13
Kam ich gegen diesen Mann an? Ein von den Savanti ausgebildeter Kämpfer, der in hervorragender Form war, wie ich eben noch hatte beobachten können. Ein Mann mit dem erstklassigen Savantischwert, bei dem es sich um die vollkommenste Klingenwaffe handelt, die es auf ganz Kregen gibt, das fantastische Langschwert der Krozairs eingeschlossen. Hatte ich überhaupt eine Chance gegen ihn?
»Beeil dich! Meine Geduld ist bald zu Ende!«
Ich zog den Kopf zurück, wobei ich einen Tropfen meines Blutes an der Spitze der schimmernden Klinge entdeckte. Er mißverstand meine Bewegung und griff an.
Ich hatte lediglich ein Rapier und eine Main-Gauche zur Verfügung. Ich konnte ihm nicht erst erklären, daß es nicht zu meinen Gewohnheiten gehörte, mit einer Schwertspitze an der Kehle Auskünfte zu geben, es sei denn, mir stünde keine andere Möglichkeit offen. In diesem Falle war die Alternative allzu klar: ich Dummkopf konnte ein schnelles Ende finden.
Ich sprang zurück, und mein Rapier schnellte aus der Scheide; seine Klinge klirrte kreischend dagegen. Der nachfolgende Rapierstoß traf ins Leere. Er tanzte zur Seite.
»Du kämpfst gut, aber ich glaube dennoch, daß du gleich ein toter Mann bist.«
»Verdammt!« rief ich atemlos. »Ihr Leute aus Aphrasöe seid aber neuerdings sehr schnell mit der Waffe zur Hand. Kann man euch nicht mehr Fröhliches Schwingen wünschen, ohne gleich eine Waffe an der Gurgel zu haben?«
»Sag mir, was du über Aphrasöe weißt, dann töte ich dich nicht.«
»Und wenn du nicht gleich höflicher sprichst, werde ich dir eine Lektion erteilen müssen! Kennst du Maspero?«
»Ja.« Seine Klinge, die er ein Stück sinken ließ, schimmerte im Lampenlicht.
»Er war mein Lehrer.«
»Du bist ein Savapim?«
Diesen Ausdruck hatte ich noch nie gehört. Offenbar war damit ein Apim, ein Humanoide, gemeint, der als Agent der Savanti tätig war. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Lüge durchzuhalten. »Aber natürlich, du verdammter Onker!« sagte ich. »Wie heißt du?«
»O nein. Du sagst mir deinen Namen zuerst!«
Nun, wenigstens waren wir aus der akuten Gefahr der tödlichen Auseinandersetzung heraus und hatten das Stadium der Diskussion erreicht, das hoffentlich erfolgversprechender war.
Und wieder steckte ich im Dilemma. Welchen meiner vielen Namen sollte ich nennen? Als die Savanti diesen Mann nach Ruathytu schickten, konnten sie nicht gewußt haben, daß ich hier sein würde. Im Gegensatz zu den Herren der Sterne, die mich nackt und waffenlos inmitten einer Konfliktsituation absetzten, rüsteten die Savanti ihre Agenten zumindest mit Kleidung und Waffen aus. Insoweit sind die Herren der Sterne die gefährlichere Gruppe von Überwesen.
Der Bursche konnte sich jedenfalls mühelos erkundigen und feststellen, daß ich der Amak des Paline-Tals war. Immer vorausgesetzt, daß ich ihn überhaupt so lange leben ließ.
»Ich bin Amak Hamun Farthytu«, erwiderte ich.
»Ein Amak! Du mußt vor mir durch Aphrasöe gekommen sein.«
»Man erhält immerhin tausend Jahre ...«, sagte ich bedeutsam.
»Ja. Ich bin Wolfgang ...« Er hielt inne. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: »Wolfgang. Das reicht völlig. Wo ist dein Schwert?«
»Wolfgang?« fragte ich. »Mein Schwert befindet sich leider nicht hier.«
Wie wahr, bei Zair!
»Die Herkunft des Namens würdest du nicht verstehen – er ist dir sicher fremd.«
Wenn er mir jetzt erklären wollte, daß er von einem der Lichtpunkte am Himmel stammte und dort aus einem Gebiet namens Deutschland, wäre er schlecht ausgebildet gewesen. Aber er verzichtete auf die Erläuterung.
»Sehr fremd«, nickte ich. »Wo warst du zu Hause, ehe du über den Aph-Fluß nach Aphrasöe kamst?«
Diese Frage schien ihn zu beruhigen; dennoch beschränkte er sich mit einem Hinweis auf einen »fernen Ort«.
»Ich komme aus Hamal«, sagte ich. »Meine Aufgabe liegt hier. Und du?«
»Ich verstehe einfach nicht, warum man dich nicht eingesetzt hat. Ich bin ziemlich erschöpft. Ich hatte viel zu tun.« Er machte einige Bemerkungen über die Missionen, die ihn beschäftigt hatten, während er sein Schwert in der Scheide versenkte und ich etwas Wein aufspürte – eine ganz anständige Marke, die Nulty zurückgelassen hatte. Schließlich saßen wir uns über Weinkelchen gegenüber, und die Spannung ließ nach. Er schilderte mir, er sei in letzter Zeit in so viele Kämpfe verwickelt gewesen, daß er seinen Lehrer, einen Mann namens Hardin, mit den vielen von ihm verursachten Todesfällen verärgert habe. Wie Sie sich vorstellen können, erstaunte mich das sehr.
»Meine Ausbildung ist davon ausgegangen, das Leben sei heilig.«
»Natürlich! Das ist es ja gerade! Das ist der große Streitpunkt. Kregen muß endlich zivilisiert werden, das fordern die Savanti.« Der Wein schien ihn redselig zu machen.
»Die Tauben haben scharfe Augen.« Er saß auf meinem Bett und spielte mit dem Weinglas, das ich stets gefüllt hielt. Er sprach von der weißen Savantitaube, die mich oft begleitet und den Savanti über mich berichtet hatte. »Auf dieser schrecklichen Welt gibt es so viele Diffs ...«
Ich war neugierig, denn ich hatte meinen Kursus in Aphrasöe nicht abgeschlossen.
»Halblinge und Apims leben nebeneinander.«
»Aber war das immer so? Im Kreis der Savapim habe ich einen gewissen Ruf. Diese Mission wurde mir als eine Art Notfall übertragen, im letzten Augenblick. Eigentlich müßte ich mich jetzt fröhlich schwingend in Aphrasöe ausruhen. Natürlich gibt es viele Diffrassen, wie könnte es anders sein? Dies ist schließlich nicht die Erde.« Er stockte, setzte das Glas ab und fügte hinzu: »Meine Heimat.«
»Erde«, sagte ich scheinheilig. »Liegt das in Havilfar?«
»Du würdest es doch nicht verstehen.«
»Vielleicht nicht. Erzähl mir die neuesten Entwicklungen in Aphrasöe im Hinblick auf die Diff-Frage. Das Problem ist leider sehr dringlich geworden.«
Daraufhin unterhielten wir uns eine Zeitlang über Aphrasöe, jene herrliche Stadt im See des Aph-Flusses; über den Taufteich im Zelph-Fluß, der einem Täufling ein tausendjähriges Leben verleiht und eine erheblich gesteigerte Widerstandskraft gegenüber Krankheiten und Wunden. In diesem Gespräch demonstrierte ich zu Wolfgangs Zufriedenheit, daß ich mich in Aphrasöe auskannte, und seine Wachsamkeit ließ nach; er trank ziemlich viel.
Natürlich gab es viele verschiedene Arten von Halblingen, Tiermenschen, Menschtieren auf dieser Welt. Die Entwicklung war auf Kregen völlig andere Wege gegangen, war vielfältiger, hatte eine Fülle von Zwischenformen zwischen Mensch und Tier hervorgebracht, mit unterschiedlichen Intelligenzgraden. Aber auch hier ist dieselbe humanoide Rasse wie auf der Erde anzutreffen, eine Rasse, die auf Kregen aber nicht die Herrschaft über alle anderen Lebensformen errungen hat. Wolfgang war der Meinung, daß viele der Spezies und Rassen sich nicht auf Kregen entwickelt hatten, sondern von anderen Planeten stammten – so wie er, aber das sagte ich ihm natürlich nicht. Vielleicht hatten gar die Herren der Sterne die Galaxis nach unterschiedlichen Lebensformen abgesucht und sie hier auf engen Raum ausgesetzt? Aber welches Ziel sollten sie damit verfolgen? Warum benutzten sie dazu mich, Dray Prescot? Eines Tages, das versprach ich mir, wollte ich eine Antwort auf diese Frage haben.
»Ach«, sagte der Savapim, der aus Deutschland kam, das auf einem kleinen Sandkorn in vierhundert Lichtjahren Entfernung lag, »jetzt bin ich müde, und es ist spät. Ich muß morgen meine Arbeit fortsetzen. Ich beneide euch Savapims mit festem Wohnsitz.« Er warf mir einen zweifelnden Blick zu. »Allerdings begreife ich nicht, warum ich überhaupt hierherkommen mußte, wenn du deine Arbeit richtig tust.«
»In den letzten Tagen sind viele neue Diffs nach Ruathytu gekommen«, sagte ich diplomatisch.
Er sollte in Nultys Zimmer schlafen. Ich versorgte ihn mit allem Nötigen, und er legte sich lang. »Wie ich schon sagte«, bemerkte er gähnend, »wir glauben inzwischen, daß hinter der Verteilung von Diffs, Flora und Fauna eine Absicht steht. Und dabei hat es offenbar viele Probleme gegeben. Entspricht das alles einem umfassenden Plan, oder steckt mehr der Zufall dahinter? Ist die erste Verteilung abgeschlossen, oder geht es noch ständig weiter? Und wie lange läuft das Programm schon?« Wieder gähnte er. »Und kümmert sich die Evolution um jene Spezies, die in ungeeigneten Lebensräumen abgesetzt wurden?«
»Das nehme ich doch an«, sagte ich.
Als ich zur Tür ging, fuhr sich Wolfgang mit der Zunge über die Lippen.
»Rätselhaft, das Ganze.« Seine Stimme klang undeutlich. »Vielen Dank für deine Gastfreundschaft. Ich finde das gut. Kregen ist eine Welt, in der sich ein Fremder oft nur schwer zurechtfindet.«
Als ich die Tür schloß, rief er mir nach: »Wer plaziert nun all die Diffs hier auf Kregen, was meinst du?«
Darüber mußte ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, doch etwas lächeln. Es war ein hartes, zynisches Lächeln. Ich war der Meinung, daß Kregen von der Herren der Sterne kontrolliert wurde. Darin konnte ich mich irren, doch zumindest wußte ich etwas mehr als dieser Savapim.
Ich gebe allerdings zu, daß ich auf recht mühsame und schmerzhafte Weise an diese Informationen gekommen war.
Als ich am nächsten Morgen erwachte und in Nultys Zimmer blickte, war Wolfgang der Savapim bereits abgereist.
Mit einem meiner Dolche hatte er einen Zettel an die Wand gespießt. Ich riß ihn ab. Das Papier – ah, das Papier! Savantipapier! Von erster Qualität, knisternd, weiß. Ich hatte Wolfgang nicht nach dem Papier der Savanti und seiner wichtigen Funktion gefragt. Jetzt war es dazu zu spät. Der Text war kurz.
»Lahal, Amak: Vielen Dank für Wein und Bett. Wir werden eines Tages auf den Ebenen zusammen den Graint jagen.«
Die Worte standen dort in der wunderschönen fließenden kregischen Schrift, und anstelle des üblichen Remberee las ich: Fröhliches Schwingen.
»Fröhliches Schwingen auch für dich«, sagte ich und verbrannte den Zettel.