft halten. Aber vergiß nicht, daß es sich um eine Flankeneinheit der Hauptarmee handelt, die zur Zeit Pandos Armee fertigmacht.« Ich seufzte. »Der arme Pando! Er hätte die Hand eines Vaters dringend nötig gehabt ...«

Pando, der junge Teufelsbraten, mochte inzwischen fast erwachsen sein. Ich fragte mich, ob er mich wohl wiedererkennen würde. Ich nahm es eigentlich an, aber im Grunde wußte man das nie. Was seine Mutter anging, Tilda die Hübsche ... sie würde sich erinnern – wenn sie nüchtern war.

An diesem Abend aßen wir sehr kleine Rationen, denn das Gebirge hatte nicht viel an Nahrung hergegeben. Draußen auf der Ebene gab es Wild und Früchte, dort war unsere Lage besser. Wir marschierten in der Nacht weiter, in einem gleichmäßigen Tempo, das ich vorgegeben hatte.

Ich war ziemlich sicher, daß wir unbemerkt blieben. Kurz bevor die Sonnen von Scorpio aufstiegen, erreichten wir ein ausgedehntes Waldgebiet, das nach Meldung unserer Kundschafter von Feinden frei war. Zwischen den Bäumen schlugen wir unser Lager auf. Lagerfeuer wurden angezündet – doch unter strenger Aufsicht. Hikdars mußten dafür sorgen, daß kein verräterischer Rauch zwischen den Baumkronen aufstieg.

Ich ruhte mich eine Zeitlang aus und ritt schließlich auf dem Rücken von Schneeweiß durch die Gassen zwischen den Bäumen zum Südrand des Waldes. Dort verhielt ich lange Zeit und starrte über das Land. Noch ein Nachtmarsch, überlegte ich, dann waren wir zum Angriff bereit.

Der nächste Tag verging ohne besondere Zwischenfälle. Die Männer kümmerten sich um ihre Waffen, Tiere und Voller. Die Ruhe war täuschend. Morgen früh, bei Anbruch der Dämmerung, würden wir uns in eine Horde tobender Ungeheuer verwandeln, deren einziges Bestreben es war, die Gegner zu töten, damit sie nicht getötet wurden. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf, wobei vor meinem inneren Auge natürlich immer wieder das Bild Delias auftauchte. Sie kam an erster Stelle; alles andere war zweitrangig.

Am Abend ließen wir alle überflüssigen Gegenstände im Lager zwischen den Bäumen zurück. Zum Kampf gegürtet und gerüstet, gefolgt von Karren voller Speere und Pfeile, so traten wir unter die kregischen Monde hinaus.

Das rosa Mondlicht wies uns den Weg. Stumm marschierten wir dahin. Keine einzige Waffe klirrte, kein Mann sagte etwas. Wir richteten uns nach den Sternen; Jiktars achteten darauf, daß wir nicht vom Weg abkamen. Unser Tempo war so berechnet, daß wir mit der Morgendämmerung am Ziel eintreffen mußten.

Kytun ritt auf seiner Zorca neben mir. Er beugte sich herüber, und seine Flüsterstimme klang deutlich durch die Nacht.

»Wir sind zu spät dran, Dray! Die Zwillinge sind bereits aufgegangen!«

»Der Boden ist hier weicher. Da kommt die Infanterie nicht so schnell voran.«

Wie um zu bestätigen, daß wir in der Tat Probleme zu erwarten hatten, schwebte in diesem Augenblick ein Fluttcleppermelder herbei. Mit laut raschelndem Gefieder landete der Vogel. Der Mann sprang zu Boden und hastete eilig herbei. Sein Gesicht starrte besorgt zu mir empor.

»Nun, Chang von den Flügeln?«

»Man hat uns ausgemacht, König! Ein Voller – ein sehr schnelles Exemplar – ist soeben in raschem Flug abgebogen. Die Männer müssen uns gesehen haben. Wir konnten leider nichts dagegen tun.«

»Vielen Dank, Chang.«

Meine Gedanken überschlugen sich. Während wir unseren Marsch durch die mondhelle Landschaft fortsetzten, gelang es mir schließlich, mich zu sammeln und logisch zu denken. Mir behagte es gar nicht, ein befestigtes Lager angreifen zu müssen, in dem sich außerdem eine Übermacht verschanzt hatte. Wenn man uns wirklich entdeckt und unsere Kampfstärke abgeschätzt hatte, ließen sich die selbstbewußten Hamaler vielleicht dazu verleiten, uns entgegenzumarschieren. Normalerweise hätten wir unsere Kraft gegen eine Seitenfront des Lagers eingesetzt, gegen einen an diesem Punkt zahlenmäßig unterlegenen Gegner. Marschierte jedoch die ganze hamalische Abteilung auf, nahm sie vielleicht die alte Flügelformation ein, um uns zu umzingeln und aufzureiben. Vielleicht war unsere Entdeckung doch nicht so katastrophal, wie ich im ersten Moment angenommen hatte.

An diesem scheinbar paradoxen Gedanken können Sie ermessen, wie sehr ich mich auf meine tausend Bogenschützen aus Loh und auf meine fünfhundert valkanischen Bogenschützen verließ.

So marschierten wir denn weiter, ohne daß ich den Befehl gab, das Tempo zu erhöhen. Die aufgehenden Sonnen würden uns von hinten flach über die Schultern scheinen. Ich knurrte Kytun zu, er solle weiterreiten, und zog Schneeweiß nach links, um einen Kontrollritt nach hinten zu unternehmen.

Diese kleine Armee entsprach nicht meinem Idealbild einer Armee, das ich eines Tages auf Kregen verwirklichen wollte. Aber es waren ordentliche Soldaten, ein ziemlich gemischter Haufen. Da waren die Bogenschützen, die Chuliks, die Pachaks, eine Gruppe Rapas und eine Gruppe Fristles. Ich sah das Kavalleriekorps, die Zorcareiter, die Kundschaftertätigkeit verrichteten, und die massigeren Krieger auf ihren Nikvoves für die Attacke auf breiter Front. Ich hörte das Knirschen der Geschirre und das heftige Atmen der Männer und Tiere.

Das Ende der Kolonne bildeten die Lastkarren mit der Munition für die Varters. Die Schleudern selbst wurden von jeweils vier Totrixes gezogen, und ihre Zahl war im Grunde zu gering für eine gut ausgerüstete Armee. Aber ich mußte mit dem Material auskommen, das ich hatte. Die Varters würden ihr Werk tun, wenn die Zeit gekommen war.

Als der Tag begann und sich die Ebene mit dem Feuer von Antares füllte, als das Grün des Grases und der Bäume aufleuchtete und der Himmel seine Verfärbungen durchspielte, ließ ich die Armee halten und eine Zeitlang ausruhen. Jetzt war der Augenblick für die letzten Vorbereitungen gekommen: das Lockern des Rapiers in der Scheide, das Zurechtrücken der Main-Gauche. Das Breitschwert sicher befestigt, der Griff sauber und trocken. Das Zurechtsetzen des Helms fest auf dem Kopf, so daß der Rand die Sicht nicht behinderte. Der Brustpanzer nicht zu fest geschnürt, damit sich die Arme frei bewegen ließen. Und im Falle der Kämpfer, die mit dem verabscheuten Gerät versehen waren: der Schild zur Hand und sicher im Griff. Und ein letzter Blick fiel auf die Stiefel, die fest sitzen, und deren genagelte Sohlen sauber und griffig sein mußten.

Als sich die Männer zu erheben und zu recken begannen und ihre vorgesehenen Positionen einnahmen, ritt Turko der Schildträger zu mir herüber. Das Licht wurde von Mur zu Mur kräftiger, und unsere Zwillingsschatten verkürzten sich.

»Du reitest Sturmwolke, Dray?«

»Später vielleicht. Im Anfang muß ich wohl hier und dort sein, so daß ich Schneeweiß für besser geeignet halte.«

»Ich sage Xarmon Bescheid.« Xarmon war der Reitknecht, den ich mitgebracht hatte, ein Xuntal wie Balass der Falke, ein Mann, der Zorcas und Nikvoves liebte. Er mochte sogar Totrixes, was wirklich ein Zeichen für seine Liebe zu den Reittieren Kregens war.

Ich wollte nicht auf einem Flutduin aufsteigen, obwohl eine Beobachtung aus der Luft gewisse Vorteile gehabt hätte, doch durfte ich die Möglichkeit einer direkten Befehlserteilung nicht aus der Hand geben; außerdem wollte ich der kämpfenden Truppe keinen der wichtigen Reitvögel entziehen. Die Luft roch frisch und süß, ein leichter Wind kam auf.

Es heißt, daß sich eine Schlacht im Grunde nicht von der anderen unterscheidet, was sicher stimmt, wenn man mitten in der Kolonne steht und der Kampf ein Durcheinander des Zustechens, Zuhauens, Zurückweichens und Vorrückens ist. Für mich aber war jeder Kampf etwas anderes, besaß jeder Einsatz ein eigenes individuelles Element. Dieser Kampf, der später die Schlacht am Tomorgipfel genannt werden sollte, stand im Zeichen der Erkenntnis meiner Valkanier, wie gut sich der Schild bei einem Kampf dieser Art einsetzen läßt.

Die Zahl unserer Schildträger war allerdings noch gering; wir mußten uns fast völlig auf die Pachaks verlassen. Sie waren auf die ersten Reihen verteilt, finstere, kampfstarke Krieger, die zu den loyalsten aller kregischen Söldner gehörten. Sie hielten die Schilde mit den beiden linken Händen, während ihre rechte Hand Thraxter oder Speere umklammerte, ihre Schwanzhand, die erwartungsvoll hierhin und dorthin zuckte oder tückisch zwischen den Beinen hervorschoß, hielt eine Stahlklinge. Die Bogenschützen bildeten ihre Angriffskeile. Die Rapier-und-Dolch-Kämpfer stellten sich auf, bereit zum Vorstürmen, sobald sich die ersten Lücken in den Reihen des Gegners zeigten, bereit, ihre breiten Schwerter zu benutzen, bis die kräftigen Holzgriffe brachen.

Über uns bewegten sich die fliegenden Patrouillen. Dort oben waren die ersten wichtigen Manöver bereits im Gange. Ich hob den Kopf. Dann blickte ich zu den Flanken hinüber, wo die Zorca- und Nikvove-Kavallerie mit aufgestellten Lanzen auf den Befehl zur Attacke wartete. Wir trugen das Blau Pandahems: blaue Hemden und Tuniken, die von vallianischen Näherinnen in aller Eile für uns gefertigt worden waren. Darunter trugen wir lederne valkanische Hosen und Stiefel oder weite Lendenschurze mit breiten Gürteln.

Die Hamaler stellten sich auf. Sie erwarteten uns.

Sie boten einen eindrucksvollen Anblick. Ich beobachtete ihre Manöver, sah zu, wie sich die Reihen formierten, versuchte mir daraus ein Urteil über Kampfkraft und Moral zu bilden. Über uns kam es zu den ersten Zusammenstößen der Flugboote. Der Luftkampf wogte hin und her; jede Partei versuchte über die Armee des Gegners durchzubrechen und ihre Pfeile auf die Bodensoldaten hinabregnen zu lassen. Und jede Seite war bestrebt, die Wogen der kreischenden Luftsoldaten zurückzutreiben.

In einem ersten Pfeilhagel kamen nun auch die Armeen in Berührung. Armbrustbolzen erhoben sich wie Wolken aus den Reihen des Feindes, woraufhin unsere Pfeile nicht lange auf sich warten ließen. Die Übermacht des Feindes verhinderte, daß wir den Angriff allein durch intensiven Beschuß aufhalten konnten, wie es uns bei den Canops gelungen war. Allerdings vermochten wir unsere Kurz- und Langbögen häufiger abzuschießen als die Hamaler ihre Armbrüste, was die zahlenmäßige Unterlegenheit etwas ausglich.

Ich hatte jeden Aspekt überprüft. Es war uns gelungen, den Luftraum über uns freizuhalten. Die Kavallerie wartete auf den Angriffsbefehl. Im Sattel von Schneeweiß sitzend, nahm ich in der Mitte Aufstellung. Turko blieb an meiner Seite und hielt den Schild bereit. Sein hervorragendes Khamorrotraining ermöglichte es ihm, einen heranrasenden Speer oder Pfeil auszumachen und mit einer beiläufig wirkenden Bewegung des Schildes aufzufangen. Folglich konnte ich mich auf den Kampf konzentrieren, anstatt laufend nach solchen Gefahren Ausschau halten zu müssen.

Kytun hatte ein kleines Wunder vollbracht. Unsere Soldaten vermochten gelassen und methodisch zu schießen. Als es schließlich zum Nahkampf kam, hielten die Schildwälle der Hamaler unserem Ansturm zunächst stand, doch die Langbögen rissen bald Lücken in die Reihen, die sich zwar von hinten schlossen, die aber sofort wieder geöffnet wurden. Pachaks und Chuliks griffen energisch in den Kampf ein; es dürstete sie nicht nur danach, den vereinbarten Lohn zu verdienen; ihnen winkte auch der Lohn des Ruhms, der ersehnte Titel eines Paktun. Die Armeen stießen in der Mitte aufeinander, und ich sah, daß die hamalischen Flügel ihr Umzingelungsmanöver einleiteten.

»Hanitch! Hanitch!« brüllten die Gegner. »Hanitch! Hamal!«

Mein Blick fiel auf ein Regiment, dessen Standarten größer aussahen als die der anderen, dessen Farben Purpur und Gold waren – offenbar handelte es sich um ein persönliches Regiment von Königin Thyllis.

Meine Männer ließen das Kriegsgeschrei natürlich nicht unbeantwortet, und während die meisten daran dachten, sich für »Bormark!« oder »Tomboram!« einzusetzen, gab es genügend, die wie gewohnt »Valka! Valka!« und »Dray Prescot!« brüllten.

Im nächsten Augenblick entdeckte ich Tom ti Vulheim, der auf dem Rücken seiner Zorca vor die Linien ritt und mit der Hand einen Befehl gab. Seine Männer verschossen ihre Pfeile in perfekten Salven. Das gegnerische Regiment wich zurück. Natürlich traf gleich darauf auch bei uns ein tödlicher Armbrustschauer ein, doch als die Armeen im lautstarken Nahkampf aneinandergerieten, erkannte ich zu meiner Freude, daß die überlegene Schußgeschwindigkeit und die größere Reichweite der Langbögen Wirkung zu zeigen begannen.

Tausende von Füßen wirbelten Staub auf. Thraxter und Schilde knallten mit Breitschwertern und Speeren zusammen. Meine Rapiersoldaten kämpften wie Leem; sie stürmten vor und wichen zurück, sie waren nicht zu packen und nutzten die Lücken, die durch die Bogenschützen geöffnet wurden. Der Kampf wogte hin und her. Ich überschaute das Schlachtfeld, wobei mir jedes Detail klar vor Augen stand, während das Ganze zugleich ein verwischter Eindruck von Bewegung war. Der Höhepunkt stand bevor, bald mußte ich meine Entscheidung treffen. Ging ich zu hastig vor, kam es zur Katastrophe; wartete ich zu lange, mußte ich mit demselben Ergebnis rechnen.

Der Lärm wurde immer lauter. Eine Horde Mirvols raste über die Schlacht dahin, die Reiter versuchten von oben in den Kampf einzugreifen, verfolgt von einer wilden Flutduin-Schar, deren Reiter gnadenlos schossen. Männer stürzten blutend in die Tiefe. Der Kampflärm dehnte sich zu einem durchdringenden, langangezogenen Brausen. Und noch immer rückten die Flügeltruppen der Hamaler in Position; sie hielten sich zurück, sie warteten den richtigen Augenblick ab, um uns in die Zange zu nehmen.

»Xarmon«, sagte ich. »Jetzt möchte ich auf Sturmwolke umsteigen.«

»Hier, Majister.«

Ich sprang zu Boden, tätschelte Schneeweiß den schlanken Hals und ergriff die Zügel Sturmwolkes. Er war ein herrliches Tier – keine Vove, kein feuriges rotbraunes Reittier der Großen Ebenen von Segesthes, ganz Hörner und Klauen und Reißzähne und kräftiges Herz, das sich nur dem Tod ergab. Nein, Sturmwolke war ein schimmernder schwarzer Nikvove, ein Halbvove, kleiner und ohne Krallen und Hörner. Allerdings besaß er die acht Beine und das treue Herz des Vove – eines Königs wahrhaft würdig.

Als ich mich in den Sattel geschwungen hatte, rief ich einen meiner Adjutanten zu mir, die sich ständig in meiner Nähe bereithielten. Es handelte sich um den jungen Elten Nath Bryant, den Sohn eines Trylon aus Vallia. »An Chuktar Erling«, sagte ich. »Mit besten Empfehlungen. Er soll seinen Vormarsch jetzt beginnen. Richte ihm aus, Opaz möge mit ihm und seinen Männern reiten.«

Elten Nath Bryant, der seinen Posten aus reiner Abenteuerlust übernommen hatte, schlug sich die rechte Faust vor den Brustpanzer und rief mit ziemlich schriller Stimme: »Sofort, mein Prinz!« Im nächsten Augenblick preschte er auf dem Rücken seiner Zorca los, als hätte man einen Pfeil abgeschossen. Die Schwadronen auf der linken Seite würden im entscheidenden Augenblick unter Chuktar Erling mit dem Angriff beginnen.

Turko war ebenfalls auf einen Nikvove umgestiegen und hielt sich in meiner Nähe. Das gleiche galt für den Standartenträger, der meine Position im Schlachtfeld sichtbar machte. Wie schon erwähnt, war meine alte rotgelbe Fahne in Esser Rarioch geblieben; heute kämpfte ich unter einer willkürlich zusammengestellten Mischung aus Blau, Grün und Rot mit Goldquasten, ein deutlich sichtbarer Fixpunkt im Kampf. Ein zweiter Mann, ein Hikdar, trug die bormarksche Flagge.

Xarmon reichte mir die schimmernde goldene Maske, die ich unter den Helmrand hob und damit meine Züge unkenntlich machte. Die Maske mochte mich vor einem Pfeil schützen, doch ihre wesentliche Aufgabe war es, mich für meine Männer erkennbar zu machen. Eine Nebenfunktion, die mir sehr wichtig war, bestand darin, mein Gesicht vor jenen zu verbergen, die mich nicht kannten.

»Wir reiten in den Sieg! Opaz ist bei uns!« rief ich, als alle Vorbereitungen getroffen waren.

»Aye«, sagte Turko nicht ohne Ironie. »Und du bleibst in der Nähe des Schildes. Ich habe ein Versprechen gegeben.«

Ich brauchte nicht erst zu fragen, wer sich das Versprechen hatte geben lassen.

Wir wandten uns nach rechts. Die dort postierten Abteilungen unserer Nikvove-Kavallerie sahen mich kommen und stimmten ein lautes Jubelgeschrei an. Ich deutete auf die feindliche Kavallerie, an der Stelle, wo sie gegen die Infanterieflanke stieß, die gegen unsere rechte Rapa-Flanke vorgehen wollte. Obwohl der Feind offenbar die Absicht hatte, uns von rechts her aufzurollen, rückte die Kavallerie seines linken Flügels weiter gegen uns vor. Entweder hatte der befehlshabende General der Hamaler keine Übersicht oder er war ein Dummkopf oder er lebte nicht mehr. Die beiden ersten Möglichkeiten kamen mir unwahrscheinlich vor – so daß sich meine Laune noch mehr verbesserte.

»Vorwärts!« brüllte ich. »Folgt mir!«

Die Lanzen wurden gefällt, und die Tiere preschten los.

In einer gewaltigen Lawine aus Fleisch und Blut und Stahl drangen wir in die gegnerischen Reihen. Zwei Regimenter hamalischer Kavallerie – Zorcas, ein wahres Verbrechen! – stellten sich uns in den Weg, doch wir überrannten sie, ich muß schon sagen: wie ein heißes Messer durch Butter dringt. Die armen Zorcas wichen vor unserem dröhnenden Galopp zurück, wurden zur Seite gewirbelt wie Holzspäne, die einer Kreissäge weichen müssen. Unsere Attacke wurde mit solcher Gewalt vorgetragen, daß wir die Zorcareiter geradezu hinwegspülten.

Hinter diesen unglücklichen Kämpfern versuchten drei Totrix-Regimenter Widerstand zu leisten. Eine Zeitlang vermochten sie uns aufzuhalten, und es gab ein wildes Gehaue und Gesteche, doch dann brach der Widerstand zusammen, und wir dröhnten unaufhaltsam weiter. Dabei ritten wir lediglich auf Nikvoves!

Nun kam das komplizierte Manöver eines Richtungswechsels in vollem Galopp. Der Winkel war nicht besonders groß, eine leichte Schwenkung nach links, doch die Aktion klappte vorzüglich. Wir trafen die hamalische Infanterie an ihrer linken Flanke und begannen sie unaufhaltsam aufzurollen.

Dieser Augenblick war der Wendepunkt des Kampfes.

Der Zeitpunkt war richtig gewählt. Eine frühere Attacke hätte uns den Armbrustpfeilen der intakten Infanterieformation ausgesetzt – eine Aussicht, die jeden Kavalleristen erschaudern ließ. Ein verzögerter Angriff hätte durchaus zu spät kommen können. Unser linker Flügel war ebenfalls erfolgreich vorgegangen, und jetzt – erst jetzt – war die Zeit unserer Zorcareiter gekommen, die Fliehende verfolgten, verhinderten, daß sich die Infanteriereihen neu formierten, die jedem Hamaler auf den Fersen blieben.

Der Rest des Tages diente der Versorgung von Verwundeten und der Beerdigung von Gefallenen. Wir hatten viele Männer verloren, gute Kämpfer, während die hamalische Streitmacht nahezu völlig aufgerieben worden war.

Die Gefangenen wurden in Palisadeneinfriedungen getrieben, die wir aus den Überresten des gegnerischen Lagers errichten ließen.

Anschließend sorgte ich dafür, daß die Leistungen meiner Kämpfer gebührend gewürdigt wurden, wußte ich doch, was uns gelungen war. Wir waren nun umso mehr eine zusammengeschweißte Kampftruppe, bereit, uns mit unseren neuen Freunden aus Pandahem zu vereinigen und erneut gegen die Hamaler vorzugehen.

Am Nachmittag kam ein Chuktar zu mir. »Mein Prinz!« rief er und nahm den leicht lädierten Helm ab.

Ich blickte von dem Tisch auf, der mit Listen übersät war. »Chuktar Erling! Es freut mich, dich am Leben zu sehen!«

»Mein Prinz! Ich habe einen jungen Frechdachs gefunden, der behauptet, du willst ihn sprechen, ein dünner, hagerer Jüngling mit einer betrunkenen Frau ...«

Er brauchte gar nicht weiterzusprechen – ich wußte Bescheid. Seufzend stand ich auf und erwartete Pando, den Kov von Bormark, und seine Mutter Tilda mit den Vielen Schleiern.