12
Während die widerwärtige, blutrünstige Szene ihren Fortgang nahm, begann ich mir meine Chancen auszurechnen. Ich brach zwar nicht gerade in Schweiß aus, doch wurde mir ziemlich warm. Ein zweites Opfer wurde den Menschenjägern überlassen. Die Jiklos erledigten den Mann katzenhaft-spielerisch und sehr schnell. Als er tot war, fraßen sie ihn nicht etwa auf, sondern stießen den verstümmelten Leichnam beiseite und hoben erwartungsvoll die Köpfe.
»Das hat die Armee nicht verdient!« hauchte ein Jiktar neben Rees.
»Die Armee hat den Kampf verloren«, erwiderte der Löwenmensch. »Wir wurden besiegt. Das ist eine persönliche Beleidigung für die Königin.«
Vorsichtig rückte ich ein wenig von Rees und Chido ab. Die Waffen waren uns abgenommen worden; dafür hatte man uns in schicke neue Uniformen gesteckt. Unser Gepäck, soweit es nach dem Kampf noch vorhanden war, befand sich in den Soldatenquartieren. Ich hatte das Langschwert in einige Decken gehüllt und das ganze Bündel in einen Militärmantel gerollt.
Der Griff dieser Waffe wäre mir jetzt eine große Beruhigung gewesen. Die Wächter in ihren Rüstungen, die Menschenjäger ... wenn ich hier kämpfen mußte, war es vermutlich der letzte Kampf meines Lebens. Es mußte eine bessere Möglichkeit geben, aus dieser Situation herauszukommen. Köpfchen, Köpfchen ...
Die Königin hätte sich bestimmt einen Spaß daraus gemacht, Bagor ti Hemlad – also mich – auf die grausamste Weise zu foltern, ehe sie ihn dem Tod überantwortete.
»Chuktar Hingleson«, sagte die Königin in diesem Augenblick, nachdem die ›Verbrechen‹ dieses Offiziers vorgelesen worden waren, »ich finde, du hast eine schwere Strafe verdient.«
»Wir haben gekämpft, Majestrix. Wir wurden besiegt.«
»Ich hätte nicht übel Lust, meine kleinen Jiklos auf dich loszulassen.«
»Wie es die Königin befiehlt.«
Er war ein mutiger alter Knabe, wenn ihm auch etwas an dem Wissen fehlte, das ein erfolgreicher Soldatenführer braucht. Er bewahrte Haltung in diesem schwarzen Saal des Schreckens, er wich seinem Schicksal nicht aus.
»Deinetwegen wurde meine Armee besiegt.«
Er wagte nicht, ihr zu widersprechen. »Die Armee war bereits besiegt, als ich das Kommando übernahm«, sagte er statt dessen. »Das schwöre ich, meine Königin, beim Lichte des Silbernen.«
Ich wußte sofort, wovon er sprach. – Lem der Silber-Leem!
Diese üble Religion setzte sich in der hamalischen Gesellschaft immer mehr durch und hatte inzwischen auch Einfluß auf die Königin gewonnen. Dieser Chuktar war ein Lem-Anhänger. Vielleicht hatte er doch noch eine Chance, die Verhandlung lebendig zu überstehen. Fasziniert starrte ich die Königin an, die finster ihr Urteil bedachte.
»Du darfst rechts von der Tür Aufstellung nehmen, Chuktar Hingleson. Du meldest dich bei mir, sobald ich dich rufen lasse. Halte dich bereit.«
»Meine Königin!« bellte er, als befinde er sich auf dem Paradeplatz – seine Stimme riß mich aus meiner Träumerei. Mir wurde klar, daß ich etwas unternehmen mußte, wenn ich nicht als Opfer eines Menschenjägers enden wollte.
Der Chuktar stapfte zur Tür. Ein Jiktar stand als nächster auf der Liste, danach kam Rees. Wie egoistisch von mir, nur an meine eigene Haut zu denken, wo doch Rees und Chido bald vor ihrer Herrscherin stehen würden! Ich blickte dem Chuktar nach. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, als er kehrtmachte und sich tief verbeugte. Leise schob ich mich von der linken Seite auf die rechte Seite der Tür. Der Mann, neben den ich trat, ging in diesem Moment weiter nach vorn, um besser sehen zu können. »Er ist ein toter Mann«, murmelte er so leise, daß ich es kaum verstehen konnte.
Ich schwieg. Der Chuktar nahm wie befohlen auf der rechten Seite der Tür Aufstellung. In dem Gedränge verschmolz ich unauffällig mit der Gruppe der Freigesprochenen.
Als Rees an die Reihe kam, schickte ich ein Bittgebet an Zair.
Zair, die Gottheit, die in der roten Sonne Zim zu Hause ist, lächelte auf uns herab: Rees wurde von der Anklage der Pflichtvergessenheit freigesprochen und kam mit seinen Offizieren – zu denen auch Chido gehörte – auf die rechte Seite der Tür.
Nach einiger Zeit war alles vorbei, und wir traten endlich wieder in die frische Luft Ruathytus hinaus. Rees sagte verwirrt zu mir: »Ich habe deinen Namen gar nicht gehört, Hamun.«
»Ich glaube, viele von uns haben beim Aufzählen der Namen nicht genau aufgepaßt«, erwiderte ich. »Hast du den Chuktar gesehen?«
Die Frage lenkte ihn ab, und gemeinsam mit Chido marschierten wir los und schnatterten über das eben Erlebte wie eine Schar Fluttrells. Wir alle wußten, daß wir dem Tod knapp von der Hippe gesprungen waren – besonders ich, der ich ein großes Risiko eingegangen war. Hätte jemand mitbekommen, wie ich mich von einer Gruppe in die andere schlich, hätte mir das schlimmste Schicksal geblüht, das man sich nur vorstellen kann.
Wir endeten im Duftenden Sylvie, einem volkstümlichen Trinklokal. Als die Krüge auf den Sturmholztischen vor uns erschienen, erlebte Chido eine Art Nervenzusammenbruch. Rees wirkte ebenfalls mitgenommen. Die beiden machten die Nachwirkungen der Verhandlung durch, und ich litt mit ihnen. Mit ein paar Flüchen und frischen Krügen und mit Beginn der Tanzvorführungen durch hübsche Fristle-Fifis verbesserte sich die Laune meiner Freunde allmählich.
Es behagte mir gar nicht, daß ich hier die Nacht vertrinken sollte; da ich aber ohnehin etliche Fragen zu stellen hatte, war die gelockerte Atmosphäre in einer Taverne vielleicht genau das richtige. Gegen die Gesellschaft war nichts einzuwenden; in dem Lokal befanden sich zwei Kovs und drei Trylons, was jedoch nicht verhinderte, daß einige Trinker wüst über die Stränge schlugen.
Als ich mich in der niedrigen Taverne mit den weinfleckigen Tischen, den dahineilenden Bedienungen und den geröteten Gesichtern der Feiernden umsah, konnte ich mir kaum vorstellen, daß einige Zeit vergangen war, seitdem ich meine ruathytischen Nächte auf diese Weise verbracht hatte – allerdings mit einem Unterschied: während die anderen nach Hause taumelten, war ich maskiert über die Dächer gesprungen, auf der Spur eines Geheimnisses, das sich mir bis heute nicht völlig offenbart hatte. Ich hatte noch immer dasselbe Ziel – doch einen völlig anderen Plan.
Und das nur, weil ich Rees' Tochter gerettet hatte, das hübsche Löwenmädchen Saffi.
Die langwierige Verfolgung Saffis hatte meine Pläne nicht etwa behindert, wie ich zuerst angenommen hatte, nein, meine Suche nach dem Geheimnis der Voller war dadurch nicht ins Stocken geraten. Hätte ich mich nicht auf die Suche nach Saffi gemacht, wäre ich nicht in den Besitz jener Informationen gelangt, die ich durch einen schmalen Luftschacht erlauschen konnte – Bruchstücke eines Gesprächs zwischen Vad Garnath und seinem Agenten, dem Chuktar Strom Rosil na Morcray, einem Kataki, und Phu-si-Yantong, einem Zauberer aus Loh, einem Manne, mit dem ich später zu meinem Leidwesen noch viel zu tun haben sollte.
Zum einen bildete sich dieser Zauberer von Loh ein, er könne Königin Thyllis Hamal abnehmen – wenn ich ihn richtig verstanden hatte. Und mich, Dray Prescot, gedachte er insgeheim als Marionette einzusetzen, um das vallianische Reich in seine Gewalt zu bekommen, wenn der Herrscher einmal nicht mehr da war. Der Mann mußte größenwahnsinnig sein – jedenfalls war das damals meine Überzeugung. Später lernte ich Phu-si-Yantong besser kennen und erkannte, daß er es verflucht ernst meinte.
Yantong hatte zugleich gesagt, ich solle nicht getötet werden; er stand also nicht hinter jenen Stikitches, die Delia, die Zwillinge und mich in Esser Rarioch angegriffen hatten.
Er hatte die Neun Gesichtslosen von Hamal erwähnt, die angeblich Edelleute in Pflichten einweihten, welche mit der Herstellung von Vollern zu tun hatten. Man erkannte den Wert dieser Geheimnisse und schützte sie gut. Dieselben Vorkehrungen wurden vermutlich in Hyrklana getroffen, dem einzigen anderen Land, in dem meines Wissens Flugboote hergestellt wurden.
Umgeben von dem Geruch vergossenen Weins, von Männern, die halbbetrunken miteinander stritten, von Mädchen, die uns bedienten, und anderen, die zwischen den Tischen tanzten, umschwirrt von Rufen und Geschrei, fiel mir einer der Kovs auf, der sich mit einem Trylon unterhielt. Beide waren Hamaler, harte, kampferfahrene Männer in den besten Jahren. Ihre Gesichter hatten einen ernsten Zug, obwohl sie beide schon ziemlich viel getrunken hatten, wußten sie, was sie ihrer hohen Stellung schuldig waren.
Sicher warteten draußen in der mondhellen Nacht ihre Preysany-Sänften, daneben Fackelsklaven und ein Gefolge von Wächtern, wehrhafte raubtierhafte Diffs und Apims, denen es nichts ausmachte, ein paar Kopfnüsse zu verteilen, um ihrem Herrn den Weg freizumachen.
Mir war aufgefallen, daß die Taverne von vielen Diffs besucht war. Und schon traf eine neue Gruppe von Kataki-Offizieren ein. Ihre Schwänze waren kahl. Lachend und rufend drängten sie sich an ihre Plätze, offenbar hatten sie schon in einer anderen Taverne gezecht. An den Sturmholztischen saßen bereits zahlreiche Halblinge – Chuliks, Rapas, Blegs und Angehörige anderer Rassen, die ich bisher nur deshalb nicht erwähnt habe, weil sie in meinem Bericht noch keine Rolle gespielt haben. Die Gäste des Duftenden Sylvie waren der eindeutige Beweis, daß sich Königin Thyllis auf ganz Kregen nach Söldnern umgesehen hatte. Bankiers wie Casmas der Deldy hatten ihr große Kredite zur Verfügung gestellt und waren dafür mit Adelspatenten belohnt worden – durch eine Verwaltung, die trotz der strengen hamalischen Gesetze durch und durch korrupt war.
»Verdammte Diffs«, sagte der Kov in diesem Augenblick und hob sein Glas.
Rees bemerkte meinen Blick und wandte sich an mich. »Kümmere dich nicht darum, was Nath der Schlaue sagt – aber wenn du ihm jemals auf die Zehen trittst, solltest du dir den Rücken freihalten, bei Krun!«
»Nath ham Livahan«, fiel Chido ein und neigte sein breites Gesicht über sein Glas. »Der Kov von Thorth Uppwe. Wir nennen ihn Nath den Schlauen ...«
»Den Namen hat auch niemand mehr verdient als er, bei Krun!« fiel Rees ein.
»Er mag keine Diffs«, sagte Chido lachend und trank von neuem.
Nun, auf Kregen gab es viele Männer, die Angehörige anderer Rassen nicht ausstehen konnten. Rassismus war bei dieser Fülle von unterschiedlichen Lebewesen, die mit mehr oder weniger Vernunft begabt waren, wohl unvermeidlich.
Die Gegenwart so vieler Katakis interessierte mich, hatten sich diese Geschöpfe bisher doch nur selten von ihren Heimatländern am Nebelmeer entfernt.
Der einzige Grund, den ich für ihr Hiersein finden konnte, war die Aussicht auf enorme Mengen an Sklaven – Katakis sind Sklavenmeister par excellence.
Der Lärm im Lokal steigerte sich noch mehr; die Mädchen tanzten, Wein floß in Strömen, und die Männer fluchten auf ein Gemisch von Göttern und Geistern. Mehr als einmal fiel dabei auch der Name Lem.
Aus offensichtlichen Gründen konnte ich meinen Freunden nicht erklären, daß ich das Problem der Neun Gesichtslosen und der Vollergeheimnisse gern einmal mit Nath dem Schlauen, dem Kov von Thorth Uppwe, diskutiert hätte. Dieser werte Mann fuhr plötzlich hoch, als er angestoßen wurde; ein Schwall Wein – vom besten, den das Haus zu bieten hatte, allerdings nicht Jholaix – befleckte die Brust seines grauen Hemdes und den Lingpelz seines Umhangs. Kov Nath sprang auf, sein hartes Gesicht war zu einer häßlichen Fratze verzerrt. Er zog seinen Thraxter.
Der Bleg, der ihn angestoßen und bereits den Mund zu einer Entschuldigung geöffnet hatte, ließ sich von dem Temperament seiner Rasse hinreißen und zog seinerseits blank.
»Cramph!« brüllte Kov Nath. »Dafür bezahlst du mir!«
Ein Kataki, der sich eben am Nebentisch niederlassen wollte fuhr mit der Hand in seinen Gürtel und zog einen bösartig aussehenden Krummdolch. Im Nu hatte er die Waffe an seiner breiten Schwanzspitze befestigt. Andere Diffs begannen Waffen zu schwingen. Der Zusammenstoß schien einen üblen Ausbruch des Hasses auszulösen.
»Zu mir, Apims!« brüllte Nath der Schlaue. Wie er zu diesem Namen gekommen war, vermochte ich in diesem Augenblick nicht einzusehen.
Ein Rapa schleuderte sein Messer. Ein Kataki ließ seinen Klingenschwanz herumfahren. »Tötet den Apim-Yetch!« gellte ein Chulik; seine breiten Hauer schimmerten im Licht der Öllampen.
In der nächsten Mur verwandelte sich die Taverne explosionsartig in eine tobende Kampfarena.
»Wenn sich ein Apim an dir vergreifen will, Rees, werden wir dir helfen, ihn zu erledigen«, sagte ich.
»Und sollte dir ein Numim zu nahe treten wollen, gilt das gleiche«, erwiderte Rees.
Eine heftige Keilerei begann. Gestalten taumelten hin und her, die meisten ziemlich betrunken, geblendet durch Schwert und Rapier. Dolche trafen ihr Ziel. Katakis bewegten sirrend ihre Schwänze, und die gefährlichen Klingen schnitten und stachen. Ich blieb an meinem Platz sitzen; zum einen war mein Versprechen gegenüber Rees ernst gemeint gewesen. Zum anderen verminderte jeder Mann, der hier getötet wurde, die Kampfkraft des hamalischen Reiches gegenüber meiner kregischen Heimat.
Ein Numim tauchte aus dem Durcheinander auf; ein Rapier steckte in seinem Körper. Er krachte über unseren Tisch. Rees schob den Toten beiseite.
»Naghan Largismore«, bemerkte er. »Der hätte es wirklich besser wissen müssen.«
Blut spritzte aus der Halswunde eines Apim, der an unserem Tisch vorbeistolperte.
Der Kov von Thorth Uppwe, Nath ham Livahan, der Nath der Schlaue genannt wurde, kämpfte mit einer kalten Wut, die seinen ersten heißblütigen Zorn abgelöst hatte. Aber die Diffs waren in der Überzahl. Wieder ging ein Apim zu Boden und starrte überrascht auf das Blut, das zwischen seinen Fingern hervorsickerte. Der Kataki, der geschickt seine Schwanzwaffe eingesetzt hatte, wich zur Seite aus, um sich eines anderen jungen Apim anzunehmen, an dessen Thraxter frisches Blut schimmerte.
Es fiel mir immer schwerer, an meinem Platz auszuharren. Es ist mir unmöglich, die Gefühle zu beschreiben, die mich in diesen Murs durchströmten. Ich warf einen Blick auf Rees. Die Sache schien ihn anzuwidern. Wenn Rees an jenem Abend in Gesellschaft zweier Numims gewesen wäre und nicht zwei Apims bei sich gehabt hätte – wäre er dann noch unbeteiligt dabei gesessen?
Ich gewann langsam die Überzeugung, daß ich nicht mehr lange sitzenbleiben und zusehen durfte, wie junge Apims von Katakis und Chuliks umgebracht wurden.
Ein Mann stand an der Tür. Ich hatte ihn nicht eintreten sehen. Ich erblickte ihn aus den Augenwinkeln und wußte Bescheid. Ich wußte augenblicklich Bescheid!
Ich wußte, was dieser Mann tun würde. Ich kannte das Schwert an seinem Gürtel. Unter dem weiten schwarzen Umhang trug er lederne Jagdkleidung, darunter ein graues Hemd. Als er sich in den Kampf stürzte, sah ich sein Schwert, das Savantischwert, das hervorragend balanciert und unvergleichlich raffiniert entworfen ist, aus einem Stahl, der jedes andere auf Kregen bekannte Metall übertrifft.
Ein Mann, der den Savanti diente! Im Gegensatz zu mir war er nicht aus dem Paradies von Aphrasöe vertrieben worden! Er hatte all die Übungen und Tests durchgestanden und war schließlich in den Kreis der Auserwählten aufgenommen worden. Jetzt arbeitete er voller Entschlossenheit für die Savanti, die mit Kregen große Pläne hatten.
Ich muß zugeben, daß mich in diesem Augenblick Gefühle erfüllten, die ich längst tot und begraben gewähnt hatte. Dieser Mann nahm hier eine Aufgabe in Angriff, für die er speziell ausgebildet worden war: ihm war es an die Hand gegeben, das Schicksal zu verändern.
An einem Strand in Valka hatte ich einmal einen Mann beobachtet, der den Versuch machte, den Wünschen der Savanti zu entsprechen – er hatte versagt. Anschließend hatte ich mich in den Besitz von Alex Hunters Savantischwert gesetzt. Was Wunder, daß ich jetzt diesen Mann anstarrte, der aus der Schwingenden Stadt kam. Und wie ich mich nach seiner Klinge sehnte!
O ja, es gab noch viele andere Gründe für meine ungestillte Sehnsucht! Obwohl ich es den Savanti nicht nachtrug, daß sie mich verächtlich aus Aphrasöe, der Schwingenden Stadt, verstoßen hatten, verspürte ich nicht den Drang, mich sonderlich für sie anzustrengen; lieber wollte ich fortsetzen, was ich stets getan hatte, in dem sicheren Bewußtsein, daß ich weitgehend dieselben Ziele hatte, die auch die Savanti auf Kregen verfolgten.
Der Kampf dauerte nicht mehr lange. Im Gegensatz zu Alex Hunter war dieser Mann kein Novize mehr, kein Amateur. Er hielt die Augen offen und duckte die Wurfmesser und die gefährlich aufblitzenden Schwanzklingen ab. Er hatte eine hervorragende Ausbildung genossen. Und er hatte Erfahrung.
Nach kurzer Zeit gaben die Diffs den Kampf auf und ergriffen die Flucht. Die Gäste strömten aus der Taverne auf die Straße hinaus; brüllend verschwanden sie in die Nacht, die hier im heiligen Viertel von Ruathytu so manchen Wirtshauskampf erlebt hatte. Jeden Augenblick konnte die Wache eintreffen, woraufhin das hamalische Gesetz seinen Lauf nehmen würde.
Ich stand auf. »Richtig so, Hamun«, sagte Rees.
Kov Nath stand schwankend neben seinem Tisch und sah sich auf dem blutigen Schlachtfeld um. Der Trylon in seiner Begleitung hatte eine böse Verletzung am Arm erlitten und sah aus, als würde er sich jeden Augenblick übergeben.
Rees und Chido stürmten zur Tür. Ich folgte ihnen, wollte ich doch nicht wieder in das Netz der hamalischen Behörden geraten, und behielt dabei den Agenten der Savanti im Auge. Er eilte zur Tür, ließ Rees und Chido vorbeigehen – hätte er seine großartige Klinge gegen Rees erhoben, wäre er ein toter Mann gewesen, denn mein Rapier saß locker in der Scheide – und folgte den beiden. Ich verließ die Schänke ebenfalls.
Die Straße vor dem Haus war unzureichend beleuchtet; der Mondschein reichte allerdings aus, um nicht gleich über die erste Leiche auf der Treppe zu stolpern. Niemand war zu sehen. Die Fackelsklaven hatten die Flucht ergriffen. Die Wächter hatten untereinander gekämpft oder hatten sich längst in Sicherheit gebracht.
Ich hatte mir eine Bemerkung an den Fremden zurechtgelegt, doch Chido ersparte mir die Mühe.
»Anstrengende Arbeit, Dom«, sagte er mit schriller Stimme.
»Aye«, erwiderte der Mann und zog sein schwarzes Cape enger. »Für eine Wirtshauskeilerei ziemlich anstrengend.«
»Haßt du uns so sehr?« fragte Rees heftig.
»Es wäre besser, wenn du diese Frage nicht stelltest, Numim.«
Ich näherte mich der Gruppe und fragte: »Hast du ein Bett für die Nacht, Dom?«
»Nein, ich bin eben erst eingetroffen.«
Das glaubte ich ihm durchaus.
»Ich habe Zimmer. Du wärst mir willkommen.«
Rees starrte mich an. Es tat mir leid, daß ich ihn kränken mußte, doch ich hoffte, daß er sich an unser Gespräch im Voller erinnern würde. Erläuterungen waren in diesem Augenblick jedenfalls unmöglich.
Der Mann der Savanti zögerte nicht lange. »Ich bin dir dankbar, Dom.«
»Was mich angeht, ich gehe nach Hause«, schnaubte Rees trotzig.
»Und ich«, warf Chido ein, »begleite dich.«
Rees sagte nicht Gute Nacht oder Remberee, wofür ich ihm dankbar war. Was ich zu tun beabsichtigte, hätte meine Rolle als Hamun ham Farthytu zunichte gemacht; dabei hatte ich viel Zeit und Mühe darauf verwendet, die Rolle auszubauen und diesen jungen Mann darzustellen.
Als Rees und Chido gegangen waren, wandten wir uns zur anderen Seite. Wir hatten kaum sechs Schritte zurückgelegt, als ich die Rufe hörte. »Lauf!« sagte ich.
Er setzte sich sofort in Bewegung. Die Agenten der Savanti sind vorzüglich ausgebildet.
Auf diese Weise entkamen wir der Wache. Zu Fuß suchten wir meine alte Schenke Kyr Nath und die Fifi auf. Perioden langer Abwesenheit sind in Kriegszeiten nichts Ungewöhnliches, zumal Nulty die Miete weit im voraus bezahlt hatte. Wie mochte es ihm im Paline-Tal ergangen sein? Wir suchten mein Zimmer auf, und ich schloß die Tür. Der Mann der Savanti löste sein Cape und warf es in hohem Bogen auf das Bett. Ich sah ihn an.
Er lächelte. Er war ein Apim mit dichtem, blondem Haar und einem breiten Gesicht, das einen besonderen Ernst ausstrahlte. Der Schimmer in seinen Augen gefiel mir, wie auch die Lachfältchen an den Mundwinkeln. Er war kräftig gebaut, wie es in seiner Position nicht anders möglich war, und ließ keinen Zweifel an seinem Beruf: er sah wie ein professioneller Kämpfer aus.
»Fröhliches Schwingen!« sagte ich. »Wie sieht es heute in Aphrasöe aus?«
Noch ehe ich den Satz ganz heraus hatte, war die vorzügliche, tödliche Savantiklinge aus der Scheide gezuckt und berührte meinen Hals.
»Sprich! Woher kennst du Aphrasöe? Antworte schnell und sag mir die Wahrheit – andernfalls bist du ein toter Mann!«