2. Kapitel
Dyson ist fertig«, sagte Ross, um sein Treffen in der Tiefgarage zusammenzufassen. »Seine Büros sind fast leer, er hat kaum noch Personal, und er verhandelt persönlich mit Geldgebern, die nicht öffentlich auftreten wollen. Er sagt, die Banken geben ihm nichts mehr, und er sei bald pleite.«
Wyllis stand mit einem kleinen Lötkolben in der Hand über die bunten Innereien eines provisorischen Steuerpultes gebeugt. »So kann’s gehen«, sagte er geistesabwesend, »heute bist du auf dem Titelblatt von Forbes und morgen stehst du vor dem Konkursrichter.«
»Wenn du nicht schnell einen Job auftust, Walter, dann werdet ihr Dyson bald Gesellschaft leisten«, sagte Myra, während ihre Finger unablässig über eine Tastatur tanzten. Sie sah nicht vom Bildschirm auf, während sie sprach.
Ross, Wyllis Warden und Myra, Wyllis Frau, unterhielten sich in der kleinen, fast leeren Lagerhalle, die ihnen als Büro und Werkstatt diente. Über ihnen war der Prototyp der Sicherungsanlage installiert, die Ross Dyson anzubieten versucht hatte. Dicht unter der Deckenverkleidung verlief ein weitmaschiges Gitternetz aus dünnem, blankem Drahtseil. Wo die Kabel aufeinandertrafen, waren sie durch Metallkreuze miteinander verbunden und an der Decke befestigt. An den straff gespannten Seilen hingen zwei kleine zylindrische Gondeln, die Wyllis konstruiert und Tracker getauft hatte. In einem großen Raum wie Dysons Tiefgarage konnten mehrere Tracker, jeder in einem Sektor des Seilnetzes, jedes Objekt, das sich bewegte oder warm genug war, verfolgen, beleuchten und filmen. Ein Elektromotor bewegte die Tracker entlang der Kabel und drehte sie, wenn nötig, um sich selbst. Energie kam aus dem Seilnetz, das unter Strom stand. Wyllis kaufte alle Komponenten der Tracker wie Licht, Kamera, Bewegungsmelder, Wärmesensor und Motor im Laden oder aus dem Katalog und baute sie zusammen mit einem Rechnerchip in ein Gehäuse von der Größe einer Suppendose ein. Das Fahrwerk war seine eigene Konstruktion. Es konnte die Fahrtrichtung eines Trackers an einer Kreuzung der Drahtseile ohne große Verzögerung um neunzig Grad ändern. Wyllis hatte vor, die Mechanik des Richtungswechsels zum Patent anzumelden, und hatte für die Finanzierung des Patentverfahrens auf die Ersparnisse für die Collegeausbildung seiner Kinder zurückgegriffen.
Ross und Wyllis arbeiteten seit drei Jahren zusammen. Ross beschaffte die Aufträge, plante und organisierte die Installationen und beriet und schulte die Kunden oder ihr Personal. Wyllis baute die Hardware ein: Kameras, Lampen, Bewegungsmelder, Lichtschranken, Wärmefühler und was es sonst noch auf dem Markt gab. Ihre Kunden waren die Geschäfte der Koreaner, Araber und Russen, kleine Tankstellen, Schnapsläden und Pensionäre, die sich mit fortschreitendem Alter immer ängstlicher in ihren Häusern und Wohnungen verbarrikadierten.
Ross und Wyllis waren keine engen Freunde, aber sie vertrauten einander geschäftlich und fachlich. Wenn sie einen guten Auftrag an Land gezogen oder abgerechnet hatten, gingen sie zu Henry’s, wo es gute Steaks und gezapftes Bier gab und wo manchmal jemand Klavier spielte. Sonst hatten sie privat nicht viel miteinander zu tun. Ross kannte nicht einmal die Kinder von Wyllis und Myra und das kleine Haus der Familie nur von außen.
Myra besaß ein Diplom in Buchhaltung, arbeitete in einer Kanzlei von Steueranwälten, wo sie auf dem besten Wege war, Partnerin zu werden. Einmal im Monat nahm sie sich einen Nachmittag oder Abend Zeit, um die Buchhaltung für Ross & Warden zu machen. Ross begegnete sie mit kühler Abneigung. Das störte ihn nicht, denn sie sahen sich nicht oft, aber zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte er noch über die Gründe gerätselt. Wahrscheinlich war es einfach die Chemie. Oder die Tatsache, dass er Polizist gewesen war: Schwarze machten eher einmal schlechte Erfahrungen mit der Polizei als andere Leute. Vielleicht zog sie ihre eigenen Schlüsse daraus, dass er vorzeitig – wegen Korruption? Brutalität? – aus dem Dienst ausgeschieden war. Vielleicht war es sein Akzent. Wer ihn hörte und sich auskannte, erriet ohne Mühe, dass Ross nicht weit von der Mississippimündung aufgewachsen war. Auch Myra war im Süden geboren und hatte dort den größten Teil ihrer Kindheit verbracht. Vielleicht erinnerte Ross sie an irgendetwas oder irgendjemand.
»Ein Ausdruck ist für euch.« Myra hatte aufgehört zu tippen und hantierte mit der Maus, bis ein Drucker seufzend seine Arbeit aufnahm. »Stellt erst mal keine Schecks mehr aus«, sagte sie mit ihrer Sängerinnenstimme, die den Drucker übertönte, »sprecht vorher mit eurer Bank.«
Wyllis war tief über das Steuerpult gebeugt. Myra packte zusammen, um zu gehen. Als sie soweit war, trat sie an den Tisch, hinter dem Ross untätig saß, und sah auf ihn hinab. »Weißt du schon, wie es weitergehen wird, Walter?«
Das Weiß ihrer Augen war so klar wie das eines Kindes.
»Ich arbeite daran, Myra.« Ich wünschte, ich wüsste es, dachte er.
Auf dem Weg zum Ausgang rief sie über die Schulter: »Komm nicht so spät, Willy.«
Die Tracker unter der Decke erwachten und folgten ihr zum Ausgang, erst einer, dann der zweite, und beleuchteten sie, bis sich die Tür hinter ihr schloss. Als sie Myras Honda hörten, setzte sich Wyllis zu Ross und studierte die Papiere, die seine Frau hinterlassen hatte. Nach einer Weile sagte er: »Lass uns für heute Schluss machen und noch ein Bier trinken gehen.«
Als sie aus dem Gebäude traten, war es fast dunkel. Die Halden eines benachbarten Schrottplatzes versperrten ihnen die Sicht auf Manhattan am anderen Ufer des Flusses.