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Janson ging zu seinem Sessel zurück, mußte sich den Weg ertasten, denn sein Blick schien voll und ganz in die Vergangenheit gerichtet zu sein, so daß er nichts um sich herum wahrnahm. »Mein erster Abschuß – habe ich dir je gesagt, daß mein erster Abschuß ein Allianzpilot war?«
»Nein.«
»Das ist auch nichts, was man an die große Glocke hängt. Ich war damals Traineepilot bei den Tierfon Yellow Aces. Bei Jek Porkins.«
»Dem guten alten Piggy.«
»Ja, dem Original. Damals konnte es durchaus passieren, daß eine Ausbildungsstaffel für einen Einsatz ausgewählt wurde, den man eigentlich einer erfahrenen Staffel hätte geben sollen – «
»Wie heute auch, meinst du wohl.«
»Nun, heutzutage kommt das nicht mehr so häufig vor. Und das weißt du auch. Wir hatten damals Auftrag, einen imperialen Frachter und seine Eskorte aus TIE-Jägern aus dem Hinterhalt zu überfallen. Sie sollten auf einem provisorischen imperialen Stützpunkt landen, von dem wir erfahren hatten. Wir hatten Y-Flügler. Eine Einheit der Yellow Aces sollte einen Angriff auf den Stützpunkt fliegen und sich dann zurückziehen und damit die dort stationierten Flieger hinter sich herziehen, während der Rest den Frachter angreifen sollte. Ihn, wenn möglich, erobern; wir brauchten den Proviant und den Treibstoff dringend.«
»Und was ist geschehen?«
»Der erste Teil des Einsatzes verlief planmäßig. Aber als der Frachter hereinkam, sahen wir, daß die TIE-Jäger-Eskorte doppelt so stark war, als man uns angekündigt hatte. Und einer unserer Piloten, ein ehemaliger Frachterpilot von Alderaan, Kissek Doran, geriet in Panik und startete in seinem Y-Flügler. Piggy und ich wurden ausgesandt, ihn zurückzuholen … oder ihn abzuschießen.«
»Und das habt ihr getan?«
Jetzt platzte es förmlich aus Janson heraus: »Wedge, das mußte ich! Wenn er auf irgendeiner der Standardfrequenzen kommunizierte, wenn er in den Sensorbereich des Stützpunkts geriet, wenn er hoch genug stieg, um über den Horizont des Mondes zu geraten – alles das hätte zu einem Scheitern unseres Einsatzes und zur Vernichtung der ganzen Einheit führen können. Porkins hat versucht, ihn zur Landung zu zwingen, indem er ganz dicht an ihn heranflog, aber er hat es nicht geschafft, und ich – « Die Worte blieben ihm einen Augenblick lang förmlich in der Kehle stecken. »Ich habe ihn abgeschossen. Ich mußte Laser einsetzen. Die Ionenkanone wäre zu riskant gewesen; man hätte möglicherweise den Energiepuls geortet. Der Schuß hat sein Cockpit aufplatzen lassen; das Vakuum hat ihn getötet. Und seine Flugkombination hat die Belastung nicht überstanden.«
»Das klingt so, als ob ihr alles getan hättet, um sein Leben zu retten.«
»Ja, bis ich ihn dann getötet habe. Ich wußte, daß er auf Alderaan eine Frau und zwei oder drei Kinder hatte. Ich nahm an, sie sind gestorben, als der Planet von dem ersten Todesstern zerstört wurde.«
Wedge zog sich Jansons Datapad herüber und überflog Kells Daten. »Hier steht nichts von Alderaan oder einer Familie.«
»Ich nehme an, sie haben den Familiennamen geändert und Aufzeichnungen gefälscht. Der Kommandant der Einheit hat sie besucht, das war ganz kurze Zeit, nachdem er sie offiziell von Kisseks Tod verständigt hatte. Er wollte seiner Frau berichten, daß er im Kampf gefallen war – so wie es auch in der offiziellen Verlautbarung stand – … aber Kisseks Frau hatte schon von jemandem die Wahrheit gehört. Sie hat den Tierfon Yellow Aces nicht nur vorgeworfen, daß sie ihren Mann getötet hätten, sondern auch, daß sie den Ruf ihrer Familie zerstört hätten. Vielleicht hat sie später versucht, alles wieder ins Lot zu bringen, indem sie ihren Namen geändert hat und weggezogen ist.«
Wedge seufzte und tippte auf das Datapad. »Sieh dir das an. Tainer war auf Sluis Van Mechaniker für Jagdmaschinen. Als er zur Allianz kam, wurde er als Sprengstoffexperte ausgebildet. Dann hat er bei den Kommandos von Lieutenant Page gedient, ein Talent für den Kampf an Unterhaltungssimulatoren an den Tag gelegt und schließlich die Erlaubnis bekommen, an echten Simulatoren zu trainieren. Kennst du Page?«
»Nein.«
»Ein guter Mann. Er bildet seine Leute hervorragend aus. Wes, wir brauchen Tainer wirklich … wenn wir ihn dazu überreden können, daß er bleibt.«
Der Blick, den Janson ihm zuwarf, sprach Bände. »Oh, großartig. Ich habe seinen Vater getötet. Er haßt mich. Er weiß, wie man Bomben macht. Jetzt überleg mal, Wedge, wie geht diese Geschichte denn aus?«
»Wenn er ein Ehrenmann ist, bist du nicht in Gefahr.«
»Und eines Tages staut sich so viel Wut in ihm auf, daß er platzt wie eine schlechte Flasche Tatooinewein.«
»Auf Tatooine gibt es keinen anderen.«
»Du solltest jetzt nicht das Thema wechseln. Aber lies doch weiter.«
Wedge sah wieder auf das Datapad. »Beim Training ist ein Headhunter abgestürzt. Und ein X-Flügler hat so hart aufgesetzt, daß es zu schweren Schäden kam. Und er hat in beiden Fällen behauptet, die Steuerung hätte nicht richtig reagiert?«
Janson nickte. »Die typische Reaktion von jemandem, der nicht fähig ist, die Verantwortung für seine Fehler auf sich zu nehmen.«
Wedge blickte auf und warf seinem Kollegen einen durchdringenden Blick zu. »Aber als du noch scharf darauf warst, ihn für unseren Haufen zu kriegen, wolltest du mich wohl überreden, daß ich dieses kleine Problem mit den Bruchlandungen übersehe?«
»Wedge …«
»Beantworte meine Frage.«
Janson sah ihn verlegen an. »Ich wollte darauf hinweisen, daß er ja möglicherweise recht gehabt haben kann. Die beiden Abstürze stehen eigentlich nicht im Einklang mit seinen Fähigkeiten als Pilot. Der Mann ist im Simulator gut – nein, ich sollte wirklich sagen, ein As.«
Wedge starrte eine ganze Weile auf das Datapad und überlegte. »Also, ich werde deine Erklärung akzeptieren. Ich möchte, daß wir es mit ihm probieren. Wenn es nicht klappt, schicke ich ihn nach Hause. Wenn es klappt, und ihr beiden könnt nicht zusammenarbeiten …«
»Auf lange Sicht brauchst du ihn in dieser Einheit mehr als mich.« Jansons Stimme klang bedrückt. »In dem Fall würde ich mich mit deiner Erlaubnis zur Sonderstaffel zurückversetzen lassen. Ich kann dann ja mit Hobbie tauschen.«
Wedge nickte mit ernster Miene. »Vielen Dank, Wes.«
Janson überließ Wedge das Reden. Und der konnte sich vorstellen, daß Kell Tainer sich wohler fühlen würde, wenn er den anderen überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen brauchte.
Wedge erklärte mit wenigen Worten, wie die Dinge standen, und fragte dann: »Tainer, sind Sie ein Ehrenmann?«
Der Pilot, erneut in kerzengerader militärischer Haltung, sagte: »Ja.«
»Sind Sie der Ansicht, daß Lieutenant Janson das nicht ist?«
Tainer ließ sich mit der Antwort Zeit. »Nein, Sir.« Die Worte klangen, als ob etwas sie aus ihm herausquetschen würde.
»Sie haben einen Eid abgelegt, der Neuen Republik zu dienen, und Sie müssen begreifen, daß es für uns wesentlich wichtiger ist, Ihre Fähigkeiten als Pilot zu nutzen, als es für Sie darauf ankommt, jeder Erinnerung an das, was Ihrem Vater zugestoßen ist, aus dem Wege zu gehen. Janson hat denselben Eid abgelegt. Nur, daß in seinem Fall dieser Eid der Allianz geleistet wurde, mit dem Ziel, die Republik wiederherzustellen, und das zu einer Zeit, als Sie noch im Sandkasten gespielt haben. Und er versteht, daß seine Fähigkeiten für uns wichtiger sind, als sich der Abneigung zu entziehen, die Sie für ihn empfinden … oder der Erinnerung daran, etwas getan zu haben, was er nicht tun wollte. Verstehen Sie das?«
»Ja, Sir.«
»Und deshalb bitte ich Sie zu bleiben. Für den Augenblick. Wenn Sie beide nicht zusammenarbeiten können, werden wir uns um eine Lösung bemühen. Aber ich muß Sie warnen. Bei Ihrer Vorgeschichte können Sie in keiner anderen Einheit damit rechnen, jemals wieder einen Jäger zu fliegen. Vermutlich wird man Sie wieder zu den Kommandos versetzen.«
»Dort war ich gern.«
»Ja. Aber den Namen Ihres Vaters werden Sie dort nicht wiederherstellen können. Sie werden der Galaxis nie zeigen können, daß der Name ›Doran‹ nicht für ›Pilot und Feigling‹ steht.«
Tainers Kopf fuhr ruckartig herunter, und jetzt sah er Wedge endlich in die Augen. Wedge hatte noch nie solchen Zorn in den Augen eines Mannes gesehen; am liebsten wäre er einen Schritt zurückgetreten. »Wie können Sie es wagen – «
Wedge bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben. »Achtung.« Er wartete drei Herzschläge lang, bis Tainer wieder Haltung angenommen und den Blick wieder auf die Wand über Wedges Kopf gerichtet hatte. Dann fuhr er fort: »Ich wage es, wenn das der richtige Ausdruck ist, weil es die Wahrheit ist. Ich wette, Sie hatten diesen Traum seit Alderaan, ich meine den Traum, ein Pilot zu sein und die Ehre Ihrer Familie wiederherzustellen. Nun, bis jetzt haben Sie noch keinen Kampfeinsatz geflogen, und Sie sind jetzt nahe daran, Ihren Pilotenstatus zu verlieren. Das hier ist Ihre letzte Chance. Also – bleiben Sie oder gehen Sie?«
Tainers Kinnlade arbeitete ein paar Augenblicke, ohne daß er dabei einen Ton hervorbrachte. »Ich bleibe, Sir«, stieß er schließlich hervor. Seine Stimme klang so, als ob man ihm einen Stich versetzt hätte, der ihm das Reden erschwerte.
»Gut. Wegtreten.«
Als Tainer aus dem Zimmer gegangen war, atmete Janson tief durch. »Wedge, das soll keine Kritik sein … aber ein so eiskaltes Manöver habe ich seit langem nicht mehr erlebt.«
»Wenn man durch das Vakuum fliegt, braucht man manchmal Weltraumschmiermittel anstatt Blut.« Wedge ließ sich müde in seinen Sessel sinken. Plötzlich fühlte er sich unendlich erschöpft und fragte sich, wie viele Piloten künftig regelmäßig solche Probleme zu ihm tragen würden.
Kell schnallte sich an, was ihm wegen der Enge des Cockpits einige Schwierigkeiten bereitete, und legte dann die vier Schalter um, die die Fusionsmaschinen seines X-Flüglers zündeten – genauer genommen die Ersatzmaschinen auf diesem X-Flügler Simulator zündeten. Bei dem gegenwärtigen hohen Stand der Simulatortechnik waren diese Anlagen so realistisch, daß es manchmal Mühe bereitete, sie von der Wirklichkeit zu unterscheiden; sie waren sogar mit Gravitationskompensatoren ausgestattet, um bei der Simulation von Tiefraumeinsätzen Null G zu simulieren.
Auf den Bildschirmen, die die Transparistahlkanzel des X-Flüglers simulierten, sah er einen Jägerhangar; er wußte, daß der echte Hangar sich einen halben Kilometer über ihm befand, viel näher an der Oberfläche des Mondes.
Von seinen Displays konnte er ablesen, daß alle vier Motoren beinahe optimal funktionierten. »Gold Eins hat vier Starts und ist bereit. Primär- und Sekundärenergie volle Leistung. Alle Diagnosen grün.«
Sein Kommsystem knisterte. »Gold Zwei, identischer Bericht. Flugbereit.«
Kell wußte nicht, wer Gold Zwei war; die anderen Piloten bei diesem Einsatz der Gruppe Gold waren bereits in ihren Simulatoren eingekapselt gewesen, als Kell eingetroffen war. Er fragte sich, ob sie vor der Übung noch ein paar Minuten damit beschäftigt gewesen waren, ihre Motoren zu erproben, und es nicht vielleicht klug gewesen wäre, das auch zu tun.
Die Stimme von Gold Zwei, die vom Kommsystem etwas verzerrt wurde, war nicht tief, klang aber männlich; die etwas seltsame Aussprache ließ vermuten, daß Basic nicht seine Muttersprache war.
»Gold Drei, alles planmäßig. Startbereit.«
Das war der mechanische Tonfall von Piggy, dem Gamorreaner. Kell war neugierig darauf, wie dieser Pilot flog; Piggy war der einzige Trainee, der noch breiter als Kell gebaut war und sich deshalb in dem X-Flügler Cockpit noch beengter fühlen mußte.
»Gold Vier, alles nominal. Startbereit.« Eine Frauenstimme. Kell hatte einige Kandidatinnen kennengelernt, die sich um die Aufnahme in diese Staffel bemühten, aber die Verzerrung im Kommsystem verhinderte jede Möglichkeit, aus der Stimme irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen.
Jetzt war Lieutenant Jansons Stimme an seinem Ohr zu hören, überhaupt nicht verzerrt; Kells Muskeln spannten sich. »Start in sechzig«, sagte Janson. »Wir haben anfliegende Raumfahrzeuge, Augäpfel und Schieler, die deren kapitales Schiff abschirmen. Halten Sie sie auf zehn Kilometer Distanz vom Stützpunkt. Ihre Aufgabe ist es, sie lange genug aufzuhalten, bis wir unsere Transporter starten können. Wenn Sie das nicht schaffen, sterben wir. Trainingsprotokoll Eins – Sieben – Neun ist gültig. Kontrolle Ende.«
Kell versuchte, seine Schultermuskulatur zu lockern. Er schaltete das Komm auf einen Direktkanal zu seinem Flügelmann. »Gold Zwei, was bedeutet Trainingsprotokoll Eins – Sieben – Neun?«
»Das wissen wir nicht, Eins.«
»Wir? Wer ist wir?«
»Gold Zwei, Eins.«
Kell wollte schon um eine nähere Erklärung bitten, sah dann aber, daß sein Chrono zehn Sekunden anzeigte, und beschloß, sich die Frage aufzusparen.
Bei fünf Sekunden aktivierte er seine Repulsorliftaggregate und hob sich ein paar Meter in die Luft. Bei einer Sekunde schob er den Knüppel leicht nach vorn, vergewisserte sich, daß sein Bug exakt auf den Tunnelausgang aus dem Hangar gerichtet war, und gab Schub. Durch die »Fenster« konnte er erkennen, daß die anderen Mitglieder seiner Gruppe dasselbe taten.
Sein X-Flügler stieß durch das magnetische Eindämmfeld am Ende des Tunnels hinaus ins harte Vakuum – mitten hinein in das Feuer einer Gruppe von vier TIE-Bombern, die bereits so nahe waren, daß er sie mit bloßem Auge erkennen konnte.
Kell klappte seinen Steuerbordflügel hoch, schaltete alle Schilde nach vorn, nahm einen der hereinkommenden Gegner ins Visier und betätigte den Abzug, noch bevor das Klammersymbol auf dem Bildschirm vor ihm das Grün einer Lasererfassung anzeigte, und zog die Maschine im gleichen Augenblick in einem Bogen in die Höhe, der ihn nach steuerbord und weg von der Mondfläche trug. Er sah, wie die hinteren Kanten seiner Kontrollflächen im Widerschein einer Explosion hinter ihm aufleuchteten. Eine Nachricht seiner R2-Einheit scrollte über seinen Datenschirm: BESTÄTIGE EINEN ABSCHUSS, GOLD EINS.
Erregtes, unverständliches Geschnatter kam über sein Kommsystem herein. Kell brüllte: »Ruhe! Tragflächen in Angriffsposition! Der Nachrichtendienst hat sich geirrt. Die Eindringlinge sind bereits überall auf dem Stützpunkt. Zwei, bei mir bleiben. Wir bleiben beim ursprünglichen Plan. Drei, Vier, Stützpunkt überfliegen und Schadensbericht.«
Er hörte einen Chor von Bestätigungen und sah, wie Gold Zwei an Backbord aufschloß. Dann versuchte er es erneut über Komm: »Kontrolle bitte kommen. Gold Eins an Kontrolle.«
Keine Antwort.
Seine Sensoreinheit zeigte drei übriggebliebene TIE-Feinde unter ihm dicht über dem Boden – dann zwei, als Gold Drei einen Treffer landete. Aber vor und über ihm, jetzt in einer Entfernung von vier Kilometern und näher rückend, waren sechsunddreißig Blips von TIE-Jägern: drei komplette Staffeln. Sie behielten ihre Formation bei, nahmen nicht Kurs auf Gold Eins und Zwei.
Die Stimme von Gold Vier war knisternd im Kommsystem zu hören. »Eins, die Starttunnels sind alle hinüber. Zerbombt.«
»Auch das Hauptrohr? Das für die Transporter? Das ist der einzige Tunnel, der uns zu interessieren hat.«
»Hundert Meter Wrackteile, Eins. Da kommt keiner durch.« Die Stimme von Vier klang trotz der Störgeräusche erregt. Kell wollte ihr sagen, beruhige dich, das ist nur ein Simulatorlauf. Niemand ist tot.
Aber er hatte andere Probleme. Die Kontrolle hatte ihm klare Einsatzziele vorgegeben … und anschließend die Einsatzparameter geändert und sie alle ungültig gemacht. Was sollte er jetzt tun? Und was bedeutete dieses verdammte Trainingsprotokoll, das die Kontrolle unmittelbar vor ihrem Start zitiert hatte?
»Einsergruppe, unser Einsatz ist gestrichen«, sagte er. »Status Omega. Drei, Vier zurückkommen, und dann bohren wir uns ein Loch nach draußen.«
Drei und Vier bestätigten exakt in dem Augenblick, als die Entfernungsangabe auf unter zwei Kilometer sank. Das bedeutete, daß der anfliegende Feind in Schußweite war … und damit, daß Gold Eins und Gold Zwei innerhalb der Zielerfassung des Feindes waren.
Sie konnten entweder Leine ziehen und sich auf dem Rückzug zu Gold Drei und Vier feindlichem Beschuß aussetzen, oder sie konnten versuchen, sich den Weg freizuschießen, selbst ein paar Treffer zu erzielen, und dann in einem weiten Bogen zu ihren Kameraden zurückkehren, in der Hoffnung, daß ihr Angriff den Feind ein wenig durcheinanderbrachte. Letzteres war vermutlich selbstmörderisch. »Gold Zwei«, sagte Kell, »sehen wir zu, daß wir hier verschwinden – «
Die Antwort von Gold Zwei war ein unheimlich klingender Schrei. Sein X-Flügler raste geradewegs auf die immer näherrückende Staffel zu. Kleine Nadeln von grünem imperialen Laserfeuer zuckten herein, keiner zu nahe bei ihm.
»Gold Zwo, in Formation zurückkehren. Gold Zwei …« Kell fing zu fluchen an. War es möglich, daß die Kommanlage von Zwei versagte? Das würde zu den ganzen Pannen dieses Einsatzes passen. »Also gut, Gold Zwei. Ich übernehme Ihren Flügel.« Er jagte hinter Zwei her und machte sich bereit, ihm Deckung zu geben.
Der Kurs von Zwei trug ihn mitten in die Backbordstaffel hinein. Der Feind schoß jetzt aus allen Rohren Laser auf ihn ab, und Kell sah, wie ein Teil davon wenige Meter vor Zwei von den Schilden abgelenkt wurde. Das Manöver von Zwei war das gefährlichste und wirksamste Manöver, zu dem ein Jäger fähig war – er ging den Feind gerade von vorn an –, aber gegen eine ganze Staffel… das bedeutete eine Wahrscheinlichkeit von zwölf zu eins, daß er vaporisiert werden würde. Zeit, etwas an dieser Wahrscheinlichkeit zu ändern. Kell gab ein wenig relative Höhe auf, um damit sicherzustellen, daß Gold Zwei nicht in seinen Schußwinkel geriet, und schaltete seine Laser dann auf Zwillingsbeschuß, was zwar die Energie verringerte, dafür aber die Feuergeschwindigkeit spürbar steigerte. Er betätigte das Ätherruder und legte damit den Bug leicht nach Backbord, behielt aber seinen gegenwärtigen Kurs bei, schob den Bug dann wieder zurück nach Steuerbord – und feuerte dabei ebenso schnell, wie seine Zieloptik über die Reihe von TIE-Jägern hinwegstrich – und mit grünem Aufleuchten Zielerfassung bestätigte –, jagte tödliche rote Strahlen gegen den Feind. Die musikalischen Laute weiterer Laserzielerfassung erfüllten das Cockpit.
Er sah in der Ferne Lichter aufblitzen, die ihm anzeigten, daß er und Zwei wenigstens ein paar Ziele gestreift hatten. Sein Datenschirm zeigte einen Abschuß und einen Streifschuß für Kell und einen Streifschuß für Zwei. Er erwiderte das gegnerische Feuer, und dann waren die feindlichen TIEs plötzlich über ihnen und gleich darauf an ihnen vorbei –
Der richtige Zeitpunkt, um in einer engen Schleife kehrtzumachen und sich auf die Nachhut zu stürzen, falls die TIEs eine hatten, oder die TIEs von hinten anzugreifen, falls das nicht der Fall war. Aber verdammt noch mal, schließlich war er nicht die Spitze. Das war der unberechenbare Zwei. Er fand Zwei visuell und auf den Sensoren; der Pilot kam soeben aus einer engen Steuerbordschleife. Kell blieb dicht bei ihm.
Die Sensoren zeigten, daß vier TIE-Jäger kehrtgemacht hatten und sie jetzt angriffen; die anderen Jäger setzten den Flug zu ihrem Ziel fort. Dichter an der Oberfläche des Mondes näherten sich Gold Drei und Vier der verbliebenen Reihe von sieben TIEs in der geschwächten Staffel. Gut – sie hatten offenbar vor, das schwächste Glied in der Kette der Angreifer aufs Korn zu nehmen. Von den vier TIE-Bombern waren keine Blips mehr zu sehen; Drei und Vier mußten sie also erledigt haben.
Zwei setzte zu einem erneuten Zielanflug an, aber Kell sah, wie die vier TIE-Jäger in Kastenformation ausschwärmten. »Zwei, abbrechen. Die legen dir einen Hinterhalt. Folge mir, ich übernehme die Spitze.«
Zwei ignorierte ihn, beschleunigte sogar noch schneller und antwortete lediglich mit einem hallenden Kriegsruf.
Kell biß die Zähne zusammen. Na schön. Mal sehen, ob ich ihn trotz seiner Dummheit retten kann. Er ließ die Distanz zwischen Gold Zwei und ihm größer werden und schaltete auf Protonentorpedos.
Die herannahenden Jäger waren wie die Ecken einer dreidimensionalen Schachtel angeordnet, und Zwei strebte geradewegs auf die linke untere Ecke zu. Alle vier TIE-Jäger belegten ihn jetzt mit Laserfeuer.
Kell zog den Bug in die Höhe, erfaßte den Augapfel links oben auf seinem Zielradar, das sofort rot aufleuchtete, das Anzeichen für Torpedoerfassung, und feuerte. Auf diese Distanz hatte der TIE-Jäger genügend Zeit, dem Torpedo auszuweichen … aber dazu würde er seinen Angriff gegen Zwei abbrechen müssen. Kell kippte über seinen Steuerbordflügel ab, nahm die rechte obere Ecke aufs Korn und feuerte erneut.
Die beiden TIEs, die er unter Beschuß genommen hatte, brachen ihren Angriff ab und flogen Ausweichmanöver. Die anderen beiden feuerten weiter. Kell kippte nach backbord, um den Augapfel rechts unten in Position zu bekommen. Aber sein Gegner verfügte offenbar über eine Sensoreinheit, die ein Torpedozielgerät erkennen konnte, und begann sofort mit Ausweichmanövern.
Er hörte es in seinem Komm schnattern: »Du hast ihn erwischt, Drei. Ich bin dein Flügel.«
»Geht klar, Vier. Da kommt einer von hinten – «
»Der gehört mir.«
Dann flammte plötzlich vor Kells Augen der X-Flügler von Zwei, der bisher vor der Schwärze des Weltraums unsichtbar gewesen war, auf und explodierte, ein sich schnell ausweitender Ball aus Orange und Gelb.
Ein schweres Gewicht drückte auf Kells Magen. Er wußte, daß der echte Gold Zwei unverletzt war, vermutlich in diesem Augenblick aus seinem Simulator stieg… aber vermutlich würde die Kontrolle ihm, Kell, die Schuld geben, daß er ihn nicht gerettet hatte, ihn nicht gerettet hatte, obwohl Zwei sich seinen Untergang selbst zuzuschreiben hatte.
Er schaltete die Waffenkontrolle auf Laser zurück und koppelte sie auf Vierlingsfeuer. Sein Ziel brach plötzlich das Ausweichmanöver ab; wahrscheinlich dachte er, er sei Kells Torpedoerfassung entkommen und damit außer Gefahr. Als sein Laserschirm grün wurde, feuerte Kell. Seine Laser zerfetzten den Augapfel, ein Strahl säbelte den Backbordflügel von seinem Träger ab, zwei weitere bohrten sich durch das Cockpit. Der TIE-Jäger explodierte nicht, lediglich das Cockpit platzte auf, und dann segelte er auf einer ballistischen Bahn an Kell vorbei, um auf der simulierten Oberfläche von Folor zu zerschellen.
Damit blieben Kell noch drei unmittelbare Gegner. Nein, zwei: einer seiner Torpedos traf sein glückloses Ziel und verwandelte es in eine sich schnell ausdehnende Wolke aus Gas und Splittern. Das zweite Torpedoziel hatte sein Ausweichmanöver erfolgreich durchgeführt und griff jetzt gemeinsam mit dem ursprünglichen Ziel von Zwei von hinten an.
Kell zog den Knüppel zu sich heran und versuchte, den X-Flügler in einem engen Bogen herumzureißen. Außerhalb der Atmosphäre waren TIE-Jäger zwar wesentlich manövrierfähiger als X-Flügler, aber das hatte nur wenig zu bedeuten, wenn die Piloten ihr Handwerk so schlecht gelernt hatten, wie es bei diesem anscheinend der Fall war.
Er war jetzt auf dem höchsten Punkt seiner Schleife angelangt und starrte – relativ betrachtet – auf seine Verfolger und die Oberfläche von Folor dahinter herab, als plötzlich rotes Laserfeuer von der Mondoberfläche einen der Verfolger durchbohrte und ein Torpedo vom selben Ausgangsort den anderen zerstörte. Er warf einen Blick auf sein Sensordisplay und stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Saubere Arbeit, Drei und Vier.«
Piggys mechanische Stimme: »Danke, Sir. Augäpfel brechen ab. Sollen wir verfolgen?«
Sie entfernten sich in der Tat. Aber warum wurde Kells Kanzel nicht dunkel und zeigte damit an, daß die Übung beendet war?
Kell dachte darüber nach und atmete unterdessen ein paarmal tief durch, um seine Nerven zu beruhigen. »Nein, die fliegen zu ihrem Träger zurück. Und das bedeutet, daß gleich weitere kommen. Hat jemand ein Signal von der Kontrolle bekommen?«
»Nein, Sir.«
»Nein.«
»Dann müssen wir davon ausgehen, daß Stützpunkt Folor vernichtet ist und außer uns nichts übriggeblieben ist. Aufschließen und mir nach.« Er stellte seinen X-Flügler in bezug auf die Oberfläche von Folor auf den Schwanz und rief sein Navprogramm auf. Wäre dies ein echter Angriff und Stützpunkt Folor demzufolge nach den erlittenen Schäden außerstande gewesen, seine Transporter zu starten, so hätte man von ihm erwartet, daß er alle einsatzfähigen Kräfte in Sicherheit brachte und später mit anderen Einheiten der Neuen Republik Verbindung aufnahm. Also berechnete er einen schnellen Sprung, um sie von Folor weg zu einem unbesetzten Punkt im Weltraum zu bringen – an irgendeinen Ort, von dem aus er Kurs auf von der Allianz kontrollierten Weltraum nehmen konnte.
Die beiden anderen X-Flügler schlossen sich ihm an. Sobald er die Navigationslösung vorliegen und den Mond weit genug hinter sich gelassen hatte, um seinem Schwerkrafteinfluß entzogen zu sein, gab er den anderen den Kurs weiter.
»Also: auf mein Kommando, Drei, Zwei, Eins, Ausführung!« Aber statt sich zu strahlenden Streifen aus Licht auszuweiten, dem ersten visuellen Anzeichen, daß ein Hyperraum erfolgreich ausgeführt war, verblaßten die Sterne zu nichts. Kells Kanzeldach klappte auf, und grelles künstliches Licht ließ ihn zusammenzucken.
Janson versammelte die vier Piloten an einem Tisch neben den vier Simulatoren, und Kell bekam jetzt seinen Flügelmann zum erstenmal zu sehen.
Gold Zwei war kein Mensch. Er war eindeutig humanoid, und seine Arme, seine Beine, sein Oberkörper und sein Kopf waren auf eine angenehm erkennbare Art und Weise angeordnet. Er war fast so groß wie Kell, aber sehr schlank und mit kurzem braunen Fell bedeckt und hatte ein in die Länge gezogenes Gesicht, riesige braune Augen, eine breite, plattgedrückte Nase und einen Mund voll rechteckiger weißer Zähne. Seine Gesichtszüge hätten eher zu einem Zugtier als einem vernunftbegabten Wesen gepaßt – wenn da nicht das intelligente Leuchten in seinen Augen gewesen wäre. Seine dichte Haarmähne mußte jeden Menschen, männlich oder weiblich, neidisch machen; gerade als Kell am Tisch Platz nahm, löste Gold Zwei ein Gummiband von seinem Haar und schüttelte es aus, daß es ihm in sattem Kastanienbraun auf den Rücken fiel.
Kell gab sich alle Mühe, seine Verärgerung darüber zu zügeln, daß der andere Pilot seine Befehle und jegliches Protokoll völlig mißachtet hatte. Er streckte ihm die Hand hin. »Kell Tainer.«
Der Allen nahm die Hand und schüttelte sie auf menschliche Art. »Wir sind Flight Officer Hohass Ekwesh.«
»Wir? Ist das ein königliches Wir?« Das würde die offensichtliche Mißachtung des Allen für jegliche Dienstvorschrift vielleicht erklären.
»Nein, ein Kollektiv – «
»Die Lebensgeschichten haben jetzt Zeit«, fuhr Janson dazwischen. »Wir sind hier zur Leistungsbeurteilung. Erinnern Sie sich?«
Kell zuckte zusammen, als er den Tadel hörte. »Ja, Sir.«
»Gut. Also. Vier, Sie hatten zwei Abschüsse und haben Ihren Aufklärungsdurchflug gut gemacht. Drei, drei Abschüsse und Zusatzpunkte für Initiative, weil Sie Tainers Hyperraumkalkulationen überprüft haben.«
»Dreimal überprüft, Sir. Ich habe die Zahlen auch noch im Kopf kontrolliert.«
Kell funkelte den Gamorreaner an. »Und, haben sie gestimmt?«
Der Gamorreaner nickte. »Die Zahlen waren nicht elegant, aber völlig funktionell und korrekt.«
»Gold Zwei, Sie haben keine Abschüsse erzielt und zweimal Ihren Befehlen nicht gehorcht – davon müssen wir einmal streichen, weil Mr. Tainer Ihnen die Führung überlassen hat, wenn das auch ein wenig nachträglich kam – und haben es geschafft, sich infolge schlechter Taktik töten zu lassen.« Janson sah auf sein Datapad und wartete. Er schien sich ganz auf die Daten zu konzentrieren, ehe er fortfuhr – vielleicht, dachte Kell, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. »Gold Eins, sehr beeindruckend. Fünf Abschüsse, ein As, wenn das das wirkliche Leben wäre, und dabei sogar ein Schnappschuß, während Ihre Angriffsflügel noch in Flugposition waren. Ich spare mir das für ein Ausbildungsholo auf. Gute Wahl für neue Anweisungen, als die Einsatzparameter sich änderten. Alles in allem beinahe perfekt.«
Janson blickte in die Runde. »Jetzt zu den Punkten. Diese Mission war zweitausend wert mit möglichen Bonussen für außergewöhnliche Leistung. Gold Vier, dreizehnhundertfünfzig. Gold Drei, zwölfhundert. Gold Zwei, zweitausenddreihundert. Gold Eins, null.«
»Was?« Das Wort platzte wie eine Explosion aus Kells Mund. »Lieutenant, ich glaube, Sie haben das verkehrt herum.«
Endlich begegnete Janson seinem Blick und nickte. »Das ist richtig. Es ist verkehrt herum. Aber trotzdem korrekt. Haben Sie nicht gehört, daß ich Trainingsprotokoll Eins – Sieben – Neun angesagt habe?«
»Doch, aber ich weiß nicht, was das bedeutet.«
Janson lächelte. »Piggy, ich denke, ich habe gehört, wie Sie Ihrem Flügelmann über Privatkanal gesagt haben, was das Protokoll bedeutet. Würden Sie bitte Ihren Gruppenkommandanten informieren?«
Piggy räusperte sich; durch seinen mechanischen Übersetzer kam das Geräusch wie ein ohrenbetäubendes Rauschen heraus. »Das ist eine Variation in der Punktevergabe. Um zur Kooperation zu ermuntern, besonders bei Trainees, die noch nicht lange zusammen sind, bekommt jeder Flügelmann die Punkte, die sein Flügelmann verdient hat.«
»Das – « Kell merkte, wie ihm die Stimme versagte. Er versuchte es erneut, schaffte es aber nicht, seine Empörung ganz zu verbergen. »Das ist unfair. Kommt das so in meine Akten? Eine Null für etwas, was Sie als fast perfekte Leistung bezeichnet haben?«
»Natürlich ist es unfair.« Janson schloß sein Datapad. »Das müssen Sie mit Ihrem Flügelmann besprechen, der all Ihre Punkte bekommen hat. So, und jetzt wegtreten. Ich empfehle Ihnen, die Übung im Down Time noch einmal zu besprechen. Aber zum Abschluß noch einen Befehl: Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Leistung oder die Missionsparameter mit anderen Pilotenkandidaten zu besprechen, bis diese die Übung abgeschlossen haben. Verstanden?« Als alle das bejaht hatten, scheuchte Janson sie mit einer schroffen Handbewegung aus der Simulatorkammer.