5
Die Vaol-Kästen und die Paol-Kästen standen dicht beieinander.
»Majister«, sagte ich, »wenn du diesen Kasten auf den anderen zuschiebst ...«
Er kam meiner Aufforderung nach.
Wir alle hatten uns in Scavanders nach Chemikalien stinkenden Arbeitsraum gedrängt und standen nun um einen zerkratzten Lenkholztisch inmitten der Überreste von Lishs Flugboot und der Mineralien, die Ornol gesammelt hatte. Zwei neue Kästen erwarteten die hochherrschaftliche Hand.
Auf dem ersterbenden Feuer stand ein blubbernder Messingkessel, und der süße Duft von Squishes hing in der Luft. Samphronöllampen brannten, und durch die hohen Fenster lächelte die Frau der Schleier vom kregischen Nachthimmel herein.
Vorsichtig schob der Herrscher einen Kasten auf den anderen zu.
Die Gebilde erreichten schließlich eine ganz bestimmte Entfernung – woraufhin beide in die Luft sprangen!
Wir alle atmeten hörbar aus. Ich war wie verzaubert. Delia umarmte mich. Überall waren nur lächelnde Gesichter zu sehen.
Die Kästen stiegen senkrecht empor. Sie stießen inmitten der Spinnweben gegen die Decke, wichen auseinander und stürzten laut polternd wieder zu Boden. Die Anwesenden begannen laut zu lachen – ausgenommen Lykon und Kovneva Natyzha. Trotz meiner überschwenglichen Freude entging mir nicht, daß diese beiden ernst blieben.
»Und das läßt sich wiederholen?« wollte der Herrscher wissen.
»Gewiß, Majister!« ließ sich Scavander vernehmen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »In der Tat braucht man dazu nur ...« Und er setzte zu einer umständlichen Erklärung an, die mich zu einem Stirnrunzeln veranlaßte. Sie war ausführlich und ungewöhnlich kompliziert, enthielt viele gelehrte Worte und ergab selbst für mich, der ich eigentlich wissen mußte, wovon er sprach, kaum einen Sinn. Ich spürte einen Hauch von Unbehagen. Der Herrscher wischte die gelehrten Erläuterungen mit einer unwirschen Handbewegung beiseite.
»Es soll mir genügen, daß mein Schwiegersohn seine Aufgabe doch noch gelöst hat. Ich werde die Summen für den Bau von Flugbooten bewilligen. Wenn nur die Hälfte von den Dingen stimmt, die uns über Hamal erzählt wurden, brauchen wir sie dringend.«
»Daran glaube ich allerdings nicht, Majister«, schaltete sich Kov Lykon ein. »Ich bin ganz und gar nicht davon überzeugt, daß Hamal uns gegenüber böse Absichten hegt. Der Krieg dieses Landes richtet sich gegen die pandahemischen Staaten. Wir Vallianer sollten jeden mit offenen Armen empfangen, der Pandahem schadet!«
Das zustimmende Gemurmel betrübte mich. Vallia und Pandahem waren zwar Rivalen auf den Äußeren Ozeanen Kregens, aber diese Rivalität kam mir dumm und sinnlos vor. Ich hatte Freunde in Bormark, einem Kovnat Tomborams, das ein Königreich in Pandahem ist.
»Du kannst einem Leem einen Ponsho zum Fraß hinwerfen«, sagte ich betont. »Das verhindert aber nicht, daß sich der Leem hinterher dir zuwendet, nachdem er den Ponsho gefressen hat.«
Die Umstehenden nickten. Allmählich lernte ich es, mit dem Gefolge des Herrschers richtig umzugehen; ich gewöhnte es mir an, die Probleme nicht mehr offen anzusprechen, sondern in Gleichnisse zu kleiden, wie es in diesen Kreisen üblich zu sein schien. Als Erster Leutnant eines 74-Kanonen-Schiffes auf den irdischen Meeren hatte ich meine Befehle hinausgebrüllt und dafür gesorgt, daß die Matrosen spurten. Hier jedoch, in den höheren Kreisen eines Staates, kam man mit der indirekten Methode weiter. Nicht daß Lykon Crimahan oder Natyzha Famphreon die indirekte Methode vorzogen – sie benutzten sie auf dieselbe Weise wie ich.
Die beiden blickten starr auf den Herrscher. Zweifellos glaubten sie sich sehr im Nachteil aufgrund der Tatsache, daß sie mit dem Herrscher oder seiner Tochter nicht verwandt waren, während ich mich Schwiegersohn des alten Knaben nennen durfte. Wie wenig wußten sie von den wahren Verhältnissen jener Tage, wenn sie sich einbildeten, meine Ehe mit Delia hätte mir das Leben erleichtert! Der Herrscher tolerierte mich und hatte sogar ein bißchen Angst vor mir, wie ich sehr wohl wußte, doch brachte er mir ansonsten keine Zuneigung entgegen Echte Gefühle entwickelte er lediglich bei seinen Enkeln, Dank Zair!
Das Gespräch dauerte noch sehr lange, und in der Diskussion kam wieder einmal der Zorn zum Ausdruck, den manche Leute auf mich empfanden. Die Tatsache, daß ich ein barbarischer Klansmann der Großen Ebenen von Segesthes wie auch Lord von Strombor war, wurde mir ebenso vorgehalten wie meine Ehe mit der Tochter des Herrschers und meine Pläne, mit Pandahem in freundschaftliche Beziehungen zu treten. Crimahan und die Kovneva-Witwe sprachen sich energisch dagegen aus, für meine verrückten Flugboote Geld auszugeben. Seit Hamal im Krieg gegen Pandahem stand, hatte dieses Land keine weiteren Voller an uns verkauft, während Hyrklana seine Voller nur noch nach Hamal exportierte. Königin Fahia von Hyrklana, eine rundliche, bösartige Dame, hatte Ärger mit der Flugbootherstellung; ich wußte, daß es in ihrem Lande Kräfte gab, die Fabriken niederbrannten und sie vom Thron zu stürzen versuchten. Trotzdem bestand Hamal darauf, daß Hyrklanas Voller ausschließlich nach Hamal exportiert wurden. Nein, mein Plan war der einzig richtige. Das Problem war San Evolds seltsames Verhalten. Im Namen Zairs, was führte er im Schilde?
Die Antwort traf mich wie ein Faustschlag, als ich schließlich allein mit ihm sprechen konnte; die anderen waren in das Chavonth-Zimmer zurückgekehrt, um die Diskussion bei frisch gefüllten Weinkelchen fortzusetzen.
»Mein Prinz! Ich bin verzweifelt!«
Plötzlich ging mir ein Licht auf – ich glaubte zu wissen, was geschehen war.
»Du hast alles nur arrangiert, Evold! Der Squishdunst war gar kein echter Cayferm; du hast den Dampf aus einem anderen Silberkasten verwendet, aus einem echten hamalischen Kasten!«
Er schüttelte den Kopf, wobei er die ausgebreiteten Hände hob. Er nieste und sagte zischend: »Nein, Prinz, so nicht, so nicht!«
»Na, dann raus damit, Evold!«
»Als sich der Dampf niederschlug, begann ich mich zu fragen, ob das Wasser überhaupt mit unserem Geheimnis zu tun haben konnte. Was blieb außer dem Wasser in dem Kasten zurück? Luft!«
»Gewöhnliche Luft aus deinem verdammten Laboratorium!«
Er führte mich zu einem Apparat, der auf einem niedrigen Lenkholztisch stand.
In diesem Augenblick trat sein Assistent Ornol ein. Ornol war in einen valkanischen Kanal gefallen, von dessen Wasser er getrunken hatte, ehe man ihn wieder an Land ziehen konnte. Daran war er zwar nicht gestorben, doch würde er nie wieder richtig gehen können. Sein linkes Bein hatte irgendwie auf das Gift im Kanalwasser reagiert, war eingeschrumpft und ließ sich kaum noch bewegen. Ornol, ein fröhlicher junger Bursche mit langem, blondem Haar, das zurückgekämmt über seine Schultern fiel, humpelte herbei und stellte die Amphoren, Kästen und Leitungen zurecht.
»Siehst du, Prinz? Mit diesem Röhrchen ziehe ich ab, was nach der Kondensierung des Dampfes im Kasten verblieben ist ...«
Ich wußte von der seltsamen Nicht-Substanz, die Vakuum genannt wurde, doch ich wagte das Wort nicht auszusprechen. Ich rechnete insgeheim damit, daß der Kasten zusammenfallen würde, bestand er doch aus sehr dünnem Metall. Ich knurrte etwas vor mich hin, und Evold fuhr aufgeregt fort.
»Beim nächstenmal sammelte ich den Dampf in dieser Amphore, stellte sie auf den Kopf und zog das gewonnene Etwas durch die Röhre ab. Mein Prinz – das muß das echte Cayferm sein!«
Darin sollte er sich irren, wie spätere Forschungen ergaben. Ich schnüffelte prüfend. Es roch nach reifen Squishes. Während des Banketts hatte Evold mich nicht erreichen können; da er wußte, wie dringend seine Arbeit war, hatte er allein weitergemacht. Ich machte ihm keine Vorwürfe. »Es funktioniert also?« fragte ich.
»Aye, mein Prinz. Allerdings gibt es eine seltsame Abweichung von unserem Vorbild. Die Wirkung ist anders.«
Ich hörte einen Ruf aus dem langen Saal der Bildnisse.
»Dray! Der Herrscher wartet!«
Wenn ich schon nicht auf meine Haut achtete, so war doch Seg Segutorio, der Kov von Falinur, äußerst besorgt darum!
»Zwei Murs noch, Seg, gedulde dich so lange!« Dann zu Evold: »Bitte erkläre mir das.«
»Ich habe die neuen Kästen in die richtige Position gebracht, auf Laufschienen aus einem Flugboot.« Die Sturmholzringe, die mit Aufhängungen versehen waren, vermochten in- und umeinander zu kreisen und die Silberkästen auf diese Weise in die verschiedensten Positionen zueinander zu bringen. Auf diese Weise wurden Auftrieb und Kurs des Flugbootes kontrolliert.
»Beeil dich!«
»Unsere Kästen reagieren leider anders. Eine Kurskontrolle ist nicht möglich ...«
Ich ließ mir nichts anmerken. »Soll das heißen, diese Kästen, unsere Kästen steigen nur senkrecht empor? Man kann sie nicht vor- oder rückwärts in Bewegung setzen?«
Er nickte, und seine massige Nase schimmerte im Licht der Samphronöllampen. »Richtig, mein Prinz.«
»Bei den wurmzerfressenen Nieren Makki-Grodnos!« Ich war außer mir. All meine Arbeit, all die Qual, all die Erniedrigungen – und trotzdem hatte ich nur die halbe Antwort nach Hause gebracht!
»Also gut. Laß Cayferm-Vorräte anlegen. Ich werde mit dem Schiffsbauer Erdgar sprechen. Wir müssen unsere Pläne erneut ändern.«
»Aber mein Prinz!«
»Dray!« rief Seg Segutorio.
»Keine weiteren Diskussionen, Evold!«
»Jawohl, mein Prinz.«
Ich verließ das Zimmer; meine lange weiße Robe flatterte hinter mir. Dumpfer Zorn erfüllte mich.
All meine raffinierten Pläne schlugen fehl. Es gab in Vallia wenige weitsichtige Männer, die die Zeichen der Zukunft erkannten, denen klar war, daß der wahnsinnige Ehrgeiz der hamalischen Königin sich nicht auf Pandahem beschränkte. Doch auf jeden dieser Männer kamen hundert, nein tausend, die diese Wahrheit nicht erkannten. Diese stolzen Vallianer verließen sich auf ihre großen Galleonen und auf die Söldner, die sie für Gold kaufen konnten. Für diese Männer war schon der Gedanke unmöglich, daß Vallia durch ein anderes Land bedroht werden könnte.
Dies war nicht der rechte Augenblick, dem Herrscher die wahre Lage zu eröffnen. Ich konnte ihm nicht sagen, daß ich Flugboote bauen konnte, die zwar in die Luft stiegen, die sich ansonsten aber nicht von der Stelle rührten! Dieses Thema durfte ich erst später anschneiden, wenn ich ihn mit Delia für mich allein hatte.
Als ich in das Chavonth-Zimmer zurückkehrte, war die Diskussion bereits in vollem Gange, doch ich fand keine rechte Freude mehr daran.
Einige Zeit später informierte mich Jiktar Exand, er habe einen Mann gefunden, der auf den Namen Diproos des Langfingrigen fluchte. Wenn Sie sich noch an Nath den Dieb aus Zenicce erinnern, der meinen Klansleuten geholfen hatte, wissen Sie, daß Diproo der Langfingrige der Schutzpatron der Diebe ist. Wo es tragbare Wertgegenstände gibt, die nicht angekettet oder verschlossen sind, gibt es auch Diebe – das wird bis in alle Ewigkeit so sein.
Ich empfahl mich aus der illustren Runde, bat Delia, mich bei ihrem Vater zu entschuldigen, und verließ mit Jiktar Exand und Seg Segutorio den Raum.
Ich war auf einen zweiten Nath oder Naghan gefaßt, sah mich aber schließlich einem dicken, grinsenden Burschen gegenüber, der Kornan hieß und sich ständig die Hände rieb – und der sehr auskunftsbereit war.
Seine Aussage lief auf folgende Details hinaus: Ja, es hatte ein paar verdächtige Fremde in der Stadt gegeben, die die Tavernen und Dopalokale besucht hatten, harte, abweisende Männer mit narbigen, steinernen Gesichtern, die wenig Freundlichkeit verhießen. In den Tavernen hatten sie viele Fragen gestellt, meistens über die Festungswachen. Bei vielen Einheimischen waren die Männer abgeblitzt, doch manch einer hatte im Suff ein wenig zuviel geredet. Bei diesen Worten rötete sich Jiktar Exands Gesicht. Vermutlich würde Kornan später noch ein paar Namen und Gesichter beschreiben müssen, um den Befehlshaber meiner Wache zufriedenzustellen. Nun, das war sein Problem. Ich muß zugeben, daß es mich ebenfalls mit Unbehagen erfüllt, wie mühelos die valkanischen Wächter überlistet worden waren. Die Taverne, in der die Fremden gewohnt hatten, hieß Admiral Constant. Als Exand losstürmen wollte, hielt ich ihn mit einer Handbewegung zurück.
»Moment noch, Exand. Wir haben noch nicht alles erfahren.«
»Aye, Prinz«, sagte er gepreßt. Nachdem ich dem Anschlag heil entronnen war, bot mir sein Verhalten die Gewähr, daß die Bewachung der Feste künftig besser organisiert sein würde. Meine Valkanier waren gefährliche Kämpfer, doch den einfachen Swods war Hinterlist fremd. Ich gab Exand keine Schuld, was sich aber ändern würde, wenn er so etwas ein zweitesmal geschehen ließ. Das wußte er auch.
»Der alte Naghan der Beutelschneider hat versucht, einen der Fremden zu bestehlen«, fuhr Kornan fort. Er rülpste und hielt dann noch die Finger vor den Mund, befand er sich doch in vornehmer Gesellschaft. »Die Männer haben ihm die Hand abgeschlagen.«
»Davon habe ich ja gar nichts erfahren.«
»Nein. Aus Gründen, die auf der Hand liegen – auf der Hand, die Naghan noch verblieben ist. Er möchte lieber so weiterarbeiten.«
Namen waren nicht zu erfahren. Nein, Kornan hatte den Namen Traga noch nie gehört. Nein, die Fremden trugen nicht Schwarz, sondern anständige vallianische Lederkleidung. Die Diebe machten einen großen Bogen um sie.
»Ich werde mir den Admiral Constant mal ansehen«, sagte Seg. »Vielleicht kann ich die Burschen aus ihren Löchern treiben.«
»Aye«, sagte ich. »Nimm dich aber in acht.«
Er marschierte los, begleitet von einer Gruppe Wächter in Zivil – verkleidet als eine Schar Zecher, die eine Taverne für den Abend suchte. Kornan der Dieb schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Dürfte ich erfahren, was ...?«
»Nein, Kornan«, unterbrach ich ihn freundlich. »Es ist für deine Gesundheit am besten, wenn du keine Fragen stellst.«
Sein Lächeln erstarrte etwas, aber dann nickte er und murmelte, er wisse ja ohnehin nichts, bei Diproo dem Langfingrigen. Kaum hatte er gesprochen, fluchte er leise auf sich selbst.
Wir standen am unteren Tor, überragt von den düsteren Mauern Esser Rariochs, umgeben von Wachfeuern, die da und dort brannten. Am Himmel schimmerten die Sterne Kregens, und die Frau der Schleier schwamm in ihrem goldenen Dunst. In diesem Augenblick kam Kov Lykon die schmale Steintreppe herab und näherte sich uns. Er hatte den anmutigen, doch zugleich entschlossenen Schritt des Mächtigen. In seiner Begleitung befanden sich zwei Chail Sheom, arme Mädchen, kaum bekleidet und nach widerlicher hamalischer oder hyrklanischer Sitte in Sklavenketten gelegt.
Lykon Crimahan wurde ferner von einem jungen Numin begleitet, der ungeheuer muskulöse Arme und Beine und einen Stiernacken hatte und den kleinen runden Kopf des Kämpfers; dieser Mann trug weiche Lederkleidung, Rapier und Dolch. Seine Nase war gebrochen und ziemlich gerade wieder angewachsen, verlieh seinem eckigen Löwengesicht aber einen Ausdruck der Wildheit, der gut zu seinem stolzen Gehabe paßte.
»Was ist hier los, ihr Cramphs?« wollte der Kov wissen, noch ehe er ganz ins Licht der Fackeln getreten war; offensichtlich hatte er mich gar nicht bemerkt.
»Eine reine Routinesache, Kov«, erwiderte Jiktar Exand leise.
»Reine Routine, soso? Ihr seht aber alle ziemlich mürrisch aus.«
»Es geht sicher um ein Mädchen!« warf der muskulöse Numin ein und ließ sein Rapier hochzucken. »Die nachlässigen Burschen verschwenden ihre Zeit, anstatt uns zu bewachen. Ich würde sie bis zum letzten Mann auspeitschen lassen!«
So sprach Ortyg Handon, ein junger Mann aus Crimahans Gefolge. Wir alle wußten, was er war: ein berufsmäßiger Raufbold, ein Mann, der den Kov bei Laune halten sollte, ein Mann, dem es Spaß machte, andere herumzuschubsen, die es mit ihm weder an Muskelkraft noch an Geschicklichkeit mit der Waffe aufnehmen konnten. Ich mußte den widerlichen Kerl in meinem Schloß dulden – um seines Kov willen, der im Rat meines Schwiegervaters eine wichtige Rolle spielte.
Ich wollte schon vortreten, um an dem Gespräch teilzunehmen, als ich einen Schatten wahrnahm, der im Licht der letzten Fackeln auftauchte, die den Weg vom Kyro der Dreizacke herauf beleuchteten. Der deformierte Umriß sprang über die Stufen, im nächsten Augenblick erschien ein junger Mann im Flammenschein. Ich sah ihn an und hatte sofort ein seltsames – ein unheimliches! – Gefühl. Ich hatte den Burschen noch nie gesehen, das war mir sofort klar. Aber er hatte irgend etwas an sich: die Art und Weise, wie er den Kopf zurückwarf, das ehrliche Lächeln auf dem gutaussehenden Gesicht, die entspannte Kraft seines Körpers – dies alles schien mir ein Signal zu setzen. Ich blieb im Schatten stehen, starrte den jungen Mann an und ließ mich von einer unheimlichen Vorahnung überschwemmen, die mir ganz und gar nicht gefiel.
»Lahal!« rief der Fremde. Er trug einen Bart, der mir etwas zu lang vorkam; die Schnurrbartspitzen ragten arrogant auf beiden Seiten vor. Er war mit Rapier und Dolch bewaffnet, seine Kleidung war alt und heruntergekommen, aber sehr sauber. Die Füße steckten nicht in Stiefeln, sondern in Sandalen.
»Lahal«, sagte Jiktar Exand, den es zweifellos erleichterte, nicht mehr mit Raufbold Handon sprechen zu müssen, der noch immer sein Rapier schwenkte.
»Ich habe in der Feste etwas zu erledigen«, sagte der Neuankömmling.
»Du heißt?«
»Zando ...«
Ehe er weitersprechen konnte, meldete sich Kov Lykon mit zorniger Stimme zu Wort.
»Wir sprechen über deine Pflichtvergessenheit, Jiktar! Sag diesem Abschaum, er soll verschwinden, ehe er behandelt wird, wie es seinesgleichen verdient!«
Ich schaltete mich noch immer nicht ein.
»Mein Anliegen ist sehr dringend«, beharrte Zando. Sein Gesicht lag zum größten Teil im Schatten des breitkrempigen federlosen Hutes; dennoch hatte ich den Eindruck, daß er zuvorkommend lächelte. »Ich muß mit dem Prinz Majister sprechen.«
»Ho!« sagte Exand. Aber er kannte mich und wußte auch, daß ich jeden empfing, der sich mir auf die richtige Weise näherte. »Ich glaube, wir haben heute schon genug Fremde erlebt, die den Prinzen sprechen wollten. Dein Ersuchen?« Die letzten Worte klangen scharf und fordernd.
»Mein Anliegen darf ich leider niemandem außer dem Prinzen selbst offenbaren. Aber ich kann dich bitten, dem Prinzen etwas auszurichten. Dann wird er ...«
»Jetzt reicht es aber!« Kov Lykon drängte sich vor. Er hatte nicht gerade einen erfolgreichen Tag hinter sich, denn der Herrscher war in der hamalischen Frage meiner Einstellung gefolgt, was Lykon Crimahan noch immer wurmte. »Schtump, du Cramph! Schtump, ehe ich dich auspeitschen lasse!«
Daraufhin legte Zando die linke Hand auf den Griff seines Rapiers. Er richtete sich merklich auf. Offenbar behagte es ihm wenig, mit Schtump angeredet zu werden, eine nicht gerade höfliche Aufforderung, sich schleunigst zu verziehen.
»Ich habe leider nicht den Vorzug, dich zu kennen«, sagte er. »Aber ich kann dir versichern, daß ich es nicht mag, auf diese Weise angeredet zu werden.«
Lykon schnaubte durch die Nase und wandte sich an Handon.
»Zieh deine Klinge, Ortyg, und bring diesem Cramph Benehmen bei!«
»Mit dem größten Vergnügen, Kov!« Ortyg Handon trat vor, geschmeidig wie ein Leem; er zog Rapier und Dolch mit der gelassenen Anmut des professionellen Schwertkämpfers, den es nach Blut gelüstet.
Doch im gleichen Augenblick erschienen Rapier und Main-Gauche auch in den Fäusten Zandos. Ich sah, wie der junge Fremde seine Waffen hob, und hielt unwillkürlich den Atem an.
»Ich darf es hier nicht zum Kampf kommen lassen!« protestierte Jiktar Exand.
»Du hältst dein Maul, du Rast«, sagte Kov Lykon. »Um dich kümmere ich mich später!«
Kornan der Dieb zog sich in die Schatten zurück und kam mir dabei so nahe, daß er mich fast berührte; er atmete stoßweise vor Entsetzen. Wenn sich Exand fragte, warum ich mich nicht in die Auseinandersetzung einschaltete, so kannte er mich doch gut genug, um zu wissen, daß ich ihn den Schmähungen des Schnösels aus Vallia nicht aussetzen würde.
Der junge Zando sagte leise: »Ich möchte meine Klinge nicht mit dem Blut eines Gegners beflecken, wer er auch sein mag. Heb dein Schwert, Koter, und laß mich meines Weges gehen.«
»O nein, dich werde ich in Stücke hauen!« knurrte Ortyg Handon.
»Ihr alle seid Zeugen, daß dieser Mann sein Schicksal selbst gewählt hat«, sagte Zando entschlossen. Im nächsten Augenblick wandte er sich an Jiktar Exand und äußerte einige Worte, die ganz Kregen um mich kreisen ließen.
»Es wäre mir eine Ehre, Jiktar, wenn du den Prinz Majister informiertest, daß ein gewisser Zando ihn sprechen möchte. Sag dem Prinzen, sag Dray Prescot, daß ich der Bote eines Krozairbruders bin, der schnellstens seine Hilfe braucht. Vergiß dieses Wort nicht, Jiktar – Krozair von Zy.«