4. Kapitel

Harold F. Whittaker IV landete in einem Gulfstream auf dem für Privatflüge reservierten Bereich von La Guardia. Obwohl er aus dem Ausland eingeflogen war, interessierten sich Einwanderungsbehörde und Zoll nicht für ihn. Charles Hauser erwartete ihn in halber Entfernung zwischen dem ausgerollten Jet und einem Lexus, breitbeinig, die Hände über dem Steißbein verschränkt. Hauser und Whittaker hatten sich drei Wochen nicht gesehen, aber es gab keine erkennbare Begrüßung. Whittaker kam auf Hauser zu, und als sie auf gleicher Höhe waren, drehte sich Hauser um, und sie liefen im Gleichschritt zum Wagen.

Wie immer waren sie nicht alleine. Whittaker war mit einem Begleiter gereist, und Hauser hatte außer seinem Fahrer zwei Männer in einem zweiten Lexus mitgebracht. Sie fuhren an den Jet heran und luden das Gepäck um. Die Piloten kamen über die Rollbahn und verabschiedeten sich von Whittaker mit einem knappen Händedruck und von Hauser, indem sie salutierten, als der Wagen anrollte.

Hauser fuhr selbst. Der zweite Wagen mit den Männern folgte in geringem Abstand. Als sie auf die 495 nach Osten einbogen, sagte Hauser zu Whittaker, der neben ihm saß: »Und, wie lief es? Wie geht’s Emilio?«

«Gut. Der Alte war glänzend aufgelegt. Bis Mitte oder Ende August haben sie wieder eine Sendung zusammen. Sie schöpfen den Dollar-Markt über Wechselstuben und Straßenhändler ab und gehen auf Zehenspitzen, um nicht aufzufallen. Genauso leise räumen sie ihre Konten. Gezählt, sortiert und gepackt wird dieses Mal auf San Andrés. Wir akzeptieren wieder Blüten, aber nur alte Scheine und nur bis zu fünfzehn Prozent der Gesamtsumme.«

»Das war alles? Deshalb wollte er mit uns sprechen?«

»Nein. Du kennst ja Emilio. Schließlich war ich mal sein Schwiegersohn. Nachdem wir ein paar Tage Golf gespielt und uns ein Poloturnier angesehen hatten, kamen sie dann zur Sache.«

»Sie?«

»Raoul war bei allen geschäftlichen Besprechungen dabei. Er ist für die Rojas und die Castillos das, was Michael für die Corleones ist. Emilio bat mich, ihm dreißig Staatsbürgerschaften zu beschaffen. Anscheinend wollen alle seine Enkel amerikanische Staatsbürger werden.«

»Na ja, warum nicht. Aber einfach so, umsonst?«

»Nun, er hat es so dargestellt, taktvoll natürlich, als ob wir ihm das schuldig seien, schließlich hätten wir ja mit ihnen immer gut verdient. Ich habe ihnen gesagt, dass hier kaum jemand weiß, was wir tun und mit wem wir Geschäfte machen. Deshalb sind wir alle sicher. Wenn wir aber jetzt Staatsbürgerschaften besorgen und dafür Namen aus den Schwarzen Listen der DEA und des INS gelöscht haben wollen, müssen wir jede Menge Begründungen abgeben, hinterlassen Spuren wie ein Wagentreck und locken Neugierige an. Aber natürlich habe ich auch gesagt, dass ich Verständnis für ihren Wunsch habe. So ist das Thema erst einmal vertagt. Aber mittelfristig müssen wir wohl etwas tun.«

Sie hatten die New Yorker Vororte hinter sich gelassen und rollten ohne Eile durch den ländlichen Teil Long Islands. Der Verkehr war mäßig, und Hauser brauchte nicht viel Aufmerksamkeit zum Fahren. Er dachte nach und sagte dann: »Holmes könnte die Staatsbürgerschaften besorgen.«

»Liz Holmes wird nächstes Jahr pensioniert. Glaubst du, die lehnt sich jetzt noch einmal für uns aus dem Fenster?«

»Warum nicht? Um der alten Zeiten willen. Und sie soll es ja nicht umsonst tun.«

»Alte Zeiten!« Whittaker lachte. »Hast du sie in Vietnam kennengelernt?«

»In Viña del Mar im September dreiundsiebzig. Holmes ist viel herumgekommen, bevor sie im State Department gelandet ist.«

»Raucht sie noch?«

»Als wäre sie unsterblich.«

»Sie ist unsterblich.«

»Ja. Sie ist eine von uns.«

Whittaker betrachtete die sommerliche Hügellandschaft, durch die sie fuhren und die sich so gründlich und, wie er fand, so angenehm von Guanacaste unterschied, das er erst am Morgen verlassen hatte. Dann wandte er sich wieder Hauser zu. »Weißt du, ich glaube, du hast recht. Holmes hatte nie ein Problem mit Risiken. Reden wir mit ihr.«

Eine Weile fuhren sie schweigend, jeder für sich in Gedanken, bevor Whittaker das Gespräch wieder aufnahm. »Okay, du bist dran. Erzähl mir, was die Koreaner von uns wollen.«

»Die Scheißkoreaner«, sagte Hauser. »Letzten Mittwoch habe ich mit ihnen im Waldorf gesessen. Zuerst dachte ich, sie wollten ein neues Geschäft anschieben, aber dann merkte ich, dass sie über eine frühere Investition sprachen. Ich habe zweimal nachgefragt, weil ich meinte, die Dolmetscherin hätte etwas verwechselt. Aber es ging um Aktien.«

»Welche Aktien? Was ist mit ihnen?«

»Southwest PharmaVac. Seit dem Kauf haben die Papiere achtzig Prozent ihres Werts verloren.«

»Ja, und?«

»Wir sollen sie ihnen zum ursprünglichen Preis abkaufen.«

Whittaker schüttelte ungläubig den Kopf.

Hauser sagte: »Kim war der Wortführer. Er meinte, wir hätten ihr gutes Geld in wertlose Aktien verwandelt. Als ich nicht darauf einging, begann er zu drohen. Er war erstaunlich direkt. Er sagte, er würde eine Weigerung persönlich nehmen, uns dann als Betrüger betrachten und wie Betrüger bestrafen. Die kleine Dolmetscherin hat es kaum über die Lippen gebracht. Ich habe zuerst versucht, ihn zu beschwichtigen, aber das wollte er nicht hören. Dann habe ich ihn vertröstet: Wir sehen das Problem, wir verstehen seinen Standpunkt, wir werden über eine Lösung nachdenken. Das nächste Gespräch ist in zehn Tagen. Außerdem habe ich die Koreaner zu unserem Partner-Bankett eingeladen.«

Whittaker wartete.

»Bei Kims Truppe waren auch zwei Amerikaner, sie sahen aus wie Anwälte«, fuhr Hauser fort. »Sie saßen die ganze Zeit schweigend da und schauten auf ihre Schuhe. Ich dachte, ich versuche mal, Kontakt aufzunehmen, vielleicht erfahre ich etwas, und habe sie beim Gehen angesprochen: ›Gentlemen, ich brauche jetzt erst mal einen Drink, wie ist es mit Ihnen?‹ – Der gesellige Alkoholiker. Natürlich haben sie so getan, als hätten sie nichts gehört. Aber als ich fünf Minuten in der Hotelbar sitze, taucht plötzlich die Dolmetscherin auf. Es stellt sich heraus, dass sie Amerikanerin ist, Kind koreanischer Einwanderer. Sie war ziemlich nervös. Sie erzählte mir, dass sie den Broker kannte, von dem die Aktien waren, und dass er vor kurzem in seinem Auto verbrannt ist. Lebend. Ehe ich viel fragen konnte, war sie wieder weg.«

Den Rest ihres Weges legten sie schweigend zurück.