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Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy – ich stand da wie ein Dummkopf. Eben wollte ich vortreten, als ich auch schon das schnelle tödliche Aufblitzen der Rapiere und Dolche wahrnahm, die gegeneinanderprallten. Wenn ich mich jetzt dazwischenwarf, konnte der Kampf nur einen Ausgang haben. Der junge Zando würde die Waffen heben, und Handon würde seinen Gegner rücksichtslos niederstechen.

Ich rührte mich also nicht von der Stelle, während sich meine Gedanken überstürzten. Ich hätte es nicht zulassen dürfen, daß sich die Situation dermaßen zuspitzte. Was für ein Onker ich doch war!

Nur wenige Menschen, die mir ganz nahestanden, wußten, daß ich Krozair von Zy war – Delia und Seg, Inch, Turko und Korf Aighos und einige andere Vallianer, die mehr über mich wußten als die meisten anderen. Diesen Menschen war nicht ganz klar, was der Titel Krozairbruder überhaupt bedeutete. Seit langem sehnte ich mich danach, zum Binnenmeer, zum Auge der Welt zurückzukehren, das weit entfernt im Westen des Kontinents Turismond lag. Aber ganz abgesehen von der monatelangen Schiffsreise, abgesehen von den fast unüberwindlichen Stratemsk-Bergen und dem Klackadrin, einem Spalt in der kregischen Bodenkruste, aus dem giftige Dämpfe wallten – abgesehen von all diesen Dingen hatten mir bisher meine Abenteuer eine Rückkehr unmöglich gemacht: ich hatte einfach keine Zeit.

Wie war es nun möglich, daß ein Fremder aus der Dunkelheit auftauchte und von Krozairs sprach?

So etwas konnte doch nicht möglich sein!

Aber er hatte die Worte gesagt. Und jetzt wehrte er die Attacken eines berüchtigten Bravokämpfers ab, eines Mannes, der seine Gegner spielerisch und lachend zu erledigen pflegte.

Zando selbst war kein Krozair. Er hatte keines von den Schlüsselworten verwendet, das ihn als Mitglied jenes geheimnisvollen kriegerischen Ordens auswies. Mein Status als Pur Dray, als Krozair von Zy, ist – wie Sie wissen – der wichtigste Aspekt meines kregischen Lebens, von Delia einmal abgesehen. In diesem Augenblick blieb mir nichts anderes übrig, als meine Gefühle im Zaum zu halten und zuzusehen, ob der junge Zando sich gegen Handon behaupten konnte.

Er war kein Krozair, kein überragender Kämpfer, der das Langschwert der Krozairs mit unheimlicher Geschicklichkeit zu führen verstand. Sein Stil mit dem Rapier war elegant und sparsam und enthielt manche Bewegung, die mich an meinen eigenen Stil erinnerte. Ich verfolgte den Kampf und fand mich bald gefesselt von der Kunst der beiden Opponenten, von der Raffinesse, mit der die Klingen gegeneinanderprallten, aneinander entlangglitten, sich trennten und wieder zusammenkamen. Die Flammen der Fackeln flackerten, die Sterne schimmerten am Himmel, und zur Frau der Schleier gesellte sich die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln, so daß die schmale Treppe in rosafarbenes Mondlicht gehüllt war, eine Beleuchtung, die für den Tod eines Mannes völlig ausreichte.

Der Kampf war schnell und gefährlich und fand auf engstem Raume statt. Handon begann mit überlegener Sicherheit; er war überzeugt, den jungen Burschen sofort ausschalten zu können. Doch sehr schnell wurde ihm klar, daß er es hier mit einem geschickten Schwertkämpfer zu tun hatte. Die Klingen spiegelten das goldene Mondlicht in Tropfen und Streifen, Lichterscheinungen, die sich im nächsten Augenblick blutig-dunkel verfärbten, als Zando Handons Parade geschickt unterlief und ihm einen Stich ins rechte Handgelenk beibrachte. Die beiden Dolche prallten zusammen und trennten sich, und Handon taumelte fluchend zurück.

In diesem Augenblick trat ich vor.

»Dabei wollen wir es bewenden lassen«, sagte ich. »Jiktar Exand, bring unseren Diproo-Freund nach oben und gib ihm eine Belohnung von zehn Talens. Ich habe später noch Fragen an ihn; er soll Augen und Ohren offen halten.« Dann wandte ich mich an Handon. »Du. Du gehst hinauf und läßt deine Wunde versorgen.« Schließlich drehte ich mich zu Kov Lykon um. »Kov, ich glaube, du bist ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Ich gebe hier die Befehle. Geh zurück zum Herrscher und überleg dir, was du hier beinahe angerichtet hättest.«

»Ich gehe, Prinz, und werde mir meine Gedanken machen.«

Nun, etwas anderes konnte er kaum sagen, ohne sofort von mir niedergeschlagen zu werden.

Endlich konnte ich mit Zando sprechen.

Der junge Mann musterte mich mit einem bekümmerten Ausdruck. Ich blickte ihm in die Augen, die unter der breiten Hutkrempe schimmerten, und glaubte Furcht darin zu entdecken. Furcht? Ich mußte mich irren. Er war bleich geworden über seinem buschigen Bart.

»Dray Prescot!« sagte er. Er hauchte die Worte, als glaubte er selbst nicht daran.

Ich ergriff seinen Arm. Er schauderte bei der Berührung. Ich führte ihn die Treppe hinauf, die an der Außenmauer Esser Rariochs entlangführte; wir passierten ein kleines Tor, zu dem nur wenige Vertraute einen Schlüssel hatten, und erreichten schließlich einen kleinen Arbeitsraum. Hier ließ ich ihn in einem Stuhl Platz nehmen und schenkte Wein ein. Als er das Glas an den Mund hob, hatte er seine Panik überwunden und sah mich offen an.

»Du hast von Krozairs gesprochen«, begann ich. »Von den Krozairs von Zy. Sag mir, Zando, was ist ein Krozair? Was bedeutet dir dieser Titel?«

»Ich bringe eine Botschaft von einem Krozairbruder. Er steckt in der Klemme. Um deines Eides willen mußt du ihm Waffen, Geld und einen Voller zur Verfügung stellen.«

Ich nickte. »Das werde ich natürlich tun. Aber erzähl mir mehr von diesem Krozairbruder ...«

»Das ist mir verwehrt, Prinz.« Seine Zunge stockte bei dem Titel, als hätte er ihn einstudiert. »Ich habe versprechen müssen, nichts zu verraten. Der Krozair sagte mir, du würdest mir das Gewünschte überlassen, ohne Fragen zu stellen.«

»Das ist richtig.« Ich war überzeugt, daß dies kein raffinierter Betrugsversuch war. Kein Fremder konnte von meiner Verbindung zu den Krozairs wissen – dieser Orden war hier praktisch unbekannt.

»Du mußt verstehen, ich darf dir nichts sagen, Dray Prescot.«

»Hm«, sagte ich. »Na, schön. Du brauchst meine Hilfe noch heute abend?«

»So schnell wie nur irgend möglich.«

Ich klingelte nach Panshi, der lächelnd ins Zimmer eilte und eine neue Flasche Jholaix mitbrachte. »Panshi«, sagte ich, »gib dem jungen Mann alles, was er haben will – ohne Einschränkung.« Zando leerte sein Glas mit einem Zug. Er war offensichtlich sehr erleichtert. »Was den Voller angeht, so ist das allerdings eine problematische Bitte. Eigentlich brauchen wir jedes Flugboot, das wir bekommen können.«

»Das verstehe ich durchaus. Ich appelliere an deine Güte.«

»Hm«, sagte ich noch einmal und wandte mich wieder an Panshi. »Hikdar Vangar ti Valkanium soll ein erstklassiges Flugboot bereitstellen, das beste, das wir haben. Wenn er Schwierigkeiten macht, sag ihm, ich bestünde auf der Durchführung dieses Befehls.«

Panshi verbeugte sich, stellte die Flasche ab und verließ das Zimmer. Ein stiller, abgeklärter Mann war Panshi, mein Kammerherr: ihm traute ich es zu, im wildesten Orkan des Äußeren Ozeans ein Bankett mit zwölf Gängen zu arrangieren und anschließend noch für eine Theateraufführung zu sorgen.

Zando warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Du stellst die richtigen Fragen und verhältst dich genau so, wie ich es erwartet habe. Bei Zair, Dray Prescot! Ich preise vor Opaz den Tag, an dem ich dich kennenlernte ...«

»Du schwörst auf Zair«, sagte ich scharf, »und tust gut daran, Opaz für das zu danken, was ich dir gebe. Wirst du mir einen Teil meines Staatsschatzes belassen?«

»Tausend Talens müßten genügen.«

Es bereitete mir eine gewisse Freude, mein Gesicht starr zu halten und ihn auf diese Weise durch meinen Mangel an Reaktion aufzustacheln. Doch er lachte nur.

»Dray Prescot, deine Selbstbeherrschung ist ebenfalls sehr erfrischend!«

Ich wußte, daß er sich über mich lustig machte, wie es mir bei vielen meiner Freunde geschah.

Meine Stimme hatte ihre Schärfe noch nicht verloren, als ich nun sagte: »Wenn du zum Abflug bereit bist, gib mir Bescheid, damit ich ...«

»Wenn es dir recht ist, nehme ich das Geld und die Vorräte und fliege sofort ab.« Er stand auf. »Wenn du mir den Weg zeigen ließest ...«

Er wußte, was er wollte, das mußte ich ihm lassen. Ich gab die nötigen Anweisungen und streckte ihm schließlich impulsiv die Hand hin, zum vallianischen Gruß, bei dem das ganze Handgelenk umfaßt wird. Er zögerte. Als er schließlich zugriff, spürte ich, daß sein Arm zitterte. »Remberee, Dray Prescot«, sagte er. »Möge Zair dich beschützen.«

»Remberee, Zando. Und sag deinem geheimnisvollen Freund, dem Krozairbruder, daß Krozairschwüre gehalten werden.« Ich fügte einige Worte hinzu, von denen ich nicht annahm, daß Zando sie verstehen würde, die einen Krozair jedoch mit Freude erfüllen mochten. Gleich darauf war Zando gegangen.

Die Episode beunruhigte mich nicht wenig. Ich sammelte meine Gedanken und kehrte in das Chavonth-Zimmer zurück, fest entschlossen, Kov Lykon ein paar unangenehme Minuten zu bereiten. Doch der Mann war so klug gewesen, sich zu Bett zu begeben.