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»Wir sind ganz und gar nicht zufrieden mit dir, Schwiegersohn!«
Der Herrscher schien sich seit unserer letzten Begegnung kaum verändert zu haben; er war ein großer, kräftiger Mann. Er stand aufrecht da und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Er trug einen gut geschnittenen vallianischen Tunikamantel und Reithosen, und an seinem Hut schimmerten bunte Federn. Er war mit Rapier und linkshändigem Dolch bewaffnet, und ein golddurchwirktes Cape schimmerte vornehm auf seiner linken Schulter. Die Falten zwischen seinen Augen waren allerdings tiefer geworden, und sein Gesicht war von einer Blässe, die seine Tochter Delia offenbar bestürzte, was mich wiederum schmerzlich berührte.
An unserem Ende von Vorgars Drinnik stand das Erste Regiment Valkanischer Langbogenschützen. Es bot einen herrlichen Anblick. Männer wie diese, das muß ich offen zugeben, liegen mir mehr als die geschmückten Nichtsnutze, die den Herrscher begleiteten – all die Pallans und Höflinge, die Edelleute und hohen Koters.
Ich ging auf die Herausforderung des Herrschers nicht direkt ein. Seine Macht hatte in den letzten Jahren wieder zugenommen – was aber nur möglich gewesen war, weil ich und meine Kameraden ihn während des berühmten Kampfes bei den Drachenknochen gerettet hatten.
Ruhig sagte ich: »Ich halte es für richtig, daß das erste vallianische Regiment dieser Art durch seinen Herrscher geehrt wird.«
»Was das angeht, Dray Prescot, so stimme ich dir zu. Doch ich meinte wichtigere Dinge.«
Die Zorcas bewegten sich in der nachlassenden Hitze des Spätnachmittags. Bald würden die Sonnen untergehen. Dann konnten wir den Großen Saal von Esser Rarioch aufsuchen, um zu sehen, was für ein Bankett meine Bediensteten für den Herrscher aufzutischen vermochten.
»Darauf hast du nichts zu erwidern?« faßte der Herrscher nach.
»Ich weiß, daß du dich mit Männern umgeben hast, die deiner nicht würdig sind.«
Diese Bemerkung verletzte ihn; dabei hatte ich durchaus nicht vergessen, daß dieser Mann der vallianische Herrscher war, der mächtigste Mann im Lande. Er konnte meine Hinrichtung anordnen. Das hatte er sogar schon einmal getan – ein Befehl, der aber nicht zur Durchführung gelangt war. Sollte er noch einmal befehlen, daß mir der Kopf abgeschlagen werden sollte, war er sofort von einer undurchlässigen Mauer aus valkanischem Stahl umgeben – Waffen, die mich nicht etwa beschützten, sondern ihn bedrohten.
»Du hast mich überredet, eine große Gruppe Männer und Flugboote nach Havilfar zu schicken, Schwiegersohn. Es gab einen großen Kampf. Aber was war das Ergebnis? Wo liegt unser Vorteil? Du hattest versprochen, uns Voller zu bringen, Dray Prescot. Wo sind sie?«
»Du redest nicht so, wie das Presidio angeblich denkt.«
Die Röte seines Gesichts vertiefte sich. Es war die alte Geschichte: so mächtig er auch war, die Regierungsversammlung hatte gewisse Befugnisse, über die er sich nicht hinwegsetzen konnte. Ich wußte, daß ich einen Teil der Ketten gelockert hatte, die ihn behinderten – in Vallia bestand kein Zweifel, daß die Position des Herrschers sicherer denn je war. Trotzdem spielte das Presidio eine große Rolle. Und ich muß zugeben, daß ich für meinen Einsatz angemessen belohnt worden war. Ich war Prinz Majister und Kov dies und Strom das – ich hatte meinen Anteil am Gewirr vallianischer Titel. Aber das alles bedeutete mir nichts. Ich hatte das Gefühl, daß mich dieser Mann inzwischen ein wenig besser verstand und sich klar machte, daß es mir ebensowenig auf das Äußere ankam wie ihm. Ländereien, Kanäle, Kornfelder, Vieh, Mineralien – hier lag die wahre Macht. Bis vor kurzem hätte er noch die Sklaven auf diese Liste gesetzt, doch er kannte die Meinung, die Delia und ich in Sachen Sklaverei vertraten. Wenig ahnte er, daß mein Dasein als Krozair von Zy mir wichtiger war als alle Ehren, mit denen er mich überhäufen konnte.
»Es gibt Mitglieder des Presidio, die sich gegen vallianische Flugboote aussprechen.«
»Ich habe schon kurz mit Kov Lykon gesprochen. Der Mann ist ein Dummkopf.«
»O nein, Dray Prescot. Er ist schlau und raffiniert und verfügt über eine gewisse Macht. Es sei dir anzuraten, dich mit ihm gut zu stellen.«
Ich war ehrlich überrascht. Hatte der mächtige Herrscher Vallias womöglich seine Sympathie für den haarigen Barbaren entdeckt, der sich in sein Land gedrängt und sich zu seinem Schwiegersohn aufgeschwungen hatte? In diesem Augenblick sah ich Delia mit dem jungen Drak herbeikommen, gefolgt von Lela auf einem hübschen weißen Pony, und meine Gedanken wandten sich anderen Dingen zu. Delia begrüßte ihren Vater herzlich, wobei ihr – wie ich bereits andeutete – die Erschöpfung des Herrschers auffiel. Ich muß zugeben, es freute mich sehr, daß der Herrscher seine beiden Enkel zu mögen schien. Er unterhielt sich eine Zeitlang mit Drak und Lela. Währenddessen blickte sich Delia um und schickte mir ein Lächeln herüber, das ich erwiderte.
Plötzlich hob der Herrscher den Kopf.
»Was war das für ein Zwischenfall im Garten – Männer, die du umgebracht hast?«
»Später«, sagte ich. »Die Angelegenheit ist erledigt. Die Bogenschützen erwarten ihre Standarten, und ich möchte wetten, ihre Kehlen sind trocken wie die Wüste.«
Er hob den Kopf, musterte mich einen Augenblick lang schweigend und stieg dann auf seine Zorca, die ein herrliches Geschirr trug.
Ich werde auf eine volle Beschreibung der Parade verzichten und mich mit der Bemerkung begnügen, daß der Augenblick nicht nur für mich und Valka und Vallia wichtig war, sondern für unsere ganze Zone, für die Kontinente und Inseln, die Paz genannt werden.
Die Standarten, die dem Regiment präsentiert wurden, zeigten den Valkavol, einen kleinen vallianischen Vogel, der normalerweise sehr friedlich ist, sich aber in einen gefährlichen Kämpfer verwandelt, sobald er angegriffen wird. Die Vogelskulpturen waren in Holz angefertigt und schimmerten nun vergoldet auf den Stangen. Die Banner unter jedem Valkavol zeigten Symbole und Ziffern; jede Pastang besaß eine eigene Standarte, darüber hinaus hatte das Regiment als Ganzes zwei Standarten erhalten. Jede Pastang umfaßte lediglich fünfzig Männer, im Gegensatz zu den meisten hamalischen Regimentern, die je Pastang achtzig Mann zählten. Unser Regiment umfaßte zehn Pastangs. Die erste Pastang hatte ich wie die erste Kohorte einer römischen Legion behandelt und ihr die volle Zahl von achtzig Männern gegeben, so daß das Regiment insgesamt fünfhundertunddreißig Köpfe zählte, ohne Troß. Diese Einteilung hatte ich im Hinblick auf die Zukunft getroffen.
Der junge Drak hielt sich gut. Er saß aufrecht im Sattel seiner jungen Zorca und machte ganz und gar nicht mehr den Eindruck, als sei er noch auf seine Eltern angewiesen.
Ich verspürte einen Anflug törichten Vaterstolzes.
»Mein Enkel ist also Hyr-Jiktar dieses neuen Regiments«, wandte sich der Herrscher an mich, als wir nach der Feier in die Stadt zurückritten.
»O ja, Herrscher. Und in Zukunft wirst du dich wohl daran gewöhnen müssen, vallianische Soldaten in den Kampf zu schicken, anstatt Söldner anzuwerben, die für dein Land kämpfen sollen.«
»Wir sind eine Seefahrernation. Unsere Galleonen ...«
»Natürlich! Ich gebe zu, unsere Galleonen sind die besten Schiffe auf dem Meer – doch hier sehen wir uns neuen Gefahren gegenüber, Herrscher.«
Hyr-Jiktar zu sein, ist natürlich ein reiner Ehrentitel. Es würde noch viele Jahre dauern, bis Drak dieses Regiment tatsächlich in den Kampf führte. Ein seltsamer Schmerz machte sich in meiner Brust bemerkbar. Ich hätte es vorgezogen, wenn er sich niemals dem Wahnsinn des Krieges hätte aussetzen müssen.
Tharu ti Valkanium, Leiter der Versammlung meines Inselstromnats Valkanium, traf ein, als wir gerade in feierlicher Prozession den Großen Saal von Esser Rarioch betreten wollten. Er machte wie immer einen vielbeschäftigten Eindruck und begrüßte mich formell.
Tharu verwaltete Valka für mich, zusammen mit dem Rat der Älteren. Ich vertraute ihm rückhaltlos. Er war es gewöhnt, daß ich lange Perioden abwesend war. Zusammen mit Tom Ti Vulheim, der als Chuktar der Armee auf meine Ansichten eingeschworen war, sorgte Tharu auf seine mürrische, gründliche Weise dafür, daß Valka ein Inselparadies blieb.
Ich habe so manche wilde Nacht im Großen Saal von Esser Rarioch verbracht, und werde, wenn Zair will, noch viele solcher Abende erleben. An diesem Abend jedoch war ich seltsam unruhig. Meine Pläne liefen gut, soweit es Valka betraf; doch was die dringend benötigten Voller anging, hatte ich einen geradezu katastrophalen Rückschlag erlitten.
Nach langen Stunden deutete mir der Herrscher an, daß er sich in einen kleineren Kreis zurückzuziehen gedachte. Ich begrüßte die Gelegenheit, mit einigen engen Freunden und dem Herrscher und seinem Gefolge im Chavonth-Zimmer zusammenzusitzen. Dieses Zimmer war für Gespräche eingerichtet, die keinen formellen Charakter mehr hatten. Auf dem Boden lag ein riesiger Teppich, auf dem Jagdszenen mit Chavonths eingearbeitet waren; an den Wänden hingen Darstellungen, in denen Chavonths fauchend ihre Krallen zeigten.
Während die Feier im Großen Saal mit lautem Gesang erst richtig in Gang kam, herrschte im Chavonth-Zimmer bald eine ernste Stimmung. Ich kannte die meisten Anwesenden, von denen Ihnen auf diesen Tonbändern bereits viele begegnet sind. Es waren andere zugegen, die in meiner Geschichte später erst eine Rolle spielen werden; im Augenblick möchte ich mich auf jene beziehen, die mit dem unmittelbaren Problem zu tun hatten.
Da wäre natürlich als erster Lykon Crimahan zu nennen, der Kov von Forli.
»Laß mich dein Glas mit diesem ausgezeichneten Gremivoh füllen, Kov«, sagte ich freundlich. In einer solchen Runde verzichtet man darauf, Dienstboten ins Zimmer zu lassen, die lange Ohren machen konnten, sobald es um wichtige Staatsgeschäfte ging. Außerdem wollte ich dem Kov mit einer Geste der Freundlichkeit entgegenkommen, damit er mich vielleicht unterschätzte. Bei diesem Manöver kam mir vielleicht mein Theaterspielen aus Havilfar zugute, und obwohl ich dort als Hamun ti Farthytu manche bittere Pille hatte schlucken müssen, freute mich der Gedanke an die Möglichkeit, Kov Lykon hinters Licht zu führen.
Gremivoh ist ein vallianischer Wein, der besonders gern im Luftdienst dieses Landes getrunken wird.
Doch Lykon ließ sich nicht täuschen.
»Ich würde einen feineren Pastale vorziehen«, sagte er geschickt.
Ich wußte, was er meinte. Pastale – ein anständiger Wein, zugegeben – unterlag dem Exportmonopol des Hauses Operhalen aus Zenicce, das zur Zeit mit dem Haus Ponthieu gegen mein Haus Strombor verbündet war. Der Herrscher über Operhalen war ein froschähnlicher kleiner Mann, dem nachgesagt wurde, daß er den eigenen Pastalevorräten zu oft und zu ausgiebig zusprach.
Der verflixte Lykon wußte natürlich, daß ich Lord von Strombor war und daß die Operhalens mich am liebsten tot gesehen hätten – folglich bat er mich um ein Glas des dortigen Hausweins.
Ich lächelte.
»Aber ja, Kov. Zufällig haben meine Leute vor kurzem ein Schiff der Operhalens gekapert. Ihr Wein soll der deine sein – so wie er mir zugeströmt ist: kostenlos.«
Seg lachte und wandte sich ab.
Tharu lachte nicht, doch sein altes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
In diesem Augenblick ergriff der Herrscher das Wort, woraufhin die anderen schwiegen.
»Wir sind hier, um ein ernstes Thema zu besprechen«, begann er. »Ich habe gesagt, daß ich mit dir nicht zufrieden bin, Dray Prescot, mit dir, den ich zum Prinz Majister gemacht habe. Ich hätte gern näheren Aufschluß darüber, was du mit den Werten gemacht hast, die wir dir zur Verfügung gestellt haben.«
Der verdammte Fuchs! Er hatte mir einige Flieger zur Verfügung gestellt, die er zurückbekommen hatte, und eine Abteilung seiner Roten Bogenschützen aus Loh, von denen er fast alle zurückbekommen hatte. Was das Bargeld anging, so hatte ich so etwas gar nicht erst zu Gesicht bekommen.
»Hattest du eine angenehme Reise, Herrscher?« fragte ich.
Er mochte es gar nicht, wenn ich ihn mit seinem Titel anredete, und er wußte, daß ich es wußte.
»Ja, ganz angenehm. Der Voller, den du mir geschickt hast, ist ein exzellentes Fahrzeug.«
»Kein Wunder. Es wurde vom Kov von Falinur und seinen Freunden in Hyrklana erobert und ist ein erstklassiger Voller.«
»Das mag ja sein. Wo sind aber die Flugboote, die du mir versprochen hast? Soweit ich mich erinnere, hast du ausführlich davon erzählt ...« – sein Tonfall war nun mehr als sarkastisch –, »uns das Geheimnis und die Herstellungsmethoden der Anlagen in den Flugbooten zu erschließen. Wir könnten eigene Voller bauen – das hast du versprochen. Nun, Dray Prescot? Wo sind diese Geheimnisse?«
Bitte bedenken Sie, der alte Teufel hatte durchaus recht, obwohl er es in diesem Augenblick ziemlich überspitzt darstellte. Es war mir wirklich nicht gelungen, das Ziel zu erreichen, das ich mir gesteckt hatte. Andererseits war ich einer Lösung des großen Problems schon sehr nahe.
»Die Weisen versuchen noch immer, die Silberkästen nachzubauen. Aus Gründen, die ich jetzt nicht im einzelnen erläutern möchte, ist es mir nicht gelungen, das Geheimnis ganz zu enträtseln.«
Das war das Signal für die Herrscherinwitwe Kovneva Natyzha, die Unterlippe vorzustrecken und einen ihrer berühmten bellenden Lachtöne loszulassen – es klang wie ein Axthieb, mit dem ein Baum gefällt wurde.
»Ich kann mir vorstellen, warum du nicht näher auf die Gründe eingehen willst, Prinz! Ich möchte annehmen, daß du dich in Hamal vergnügt hast.«
Ich blickte sie kühl an und hob die Augenbrauen. Die alte Dame, die in ganz Vallia bekannte Natyzha Famphreon, Kovneva-Witwe von Falkerdrin, war eine Frau von Geblüt, der ich stets aus dem Weg gegangen war. Es konnte gefährlich werden, sich mit ihr anzulegen. Ihr Gesicht offenbarte den abgeklärten, harten, erfahrenen Ausdruck lang ausgeübter Macht. Ihre Mundwinkel waren herabgezogen, ein Bogen, der durch Falten noch verlängert wurde. Ihr Kinn war nach vorn gereckt, so daß ihre Unterlippe gewohnheitsmäßig hochstand und ihr einen arroganten, ja verächtlichen Ausdruck der Macht verlieh.
»Du hast von den Himmlischen Bergwerken gehört?« fragte ich.
»Vom Hörensagen«, erwiderte sie ungeduldig. »Du solltest lieber dem Herrscher antworten. Wo sind die Flugboote und ihr Geheimnis?«
»Ja«, warf ihr Sohn ein, der Kov von Falkerdrin. »Antworte auf die Frage des Herrschers!« Er war das Produkt einer schlechten Verbindung: kinnlos, mit unsteten Augen und pickligem Gesicht. Das war natürlich nicht sein Fehler, sondern die Schuld zweier Menschen, die sich in inzestuöser Lust aneinandergeklammert hatten, ohne an die Folgen zu denken. So war er nun Wachs in den Händen seiner Mutter, die ihn und seine Stellung als Pallan der Waffen verwaltete.
Delia legte eine Hand an die Brust. Sie kannte mich. Sie erhob sich halb und sagte tonlos: »Du willst doch nicht etwa in die Himmlischen Bergwerke zurückkehren?«
»Nur ein Dummkopf, der auf höchst schmerzhafte Weise Selbstmord begehen möchte, würde diesen Wunsch hegen.«
Der Gedanke stand unausgesprochen zwischen uns. Sie wußte, was für ein Dummkopf, ein Onker ich in solchen Dingen sein konnte.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und San Evold Scavander steckte den Kopf herein. Seine braunen Augen blitzten; sein runzliges altes Gesicht war vor Freude fast unkenntlich.
»Mein Prinz!« wollte er rufen, mußte aber niesen und rieb sich gurgelnd die Nase. »Mein Prinz! Das Cayferm ist echtes Cayferm! Es bleibt ein gewisser Rest – ich weiß nicht, wie! Der Kochvorgang war erfolgreich! Komm, mein Prinz! Laß uns das Geschenk von Oolie Opaz besichtigen!«
Ich stand auf. »Gehen wir ins Laboratorium«, sagte ich nicht ohne innere Befriedigung. »Wir wollen sehen, ob Opaz über Vallia leuchtet.«