9 Olgeir der Verschwender von der Olgeirsson-Horde spuckte neben seinen Klauen auf den Boden. Er hatte allen Grund wütend zu sein. Sie befanden sich auf seinem Territorium. Als einer der mächtigen Nordlanddrachen-Warlords reichte sein Territorium von den Bergen des Argwohns in den nördlichen Hochebenen bis zum Fluss der Zerstörung im Westen und bis hinüber zu den Wüsten Meeren im Osten. Es endete an den Äußeren Ebenen, die die Grenze zwischen ihm und dieser Drachenschlampenkönigin bildeten.
Auch wenn er davon träumte, die gesamten Nordländer zu regieren, war es der Gedanke daran, das Gebiet dieser Südländerschlampe für sich zu beanspruchen, der ihn erregte. Er und einige andere Warlords hatten sich vor mehr als einem Jahrhundert kurzzeitig zusammengeschlossen und Königin Rhiannon den Krieg erklärt, aber sie hatten nicht lange genug aufhören können, sich gegenseitig zu beharken, um eine ordentliche Verteidigung aufzubauen, ganz zu schweigen von einem anständigen Angriff. Diese zimperlichen Südländer hatten schneller angegriffen als irgendwer gedacht hätte, waren über die Grenzen der Nordländer ausgeschwärmt und hatten einige der besten Krieger dezimiert, die Olgeir je gekannt hatte.
Er hatte versucht, die anderen Warlords zu warnen. Hatte versucht, sie vor Rhiannons Gefährten zu warnen. Bercelak der Rachsüchtige war kein verhätschelter Monarch, der gern Krieg spielte. Er war einer aus dem Cadwaladr-Clan, Echsen von niederer Herkunft, die die Königshäuser der Südländer benutzten, wie die Menschen ihre Kampfhunde benutzten. Sie riefen sie zu den Waffen, wenn das Königshaus einen Krieg führte oder Schutz brauchte, warfen ihnen Essensreste hin und schlossen sie draußen in der Kälte ein, wenn Frieden war. Doch keinem von dieser Bande schien das etwas auszumachen; stattdessen verbrachten sie den Großteil ihres Lebens damit, von einer Schlacht zur anderen zu ziehen und sogar in Menschengestalt an der Seite der Menschen zu kämpfen, wenn die Drachen in Frieden lebten. Doch sogar innerhalb des Cadwaladr-Clans hatte Bercelak bei allen Drachenvölkern den Ruf, der Brutalste zu sein.
Olgeir erinnerte sich noch, was passiert war, als in einem Krieg vor mehreren Jahrhunderten, als Rhiannons Mutter auf dem Thron gewesen war, eine von Barcelaks Kriegerschwestern von Nordland-Warlords gefangen genommen worden war. Bercelak hatte die ältesten Söhne der feindlichen Warlords gefangen genommen und ihnen die Schuppen ausgerissen, einzeln. Dann hatte er den jeweiligen Vätern die Schuppen zurückgeschickt, jeden Stapel einzeln verpackt wie ein Geschenk. Er hatte weder eine schriftliche Botschaft dazugelegt, noch hatten diejenigen, die die Stücke überbrachten, etwas zu übermitteln. Doch die Botschaft war eindeutig gewesen … Entweder wurde seine Schwester freigelassen – mit intakten Flügeln – oder die Warlords würden als Nächstes Flügel und Gliedmaßen als »Geschenke« zugeschickt bekommen.
Bercelak regierte immer noch an der Seite der derzeitigen Drachenkönigin, aber er war älter geworden. Seine Söhne stürzten sich in jeden Kampf, als wäre es ihr letzter. Sie kämpften ganz gut, aber Olgeir machte sich ihretwegen weniger Sorgen als wegen ihres Vaters. Damals war die Horde einfach nicht darauf vorbereitet gewesen; dennoch musste er sich auch heute noch vor den Cadwaladrs in Acht nehmen. Olgeir hatte erst vor Kurzem gehört, dass sie in den Westlichen Bergen kämpften, doch wenn er sich zum Angriff entschloss, musste er zuerst einen Plan machen.
Und Olgeir würde angreifen. Er würde diese Drachin in seine Gewalt bringen und ihr Land übernehmen, und wenn es das Letzte war, was er tat.
Als Erstes musste er sich allerdings um seinen verräterischen Sohn kümmern.
Olgeir hatte viele Söhne, oh ja. Neunzehn waren es bei der letzten Zählung. Aber dieser eine, sein Achtgeborener … er war der Cleverste des ganzen Haufens – und konnte die meisten Probleme verursachen. Er hatte schon mindestens zwei seiner Vettern auf seine Seite gezogen, und Olgeir hatte keine Zweifel, dass mindestens einer seiner Söhne dem Verräter folgen würde. Der Junge war überzeugend und schmiedete pausenlos Pläne, die Macht zu übernehmen … als würde Olgeir sie ihm einfach so übergeben.
Olgeir hatte die Mutter dieses Idioten immer gewarnt, dass er zu viel las, zu viel Zeit mit den Magiern und Mönchen verbrachte, die überall im Land herumstreunten. Jetzt hielt er sich für besser als sein Vater.
Und er würde wohl leider auf die harte Tour lernen müssen, dass er es nicht war.
Eine starke Klaue schloss sich um Olgeirs Schulter; einer seiner vielen Neffen beugte sich zu ihm hinab. »Ich habe eben Nachricht erhalten, dass ein Südland-Drache über dem Gebiet der Reinholdts gesichtet wurde.«
Olgeir verzog die Oberlippe. »Jemand, den wir kennen?«
»Noch nicht sicher.«
Er deutete auf drei seiner Enkelsöhne. »Schick sie los, das zu überprüfen.«
»Sie werden ihn vielleicht erledigen müssen.«
»Na und? Wir haben, was wir brauchen.« Und sie ist perfekt, seufzte er innerlich, als er an die Beute dachte, die sicher in seiner Bergfestung angekettet war.
Sein Neffe schickte die drei mit ihren Anweisungen los und kam zu seinem Onkel zurück. »Und was ist mit denen da?«
Olgeir sah zu denen hinüber, die dabei erwischt worden waren, als sie durch sein Gebiet gereist waren. Ihretwegen war er hier draußen, noch bevor die zwei Sonnen aufgingen. Ihresgleichen wurde selten so weit entfernt von den brutalen Eisländern gesichtet. Doch wenn sie gesehen wurden – diesmal wegen eines Tunneleinbruchs –, schrillten die Alarmglocken. Wie die meisten Bewohner der Eisländer waren sie wankelmütig, aber mächtige Kämpfer. Sogar Drachen mussten in ihrer Anwesenheit vorsichtig sein.
Es waren über vierzig von ihnen, alle groß und stark, aber sie waren nur Tiere. Dennoch hatten diese Tiere ein höheres Ziel. Ein höheres Ziel, das er bedenkenlos unterstützen konnte.
»Bringt sie zu den Tunnels in der Nähe der Brücke und schickt sie ihrer Wege.«
»Du weißt, wohin diese Tunnels führen, Onkel. Bist du sicher?«
Olgeir grinste, amüsiert darüber, dass jedes einzelne dieser Tiere den Namen der Göttin Arzhela mit Messern in die Brust geschnitten trug. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Blut abzuwischen, und einige der Wunden heilten nicht besonders gut. Doch sie waren Eiferer, und genau so etwas taten Eiferer.
»Oh, ich bin mir sicher.« Er klopfte seinem Neffen auf die Schulter. »Lasst sie zu ihr gehen. Lasst sie ihre tote Göttin ehren.«
Er ging zurück in seine Höhle, gefolgt von seiner Wache hinter sich. »Wenn sie sie töten, ist unser Kampf halb gewonnen.«
Dagmar war mitten in einem seltsamen Traum, in dem es um Schlagsahne und einen Drachenschwanz ging, als ihre Schlafzimmertür aufgerissen wurde. Augenblicklich saß sie aufrecht im Bett, immer noch gefangen zwischen Wachsein und Schlaf, und gellte: »Ich habe nicht gelogen!«
Drei ihrer Brüder standen im Türrahmen und starrten sie an. Welche? Sie hatte keine Ahnung. Alles, was sie sehen konnte, waren verschwommene Umrisse.
»Was ist los?«, verlangte sie laut über Knuts hysterisches Gebell hinweg zu wissen. »Knut!« Der Hund ging zu einem leisen, bedrohlichen Knurren über, während sie auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett herumtastete und versuchte, ihre Augengläser zu finden.
»Vater braucht dich unten. Sofort.« Sie erkannte Valdís’ Stimme und spürte, wie seine Hände ihr ihre Augengläser in die Hand drückten.
»Warum? Was ist los?«
»Zieh dich einfach an. Wir warten draußen auf dich.«
Sie hatte keine Zeit für ein Bad, also musste sie sich damit begnügen, sich an der Waschschüssel zu schrubben und eilig anzuziehen. Sobald sie ihr Kopftuch umgebunden hatte, ging sie in den Flur, und sofort schoben ihre Brüder sie in Richtung Treppe. In dem Augenblick, als sie durch die Tür in die Haupthalle traten, schickte Dagmar Knut nach draußen, damit er eine Pause hatte und mit den anderen Hunden im Hof spielen konnte. Kaum war der Hund durch die Tür verschwunden, schnappte Valdís sie am Handgelenk und schleppte sie in die privaten Gemächer ihres Vaters.
Er zog die Tür auf und schob sie hinein. Sie sah ihren Vater sofort an dem großen Tisch stehen, der den größten Teil des Raumes einnahm. Wie üblich war dieser mit Karten und Berichten von Soldaten, die an Schlüsselpunkten des ganzen Landes stationiert waren, bedeckt.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches stand Gwenvael. Sobald die Tür aufging, drehte er sich mit einem breiten Grinsen um und rief: »Eymund!« Dann sah er sie, und sein Lächeln fiel in sich zusammen. »Oh. Hallo, Lady Dagmar.«
»Lord Gwenvael. Valdís, würdest du mir bitte von einem Diener …« Doch ihre Brüder waren längst weg und knallten die Tür hinter sich zu. Kopfschüttelnd ging sie zum Tisch hinüber. »Du hast mich hergebeten, Vater?«
»Aye. Äh … Lord Gwenvael hier braucht eine Information von dir.«
»Nein.«
Ihr Vater richtete einen Finger auf sie. »Hör mal zu …«
»Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut «, unterbrach ihn Gwenvael und verdrehte dabei meisterhaft die Augen wie ein kleines Kind.
»Das ist ganz großartig von dir. Und doch bin ich nicht in nachsichtiger Stimmung.«
Ihr Vater knallte die Hände auf den Tisch und stand auf. Dagmar machte ein Zeichen in Richtung Tür. »Kann ich dich einen Moment draußen sprechen, Vater?«
Sie ging hinaus in den Flur; ihre Brüder – alle zwölf – waren nirgends zu sehen.
Sie wartete, bis ihr Vater herausgekommen war, dann schloss sie die Tür und wandte sich ihm zu. »Was ist los?«
»Er muss gehen.«
»Warum? Er ist äußerst höflich und …«
»Ich will keine große Sache daraus machen, Kleine, aber er muss gehen. Heute. Also sag ihm einfach, was er wissen will.«
Jetzt hatte es begonnen, und sie hatte nur eine Möglichkeit, es mit allen Beteiligten hinzubiegen. Zuerst – mit ihrem Vater.
»Und eine perfekte Gelegenheit versäumen?«, fragte sie; ihr Herz raste, obwohl sie wusste, dass ihr Gesicht ihrem Vater nichts verriet.
»Was für eine Gelegenheit? Was meinst du, was du von ihm bekommen wirst?«
»Vater«, sagte sie und achtete darauf, ein wenig Ungeduld in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen, »wenn du ihm sowieso einfach die Information geben willst, gib mir zehn Minuten, damit ich sehen kann, was ich selbst herausschlagen kann. Was kann es schaden?«
»Ich weiß nicht …«
»Lass es doch zumindest Eymund versuchen«, schlug sie unschuldig vor. »Lord Gwenvael scheint ihn zu mögen.«
»Nein!« Ihr Vater schnappte nach Luft und rang um Gelassenheit. Sie gab sich Mühe, angemessen verwirrt auszusehen – jetzt machte sich das stundenlange Üben vor dem Spiegel endlich bezahlt. Er deutete zur Tür. »Geh. Rede mit ihm. Du hast Zeit, etwas aus ihm herauszuholen, bis ich mir ein Ale geholt habe. Danach sagst du ihm alles und sorgst dafür, dass er hier verschwindet.«
»Ja, Vater.« Sie schob die Tür auf, ging hinein und schloss sie leise wieder.
Sie setzte sich auf den Stuhl ihres Vaters ihm gegenüber. Der Drache, in Kettenhemd und Wappenrock, hatte seine Füße mitsamt den Stiefeln auf den Tisch gelegt.
Er lächelte sie an. »Und?«
»Wir haben zehn Minuten.«
»Also gut.« Er ließ die Füße zu Boden fallen und legte seine Hände auf das Holz. Sie starrten sich über den Tisch hinweg an. »Also, was willst du?«
»Fünf Legionen.«
»Fünf?«, fragte er ungläubig. »Bist du verrückt?«
»Nein. Du willst deine geliebte Königin retten, oder?«
»Zehn Heereseinheiten. Das scheint mir fair.«
»Beleidige mich nicht, Lord Gwenvael. Vier Legionen.«
»Woher weiß ich, dass deine Information auch nur eine Heereseinheit wert ist, ganz zu schweigen von vier ganzen Legionen?«
»Ist sie.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wenn das, was du mir zu sagen hast, verlässlich ist … vielleicht eine Legion.«
»Eine?«
»Das sind fünftausendzweihundert Männer, Lady Dagmar.«
Dagmar seufzte und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, bevor sie widerwillig antwortete: »Na schön.«
»Gut. Jetzt sag mir, was du weißt.«
»Jemand will eure Königin tot sehen.«
Dagmar zuckte zusammen, als Gwenvaels Kopf den Tisch traf und er die Arme zur Seite warf. »Ist das das Beste, was du mir sagen kannst?« Bei aller Vernunft, er liebte es wirklich dramatisch!
Sein Kopf hob sich vom Tisch, und er durchbohrte sie mit Blicken. »Das weiß ich schon. Jeder will ihren Tod. Sie wollen ihren Tod seit Jahren! Sag mir, dass ich hier nicht meine Zeit verschwendet habe!«
»Bist du fertig? Ich nämlich nicht.«
»Den Göttern sei Dank.« Er machte ihr ungeduldig ein Zeichen fortzufahren.
»Soweit ich weiß, ist eine Abordnung aus den Eisländern auf dem Weg nach Süden, in Richtung Dunkle Ebenen.«
»Die Eisländer? Ich wusste nicht, dass dort überhaupt jemand lebt.«
»Doch. Du glaubst, dass diese Gegend hier rau ist? Es ist nichts im Vergleich zu dort. Die Bewohner dort sind stark, robust und sehr unfreundlich. Und das größere Problem für euch ist, dass die meisten unter der Erde reisen.«
»Wozu?«
»In den Eisländern gibt es plötzliche, tödliche Eisstürme, die jederzeit hereinbrechen können – daher der Name.« Sie schnaubte, dann fuhr sie fort: »Also begannen die Zwerge, Tunnel zu graben. Zuerst nur von Mine zu Mine, von Clan zu Clan. Doch ihnen wurde schnell klar, dass sie Geld damit verdienen konnten, auch für andere Wege in und aus ihrem Territorium heraus anzubieten.«
»Willst du damit sagen, dass jemand unterirdisch Assassinen geschickt hat? Das ist ungefähr zwanzig Heereseinheiten wert, Mylady.«
»Es sind keine Assassinen. Es gibt Hunderte von Kulten in den Eisländern. Sie leben dafür, den Göttern zu dienen, die sie meiner Meinung nach schon lange verlassen haben. Die, die hinter deiner Königin her sind, haben Arzhela angebetet. Ihr zu Ehren wollen sie die Babys deiner Königin. Sie wollen ihr Blut. Wie du sehr wohl weißt, Mylord, unterscheiden sich diejenigen, die für einen Kampf angeworben wurden, sehr von denen, die an eine Sache glauben. Letztere machen vor nichts halt. Absolut gar nichts wird sie davon abhalten, deine Königin und ihre ungeborenen Nachkommen zu töten.«
Alle Dramatik und Heiterkeit wich aus dem Gesicht des Drachen, während er sie anstarrte und die Wahrheit ihrer Worte in sein Bewusstsein drang. Er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. »Bist du sicher, dass diese Information korrekt ist?«
»Meine Quelle ist unfehlbar.«
»Verstanden.« Er schob seinen Stuhl vom Tisch weg. »Eine Legion.«
»Hervorragend.«
Er stand auf, und Dagmar wusste, dass sie es jetzt versuchen musste.
»Da ist noch etwas.«
Gwenvael sah auf sie herab. »Was?«
»Die Tunnel von den Eisländern führen durch die Nordländer in den Süden bis zu den Wüstenländern von Alsandair.«
Sein Gesichtsausdruck wurde leer, sein Kiefer schlaff. »Ich verstehe nicht … was?«
»Falls sie den richtigen Tunnel genommen haben, könnten sie mitten in eurem Rittersaal auftauchen, und ihr würdet es erst merken, wenn sie euch sauber aufgespießt, sie zerfetzt und ihre Babys mitgenommen haben.« Sie lehnte sich zurück. »Keiner von euch weiß von den Tunnels, oder?«
»Ich verstehe nicht. Wenn diese Tunnels existieren, wie kommt es, dass keiner von eurer Sippe …«
»Eine ganze Armee durchzuschicken wäre unmöglich. Dafür sorgen die Zwerge. Außerdem sind sie nicht für die aus den Nordländern gedacht, sondern für die aus den Eisländern, die selten jemandem den Krieg erklären außer sich gegenseitig. Die meisten Nordländer wissen nicht einmal, dass die Tunnels existieren. Und die wenigen, die es wissen, sind nicht erpicht darauf, unterirdisch zu kämpfen. Tunnels sind immer riskant.«
»Aber du hast diese Information.«
»Ich habe gelehrte Freunde.«
»Du sagtest, falls sie die richtigen Tunnel genommen haben. Ich muss wissen, welche Tunnel das sind – ich muss alle Tunnel kennen.«
Dagmars Zehen zogen sich in ihren Stiefeln zusammen. »Ich könnte dir diese Information besorgen.« Sie holte Luft. »Aber nicht umsonst.«
Er verdrehte die Augen. »Na schön. Zwei Legionen. Komplett.«
»Nein.«
»Wir sind nicht wieder bei fünf, oder?«
»Nein. Eine Legion für meinen Vater. Wie du versprochen hast.«
»Dann verstehe ich nicht …«
»Ich weiß, wer euch helfen kann, wer dir die Information geben kann.«
»Ja?«
»Alles, was du tun musst … ist mich mitzunehmen.«
Gwenvael starrte sie lange an, den geraden Rücken, die Augen, die ihn durch diese Glasstücke angespannt ansahen. »Du willst mit mir durchbrennen?«
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau ihn darum bat, ihn sogar anflehte, sie aus ihrem Leben herauszuholen. Doch Dagmar lachte nur. »Bei aller Vernunft! Natürlich will ich nicht mit dir durchbrennen!«
»Was willst du dann?«
»Der, der uns die Information geben kann, ist nur einen Tagesritt von hier entfernt. Sogar weniger, wenn wir fliegen. Ich gehe mit dir und helfe dir, die Information zu bekommen, und bevor du es aussprichst: Doch, du wirst meine Hilfe brauchen, um diese Information zu bekommen. Dann bringst du mich zurück.« Sie schnippte mit den Fingern. »Noch besser: Du kannst mich zu Gestur bringen.«
»Wer zum Teufel ist Gestur?«
»Er ist mein Onkel. Meinem Vater treu ergeben.«
»Und warum willst du dorthin?«
»Ich habe meine Gründe. Abgesehen davon hat er sowieso vor, in ungefähr einem Monat hierherzukommen. Ich könnte mit ihm zurückkehren. Es wäre mein persönlicher kleiner Urlaub von allem hier.«
»Bevor du anfängst, in deinem Urlaub zu schwelgen: Dein Vater wir dich niemals gehen lassen. Dieser ganze Nordmänner-Kodex, mit dem man sich auseinandersetzen muss.«
»Mein Vater kann sich kaum meinen Namen merken. Er nennt mich Mädchen oder Kleine.«
»Ich dachte, das wären Kosenamen.«
»Sieht er für dich aus, als würde er Kosenamen verwenden? Aber wenn du darauf bestehst, kann es Teil des Handels sein, zusätzlich zu der Legion und der Ausrüstung …«
»Was für eine Ausrüstung?«
»Die Ausrüstung, die du versprochen hast.«
»Ich habe dir nie irgendwelche Ausrüstung versprochen.«
»Aber du hattest es vor.«
»Nein, hatte ich nicht!« Sie genoss das Ganze hier entschieden zu sehr! Er sah es an dem kleinen Grinsen in ihrem Gesicht. Sie wusste, dass er die Information über diese verdammten Tunnel brauchte, und sie hatte keine Skrupel, ihn damit zu erpressen.
Die Welt konnte froh sein, dass sie nicht als Mann geboren war. Sie wäre inzwischen schon Imperatorin.
»Ich mache das nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil du etwas ausheckst.«
»Ein paar Stunden Freiheit sind alles, was ich verlange, Lord Gwenvael. Ist das wirklich zu viel?«
Verdammtes Weib!
»Du schwörst, dass du mir wirklich helfen wirst.«
»Auf mein Leben als eine Reinholdt: Alles, was ich tun kann, um deiner Königin zu helfen, werde ich tun.«
»Schön.« Er senkte den Kopf, holte mehrmals tief Luft, und als er sie wieder ansah, sah er sie durch einen Tränenschleier hindurch.
Sie wich etwas zurück. »Was tust du?«
Gwenvael hatte keine Zeit, sie zu warnen, bevor ihr Vater hereingestürmt kam; die einfache Tatsache, dass der Warlord mindestens zwei Tage nicht gebadet hatte, hatte ihn Gwenvaels armen Nüstern verraten. »Was zum Teufel geht hier vor?«, wollte Sigmar wissen, ein Pint in der Hand.
Dramatisch schniefend, sah Gwenvael anklagend über den Tisch zu Dagmar hinüber. Ohne mit der Wimper zu zucken, stand diese auf und ging zu ihrem Vater hinüber. »Entschuldige uns einen Moment, ja, Lord Gwenvael?«
»Natürlich«, würgte dieser hervor, und das kleine zusätzliche Schluchzen am Schluss beeindruckte ihn sogar selbst.
Dagmar nahm ihren Vater noch einmal mit hinaus in den Flur. Sie wäre am liebsten auf und ab gesprungen und hätte in die Hände geklatscht, aber das wäre definitiv kontraproduktiv gewesen. Stattdessen sagte sie: »Tut mir leid. Er ist sehr aufgebracht.«
»Bei allen Kriegsgöttern – was hast du zu ihm gesagt?«
»Es liegt nicht daran, was ich gesagt habe, Vater, sondern daran, was ich nicht sagen konnte. Ich weiß, dass Bruder Petur noch mehr Informationen hat. Du erinnerst dich doch an ihn?« Gute Götter, warum zog sie ausgerechnet den Namen dieses Mannes hervor?
Vielleicht, weil ihr Vater Petur nicht im Geringsten bedrohlich fand. Er gehörte zu einem Orden, der Toleranz statt Krieg predigte. Anders als Bruder Ragnars Orden des Kriegshammers oder ihr anderer Lieblingsorden, der Orden des Brennenden Schwertes.
»Kannst du ihm nicht auf einer Karte zeigen, wie er zum Konvent dieses Idioten kommt?«
»Es ist kein Konvent, Vater; das ist für Frauen.« Und wie viele Male hatte sie sich gewünscht, er würde sie in einen schicken? »Es ist ein Kloster. Und ich habe ihm den Weg beschrieben, aber er will, dass ich mitkomme.«
»Nicht, solange ich lebe, Mädchen. Ich lass dich nicht mit diesem … diesem … dieser Heulsuse hier raus!«
»Komm schon, wieso nicht? Du machst dir doch sicher keine Sorgen um meine Keuschheit!« Sie lachte, obwohl ihr aufregende Visionen von Schlagsahne und einem frechen Drachenschwanz durch den Kopf schossen.
»Was meinst du mit ›wieso nicht‹? Er kann dich nicht beschützen. Er wäre zu sehr damit beschäftigt zu schluchzen wie ein verdammtes Mädchen, während du von irgendeinem anderen Warlord entführt wirst!«
»Nicht so laut! Und allein seine Größe wird mich beschützen.« Ihr Vater grunzte, was die Hoffnung in ihr weckte, ihn doch noch überzeugen zu können. »Wie wäre es, wenn wir es so machen? Ich begleite ihn heute, was nur ein paar Stunden dauern wird. Dann kann er mich zu Gestur bringen. Er ist kaum zwei Stunden zu Fuß von diesem Kloster entfernt. Ich kann Gestur die Botschaften bringen, die du für ihn hast, und wäre vor Einbruch der Nacht wieder sicher auf Reinholdt-Land.«
Ihr Vater sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Du hast dir das alles anscheinend schon genau überlegt.«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist ewig her, seit die Vettern hier waren. Und Gestur kann mich nächsten Monat mitnehmen, wenn er herkommt.«
»Nächsten Monat?« Ihr Vater sah sie seltsam an, und sie hatte keine Ahnung, was dieser Ausdruck bedeutete. »Das gefällt mir nicht. Und du hast mir immer noch keinen guten Grund geliefert, dich zu schicken.«
»Eine Legion.«
»Was?«
»Wie ich dir sagte: Er will Annwyl die Blutrünstige schützen. Er hat uns eine Legion von ihren Truppen versprochen.«
»Und du glaubst ihm?«
»Ja. Das sind 5200 Männer, Vater.«
»Südländer«, schnaubte er.
»Menschliche Ziele, sage ich. Damit kannst du Jökull beschäftigen, bis du ihm die Haut von den Knochen reißen kannst.«
Ein seltenes Lächeln ging über das Gesicht ihres Vaters. »Du bist manchmal wirklich wie deine Mutter. Du hast einen rachsüchtigen Zug an dir.« Die Komplimente ihres Vaters waren rar und seltsam, aber sie sog sie trotzdem gierig auf.
»Das stimmt. Und wenn wir bekommen, was wir wollen, wenn wir der Heulsuse helfen … Das ist ein geringer Preis, den wir zahlen müssen. Vertrau mir bitte dieses eine Mal, Vater.«
»Ich bin mir sicher, dass du etwas ausheckst, Kleine.« Aber er gab ihr kein Kontra mehr, und das wussten sie beide. »Aber du bist dir sicher? Mit ihm allein sein zu wollen, meine ich? Bist du sicher, dass du bei ihm gut aufgehoben bist – er ist schließlich immer noch ein männliches Wesen, und ich hab doch gesehen, wie deine Schwägerinnen ihn anschauen.«
Sie schob die Tür einen Spalt auf, und ihr Vater schaute hinein und sah Gwenvael, der sich in ein Taschentuch schnäuzte und noch immer schluchzende Geräusche von sich gab. Dagmar hob eine Augenbraue. »Solange ich mich nicht plötzlich in Eymund verwandle … bin ich mir relativ sicher, dass ich zurechtkommen werde.«