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Die Zwillingssonne schimmerte strahlend am Himmel, als ich mit Delia in einen eingefriedeten Garten der Feste Esser Rarioch hinaustrat. Es war nicht der Garten, in dem wir von den Stikitches überrascht worden waren, sondern eine noch abgeschiedenere Anlage, gesichert von einer dicken Lenkholztür, zu der nur Delia und ich einen Schlüssel hatten.
Drak und Lela tobten im hohen Gras herum, begleitet von Kardo und Shara, zwei winzigen Menschenjäger-Zwillingen.
Neben Delia und mir ging Melow die Geschmeidige. Sie hatte sich in vallianisches Leder gehüllt, das allerdings mit allerlei Farbtupfern versehen worden war; ihr gelbes Haar war säuberlich zurückgekämmt. Im Grunde war es noch immer ein seltsames Gefühl, den gefährlichen Menschenjäger bei uns zu wissen – doch Delia hatte die Jikla und ihre Neugeborenen mit offenen Armen aufgenommen.
Meine Gedanken galten allerdings anderen Dingen.
Wir machten eine besondere Phase durch, über die es viel zu erzählen gibt: im Vordergrund standen meine Versuche, das Vallianische Reich dazu zu bewegen, sich auf den Kampf gegen Hamal vorzubereiten. Ich kann nur in Stichworten schildern, was in diesen Tagen geschah, um meinen Bericht nicht zu sehr ausufern zu lassen.
Unser Beisammensein im Garten wurde von der Meldung unterbrochen, daß ein pandahemischer Ruderer im Hafen erwartet werde, den man gekapert hatte. Das Schiff war bei dem Kampf beschädigt worden; ein Katapultstein hatte ein tiefes Loch in seine Flanke gerissen, aber die Ladung – vorzüglicher Jholaixwein – war weitgehend unbeschädigt geblieben.
Der Kapitän des gekaperten Schiffes, ein Pandahemer namens Rordham, wurde dem Herrscher vorgeführt; ich war bei diesem Gespräch zugegen. Der Mann schilderte uns die niedergeschlagene Stimmung, die in jenen Teilen Pandahems herrschte, die der Macht Hamals bisher noch nicht erlegen waren.
»Die verdammten Menahamer«, sagte er kopfschüttelnd. Wir hatten ihm einen Kelch mit Wein aus seiner eigenen Ladung gegeben, den er anerkennend trank. »Sie haben den pandrite-vergessenen Teufeln aus Hamal geholfen! Die Schiffe flogen durch den Himmel, die eisernen Soldaten marschierten. Tomboram ist in Bedrängnis ...«
Ich erkundigte mich nach meinen Freunden aus Bormark, doch er schüttelte den Kopf.
»Du weißt soviel wie ich, Prinz. Aus Tomboram sind seit langer Zeit keine Nachrichten mehr gekommen. Was Bormark angeht, das ich ein wenig kenne, so mag Pandrite wissen, was aus dem dortigen Kov geworden ist.«
Dieses Gespräch führte dazu, daß ein Plan, den ich seit langem mit mir herumtrug, konkrete Formen annahm. Jedenfalls hatte der Bau von Himmelsschiffen in den Werften Valkas und Vallias längst begonnen. Ich hatte dem Herrscher die Schwierigkeiten offenbart, die wir noch überwinden mußten, hatte aber die Pille versüßt, indem ich ihn an Bord des ersten selbstgebauten Vollers mit hatte aufsteigen lassen.
Später werde ich im einzelnen schildern, wie unsere neuen Schiffe beschaffen waren; Sie sollen begreifen, welche Absichten wir damit verfolgten. Im Augenblick möchte ich mich mit der Bemerkung begnügen, daß der Herrscher die Ansicht äußerte, wir müßten die Hamaler mit jeder Waffe bekämpfen, die uns die Weisheit Opaz' in die Hände gab.
»Die Nachrichten aus Pandahem überzeugen mich, Dray. Kapitän Rordham ist ein geschlagener Mann. Der Untergang, den er auf sich zukommen sieht, macht sich in allem bemerkbar, was er sagt und tut.«
»Nein, es gibt keinen Zweifel mehr, daß die Hamaler von Pandahem aus gegen uns vorrücken werden, sobald sie die Insel erobert haben. Wir stehen als nächste auf der Liste.«
Kov Lykon versuchte diese Ansicht mit spöttischen Worten abzutun; doch er konnte die pessimistische Einschätzung der Lage nicht mehr verändern.
»Nein, Kov«, sagte der Herrscher mit befehlsgewohnter Stimme. »Du hast die Diskussion verloren, gib dich zufrieden, damit unsere Landsleute nicht vielleicht noch sagen, du seist von den Hamalern bestochen worden, uns von jeder Verteidigungsanstrengung abzuhalten.«
Daraufhin warf ich Lykon Crimahan einen scharfen Blick zu, doch er hielt sich gut. Er protestierte wortreich und beteuerte seine Unschuld. Der Gedanke des Herrschers kam mir alles andere als unvernünftig vor. Diesen Lykon Crimahan mußte man im Auge behalten.
Später saß ich allein mit dem Herrscher zusammen und beriet mich mit ihm bis spät in die Nacht. Ich schilderte ihm meinen Plan, von dem ich mir einen Zeitgewinn für Vallia erhoffte.
»Es geht um folgendes, Majister: wir müssen Tomboram und sogar Jholaix unterstützen. Wenn diese Länder fallen, gibt es keine Barriere mehr zwischen uns und den Hamalern.«
»Vergiß das Meer nicht, Dray! Das Meer ist seit jeher unser Verteidigungswall und unsere Straße zum Glück!«
»Ich habe die hamalischen Himmelsschiffe gesehen. Sie haben eine vallianische Galleone mühelos in Brand gesteckt. Sie werden unsere ganze Flotte vernichten, wenn wir sie zu nahe an Vallia herankommen lassen.«
Er begann sich große Sorgen zu machen. Herrscher zu sein, ist eine feine Sache, wenn alles gut geht; doch die Entwicklung läuft selten gut – ganz besonders selten auf Kregen.
»Also gut. Stelle eine Liste der Streitkräfte zusammen, die du brauchst. Ich gebe dir, was ich kann. Die frisch angeworbenen Chuliks werden allerdings nicht rechtzeitig hier sein. Aber wir haben ein paar tausend Pachaks zur Verfügung, die wirklich zu kämpfen verstehen.«
Später fragte ich: »Was ist mit den Roten Bogenschützen aus Loh?«
Darauf war keine direkte Antwort zu erhalten. Die Roten Bogenschützen aus Loh waren seine persönliche Leibwache, hervorragende Schützen, ein Söldnerkorps, das nach dem Umsturzversuch der dritten Partei und nach der Schlacht bei den Drachenknochen von Seg und Dag Dagutorio völlig umorganisiert worden war. Der Herrscher stemmte die Faust unters Kinn und sah mich nachdenklich an. Ich wartete.
»Ich habe dir dreitausend Rote Bogenschützen gegeben für deinen Kampf auf Seiten der Miglas gegen die Canops«, sagte er. »Dafür habe ich noch keine Gegenleistung gesehen.«
Wir diskutierten weiter. Ich wollte so viele Valkanier mitnehmen wie ich für ratsam hielt, ohne mein Inselstromnat seiner Kampfkraft zu berauben. Hierbei war ich auf ein Phänomen gestoßen, das sich immer wieder bewahrheitet: ein Land, das erst vor kurzem einen Krieg durchgemacht hat, vor allem einen Bürgerkrieg, bringt in großer Zahl fähige Soldaten hervor. In Valka, das nicht sonderlich groß ist, hatte ich vermutlich ebenso viele erstklassige Soldaten zur Verfügung wie das ganze übrige Vallia, das sich früher allerdings in erster Linie auf Söldnerdienste verlassen hatte und erst seit kurzem eine eigene Armee besaß.
Schließlich einigten wir uns: er überließ mir tausend Bogenschützen, auf deren Langbögen es mir ankam.
»Trotzdem müssen sich unsere Soldaten im Kampf vorsehen. Die Hamaler werden in großer Zahl antreten, unterstützt durch einen hervorragenden Luftdienst. Außerdem verfügt Hamal über Sattelvögel.«
»Richtig, da sind die Flutduins, die du uns aus Djanduin hast schicken lassen«, sagte der Herrscher und sah mich von der Seite an. »Du bist ja wohl so eine Art König in Djanduin«, fuhr er mit geschürzten Lippen fort.
Mein Gesicht blieb starr. »Was die Flutduins angeht«, hielt ich mich an das Thema, »so handelt es sich dabei um die besten Reitvögel in ganz Havilfar. Aber wir haben weniger als hundert Pärchen. Die Hamaler werden den Himmel mit Fluttrells und Mirvols geradezu überschwemmen, aye, und ein paar von den verdammten jungen Heißspornen werden auch Zhyans in den Kampf führen.«
»Ich verstehe nichts von solchen fliegenden Kreaturen ...«
»Deine Armee wird aber um so mehr darüber erfahren!«
Nun, Sie können ermessen, wie hartnäckig wir miteinander rangen. Schließlich gelang es mir, eine kleine Armee aus etwa fünfzehntausend Kämpfern zusammenzubringen. Eine winzige Streitmacht, wenn ich an die hamalischen Regimenter dachte, doch es war ein Anfang. Mit dieser Armee und einer willkommenen Verstärkung aus Djanduin, dessen Herrscher ich ja tatsächlich war, konnten wir nach Pandahem segeln und Schulter an Schulter kämpfen mit Pando, dem Kov von Bormark, meinem jungen Freund. Auf diese Weise ließ sich vielleicht verhindern, daß die Hamaler den Absprung nach Vallia fanden, den die Königin Thyllis mit der Eroberung Pandahems anstrebte.
Vor unserem Abmarsch, so überlegte ich, mußte ich den halsstarrigen valkanischen Kriegern allerdings noch eine kleine Lektion erteilen. Wie Sie wissen, halten die Soldaten aus Turismond und Segesthes, aus Pandahem und Vallia den Schild für die Waffe eines Feiglings, für etwas, hinter dem sich der Hasenfuß in der Hitze des Gefechts versteckt, anstatt mit erhobenem Rapier oder Clanxer anzugreifen.
Während eines Übungskampfes in einer kleinen Sandarena hielt ich inne und wandte mich an Balass den Falken. »Hör mal, Balass. Hast du gestern gesehen, wie Ortyg Handon den armen Larghos erledigte?«
Er nickte. »Mit großem Interesse, bei Kaidun!«
Ortyg Handon, den seine Niederlage gegenüber dem geheimnisvollen Zando noch immer wurmte, hatte gestern einen Streit mit Larghos vom Zaun gebrochen, einem jungen, unerfahrenen Mann, der sich der Herausforderung nicht entziehen konnte. Handon, dessen Armwunde inzwischen verheilt war, hatte Larghos in einem unnötig blutigen Kampf getötet. Nach dem kregischen Ehrenkodex hatte es keine andere Möglichkeit gegeben, als die Herausforderung mit Blut zu besiegeln. Als einziger hätte der Herrscher eingreifen können, doch auch Larghos war entschlossen gewesen, auf Sieg oder Tod zu kämpfen.
»Schaffst du ihn?« fragte ich Balass den Falken nun. »Mit Schwert und Schild?«
Er nickte. Über seine Lippen kamen keine prahlerischen Worte – schließlich ging es um ein ernstes Thema.
Der Kampf wurde arrangiert und fand draußen auf Vorgars Drinnik vor der versammelten valkanischen Streitmacht statt – das Duell, das seltsamerweise zwischen Balass und Handon vereinbart worden war, nachdem die beiden überraschend in Streit geraten waren. Ein Rapier-und-Dolch-Mann gegen einen Kämpfer mit Schwert und Schild. Balass war ein Hyr-Kaidur, Handon ein Bravokämpfer, ein erfahrener Schwertfechter. Bei dem Kampf ging es um weit mehr als nur das Ergebnis – wenn Balass versagte, hatte mein Plan keine Chance mehr.
Um die Gegner bis auf die Waffen gleichzustellen, trugen sie keine Rüstung, sondern waren bis auf die Lendentücher nackt. Balass war es gewöhnt, als Gladiator zu kämpfen. Er trug den Schild, mit dem er schon im Jikhorkdun von Huringa gekämpft hatte, der Hauptstadt Hyrklanas. In seiner Hand ruhte sein Thraxter, eine hervorragende Waffe, die von Naghan der Mücke für ihn angefertigt worden war. Das gerade Schwert war zwar gut ausbalanciert, wirkte neben Handons schmalem Rapier aber schwer und behäbig. Und die Main-Gauche gegen einen Schild? Nun, es hängt immer davon ab, wie man seine Waffen einsetzt.
Balass trug einen roten Lendenschurz, während Handons goldenes Numim-Fell hell von einem weißen Hüfttuch abstach – ein Gegensatz, wie er meinem Auge gefiel, ganz abgesehen von meiner alten Sympathie für die rote Farbe.
Der Kampf wurde regelgerecht vorbereitet. Man wartete, bis der Herrscher und sein Gefolge eingetroffen waren, zu dem auch Kov Lykon gehörte. Er setzte große Summen auf seinen Mann. Ich hatte Panshi den Auftrag gegeben, möglichst günstige Quoten für Balass herauszuholen. Wie sehr mich das alles an meine Zeit in Ruathytu erinnerte!
Der Herrscher nickte, und Jiktar Exand, der als Schiedsrichter fungierte, ließ das rote Tuch fallen. Sofort sprang Handon vor. Sein wildes Numim-Schnauben ertönte, seine goldene Mähne schimmerte im Licht der Sonnen.
Balass der Falke war ein raffinierter alter Kämpfer. Er wich zurück, und sein Schild erdröhnte unter den Hieben des Rapiers. Schließlich schob er seinen Gegner mit dem Schild zur Seite. Die Main-Gauche prallte gegen den Thraxter, doch im nächsten Augenblick zuckte der gekrümmte Schild wie eine Ramme vor und stieß den Numim um sechs Fuß zurück. Handon verlor das Gleichgewicht nicht, doch er grollte tief im Hals und packte seine Waffen fester. Und wieder ging er zum Angriff über, sich hin und her duckend, fintend, bemüht, seine Rapierspitze an dem hinderlichen Schild vorbeizulenken.
Ich konnte mich nicht ganz auf den Kampf konzentrieren, wollte ich doch die Gesichter meiner valkanischen Kämpfer beobachten. In diesen Gesichtern spiegelte sich jede Wende des Kampfes! Natürlich waren sie ausnahmslos für Balass, der immerhin Kamerad ihres Strom war, während es sich bei Handon um den Gefolgsmann des eingebildeten Kov Lykon handelte. Sie jubelten und brüllten, und ich beobachtete sie in der Hoffnung, daß sie die wahre Geschicklichkeit des Schildkämpfers zu würdigen wußten.
Der Kampf hätte ziemlich lange dauern können, doch Handon glaubte sich einwandfrei überlegen. Er wich zurück, ließ sein Rapier über den Kopf wirbeln, woraufhin Balass' Schild vorgereckt wurde – doch dann stieß die Rapierspitze blitzschnell zu – ein Rapier ist wirklich schneller als der Thraxter – zuckte vor wie eine Risslacazunge und traf hoch über dem Schildrand ins Ziel. Balass machte drei hastige Schritte rückwärts, und das Rapier kam frei; die Spitze war drei Zoll breit mit Blut befleckt.
»Erster Blutstropfen!« rief Jiktar Exand ohne Begeisterung.
»Bis zum Tode!« brüllte Kov Lykon.
Offenbar sollte mein Freund Balass in den nächsten Murs sein Ende erleben – vor meinen Augen!