3 Dagmar schaute noch einmal an ihrem Kleid hinab und vergewisserte sich, dass ihr Kopftuch richtig saß, bevor sie die Augengläser, die auf ihrer Nase balancierten, zurechtrückte.

Ein Drache. Ein echter Drache hier, vor der Festung ihres Vaters, und sie würde ihn gleich kennenlernen. Noch nicht einmal ein Nordländer, sondern ein Drache aus den Südländern. Ein Wissenschaftler, ein Lehrer, ein Intellektueller.

Die Vernunft möge ihr helfen, aber Dagmar merkte, dass sie so aufgeregt deswegen war, dass ihr fast … wagte sie, es auszusprechen … schwindlig war?

Sie fragte sich, wie alt der Drache wohl war. Er konnte sechs- oder siebenhundert Jahre alt sein! Denn natürlich würde die mächtigste Königin der Dunklen Ebenen nur den fachkundigsten ihrer Gelehrten schicken, den erfahrensten Gesandten, um sie in den Hallen Des Reinholdts zu vertreten.

Dagmar zuckte zusammen, als sie ihren Vater den Drachen ansprechen hörte.

»Ich bin Sigmar«, erklärte er dem Drachen, und Dagmar konnte sich kaum zurückhalten, eine angemessenere und würdigere Begrüßung über das Tor zu schreien.

»Du hast nach mir gefragt, Reinholdt?«

Was für eine Stimme! Tief und satt, und allein das Timbre ließ ein wenig die Fenster klirren, denn er schrie nicht. Er klang ruhig und ziemlich … seriös.

»Nein. Ich habe nach eurer Annwyl gefragt«, schnauzte ihr Vater geradezu zurück.

Dagmar begann, mit der Faust gegen ihren Oberschenkel zu klopfen.

»Tja«, antwortete der Drache ruhig, »sie ist im Moment indisponiert, deshalb hat sie mich als ihren Gesandten geschickt.«

»Ein Drachengesandter für einen Menschen?«

Dagmar knirschte frustriert mit den Zähnen. Was hatte der alte Mistkerl bloß vor? Warum stellte er unhöfliche Fragen? Fragen, die man über einem Essen stellen und beantworten konnte, wenn der Drache entspannter war. Sie wusste mit Sicherheit, dass einer der Hirten der Umgebung Kühe auf den östlichen Feldern grasen ließ – genug, um einen Drachen satt zu bekommen, da war sie sich sicher.

Mal ehrlich, war das die Vorstellung ihres Vaters von Diplomatie? Kein Wunder, dass sie so hart darum kämpfen musste, einen Krieg zwischen den Reinholdts und den benachbarten Lehen zu verhindern. Weil ihre Familie aus Idioten bestand!

»Noch einmal, Reinholdt, du wolltest mich oder jemanden aus den Dunklen Ebenen sprechen?«, drängte der Drache. Es war offensichtlich, dass seine Geduld zur Neige ging. Na ja, offensichtlich für jeden, der etwas Verstand besaß.

»Nay. Nicht ich, Drache. Die Bestie hat darum gebeten.«

Die Bestie? Ihr Vater sprach von ihr als Die Bestie?

Hätte sie geglaubt, damit durchkommen zu können, wenn sie sie alle umbrachte und das Land, auf dem sie standen, dem Erdboden gleichmachte –, sie hätte es ohne zu zögern getan.

»Und könnte ich Die Bestie dann vielleicht sprechen?«, erwiderte der Drache.

Dagmar trat vor, aber Valdís hielt sie hinten am Kleid fest.

»Weg!«, befahl sie.

»Du wartest!«, knurrte er.

»Bist du dir da sicher, Drache?«, fragte ihr Vater, und jetzt wusste sie, dass er mit der Kreatur spielte. Und er hatte die Stirn, sich zu fragen, woher sie ihre negative Einstellung hatte!

»Ja«, grollte der Drache. »Bin ich.«

Ihr Vater musste ein Zeichen gegeben haben, denn ihr Bruder ließ ihr Kleid los, und die Soldaten, die die Vorderseite der Festung schützten, gingen aus dem Weg. Dagmar ging hinaus, überquerte den Hof und trat durch das Tor. Die Wachen ihres Vaters bildeten zwei Reihen, um sie passieren zu lassen. Dagmar schritt zu dem herrlichen Geschöpf hinüber. Es glitzerte golden im trüben Licht der zwei Sonnen, jede einzelne Schuppe glänzte und schimmerte. Der Drache war selbst fast wie eine Sonne, er brachte ein klein wenig Licht in ihre Welt. Seine Schwingen streckten sich weit von seinem Körper weg. Die Flügel waren ebenfalls mit Schuppen bedeckt, aber sie wirkten irgendwie schwerelos und zart, wie das erlesenste Metall, das je geschaffen worden war. Jede Flügelspitze besaß eine scharfe, goldene Kralle, genau wie die Klauen. Zwei leuchtend weiße Hörner saßen auf seinem Kopf, und langes, glänzend goldenes Haar fiel ihm über Rücken und Körper und schleifte sanft über den Boden. Seine schönen goldenen Augen richteten sich auf sie, sobald sie näher trat.

Sie hatte eine Begrüßung für ihn vorbereitet. Die Worte – eine angemessene Begrüßung für so einen wichtigen Diplomaten – lagen ihr auf der Zunge, aber sie brachte keinen Ton heraus. Nicht jetzt, wo sie ihn sah.

In den dreißig Jahren ihres Lebens war ihr nie etwas so Schönes begegnet.

Als Dagmar fürchtete, sie könne sich mit ihrem Schweigen lächerlich machen, fand sie endlich ihre Stimme wieder und machte den Mund auf, um zu sprechen. Aber die Worte blieben ihr wieder im Hals stecken.

Nur diesmal blieben sie stecken, weil er lachte! Über sie!

Und es war auch nicht nur ein Lachen. Kein gedämpfter Laut hinter seiner Klaue. Auch kein ungläubiges Schnauben. Das erlebte sie täglich und war einigermaßen daran gewöhnt. Nein. Dieses übergroße … Kind rollte auf dem Boden herum, als hätte es nie etwas Amüsanteres gesehen als sie. Die riesigen Drachenbeine und -arme schlugen wild um sich, während sein schallendes Lachen im Hof und der ganzen Umgebung widerhallte.

Eine schuppige Echse lachte sie aus! Die Einzige Tochter Des Reinholdts! Und das auch noch auf Reinholdt-Gebiet!

Alle Ehrfurcht und Bewunderung, die Dagmar empfunden hatte, war im selben Augenblick weggewischt, und sie spürte diese gewisse Kälte, die sie so gut vor Außenstehenden verbarg. Sie floss durch sie hindurch wie eine Lawine. Die Männer hinter ihr begannen untereinander zu murmeln, Füße scharrten und ihr Vater räusperte sich. Ein paar Mal. Es war nicht der Drache, der ihnen Unbehagen verursachte. Jedenfalls nicht direkt.

Dagmar wartete, bis sein Lachen zu einem Kichern abgeebbt war. »Bist du fertig?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.

»Tut mir leid, äh … Bestie.« Schon wieder prustete er vor Lachen.

»Dagmar genügt. Dagmar Reinholdt. Dreizehntes Kind von Dem Reinholdt und seine Einzige Tochter. Ich habe deine Königin hergebeten«, fuhr sie fort, »weil ich etwas erfahren habe, das ihr und ihren ungeborenen Welpen vielleicht das Leben retten wird.«

Der belustigte Gesichtsausdruck des Drachen verwandelte sich augenblicklich in einen finsteren Blick. Anscheinend schätzte er den Ausdruck, den sie benutzt hatte, nicht sehr, aber das war ihr egal. All ihre Träume davon, ein Bündnis mit der Blutkönigin einzugehen, waren verschwunden, sobald diese Frau diesen Idioten als ihren Vertreter hergeschickt hatte. Nein, Dagmar würde andere Verbündete für ihren Vater finden müssen. Die Blutkönigin der Dunklen Ebenen genügte ganz einfach nicht.

»Sag es mir, süße Dagmar«, höhnte der Drache, drehte sich zurück auf den Bauch und hob den Kopf ein wenig. »Und ich werde es ihr sagen.«

Dagmar schwieg sehr lange, dann antwortete sie schlicht: »Nein.«

Der Drache blinzelte überrascht und schob sich abrupt ein bisschen hoch, sodass seine Schnauze nur noch Zentimeter von ihrer Nase entfernt war. Die goldenen Augen waren fest auf ihre gerichtet, und sie fragte sich, wie sie sie je hatte hübsch finden können. Sie waren so hässlich wie der Rest des Drachen. Hässlich und höhnisch und absolut nutzlos.

»Was meinst du mit Nein?«, wollte er wissen.

»Ich meine, du hast mich beleidigt. Du hast meine Sippe beleidigt. Und du hast Den Reinholdt beleidigt. Also kannst du zu deiner Schlampe von Königin zurückkehren und zusehen, wie sie stirbt.«

Überzeugt, ihren Standpunkt dargelegt zu haben, drehte sich Dagmar Reinholdt auf dem Absatz um und ging. Ein paar Schritte weiter hielt sie allerdings inne und warf einen Blick über die Schulter zurück.

»Das, Drache«, höhnte sie, indem sie seinen Tonfall nachahmte, »das ist witzig.«

Ohne ein weiteres Wort kehrte sie in die mächtige Festung ihres Vaters zurück. Doch bevor sie in ihrem Schutz verschwand, hörte sie ihren Vater fragen: »Du bist ein ziemlich dämlicher Bastard, was, Drache?«

In Momenten wie diesem wusste sie die Grobheit ihres Vaters ehrlich zu schätzen.

Eine Frau! Die Bestie war eine Frau! Warum hatte ihm das keiner gesagt? Warum taten alle so, als wäre sie ein Mann? Hätte Gwenvael das gewusst, dann wäre er die ganze Sache völlig anders angegangen.

Aber er hatte es nicht gewusst, und seine erste Reaktion bei ihrem Anblick … nun ja, es war nicht gerade einer seiner brillantesten Momente gewesen. Selbst er musste das zugeben. Dennoch: Warum war es seine Schuld, wenn alle ihm ständig sagten, dass Die Bestie eine Art mächtiger Riesenkrieger war, der direkt aus einer der vielen Gruben der Hölle zu kommen schien?

Während er ruhelos in der verlassenen Höhle auf und ab ging, die er hoch in den Bergen des Leids entdeckt hatte – ein recht passender Name im Moment –, zerbrach sich Gwenvael den Kopf darüber, wie er die Lage wieder in Ordnung bringen konnte.

Sein erster Gedanke war natürlich, die Frau zu verführen. Sie sah schließlich aus wie eine alte Jungfer, oder nicht? Eine verbitterte, unglückliche Jungfrau, die Männern nicht genug vertraute, um sie in ihr Bett zu lassen. In der Vergangenheit hatte er bei solchen Frauen großen Erfolg gehabt. Und dennoch …

Er seufzte und rieb sich die Augen.

Und dennoch war diese hier wiederum irgendwie überhaupt nicht so, oder?

Sie war eine graue Maus, das stimmte. Aber hässlich war sie nicht. Er hatte bei ihrem Anblick nicht das Bedürfnis, schreiend davonzulaufen. Und sie hatte diese Augen – stahlgrau und kalt wie ein Berggipfel. Augen wie ihre konnten es weit bringen, wenn sie richtig eingesetzt wurden, aber sie trug ein tristes, graues Kleid, das sie mehr verhüllte als kleidete. Es hatte keine Verzierungen, kein ausgeschnittenes Mieder, das ihren Busen betonte. Es besaß auch keinen hoch geschnittenen und prüden Kragen bis zum Kinn, sodass man unbedingt wissen wollte, was es verbarg. Der Gürtel bestand aus langweiligem braunem Leder, wo ein Silbergeflecht so viel hübscher gewesen wäre. Der Dolch, den sie hineingesteckt hatte, war durchaus hübsch, aber so …? Die Stiefel an ihren kleinen Füßen waren ebenfalls aus grauem Fell. Und sie trug dieses Kopftuch, als wollte sie gerade losziehen und eine Küche schrubben.

Nein, es war nicht ihr Aussehen, das ihr einen Namen wie Die Bestie bescherte. Sie war nicht hässlich, aber sie war auch keines dieser prachtvollen Tiere, die Männer in ihrem Bett verschlangen.

Genauso wenig war sie eine rasende Wahnsinnige, wie man es von einer Frau erwarten würde, die von Nordmännern Die Bestie genannt wurde.

Die Kälte in diesen Augen ging einem durch und durch. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was ein mächtiger Drache tun konnte, wenn man ihn verärgerte, hatte sie die Information über Annwyl für sich behalten. Um ehrlich zu sein, war sich Gwenvael nicht einmal sicher, dass die Reinholdt-Männer wussten, was sie an ihr hatten.

Der Reinholdt selbst schien vollkommen unbeholfen zu sein, wenn er keine Axt in den Händen hatte. Seine überraschend geringe Größe für einen Nordländer glich er durch Breite aus – seine Schultern und die Brust waren beunruhigend breit, seine Muskeln platzten beinahe aus seinen Kleidern heraus. Doch abgesehen von den Äußerlichkeiten erinnerte der stämmige Nordländer Gwenvael ein wenig an seinen eigenen Vater, Bercelak den Großen. Der war erst glücklich, wenn er jemanden oder etwas im Kampf töten konnte – Politik und Diplomatie langweilten den älteren schwarzen Drachen zu Tode.

Gwenvael kratzte sich am Kopf. Ja, ja, er durchschaute den alten Reinholdt zur Genüge. Aber dieses Mädchen … verdammt! Sie war der Schlüssel. Er wusste es. Es war auch nicht nur das Wissen, das sie über Annwyl besaß. Da war noch etwas anderes an diesem Mädchen … dieser Frau … wie auch immer. Wirklich, wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geschworen, dass sie ein Drache war, mit diesen verfluchten kalten Augen und Eigenschaften. Sie hatte ein junges Gesicht, aber diese Augen waren voll von zeitlosem Wissen, das sie zu ihrem eigenen Vorteil einsetzte.

Das bewunderte er durchaus ein bisschen, denn er selbst machte es ja genauso.

Er musste zurück. Er wusste es. Und ihm wurde jetzt klar, dass es nicht funktionieren würde, zurückzugehen, sie einfach zu nehmen und zu verführen. Nicht bei ihr. Sie würde nicht beim bloßen Anblick seiner menschlichen Gestalt schwach werden. Sie würde sich nicht von der außergewöhnlichen Schönheit seines Gesichtes oder seines herrlichen menschlichen Körpers verzaubern lassen. Noch würde er sie mit Drohungen und Gebrüll einschüchtern können.

Er musste einen anderen Weg gehen, aber zuerst musste er hineinkommen und sie sehen. In seiner wahren Gestalt zurückzugehen wäre nutzlos. Er musste in Menschengestalt sein und …

Gwenvael lächelte, als ihm plötzlich die Etikette der Herrscher der Nordländer wieder einfiel. Ja, ja. Das würde funktionieren. Die Frau, die er heute getroffen hatte, kannte die Etikette, besaß ihren eigenen Rat und spielte nach den Regeln. Zumindest, soweit es alle anderen anbelangte.

Damit würde er zwar nur eine Nacht herausschlagen, aber das war genug.

Er würde dafür sorgen, dass es genügte, denn er würde Annwyl in dieser Sache nicht enttäuschen. Nicht diesmal. Sie hatte ihm fast das Herz gebrochen, als sie ihn weggeschickt, ihn auf die Wange geküsst und lange umarmt hatte, bevor sie ihm sagte: »Hör nicht auf die anderen. Ich weiß, dass du deine Sache im Norden ganz großartig machen wirst. Sei nur vorsichtig und pass auf dich auf, Gwenvael.«

In diesem Augenblick hatte er gewusst, dass sie mehr an ihn glaubte als sein eigen Fleisch und Blut. Sie vertraute ihm ihr Leben und das ihrer Babys an. Und wenn er so weit nach Norden gehen musste, dass er das verbotene Eisland betrat – er würde es tun. Er würde nicht zulassen, dass Annwyl etwas zustieß.

Er ging zum Höhleneingang, blieb einen Moment dort stehen und starrte hinab auf die Landschaft, die sich unter ihm erstreckte, bis ihm ein wohlbekannter Geruch in die Nase stieg. Er hätte ihn früher wahrnehmen müssen, aber er war tief in Gedanken versunken gewesen, und jetzt hatte er nur noch einen Augenblick, um die Schatten um sich herum zu nutzen. Es war ein Geschenk, das ihm sein geliebter Großvater Ailean vererbt hatte: Gwenvaels Schuppen änderten ihre Farbe, bis er mit den Schatten der Höhle verschmolz.

Es war auch höchste Zeit, denn Sekunden später kamen sie in Sicht. Vier von ihnen, alle groß, kräftig und … lila.

Blitzdrachen. Auch Hordendrachen genannt. Er hatte zum ersten Mal während eines Krieges vor fast einem Jahrhundert gegen sie gekämpft. Sie waren Barbaren, aber mächtige Krieger, und er hatte bleibende Narben, die das bewiesen.

Heutzutage mochten manche sagen, dass die Blitzdrachen in Frieden mit den Drachen der Südländer lebten, doch das war nicht einmal im Entferntesten wahr. Es war ein Waffenstillstand, aber ein labiler, der jeden Augenblick ganz leicht gebrochen werden konnte. Was einen neuen Kriegsausbruch verhinderte, war allein die Tatsache, dass die Blitzdrachen in Lehen aufgesplittert waren, ähnlich wie die Menschen der Nordländer. Sie betrachteten sich nicht als Monarchen, sondern als Warlords. Oft waren sie so damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekämpfen, dass sie kaum die Energie oder Zeit hatten, die Armeen der Drachenkönigin der Südländer anzugreifen.

Dennoch hatte sich Gwenvael auf dem Weg zu seinem Ziel vorsichtig durch ihre Territorien bewegt. Olgeir der Verschwender kontrollierte die Äußeren Ebenen – die Grenzgebiete zwischen dem Norden und dem Süden – sowie das Gebiet, das sich mit dem Land der Reinholdts überschnitt, und er hatte sich nie besondere Mühe gegeben, einen Hehl aus seinem Hass gegen Königin Rhiannon zu machen. Er hielt den Waffenstillstand ein, aber er tat es nicht gern. Und Gwenvael zweifelte nicht eine Minute daran, was Olgeir tun würde, falls er einen von Rhiannons männlichen Nachkommen auf seinem Territorium erwischte. Vor allem den, den die männlichen Hordendrachen den »Verderber« nannten.

Die Blitzdrachen flogen an der Höhle vorbei, nur einer hielt inne und schwebte vor dem Eingang.

Gwenvael rührte sich nicht und vermied jedes Geräusch. Er würde den Mistkerl sicherlich nicht angreifen. Er war nicht hier um zu kämpfen, und er war auch nicht so dumm zu denken, er könne sich mit einem Spähtrupp von Blitzdrachen anlegen und unversehrt aus dem Kampf hervorgehen.

Der Blitzdrache schnüffelte und kam ein kleines bisschen näher. Genauso wie Gwenvael den Blitz in dem Barbaren riechen konnte, konnte der Barbar das Feuer in Gwenvael riechen.

Also kauerte sich Gwenvael langsam und zum Sprung bereit nieder, bereitete seinen Körper und seine Flamme zum Angriff vor.

Der Blitzdrache war kurz davor, die Höhle zu betreten, als Gwenvael das Krächzen einer Krähe über dessen Kopf hörte. In den Nordländern gab es anscheinend massenweise Krähen. Und in diesem Moment war Gwenvael dankbar wie nie zuvor, als der Krähendreck ganz ungeniert auf der Schnauze des Blitzdrachen landete.

Der Drache versuchte schielend, ihn zu sehen und knurrte: »Du kleiner Mist …«

»Komm schon, du Idiot!«, schrie eine andere Stimme von weiter weg. »Beweg dich!«

Sich den Dreck aus dem Gesicht wischend, folgte der Blitzdrache seinen Kameraden.

Mit einem tiefen Seufzer stand Gwenvael am Höhleneingang und sah hinauf zu den Krähen. Es mussten Hunderte von ihnen sein, die auf den Ästen und Kletterpflanzen saßen, die aus der felsigen Oberfläche des Berges ragten.

»Vielen Dank dafür«, sagte er freundlich. Als Antwort erleichterte sich eine zweite Krähe, und Gwenvael trat hastig einen Schritt zurück. »He, ihr kleinen Scheißer! Passt auf meine Haare auf!«

Dass all diese verdammten Vögel anfingen, ihn auszulachen, gefiel ihm gar nicht.