15
Ich beugte mich dicht über den Hals des Mirvols. Tief unter mir bewegten sich Felder und Wasserläufe, ein endloses Gewirr roter, brauner und gelber Karos, abgesetzt mit Blau. Wälder breiteten sich dort unten aus, deren Bäume bloße Farbtupfer waren. Mein Mirvol war ein stämmiges Tier, das nicht besonders schnell, dafür aber um so ruhiger und ausdauernder war. Die breite Brust deutete darauf hin, daß er zu fliegen verstand. Die Färbung des Gefieders war ein fleckiges Braun und ließ die Farbigkeit manch anderer havilfarischer Flugtiere vermissen. Mir gefiel dieser Mirvol, der Liance hieß.
Da mich Chido bis zum Start nicht aus den Augen gelassen hatte, ruhte der Brief noch ungelesen in meiner Tasche. Selbst wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich ihn nicht zu öffnen gewagt; zu leicht hätte er mich ja vor dem Abflug bitten können, ihm den Brief noch einmal zu zeigen, nur um sicherzugehen, daß ich ihn bei mir hatte. Mein Kurs führte mich in den Südwesten; mein Ziel war fast dreihundert Dwaburs entfernt, eine Strecke, die der Mirvol theoretisch in gut achtundvierzig Burs zurücklegen konnte, die einem kregischen Tag- und Nacht-Zyklus entsprachen. Aber der Mirvol mußte ausruhen und fressen, verbrauchte er doch enorme Energien. Ich nahm mir also vor, den Volgendrin der Brücke kurz nach Sonnenuntergang des nächsten Tages zu erreichen, und landete am ersten Abend in einem staubigen Bergwerksstädtchen, dessen Schänke erstaunlich gut mit Bier und Sazz versorgt war, dafür allerdings keinen Wein ausschenkte. Ich nahm eine riesige Mahlzeit ein und sorgte dafür, daß Liance sich ebenfalls den Magen vollschlug; auf seine kräftigen Flügel war ich morgen wieder angewiesen.
Meine weitere Reise gestaltete sich plangemäß, bis ich vor mir die Farben der untergehenden Sonnen auf den Bergspitzen erblickte. Das Gebirge ragte dräuend in das helle Feuerwerksblitzen, rubinrot und smaragdgrün, durchschossen mit orange-roten und gelben Feuerstrahlen. Doch so schön dieser Sonnenuntergang auch war, er vermochte die düstere Wirkung der Gipfel nicht zu mindern; ebensowenig vermochte die Schönheit über die Schrecknisse hinwegzutäuschen, die mit Sicherheit hinter diesen Bergen lauerten. Immerhin war ich Amak des Paline-Tals und hatte in dieser Beziehung unmittelbare Erfahrungen.
Der Brief war längst geöffnet und gelesen.
Ich hatte das nicht im Bergwerkslager erledigt, sondern erst heute während einer Zwischenlandung in einem Baumhain am Ufer eines Flusses, der den Anfang einer kahlen Ebene kennzeichnete, die zu den Bergen hinaufführte. Der größte Teil der östlichen Bergflanke und des darunterliegenden Landes ist mit subtropischer Vegetation bewachsen, ein gefährliches Gebiet. Nicht minder gefährlich waren die Flächen, die keine Flüsse kannten, da der Regenschatten das Land hatte verkarsten lassen. Das Ziel, das mir Chido beschrieben hatte, lag offensichtlich in einer dieser Halbwüsten.
Ich öffnete den Brief mit Geschicklichkeit; trotzdem zerbrach mir das Siegel, weil ich ein wenig zu hastig vorgegangen war. Mit dem Problem wollte ich mich beschäftigen, wenn es soweit war. Ein einzelner handgefertigter Bogen, in der Mitte zusammengefaltet. Er enthielt zahlreiche Zahlenreihen und nur eine kurze Überschrift: Der Erste Monat der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln. Mehr nicht.
Trotzdem glaubte ich zu wissen, worum es sich bei den Zahlen handelte. Wenn meine Vermutungen zutrafen – die auf Gerüchten, mitgehörten Gesprächen und Zufällen beruhten, die eigentlich keine Zufälle sein konnten –, dann stellten diese Zahlen angestrebte Produktionswerte dar. Vermutlich handelte es sich um Soll-Zahlen, denn effektive Lieferwerte wären sicher in die entgegengesetzte Richtung gebracht worden. Bei dieser Sachlage mußte das Produkt, um das sich die Zahlen drehten, irgendwie mit den Silberkästen zusammenhängen. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Mineral, wenn ich Glück hatte, um eines der vier Elemente, die wir in Vallia bisher noch nicht identifiziert und also auch noch nicht eingesetzt hatten. Wenn ich feststellen konnte, wie dieses Mineral beschaffen war, und San Evold Scavander nicht nur einen unbekannten Namen mitbrachte, waren wir vielleicht endlich in der Lage, Voller herzustellen, die sich nicht nur in die Luft erhoben, sondern sich auch steuern ließen.
Ich faltete den Bogen wieder richtig zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Das zerbrochene Siegel schob ich zusammen, warf den Brief dann auf den Boden und stampfte mit einem Fuß darauf. Einige Knicke und Flecke, und der Brief sah aus, als wäre eine Horde wilder Chunkrahs darüber hinweggetrampelt.
Während ich nun langsam an Höhe verlor und mich nach dem Volgendrin der Brücke umsah, hoffte ich, daß Pallan Horosh meine Lügengeschichte glauben würde. Wenn nicht, mußte ich sehen, wie ich mit meinem Schwert durchkam.
Das Gewicht des breiten Langschwerts auf meinem Rücken war mir dabei eine große Beruhigung.
Mit einem letzten orangeroten Lichtausbruch, durchzogen von schmutzigem Grün, verschwanden die Sonnen Scorpios hinter den Bergen. In den letzten Lichtstrahlen dieses brennenden Scheins erblickte ich das Zeichen, nach dem ich gesucht hatte: eine riesige Felsspalte tat sich auf im Widerschein des Sonnenuntergangs.
Was nun geschah, war so typisch für Kregen und geschah dermaßen in Übereinstimmung mit Chidos Beschreibung, die dieser wiederum von Gordano hatte, daß sich meine steifen Lippen doch tatsächlich zu einem Lächeln verzogen.
Die Luft ringsum füllte sich mit den raschelnden Silhouetten fliegender Tiere. Sie umringten mich mit schneller, brutaler Direktheit, so daß ich ohne Kampf nicht mehr hätte fliehen können.
Ich kannte diese Tiere und ihre Reiter.
Es handelte sich um dieselben krummbeinigen, kleinen Diffs, die mich bei den Himmlischen Bergwerken willkommen geheißen hatten: Gerawin aus Gilarna der Öde. Geschickt lenkten sie ihre Tyryvols, deren schwarzbraune Schuppen in der Dämmerung nur noch matt blinkten. Ich kannte die Gerawin und wußte, was für gute Sklavenwächter das hamalische Reich in ihnen hatte.
Bedrängt von den riesigen Tyryvols, setzten wir unseren Weg fort. Wir verloren nicht an Höhe, sondern hielten in geradem Wege auf die Berge zu. In der Dunkelheit ragte eine vage riesige Masse vor uns auf. Mein Mirvol ließ sich keine Unruhe anmerken. Schließlich landeten wir. Liance setzte auf weichem, schwammigem Boden auf.
Die Gerawin landeten nicht, sondern flogen sofort weiter; wie emporgewirbelte Blätter verschwanden sie in der zunehmenden Dunkelheit. Doch schon kamen Männer auf mich zu. Grüßend hob ich die Hand. »Lahal!« sagte ich laut. »Lahal! Ich muß sofort Pallan Horosh sprechen.«
Die Szene wurde nun wieder etwas erleuchtet, da die Frau der Schleier am östlichen Himmel aufzugehen begann.
»Hier entlang.« Eine befehlsgewohnte Stimme. Eine Fackel flammte auf. Die Wächter waren Apims, die normale hamalische Rüstungen trugen und mit Stuxes, Schwertern und Schilden bewaffnet waren. Die Frau der Schleier beleuchtete die schwarzen und braunen Federbüsche an ihren Helmen; dieselben Farben, die von den Gerawin geschätzt wurden. Ich folgte den Männern.
Dabei war ich merkwürdig unsicher auf den Beinen; ich kam mir wie ein Seemann vor, der nach sechsmonatiger Schiffsreise zum erstenmal wieder an Land ist. Eine seltsame Erscheinung, die ich bei meinen Zwischenlandungen unterwegs nicht bemerkt hatte. Vage Vorstellungen von Erdbeben und Erdrutschen gingen mir durch den Kopf, während wir durch einen verfilzten Wald aus Ästen marschierten, an denen mir unbekannte Früchte hingen. Der Boden gab schmatzende Geräusche von sich. Ich wurde, wie ich es nicht anders erwartet hatte, unter Wahrung der allgegenwärtigen hamalischen Gesetze empfangen.
Trotzdem hatte ich ein unheimliches Gefühl – mein gestörter Gleichgewichtssinn, die Weichheit des Bodens, das Schweigen dieser Männer – dies alles übte eine dermaßen beunruhigende Wirkung auf mich aus, daß ich die Hand auf den Rapiergriff legte und die Schultern bewegte, um mich zu überzeugen, daß das Langschwert noch an Ort und Stelle hing.
Der tunnelähnliche Weg durch die herabhängenden Äste und die daran baumelnden Früchte wurde breiter. Schließlich erreichten wir ein hölzernes Wachhaus. Hier brannten Fackeln, Soldaten unterhielten sich, und Kochdünste durchzogen die Luft. Ich hatte Hunger, da sich mein Körper längst den kregischen Essensgewohnheiten angepaßt hatte, die sechs Mahlzeiten am Tag vorsehen. Ich trug einen dunklen Mantel, den ich über der linken Schulter zurückgeschlagen und festgesteckt hatte – für alle Fälle.
An der rechten Schulter hatte ich unter dem Mantel eine Scheide mit sechs Terchiks befestigt – tödlichen Wurfmessern. Sechs Männer würden sterben, ehe ich das Langschwert zog ...
Natürlich war von diesen blutrünstigen Gedanken nichts auf meinem häßlichen Gesicht zu erkennen, als der Hikdar aus der Holzhütte trat und mich von oben bis unten musterte. In der Hand hielt er ein Hühnerbein. Als er sah, daß ich unter dem Mantel keine Uniform trug, machte er Anstalten, mich anzufahren. Er war ein Ord-Hikdar – ein ziemlich hoher Rang für einen einfachen Wachoffizier; jedenfalls nahm ich das in diesem Augenblick an.
»Bei Barfurd!« knurrte er. »Was haben wir denn da?« Er wanderte um mich herum. Ein Soldat auf Wachdienst wird schnell unleidlich und nervös, ich sah dem Hikdar sein Verhalten nach, weil das seiner Natur entsprach, doch schließlich zählte ich bis zehn, um endlich meinerseits einen Absprung zu finden.
»Pallan Horosh, Hikdar«, sagte ich. »Das Losungswort ist Thyllis die Herrliche.« Dann vergaß ich meine guten Vorsätze und schlug einen Tonfall an, der dazu führte, daß ihm das Hühnerbeinchen aus der Hand fiel. »Und wenn du dich nicht schleunigst in Bewegung setzt, Onker, wirst du im Nu zum Swod degradiert und kannst Bekanntschaft mit Besen und Schaufel machen!«
Daraufhin brauchte ich nicht mehr lange zu warten.
Das Mondlicht war inzwischen stark genug, daß ich die gewellte Grasebene erkennen konnte, auf der wir uns befanden; sie endete an einem etwa eine halbe Ulm entfernten Hügel. Das Land wirkte irgendwie seltsam. In der Ferne schimmerte das Mondlicht goldrosa auf den Bergen des Westens. In dem rankenähnlichen Bewuchs öffnete sich eine Tür, und wir traten ein.
Der Raum wurde offensichtlich von Holz gestützt, das in seinem natürlichen Zustand belassen worden war; nicht einmal die Rinde hatte man entfernt. Leinenplanen bildeten die Wände. Teppiche deckten den Boden ab, der aus behauenen Dielenbrettern bestand. Ich hatte sofort das Gefühl, in einer Kaserne zu sein. Gesang war zu hören, während wir zu einer Tür gingen, die von zwei Pachaks bewacht wurde. Die Wächter ließen uns in das vornehm eingerichtete Quartier des Pallans treten.
Die Räume entsprachen der Vorstellung, die man sich von der Wohnung eines kultivierten Mannes macht, der in ein fernes und ödes Land versetzt worden ist. Horosh liebte offenbar seine Bequemlichkeit. Der Raum war in schwarzer und purpurner Farbe gehalten, die besonders in den Teppichen und Federbehängen an den Wänden wiederkehrte. Ich betrachtete den Pallan, der an einem Schreibtisch aus Balassholz saß und mit einem Federkiel schrieb. Er hob den Kopf.
Pallan Horoshs Blick erinnerte mich an das böse Gesicht des Eiswind-Teufels, der die Nordküste Gundarlos bewacht.
»Dein Name?«
Seine Stimme ließ mich an ein quietschendes Wagenrad denken.
»Naghan Lamahan.« Es amüsierte mich, den Namen zu nennen, den Gordano auf der Wache in Ruathytu angegeben hatte.
Sein Kopf fuhr hoch. Seine Nasenflügel bebten.
»Du nennst mich gefälligst Notor, Nulsh!«
Ich, Dray Prescot, Prinz Majister von Vallia und König von Djanduin – womit die Liste meiner Titel noch längst nicht abgeschlossen ist –, bewahrte Ruhe. Ohne zu blinzeln, sagte ich: »Aye, Notor.«
»Gib mir den Brief.«
Als er den Zustand der Sendung erkannte, öffnete er den Mund, doch ich kam ihm zuvor. »Es hat leider einen kleinen Unfall gegeben. Flutsmänner ...« Ich hätte weitergesprochen, doch er brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen und nahm den Brief. Seine Hände waren lang und schmal; an der linken Hand fehlte der Mittelfinger.
»Deine Abenteuer interessieren mich nicht.«
Er brauchte das Siegel nicht zu erbrechen. Er warf den Umschlag auf den Teppich und machte sich daran, die Zahlen zu studieren. Nach einer Weile blickte er auf, entdeckte mich und knurrte: »Bist du immer noch hier, du Nulsh? Raus mit dir!« Überflüssigerweise fügte er hinzu: »Schtump!«
»Notor!« sagte ich, salutierte, machte kehrt und marschierte hinaus.
Die kleine Szene hatte mir Spaß gemacht – aber vielleicht verstehen Sie inzwischen ein wenig von der Kälte, die ich im Herzen verspürte, wenn ich mit den rücksichtslosen Hamalern zu tun hatte.
Im Grunde hatte ich keinen fest umrissenen Plan. Ich war Zufällen gefolgt, die ich nicht für Zufälle hielt. Hier war ich nun, im Volgendrin der Brücke. Ich hatte meine Chance mit beiden Händen gepackt. Im Licht der Monde, im Duft unbekannter Blüten folgte ich einer Wache zu dem mir zugeteilten Quartier. Was sollte ich nun tun? Eins war klar: ich durfte nicht allzu lange hier verweilen. Wenn mir die Herren der Sterne einen abgeknabberten Knochen zugeworfen hatten und mir das Fleisch nicht gönnten, wollte ich schleunigst zu meiner kleinen Armee zurückkehren und sehen, was Tom Tomor und Kytun inzwischen geschafft hatten.
Naghan Lamahan. In Hamal entsprach das einem Namen wie Charlie Smith in der königlich britischen Flotte.
Meine Eskorte entfernte sich, und ich wartete eine halbe Bur, ehe ich mich auf einen Inspektionsgang machte, wobei ich meine Sachen mitnahm. Ich ging durch den Korridor und folgte den Stimmen, die noch immer sangen; jetzt die Lieder der Rosenstadt, jener berühmte Liederzyklus, der die Abenteuer des Menschengottes Drak beschreibt. Als ich den großen Aufenthaltsraum betrat, waren die Hamaler noch nicht einmal in der Mitte angelangt. Bis auf ein oder zwei gerötete Gesichter, die sich nach mir umdrehten, konzentrierten sich die Männer voller Freude und innerer Anteilnahme auf den Gesang.
Ich suchte mir einen Platz, und ein Matoc schob mir einen irdenen Krug zu. Ich dankte ihm, kostete von dem Gebräu und fiel in den Gesang ein.
Als das Lied zu Ende war, stand auch mein Krug leer vor mir, wurde aber schnell wieder gefüllt. Weitere Lieder folgten. Wieder sang ich mit und begann mich dann auch mit den Männern zu unterhalten, wenn zwischen den Liedern die Krüge gehoben wurden. Ich sah mich im Kreise von Numims, Pachaks und Brokelsh, wobei sich die Chuliks während des Singens zurückhielten. Ein kleiner Och lieferte ein Solo, ehe er betrunken zu Boden sank. Ein schwarzhaariger Brokelsh schüttete daraufhin Bier über ihm aus, doch er rührte sich nicht mehr.
Mit Gesang verbrachte ich an die drei Burs. Der Matoc, der mich bediente, murmelte immer mal wieder, daß er sich Sorgen um etwas mache, das er Drift nannte.
Ein Numim, dessen goldenes Fell etwas heruntergekommen wirkte, rülpste daraufhin und sagte: »Aye, Dom! Die Drift ist diesmal wirklich schlimm. Die Berge sind verdammt nahe.«
Ich blickte ihn verständnislos an. Na und, dachte ich.
»Wenn ich mich nicht sehr täusche«, sagte der Matoc beunruhigt, »werden die Binhoys spät dran sein. Bei Kuerden dem Gnadenlosen. Ich würde lieber an der Nordfront Dienst tun!«
»Ja«, sagte ein Apim begeistert. »Es soll dort ja viel Beute geben.«
Ich griff nach meinem Krug und sagte leise: »Wie man hört, sitzt die Armee in Pandahem fest.«
Das interessierte die Männer natürlich. Ich versuchte der Gefahr aus dem Weg zu gehen, als Friedensprediger angesehen zu werden, säte aber dennoch einige Samen des Zweifels aus, die hoffentlich eines Tages zum Nachteil Hamals aufgehen würden. Die Männer kehrten allerdings schnell zum Thema Drift zurück und fluchten gehörig auf den Volgendrin der Brücke.
Zugleich äußerten sie sich sehr herablassend über Flugwesen, die sie Exorcs nannten. Sie fragten sich auf ihre rauhe Weise, ob die Eltern der Exorcs, die sie Kühe nannten, davongeweht werden würden, und hofften bei Krun, daß es dazu kam. Eins war klar, mit diesen Exorcs hatten sie nichts im Sinn.
Plötzlich erbebte das Holzgebäude. Ich vernahm den Lärm des Windes, der offenbar ständig zugenommen hatte und allmählich Sturmstärke erreichte. Wieder zitterten die Wände. Der Matoc leerte seinen Krug und schob ihn dann zur Seite. »Kuerden der Gnadenlose soll sie alle packen!« brach es aus ihm hervor. »Denkt an meine Worte, heute nacht werden wir noch Zäune bauen!«
»Ich begreife das einfach nicht«, sagte der Brokelsh kopfschüttelnd. »Der verdammte Volgendrin soll doch windunabhängig sein.«
»O nein«, widersprach der Apim, der am liebsten an die Nordfront gezogen wäre. »Das ist die Drift – und unser verdammtes Pech.«
»Wie dem auch sei!« rief der Numim und kratzte sich das zottige Fell. »Wer möchte in einer solchen Nacht Gerawin sein, wie?«
Daraufhin stimmten die Männer ein bösartiges Lachen an; offenbar erfüllte es sie mit Schadenfreude, daß andere Swods noch schlechter dran waren als sie.
In diesem Augenblick steckte ein Ob-Deldar den Kopf zur Tür herein und bellte einen Befehl.
So sind nun mal die Deldars auf allen Welten.
»Raus mit euch! Beeilung!« Im Lampenschein wirkte das Gesicht des Offiziers hektisch gerötet. Die Swods hasteten zur Tür. Sie nahmen lediglich ihre Thraxter mit; Stuxes und Schilde blieben zurück. Sie wußten offenbar, was ihnen bevorstand.
Der Ob-Deldar erblickte mich.
»Du! Laus eines Fluttrellrückens! Raus mit dir!«
Ich baute mich vor ihm auf und starrte ihn an.
»Ich bin kein Soldat, Dom. Sieh zu, daß du deine Befehle durchführst. Der Hikdar scheint mir ein Mann zu sein, der schnell die Beherrschung verliert.«
»Bei Kuerden dem Gnadenlosen! Da hast du recht! Der Mann ist ein wahrer Teufel!«
Die Holzwände erzitterten – nein, der ganze Boden bebte!
Der Deldar packte seinen Thraxter fester und rückte sich den Helm zurecht. »Paß gut auf dich auf«, sagte er. »Ihr Kuriere kennt euch ja hier nicht aus!« Mit diesen Worten eilte er davon, wobei er den Männern zubrüllte, sie sollten sich schleunigst nach oben begeben.
Als ich die Tür erreichte, waren die Swods bereits fort. Draußen verschlug es mir den Atem. Der Sturm griff mit brennenden Fingern nach mir. Er raste flach über den Boden dahin, wirbelte tote Blätter und Äste empor, führte Staub mit sich. Ich neigte den Kopf und versuchte zu erkennen, was hier vorging. Die vier größten Monde standen am Himmel, doch dahintreibende Wolken verdunkelten sie und ließen Schatten über den Boden huschen.
Der Wind hatte die Temperatur und Stärke eines Wüstensturms. Ich blickte mich mit zusammengekniffenen Augen um und sah, wie sich die Bäume bogen. Gleichzeitig bemerkte ich, ohne die Bedeutung dieser Beobachtung zu registrieren, wie die unreifen Früchte von den Bäumen gerissen wurden und durch die Luft flogen; dabei wurden sie zerschmettert und verströmten eine Flüssigkeit.
Eine weitere Gruppe Soldaten eilte herbei. Der Hikdar, der seine Hühnchenmahlzeit längst vergessen hatte, trieb die Männer mit lauthals gebrüllten Befehlen weiter. Er sah mich und wollte sich schon vorbeidrängen. »Ich möchte helfen«, sagte ich.
»Dann los! Wir müssen die Windfänge reparieren. Die Früchte werden vernichtet.«
Das war ein Vorgang, den ich verstand. Mit gesenkten Köpfen und wehenden Capes kämpften wir uns gegen den Sturm auf dem mit Früchten übersäten Boden weiter – ein Boden, der sich meinem Gefühl nach mit dem Druck des Windes bewegte!
Nach einer Weile tauchten die Zäune vor uns auf, hohe Gebilde aus Holz und Streben, eng verflochten, um den Fruchtbäumen Schutz zu bieten. Längst waren breite Risse in den ordentlichen Reihen sichtbar. Im Näherkommen sahen wir, daß sich ein hundert Schritte langer Teil des Zauns losgerissen hatte und wie eine Ziehharmonika hin und her gequetscht und schließlich zerschmettert wurde. Holzlatten wirbelten durch die Luft.
»Weiter! Weiter!« brüllte der Hikdar, als führte er einen Angriff gegen Schwertkämpfer. Einige niedrige Hütten am Fuße der Zäune enthielten Reparaturmaterial. Wenn der Sturm noch lange dauerte, mußten wir die Zäune von Grund auf neu bauen. Wenige Murs später war ich damit beschäftigt, Holzpfähle zu schleppen und zu den Männern zu bringen, die die Zäune abzustützen versuchten, die frische Latten einflochten, um die Öffnungen zu schließen. Es war verdammt anstrengend, ganz besonders in dem beißenden, brennenden Wind, der in den Lungen schmerzte und die Augen tränen machte. Über allem schimmerten die kregischen Monde zwischen Wolkenfetzen. Es regnete nicht.
Andere Männer halfen uns, und ich bemerkte, daß von irgendwoher Verstärkung gekommen war. Bei den Neuankömmlingen handelte es sich um Sklaven. Sie wurden mit Peitschen an die Arbeit getrieben, während die Soldaten nur unter der Fuchtel der Disziplin standen.
Vom Himmel stach ein Voller herab; sein Flug war ruhig und unbeeinflußt vom Wind. Die Maschine gehörte eindeutig zu jener Flugbootklasse, die sämtliche Windbewegungen automatisch ausglich. Ein Mann in einem blauen Umhang fuchtelte wütend mit den Armen. Daraufhin brüllte der Hikdar noch lauter, und die Sklavenaufseher ließen ihre Peitschen noch munterer herabsausen.
Taumelnd kam ich hoch und schleppte einen Holzbalken gegen den Wind. Dabei stieß ich gegen einen Brokelsh, der sich mit der Direktheit seiner Rasse an mir festhielt. Schließlich packte er das andere Ende des Balkens, woraufhin wir die Last gemeinsam zu den Soldaten schleppten, die sich an einer Stelle bemühten, den Zaun gegen den Sturm zu halten. Im Lee des schräghängenden Zaunes war der Wind etwas weniger heftig, und der hämmernde Lärm ließ nach. Ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Der Brokelsh spuckte aus.
»Einen so großen Abschnitt halten die Onker nie! Schau sie dir an ...!«
»Eine schlimme Sache«, erwiderte ich. Wenige Schritte entfernt lag der Zaun flach auf dem Boden und wurde vom Wind hin und her gezerrt. Die Männer, die den Windschutz mit riesigen Stangen wieder aufzurichten versuchten, sahen aus wie Fliegen an einem Fliegenfänger. Eine Stange rutschte ab und stach durch das Geflecht, woraufhin der Sturm den Zaun wieder umstürzen ließ. Soldaten und Sklaven sprangen zur Seite.
Da und dort lagen säuberlich zusammengerollte Seile. Ich hatte auf den irdischen Ozeanen seemännische Erfahrungen sammeln können und kannte mich aus mit Winddruck und tonnenschweren Gewichten, die allein mit Muskelkraft bewältigt werden mußten.
Das Toben des Sturms machte eine normale Verständigung unmöglich. Wenn ich meine Absicht in die Tat umzusetzen begann, würden andere mir folgen ... so ist es immer. Ein Mann ergreift die Initiative und findet Gefolgsleute. Er muß lediglich der richtige Mann am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt sein. Wie mußten die kregischen Götter sich in diesem Augenblick amüsiert haben! Wie lustig auch für die Herren der Sterne und die Savanti, hätten sie mich in diesem Augenblick beobachtet!
›Hochmut kommt vor dem Fall‹ heißt ein verdammt wahres Sprichwort.
Ich, Dray Prescot, Krozair von Zy, sprang auf und eilte direkt in den Wind. Ich packte das Ende eines zusammengerollten Seils und hastete auf den schrägstehenden Teil des Zauns zu. Auf der anderen Seite konnte ich das Seil um einen Pfosten binden und dann – mit Hilfe der Männer, deren Unterstützung ich erwartete – rückwärts zu ziehen beginnen, um den Zaun auf diese zünftige seemännische Weise wieder aufzurichten.
Ich sah den Deldar, der zu mir herüberfuchtelte. Sein Gesicht war von einer wundersamen Farbe und erinnerte mich an eine überreife Shonage-Frucht, sein Mund öffnete sich mächtig, während er mich anbrüllte, ohne daß ich über dem Brausen des Sturms auch nur einen Laut verstehen konnte.
Ich winkte beruhigend zurück. Das Seil fühlte sich dick und kratzig an zwischen meinen Fingern – ein sehr befriedigendes Gefühl. Ich lief los, bückte mich und achtete kaum darauf, wohin ich ging. Ich wollte nur auf die andere Seite des Zauns und das Seil an einem Pfosten befestigen – das war die selbstgestellte Aufgabe. Ich wollte diesen hamalischen Onkern zeigen, wie ein Seemann mit einem Sturm fertig wurde.
Ich taumelte gegen den Wind über den umgestürzten Zaun hinweg und stemmte einen Augenblick die Hand gegen das Holz. Dann blickte ich nach unten.
Mir stockte der Atem.
Noch heute, während ich hier sitze und in dieses Mikrofon spreche, erinnere ich mich deutlich an den ungläubigen Schock, der mich durchfuhr.
Der Wind kreischte in meinen Ohren; das Holz unter der einen Hand fühlte sich glatt an, das Seil in der anderen rauh und kratzig – und ich starrte fassungslos hinab.
Ich stand am äußersten Rand eines Abgrunds. Der Boden fiel unmittelbar vor meinen Füßen senkrecht ab. Im gleichen Augenblick teilten sich die Wolken, und die vier großen kregischen Monde verbreiteten ihr vielfarbiges Licht.
Und ich erkannte die Wahrheit.
Tief unter mir sah ich die Oberfläche Kregens, die sich bewegte!
Der steile Abhang vor mir fiel also nicht bis zur Ebene tief unten ab, sondern ich stand auf einem Grund, der hoch über der Oberfläche des Planeten schwebte und langsam dahinzog!
Ich schrie auf. Der Schock dieser Entdeckung, die unglaubliche Erkenntnis traf mich wie der Schlag einer Axt.
Land, das durch die Luft flog! Ein fliegendes Gebirge! Eine fliegende Insel!
Volgendrin!
Das also bedeutete dieses Wort.
Und im nächsten Augenblick taumelte ich und wurde ins Nichts hinausgewirbelt.