11
Klickend verschwand mein Rapier wieder in der Scheide.
»Wenn du noch lauter brüllst, Rees, du Fambly, weiß sofort das ganze Lager, daß wir geflohen sind!«
»Bei Krun!« wiederholte der Trylon Rees vom Goldenen Winde und sah sich um. »Seit unserer Zeit in Ruathytu hast du dich wirklich verändert, bei Opaz!«
»Und du auch, Rees, mein Freund. Hat Opaz endlich von dir Besitz ergriffen? Was ist aus Havil dem Grünen geworden?«
»Dies ist nicht der richtige Augenblick für theologische Diskussionen! Bei Hanitcha dem Sorgenbringer, wir wollen von hier verschwinden!«
Damit hatte ich rechnen müssen. Der Plan, der sich sofort in meinem Kopf gebildet hatte, sah vor, daß ich mir ein paar unbeobachtete Murs verschaffte – dabei hätte ich wissen müssen, daß Rees, der großartige Numim, der zugleich mein Freund und mein Feind war, entschlossen handeln wollte. Er war nicht der Typ, der unnötig an einem Ort verweilte, wenn es darum ging, die Flucht zu ergreifen.
»Ich freue mich riesig, dich hier zu sehen, Rees, bei Krun! Ich hatte keine Ahnung, daß du bei dieser Armee warst.«
»Und ich hatte keine Ahnung, daß du hier gekämpft hast, alter Knabe. Wohin willst du?«
»Ich hole Waffen und etwas anzuziehen.« Ich hatte bemerkt, daß er eine zerfetzte Uniform trug. In der Hand hielt er den Stein, mit dem er den Chulik bewußtlos geschlagen hatte. »Warte hier, rühre dich nicht von der Stelle!«
»Bleib nicht zu lange. Die Burschen hier sind verdammt wachsam.«
»O ja«, sagte ich. »Die Rasts aus Tomboram sind gute Kämpfer.«
»Tomboram? Die Burschen kommen aus Vallia!«
Womit bewiesen war, daß mein hübscher Plan nicht funktioniert hatte.
Trotzdem konnte ich es nicht zulassen, daß mein Freund Rees einfach umgebracht wurde. Er und ich hatten im Heiligen Viertel von Ruathytu so manches Abenteuer erlebt, während ich als Spion in Hamal weilte: gemeinsam mit Chido hatten wir zahlreiche Wirtshausraufereien ausgefochten und so manche Nacht durchgezecht. Er glaubte offensichtlich, ich sei wie er gefangengenommen worden und geflohen. Das wollte ich kurzentschlossen ausnutzen, denn ich hatte in Hamal noch einiges zu erledigen.
Sie können sich vorstellen, wie schnell ich in diesem Augenblick durch das Lager eilte.
»Tom!« sagte ich ihm ins Ohr, und er war sofort hellwach. »Ich verschwinde nach Hamal. Bitte keine Fragen! Du wirst mit Kytun dafür sorgen, daß unsere Pläne hier verwirklicht werden. Ich verlasse mich ganz auf euch. Wenn es mit dem König von Tomboram Schwierigkeiten gibt – egal welche –, zieht ihr euch zurück. Benutzt die Transportschiffe und die Voller und bringt die Männer in Sicherheit. Keine Fragen! Verständige Kytun. Sag ihm, ich vertraue euch beiden die Armee an, und wenn ihr euch zu sehr streitet, schlage ich euch hinterher mit den Köpfen zusammen.«
»Aber Dray ...«
Doch ich war bereits verschwunden.
In mein Zelt zurückgekehrt, raffte ich hastig ein sauberes blaues Hemd und ein Lendentuch für Rees zusammen. Ich griff nach einem Rapier und einer Main-Gauche und hielt inne. Am Zelteingang wandte ich mich noch einmal um, griff nach dem Langschwert und eilte ins Mondlicht hinaus, so schnell mich meine Beine trugen.
Ich erblickte Rees im Schatten des Zeltes. Als ich bereits in seiner Nähe war, trat ein Chulikwächter ins Mondlicht hinaus, hob grüßend seinen Speer vor die Brust und begann zu rufen: »Alles in Ordnung.« Bestimmt wollte er anfügen: »Mein Prinz!«
Ich sprang auf ihn zu, packte ihn am Hals und zischte: »Halt den Mund! Bleib still stehen!« Dann versetzte ich ihm unter dem Rand seines Helms einen leichten Schlag gegen die Schläfe. »Laß dich fallen und bleib liegen, mein Freund!«
Er sank zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Rees richtete sich auf und pfiff leise durch die Zähne. »Du hast wenig Ähnlichkeit mit jenem Amak Hamun, den ich vor den Rapas aus dem brennenden Gebäude gerettet habe, bei Krun!«
»Hier ist etwas anzuziehen, hier hast du Waffen. Jetzt wollen wir uns einen Voller suchen.«
Rees starrte auf das Langschwert. »Die Eisenstange da – ist das womöglich eine Waffe?«
»Ich fand das Ding in einem Zelt und dachte mir, daß es uns noch nützlich sein kann.«
»Man müßte ganz hübsch damit zuschlagen können.«
»Möglich. Die Klinge gefällt mir.«
Rees schüttelte seine mächtige goldene Mähne. »Keine Ähnlichkeit mehr«, wiederholte er.
Vorsichtig schlichen wir uns davon.
»Du irrst dich, Rees. Ich bin der alte Hamun ham Farthytu, Amak des Paline-Tals. Doch inzwischen habe ich eine Schlacht erlebt und sehe die Dinge mit anderen Augen.«
Wir erreichten die Reihen der Voller. Jetzt mußte ich größte Vorsicht walten lassen und mich mehr vorsehen, als sogar Rees ahnte. Ich hatte nicht die Absicht, einen meiner eigenen Leute zu töten, auch wenn es um einen wichtigen Plan ging. Rees dagegen hätte sich gefreut, einen verhaßten Vallianer zu den Eisgletschern Sicces zu schicken.
Als wir uns einem Voller näherten und finster zu einem Wächter hinüberstarrten, kam mir ein Gedanke. »Ist Chido vielleicht auch hier?« fragte ich.
»Was hältst du von mir, mein Freund! Glaubst du, ich würde mich davonschleichen und den guten alten Chido in der Gefangenschaft zurücklassen? Nein, er wurde nicht erwischt, Dank sei Opaz!«
Mir fiel auf, mit welcher Selbstverständlichkeit er den Namen Opaz im Munde führte, was doch seltsam war für einen Hamaler, der theoretisch der Staatsreligion Havils des Grünen verschrieben war. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich freue mich, daß er in Sicherheit ist.« Und das war nicht gelogen.
Wie kann man nur befreundet sein mit Männern, die eigentlich Feinde sein sollten? Ein Rätsel und keine geringe Qual.
Jedenfalls gelang es uns, einen Voller zu stehlen – allerdings kein besonders gutes Modell, worüber ich erleichtert war. Wir vermochten den Wächtern aus dem Weg zu gehen und das Flugboot zu starten. So sehr es mich einerseits freute, einen Kampf vermieden zu haben, so sehr ärgerte ich mich andererseits, daß meine Wächter den Diebstahl nicht bemerkt hatten. Die Wachkommandanten würden bei meiner Rückkehr einiges zu hören bekommen, das Versprechen gab ich mir.
An dieser Stelle möchte ich meinem Bericht kurz vorgreifen und zur näheren Erläuterung der Vorgänge anmerken, daß Tom Tomor nach meinem plötzlichen Verschwinden aus dem Bett gesprungen und ins Freie geeilt war, wo er meinen Angriff auf den Chulikwächter beobachtet hatte. Der Chulik hatte ihm meine Worte mitgeteilt. Tom schaltete sofort und gab Anweisung, keine ernsthafte Verfolgung einzuleiten. Er verstand mein Verhalten insoweit, als er einen besonderen Plan vermutete, so verrückt er auch sein mochte. Schließlich waren es meine valkanischen Kommandeure gewohnt, unter einem unberechenbaren Strom zu dienen ...
In übertriebenem Stolz war ich zu dem Schluß gekommen, daß ich Rees mit einer nur vorgetäuschten Flucht nicht hinters Licht führen konnte. In gewisser Weise war das sicher richtig, doch meine ich heute, daß Rees und ich nicht so leicht davongekommen wären, wenn Tom nicht seine Vorkehrungen getroffen hätte.
Während des Fluges durch die kregische Nacht berichtete mir Rees, was er seit unserem letzten Zusammensein, da er bettlägerig gewesen war, erlebt hatte. Er sprach von seiner Tochter Saffi, dem herrlichen Löwenmädchen, und die Dankesworte für ihre Rettung kamen knurrig über seine Lippen – doch sie waren ernst gemeint und kamen von Herzen. Das Mädchen war in Begleitung von Dr. Larghos dem Nadelstecher und Jiktar Horan nach Ruathytu zurückgekehrt. Offenbar hatte sie ihrem Vater jede Einzelheit des Kampfes im Voller beschrieben.{*}
Rees blickte nach hinten und meinte kopfschüttelnd: »Die Yethes aus Vallia verfolgen uns nicht. So fest können die doch gar nicht schlafen!« Dann wandte er mir sein breites Löwengesicht zu. »Hamun, alter Knabe, ich schulde dir soviel, soviel, daß ich es dir niemals zurückzahlen kann, aber ...«
»O doch, du kannst mir alles zurückzahlen, Rees.«
»Wie denn?«
»Gib mir das Versprechen, daß du mir deine Hand in Freundschaft reichst.«
»Aber natürlich! Wenn dem nicht so ist, soll Hanitcha mir tausend Sorgen bringen!«
»In Freundschaft, Rees, egal, was noch passiert.«
»Bei Krun! Dieses Versprechen gebe ich mit Freuden.«
Würde sein Versprechen, das Gefühl der Dankbarkeit für das Leben seiner geliebten Tochter zu Buche schlagen, wenn er entdeckte, daß ich in Wirklichkeit ein verhaßter Feind war, ein Vallianer, und noch dazu der verdammte Prinz Majister jener Cramphs aus Vallia?
Auf diese Frage wußte ich keine Antwort.
In diesem Augenblick empfand ich eine große Dankbarkeit gegenüber Rees, der mich von meinem Verwaltungskram fortgezerrt hatte – so faszinierend das Regieren auch war – und mich nun neuen Abenteuern entgegenführte!
Was Rees über die Schlacht am Tomorgipfel zu sagen hatte, interessierte mich natürlich, doch er sprach sichtlich ungern darüber. Das war mir in gewisser Weise ein Trost, brauchte ich doch nur etwas davon zu murmeln, daß ich mit einem Voller im letzten Augenblick zur Truppe gestoßen war, ohne wirklich zu wissen, ob sich Rees hier aufhielt, beflügelt von dem Wunsch, nun doch zu seinem Regiment zu stoßen. Dabei sei ich dann von der Wende der Schlacht überrascht worden. An der folgenden Frage führte kein Weg vorbei: »Und wie ist es dem Regiment ergangen?«
Daraufhin ballte er die Fäuste. Schuldbewußt und niedergeschlagen sah er mich an, eine Geste, die mich schmerzte.
»Du hast mehr als einmal Bemerkungen über meine schönen Zorcas gemacht! Mein schönes Regiment! Wir sind in Formation angetreten, die Lanzen gefällt, alles in bester Ordnung – o Hamun, das Regiment sah wirklich großartig aus!«
Ich sagte nichts, sondern beschäftigte mich überflüssigerweise mit den Vollerkontrollen. Schließlich sprach Rees mit leiser, schwerer Stimme weiter; offenbar durchlitt er jede Schreckenssekunde noch einmal.
»Wir nahmen Aufstellung, bereit zum Angriff. Die Infanterie griff an. Wir gewannen an Tempo und riefen: ›Hanitch! Hanitch! Hamal!‹, wie es früher üblich war. Im nächsten Moment stürmte eine Horde von Verrückten auf irgendwelchen Tieren herbei – ich glaube, es waren Nikvoves. Meine schönen Zorcas!«
Er sprach nicht weiter. Seine Stimme versagte.
»Aber die Totrixregimenter wurden ebenfalls zerschlagen.«
»Aye. Heute war ein trauriger Tag für uns. Was wird die Königin dazu sagen ...?«
»Willst du das Regiment neu aufstellen?«
»Noch einmal?«
»Der Krieg ist noch nicht zu Ende.«
»Aye, alter Knabe, der verdammte Krieg geht weiter. Und die Königin wird sich bestimmt nicht freuen. Wir haben einen ernsten Rückschlag erlitten. Und ich glaube nicht, daß der Deldy-Vorrat in ihren Schatztruhen unerschöpflich ist.«
Der Gedanke gefiel mir, und ich hakte nach: »Meinst du, sie würde sich mit ihren Gegnern vielleicht einigen? Ich meine damit nicht die Bitte um Frieden, sondern eine Art Waffenstillstand, während man sich arrangiert?«
»Nachdem sich nun die Rasts aus Vallia eingemischt haben, läßt sie vielleicht mit sich handeln. Sie fürchtet Vallia, obwohl es sich um einen elenden Haufen handelt, zu dumm, um eigene Voller zu bauen.« – Bei Vox! Er hatte recht!
»Hast du«, fuhr Rees mit wachsender Erregung fort, »im übrigen den Wahnsinnigen gesehen, der die Attacke angeführt hat? Ein großer Bursche, breitschultrig wie du! Vor seinem Gesicht hing eine schimmernde goldene Maske. Er stürmte an der Spitze der Nikvovekavallerie heran wie Hanitcha persönlich!«
»Nein, den habe ich nicht gesehen«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
Ich war besorgt. Die goldene Maske war als Spielzeug gedacht gewesen, als Symbol, an dem mich meine Männer erkennen sollten. Nun hatte sie dazu geführt, daß Rees mein Gesicht nicht hatte erkennen können. Wenn mich nun aber ein anderes Detail verriet, eine typische Bewegung, eine Angewohnheit, die ich trotz aller Bemühungen nicht abzulegen vermochte? Der gesunde Menschenverstand sagte mir, daß Trylon Rees sicher nicht auf den Gedanken kam, seinen umständlichen Freund Hamun mit der mächtigen Person des Prinz Majister von Vallia in einen Topf zu werfen, obwohl Hamun in letzter Zeit in Rees' Augen sehr viel dazugelernt hatte.
»Dray Prescot heißt der Bursche«, unterbrach Rees meine Gedanken. »Prinz Majister von Vallia. Den Kerl hätte ich gern mal vor dem Rapier!«
Ich hustete und bewegte ungewollt die Kontrollen. Das Flugboot ruckelte und beschrieb einen Bogen. »Was soll das?« fragte Rees und versuchte sein Gleichgewicht wiederzugewinnen.
»Ein Schatten, dort unter den Monden ... Jetzt ist er fort.«
Er starrte hinab, vermochte aber nichts zu erkennen. »Wir müßten bald auf die Überreste der Armee stoßen.«
»Würdest du den Vallianern für ihren heutigen Sieg das Jikai geben?«
Er sah mich an, als wären mir plötzlich Teufelshörnchen auf der Stirn gewachsen. »Das Jikai! Den Nulshes aus Vallia! Hast du den Verstand verloren?«
»Sie haben uns in fairem Kampf besiegt.«
Das mußte er erst schlucken. Langsam fuhr er sich mit der Hand durch seine goldene Haarmähne. Der Gedanke gefiel ihm wenig. Ich hakte nach: »Wenn die Vallianer unserer Hauptarmee nachsetzen, haben sie vielleicht eine neue Chance. Kov Pereth ...«
Zum Glück unterbrach mich Rees in diesem Augenblick und verhinderte damit, daß ich meinen Mangel an Wissen über die neuen Entwicklungen in Hamal preisgab.
»Ja! Die Königin ließ Kov Pereth in ein Verlies ihres Hanitch werfen! Jetzt ist der idiotische Kov Hangol Pallan der Armeen des Nordens. Ich kenne den Typ! Ein Versager, doch er weiß der Königin Honig um den Mund zu schmieren! Havil soll ihn strafen!«
»Wenn sie so weitermacht, hat sie bald keine Kovs mehr.«
»Scherze ruhig, Hamun – aber in deinen Worten liegt eine traurige Wahrheit.«
»Vielleicht wendet sie sich dann den Trylons zu – vielleicht auch einem gewissen Trylon vom Goldenen Winde.«
»Sie weiß, daß ich niemals vor ihr schöngetan habe, was ein wirklich gefährliches Verhalten war. Im Grunde bin ich ein Dummkopf. Nein, alter Freund, ich glaube, wir kennen uns inzwischen gut genug, daß ich dir folgendes verraten kann: der König selbst mißbilligt das Tun seiner Frau. Natürlich ist er machtlos, aber vielleicht ändert sich das eines Tages – wer weiß ...?«
»Der König?« fragte ich überrascht. »Aber der ist doch bloß eine Marionette!«
»Gewiß – heute ist das so. Wenn sich der Krieg aber in die Länge zieht, kann das Bild morgen schon ganz anders aussehen.«
Wie Sie sich vorstellen können, fielen solche Bemerkungen bei mir auf fruchtbaren Boden. Natürlich würde die Entwicklung nicht so glattgehen. Königin Thyllis saß inzwischen fest auf ihrem Thron – sie und die opazverfluchten Menschenjäger, die es sich auf den goldenen Thronstufen bequem gemacht hatten. Ihr Mann, der König, war ein Niemand. Bei der Beseitigung der Königin durfte man von diesem Mann keine Hilfe erwarten. Bei der erstbesten Gelegenheit, beispielsweise anläßlich eines großen Sieges, wollte Königin Thyllis einen Triumphzug abhalten lassen und sich offiziell zur Herrscherin von Hamal krönen. Sie war rücksichtslos und machtbesessen. Wahrscheinlich hätte sie den Herrscher von Vallia und seinen Schwiegersohn mit genau denselben Worten beschrieben. Rees deutete über die Holzreling des Flugbootes.
»Da sind sie ja! Wir müssen sofort landen, damit man uns nicht erst beschießt!«
Ich ließ das Flugboot herumschwingen und stellte die Kontrollhebel auf schnellen Senkflug. Im Innern des Schiffes drehten sich die Sturmholzringe und ließen die Silberkästen umeinander rotieren, deren Kräfte das Flugboot antrieben. Wir stürzten in die Tiefe. Meine Pläne in Hamal drehten sich noch immer um Flugboote und Silberkästen, doch diesmal wollte ich mich durch die elende Farce um Dreck und Luft nicht abhalten lassen. Nein, bei Zair! Diesmal war ich mit Kenntnissen bewaffnet, und ich war zuversichtlich, daß sie mir durch direkten Zugriff der Herren der Sterne oder der Savanti zugänglich gemacht worden waren.
Die Hilfe dieser Wesen war wie ein Schluck Wasser in der Owlarh-Wüste – eine unverhoffte Gnade.
Doch diesmal glaubte ich nicht, daß ich einer Fata Morgana erlegen war.
Wir landeten und waren sofort von aufgebrachten Hamalern umgeben, Soldaten, die eine Schlacht verloren hatten und die mit dieser Erfahrung noch nicht fertiggeworden waren. Die Einheiten waren durcheinandergeraten, doch die Disziplin war im großen und ganzen gut. Wir wurden sofort zu dem Chuktar geleitet, der nach dem Tod des Generals das Kommando übernommen hatte.
Die Truppenreste waren auf dem Weg in den Nordwesten, um zu Kov Hangol zu stoßen, dem neuen Oberbefehlshaber. Unser Bericht erregte kaum Aufsehen, obwohl wir offenbar die beiden einzigen waren, die aus hamalischer Gefangenschaft entkommen waren. Hätte es andere gegeben, hätte ich meinen Männern später einiges erzählen müssen.
Chido sagte mir, er habe Rees bereits für tot gehalten. Mich starrte er an, als wäre ich ein Gespenst. Die Augen fielen ihm förmlich aus dem Kopf, so sehr hatte sich sein dümmliches Gesicht in eine Grimasse der Freude und Fröhlichkeit verzogen.
»Chido, du alter Schurke!« sagte ich. »Wie froh ich bin, dich wohlauf zu sehen!«
Wir verbrachten zwei unangenehme Tage bei der niedergeschlagenen Truppe. Dann traf ein Kurier ein mit dem Befehl für Rees, zusammen mit seinen verbliebenen Offizieren nach Ruathytu zurückzukehren. Ich begleitete ihn, aus der Ahnung heraus, daß Rees in diesem Augenblick jeden Freund gebrauchen konnte. Mit Rees wurden andere Offiziere zurückgerufen, die an der verlorenen Schlacht beteiligt gewesen waren. Die Soldaten sollten zur Hauptarmee stoßen und dort auf andere Regimenter verteilt werden. Die Flankenarmee war ausgelöscht worden.
Während des Rückflugs wurde kaum ein Wort gewechselt. Die Hamaler erinnerten mich an Schiffsmaate, die einem Rüffel ihres Ersten Offiziers entgegensahen – nur daß es in diesem Fall um ihr Leben gehen mochte.
Ich kann Ihnen eines versichern – es ist eine schmerzhafte und ernüchternde Erfahrung, Männer zu beobachten, die sich vorbereiten, einem ungerechten Schicksal entgegenzugehen – in dem Bewußtsein, daß man selbst die Hauptursache, der Verantwortliche für ihr Leiden ist.
Zugleich begleitete mich die Erinnerung an das dampfende Blut, das auf dem Schlachtfeld am Tomorgipfel so überreichlich vergossen worden war. Ich hatte beobachtet, wie Männer durchstochen wurden, wie sich Gliedmaßen von Körpern trennten, ich hatte Zorcas qualvoll aufschreien hören, ich hatte ganze Regimenter untergehen sehen. Jetzt fragte ich mich, wieviel von dieser Wirklichkeit die bösartige Königin in ihrem Herzen begriff. Was sie in ihrem üblen Jikhorkdun zu sehen bekam, war ein fader Abklatsch der Wirklichkeit des Schlachtfeldes.
Wie viele Offiziere würden in der Arena enden und für das sadistische Vergnügen der Menge und der bösen Herrscherin sterben müssen?
Und war ich selbst außer Gefahr? Ich hatte in Hamal drei Namen getragen, durch die ich identifiziert werden konnte, sauber oder schmutzig, bärtig oder glattrasiert: Chaadur, Bagor ti Hemlad. Amak Hamun Farthytu.
Nun, im Augenblick war ich Hamun und verspürte nicht den Wunsch, mich wieder in Bagor ti Hemlad zu verwandeln, der den Zorn von Königin Thyllis erregt und eine Zeitlang in ihren Klauen gezappelt hatte. König Doghamrei hatte Bagor umbringen wollen, indem er ihn als brennende Fackel auf das Deck einer vallianischen Galleone stürzen ließ.{*}
Was Chaadur anging, so wurde fälschlicherweise von ihm behauptet, er habe die Kovneva Esme umgebracht, während er jene verabscheuungswürdige Frau in Wirklichkeit nur mit Silberketten gefesselt hatte, mit denen zuvor ihre Mädchen »verziert« gewesen waren. Ihr Mann, der Kov, hatte Chaadur nachgesetzt, der als Gul in der Vollerfabrik von Sumbakir gearbeitet hatte, welche unter der Leitung Ornol ham Feostes, des Kov von Apulad, stand. In Ruathytu war ich Ornol ham Feoste bisher noch nicht über den Weg gelaufen, denn Sumbakir war ein gutes Stück von der Hauptstadt entfernt; dennoch hatte ich immer die Augen offengehalten, denn dieser Mann hätte Chaadur sofort wiedererkannt.{*}
Ruathytu hatte sich im Grunde wenig verändert; der Krieg hatte die düstere Atmosphäre der Stadt womöglich noch verstärkt und eine gewisse Lethargie in den Alltag getragen, die mich deprimierte. Vom Voller-Landeplatz nördlich des Havilthytus-Flusses wurden wir in einer Zorcaprozession abgeholt. Die Königin gestattete nur den wichtigsten Persönlichkeiten und Boten, auf ihrer Palastinsel zu landen, auf der sich Hammabi el Lamma in dräuender Größe erhob und seine Türmchen und Dächer in den Himmel reckte. Der gesamte Norden Ruathytus, den wir durchquerten, bestand aus trostlosen Kasernen. Am Fluß stiegen wir in Ruderboote um und wurden zur Insel hinübergebracht. Dabei fiel mir auf, daß die Zahl der Diffs in der Stadt erheblich zugenommen hatte. Offensichtlich verwendete die Königin das Geld ihres Landes für die Anwerbung von Söldnern. Um mithalten zu können, mußte der Herrscher von Vallia vermutlich tief in die Tasche greifen.
Nach einem Minimum an Formalitäten wurden wir in den Palast geführt und nahmen im Saal des Notor Zan Aufstellung. Hierbei handelte es sich nicht um den eindrucksvollen Audienzraum, in dem ich Königin Thyllis bisher erlebt hatte – auf einem riesigen Kristallthron sitzend, umgeben von Chail Sheom und Menschenjägern aus Faol. In jenem Saal gab es auch eine Öffnung im Marmorboden, unter der eine Syatra wucherte, eine gefährliche menschenfressende Pflanze.
Mir wurde schnell klar, daß Königin Thyllis nicht die Absicht hatte, ihre Offiziere der Syatra zum Fraße vorzuwerfen.
Der Saal des Notor Zan öffnete sich vor uns. Der riesige Raum war in Schwarz gehalten. Im Verhältnis zur Breite und Länge des Saals war die Decke nicht sehr hoch. Schwarze Tücher verhüllten die Wände. Samphronöllampen spendeten ein klares, ruhiges Licht. Fenster gab es nicht. Am entgegengesetzten Ende saß die Königin auf einem schwarzen Basalthron – das dramatische Bild einer zornigen Herrscherin. Chail Sheom waren nicht zu sehen; dafür hielten drei Menschenjäger auf den schimmernden schwarzen Stufen Wache. Weihrauch verströmte seinen übelkeiterregenden Geruch.
Gardisten der Königin hatten links und rechts vom Thron Aufstellung genommen. Hofmarschälle und Kammerherren, in düsteres Schwarz gekleidet, scharwenzelten herum und waren bestrebt, die Audienz zu beginnen.
Und Königin Thyllis? Sie saß aufrecht und ein wenig vorgebeugt auf dem Thron und war ebenfalls schwarz gekleidet. Ihr Gesicht schimmerte bleich, ihre grünen Augen waren wie Diamanten, die es mit dem Feuer von Genodras aufnehmen konnten. Ihr roter Mund war eng zusammengepreßt.
Fürwahr, sie wußte, wie man Eindruck macht, Königin Thyllis, oberste Herrscherin von Hamal.
Ich muß zugeben, daß ich die Wirkung der Inszenierung zu schätzen wußte. Als hamalischer Offizier, der eine Schlacht verloren hatte, wäre mir wahrscheinlich ebenso zumute gewesen wie den armen Teufeln ringsum.
Gleich darauf ergriff ein Hofmarschall das Wort; er schwenkte ein Blatt Papier in der Hand.
»Wenn ein Name aufgerufen wird, tritt der Betreffende vor. Die Königin wird die Anschuldigung gegen jeden einzelnen vornehmen und das Urteil sprechen. Wer nicht schuldig gesprochen ist, kehrt hierher zurück und stellt sich rechts von der Tür auf.«
Namen wurden aufgerufen. Männer traten vor. Zumeist handelte es sich um Jiktars und Hikdars, die Regimenter und Pastangs befehligt hatten. Von den ersten zehn wurde nur einer freigesprochen und durfte sich rechts von der Tür hinstellen. Sieben wurden in das Jikhorkdun verbannt und einer zum Hängen verurteilt. Der letzte wurde an Ort und Stelle bei lebendigem Leibe den Jiklos zum Fraß vorgeworfen. Sein Blut schimmerte häßlich auf dem schwarzen Marmor vor dem Thron.
Jetzt erst kam mir der Gedanke, daß mein Name ja nicht auf der vorbereiteten Liste stehen konnte. Ich hatte nicht zu ihrer Armee gehört und konnte also nicht verzeichnet sein. Mit der Zeit würden alle vor den Thron gerufen werden, woraufhin ich allein zurückblieb!
Dann führte sicher kein Weg daran vorbei, daß die böse Königin in Hamun ham Farthytu, dem Amak des Paline-Tals, den wilden Leem Bagor ti Hemlad wiedererkannte, der sie gerettet, sich dann aber geweigert hatte, ihren Launen zu willfahren, und der eines schönen Tages einfach aus ihrem düsteren Palast verschwunden war.
Wie sie lächeln würde, wenn sie mich wieder in ihren Klauen hatte! Was war ich doch für ein leichtsinniger, gedankenloser Onker!